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Faust - Der Tragödie zweiter Teil

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Johann Wolfgang von Goethe
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Titel: Faust
Untertitel: Der Tragödie zweiter Teil
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1831
Erscheinungsdatum: 1832
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Originalherkunft:
Quelle: scans auf commons
Kurzbeschreibung: Fortsetzung von Faust - Der Tragödie erster Teil
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[I] WS: Besitzervermerk

[II]

[III]

[IV]

[V]

[VI]
Goethe’s

Werke.



Vollständige Ausgabe letzter Hand.



Ein und vierzigster Band.

Unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes schützenden Privilegien.



Stuttgart und Tübingen,,
in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung.
1832.

[VII]


[1]
Inhalt.



Faust. Der Tragödie zweyter Theil in fünf Acten.
(Vollendet im Sommer 1831.)



[2]

[3]
Erster Act.




Anmuthige Gegend.




Faust auf blumigen Rasen gebettet, ermüdet, unruhig, schlafsuchend.
Dämmerung.
Geister-Kreis schwebend bewegt, anmuthige kleine Gestalten.


Ariel.
(Gesang von Aeolsharfen begleitet.)
     Wenn der Blüthen Frühlings-Regen
     Ueber Alle schwebend sinkt,

4615
     Wenn der Felder grüner Segen

     Allen Erdgebornen blinkt,
     Kleiner Elfen Geistergröße
     Eilet wo sie helfen kann,
     Ob er heilig? ob er böse?

4620
     Jammert sie der Unglücksmann.


Die ihr dieß Haupt umschwebt im luft’gen Kreise,
Erzeigt euch hier nach edler Elfen Weise,

[4]

Besänftiget des Herzens grimmen Strauß;
Entfernt des Vorwurfs glühend bittre Pfeile,

4625
Sein Innres reinigt von erlebtem Graus.

Vier sind die Pausen nächtiger Weile,
Nun ohne Säumen füllt sie freundlich aus.
Erst senkt sein Haupt auf’s kühle Polster nieder,
Dann badet ihn im Thau aus Lethe’s Fluth;

4630
Gelenk sind bald die krampferstarrten Glieder,

Wenn er gestärkt dem Tag entgegen ruht.
Vollbringt der Elfen schönste Pflicht,
Gebt ihn zurück dem heiligen Licht.


Chor.

(Einzeln, zu zweyen und vielen, abwechselnd und gesammelt.)

     Wenn sich lau die Lüfte füllen

4635
     Um den grünumschränkten Plan,

     Süße Düfte, Nebelhüllen
     Senkt die Dämmerung heran;
     Lispelt leise süßen Frieden,
     Wiegt das Herz in Kindesruh,

4640
     Und den Augen dieses Müden

     Schließt des Tages Pforte zu.

     Nacht ist schon hereingesunken,
     Schließt sich heilig Stern an Stern;
     Große Lichter, kleine Funken,

4645
     Glitzern nah und glänzen fern;
[5]

     Glitzern hier im See sich spiegelnd,
     Glänzen droben klarer Nacht;
     Tiefsten Ruhens Glück besiegelnd
     Herrscht des Mondes volle Pracht.

4650
     Schon verloschen sind die Stunden,

     Hingeschwunden Schmerz und Glück;
     Fühl’ es vor! Du wirst gesunden;
     Traue neuem Tagesblick.
     Thäler grünen, Hügel schwellen,

4655
     Buschen sich zu Schatten-Ruh;

     Und in schwanken Silberwellen
     Wogt die Saat der Ernte zu.

     Wunsch um Wünsche zu erlangen
     Schaue nach dem Glanze dort!

4660
     Leise bist du nur umfangen,

     Schlaf ist Schale, wirf sie fort!
     Säume nicht dich zu erdreisten
     Wenn die Menge zaudernd schweift;
     Alles kann der Edle leisten,

4665
     Der versteht und rasch ergreift.

(Ungeheures Getöse verkündet das Herannahen der Sonne.)

Ariel.
     Horchet! horcht! dem Sturm der Horen,
     Tönend wird für Geistes-Ohren
     Schon der neue Tag geboren.
     Felsenthore knarren rasselnd,

4670
     Phöbus Räder rollen prasselnd;
[6]

     Welch Getöse bringt das Licht!
     Es trommetet, es posaunet,
     Auge blinzt und Ohr erstaunet,
     Unerhörtes hört sich nicht.

4675
     Schlüpfet zu den Blumenkronen,

     Tiefer tiefer, still zu wohnen,
     In die Felsen, unter’s Laub;
     Trifft es euch so seyd ihr taub.

Faust.
Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig,

4680
Aetherische Dämm’rung milde zu begrüßen;

Du Erde warst auch diese Nacht beständig,
Und athmest neu erquickt zu meinen Füßen,
Beginnest schon mit Lust mich zu umgeben,
Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen,

4685
Zum höchsten Daseyn immerfort zu streben. –

In Dämmerschein liegt schon die Welt erschlossen,
Der Wald ertönt von tausendstimmigem Leben,
Thal aus, Thal ein ist Nebelstreif ergossen;
Doch senkt sich Himmelsklarheit in die Tiefen,

4690
Und Zweig und Aeste, frisch erquickt, entsprossen

Dem duft’gen Abgrund wo versenkt sie schliefen;
Auch Farb’ an Farbe klärt sich los vom Grunde,
Wo Blum’ und Blatt von Zitterperle triefen,
Ein Paradies wird um mich her die Runde.

4695
Hinaufgeschaut! - Der Berge Gipfelriesen

Verkünden schon die feierlichste Stunde;

[7]

Sie dürfen früh des ewigen Lichts genießen
Das später sich zu uns hernieder wendet.
Jetzt zu der Alpe grüngesenkten Wiesen

4700
Wird neuer Glanz und Deutlichkeit gespendet,

Und stufenweis herab ist es gelungen; –
Sie tritt hervor! – und, leider schon geblendet,
Kehr’ ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.

So ist es also, wenn ein sehnend Hoffen

4705
Dem höchsten Wunsch sich traulich zugerungen,

Erfüllungspforten findet flügeloffen;
Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen
Ein Flammen-Uebermaß, wir stehn betroffen;
Des Lebens Fackel wollten wir entzünden,

4710
Ein Feuermeer umschlingt uns, welch’ ein Feuer!

Ist’s Lieb? Ist’s Haß? die glühend uns umwinden,
Mit Schmerz und Freuden wechselnd ungeheuer,
So daß wir wieder nach der Erde blicken,
Zu bergen uns in jugendlichstem Schleier.

4715
So bleibe denn die Sonne mir im Rücken!

Der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend,
Ihn schau’ ich an mit wachsendem Entzücken.
Von Sturz zu Sturzen wälzt er jetzt in tausend
Dann aber tausend Strömen sich ergießend,

4720
Hoch in die Lüfte Schaum an Schäume sausend.

Allein wie herrlich diesem Sturm ersprießend,
Wölbt sich des bunten Bogens Wechsel-Dauer,
Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend,

[8]

Umher verbreitend duftig kühle Schauer.

4725
Der spiegelt ab das menschliche Bestreben.

Ihm sinne nach und du begreifst genauer:
Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.




Kaiserliche Pfalz.




Saal des Thrones.
Staatsrath in Erwartung des Kaisers.




Trompeten.
Hofgesinde (aller Art prächtig gekleidet tritt ein).
Der Kaiser (gelangt auf den Thron; zu seiner Rechten der Astrolog).


Kaiser.
Ich grüße die Getreuen, Lieben,
Versammelt aus der Näh’ und Weite; –

4730
Den Weisen seh’ ich mir zur Seite,

Allein wo ist der Narr geblieben?

Junker.
Gleich hinter deiner Mantel-Schleppe
Stürzt’ er zusammen auf der Treppe,
Man trug hinweg das Fett-Gewicht,

4735
Todt oder trunken? weiß man nicht.
[9]
Zweyter Junker.

Sogleich mit wunderbarer Schnelle
Drängt sich ein andrer an die Stelle;
Gar köstlich ist er aufgeputzt,
Doch fratzenhaft daß jeder stutzt;

4740
Die Wache hält ihm an der Schwelle

Kreuzweis die Hellebarden vor –
Da ist er doch der kühne Thor!

Mephistopheles
(am Throne knieend).
Was ist verwünscht und stets willkommen?
Was ist ersehnt und stets verjagt?

4745
Was immerfort in Schutz genommen?

Was hart gescholten und verklagt?
Wen darfst du nicht herbeiberufen?
Wen höret jeder gern genannt?
Was naht sich deines Thrones Stufen?

4750
Was hat sich selbst hinweggebannt?


Kaiser.
Für dießmal spare deine Worte!
Hier sind die Räthsel nicht am Orte,
Das ist die Sache dieser Herrn. –
Da löse du! das hört’ ich gern.

4755
Mein alter Narr ging, fürcht’ ich, weit in’s Weite;

Nimm seinen Platz und komm an meine Seite.

Mephistopheles

(steigt hinauf und stellt sich zur Linken).
[10]
Gemurmel der Menge.

     Ein neuer Narr – Zu neuer Pein –
     Wo kommt er her – Wie kam er ein –
     Der alte fiel – der hat verthan –

4760
     Es war ein Faß – Nun ist’s ein Span –


Kaiser.
Und also ihr Getreuen, Lieben,
Willkommen aus der Näh’ und Ferne;
Ihr sammelt euch mit günstigem Sterne;
Da droben ist uns Glück und Heil geschrieben.

4765
Doch sagt warum in diesen Tagen,

Wo wir der Sorgen uns entschlagen,
Schönbärte mummenschänzlich tragen
Und Heitres nur genießen wollten,
Warum wir uns rathschlagend quälen sollten?

4770
Doch weil ihr meint es ging nicht anders an,

Geschehen ist’s, so sey’s gethan.

Canzler.
Die höchste Tugend, wie ein Heiligen-Schein,
Umgibt des Kaisers Haupt, nur er allein
Vermag sie gültig auszuüben:

4775
Gerechtigkeit! – Was alle Menschen lieben,

Was alle fordern, wünschen, schwer entbehren,
Es liegt an ihm dem Volk' es zu gewähren.
Doch ach! Was hilft dem Menschengeist Verstand,
Dem Herzen Güte, Willigkeit der Hand,

4780
Wenn’s fieberhaft durchaus im Staate wüthet,
Und Uebel sich in Uebeln überbrütet.
[11]
Wer schaut hinab von diesem hohen Raum

In’s weite Reich, ihm scheint’s ein schwerer Traum,
Wo Mißgestalt in Mißgestalten schaltet,

4785
Das Ungesetz gesetzlich überwaltet,

Und eine Welt des Irrthums sich entfaltet.

Der raubt sich Heerden, der ein Weib,
Kelch, Kreuz und Leuchter vom Altare,
Berühmt sich dessen manche Jahre

4790
Mit heiler Haut, mit unverletztem Leib.

Jetzt drängen Kläger sich zur Halle,
Der Richter prunkt auf hohem Pfühl,
Indessen wogt, in grimmigem Schwalle
Des Aufruhrs wachsendes Gewühl.

4795
Der darf auf Schand’ und Frevel pochen

Der auf Mitschuldigste sich stützt,
Und: Schuldig! hörst du ausgesprochen
Wo Unschuld nur sich selber schützt.
So will sich alle Welt zerstückeln,

4800
Vernichtigen was sich gebührt;

Wie soll sich da der Sinn entwickeln
Der einzig uns zum Rechten führt?
Zuletzt ein wohlgesinnter Mann
Neigt sich dem Schmeichler, dem Bestecher;

4805
Ein Richter, der nicht strafen kann,

Gesellt sich endlich zum Verbrecher;
Ich malte schwarz, doch dichtern Flor
Zög ich dem Bilde lieber vor.

                                 (Pause.)
[12]
Entschlüsse sind nicht zu vermeiden,
4810
Wenn alle schädigen, alle leiden,

Geht selbst die Majestät zu Raub.

Heermeister.
Wie tobt’s in diesen wilden Tagen!
Ein jeder schlägt und wird erschlagen,
Und für’s Commando bleibt man taub.

4815
Der Bürger hinter seinen Mauern,

Der Ritter auf dem Felsennest,
Verschwuren sich uns auszudauern
Und halten ihre Kräfte fest.
Der Miethsoldat wird ungeduldig,

4820
Mit Ungestüm verlangt er seinen Lohn,

Und wären wir ihm nichts mehr schuldig
Er liefe ganz und gar davon.
Verbiete wer was Alle wollten,
Der hat ins Wespennest gestört;

4825
Das Reich das sie beschützen sollten,

Es liegt geplündert und verheert.
Man läßt ihr Toben, wüthend Hausen,
Schon ist die halbe Welt verthan;
Es sind noch Könige da draußen,

4830
Doch keiner denkt es ging’ ihn irgend an.


Schatzmeister.
Wer wird auf Bundsgenossen pochen!

Subsidien die man uns versprochen,
[13]
Wie Röhrenwasser bleiben aus.

Auch Herr, in deinen weiten Staaten

4835
An wen ist der Besitz gerathen?

Wohin man kommt da hält ein Neuer Haus,
Und unabhängig will er leben;
Zusehen muß man wie er’s treibt;
Wir haben so viel Rechte hingegeben,

4840
Daß uns auf nichts ein Recht mehr übrig bleibt.

Auch auf Parteyen, wie sie heißen,
Ist heut zu Tage kein Verlaß;
Sie mögen schelten oder preisen,
Gleichgültig wurden Lieb und Haß.

4845
Die Ghibellinen wie die Guelfen

Verbergen sich um auszuruhn;
Wer jetzt will seinem Nachbar helfen?
Ein jeder hat für sich zu thun.
Die Goldespforten sind verrammelt,

4850
Ein jeder kratzt und scharrt und sammelt

Und unsre Cassen bleiben leer.

Marschalk.
Welch Unheil muß auch ich erfahren;
Wir wollen alle Tage sparen
Und brauchen alle Tage mehr.

4855
Und täglich wächs’t mir neue Pein.

Den Köchen thut kein Mangel wehe;
Wildschweine, Hirsche, Hasen, Rehe,
Welschhühner, Hühner, Gäns’ und Enten,

Die Deputate, sichre Renten,
[14]
4860
Sie gehen noch so ziemlich ein.

Jedoch am Ende fehlt’s an Wein.
Wenn sonst im Keller Faß an Faß sich häufte,
Der besten Berg’ und Jahresläufte,
So schlürft unendliches Gesäufte

4865
Der edlen Herrn den letzten Tropfen aus.

Der Stadtrath muß sein Lager auch verzapfen,
Man greift zu Humpen, greift zu Napfen,
Und unterm Tische liegt der Schmaus.
Nun soll ich zahlen, alle lohnen;

4870
Der Jude wird mich nicht verschonen,

Der schafft Anticipationen,
Die speisen Jahr um Jahr voraus.
Die Schweine kommen nicht zu Fette,
Verpfändet ist der Pfühl im Bette,

4875
Und auf den Tisch kommt vorgegessen Brod.


Kaiser
(nach einigem Nachdenken zu Mephistopheles).
Sag, weißt du Narr nicht auch noch eine Noth?

Mephistopheles.
Ich keineswegs. Den Glanz umherzuschauen,
Dich und die deinen! – Mangelte Vertrauen,
 Wo Majestät unweigerlich gebeut?

4880
Bereite Macht Feindseliges zerstreut,

Wo guter Wille, kräftig durch Verstand
Und Thätigkeit, vielfältige, zur Hand?
Was könnte da zum Unheil sich vereinen,

Zur Finsterniß, wo solche Sterne scheinen?
[15]
Gemurmel.
4885
     Das ist ein Schalk – der’s wohl versteht –

     Er lügt sich ein – So lang’ es geht –
     Ich weiß schon – was dahinter steckt –
     Und was denn weiter? – Ein Project –

Mephistopheles.
Wo fehlt’s nicht irgendwo auf dieser Welt?

4890
Dem dieß, dem das, hier aber fehlt das Geld.

Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen;
Doch Weisheit weiß das Tiefste herzuschaffen.
In Bergesadern, Mauergründen
Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden,

4895
Und fragt ihr mich wer es zu Tage schafft:

Begabten Mann's Natur- und Geisteskraft.

Canzler.
Natur und Geist – so spricht man nicht zu Christen.
Deßhalb verbrennt man Atheisten
Weil solche Reden höchst gefährlich sind.

4900
Natur ist Sünde, Geist ist Teufel;

Sie hegen zwischen sich den Zweifel,
Ihr mißgestaltet Zwitterkind.
Uns nicht so! – Kaisers alten Landen
Sind zwey Geschlechter nur entstanden,

4905
Sie stützen würdig seinen Thron:

Die Heiligen sind es und die Ritter;
Sie stehen jedem Ungewitter

Und nehmen Kirch’ und Staat zum Lohn.
[16]
Dem Pöbelsinn verworr’ner Geister
4910
Entwickelt sich ein Widerstand,

Die Ketzer sind’s! die Hexenmeister!
Und sie verderben Stadt und Land.
Die willst du nun mit frechen Scherzen
In diese hohen Kreise schwärzen,

4915
Ihr hegt euch an verderbtem Herzen,

Dem Narren sind sie nah verwandt.

Mephistopheles.
Daran erkenn’ ich den gelehrten Herrn!
Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern;
Was ihr nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar;

4920
Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr sey nicht wahr;

Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht;
Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.

Kaiser.
Dadurch sind unsre Mängel nicht erledigt,
Was willst du jetzt mit deiner Fastenpredigt?

4925
Ich habe satt das ewige Wie und Wenn;

Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff’ es denn!

Mephistopheles.
Ich schaffe was ihr wollt und schaffe mehr;
Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer.
Es liegt schon da, doch um es zu erlangen

4930
Das ist die Kunst, wer weiß es anzufangen?

Bedenkt doch nur: in jenen Schreckensläuften,

Wo Menschenfluthen Land und Volk ersäuften,
[17]
Wie der und der, so sehr es ihn erschreckte,

Sein Liebstes da- und dortwohin versteckte;

4935
So war’s von je in mächtiger Römer Zeit,

Und so fortan bis gestern, ja bis heut.
Das alles liegt im Boden still begraben,
Der Boden ist des Kaisers, der soll’s haben.

Schatzmeister.
Für einen Narren spricht er gar nicht schlecht,

4940
Das ist fürwahr des alten Kaisers Recht.


Canzler.
Der Satan legt euch goldgewirkte Schlingen,
Es geht nicht zu mit frommen rechten Dingen.

Marschalk.
Schafft er uns nur zu Hof willkommne Gaben,
Ich wollte gern ein bißchen Unrecht haben.

Heermeister.

4945
Der Narr ist klug, verspricht was jedem frommt;

Fragt der Soldat doch nicht woher es kommt.

Mephistopheles.
Und glaubt ihr euch vielleicht durch mich betrogen;
Hier steht ein Mann! da! fragt den Astrologen.
In Kreis’ um Kreise kennt er Stund’ und Haus,

4950
So sage denn: wie sieht’s am Himmel aus?


Gemurmel.
     Zwey Schelme sind’s – Verstehn sich schon –
     Narr und Phantast – So nah dem Thron –
     Ein mattgesungen – alt Gedicht –

     Der Thor bläs't ein – der Weise spricht –
[18]

Astrolog
(spricht, Mephistopheles bläs’t ein).

4955
Die Sonne selbst sie ist ein lautres Gold,

Mercur der Bote dient um Gunst und Sold,
Frau Venus hat’s euch allen angethan,
So früh als spat blickt sie euch lieblich an;
Die keusche Luna launet grillenhaft,

4960
Mars trifft er nicht, so dräut euch seine Kraft.

Und Jupiter bleibt doch der schönste Schein,
Saturn ist groß, dem Auge fern und klein,
Ihn als Metall verehren wir nicht sehr,
An Werth gering, doch im Gewichte schwer.

4965
Ja! wenn zu Sol sich Luna fein gesellt,

Zum Silber Gold, dann ist es heitre Welt;
Das Uebrige ist alles zu erlangen:
Paläste, Gärten, Brüstlein, rothe Wangen,
Das alles schafft der hochgelahrte Mann,

4970
Der das vermag was unser keiner kann.


Kaiser.
Ich höre doppelt was er spricht,
Und dennoch überzeugt’s mich nicht.

