Felix Mendelsohn-Bartholdy im Flügelkleide
„Die Stätte, die ein edler Mensch betrat, sie ist geweiht für alle Zeiten,“ und auf der Stätte, welche ausgezeichneten Menschen in den Herzen geweiht ist, blühen immer neue Blumen der Poesie auf. Je mehr das Nivelliren des Verehrungswürdigen, der Nihilismus der Jetztzeit um sich greift, desto mehr muß man die Verehrung großer Männer, edler Charaktere, erhabener Geister festhalten und fördern. Sie ist der Urquell der nachfolgenden Begeisterung, jenes Idealismus der Jugend, dem zu allen Zeiten die Erhebung zum Wahren, Guten und Schönen heiliger Beruf war, und der vorzüglich im deutschen Volke stets anregend, positiv und productiv geblieben ist.
Einer der productivsten deutschen Idealisten und einer der edelsten Künstler war Felix Mendelssohn-Bartholdy. Schlagen nicht noch jetzt bei der Nennung dieses Namens viele Herzen, denen er ewig theuer, höher? Wirken nicht noch jetzt seine herrlichen Tonschöpfungen echte Andacht als Weiheklänge, die jeden Mißton aus der Seele bannen? Werden nicht noch jetzt seine Oratorien mit demselben frischen Eifer geübt und gesungen, als würden sie noch von ihm selbst dirigirt? Was war es nur, das dem Einzigen, dem wirklich glücklichen, also eigentlichen Felix so unvergänglichen Reiz verlieh? Wie bei Gesangsvorträgen ein gemüthvoller Sänger mit einem herzigen, schlichten Liede eindringlicher wirkt, als der anspruchsvolle Virtuos mit großen Arien, so muß auch der deutsche Componist, der das deutsche Wesen in der Innerlichkeit und Keuschheit der Empfindung erkannte und ausprägte, der Liebling aller wahren Verehrer deutscher Kunst bleiben. Wohl sind vor und nach Mendelssohn genialere Tonschöpfer hervorgetreten. Es hat zum Beispiel Robert Schumann eine Fülle poetischen Tiefsinns, wonniger Gluth und geistreich charakteristischer Reize in seinen Compositionen geboten, wie sie vorher und nachher keinem Componisten erreichbar war. Richard Wagner hat mit seinen prunkhaften Schöpfungen alles Dagewesene überboten. Sein Makart’sches Colorit, der Pomp seiner Instrumentation, seine leidenschaftliche Gluth, die dämonische Ekstase fanatischer Einseitigkeit reißt Alles mit sich fort und berauscht die Köpfe, während das Herz leer ausgeht. Was Mendelssohn nie erstrebte, das verblendete Anstaunen, die Vergötterung Derer, die berauscht sein wollen, – sie hätte ihm niemals genügen können, denn er rang nach höheren Preisen und erreichte tiefere, nachhaltigere Erfolge.
Der in seiner Vielseitigkeit bewunderungswürdige, aber stets sich selbst getreue Mendelssohn wurde der liebreiche und geliebte Pflegevater einer ganzen Künstlergeneration von der gediegensten und edelsten Richtung. Mag die pietätlose Menge ihre Götzen umtaumeln, der Friede dieses Heiligthums bleibt davon unberührt und wird es ferner bleiben.