Gemurmel.
     Was soll uns das – Gedroschner Spaß –
     Calenderey – Chymisterey –

4975
     Das hört’ ich oft – Und falsch gehofft –
     Und kommt er auch – So ist’s ein Gauch –
[19]
Mephistopheles.

Da stehen sie umher und staunen,
Vertrauen nicht dem hohen Fund;
Der eine faselt von Alraunen,

4980
Der andre von dem schwarzen Hund.

Was soll es daß der eine witzelt,
Ein andrer Zauberey verklagt,
Wenn ihm doch auch einmal die Sohle kitzelt,
Wenn ihm der sichre Schritt versagt.

4985
Ihr alle fühlt geheimes Wirken

Der ewig waltenden Natur,
Und aus den untersten Bezirken
Schmiegt sich herauf lebend’ge Spur.
Wenn es in allen Gliedern zwackt,

4990
Wenn es unheimlich wird am Platz,

Nur gleich entschlossen grabt und hackt,
Da liegt der Spielmann, liegt der Schatz!

Gemurmel.
     Mir liegt’s im Fuß wie Bleigewicht –
     Mir krampft’s im Arme – das ist Gicht –

4995
     Mir krabbelt’s an der großen Zeh’ –

     Mir thut der ganze Rücken weh –
     Nach solchen Zeichen wäre hier
     Das allerreichste Schatzrevier.

Kaiser.
Nur eilig! du entschlüpfst nicht wieder,

5000
Erprobe deine Lügenschäume,
Und zeig uns gleich die edeln Räume.
[20]
Ich lege Schwert und Scepter nieder,

Und will mit eignen hohen Händen,
Wenn du nicht lügst, das Werk vollenden,

5005
Dich, wenn du lügst, zur Hölle senden!


Mephistopheles.
Den Weg dahin wüßt’ allenfalls zu finden –
Doch kann ich nicht genug verkünden
Was überall besitzlos harrend liegt.
Der Bauer, der die Furche pflügt,

5010
Hebt einen Goldtopf mit der Scholle,

Salpeter hofft er von der Leimenwand
Und findet golden-goldne Rolle,
Erschreckt, erfreut in kümmerlicher Hand.
Was für Gewölbe sind zu sprengen,

5015
In welchen Klüften, welchen Gängen

Muß sich der Schatzbewußte drängen,
Zur Nachbarschaft der Unterwelt!
In weiten, allverwahrten Kellern,
Von goldnen Humpen, Schüsseln, Tellern,

5020
Sieht er sich Reihen aufgestellt;

Pokale stehen aus Rubinen,
Und will er deren sich bedienen
Daneben liegt uraltes Naß.
Doch – werdet ihr dem Kundigen glauben –

5025
Verfault ist längst das Holz der Dauben,

Der Weinstein schuf dem Wein ein Faß.
Essenzen solcher edlen Weine,

Gold und Juwelen nicht alleine,
[21]
Umhüllen sich mit Nacht und Graus.
5030
Der Weise forscht hier unverdrossen,

Am Tag’ erkennen das sind Possen,
Im Finstern sind Mysterien zu Haus.

Kaiser.
Die laß ich dir! Was will das Düstre frommen?
Hat etwas Werth, es muß zu Tage kommen.

5035
Wer kennt den Schelm in tiefer Nacht genau?

Schwarz sind die Kühe, so die Katzen grau.
Die Töpfe drunten, voll von Goldgewicht;
Zieh’ deinen Pflug, und ack’re sie an’s Licht.

Mephistopheles.
Nimm Hack’ und Spaten, grabe selber,

5040
Die Bauernarbeit macht dich groß,

Und eine Heerde goldner Kälber
Sie reißen sich vom Boden los.
Dann ohne Zaudern, mit Entzücken,
Kannst du dich selbst, wirst die Geliebte schmücken;

5045
Ein leuchtend Farb- und Glanzgestein erhöht

Die Schönheit wie die Majestät.

Kaiser.
Nur gleich, nur gleich! Wie lange soll es währen!

Astrolog (wie oben).
Herr, mäßige solch dringendes Begehren!
Laß erst vorbei das bunte Freudenspiel;

5050
Zerstreutes Wesen führt uns nicht zum Ziel.
[22]
Erst müssen wir in Fassung uns versühnen,

Das Untre durch das Obere verdienen.
Wer Gutes will, der sey erst gut;
Wer Freude will, besänftige sein Blut;

5055
Wer Wein verlangt, der keltre reife Trauben;

Wer Wunder hofft, der stärke seinen Glauben.

Kaiser.
So sey die Zeit in Fröhlichkeit verthan!
Und ganz erwünscht kommt Aschermittwoch an.
Indessen feiern wir, auf jeden Fall,

5060
Nur lustiger das wilde Carneval.


(Trompeten. Exeunt.)

Mephistopheles.
Wie sich Verdienst und Glück verketten
Das fällt den Thoren niemals ein;
Wenn sie den Stein der Weisen hätten

Der Weise mangelte dem Stein.




Weitläufiger Saal, mit Nebengemächern, verziert und aufgeputzt zur Mummenschanz.




Herold.
5065
Denkt nicht ihr seyd in deutschen Gränzen
Von Teufels-, Narren- und Todtentänzen;
[23]
Ein heitres Fest erwartet euch.

Der Herr, auf seinen Römerzügen,
Hat, sich zu Nutz, euch zum Vergnügen,

5070
Die hohen Alpen überstiegen,

Gewonnen sich ein heitres Reich.
Der Kaiser, er, an heiligen Solen
Erbat sich erst das Recht zur Macht,
Und als er ging die Krone sich zu holen,

5075
Hat er uns auch die Kappe mitgebracht.

Nun sind wir alle neugeboren;
Ein jeder weltgewandte Mann
Zieht sie behaglich über Kopf und Ohren;
Sie ähnelt ihn verrückten Thoren,

5080
Er ist darunter weise wie er kann.

Ich sehe schon wie sie sich schaaren,
Sich schwankend sondern, traulich paaren;
Zudringlich schließt sich Chor an Chor.
Herein, hinaus, nur unverdrossen;

5085
Es bleibt doch endlich nach wie vor,

Mit ihren hunderttausend Possen,
Die Welt ein einz’ger großer Thor.


Gärtnerinnen.
(Gesang begleitet von Mandolinen.)

     Euren Beifall zu gewinnen
     Schmückten wir uns diese Nacht,

5090
     Junge Florentinerinnen,
     Folgten deutschen Hofes Pracht;
[24]
Tragen wir in braunen Locken

Mancher heitern Blume Zier;
Seidenfäden, Seidenflocken

5095
Spielen ihre Rolle hier.


Denn wir halten es verdienstlich,
Lobenswürdig ganz und gar;
Unsere Blumen, glänzend künstlich,
Blühen fort das ganze Jahr.

5100
Allerlei gefärbten Schnitzeln

Ward symmetrisch Recht gethan;
Mögt ihr Stück für Stück bewitzeln,
Doch das Ganze zieht euch an.

Niedlich sind wir anzuschauen,

5105
Gärtnerinnen und galant;

Denn das Naturell der Frauen
Ist so nah mit Kunst verwandt.

Herold.
Laß die reichen Körbe sehen
Die ihr auf den Häupten traget,

5110
Die sich bunt am Arme blähen;

Jeder wähle was behaget.
Eilig! daß in Laub und Gängen
Sich ein Garten offenbare,
Würdig sind sie zu umdrängen

5115
Krämerinnen wie die Waare.
[25]
Gärtnerinnen.

Feilschet nun am heitern Orte,
Doch kein Markten finde statt!
Und mit sinnig kurzem Worte
Wisse jeder was er hat.

Olivenzweig mit Früchten.

5120
Keinen Blumenflor beneid’ ich,

Allen Widerstreit vermeid’ ich;
Mir ist’s gegen die Natur:
Bin ich doch das Mark der Lande,
Und, zum sichern Unterpfande,

5125
Friedenszeichen jeder Flur,

Heute, hoff’ ich, soll mir’s glücken
Würdig schönes Haupt zu schmücken.

Aehrenkranz (golden).
Ceres Gaben, euch zu putzen,
Werden hold und lieblich stehn:

5130
Das Erwünschteste dem Nutzen

Sey als eure Zierde schön.

Phantasiekranz.
Bunte Blumen, Malven ähnlich,
Aus dem Moos ein Wunderflor!
Der Natur ist’s nicht gewöhnlich,

5135
Doch die Mode bringt’s hervor.


Phantasiestrauß.
Meinen Namen euch zu sagen

Würde Theophrast nicht wagen.
[26]
Und doch hoff’ ich, wo nicht allen,

Aber mancher zu gefallen,

5140
Der ich mich wohl eignen möchte,

Wenn sie mich in’s Haar verflöchte,
Wenn sie sich entschließen könnte,
Mir am Herzen Platz vergönnte.

Ausfoderung.
Mögen bunte Phantasien

5145
Für des Tages Mode blühen,

Wunder seltsam seyn gestaltet
Wie Natur sich nie entfaltet;
Grüne Stiele, goldne Glocken
Blickt hervor aus reichen Locken! –

5150
Doch wir


Rosenknospen
 halten uns versteckt,
Glücklich, wer uns frisch entdeckt.
Wenn der Sommer sich verkündet
Rosenknospe sich entzündet,
Wer mag solches Glück entbehren?

5155
Das Versprechen, das Gewähren,

Das beherrscht, in Florens Reich,

Blick und Sinn und Herz zugleich.

(Unter grünen Laubgängen putzen die Gärtnerinnen zierlich ihren Kram auf.)

[27]
Gärtner.

(Gesang begleitet von Theorben.)
Blumen sehet ruhig sprießen,
Reizend euer Haupt umzieren,

5160
Früchte wollen nicht verführen,

Kostend mag man sie genießen.

Bieten bräunliche Gesichter
Kirschen, Pfirschen, Königspflaumen,
Kauft! denn gegen Zung’ und Gaumen

5165
Hält sich Auge schlecht als Richter.


Kommt! von allerreifsten Früchten
Mit Geschmack und Lust zu speisen;
Ueber Rosen läßt sich dichten,
In die Aepfel muß man beißen.

5170
Sey’s erlaubt uns anzupaaren

Eurem reichen Jugendflor,
Und wir putzen reifer Waaren
Fülle nachbarlich empor.

Unter lustigen Gewinden,

5175
In geschmückter Lauben Bucht,

Alles ist zugleich zu finden:

Knospe, Blätter, Blume, Frucht.

(Unter Wechselgesang, begleitet von Guitarren und Theorben, fahren beide Chöre fort ihre Waaren stufenweis in die Höhe zu schmücken und auszubieten.)

[28]
Mutter und Tochter.

Mutter.
Mädchen als du kamst an’s Licht
Schmückt ich dich im Häubchen,

5180
Warst so lieblich von Gesicht,

Und so zart am Leibchen.
Dachte dich sogleich als Braut,
Gleich dem Reichsten angetraut,
Dachte dich als Weibchen.

5185
Ach! nun ist schon manches Jahr

Ungenützt verflogen,
Der Sponsirer bunte Schaar
Schnell vorbei gezogen;
Tanztest mit dem Einen flink,

5190
Gabst dem Andern stillen Wink

Mit dem Ellenbogen.

Welches Fest man auch ersann,
Ward umsonst begangen;
Pfänderspiel und dritter Mann

5195
Wollten nicht verfangen;

Heute sind die Narren los,
Liebchen öffne deinen Schoos,
Bleibt wohl einer hangen.

Gespielinnen

(jung und schön gesellen sich hinzu, ein vertrauliches Geplauder wird laut).

[29]
Fischer und Vogelsteller

(mit Netzen, Angel und Leimruthen, auch sonstigem Geräthe, treten auf, mischen sich unter die schönen Kinder. Wechselseitige Versuche zu gewinnen, zu fangen, zu entgehen und festzuhalten geben zu den angenehmsten Dialogen Gelegenheit).

Holzhauer

(treten ein ungestüm und ungeschlacht).
     Nur Platz! nur Blöße!

5200
     Wir brauchen Räume,

     Wir fällen Bäume
     Die krachend schlagen:
     Und wenn wir tragen
     Da gibt es Stöße.

5205
     Zu unserm Lobe

     Bringt dieß in's Reine;
     Denn wirkten Grobe
     Nicht auch im Lande,
     Wie kämen Feine

5210
     Für sich zu Stande,

     So sehr sie witzten?
     Des seyd belehret;
     Denn ihr erfröret
     Wenn wir nicht schwitzten.

Pulcinelle
(täppisch, fast läppisch).

5215
     Ihr seyd die Thoren
     Gebückt geboren;
[30]
Wir sind die Klugen

Die nie was trugen:
Denn unsre Kappen,

5220
Jacken und Lappen

Sind leicht zu tragen;
Und mit Behagen
Wir immer müßig,
Pantoffelfüßig,

5225
Durch Markt und Haufen

Einher zu laufen,
Gaffend zu stehen
Uns anzukrähen;
Auf solche Klänge

5230
Durch Drang und Menge

Aalgleich zu schlüpfen,
Gesammt zu hüpfen,
Vereint zu toben.
Ihr mögt uns loben,

5235
Ihr mögt uns schelten,

Wir lassen’s gelten.

Parasiten
(schmeichelnd-lüstern).
Ihr wackern Träger
Und eure Schwäger
Die Kohlenbrenner,

5240
Sind unsre Männer;

Denn alles Bücken,

Bejah’ndes Nicken,
[31]
Gewundne Phrasen,

Das Doppelblasen,

5245
Das wärmt und kühlet

Wie’s einer fühlet,
Was könnt’ es frommen?
Es möchte Feuer
Selbst ungeheuer

5250
Vom Himmel kommen,

Gäb’ es nicht Scheite
Und Kohlentrachten,
Die Herdesbreite
Zur Gluth entfachten.

5255
Da brät’s und prudelt’s,

Da kocht’s und strudelt’s.
Der wahre Schmecker,
Der Tellerlecker,
Er riecht den Braten,

5260
Er ahnet Fische;

Das regt zu Thaten
An Gönners Tische.

Trunkener (unbewußt).
Sey mir heute nichts zuwider!
Fühle mich so frank und frei;

5265
Frische Luft und heitre Lieder

Holt’ ich selbst sie doch herbei.
Und so trink ich! Trinke, trinke!
Stoßet an ihr! Tinke, tinke!
Du dort hinten komm heran!

5270
Stoßet an, so ist’s gethan.
[32]
Schrie mein Weibchen doch entrüstet,

Rümpfte diesem bunten Rock,
Und, wie sehr ich mich gebrüstet,
Schalt mich einen Maskenstock.

5275
Doch ich trinke! Trinke, trinke!

Angeklungen! Tinke, tinke!
Maskenstöcke stoßet an!
Wenn es klingt, so ist’s gethan.

Saget nicht daß ich verirrt bin,

5280
Bin ich doch wo mir’s behagt.

Borgt der Wirth nicht, borgt die Wirthin,
Und am Ende borgt die Magd.
Immer trink’ ich! Trinke, trinke!
Auf ihr Andern! Tinke, tinke!

5285
Jeder jedem! so fortan!

Dünkt mich’s doch es sey gethan.

Wie und wo ich mich vergnüge
Mag es immerhin geschehn;
Laßt mich liegen wo ich liege,

5290
Denn ich mag nicht länger stehn.


Chor.
Jeder Bruder trinke, trinke!
Toastet frisch ein Tinke, Tinke!
Sitzet fest auf Bank und Span,

Unterm Tisch Dem ist’s gethan.
[33]
Der Herold.

(Kündigt verschiedene Poeten an, Naturdichter, Hof- und Rittersänger, zärtliche so wie Enthusiasten. Im Gedräng von Mitwerbern aller Art läßt keiner den andern zum Vortrag kommen. Einer schleicht mit wenigen Worten vorüber).

Satyriker.
5295
     Wißt ihr was mich Poeten

     Erst recht erfreuen sollte?
     Dürft ich singen und reden

     Was niemand hören wollte.

(Die Nacht- und Grabdichter lassen sich entschuldigen, weil sie so eben im interessantesten Gespräch mit einem frischerstandenen Vampyren begriffen seyen, woraus eine neue Dichtart sich vielleicht entwickeln könnte; der Herold muß es gelten lassen und ruft indessen die griechische Mythologie hervor, die, selbst in moderner Maske, weder Charakter noch Gefälliges verliert.)

Die Grazien.

Aglaia.
Anmuth bringen wir ins Leben;

5300
Leget Anmuth in das Geben.


Hegemone.
Leget Anmuth in’s Empfangen,
Lieblich ist’s den Wunsch erlangen.

Euphrosyne.
Und in stiller Tage Schranken

Höchst anmuthig sey das Danken.
[34]
Die Parzen.

Atropos.

5305
Mich die älteste zum Spinnen

Hat man dießmal eingeladen;
Viel zu denken, viel zu sinnen
Gibt’s beim zarten Lebensfaden.

Daß er euch gelenk und weich sey

5310
Wußt’ ich feinsten Flachs zu sichten;

Daß er glatt und schlank und gleich sey
Wird der kluge Finger schlichten.

Wolltet ihr bei Lust und Tänzen
Allzu üppig euch erweisen,

5315
Denkt an dieses Fadens Gränzen,

Hütet euch! er möchte reißen!

Klotho.
Wißt! in diesen letzten Tagen
Ward die Scheere mir vertraut;
Denn man war von dem Betragen

5320
Unsrer Alten nicht erbaut.


Zerrt unnützeste Gespinnste
Lange sie an Licht und Luft,
Hoffnung herrlichster Gewinnste

Schleppt sie schneidend zu der Gruft.
[35]
5325
Doch auch ich im Jugend-Walten

Irrte mich schon hundertmal;
Heute mich im Zaum zu halten
Scheere steckt im Futteral.

Und so bin ich gern gebunden,

5330
Blicke freundlich diesem Ort;

Ihr in diesen freien Stunden
Schwärmt nur immer fort und fort.

Lachesis.
Mir, die ich allein verständig,
Blieb das Ordnen zugetheilt;

5335
Meine Weife, stets lebendig,

Hat noch nie sich übereilt.

Fäden kommen, Fäden weifen,
Jeden lenk’ ich seine Bahn,
Keinen laß ich überschweifen,

5340
Füg’ er sich im Kreis heran.


Könnt’ ich einmal mich vergessen
Wär’ es um die Welt mir bang;
Stunden zählen, Jahre messen,
Und der Weber nimmt den Strang.

Herold.

5345
Die jetzo kommen werdet ihr nicht kennen,

Wär’t ihr noch so gelehrt in alten Schriften;
Sie anzusehn, die so viel Uebel stiften,

Ihr würdet sie willkommne Gäste nennen.
[36]
Die Furien sind es, niemand wird uns glauben,
5350
Hübsch, wohlgestaltet, freundlich, jung von Jahren;

Laßt euch mit ihnen ein, ihr sollt erfahren
Wie schlangenhaft verletzen solche Tauben.

Zwar sind sie tückisch, doch am heutigen Tage,
Wo jeder Narr sich rühmet seiner Mängel,

5355
Auch sie verlangen nicht den Ruhm als Engel,

Bekennen sich als Stadt- und Landesplage.

Alecto.
Was hilft es euch, ihr werdet uns vertrauen,
Denn wir sind hübsch und jung und Schmeichelkätzchen;
Hat einer unter euch ein Liebe-Schätzchen,

5360
Wir werden ihm so lang’ die Ohren krauen,


Bis wir ihm sagen dürfen, Aug’ in Auge:
Daß sie zugleich auch Dem und Jenem winke,
Im Kopfe dumm, im Rücken krumm, und hinke,
Und, wenn sie seine Braut ist, gar nichts tauge.

5365
So wissen wir die Braut auch zu bedrängen:

Es hat sogar der Freund, vor wenig Wochen,
Verächtliches von ihr zu Der gesprochen!
Versöhnt man sich so bleibt doch etwas hängen.

Megära.
Das ist nur Spaß! denn, sind sie erst verbunden,

5370
Ich nehm’ es auf, und weiß, in allen Fällen,

Das schönste Glück durch Grille zu vergällen;

Der Mensch ist ungleich, ungleich sind die Stunden.
[37]
Und niemand hat Erwünschtes fest in Armen,

Der sich nicht nach Erwünschterm thörig sehnte,

5375
Vom höchsten Glück, woran er sich gewöhnte;

Die Sonne flieht er, will den Frost erwarmen.

Mit diesem allen weiß ich zu gebahren,
Und führe her Asmodi, den getreuen,
Zu rechter Zeit Unseliges auszustreuen,

5380
Verderbe so das Menschenvolk in Paaren.


Tisiphone.
     Gift und Dolch, statt böser Zungen,
     Misch’ ich, schärf’ ich dem Verräther;
     Liebst du andre, früher, später
     Hat Verderben dich durchdrungen.

5385
     Muß der Augenblicke Süßtes

     Sich zu Gischt und Galle wandeln!
     Hier kein Markten, hier kein Handeln,
     Wie er es beging’, er büßt es.

     Singe keiner vom Vergeben!

5390
     Felsen klag’ ich meine Sache;

     Echo, horch! erwiedert: Rache!
     Und wer wechselt soll nicht leben.

Herold.
Belieb’ es euch zur Seite wegzuweichen,
Denn was jetzt kommt ist nicht von eures Gleichen.

5395
Ihr seht wie sich ein Berg herangedrängt,
Mit bunten Teppichen die Weichen stolz behängt;
[38]
Ein Haupt mit langen Zähnen, Schlangenrüssel,

Geheimnißvoll, doch zeig’ ich euch den Schlüssel.
Im Nacken sitzt ihm zierlich-zarte Frau,

5400
Mit feinem Stäbchen lenkt sie ihn genau;

Die andre drobenstehend herrlich-hehr
Umgibt ein Glanz der blendet mich zu sehr.
Zur Seite gehn gekettet edle Frauen,
Die eine bang, die andre froh zu schauen;

5405
Die eine wünscht, die andre fühlt sich frei,

Verkünde jede wer sie sey.

Furcht.
     Dunstige Fackeln, Lampen, Lichter,
     Dämmern durch’s verworrne Fest,
     Zwischen diese Truggesichter

5410
     Bannt mich, ach! die Kette fest.


     Fort, ihr lächerlichen Lacher!
     Euer Grinsen gibt Verdacht;
     Alle meine Widersacher
     Drängen mich in dieser Nacht.

5415
     Hier! ein Freund ist Feind geworden,

     Seine Maske kenn’ ich schon;
     Jener wollte mich ermorden,
     Nun entdeckt schleicht er davon.

     Ach wie gern in jeder Richtung

5420
     Flöh’ ich zu der Welt hinaus;

     Doch von drüben droht Vernichtung,

     Hält mich zwischen Dunst und Graus.
[39]
Hoffnung.

Seyd gegrüßt, ihr lieben Schwestern.
Habt ihr euch schon heut und gestern

5425
In Vermummungen gefallen,

Weiß ich doch gewiß von allen
Morgen wollt ihr euch enthüllen.
Und wenn wir bei Fackelscheine
Uns nicht sonderlich behagen,

5430
Werden wir in heitern Tagen,

Ganz nach unserm eignen Willen,
Bald gesellig, bald alleine
Frei durch schöne Fluren wandeln,
Nach Belieben ruhn und handeln

5435
Und in sorgenfreiem Leben,

Nie entbehren, stets erstreben.
Ueberall willkommne Gäste
Treten wir getrost hinein:
Sicherlich es muß das Beste

5440
Irgendwo zu finden seyn.


Klugheit.
     Zwey der größten Menschenfeinde,
     Furcht und Hoffnung, angekettet
     Halt’ ich ab von der Gemeinde;
     Platz gemacht! ihr seyd gerettet.

5445
     Den lebendigen Colossen

     Führ’ ich, seht ihr, thurmbeladen,
     Und er wandelt unverdrossen

     Schritt vor Schritt auf steilen Pfaden.
[40]
     Droben aber auf der Zinne
5450
     Jene Göttin, mit behenden

     Breiten Flügeln, zum Gewinne
     Allerseits sich hinzuwenden.

     Rings umgibt sie Glanz und Glorie
     Leuchtend fern nach allen Seiten;

5455
     Und sie nennet sich Victorie,

     Göttin aller Thätigkeiten.

Zoilo-Thersites.
Hu! Hu! da komm’ ich eben recht,
Ich schelt’ euch allzusammen schlecht!
Doch was ich mir zum Ziel ersah

5460
Ist oben Frau Victoria.

Mit ihrem weißen Flügelpaar,
Sie dünkt sich wohl sie sey ein Aar,
Und wo sie sich nur hingewandt
Gehör’ ihr alles Volk und Land;

5465
Doch, wo was Rühmliches gelingt

Es mich sogleich in Harnisch bringt.
Das Tiefe hoch, das Hohe tief,
Das Schiefe grad, das Grade schief,
Das ganz allein macht mich gesund,

5470
So will ich’s auf dem Erdenrund.


Herold.
So treffe dich, du Lumpenhund,
Des frommen Stabes Meisterstreich!

Da krümm’ und winde dich sogleich! –
[41]
Wie sich die Doppelzwerggestalt
5475
So schnell zum eklen Klumpen ballt! –

– Doch Wunder! – Klumpen wird zum Ey,
Das bläht sich auf und platzt entzwey;
Nun fällt ein Zwillingspaar heraus,
Die Otter und die Fledermaus;

5480
Die eine fort im Staube kriecht,

Die andre schwarz zur Decke fliegt;
Sie eilen draußen zum Verein,
Da möcht’ ich nicht der Dritte seyn.

Gemurmel.
     Frisch! dahinten tanzt man schon –

5485
     Nein! ich wollt’ ich wär’ davon –

     Fühlst du, wie uns das umflicht,
     Das gespenstische Gezücht?
     Saus’t es mir doch über’s Haar –
     Ward ich’s doch am Fuß gewahr –

5490
     Keiner ist von uns verletzt –

     Alle doch in Furcht gesetzt –
     Ganz verdorben ist der Spaß –
     Und die Bestien wollten das.

Herold.
Seit mir sind bei Maskeraden

5495
Heroldspflichten aufgeladen,

Wach’ ich ernstlich an der Pforte,
Daß euch hier am lustigen Orte
Nichts Verderbliches erschleiche;

Weder wanke, weder weiche.
[42]
5500
Doch ich fürchte, durch die Fenster

Ziehen luftige Gespenster,
Und von Spuk und Zaubereyen
Wüßt’ ich euch nicht zu befreien.
Machte sich der Zwerg verdächtig,

5505
Nun dort hinten strömt es mächtig.

Die Bedeutung der Gestalten
Möcht’ ich amtsgemäß entfalten.
Aber was nicht zu begreifen
Wüßt’ ich auch nicht zu erklären,

5510
Helfet alle mich belehren! –

Seht ihr’s durch die Menge schweifen?
Vierbespannt ein prächtiger Wagen
Wird durch alles durchgetragen;
Doch er theilet nicht die Menge,

5515
Nirgend seh’ ich ein Gedränge;

Farbig glitzert’s in der Ferne,
Irrend leuchten bunte Sterne,
Wie von magischer Laterne,
Schnaubt’s heran mit Sturmgewalt.

5520
Platz gemacht! mich schaudert’s!


Knabe (Wagenlenker).
 Halt!
Rosse hemmet eure Flügel,
Fühlet den gewohnten Zügel,
Meistert euch wie ich euch meistre,
Rauschet hin wenn ich begeistre –

5525
Diese Räume laßt uns ehren!
Schaut umher wie sie sich mehren
[43]
Die Bewundrer, Kreis um Kreise.

Herold auf! nach deiner Weise,
Ehe wir von euch entfliehen,

5530
Uns zu schildern uns zu nennen;

Denn wir sind Allegorien
Und so solltest du uns kennen.

Herold.
Wüßte nicht dich zu benennen,
Eher könnt’ ich dich beschreiben.

Knabe Lenker.

5535
So probir’s!


Herold.
 Man muß gestehn:
Erstlich bist du jung und schön.
Halbwüchsiger Knabe bist du; doch die Frauen
Sie möchten dich ganz ausgewachsen schauen.
Du scheinest mir ein künftiger Sponsirer,

5540
Recht so von Haus aus ein Verführer.


Knabe Lenker.
Das läßt sich hören! fahre fort,
Erfinde dir des Räthsels heitres Wort.

Herold.
Der Augen schwarzer Blitz, die Nacht der Locken
Erheitert von juwelnem Band!

5545
Und welch ein zierliches Gewand

Fließt dir von Schultern zu den Socken,

Mit Purpursaum und Glitzertand!
[44]

Man könnte dich ein Mädchen schelten;
Doch würdest du, zu Wohl und Weh,

5550
Auch jetzo schon bei Mädchen gelten:

Sie lehrten dich das A. B. C.

Knabe Lenker.
Und dieser, der als Prachtgebilde
Hier auf dem Wagenthrone prangt?

Herold.
Er scheint ein König, reich und milde,

5555
Wohl dem der seine Gunst erlangt!

Er hat nichts weiter zu erstreben;
Wo’s irgend fehlte späht sein Blick,
Und seine reine Lust zu geben
Ist größer als Besitz und Glück.

Knabe Lenker.

5560
Hiebei darfst du nicht stehen bleiben,

Du mußt ihn recht genau beschreiben.

Herold.
Das Würdige beschreibt sich nicht.
Doch das gesunde Mondgesicht,
Ein voller Mund, erblühte Wangen,

5565
Die unterm Schmuck des Turbans prangen;

Im Faltenkleid ein reich Behagen!
Was soll ich von dem Anstand sagen?
Als Herrscher scheint er mir bekannt.

Knabe Lenker.
Plutus, des Reichthums Gott genannt;

5570
Derselbe kommt in Prunk daher,
Der hohe Kaiser wünscht ihn sehr.
[45]

Herold.
Sag’ von dir selber auch das Was und Wie?

Knabe Lenker.
Bin die Verschwendung, bin die Poesie;
Bin der Poet, der sich vollendet

5575
Wenn er sein eigenst Gut verschwendet.

Auch ich bin unermeßlich reich
Und schätze mich dem Plutus gleich.
Beleb’ und schmück’ ihm Tanz und Schmaus,
Das was ihm fehlt das theil’ ich aus.

Herold.

5580
Das Prahlen steht dir gar zu schön,

Doch laß uns deine Künste sehn.

Knabe Lenker.
Hier seht mich nur ein Schnippchen schlagen,
Schon glänzt’s und glitzert’s um den Wagen.
Da springt eine Perlenschnur hervor.
(Immerfort umherschnippend.)

5585
Nehmt goldne Spange für Hals und Ohr;

Auch Kamm und Krönchen ohne Fehl;
In Ringen köstlichstes Juwel;
Auch Flämmchen spend’ ich dann und wann,
Erwartend wo es zünden kann.

Herold.

5590
Wie greift und hascht die liebe Menge:
Fast kommt der Geber ins Gedränge.
[46]
Kleinode schnippt er wie im Traum.

Und alles hascht im weiten Raum.
Doch da erleb’ ich neue Pfiffe:

5595
Was einer noch so emsig griffe

Deß hat er wirklich schlechten Lohn,
Die Gabe flattert ihm davon.
Es lös’t sich auf das Perlenband,
Ihm krabbeln Käfer in der Hand,

5600
Er wirft sie weg der arme Tropf

Und sie umsummen ihm den Kopf.
Die andern, statt solider Dinge,
Erhaschen frevle Schmetterlinge.
Wie doch der Schelm so viel verheißt,

5605
Und nur verleiht was golden gleißt!


Knabe Lenker.
Zwar Masken, merk’ ich, weißt du zu verkünden,
Allein der Schale Wesen zu ergründen
Sind Herolds Hofgeschäfte nicht;
Das fordert schärferes Gesicht.

5610
Doch hüt’ ich mich vor jeder Fehde;

An dich, Gebieter, wend’ ich Frag’ und Rede.
(Zu Plutus gewendet.)
Hast du mir nicht die Windesbraut
Des Viergespannes anvertraut?
Lenk’ ich nicht glücklich wie du leitest?

5615
Bin ich nicht da wohin du deutest?

Und wußt’ ich nicht auf kühnen Schwingen

Für dich die Palme zu erringen?
[47]
Wie oft ich auch für dich gefochten,

Mir ist es jederzeit geglückt;

5620
Wenn Lorbeer deine Stirne schmückt,

Hab’ ich ihn nicht mit Sinn und Hand geflochten?

Plutus.
Wenn’s nöthig ist daß ich dir Zeugniß leiste,
So sag’ ich gern: bist Geist von meinem Geiste.
Du handelst stets nach meinem Sinn,

5625
Bist reicher als ich selber bin.

Ich schätze, deinen Dienst zu lohnen,
Den grünen Zweig vor allen meinen Kronen.
Ein wahres Wort verkünd’ ich allen:
Mein lieber Sohn an dir hab’ ich Gefallen.

Knabe Lenker (zur Menge).

5630
Die größten Gaben meiner Hand,

Seht! hab’ ich rings umher gesandt;
Auf dem und jenem Kopfe glüht
Ein Flämmchen das ich angesprüht,
Von einem zu dem andern hüpft’s,

5635
An diesem hält sich’s, dem entschlüpft’s,

Gar selten aber flammt’s empor
Und leuchtet rasch in kurzem Flor;
Doch vielen, eh’ man’s noch erkannt,
Verlischt es, traurig ausgebrannt.

Weiber-Geklatsch.

5640
     Da droben auf dem Viergespann

     Das ist gewiß ein Charlatan;
     Gekauzt da hintendrauf Hanswurst,

     Doch abgezehrt von Hunger und Durst,
[48]
     Wie man ihn niemals noch erblickt;
5645
     Er fühlt wohl nicht wenn man ihn zwickt.


Der Abgemagerte.
Vom Leibe mir ekles Weibsgeschlecht!
Ich weiß dir komm’ ich niemals recht. –
Wie noch die Frau den Herd versah,
Da hieß ich Avaritia;

5650
Da stand es gut um unser Haus:

Nur viel herein, und nichts hinaus!
Ich eiferte für Kist’ und Schrein;
Das sollte wohl gar ein Laster seyn!
Doch als in allerneusten Jahren

5655
Das Weib nicht mehr gewohnt zu sparen,

Und, wie ein jeder böser Zahler,
Weit mehr Begierden hat als Thaler,
Da bleibt dem Manne viel zu dulden,
Wo er nur hinsieht da sind Schulden;

5660
Sie wendet’s, kann sie was erspulen,

An ihren Leib, an ihren Buhlen;
Auch speis’t sie besser, trinkt noch mehr
Mit der Sponsirer leidigem Heer;
Das steigert mir des Goldes Reiz:

5665
Bin männlichen Geschlechts, der Geiz!


Hauptweib.
Mit Drachen mag der Drache geizen,
Ist’s doch am Ende Lug und Trug!
Er kommt die Männer aufzureizen,

Sie sind schon unbequem genug.
[49]
Weiber in Masse.
5670
     Der Strohmann! Reich’ ihm eine Schlappe!

     Was will das Marterholz uns dräu’n?
     Wir sollen seine Fratze scheun!
     Die Drachen sind von Holz und Pappe,
     Frisch an und dringt auf ihn hinein!

Herold.

5675
Bei meinem Stabe! Ruh gehalten! –

Doch braucht es meiner Hülfe kaum;
Seht wie die grimmen Ungestalten,
Bewegt im rasch gewonnenen Raum,
Das Doppel-Flügelpaar entfalten!

5680
Entrüstet schütteln sich der Drachen

Umschuppte, feuerspeiende Rachen;
Die Menge flieht, rein ist der Platz.

Plutus steigt vom Wagen.

Herold.
Er tritt herab, wie königlich!
Er winkt, die Drachen rühren sich;

5685
Die Kiste haben sie vom Wagen

Mit Gold und Geiz herangetragen,
Sie steht zu seinen Füßen da:
Ein Wunder ist es wie’s geschah.

Plutus (zum Lenker).
Nun bist du los der allzulästigen Schwere,

5690
Bist frei und frank, nun frisch zu deiner Sphäre!

Hier ist sie nicht! Verworren, schäckig, wild

Umdrängt uns hier ein fratzenhaft Gebild.
[50]
Nur wo du klar in’s holde Klare schaust,

Dir angehörst und dir allein vertraust,

5695
Dorthin wo Schönes, Gutes nur gefällt,

Zur Einsamkeit! – Da schaffe deine Welt.

Knabe Lenker.
So acht’ ich mich als werthen Abgesandten,
So lieb’ ich dich als nächsten Anverwandten.
Wo du verweilst ist Fülle, wo ich bin

5700
Fühlt jeder sich im herrlichsten Gewinn;

Auch schwankt er oft im widersinnigen Leben:
Soll er sich dir? soll er sich mir ergeben?
Die Deinen freilich können müßig ruhn,
Doch wer mir folgt hat immer was zu thun.

5705
Nicht insgeheim vollführ’ ich meine Thaten,

Ich athme nur und schon bin ich verrathen.
So lebe wohl! Du gönnst mir ja mein Glück;
Doch lisple leis’ und gleich bin ich zurück.
(Ab wie er kam.)

Plutus.
Nun ist es Zeit die Schätze zu entfesseln!

5710
Die Schlösser treff’ ich mit des Herolds Ruthe.

Es thut sich auf! schaut her! in ehrnen Kesseln
Entwickelt sich’s und wallt von goldnem Blute;
Zunächst der Schmuck von Kronen, Ketten, Ringen;
Es schwillt und droht ihn schmelzend zu verschlingen.

Wechselgeschrei der Menge.

5715
     Seht hier, o hin! wie’s reichlich quillt,
     Die Kiste bis zum Rande füllt. –
[51]
     Gefäße goldne schmelzen sich,

     Gemünzte Rollen wälzen sich, –
     Ducaten hüpfen wie geprägt,

5720
     O wie mir das den Busen regt –

     Wie schau’ ich alle mein Begehr!
     Da kollern sie am Boden her. –
     Man bietet’s euch, benutzt’s nur gleich,
     Und bückt euch nur und werdet reich. –

5725
     Wir andern, rüstig wie der Blitz,

     Wir nehmen den Koffer in Besitz.

Herold.
Was soll’s, ihr Thoren? soll mir das?
Es ist ja nur ein Maskenspaß.
Heut Abend wird nicht mehr begehrt;

5730
Glaubt ihr man geb’ euch Gold und Werth?

Sind doch für euch in diesem Spiel
Selbst Rechenpfennige zu viel.
Ihr Täppischen! ein artiger Schein
Soll gleich die plumpe Wahrheit seyn.

5735
Was soll euch Wahrheit? – Dumpfen Wahn

Packt ihr an allen Zipfeln an. –
Vermummter Plutus, Maskenheld,
Schlag’ dieses Volk mir aus dem Feld.

Plutus.
Dein Stab ist wohl dazu bereit,

5740
Verleih’ ihn mir auf kurze Zeit. –

Ich tauch’ ihn rasch in Sud und Gluth. –

Nun! Masken seyd auf eurer Hut.
[52]
Wie’s blitzt und platzt, in Funken sprüht!

Der Stab schon ist er angeglüht.

5745
Wer sich zu nah herangedrängt

Ist unbarmherzig gleich versengt –
Jetzt fang’ ich meinen Umgang an.

Geschrei und Gedräng.
     O weh! Es ist um uns gethan. –
     Entfliehe wer entfliehen kann! –

5750
     Zurück, zurück du Hintermann! –

     Mir sprüht es heiß in’s Angesicht. –
     Mich drückt des glühenden Stabs Gewicht –
     Verloren sind wir all und all. –
     Zurück, zurück zu Maskenschwall!

5755
     Zurück, zurück, unsinniger Hauf –

     O! hätt’ ich Flügel flög’ ich auf. –

Plutus.
Schon ist der Kreis zurückgedrängt
Und niemand glaub’ ich ist versengt.
Die Menge weicht,

5760
Sie ist verscheucht. –

Doch solcher Ordnung Unterpfand
Zieh’ ich ein unsichtbares Band.

Herold.
Du hast ein herrlich Werk vollbracht,
Wie dank’ ich deiner klugen Macht!

Plutus.

5765
Noch braucht es, edler Freund, Geduld:
Es droht noch mancherlei Tumult.
[53]
Geiz.

So kann man doch, wenn es beliebt,
Vergnüglich diesen Kreis beschauen;
Denn immerfort sind vornen an die Frauen

5770
Wo’s was zu gaffen, was zu naschen giebt.

Noch bin ich nicht so völlig eingerostet!
Ein schönes Weib ist immer schön;
Und heute, weil es mich nichts kostet,
So wollen wir getrost sponsiren gehn.