Gewährt es dem Musikkenner und Kunstfreunde große Genugthuung, sich das Gesammtbild des Componisten und Künstlers Mendelssohn zu vergegenwärtigen, so gehört dazu das liebenswürdige Bild des edeln Menschen, das mehr noch als sein Künstlerruhm eine wahre Herzensfreude bereitet. Die schöne Harmonie dieses kurzen, aber segensreichen Menschenlebens muß Jeden mit jener Weihestimmung erfüllen, die der gedankenvollen Einsamkeit so hohen Reiz verleiht. Von wenigen Künstlern sind uns so reichhaltige Documente oder selbstbiographische Reliquien überliefert worden, als von Mendelssohn. Seine allbekannten Briefe werden gewiß von Unzähligen wieder und wieder durchgelesen. Stets von Neuem erbaut man sich an dem schmucklosen, aber warmen Ausdrucke seiner Gefühle und Gedanken. Sind in diesen Briefen auch manche gleichgültige Dinge enthalten, manche bedeutungsarme Momente seines Lebens wiedergegeben, so ist wohl in allen Briefsammlungen dergleichen zu finden. Mendelssohn pflegte nicht, wie manche selbstbewußtere Künstler, schon von Unsterblichkeitsgefühls in Briefen zu orakeln, sondern gab sich stets in voller Wahrheit und Natürlichkeit. So sind seine Briefe reizvolle Zeichnungen von Stimmungen, die nur für die Nächsten, nicht für das große Publicum bestimmt waren, ohne Phrasenaufputz und ebenso naiv, wie die Federzeichnung der Schweizerlandschaften, die er, sich selbst belächelnd, in Mußestunden producirte. Den pietätvollen Lesern dieser Briefe können wir nun eine Art Vorspiel dazu, das zur Vervollständigung des geliebten Bildes beitragen kann, in einem noch nicht veröffentlichten Jugendbriefe Mendelssohn’s, der viele Jahre lang als theures Andenken verborgen gehalten wurde, darbieten.
[458] Der Brief führt uns den zehnjährigen Felix im köstlichen Uebermuthe der Flegeljahre und mit dem anmuthigen Lächeln des Schalkes vor die Seele und gewährt uns einen Einblick in das kunstbelebte Treiben und Walten im Vaterhause. Dort wurden in seinen jugendlichen Geist schon alle die vortrefflichen Triebe und Keime gelegt, die dann so glücklich emporsproßten und durch Fleiß, Sorgfalt und die Sonne des Glückes zu so reicher Blüthe gediehen.
Mein lieber Signore Rudolph!
„Ich weiß gar nicht was ich von dir denken soll“ – – du hältst mich für einen Lump einen Liedrian, und du, du Schlingel, was bist denn du? ? – – “ „– – Ich schreibe ihm zweimal ohne Antwort soll ich mich nicht rächen? und Vorwürfe! unwürdiger Freund! Na! Pace! das war Spas Na! Pace! jetzt kommt Ernst Ich denke noch oft an Wie der große Bengel dastand und pustete, auf einem Horn welches noch einmal so groß als er selbst war. |
Aber wirklich! ich habe dir darum nicht geantwortet weil ich dieser Tage so viel zu thun gehabt habe, daß ich selbst vom Latein französisch und Rechnen zusammengebaut war. Eine Doppelsonate, die ich componierte, kam dazu und so wurde ich selten vor halb 9 Uhr fertig. Freilich, du hast bei deinem Onkel gute Tage
.... le cor et la paresse se disputent mon con Und glaube mir wärst du noch hier geblieben (und auch mein Freund) ich wäre zu weilen mit einer Hand voll Arbeit so gekommen wie du damals mit einer Hand voll Arbeit gekommen wärst, hättest du so viel zu thun gehabt. |
Zu den zahlreichen Musikgenies und Weltreisenden, die in dem Musik-Eldorado des Banquiers Mendelssohn in Berlin gastfreie Aufnahme fanden, gehörte auch ein damals berühmtes Waldhornisten-Brüderpaar, das auf seinen großen Kunstreisen gern in Berlin Station machte. Joseph und Heinrich Gugel, jener 1770, dieser zehn Jahre später in Stuttgart geboren und Beide Schüler ihres Oheims Schöll in Wien, waren noch als Kinder von ihrem Vater, nur wenige Kreuzer in der Tasche und ihre Instrumente unterm Arm, mutterseelenallein zum Geldverdienen in die Welt geschickt worden. So kamen sie 1795 nach