5775
Doch weil am überfüllten Orte

Nicht jedem Ohr vernehmlich alle Worte,
Versuch’ ich klug und hoff’ es soll mir glücken,
Mich pantomimisch deutlich auszudrücken.
Hand, Fuß, Gebärde reicht mir da nicht hin,

5780
Da muß ich mich um einen Schwank bemühn.

Wie feuchten Thon will ich das Gold behandeln,
Denn dieß Metall läßt sich in alles wandeln.

Herold.
Was fängt der an der magre Thor!
Hat so ein Hungermann Humor?

5785
Er knetet alles Gold zu Teig,

Ihm wird es untern Händen weich;
Wie er es drückt und wie es ballt
Bleibt’s immer doch nur ungestalt.
Er wendet sich zu den Weibern dort,

5790
Sie schreien alle, möchten fort,

Gebärden sich gar widerwärtig;

Der Schalk erweis't sich übelfertig.
[54]
Ich fürchte daß er sich ergetzt

Wenn er die Sittlichkeit verletzt.

5795
Dazu darf ich nicht schweigsam bleiben,

Gib meinen Stab ihn zu vertreiben.

Plutus.
Er ahnet nicht was uns von außen droht;
Laß ihn die Narrentheidung treiben,
Ihm wird kein Raum für seine Possen bleiben;

5800
Gesetz ist mächtig, mächtiger ist die Noth.


Getümmel und Gesang.
     Das wilde Heer es kommt zumal
     Von Bergeshöh’ und Waldes Thal,
     Unwiderstehlich schreitet’s an:
     Sie feiern ihren großen Pan.

5805
     Sie wissen doch was keiner weiß

     Und drängen in den leeren Kreis.

Plutus.
Ich kenn’ euch wohl und euren großen Pan!
Zusammen habt ihr kühnen Schritt gethan.
Ich weiß recht gut was nicht ein jeder weiß,

5810
Und öffne schuldig diesen engen Kreis.

Mag sie ein gut Geschick begleiten!
Das wunderlichste kann geschehn;
Sie wissen nicht wohin sie schreiten,
Sie haben sich nicht vorgesehn.

Wildgesang.

5815
     Geputztes Volk du, Flitterschau!
     Sie kommen roh, sie kommen rauh,
[55]
     In hohem Sprung in raschem Lauf,

     Sie treten derb und tüchtig auf.

Faunen.
Die Faunenschaar

5820
Im lustigen Tanz,

Den Eichenkranz
Im krausen Haar,
Ein feines zugespitztes Ohr
Dringt an dem Lockenkopf hervor,

5825
Ein stumpfes Näschen, ein breit Gesicht,

Das schadet alles bei Frauen nicht.
Dem Faun, wenn er die Patsche reicht,
Versagt die Schönste den Tanz nicht leicht.

Satyr.
Der Satyr hüpft nun hinterdrein

5830
Mit Ziegenfuß und dürrem Bein,

Ihm sollen sie mager und sehnig seyn.
Und gemsenartig auf Bergeshöhn
Belustigt er sich umherzusehn.
In Freiheitsluft erquickt alsdann

5835
Verhöhnt er Kind und Weib und Mann,

Die tief, in Thales Dampf und Rauch,
Behaglich meinen sie lebten auch,
Da ihm doch, rein und ungestört,
Die Welt dort oben allein gehört.

Gnomen.

5840
Da trippelt ein die kleine Schaar,
Sie hält nicht gern sich Paar und Paar;
[56]
Im moosigen Kleid mit Lämplein hell

Bewegt sich’s durcheinander schnell,
Wo jedes für sich selber schafft,

5845
Wie Leuchtameisen wimmelhaft;

Und wuselt emsig hin und her,
Beschäftigt in die Kreuz und Quer.

Den frommen Gütchen nah verwandt,
Als Felschirurgen wohl bekannt;

5850
Die hohen Berge schröpfen wir,

Aus vollen Adern schöpfen wir;
Metalle stürzen wir zu Hauf
Mit Gruß getrost: Glück auf! Glück auf!
Das ist von Grund aus wohl gemeint,

5855
Wir sind der guten Menschen Freund.

Doch bringen wir das Gold zu Tag
Damit man stehlen und kuppeln mag;
Nicht Eisen fehle dem stolzen Mann
Der allgemeinen Mord ersann.

5860
Und wer die drey Gebot veracht’t

Sich auch nichts aus den andern macht.
Das alles ist nicht unsre Schuld,
Drum habt sofort wie wir Geduld.

Riesen.
Die wilden Männer sind’s genannt,

5865
Am Harzgebirge wohl bekannt;

Natürlich nackt in alter Kraft,

Sie kommen sämmtlich riesenhaft.
[57]
Den Fichtenstamm in rechter Hand

Und um den Leib ein wulstig Band;

5870
Den derbsten Schurz von Zweig und Blatt,

Leibwache wie der Papst nicht hat.

Nymphen im Chor.
(Sie umschließen den großen Pan.)
Auch kommt er an!
Das All der Welt
Wird vorgestellt

5875
Im großen Pan.

Ihr Heitersten umgebet ihn,
Im Gaukeltanz umschwebet ihn;
Denn weil er ernst und gut dabei,
So will er daß man fröhlich sey.

5880
Auch unterm blauen Wölbedach

Verhielt er sich beständig wach;
Doch rieseln ihm die Bäche zu,
Und Lüftlein wiegen ihn mild in Ruh.
Und wenn er zu Mittage schläft

5885
Sich nicht das Blatt am Zweige regt;

Gesunder Pflanzen Balsamduft
Erfüllt die schweigsam stille Luft;
Die Nymphe darf nicht munter seyn
Und wo sie stand da schläft sie ein.

5890
Wenn unerwartet mit Gewalt

Dann aber seine Stimm’ erschallt,
Wie Blitzes Knattern, Meergebraus,

Dann niemand weiß wo ein noch aus,
[58]
Zerstreut sich tapfres Heer im Feld
5895
Und im Getümmel bebt der Held.

So Ehre dem, dem Ehre gebührt!
Und Heil ihm der uns hergeführt!

Deputation der Gnomen.
(An den großen Pan.)
     Wenn das glänzend reiche Gute
     Fadenweis durch Klüfte streicht,

5900
     Nur der klugen Wünschelruthe

     Seine Labyrinthe zeigt,

     Wölben wir in dunklen Grüften
     Troglodytisch unser Haus,
     Und an reinen Tageslüften

5905
     Theilst du Schätze gnädig aus.


     Nun entdecken wir hieneben
     Eine Quelle wunderbar,
     Die bequem verspricht zu geben
     Was kaum zu erreichen war.

5910
     Dieß vermagst du zu vollenden,

     Nimm es Herr in deine Hut!
     Jeder Schatz in deinen Händen
     Kommt der ganzen Welt zu gut.

Plutus zum Herold.
Wir müssen uns im hohen Sinne fassen

5915
Und was geschieht getrost geschehen lassen,
[59]
Du bist ja sonst des stärksten Muthes voll.

Nun wird sich gleich ein Gräulichstes eräugnen:
Hartnäckig wird es Welt und Nachwelt läugnen:
Du schreib’ es treulich in dein Protokoll.

Herold
(den Stab anfassend, welchen Plutus in der Hand behält).

5920
Die Zwerge führen den großen Pan

Zur Feuerquelle sacht heran;
Sie siedet auf vom tiefsten Schlund,
Dann sinkt sie wieder hinab zum Grund,
Und finster steht der offne Mund;

5925
Wallt wieder auf in Gluth und Sud,

Der große Pan steht wohlgemuth,
Freut sich des wundersamen Dings,
Und Perlenschaum sprüht rechts und links.
Wie mag er solchen Wesen traun?

5930
Er bückt sich tief hinein zu schaun. –

Nun aber fällt sein Bart hinein! –
Wer mag das glatte Kinn wohl seyn?
Die Hand verbirgt es unserm Blick. –
Nun folgt ein großes Ungeschick,

5935
Der Bart entflammt und fliegt zurück,

Entzündet Kranz und Haupt und Brust,
Zu Leiden wandelt sich die Lust. –
Zu löschen läuft die Schaar herbei,
Doch keiner bleibt von Flammen frei,

5940
Und wie es patscht und wie es schlägt
Wird neues Flammen aufgeregt;
[60]
Verflochten in das Element

Ein ganzer Maskenklump verbrennt.
Was aber hör’ ich wird uns kund

5945
Von Ohr zu Ohr, von Mund zu Mund!

O ew[i]g unglückselige Nacht
Was hast du uns für Leid gebracht!
Verkünden wird der nächste Tag
Was niemand willig hören mag;

5950
Doch hör’ ich aller Orte schrein

„Der Kaiser“, leidet solche Pein.
O wäre doch ein andres wahr!
Der Kaiser brennt und seine Schaar.
Sie sey verflucht die ihn verführt,

5955
In harzig Reis sich eingeschnürt,

Zu toben her mit Brüll-Gesang
Zu allerseitigem Untergang.
O Jugend, Jugend wirst du nie
Der Freude reines Maß bezirken?

5960
O Hoheit, Hoheit wirst du nie

Vernünftig wie allmächtig wirken?

Schon geht der Wald in Flammen auf,
Sie züngeln leckend spitz hinauf,
Zum holzverschränkten Deckenband,

5965
Uns droht ein allgemeiner Brand.

Des Jammers Maß ist übervoll,
Ich weiß nicht wer uns retten soll.
Ein Aschenhaufen einer Nacht

Liegt morgen reiche Kaiserpracht.
[61]
Plutus.
5970
Schrecken ist genug verbreitet,

Hülfe sey nun eingeleitet! –
Schlage heiligen Stabs Gewalt,
Daß der Boden bebt und schallt!
Du geräumig weite Luft

5975
Fülle dich mit kühlem Duft.

Zieht heran, umherzuschweifen,
Nebeldünste, schwangre Streifen,
Deckt ein flammendes Gewühl;
Rieselt, säuselt, Wölkchen kräuselt,

5980
Schlüpfet wallend, leise dämpfet,

Löschend überall bekämpfet,
Ihr, die lindernden, die feuchten,
Wandelt in ein Wetterleuchten
Solcher eitlen Flamme Spiel. –

5985
Drohen Geister uns zu schädigen
Soll sich die Magie bethätigen.



Lustgarten.


Morgensonne.

Der Kaiser, dessen Hofstaat, Männer und Frauen, Faust, Mephistopheles (anständig, nicht auffallend, nach Sitte gekleidet; beide knien).

Faust.
Verzeihst du Herr das Flammengaukelspiel?
[62]
Kaiser

(zum Aufstehen winkend).
Ich wünsche mir dergleichen Scherze viel. –
Auf einmal sah ich mich in glühender Sphäre,

5990
Es schien mir fast als ob ich Pluto wäre.

Aus Nacht und Kohlen lag ein Felsengrund,
Von Flämmchen glühend. Dem und jenem Schlund
Aufwirbelten viel tausend wilde Flammen,
Und flackerten in Ein Gewölb zusammen.

5995
Zum höchsten Dome züngelt es empor,

Der immer ward und immer sich verlor.
Durch fernen Raum gewundner Feuersäulen
Sah ich bewegt der Völker lange Zeilen,
Sie drängten sich im weiten Kreis heran,

6000
Und huldigten, wie sie es stets gethan.

Von meinem Hof erkannt’ ich ein und andern,
Ich schien ein Fürst von tausend Salamandern.

Mephistopheles.
Das bist du Herr! Weil jedes Element
Die Majestät als unbedingt erkennt.

6005
Gehorsam Feuer hast du nun erprobt,

Wirf dich in’s Meer wo es am wildsten tobt,
Und kaum betrittst du perlenreichen Grund,
So bildet wallend sich ein herrlich Rund;
Siehst auf und ab lichtgrüne schwanke Wellen,

6010
Mit Purpursaum, zu schönster Wohnung schwellen,

Um dich, den Mittelpunkt. Bei jedem Schritt

Wohin du gehst gehn die Paläste mit.
[63]
Die Wände selbst erfreuen sich des Lebens,

Pfeilschnellen Wimmlens, Hin- und Wiederstrebens.

6015
Meerwunder drängen sich zum neuen milden Schein,

Sie schießen an, und keines darf herein.
Da spielen farbig goldbeschuppte Drachen,
Der Haifisch klafft, du lachst ihm in den Rachen.
Wie sich auch jetzt der Hof um dich entzückt,

6020
Hast du doch nie ein solch Gedräng erblickt.

Doch bleibst du nicht vom Lieblichsten geschieden,
Es nahen sich neugierige Nereiden
Der prächtigen Wohnung in der ewigen Frische,
Die jüngsten scheu und lüstern wie die Fische,

6025
Die spätern klug; schon wird es Thetis kund,

Dem zweyten Peleus reicht sie Hand und Mund. –
Den Sitz alsdann auf des Olymps Revier! –

Kaiser.
Die luftigen Räume die erlaß ich dir;
Noch früh genug besteigt man jenen Thron.

Mephistopheles.

6030
Und, höchster Herr! die Erde hast du schon.


Kaiser.
Welch gut Geschick hat dich hierher gebracht?
Unmittelbar aus Tausend Einer Nacht.
Gleichst du an Fruchtbarkeit Scheherazaden,
Versichr’ ich dich der höchsten aller Gnaden.

6035
Sey stets bereit, wenn eure Tageswelt,
Wie’s oft geschieht, mir widerlichst mißfällt.
[64]
Marschalk (tritt eilig auf).

Durchlauchtigster, ich dacht’ in meinem Leben
Vom schönsten Glück Verkündung nicht zu geben
Als diese, die mich hoch beglückt,

6040
In deiner Gegenwart entzückt:

Rechnung für Rechnung ist berichtigt,
Die Wucherklauen sind beschwichtigt,
Los bin ich solcher Höllenpein;
Im Himmel kann’s nicht heitrer seyn.

Heermeister (folgt eilig).

6045
Abschläglich ist der Sold entrichtet,

Das ganze Heer auf’s neu verpflichtet,
Der Lanzknecht fühlt sich frisches Blut,
Und Wirth und Dirnen haben’s gut.

Kaiser.
Wie athmet eure Brust erweitert!

6050
Das faltige Gesicht erheitert!

Wie eilig tretet ihr heran!

Schatzmeister
(der sich einfindet).
Befrage diese die das Werk gethan.

Faust.
Dem Canzler ziemt’s die Sache vorzutragen.

Canzler
(der langsam herankommt).

Beglückt genug in meinen alten Tagen. –
[65]
6055
So hört und schaut das schicksalschwere Blatt,

Das alles Weh in Wohl verwandelt hat.
(Er lies't.)
„Zu wissen sey es jedem der’s begehrt:
Der Zettel hier ist tausend Kronen werth.
Ihm liegt gesichert, als gewisses Pfand,

6060
Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland.

Nun ist gesorgt, damit der reiche Schatz,
Sogleich gehoben, diene zum Ersatz.“

Kaiser.
Ich ahne Frevel, ungeheuren Trug!
Wer fälschte hier des Kaisers Namenszug?

6065
Ist solch Verbrechen ungestraft geblieben?


Schatzmeister.
Erinnre dich! hast selbst es unterschrieben;
Erst heute Nacht. Du standst als großer Pan,
Der Kanzler sprach mit uns zu dir heran:
„Gewähre dir das hohe Festvergnügen,

6070
Des Volkes Heil, mit wenig Federzügen.“

Du zogst sie rein, dann ward’s in dieser Nacht
Durch Tausendkünstler schnell vertausendfacht.
Damit die Wohlthat allen gleich gedeihe,
So stempelten wir gleich die ganze Reihe,

6075
Zehn, Dreyßig, Funfzig, Hundert sind parat.

Ihr denkt euch nicht wie wohl’s dem Volke that.
Seht eure Stadt, sonst halb im Tod verschimmelt,

Wie alles lebt und lustgenießend wimmelt!
[66]
Obschon dein Name längst die Welt beglückt,
6080
Man hat ihn nie so freundlich angeblickt.

Das Alphabet ist nun erst überzählig,
In diesem Zeichen wird nun jeder selig.

Kaiser.
Und meinen Leuten gilt’s für gutes Gold?
Dem Heer, dem Hofe gnügt’s zu vollem Sold?

6085
So sehr mich’s wundert muß ich’s gelten lassen.


Marschalk.
Unmöglich wär’s die Flüchtigen einzufassen;
Mit Blitzeswink zerstreute sich’s im Lauf.
Die Wechsler-Bänke stehen sperrig auf,
Man honorirt daselbst ein jedes Blatt

6090
Durch Gold und Silber, freilich mit Rabatt.

Nun geht’s von da zum Fleischer, Bäcker, Schenken;
Die halbe Welt scheint nur an Schmaus zu denken,
Wenn sich die andre neu in Kleidern bläht.
Der Krämer schneidet aus, der Schneider näht.

6095
Bei: „Hoch dem Kaiser!“ sprudelt’s in den Kellern,

Dort kocht’s und brät’s und klappert’s mit den Tellern.

Mephistopheles.
Wer die Terrassen einsam abspaziert,
Gewahrt die Schönste, herrlich aufgeziert,
Ein Aug’ verdeckt vom stolzen Pfauenwedel,

6100
Sie schmunzelt uns und blickt nach solcher Schedel;

Und hurtiger als durch Witz und Redekunst

Vermittelt sich die reichste Liebesgunst.
[67]
Man wird sich nicht mit Börs’ und Beutel plagen,

Ein Blättchen ist im Busen leicht zu tragen,

6105
Mit Liebesbrieflein paart’s bequem sich hier.

Der Priester trägt’s andächtig im Brevier,
Und der Soldat, um rascher sich zu wenden,
Erleichtert schnell den Gürtel seiner Lenden.
Die Majestät verzeihe wenn ins Kleine

6110
Das hohe Werk ich zu erniedern scheine.


Faust.
Das Uebermaß der Schätze, das, erstarrt,
In deinen Landen tief im Boden harrt,
Liegt ungenutzt. Der weiteste Gedanke
Ist solches Reichthums kümmerlichste Schranke;

6115
Die Phantasie, in ihrem höchsten Flug,

Sie strengt sich an und thut sich nie genug;
Doch fassen Geister, würdig tief zu schauen,
Zum Gränzenlosen gränzenlos Vertrauen.

Mephistopheles.
Ein solch Papier, an Gold und Perlen Statt,

6120
Ist so bequem, man weiß doch was man hat;

Man braucht nicht erst zu markten noch zu tauschen,
Kann sich nach Lust in Lieb und Wein berauschen.
Will man Metall, ein Wechsler ist bereit,
Und fehlt es da, so gräbt man eine Zeit.

6125
Pokal und Kette wird verauctionirt,

Und das Papier, sogleich amortisirt,
Beschämt den Zweifler der uns frech verhöhnt.

Man will nichts anders, ist daran gewöhnt.
[68]
So bleibt von nun an allen Kaiser-Landen
6130
An Kleinod, Gold, Papier genug vorhanden.


Kaiser.
Das hohe Wohl verdankt euch unser Reich,
Wo möglich sey der Lohn dem Dienste gleich.
Vertraut sey euch des Reiches innrer Boden,
Ihr seyd der Schätze würdigste Custoden.

6135
Ihr kennt den weiten wohlverwahrten Hort,

Und wenn man gräbt, so sey’s auf euer Wort.
Vereint euch nun ihr Meister unsres Schatzes,
Erfüllt mit Lust die Würden eures Platzes,
Wo mit der obern sich die Unterwelt,

6140
In Einigkeit beglückt, zusammenstellt.


Schatzmeister.
Soll zwischen uns kein fernster Zwist sich regen,
Ich liebe mir den Zaubrer zum Collegen.
(Ab mit Faust.)

Kaiser.
Beschenk’ ich nun bei Hofe Mann für Mann,
Gesteh’ er mir wozu er’s brauchen kann.

Page (empfangend).

6145
Ich lebe lustig, heiter, guter Dinge.


Ein Andrer (gleichfalls).
Ich schaffe gleich dem Liebchen Kett’ und Ringe.

Kämmerer (annehmend).
Von nun an trink’ ich doppelt bess’re Flasche.

Ein Andrer (gleichfalls).

Die Würfel jucken mich schon in der Tasche.
[69]
Bannerherr (mit Bedacht).

Mein Schloß und Feld ich mach’ es schuldenfrei.

Ein Andrer (gleichfalls).

6150
Es ist ein Schatz, den leg’ ich Schätzen bei.


Kaiser.
Ich hoffte Lust und Muth zu neuen Thaten;
Doch wer euch kennt, der wird euch leicht errathen.
Ich merk’ es wohl, bei aller Schätze Flor
Wie ihr gewesen bleibt ihr nach wie vor.

Narr (herbeikommend).

6155
Ihr spendet Gnaden, gönnt auch mir davon.


Kaiser.
Und lebst du wieder? du vertrinkst sie schon.

Narr.
Die Zauber-Blätter! ich versteh’s nicht recht.

Kaiser.
Das glaub’ ich wohl, denn du gebrauchst sie schlecht.

Narr.
Da fallen andre, weiß nicht was ich thu’.

Kaiser.

6160
Nimm sie nur hin, sie fielen dir ja zu.

(Ab.)

Narr.
Fünf tausend Kronen wären mir zu Handen!

Mephistopheles.

Zweybeiniger Schlauch bist wieder auferstanden?
[70]
Narr.

Geschieht mir oft, doch nicht so gut als jetzt.

Mephistopheles.
Du freust dich so, daß dich’s in Schweiß versetzt.

Narr.

6165
Da seht nur her, ist das wohl Geldes werth?


Mephistopheles.
Du hast dafür was Schlund und Bauch begehrt.

Narr.
Und kaufen kann ich Acker, Haus und Vieh?

Mephistopheles.
Versteht sich! biete nur, das fehlt dir nie.

Narr.
Und Schloß, mit Wald und Jagd und Fischbach?

Mephistopheles.
 Traun!

6170
Ich möchte dich gestrengen Herrn wohl schaun!


Narr.
Heut Abend wieg’ ich mich im Grundbesitz! –
(Ab.)

Mephistopheles (solus).

Wer zweifelt noch an unsres Narren Witz!




[71]
Finstere Gallerie.




Faust. Mephistopheles.


Mephistopheles.

Was ziehst du mich in diese düstern Gänge?
Ist nicht da drinnen Lust genug,

6175
Im dichten, bunten Hofgedränge

Gelegenheit zu Spaß und Trug?

Faust.
Sag’ mir das nicht, du hast’s in alten Tagen
Längst an den Sohlen abgetragen;
Doch jetzt, dein Hin- und Wiedergehn

6180
Ist nur um mir nicht Wort zu stehn.

Ich aber bin gequält zu thun,
Der Marschalk und der Kämm’rer treibt mich nun.
Der Kaiser will, es muß sogleich geschehn,
Will Helena und Paris vor sich sehn;

6185
Das Musterbild der Männer, so der Frauen,

In deutlichen Gestalten will er schauen.
Geschwind an’s Werk! ich darf mein Wort nicht brechen

Mephistopheles.
Unsinnig war’s leichtsinnig zu versprechen.

Faust.
Du hast, Geselle, nicht bedacht

6190
Wohin uns deine Künste führen;

Erst haben wir ihn reich gemacht,

Nun sollen wir ihn amüsiren.
[72]
Mephistopheles.

Du wähnst es füge sich sogleich;
Hier stehen wir vor steilern Stufen,

6195
Greifst in ein fremdestes Bereich,

Machst frevelhaft am Ende neue Schulden,
Denkst Helenen so leicht hervorzurufen
Wie das Papiergespenst der Gulden. –
Mit Hexen-Fexen, mit Gespenst-Gespinnsten,

6200
Kielkröpfigen Zwergen steh’ ich gleich zu Diensten;

Doch Teufels-Liebchen, wenn auch nicht zu schelten,
Sie können nicht für Heroinen gelten.

Faust.
Da haben wir den alten Leyerton!
Bei dir geräth man stets in’s Ungewisse.

6205
Der Vater bist du aller Hindernisse,

Für jedes Mittel willst du neuen Lohn.
Mit wenig Murmeln, weiß ich, ist’s gethan,
Wie man sich umschaut bringst du sie zur Stelle.

Mephistopheles.
Das Heidenvolk geht mich nichts an,

6210
Es haus’t in seiner eignen Hölle;

Doch gibt’s ein Mittel.

Faust.
 Sprich, und ohne Säumniß!

Mephistopheles.

Ungern entdeck’ ich höheres Geheimniß. –
[73]
Göttinnen thronen hehr in Einsamkeit,

Um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit;

6215
Von ihnen sprechen ist Verlegenheit.

Die Mütter sind es!

Faust (aufgeschreckt).
 Mütter!

Mephistopheles.
 Schaudert’s dich?

Faust.
Die Mütter! Mütter! – ’s klingt so wunderlich!

Mephistopheles.
Das ist es auch. Göttinnen, ungekannt
Euch Sterblichen, von uns nicht gern genannt.
Nach ihrer Wohnung magst in’s Tiefste schürfen;

6220
Du selbst bist Schuld daß ihrer wir bedürfen.


Faust.
Wohin der Weg?

Mephistopheles.
 Kein Weg! In’s Unbetretene,
Nicht zu Betretende; ein Weg an’s Unerbetene
Nicht zu Erbittende. Bist du bereit? –
Nicht Schlösser sind, nicht Riegel wegzuschieben,

6225
Von Einsamkeiten wirst umhergetrieben.
Hast du Begriff von Oed’ und Einsamkeit?
[74]
Faust.

Du spartest dächt’ ich solche Sprüche,
Hier wittert’s nach der Hexenküche,
Nach einer längst vergangnen Zeit.

6230
Mußt’ ich nicht mit der Welt verkehren?

Das Leere lernen, Leeres lehren? –
Sprach ich vernünftig, wie ich’s angeschaut,
Erklang der Widerspruch gedoppelt laut;
Mußt’ ich sogar vor widerwärtigen Streichen

6235
Zur Einsamkeit, zur Wilderniß entweichen;

Und, um nicht ganz versäumt, allein zu leben,
Mich doch zuletzt dem Teufel übergeben.

Mephistopheles.
Und hättest du den Ocean durchschwommen,
Das Gränzenlose dort geschaut,

6240
So sähst du dort doch Well’ auf Welle kommen,

Selbst wenn es dir vor’m Untergange graut.
Du sähst doch etwas. Sähst wohl in der Grüne
Gestillter Meere streichende Delphine;
Sähst Wolken ziehen, Sonne, Mond und Sterne;

6245
Nichts wirst du sehn in ewig leerer Ferne,

Den Schritt nicht hören den du thust,
Nichts Festes finden wo du ruhst.

Faust.
Du sprichst als erster aller Mystagogen,
Die treue Neophyten je betrogen;

6250
Nur umgekehrt. Du sendest mich in’s Leere,
Damit ich dort so Kunst als Kraft vermehre;
[75]
Behandelst mich, daß ich, wie jene Katze,

Dir die Kastanien aus den Gluthen kratze.
Nur immer zu! wir wollen es ergründen,

6255
In deinem Nichts hoff’ ich das All zu finden.


Mephistopheles.
Ich rühme dich eh’ du dich von mir trennst,
Und sehe wohl, daß du den Teufel kennst;
Hier diesen Schlüssel nimm.

Faust.
 Das kleine Ding!

Mephistopheles.
Erst faß ihn an und schätz’ ihn nicht gering.

Faust.

6260
Er wächs’t in meiner Hand! er leuchtet, blitzt!


Mephistopheles.
Merkst du nun bald was man an ihm besitzt!
Der Schlüssel wird die rechte Stelle wittern,
Folg’ ihm hinab, er führt dich zu den Müttern.

Faust (schaudernd).
Den Müttern! Trifft’s mich immer wie ein Schlag!

6265
Was ist das Wort das ich nicht hören mag?


Mephistopheles.
Bist du beschränkt, daß neues Wort dich stört?
Willst du nur hören, was du schon gehört?
Dich störe nichts, wie es auch weiter klinge,

Schon längst gewohnt der wunderbarsten Dinge.
[76]
Faust.
6270
Doch im Erstarren such’ ich nicht mein Heil,

Das Schaudern ist der Menschheit bestes Theil;
Wie auch die Welt ihm das Gefühl vertheure,
Ergriffen, fühlt er tief das Ungeheure.

Mephistopheles.
Versinke denn! Ich könnt’ auch sagen: steige!

6275
’s ist einerlei. Entfliehe dem Entstandnen,

In der Gebilde losgebundne Räume;
Ergötze dich am längst nicht mehr Vorhandnen;
Wie Wolkenzüge schlingt sich das Getreibe,
Den Schlüssel schwinge, halte sie vom Leibe.

Faust (begeistert).

6280
Wohl! fest ihn fassend fühl’ ich neue Stärke,

Die Brust erweitert, hin zum großen Werke.

Mephistopheles.
Ein glühnder Dreyfuß thut dir endlich kund
Du seyst im tiefsten, allertiefsten Grund.
Bei seinem Schein wirst du die Mütter sehn;

6285
Die einen sitzen, andre stehn und gehn,

Wie’s eben kommt. Gestaltung, Umgestaltung,
Des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung.
Umschwebt von Bildern aller Creatur;
Sie sehn dich nicht, denn Schemen sehn sie nur.

6290
Da faß ein Herz, denn die Gefahr ist groß.

Und gehe grad’ auf jenen Dreyfuß los,

Berühr’ ihn mit dem Schlüssel!
[77]
Faust

(macht eine entschieden gebietende Attitude mit dem Schlüssel).

Mephistopheles
(ihn betrachtend).
 So ist’s recht!
Er schließt sich an, er folgt als treuer Knecht;
Gelassen steigst du, dich erhebt das Glück,

6295
Und eh’ sie’s merken bist mit ihm zurück.

Und hast du ihn einmal hierher gebracht,
So rufst du Held und Heldin aus der Nacht,
Der erste der sich jener That erdreistet;
Sie ist gethan und du hast es geleistet,

6300
Dann muß fortan, nach magischem Behandeln,

Der Weihrauchsnebel sich in Götter wandeln.

Faust.
Und nun was jetzt?

Mephistopheles.
 Dein Wesen strebe nieder;
Versinke stampfend, stampfend steigst du wieder.

Faust
(stampft und versinkt).

Mephistopheles.
Wenn ihm der Schlüssel nur zum besten frommt!

6305
Neugierig bin ich ob er wieder kommt?




[78]
Hell erleuchtete Säle.




Kaiser und Fürsten, Hof in Bewegung.
Kämmerer

(zu Mephistopheles).
Ihr seyd uns noch die Geisterscene schuldig;
Macht euch daran! der Herr ist ungeduldig.

Marschall.
So eben fragt der Gnädigste darnach;
Ihr! zaudert nicht der Majestät zur Schmach.

Mephistopheles.

6310
Ist mein Cumpan doch deßhalb weggegangen,

Er weiß schon wie es anzufangen,
Und laborirt verschlossen still;
Muß ganz besonders sich befleißen,
Denn wer den Schatz, das Schöne, heben will,

6315
Bedarf der höchsten Kunst, Magie der Weisen.


Marschall.
Was ihr für Künste braucht ist einerlei,
Der Kaiser will daß alles fertig sey.

Blondine
(zu Mephistopheles).
Ein Wort, mein Herr! Ihr seht ein klar Gesicht,
Jedoch so ist’s im leidigen Sommer nicht!

6320
Da sprossen hundert bräunlich rothe Flecken,

Die zum Verdruß die weiße Haut bedecken.

Ein Mittel!
[79]
Mephistopheles.

Schade! so ein leuchtend Schätzchen,
Im Mai getupft wie eure Pantherkätzchen.

6325
Nehmt Froschlaich, Krötenzungen, cohobirt,

Im vollsten Mondlicht sorglich distillirt;
Und, wenn er abnimmt, reinlich aufgestrichen,
Der Frühling kommt, die Tupfen sind entwichen.

Braune.
Die Menge drängt heran euch zu umschranzen.

6330
Ich bitt’ um Mittel! Ein erfrorner Fuß

Verhindert mich am Wandeln wie am Tanzen,
Selbst ungeschickt beweg’ ich mich zum Gruß.

Mephistopheles.
Erlaubet einen Tritt von meinem Fuß.

Braune.
Nun das geschieht wohl unter Liebesleuten.

Mephistopheles.

6335
Mein Fußtritt, Kind! hat Größres zu bedeuten.

Zu Gleichem Gleiches, was auch einer litt;
Fuß heilet Fuß so ist’s mit allen Gliedern.
Heran! Gebt Acht! Ihr sollt es nicht erwiedern.

Braune (schreiend).
Weh! Weh! das brennt! das war ein harter Tritt,

6340
Wie Pferdehuf.


Mephistopheles.
 Die Heilung nehmt ihr mit.
Du kannst nunmehr den Tanz nach Lust verüben

Bei Tafel schwelgend füßle mit dem Lieben.
[80]
Dame

(herandringend).
Laßt mich hindurch! zu groß sind meine Schmerzen,
Sie wühlen siedend mir im tiefsten Herzen;

6345
Bis gestern sucht Er Heil in meinen Blicken,

Er schwatzt mit ihr und wendet mir den Rücken.

Mephistopheles.
Bedenklich ist es, aber höre mich.
An ihn heran mußt du dich leise drücken;
Nimm diese Kohle, streich’ ihm einen Strich

6350
Auf Aermel, Mantel, Schulter wie sich’s macht;

Er fühlt im Herzen holden Reuestich.
Die Kohle doch mußt du sogleich verschlingen,
Nicht Wein, nicht Wasser an die Lippen bringen;
Er seufzt vor deiner Thür’ noch heute Nacht.

Dame.

6355
Ist doch kein Gift?


Mephistopheles
(entrüstet).
 Respect wo sich’s gebührt!
Weit müßtet ihr nach solcher Kohle laufen;
Sie kommt von einem Scheiterhaufen
Den wir sonst emsiger angeschürt.

Page.
Ich bin verliebt, man hält mich nicht für voll.

Mephistopheles
(bei Seite).

6360
Ich weiß nicht mehr, wohin ich hören soll.
[81]
(Zum Pagen.)

Müßt euer Glück nicht auf die jüngste setzen.
Die Angejahrten wissen euch zu schätzen. –
(Andere drängen sich herzu.)
Schon wieder Neue! welch ein harter Strauß!
Ich helfe mir zuletzt mit Wahrheit aus;

6365
Der schlechteste Behelf! die Noth ist groß. –

O Mütter, Mütter! laßt nur Fausten los!
(Umherschauend.)
Die Lichter brennen trübe schon im Saal,
Der ganze Hof bewegt sich auf einmal.
Anständig seh’ ich sie in Folge ziehn,

6370
Durch lange Gänge, ferne Galerien.

Nun! sie versammeln sich im weiten Raum
Des alten Rittersaals, er faßt sie kaum.
Auf breite Wände Teppiche spendirt,
Mit Rüstung Eck und Nischen ausgeziert.

6375
Hier braucht es, dächt’ ich, keine Zauberworte;
Die Geister finden sich von selbst zum Orte.




[82]
Rittersaal.


Dämmernde Beleuchtung.
Kaiser und Hof sind eingezogen.


Herold.

Mein alt Geschäft, das Schauspiel anzukünden,
Verkümmert mir der Geister heimlich Walten;
Vergebens wagt man aus verständigen Gründen

6380
Sich zu erklären das verworrne Schalten.

Die Sessel sind, die Stühle schon zur Hand;
Den Kaiser setzt man grade vor die Wand;
Auf den Tapeten mag er da die Schlachten
Der großen Zeit bequemlich sich betrachten.

6385
Hier sitzt nun alles, Herr und Hof im Runde,

Die Bänke drängen sich im Hintergrunde;
Auch Liebchen hat, in düstern Geisterstunden,
Zur Seite Liebchens lieblich Raum gefunden.
Und so, da alle schicklich Platz genommen,

6390
Sind wir bereit, die Geister mögen kommen!

(Posaunen.)

Astrolog.
Beginne gleich das Drama seinen Lauf,
Der Herr befiehlt’s, ihr Wände thut euch auf!
Nichts hindert mehr, hier ist Magie zur Hand,
Die Teppiche schwinden, wie gerollt vom Brand;

6395
Die Mauer spaltet sich, sie kehrt sich um,

Ein tief Theater scheint sich aufzustellen,
Geheimnißvoll ein Schein uns zu erhellen,

Und ich besteige das Proscenium.
[83]
Mephistopheles

(aus dem Soufleurloche auftauchend).
Von hier aus hoff’ ich allgemeine Gunst,

6400
Einbläsereyen sind des Teufels Redekunst.

(Zum Astrologen.)
Du kennst den Tact in dem die Sterne gehn,
Und wirst mein Flüstern meisterlich verstehn.

Astrolog.
Durch Wunderkraft erscheint allhier zur Schau
Massiv genug, ein alter Tempelbau.

6405
Dem Atlas gleich der einst den Himmel trug,

Stehn, reihenweis, der Säulen hier genug;
Sie mögen wohl der Felsenlast genügen,
Da zweye schon ein groß Gebäude trügen.

Architekt.
Das wär’ antik! ich wüßt’ es nicht zu preisen,

6410
Es sollte plump und überlästig heißen.

Roh nennt man edel, unbehülflich groß.
Schmal-Pfeiler lieb’ ich, strebend, gränzenlos;
Spitzbögiger Zenith erhebt den Geist;
Solch ein Gebäu erbaut uns allermeist.

Astrolog.

6415
Empfangt mit Ehrfurcht sterngegönnte Stunden;

Durch magisch Wort sey die Vernunft gebunden;
Dagegen weit heran bewege frei
Sich herrliche verwegne Phantasey.
Mit Augen schaut nun was ihr kühn begehrt,

6420
Unmöglich ist’s, drum eben glaubenswerth.
[84]
Faust.

(steigt auf der andern Seite des Prosceniums herauf).
Astrolog.
Im Priesterkleid, bekränzt, ein Wundermann,
Der nun vollbringt was er getrost begann.
Ein Dreyfuß steigt mit ihm aus hohler Gruft,
Schon ahn’ ich aus der Schale Weihrauchduft.

6425
Er rüstet sich das hohe Werk zu segnen,

Es kann fortan nur glückliches begegnen.

Faust (großartig).
In eurem Namen, Mütter, die ihr thront
Im Gränzenlosen, ewig einsam wohnt,
Und doch gesellig. Euer Haupt umschweben

6430
Des Lebens Bilder, regsam, ohne Leben.

Was einmal war, in allem Glanz und Schein,
Es regt sich dort; denn es will ewig seyn.
Und ihr vertheilt es, allgewaltige Mächte,
Zum Zelt des Tages, zum Gewölb der Nächte.

6435
Die einen faßt des Lebens holder Lauf,

Die andern sucht der kühne Magier auf;
In reicher Spende läßt er, voll Vertrauen
Was jeder wünscht, das Wunderwürdige schauen.

Astrolog.
Der glühnde Schlüssel rührt die Schale kaum,

6440
Ein dunstiger Nebel deckt sogleich den Raum,

Er schleicht sich ein, er wogt nach Wolkenart,

Gedehnt, geballt, verschränkt, getheilt, gepaart.
[85]
Und nun erkennt ein Geister-Meister-Stück!

So wie sie wandeln machen sie Musik.

6445
Aus luftigen Tönen quillt ein Weißnichtwie,

Indem sie ziehn wird alles Melodie.
Der Säulenschaft, auch die Triglyphe klingt,
Ich glaube gar der ganze Tempel singt.
Das Dunstige senkt sich; aus dem leichten Flor

6450
Ein schöner Jüngling tritt im Tact hervor.

Hier schweigt mein Amt, ich brauch’ ihn nicht zu nennen,
Wer sollte nicht den holden Paris kennen!

Dame.
O! welch ein Glanz auf blühnder Jugendkraft!

Zweyte.
Wie eine Pfirsche frisch und voller Saft!

Dritte.

6455
Die fein gezognen, süß geschwollnen Lippen!


Vierte.
Du möchtest wohl an solchem Becher nippen?

Fünfte.
Er ist gar hübsch, wenn auch nicht eben fein.

Sechste.
Ein bißchen könnt’ er doch gewandter seyn.

Ritter.
Den Schäferknecht glaub’ ich allhier zu spüren;

6460
Vom Prinzen nichts und nichts von Hofmanieren.


Andrer.
Eh nun! halb nackt ist wohl der Junge schön,

Doch müßten wir ihn erst im Harnisch sehn!
[86]
Dame.

Er setzt sich nieder, weichlich, angenehm.

Ritter.
Auf seinem Schoße wär’ euch wohl bequem?

Andre.

6465
Er lehnt den Arm so zierlich über’s Haupt.


Kämmerer.
Die Flegeley! das find’ ich unerlaubt!