Hildburghausen, wo sie sofort als Kammermusici angestellt wurden und zehn Jahre lebten. Hier stand damals die musikalische Kunst in hoher Blüthe, die Herzogin (Charlotte, Schwester der Königin Louise von Preußen) galt als eine der größten Sängerinnen jener Zeit, von der selbst ein Reichardt sagte, daß sie allein im Stande sei, eine Marchetti (damals berühmteste italienische Sängerin in München) zu ersetzen; es lag also nahe, daß in den zum nicht geringen Theil sehr tüchtigen Mitgliedern der Capelle ein Wetteifer lebte, mit ihren Leistungen nicht zu tief unter ihrer Herzogin zu stehen. Und Das war die wahre Schule für beide Gugel. Vom achtbarsten Ehrgeiz getrieben, strengten auch sie alle Kraft an, auf ihrem Instrumente das Höchste zu leisten, – und sie erreichten dieses Ziel. Dieses Höchste suchten sie in einem sanften und seelenvollen Vortrag, einem leichten und sehr präcisen Ton, obgleich sie auch in dem, was man gewöhnlich unter Virtuosität versteht, keinem Waldhornisten ihrer Zeit nachstanden. Es war natürlich, daß sie sich auch als Künstler fühlten und sich nicht zum alltäglichen Gebrauch hergaben. Deshalb verweigerten sie entschieden den Gehorsam, als ihnen einmal zugemuthet wurde, bei einem Hofballe mit zum Tanz zu blasen, und da ihre Weigerung ihnen Arrest zuzog, so verließen sie den herzoglichen Dienst und trennten sich dann. Joseph reiste noch einige Zeit in Deutschland umher, ging dann nach Paris und ist seitdem verschollen. Heinrich wandte sich nach Petersburg, wurde erster Hornist am kaiserlichen Theaterorchester, und er ist es, der mit seinem damals zwölfjährigen Sohne sich im Winter 1818 wieder einmal im Mendelssohn’schen Hause aufhielt. Mit diesem Sohne Gugel, der damals schon ebenfalls als Waldhornvirtuos in Concerten mitwirkte und später auch als wirklicher Künstler Ruhm und Ehren davongetragen hat, schloß der für Freundschaft hochempfängliche Felix sofort einen ewigen Bund, und es entspann sich daraus ein fröhlich animirter Briefwechsel zweier gleichartiger Wunderkinder. Zu einer von Vater Mendelssohn veranstalteten Soirée; zu welcher eine glänzende Gesellschaft größerer oder geringerer Capacitäten geladen war, spielte Felix in einem Trio für Piano und zwei Hörner (letztere durch die erwähnten Virtuosen, Vater und Sohn, vertreten) seine Partie, trotz der Schwierigkeiten, welche in der Composition für seine kleinen Finger lagen, so überraschend schön, daß es dem Zurathen des gewissenhaften Lehrers Berger und dem Ansturme der Bewunderer gelang, dem widerstrebenden Künstlervater Mendelssohn die Erlaubniß abzulocken, daß Felix auch in [459] einem folgenden öffentlichen Waldhornconcerte mitwirken durfte. Das Concert hatte, wie zu erwarten, den glänzendsten Erfolg, und es ist deshalb ebenso natürlich als verzeihlich, daß die Erinnerung daran in Felix jubelnde Accorde weckte, die auch in seinem spätern Briefe noch lebhaft nachklingen. Wir theilen denselben, um unsern Lesern zugleich die damalige Handschrift Mendelssohn’s zu zeigen, als autographirtes Facsimile mit.
Das schelmische Lächeln dieses kindlichen Humors in trockenen
Ich lese so eben deinen Brief durch und sehe daß du Ende Octobers von Kaiserslautern reist. Ich habe Dir schon gesagt, warum ich nicht früher geschrieben; sehr leid aber würde mir es thun, wenn Du diesen Brief nicht erhieltest, Du hättest Ursache, böse auf mich zu sein. Unser Sophrihan befindet sich sehr wohl, und läßt dich grüßen, Herr Lerger auch; Dieter hat mir gesagt, ihr würdet bald wieder nach Berlin reisen; schreibe mir doch, ob sich dies bestätigt. Dieser Brief ist Abends 7 Uhr beendigt und ich lasse |
deinen Vater durch ihn grüßen. Vergiß nicht mein Rudolphchen, meine nassen Küße; ich schreibe Dir hier trockenere, und bleibe ganz gewiß
dein Freund
F. Mendelssohn
Da ich deinen |