Dame.
Ihr Herren wißt an allem was zu mäkeln.

Derselbe.
In Kaisers Gegenwart sich hinzuräckeln!

Dame.
Er stellt’s nur vor! Er glaubt sich ganz allein.

Derselbe.

6470
Das Schauspiel selbst, hier sollt’ es höflich seyn.


Dame.
Sanft hat der Schlaf den Holden übernommen.

Derselbe.
Er schnarcht nun gleich, natürlich ist’s, vollkommen.

Junge Dame (entzückt).
Zum Weihrauchsdampf was duftet so gemischt,
Das mir das Herz zum innigsten erfrischt?

Aeltere.

6475
Fürwahr! es dringt ein Hauch tief in’s Gemüthe,

Er kommt von ihm!

Aelteste.

 Es ist des Wachsthums Blüthe,
[87]
Im Jüngling als Ambrosia bereitet,

Und atmosphärisch rings umher verbreitet.

Helena (hervortretend).

Mephistopheles.
Das wär’ sie denn! Vor dieser hätt’ ich Ruh’;

6480
Hübsch ist sie wohl, doch sagt sie mir nicht zu.


Astrolog.
Für mich ist dießmal weiter nichts zu thun,
Als Ehrenmann gesteh’, bekenn’ ich’s nun.
Die Schöne kommt, und hätt’ ich Feuerzungen! –
Von Schönheit ward von jeher viel gesungen –

6485
Wem sie erscheint wird aus sich selbst entrückt,

Wem sie gehörte ward zu hoch beglückt.

Faust.
Hab’ ich noch Augen? Zeigt sich tief im Sinn
Der Schönheit Quelle vollen Stroms ergossen?
Mein Schreckensgang bringt seligsten Gewinn.

6490
Wie war die Welt mir nichtig, unerschlossen!

Was ist sie nun seit meiner Priesterschaft?
Erst wünschenswerth, gegründet, dauerhaft!
Verschwinde mir des Lebens Athemkraft,
Wenn ich mich je von dir zurückgewöhne! –

6495
Die Wohlgestalt die mich voreinst entzückte,

In Zauberspiegelung beglückte,
War nur ein Schaumbild solcher Schöne! –
Du bist’s der ich die Regung aller Kraft,
Den Inbegriff der Leidenschaft,

6500
Dir Neigung, Lieb’, Anbetung, Wahnsinn zolle.
[88]
Mephistopheles

(aus dem Kasten).
So faßt euch doch und fallt nicht aus der Rolle!

Aeltere Dame.
Groß, wohlgestaltet, nur der Kopf zu klein.

Jüngere.
Seht nur den Fuß! Wie könnt’ er plumper seyn!

Diplomat.
Fürstinnen hab’ ich dieser Art gesehn,

6505
Mich däucht sie ist vom Kopf zum Fuße schön.


Hofmann.
Sie nähert sich dem Schläfer listig mild.

Dame.
Wie häßlich neben jugendreinem Bild!

Poet.
Von ihrer Schönheit ist er angestrahlt.

Dame.
Endymion und Luna! wie gemahlt!

Derselbe.

6510
Ganz recht! die Göttin scheint herabzusinken,

Sie neigt sich über, seinen Hauch zu trinken;
Beneidenswerth! – Ein Kuß! – Das Maß ist voll.

Duenna.
Vor allen Leuten! Das ist doch zu toll!

Faust.
Furchtbare Gunst dem Knaben! –

Mephistopheles.
 Ruhig! still!

6515
Laß das Gespenst doch machen was es will.
[89]
Hofmann.

Sie schleicht sich weg, leichtfüßig; er erwacht.

Dame.
Sie sieht sich um! das hab’ ich wohl gedacht.

Hofmann.
Er staunt! Ein Wunder ist’s, was ihm geschieht.

Dame.
Ihr ist kein Wunder was sie vor sich sieht.

Hofmann.

6520
Mit Anstand kehrt sie sich zu ihm herum.


Dame.
Ich merke schon sie nimmt ihn in die Lehre;
In solchem Fall sind alle Männer dumm,
Er glaubt wohl auch daß er der erste wäre.

Ritter.
Laßt mir sie gelten! Majestätisch fein! –

Dame.

6525
Die Buhlerin! Das nenn’ ich doch gemein!


Page.
Ich möchte wohl an seiner Stelle seyn!

Hofmann.
Wer würde nicht in solchem Netz gefangen?

Dame.
Das Kleinod ist durch manche Hand gegangen,
Auch die Verguldung ziemlich abgebraucht.

Andre.

6530
Vom zehnten Jahr an hat sie nichts getaugt.
[90]
Ritter.

Gelegentlich nimmt jeder sich das Beste;
Ich hielte mich an diese schönen Reste.

Gelahrter.
Ich seh’ sie deutlich, doch gesteh’ ich frei,
Zu zweifeln ist ob sie die rechte sey.

6535
Die Gegenwart verführt in’s Uebertriebne,

Ich halte mich vor allem an’s Geschriebne.
Da les’ ich denn: sie habe wirklich allen
Graubärten Troja’s sonderlich gefallen;
Und wie mich dünkt, vollkommen paßt das hier,

6540
Ich bin nicht jung und doch gefällt sie mir.


Astrolog.
Nicht Knabe mehr! Ein kühner Heldenmann
Umfaßt er sie, die kaum sich wehren kann.
Gestärkten Arms hebt er sie hoch empor,
Entführt er sie wohl gar?

Faust.
 Verwegner Thor!

6545
Du wagst! Du hörst nicht! halt! das ist zu viel.


Mephistopheles.
Machst du’s doch selbst das Fratzengeisterspiel!

Astrolog.
Nur noch ein Wort! Nach allem was geschah

Nenn ich das Stück: den Raub der Helena.
[91]
Faust.

Was Raub! Bin ich für nichts an dieser Stelle!

6550
Ist dieser Schlüssel nicht in meiner Hand!

Er führte mich, durch Graus und Wog’ und Welle
Der Einsamkeiten, her zum festen Stand.
Hier faß ich Fuß! Hier sind es Wirklichkeiten,
Von hier aus darf der Geist mit Geistern streiten,

6555
Das Doppelreich, das große, sich bereiten.

So fern sie war, wie kann sie näher seyn!
Ich rette sie und sie ist doppelt mein.
Gewagt! Ihr Mütter! Mütter müßt’s gewähren!
Wer sie erkennt der darf sie nicht entbehren.

Astrolog.

6560
Was thust du Fauste! Fauste! – Mit Gewalt

Faßt er sie an, schon trübt sich die Gestalt.
Den Schlüssel kehrt er nach dem Jüngling zu,
Berührt ihn! – Weh uns, Wehe! Nu! im Nu!
(Explosion, Faust liegt am Boden. Die Geister gehen in Dunst auf.)

Mephistopheles
(der Fausten auf die Schulter nimmt).
Da habt ihr’s nun! mit Narren sich beladen

6565
Das kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden.
(Finsterniß, Tumult.)

[92]
Zweyter Act.

Hochgewölbtes, enges, gothisches Zimmer, ehemals Faustens, unverändert.

Mephistopheles

(hinter einem Vorhang hervortretend. Indem er ihn aufhebt und zurücksieht, erblickt man Fausten hingestreckt auf einem altväterischen Bette).
Hier lieg’, Unseliger! verführt
Zu schwergelös’tem Liebesbande!
Wen Helena paralysirt
Der kommt so leicht nicht zu Verstande.
(Sich umschauend.)

6570
Blick’ ich hinauf, hierher, hinüber,

Allunverändert ist es, unversehrt;
Die bunten Scheiben sind, so dünkt mich, trüber,
Die Spinneweben haben sich vermehrt;
Die Dinte starrt, vergilbt ist das Papier;

6575
Doch alles ist am Platz geblieben;

Sogar die Feder liegt noch hier,

Mit welcher Faust dem Teufel sich verschrieben.
[93]
Ja! tiefer in dem Rohre stockt

Ein Tröpflein Blut, wie ich’s ihm abgelockt.

6580
Zu einem solchen einzigen Stück

Wünscht’ ich dem größten Sammler Glück.
Auch hängt der alte Pelz am alten Haken,
Erinnert mich an jene Schnaken
Wie ich den Knaben einst belehrt,

6585
Woran er noch vielleicht als Jüngling zehrt.

Es kommt mir wahrlich das Gelüsten,
Rauhwarme Hülle, dir vereint,
Mich als Docent noch einmal zu erbrüsten,
Wie man so völlig recht zu haben meint.

6590
Gelehrte wissen’s zu erlangen,

Dem Teufel ist es längst vergangen.
(Er schüttelt den herabgenommenen Pelz, Cicaden, Käfer und Farfarellen fahren heraus.)

Chor der Insecten.
     Willkommen! willkommen
     Du alter Patron,
     Wir schweben und summen

6595
     Und kennen dich schon.

     Nur einzeln im Stillen
     Du hast uns gepflanzt,
     Zu Tausenden kommen wir,
     Vater, getanzt.

6600
     Der Schalk in dem Busen

     Verbirgt sich so sehr,
     Vom Pelze die Läuschen

     Enthüllen sich eh’r.
[94]

Mephistopheles.
Wie überraschend mich die junge Schöpfung freut!

6605
Man säe nur, man erntet mit der Zeit.

Ich schüttle noch einmal den alten Flaus,
Noch eines flattert hier und dort hinaus. –
Hinauf! umher! in hunderttausend Ecken
Eilt euch ihr Liebchen zu verstecken.

6610
Dort wo die alten Schachteln stehn,

Hier im bebräunten Pergamen,
In staubigen Scherben alter Töpfe,
Dem Hohlaug’ jener Todtenköpfe.
In solchem Wust und Moderleben

6615
Muß es für ewig Grillen geben.

(Schlüpft in den Pelz.)
Komm, decke mir die Schultern noch einmal!
Heut bin ich wieder Prinzipal.
Doch hilft es nichts mich so zu nennen,
Wo sind die Leute die mich anerkennen!
(Er zieht die Glocke die einen gellenden, durchdringenden Ton erschallen läßt, wovon die Hallen erbeben und die Thüren aufspringen.)

Famulus
(den langen finstern Gang herwankend).

6620
Welch ein Tönen! welch ein Schauer!

Treppe schwankt, es bebt die Mauer;
Durch der Fenster buntes Zittern
Seh’ ich wetterleuchtend Wittern.
Springt das Estrich, und von Oben

6625
Rieselt Kalk und Schutt verschoben.
[95]
Und die Thüre, fest verriegelt,

Ist durch Wunderkraft entsiegelt. –
Dort! Wie fürchterlich! Ein Riese
Steht in Faustens altem Vließe!

6630
Seinen Blicken, seinem Winken,

Mögt’ ich in die Kniee sinken.
Soll ich fliehen? Soll ich stehn?
Ach wie wird es mir ergehn!

Mephistopheles (winkend).
Heran, mein Freund! – Ihr heißet Nicodemus.

Famulus.

6635
Hochwürdiger Herr! so ist mein Nam’ – Oremus.


Mephistopheles.
Das lassen wir!

Famulus.
 Wie froh! daß ihr mich kennt.

Mephistopheles.
Ich weiß es wohl, bejahrt und noch Student,
Bemooster Herr! Auch ein gelehrter Mann
Studirt so fort, weil er nicht anders kann.

6640
So baut man sich ein mäßig Kartenhaus,

Der größte Geist baut’s doch nicht völlig aus.
Doch euer Meister, das ist ein Beschlagner:
Wer kennt ihn nicht den edlen Doctor Wagner,
Den ersten jetzt in der gelehrten Welt!

6645
Er ist’s allein der sie zusammenhält,

Der Weisheit täglicher Vermehrer.

Allwißbegierige Horcher, Hörer
[96]
Versammeln sich um ihn zu Hauf.

Er leuchtet einzig vom Katheder;

6650
Die Schlüssel übt er wie Sanct Peter,

Das Untre so das Obre schließt er auf.
Wie er vor Allen glüht und funkelt,
Kein Ruf, kein Ruhm hält weiter Stand;
Selbst Faustus Name wird verdunkelt,

6655
Er ist es, der allein erfand.


Famulus.
Verzeiht! Hochwürdiger Herr! wenn ich euch sage,
Wenn ich zu widersprechen wage:
Von allem dem ist nicht die Frage;
Bescheidenheit ist sein beschieden Theil.

6660
In’s unbegreifliche Verschwinden

Des hohen Manns weiß er sich nicht zu finden;
Von dessen Wiederkunft erfleht er Trost und Heil.
Das Zimmer, wie zu Doctor Faustus Tagen,
Noch unberührt seitdem er fern,

6665
Erwartet seinen alten Herrn.

Kaum wag’ ich’s mich hereinzuwagen.
Was muß die Sternenstunde seyn? –
Gemäuer scheint mir zu erbangen;
Thürpfosten bebten, Riegel sprangen,

6670
Sonst kamt ihr selber nicht herein.


Mephistopheles.
Wo hat der Mann sich hingethan?

Führt mich zu ihm, bringt ihn heran.
[97]
Famulus.

Ach! sein Verbot ist gar zu scharf,
Ich weiß nicht ob ich’s wagen darf.

6675
Monate lang, des großen Werkes willen,

Lebt’ er im allerstillsten Stillen.
Der zarteste gelehrter Männer
Er sieht aus wie ein Kohlenbrenner,
Geschwärzt vom Ohre bis zur Nasen,

6680
Die Augen roth vom Feuerblasen;

So lechzt er jedem Augenblick,
Geklirr der Zange gibt Musik.

Mephistopheles.
Sollt’ er den Zutritt mir verneinen?
Ich bin der Mann das Glück ihm zu beschleunen.
(Der Famulus geht ab, Mephistopheles setzt sich gravitätisch nieder.)

6685
Kaum hab’ ich Posto hier gefaßt

Regt sich dort hinten, mir bekannt, ein Gast.
Doch dießmal ist er von den Neusten;
Er wird sich gränzenlos erdreusten.

Baccalaureus
(den Gang herstürmend).
     Thor und Thüre find’ ich offen!

6690
     Nun, da läßt sich endlich hoffen,

     Daß nicht, wie bisher, im Moder,
     Der Lebendige wie ein Todter
     Sich verkümm’re, sich verderbe,

     Und am Leben selber sterbe.
[98]
6695
Diese Mauern, diese Wände

Neigen, senken sich zum Ende;
Und wenn wir nicht bald entweichen
Wird uns Fall und Sturz erreichen.
Bin verwegen, wie nicht einer,

6700
Aber weiter bringt mich keiner.


Doch was soll ich heut erfahren!
War’s nicht hier, vor so viel Jahren,
Wo ich, ängstlich und beklommen,
War als guter Fuchs gekommen?

6705
Wo ich diesen Bärtigen traute,

Mich an ihrem Schnack erbaute.

Aus den alten Bücherkrusten
Logen sie mir was sie wußten;
Was sie wußten selbst nicht glaubten,

6710
Sich und mir das Leben raubten.

Wie? – Dort hinten in der Zelle
Sitzt noch Einer dunkel-helle!

Nahend seh’ ich’s mit Erstaunen,
Sitzt er noch im Pelz, dem braunen,

6715
Wahrlich wie ich ihn verließ,

Noch gehüllt im rauhen Vließ!
Damals schien er zwar gewandt,
Als ich ihn noch nicht verstand.
Heute wird es nichts verfangen,

6720
Frisch an ihn herangegangen!
[99]
Wenn, alter Herr, nicht Lethes trübe Fluthen

Das schiefgesenkte, kahle Haupt durchschwommen,
Seht anerkennend hier den Schüler kommen,
Entwachsen akademischen Ruthen.

6725
Ich find’ euch noch wie ich euch sah;

Ein Andrer bin ich wieder da.

Mephistopheles.
Mich freut daß ich euch hergeläutet.
Ich schätzt’ euch damals nicht gering;
Die Raupe schon, die Chrysalide deutet

6730
Den künftigen bunten Schmetterling.

Am Lockenkopf und Spitzenkragen
Empfandet ihr ein kindliches Behagen. –
Ihr trugt wohl niemals einen Zopf? –
Heut schau’ ich Euch im Schwedenkopf.

6735
Ganz resolut und wacker seht ihr aus,

Kommt nur nicht absolut nach Haus.

Baccalaureus.
Mein alter Herr! Wir sind am alten Orte;
Bedenkt jedoch erneuter Zeiten Lauf
Und sparet doppelsinnige Worte;

6740
Wir passen nun ganz anders auf.

Ihr hänseltet den guten treuen Jungen;
Das ist euch ohne Kunst gelungen,
Was heut zu Tage niemand wagt.

Mephistopheles.
Wenn man der Jugend reine Wahrheit sagt,

6745
Die gelben Schnäbeln keineswegs behagt,
[100]
Sie aber hinter drein nach Jahren

Das alles derb an eigner Haut erfahren,
Dann dünkeln sie, es käm’ aus eignem Schopf;
Da heißt es denn: der Meister war ein Tropf.

Baccalaureus.

6750
Ein Schelm vielleicht! – denn welcher Lehrer spricht

Die Wahrheit uns direct in’s Angesicht?
Ein jeder weiß zu mehren wie zu mindern,
Bald ernst, bald heiter klug, zu frommen Kindern.

Mephistopheles.
Zum Lernen gibt es freilich eine Zeit;

6755
Zum Lehren seyd ihr, merk’ ich, selbst bereit.

Seit manchen Monden, einigen Sonnen,
Erfahrungsfülle habt ihr wohl gewonnen.

Baccalaureus.
Erfahrungswesen! Schaum und Dust!
Und mit dem Geist nicht ebenbürtig.

6760
Gesteht! was man von je gewußt

Es ist durchaus nicht wissenswürdig.

Mephistopheles (nach einer Pause).
Mich däucht es längst. Ich war ein Thor,
Nun komm’ ich mir recht schaal und albern vor.

Baccalaureus.
Das freut mich sehr! Da hör’ ich doch Verstand;

6765
Der erste Greis, den ich vernünftig fand!


Mephistopheles.
Ich suchte nach verborgen-goldnem Schatze,

Und schauerliche Kohlen trug ich fort.
[101]
Baccalaureus.

Gesteht nur, euer Schädel, eure Glatze
Ist nicht mehr werth als jene hohlen dort?

Mephistopheles (gemüthlich).

6770
Du weißt wohl nicht, mein Freund, wie grob du bist?


Baccalaureus.
Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.

Mephistopheles
(der mit seinem Rollstuhle immer näher in’s Proscenium rückt, zum Parterre).
Hier oben wird mir Licht und Luft benommen,
Ich finde wohl bei euch ein Unterkommen?

Baccalaureus.
Anmaßlich find’ ich, daß zur schlechtsten Frist

6775
Man etwas seyn will, wo man nichts mehr ist.

Des Menschen Leben lebt im Blut, und wo
Bewegt das Blut sich wie im Jüngling so?
Das ist lebendig Blut in frischer Kraft,
Das neues Leben sich aus Leben schafft.

6780
Da regt sich alles, da wird was gethan,

Das Schwache fällt, das Tüchtige tritt heran.
Indessen wir die halbe Welt gewonnen
Was habt ihr denn gethan? genickt, gesonnen,
Geträumt, erwogen, Plan und immer Plan.

6785
Gewiß! das Alter ist ein kaltes Fieber

Im Frost von grillenhafter Noth;
Hat einer dreyßig Jahr’ vorüber,
So ist er schon so gut wie todt.

Am besten wär’s, euch zeitig todtzuschlagen.
[102]
Mephistopheles.
6790
Der Teufel hat hier weiter nichts zu sagen.


Baccalaureus.
Wenn ich nicht will, so darf kein Teufel seyn.

Mephistopheles (abseits).
Der Teufel stellt dir nächstens doch ein Bein.

Baccalaureus.
Dieß ist der Jugend edelster Beruf!
Die Welt sie war nicht eh’ ich sie erschuf;

6795
Die Sonne führt’ ich aus dem Meer herauf;

Mit mir begann der Mond des Wechsels Lauf;
Da schmückte sich der Tag auf meinen Wegen,
Die Erde grünte, blühte mir entgegen.
Auf meinen Wink, in jener ersten Nacht,

6800
Entfaltete sich aller Sterne Pracht.

Wer, außer mir, entband euch aller Schranken
Philisterhaft einklemmender Gedanken?
Ich aber frei, wie mir’s im Geiste spricht,
Verfolge froh mein innerliches Licht,

6805
Und wandle rasch, im eigensten Entzücken,

Das Helle vor mir, Finsterniß im Rücken.
(Ab.)

Mephistopheles.
Original fahr’ hin in deiner Pracht! –
Wie würde dich die Einsicht kränken:
Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken

6810
Das nicht die Vorwelt schon gedacht? –
[103]
Doch sind wir auch mit diesem nicht gefährdet,

In wenig Jahren wird es anders seyn:
Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet,
Es gibt zuletzt doch noch n’ Wein.
(Zu dem jüngern Parterre das nicht applaudirt.)

6815
Ihr bleibt bei meinem Worte kalt,

Euch guten Kindern laß ich’s gehen;
Bedenkt: der Teufel der ist alt,

So werdet alt, ihn zu verstehen!




Laboratorium
im Sinne des Mittelalters, weitläufige, unbehülfliche Apparate,
zu phantastischen Zwecken.




Wagner (am Herde).

Die Glocke tönt, die fürchterliche

6820
Durchschauert die berußten Mauern,

Nicht länger kann das Ungewisse
Der ernstesten Erwartung dauern.
Schon hellen sich die Finsternisse;
Schon in der innersten Phiole

6825
Erglüht es wie lebendige Kohle,

Ja wie der herrlichste Karfunkel,
Verstrahlend Blitze durch das Dunkel.
Ein helles weißes Licht erscheint!
O daß ich’s dießmal nicht verliere! –

6830
Ach Gott! was rasselt an der Thüre?
[104]
Mephistopheles (eintretend).

Willkommen! es ist gut gemeint.

Wagner (ängstlich).
Willkommen! zu dem Stern der Stunde.
(Leise.)
Doch haltet Wort und Athem fest im Munde,
Ein herrlich Werk ist gleich zu Stand gebracht.

Mephistopheles (leiser).

6835
Was gibt es denn?


Wagner (leiser).
 Es wird ein Mensch gemacht.

Mephistopheles.
Ein Mensch? Und welch verliebtes Paar
Habt ihr in’s Rauchloch eingeschlossen?

Wagner.
Behüte Gott! wie sonst das Zeugen Mode war
Erklären wir für eitel Possen.

6840
Der zarte Punct aus dem das Leben sprang,

Die holde Kraft die aus dem Innern drang
Und nahm und gab, bestimmt sich selbst zu zeichnen,
Erst Nächstes, dann sich Fremdes anzueignen,
Die ist von ihrer Würde nun entsetzt;

6845
Wenn sich das Thier noch weiter dran ergötzt,

So muß der Mensch mit seinen großen Gaben
Doch künftig reinern, höhern Ursprung haben.
(Zum Herd gewendet.)
Es leuchtet! seht! – Nun läßt sich wirklich hoffen,

Daß, wenn wir aus viel hundert Stoffen
[105]
6850
Durch Mischung – denn auf Mischung kommt es an –

Den Menschenstoff gemächlich componiren,
In einen Kolben verlutiren
Und ihn gehörig cohobiren,
So ist das Werk im Stillen abgethan.
(Wieder zum Herd gewendet.)

6855
Es wird! die Masse regt sich klarer!

Die Ueberzeugung wahrer, wahrer!
Was man an der Natur Geheimnißvolles pries,
Das wagen wir verständig zu probiren,
Und was sie sonst organisiren ließ,

6860
Das lassen wir krystallisiren.


Mephistopheles.
Wer lange lebt hat viel erfahren,
Nichts Neues kann für ihn auf dieser Welt geschehn;
Ich habe schon, in meinen Wanderjahren,
Krystallisirtes Menschenvolk gesehn.

Wagner
(bisher immer aufmerksam auf die Phiole).

6865
Es steigt, es blitzt, es häuft sich an,

Im Augenblick ist es gethan!
Ein großer Vorsatz scheint im Anfang toll;
Doch wollen wir des Zufalls künftig lachen,
Und so ein Hirn, das trefflich denken soll,

6870
Wird künftig auch ein Denker machen.
(Entzückt die Phiole betrachtend.)
[106]
Das Glas erklingt von lieblicher Gewalt,

Es trübt, es klärt sich; also muß es werden!
Ich seh’ in zierlicher Gestalt
Ein artig Männlein sich gebärden.

6875
Was wollen wir, was will die Welt nun mehr?

Denn das Geheimniß liegt am Tage:
Gebt diesem Laute nur Gehör,
Er wird zur Stimme, wird zur Sprache.

Homunculus
(in der Phiole zu Wagner).
Nun Väterchen! wie steht’s? es war kein Scherz!

6880
Komm, drücke mich recht zärtlich an dein Herz!

Doch nicht zu fest, damit das Glas nicht springe.
Das ist die Eigenschaft der Dinge:
Natürlichem genügt das Weltall kaum,
Was künstlich ist, verlangt geschloss’nen Raum.
(Zu Mephistopheles.)

6885
Du aber Schalk, Herr Vetter, bist du hier?

Im rechten Augenblick, ich danke dir.
Ein gut Geschick führt dich zu uns herein;
Dieweil ich bin, muß ich auch thätig seyn.
Ich möchte mich sogleich zur Arbeit schürzen,

6890
Du bist gewandt die Wege mir zu kürzen.


Wagner.
Nur noch ein Wort! bisher mußt’ ich mich schämen,
Denn Alt und Jung bestürmt mich mit Problemen.
Zum Beispiel nur: noch niemand konnt’ es fassen

Wie Seel’ und Leib so schön zusammenpassen,
[107]
6895
So fest sich halten als um nie zu scheiden,

Und doch den Tag sich immerfort[1] verleiden.
Sodann –

Mephistopheles.
 Halt ein! ich wollte lieber fragen:
Warum sich Mann und Frau so schlecht vertragen?
Du kommst, mein Freund, hierüber nie in’s Reine.

6900
Hier gibt’s zu thun, das eben will der Kleine.


Homunculus.
Was gibt’s zu thun?

Mephistopheles
(auf eine Seitenthüre deutend).
 Hier zeige deine Gabe!

Wagner
(immer in die Phiole schauend).
Fürwahr, du bist ein allerliebster Knabe!
(Die Seitenthür öffnet sich, man sieht Faust au[f] dem Lager hingestreckt.)

Homunculus (erstaunt).
Bedeutend! –
(Die Phiole entschlüpft aus Wagners Händen, schwebt über Faust und beleuchtet ihn.)
 Schön umgeben! – Klar Gewässer
Im dichten Haine, Frau’n, die sich entkleiden;

6905
Die allerliebsten! – das wird immer besser.
Doch eine läßt sich glänzend unterscheiden,
[108]
Aus höchstem Helden-, wohl aus Götterstamme.

Sie setzt den Fuß in das durchsichtige Helle;
Des edlen Körpers holde Lebensflamme

6910
Kühlt sich im schmiegsamen Krystall der Welle. –

Doch welch Getöse rasch bewegter Flügel,
Welch Sausen, Plätschern wühlt im glatten Spiegel?
Die Mädchen fliehn verschüchtert; doch allein
Die Königin sie blickt gelassen drein,

6915
Und sieht, mit stolzem, weiblichem Vergnügen,

Der Schwäne Fürsten ihrem Knie sich schmiegen,
Zudringlich zahm. Er scheint sich zu gewöhnen. –
Auf einmal aber steigt ein Dunst empor,
Und deckt mit dichtgewebtem Flor

6920
Die lieblichste von allen Scenen.


Mephistopheles.
Was du nicht alles zu erzählen hast!
So klein du bist, so groß bist du Phantast.
Ich sehe nichts –

Homunculus.
 Das glaub’ ich. Du aus Norden,
Im Nebelalter jung geworden,

6925
Im Wust von Ritterthum und Pfäfferey,

Wo wäre da dein Auge frei!
Im Düstern bist du nur zu Hause.
(Umherschauend.)
Verbräunt Gestein, bemodert, widrig,
Spitzbögig, schnörkelhaftest, niedrig! –

6930
Erwacht uns dieser, gibt es neue Noth,
Er bleibt gleich auf der Stelle todt.
[109]
Waldquellen, Schwäne, nackte Schönen,

Das war sein ahnungsvoller Traum;
Wie wollt’ er sich hierher gewöhnen!

6935
Ich, der bequemste, duld’ es kaum.

Nun fort mit ihm.

Mephistopheles.
 Der Ausweg soll mich freuen.

Homunculus.
Befiehl den Krieger in die Schlacht,
Das Mädchen führe du zum Reihen,
So ist gleich alles abgemacht.

6940
Jetzt eben, wie ich schnell bedacht,

Ist classische Walpurgisnacht;
Das Beste was begegnen könnte
Bringt ihn zu seinem Elemente.

Mephistopheles.
Dergleichen hab’ ich nie vernommen.

Homunculus.

6945
Wie wollt’ es auch zu euren Ohren kommen?

Romantische Gespenster kennt ihr nur allein,
Ein ächt Gespenst auch classisch hat’s zu seyn.

Mephistopheles.
Wohin denn aber soll die Fahrt sich regen?
Mich widern schon antikische Collegen.

Homunculus.

6950
Nordwestlich, Satan, ist dein Lustrevier;
Südöstlich dießmal aber segeln wir –
[110]
An großer Fläche fließt Peneios frei,

Umbuscht, umbaumt, in still’ und feuchten Buchten;
Die Ebne dehnt sich zu der Berge Schluchten, –

6955
Und oben liegt Pharsalus alt und neu.


Mephistopheles.
O weh! hinweg! und laßt mir jene Streite
Von Tyranney und Sklaverey bei Seite.
Mich langeweilt’s; denn kaum ist’s abgethan,
So fangen sie von vorne wieder an;

6960
Und keiner merkt: er ist doch nur geneckt

Vom Asmodeus der dahinter steckt.
Sie streiten sich, so heißt’s, um Freiheitsrechte,
Genau besehn sind’s Knechte gegen Knechte.

Homunculus.
Den Menschen laß ihr widerspenstig Wesen,

6965
Ein jeder muß sich wehren wie er kann,

Vom Knaben auf, so wird’s zuletzt ein Mann.
Hier fragt sich’s nur wie dieser kann genesen?
Hast du ein Mittel so erprob’ es hier,
Vermagst du’s nicht, so überlaß es mir.

Mephistopheles.

6970
Manch Brockenstückchen wäre durchzuproben,

Doch Heidenriegel find’ ich vorgeschoben.
Das Griechenvolk es taugte nie recht viel!
Doch blendet’s euch mit freiem Sinnen-Spiel,
Verlockt des Menschen Brust zu heitern Sünden,

6975
Die unsern wird man immer düster finden.
Und nun was soll’s?
[111]
Homunculus.

 Du bist ja sonst nicht blöde;
Und wenn ich von Thessalischen Hexen rede,
So denk’ ich hab’ ich was gesagt.

Mephistopheles (lüstern).
Thessalische Hexen! Wohl! das sind Personen

6980
Nach denen hab’ ich lang’ gefragt.

Mit ihnen Nacht für Nacht zu wohnen
Ich glaube nicht daß es behagt;
Doch zum Besuch, Versuch, –

Homunculus.
 Den Mantel her,
Und um den Ritter umgeschlagen!

6985
Der Lappen wird euch, wie bisher,

Den einen mit dem andern tragen,
Ich leuchte vor.

Wagner (ängstlich).
 Und ich?

Homunculus.
 Eh nun,
Du bleibst zu Hause Wichtigstes zu thun.
Entfalte du die alten Pergamente,

6990
Nach Vorschrift sammle Lebens-Elemente

Und füge sie mit Vorsicht eins an’s andre.
Das Was bedenke, mehr bedenke Wie?
Indessen ich ein Stückchen Welt durchwandre

Entdeck’ ich wohl das Tüpfchen auf das I.
[112]
6995
Dann ist der große Zweck erreicht;

Solch einen Lohn verdient ein solches Streben:
Gold, Ehre, Ruhm, gesundes langes Leben,
Und Wissenschaft und Tugend – auch vielleicht.
Leb’ wohl!

Wagner (betrübt).
 Leb’ wohl! Das drückt das Herz mir nieder.

7000
Ich fürchte schon ich seh’ dich niemals wieder.


Mephistopheles.
Nun zum Peneios frisch hinab,
Herr Vetter ist nicht zu verachten.
(Ad Spectatores.)
Am Ende hängen wir doch ab

Von Creaturen die wir machten.




Classische Walpurgisnacht.




Pharsalische Felder.
Finsterniß.




Erichtho.
7005
Zum Schauderfeste dieser Nacht, wie öfter schon,

Tret’ ich einher, Erichtho, ich die düstre;
Nicht so abscheulich wie die leidigen Dichter mich
Im Uebermaß verlästern… Endigen sie doch nie

In Lob und Tadel… Ueberbleicht erscheint mir schon
[113]
7010
Von grauer Zelten Woge weit das Thal dahin,

Als Nachgesicht der sorg- und grauenvollsten Nacht.
Wie oft schon wiederholt sich’s! Wird sich immerfort
In’s Ewige wiederholen… Keiner gönnt das Reich
Dem Andern, dem gönnt’s keiner der’s mit Kraft erwarb

7015
Und kräftig herrscht. Denn jeder, der sein innres Selbst

Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern
Des Nachbars Willen, eignem stolzem Sinn gemäß…
Hier aber ward ein großes Beispiel durchgekämpft:
Wie sich Gewalt Gewaltigerm entgegenstellt,

7020
Der Freiheit holder, tausendblumiger Kranz zerreißt,

Der starre Lorbeer sich um’s Haupt des Herrschers biegt.
Hier träumte Magnus früher Größe Blüthentag,
Dem schwanken Zünglein lauschend wachte Cäsar dort!
Das wird sich messen. Weiß die Welt doch wem’s gelang.

7025
Wachfeuer glühen, rothe Flammen spendende;

Der Boden haucht vergoss’nen Blutes Wiederschein,
Und angelockt von seltnem Wunderglanz der Nacht,
Versammelt sich hellenischer Sage Legion.
Um alle Feuer schwankt unsicher, oder sitzt

7030
Behaglich, alter Tage fabelhaft Gebild…

Der Mond, zwar unvollkommen, aber leuchtend hell,
Erhebt sich, milden Glanz verbreitend überall;
Der Zelten Trug verschwindet, Feuer brennen blau.

Doch, über mir! welch unerwartet Meteor?

7035
Es leuchtet und beleuchtet körperlichen Ball.
Ich wittre Leben. Da geziemen will mir’s nicht
[114]
Lebendigem zu nahen, dem ich schädlich bin;

Das bringt mir bösen Ruf und frommt mir nicht.
Schon sinkt es nieder. Weich’ ich aus mit Wohlbedacht.
(Entfernt sich.)
(Die Luftfahrer oben.)

Homunculus.

7040
     Schwebe noch einmal die Runde

     Ueber Flamm- und Schaudergrauen;
     Ist es doch in Thal und Grunde,
     Gar gespenstisch anzuschauen.

Mephistopheles.
     Seh’ ich, wie durch’s alte Fenster,

7045
     In des Nordens Wust und Graus

     Ganz abscheuliche Gespenster;
     Bin ich hier wie dort zu Haus.

Homunculus.
     Sieh! da schreitet eine Lange
     Weiten Schrittes vor uns hin.

Mephistopheles.

7050
     Ist es doch als wär’ ihr bange,

     Sah uns durch die Lüfte ziehn.

Homunculus.
     Laß sie schreiten! setz’ ihn nieder
     Deinen Ritter, und sogleich
     Kehret ihm das Leben wieder,

7055
     Denn er sucht’s im Fabelreich.


Faust (den Boden berührend).

Wo ist sie? –
[115]
Homunculus.

 Wüßten’s nicht zu sagen,
Doch hier wahrscheinlich zu erfragen.
In Eile magst du, eh’ es tagt,
Von Flamm’ zu Flamme spürend gehen:

7060
Wer zu den Müttern sich gewagt

Hat weiter nichts zu überstehen.

Mephistopheles.
Auch ich bin hier an meinem Theil;
Doch wüßt’ ich bess’res nicht zu unserm Heil,
Als: jeder möge durch die Feuer

7065
Versuchen sich sein eigen Abenteuer.

Dann, um uns wieder zu vereinen,
Laß deine Leuchte, Kleiner, tönend scheinen.

Homunculus.
So soll es blitzen, soll es klingen.
(Das Glas dröhnt und leuchtet gewaltig.)
Nun frisch zu neuen Wunderdingen!

Faust (allein).

7070
Wo ist sie? – Frage jetzt nicht weiter nach…

Wär’s nicht die Scholle die sie trug,
Die Welle nicht die ihr entgegen schlug,
So ist’s die Luft die ihre Sprache sprach.
Hier! durch ein Wunder, hier in Griechenland!

7075
Ich fühlte gleich den Boden wo ich stand.

Wie mich, den Schläfer, frisch ein Geist durchglühte,

So steh’ ich, ein Antäus an Gemüthe.
[116]
Und find’ ich hier das Seltsamste beisammen,

Durchforsch’ ich ernst dieß Labyrinth der Flammen.
(Entfernt sich.)

Mephistopheles (umherspürend).

7080
Und wie ich diese Feuerchen durchschweife,

So find’ ich mich doch ganz und gar entfremdet,
Fast alles nackt, nur hie und da behemdet:
Die Sphinxe schamlos, unverschämt die Greife,
Und was nicht alles, lockig und beflügelt,

7085
Von vorn und hinten sich im Auge spiegelt…

Zwar sind auch wir von Herzen unanständig,
Doch das Antike find’ ich zu lebendig;
Das müßte man mit neustem Sinn bemeistern
Und mannichfaltig modisch überkleistern…

7090
Ein widrig Volk! doch darf mich’s nicht verdrießen

Als neuer Gast anständig sie zu grüßen…
Glück zu! den schönen Frau’n, den klugen Greisen.

Greif (schnarrend).
Nicht Greisen! Greifen! – Niemand hört es gern
Daß man ihn Greis nennt. Jedem Worte klingt

7095
Der Ursprung nach wo es sich her bedingt:

Grau, grämlich, griesgram, gräulich, Gräber, grimmig,
Etymologisch gleicherweise stimmig,
Verstimmen uns.

Mephistopheles.
 Und doch, nicht abzuschweifen,

Gefällt das Grei im Ehrentitel Greifen.
[117]
Greif

(wie oben und immer so fort).

7100
Natürlich! die Verwandtschaft ist erprobt,

Zwar oft gescholten, mehr jedoch gelobt;
Man greife nun nach Mädchen, Kronen, Gold,
Dem Greifenden ist meist Fortuna hold.

Ameisen
(von der kolossalen Art).
Ihr sprecht von Gold, wir hatten viel gesammelt,

7105
In Fels und Höhlen heimlich eingerammelt;

Das Arimaspen-Volk hat’s ausgespürt,
Sie lachen dort, wie weit sie’s weggeführt.

Greife.
Wir wollen sie schon zum Geständniß bringen.

Arimaspen.
Nur nicht in freier Jubelnacht.

7110
Bis morgen ist’s alles durchgebracht,

Es wird uns dießmal wohl gelingen.

Mephistopheles
(hat sich zwischen die Sphinxe gesetzt).
Wie leicht und gern ich mich hieher gewöhne,
Denn ich verstehe Mann für Mann.

Sphinx.
Wir hauchen unsre Geistertöne

7115
Und ihr verkörpert sie alsdann.

Jetzt nenne dich bis wir dich weiter kennen.

Mephistopheles.
Mit vielen Namen glaubt man mich zu nennen –

Sind Britten hier? Sie reisen sonst so viel,
[118]
Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen,
7120
Gestürzten Mauern, classisch dumpfen Stellen;

Das wäre hier für sie ein würdig Ziel.
Sie zeugten auch: im alten Bühnen-Spiel
Sah man mich dort als old Iniquity.

Sphinx.
Wie kam man drauf?

Mephistopheles.
 Ich weiß es selbst nicht wie.

Sphinx.

7125
Mag seyn! Hast du von Sternen einige Kunde?

Was sagst du zu der gegenwärtigen Stunde?

Mephistopheles (aufschauend).
Stern schießt nach Stern, beschnittner Mond scheint helle
Und mir ist wohl an dieser trauten Stelle,
Ich wärme mich an deinem Löwenfelle.

7130
Hinauf sich zu versteigen wär’ zum Schaden,

Gib Räthsel auf, gib allenfalls Charaden.

Sphinx.
Sprich nur dich selbst aus, wird schon Räthsel seyn.
Versuch einmal dich innigst aufzulösen:
„Dem frommen Manne nöthig wie dem bösen,

7135
Dem ein Plastron, ascetisch zu rapiren,

Cumpan dem andern, Tolles zu vollführen,
Und beydes nur, um Zeus zu amüsiren.“

Erster Greif (schnarrend).

Den mag ich nicht!
[119]
Zweyter Greif (stärker schnarrend).

 Was will uns der?

Beide.
Der Garstige gehöret nicht hierher!

Mephistopheles (brutal).

7140
Du glaubst vielleicht des Gastes Nägel krauen

Nicht auch so gut wie deine scharfen Klauen?
Versuch’s einmal

Sphinx (milde).
 Du magst nur immer bleiben,
Wird dich’s doch selbst aus unsrer Mitte treiben;
In deinem Lande thust dir was zu Gute,

7145
Doch, irr’ ich nicht, hier ist dir schlecht zu Muthe.


Mephistopheles.
Du bist recht appetitlich oben anzuschauen,
Doch unten hin, die Bestie macht mir Grauen.

Sphinx.
Du Falscher kommst zu deiner bittern Buße,
Denn unsre Tatzen sind gesund;

7150
Dir mit verschrumpftem Pferdefuße

Behagt es nicht in unserm Bund.

Sirenen (präludiren oben).

Mephistopheles.
Wer sind die Vögel in den Aesten
Der Stromes-Pappeln hingewiegt?

Sphinx.
Gewahrt euch nur! die Allerbesten

7155
Hat solch ein Sing-Sang schon besiegt.
[120]
Sirenen.

     Ach was wollt ihr euch verwöhnen
     In dem häßlich Wunderbaren!
     Horcht, wir kommen hier zu Schaaren
     Und in wohlgestimmten Tönen.

7160
     So geziemet es Sirenen.


Sphinxe
(sie verspottend in derselben Melodie).
     Nöthigt sie herabzusteigen!
     Sie verbergen in den Zweigen
     Ihre garstigen Habichtskrallen,
     Euch verderblich anzufallen,

7165
     Wenn ihr euer Ohr verleiht.


Sirenen.
     Weg! das Hassen weg! das Neiden,
     Sammeln wir die klarsten Freuden,
     Unterm Himmel ausgestreut!
     Auf dem Wasser, auf der Erde,

7170
     Sey’s die heiterste Gebärde

     Die man dem Willkommnen beut.

Mephistopheles.
Das sind die saubern Neuigkeiten
Wo aus der Kehle, von den Saiten
Ein Ton sich um den andern flicht.

7175
Das Trallern ist bei mir verloren,

Es krabbelt wohl mir um die Ohren

Allein zum Herzen dringt es nicht.
[121]
Sphinxe.

Sprich nicht vom Herzen! das ist eitel;
Ein lederner verschrumpfter Beutel

7180
Das paßt dir eher zu Gesicht.


Faust (herantretend).
Wie wunderbar! das Anschaun thut mir Gnüge,
Im Widerwärtigen große tüchtige Züge.
Ich ahne schon ein günstiges Geschick;
Wohin versetzt mich dieser ernste Blick?
(Auf die Sphinxe deutend.)

7185
Vor solchen hat einst Oedipus gestanden;

(Auf die Sirenen deutend.)
Vor solchen krümmte sich Ulyß in hänfnen Banden;
(Auf die Ameisen deutend.)
Von solchen ward der höchste Schatz gespart;
(Auf die Greife deutend.)
Von diesen treu und ohne Fehl bewahrt.
Vom frischen Geiste fühl’ ich mich durchdrungen,

7190
Gestalten groß, groß die Erinnerungen.


Mephistopheles.
Sonst hättest du dergleichen weggeflucht,
Doch jetzo scheint es dir zu frommen;
Denn wo man die Geliebte sucht
Sind Ungeheuer selbst willkommen.

Faust (zu den Sphinxen).

7195
Ihr Frauenbilder müßt mir Rede stehn:
Hat eins der Euren Helena gesehn?
[122]
Sphinxe.

Wir reichen nicht hinauf zu ihren Tagen,
Die letztesten hat Hercules erschlagen.
Von Chiron könntest du’s erfragen;

7200
Der sprengt herum in dieser Geisternacht,

Wenn er dir steht so hast du’s weit gebracht.

Sirenen.
     Sollte dir’s doch auch nicht fehlen!…
     Wie Ulyß bei uns verweilte,
     Schmähend nicht vorübereilte,

7205
     Wußt’ er vieles zu erzählen;

     Würden alles dir vertrauen,
     Wolltest du zu unsern Gauen
     Dich an’s grüne Meer verfügen.

Sphinx.
Laß dich Edler nicht betrügen.

7210
Statt daß Ulyß sich binden ließ,

Laß unsern guten Rath dich binden;
Kannst du den hohen Chiron finden,
Erfährst du was ich dir verhieß.

Faust (entfernt sich).

Mephistopheles (verdrießlich).
Was krächzt vorbei mit Flügelschlag?

7215
So schnell daß man’s nicht sehen mag,

Und immer eins dem andern nach,
Den Jäger würden sie ermüden.

Sphinx.
Dem Sturm des Winterwinds vergleichbar,

Alcides Pfeilen kaum erreichbar,
[123]
7220
Es sind die raschen Stymphaliden.

Und wohlgemeint ihr Krächzegruß,
Mit Geyerschnabel und Gänsefuß.
Sie möchten gern in unsern Kreisen
Als Stammverwandte sich erweisen.

Mephistopheles
(wie verschüchtert).

7225
Noch andres Zeug zischt zwischen drinn.


Sphinx.
Vor diesen sey euch ja nicht bange,
Es sind die Köpfe der Lernäischen Schlange,
Vom Rumpf getrennt und glauben was zu seyn. –
Doch sagt was soll nur aus euch werden?

7230
Was für unruhige Gebärden?

Wo wollt ihr hin? Begebt euch fort! ..
Ich sehe, jener Chorus dort
Macht euch zum Wendehals. Bezwingt euch nicht,
Geht hin! begrüßt manch reizendes Gesicht.

7235
Die Lamien sind’s, lustfeine Dirnen,

Mit Lächelmund und frechen Stirnen
Wie sie dem Satyrvolk behagen;
Ein Bocksfuß darf dort alles wagen.

Mephistopheles.
Ihr bleibt doch hier? daß ich euch wiederfinde.

Sphinx.

7240
Ja! Mische dich zum luftigen Gesinde.

Wir, von Egypten her, sind längst gewohnt

Daß unsereins in tausend Jahre thront.
[124]
Und respectirt nur unsre Lage,

So regeln wir die Mond- und Sonnentage.

7245
     Sitzen vor den Pyramiden,

     Zu der Völker Hochgericht,
     Ueberschwemmung, Krieg und Frieden –

     Und verziehen kein Gesicht.




Peneios
umgeben von Gewässern und Nymphen.




Peneios.

Rege dich du Schilfgeflüster!

7250
Hauche leise Rohrgeschwister,

Säuselt leichte Weidensträuche,
Lispelt Pappelzitterzweige
Unterbrochnen Träumen zu!
Weckt mich doch ein grauslich Wittern,

7255
Heimlich allbewegend Zittern

Aus dem Wallestrom und Ruh.

Faust
(an dem Fluß tretend).
Hör’ ich recht, so muß ich glauben:
Hinter den verschränkten Lauben
Dieser Zweige, dieser Stauden

7260
Tönt ein menschenähnlichs Lauten.

Scheint die Welle doch ein Schwätzen,

Lüftlein wie – ein Scherzergötzen.
[125]
Nymphen (zu Faust).

     Am besten geschäh’ dir
     Du legtest dich nieder,

7265
     Erholtest im Kühlen

     Ermüdete Glieder,
     Genössest der immer
     Dich meidenden Ruh;
     Wir säuseln, wir rieseln,

7270
     Wir flüstern dir zu.


Faust.
Ich wache ja! O laßt sie walten
Die unvergleichlichen Gestalten
Wie sie dorthin mein Auge schickt.
So wunderbar bin ich durchdrungen!

7275
Sind’s Träume? Sind’s Erinnerungen?

Schon einmal warst du so beglückt.
Gewässer schleichen durch die Frische
Der dichten, sanft bewegten Büsche,
Nicht rauschen sie, sie rieseln kaum;

7280
Von allen Seiten hundert Quellen

Vereinen sich, im reinlich hellen,
Zum Bade flach vertieften Raum.
Gesunde junge Frauenglieder
Vom feuchten Spiegel doppelt wieder

7285
Ergötztem Auge zugebracht!

Gesellig dann und fröhlich badend,
Erdreistet schwimmend, furchtsam watend;

Geschrei zuletzt und Wasserschlacht.
[126]
Begnügen sollt’ ich mich an diesen,
7290
Mein Auge sollte hier genießen,

Doch immer weiter strebt mein Sinn.
Der Blick dringt scharf nach jener Hülle,
Das reiche Laub der grünen Fülle
Verbirgt die hohe Königin.

7295
Wundersam! auch Schwäne kommen

Aus den Buchten hergeschwommen,
Majestätisch rein bewegt.
Ruhig schwebend, zart gesellig,
Aber stolz und selbstgefällig

7300
Wie sich Haupt und Schnabel regt…

Einer aber scheint vor allen
Brüstend kühn sich zu gefallen,
Segelnd rasch durch alle fort;
Sein Gefieder bläht sich schwellend,

7305
Welle selbst auf Wogen wellend,

Dringt er zu dem heiligen Ort…
Die andern schwimmen hin und wieder
Mit ruhig glänzendem Gefieder,
Bald auch in regem prächtigen Streit

7310
Die scheuen Mädchen abzulenken,

Daß sie an ihren Dienst nicht denken,
Nur an die eigne Sicherheit.

Nymphen.
     Leget Schwestern euer Ohr
     An des Ufers grüne Stufe;

7315
     Hör’ ich recht so kommt mir’s vor
     Als der Schall von Pferdes Hufe.
[127]
     Wüßt’ ich nur, wer dieser Nacht

     Schnelle Botschaft zugebracht.

Faust.
Ist mir doch als dröhnt die Erde

7320
Schallend unter eiligem Pferde.

     Dorthin mein Blick!
     Ein günstiges Geschick
     Soll es mich schon erreichen?
     O Wunder ohne Gleichen!

7325
Ein Reiter kommt herangetrabt,

Er scheint von Geist und Muth begabt,
Von blendend-weißem Pferd getragen…
Ich irre nicht, ich kenn’ ihn schon,
Der Philyra berühmter Sohn! –

7330
Halt Chiron! halt! Ich habe dir zu sagen…


Chiron.
Was gibt’s? Was ist’s?

Faust.
 Bezähme deinen Schritt!

Chiron.
Ich raste nicht.

Faust.
 So bitte! Nimm mich mit!

Chiron.
Sitz’ auf! so kann ich nach Belieben fragen:
Wohin des Wegs? Du stehst am Ufer hier,

7335
Ich bin bereit dich durch den Fluß zu tragen.


Faust (aufsitzend).

Wohin[2] du willst. Für ewig dank’ ich’s dir…
[128]
Der große Mann, der edle Pädagog,

Der, sich zum Ruhm, ein Heldenvolk erzog,
Den schönen Kreis der edlen Argonauten,

7340
Und alle die des Dichters Welt erbauten.


Chiron.
Das lassen wir an seinem Ort!
Selbst Pallas kommt als Mentor nicht zu Ehren;
Am Ende treiben sie’s nach ihrer Weise fort
Als wenn sie nicht erzogen wären.

Faust.

7345
Den Arzt der jede Pflanze nennt,

Die Wurzeln bis in’s Tiefste kennt,
Dem Kranken Heil, dem Wunden Lindrung schafft,
Umarm’ ich hier in Geist- und Körperkraft!

Chiron.
Ward neben mir ein Held verletzt,

7350
Da wußt’ ich Hülf’ und Rath zu schaffen;

Doch ließ ich meine Kunst zuletzt
Den Wurzelweibern und den Pfaffen.

Faust.
Du bist der wahre große Mann
Der Lobeswort nicht hören kann.

7355
Er sucht bescheiden auszuweichen

Und thut als gäb’ es Seinesgleichen.

Chiron.
Du scheinest mir geschickt zu heucheln,

Dem Fürsten wie dem Volk zu schmeicheln.
[129]
Faust.

So wirst du mir denn doch gestehn:

7360
Du hast die Größten deiner Zeit gesehn,

Dem Edelsten in Thaten nachgestrebt,
Halbgöttlich-ernst die Tage durchgelebt.
Doch unter den heroischen Gestalten
Wen hast du für den Tüchtigsten gehalten?

Chiron.

7365
Im hehren Argonautenkreise

War jeder brav nach seiner eignen Weise,
Und, nach der Kraft die ihn beseelte,
Konnt’ er genügen wo’s den andern fehlte.
Die Dioskuren haben stets gesiegt

7370
Wo Jugendfüll’ und Schönheit überwiegt.

Entschluß und schnelle That zu andrer Heil,
Den Boreaden ward’s zum schönen Theil.
Nachsinnend, kräftig, klug, im Rath bequem,
So herrschte Jason, Frauen angenehm.

7375
Dann Orpheus, zart und immer still bedächtig

Schlug er die Leyer Allen übermächtig.
Scharfsichtig Lynceus, der, bei Tag und Nacht,
Das heilige Schiff durch Klipp’ und Strand gebracht.
Gesellig nur läßt sich Gefahr erproben:

7380
Wenn einer wirkt, die andern alle loben.


Faust.
Von Hercules willst nichts erwähnen?

Chiron.

O weh! errege nicht mein Sehnen…
[130]
Ich hatte Phöbus nie gesehn,

Noch Ares, Hermes, wie sie heißen;

7385
Da sah ich mir vor Augen stehn

Was alle Menschen göttlich preisen.
So war er ein geborner König,
Als Jüngling herrlichst anzuschaun;
Dem ältern Bruder unterthänig

7390
Und auch den allerliebsten Fraun.

Den zweyten zeugt nicht Gäa wieder;
Nicht führt ihn Hebe himmelein;
Vergebens mühen sich die Lieder,
Vergebens quälen sie den Stein.

Faust.

7395
So sehr auch Bildner auf ihn pochen,

So herrlich kam er nie zur Schau.
Vom schönsten Mann hast du gesprochen,
Nun sprich auch von der schönsten Frau!

Chiron.
Was!… Frauen-Schönheit will nichts heißen,

7400
Ist gar zu oft ein starres Bild;

Nur solch ein Wesen kann ich preisen
Das froh und lebenslustig quillt.
Die Schöne bleibt sich selber selig;
Die Anmuth macht unwiderstehlich,

7405
Wie Helena, da ich sie trug.


Faust.
Du trugst sie?

Chiron.

 Ja, auf diesem Rücken.
[131]
Faust.

Bin ich nicht schon verwirrt genug,
Und solch ein Sitz muß mich beglücken!

Chiron.
Sie faßte so mich in das Haar

7410
Wie du es thust.


Faust.
 O ganz und gar
Verlier’ ich mich! Erzähle wie?
Sie ist mein einziges Begehren!
Woher, wohin, ach, trugst du sie?

Chiron.
Die Frage läßt sich leicht gewähren.

7415
Die Dioskuren hatten jener Zeit

Das Schwesterchen aus Räuberfaust befreit.
Doch diese, nicht gewohnt besiegt zu seyn,
Ermannten sich und stürmten hinterdrein.
Da hielten der Geschwister eiligen Lauf

7420
Die Sümpfe bei Eleusis auf;

Die Brüder wateten, ich patschte, schwamm hinüber;
Da sprang sie ab und streichelte
Die feuchte Mähne, schmeichelte
Und dankte lieblich-klug und selbstbewußt.

7425
Wie war sie reizend! jung, des Alten Lust!


Faust.
Erst sieben Jahr!…

Chiron.
 Ich seh’ die Philologen,

Sie haben dich so wie sich selbst betrogen.
[132]
Ganz eigen ist’s mit mythologischer Frau:

Der Dichter bringt sie, wie er’s braucht, zur Schau;

7430
Nie wird sie mündig, wird nicht alt,

Stets appetitlicher Gestalt,
Wird jung entführt, im Alter noch umfreit;
G’nug, den Poeten bindet keine Zeit.

Faust.
So sey auch sie durch keine Zeit gebunden!

7435
Hat doch Achill auf Pherä sie gefunden

Selbst außer aller Zeit. Welch seltnes Glück:
Errungen Liebe gegen das Geschick!
Und sollt’ ich nicht, sehnsüchtigster Gewalt,
In’s Leben ziehn die einzigste Gestalt?

7440
Das ewige Wesen, Göttern ebenbürtig,

So groß als zart, so hehr als liebenswürdig.
Du sahst sie einst, heut hab’ ich sie gesehn,
So schön wie reizend, wie ersehnt so schön.
Nun ist mein Sinn, mein Wesen streng umfangen,

7445
Ich lebe nicht, kann ich sie nicht erlangen.


Chiron.
Mein fremder Mann! als Mensch bist du entzückt;
Doch unter Geistern scheinst du wohl verrückt.
Nun trifft sich’s hier zu deinem Glücke;
Denn alle Jahr, nur wenig Augenblicke,

7450
Pfleg’ ich bei Manto vorzutreten,

Der Tochter Aesculaps; im stillen Beten
Fleht sie zum Vater: daß, zu seiner Ehre,
Er endlich doch der Aerzte Sinn verkläre

Und vom verwegnen Todtschlag sie bekehre.
[133]
7455
Die liebste mir aus der Sibyllengilde;

Nicht fratzenhaft bewegt, wohlthätig milde;
Ihr glückt es wohl, bei einigem Verweilen,
Mit Wurzelkräften dich von Grund zu heilen.

Faust.
Geheilt will ich nicht seyn! mein Sinn ist mächtig!

7460
Da wär’ ich ja wie andre niederträchtig.


Chiron.
Versäume nicht das Heil der edlen Quelle!
Geschwind herab! Wir sind zur Stelle.

Faust.
Sag’ an! Wohin hast du, in grauser Nacht,
Durch Kiesgewässer, mich an’s Land gebracht?

Chiron.

7465
Hier trotzten Rom und Griechenland im Streite,

Peneios rechts, links den Olymp zur Seite,
Das größte Reich das sich im Sand verliert.
Der König flieht, der Bürger triumphirt.
Blick’ auf! hier steht, bedeutend nah,

7470
Im Mondenschein der ewige Tempel da.


Manto
(inwendig träumend).
     Von Pferdes-Hufe
     Erklingt die heilige Stufe,
     Halbgötter treten heran.

Chiron.
     Ganz recht!

7475
     Nur die Augen aufgethan!
[134]
Manto (erwachend).

Willkommen! ich seh’ du bleibst nicht aus.

Chiron.
Steht dir doch auch dein Tempelhaus!

Manto.
Streifst du noch immer unermüdet?

Chiron.
Wohnst du doch immer still umfriedet,

7480
Indeß zu kreisen mich erfreut.


Manto.
Ich harre, mich umkreis’t die Zeit.
Und dieser?

Chiron.
 Die verruf’ne Nacht
Hat strudelnd ihn hierher gebracht.
Helenen mit verrückten Sinnen,

7485
Helenen, will er sich gewinnen,

Und weiß nicht wie und wo beginnen;
Asklepischer Cur vor andern werth.

Manto.
Den lieb’ ich, der Unmögliches begehrt.

Chiron
(ist schon weit weg).

Manto.
Tritt ein, Verwegner, sollst dich freuen!

7490
Der dunkle Gang führt zu Persephoneien.

In des Olympus hohlem Fuß

Lauscht sie geheim verbotnem Gruß.
[135]
Hier hab’ ich einst den Orpheus eingeschwärzt,

Benutz’ es besser, frisch! beherzt!

(Sie steigen hinab.)




Am obern Peneios wie zuvor.




Sirenen.
7495
Stürzt euch in Peneios Fluth!

Plätschernd ziemt es da zu schwimmen,
Lied um Lieder anzustimmen,
Dem unseligen Volk zu gut.
Ohne Wasser ist kein Heil!

7500
Führen wir mit hellem Heere

Eilig zum ägäischen Meere,

Würd’ uns jede Lust zu Theil.


Erdbeben.
Sirenen.

Schäumend kehrt die Welle wieder,
Fließt nicht mehr im Bett darnieder;

7505
Grund erbebt, das Wasser staucht,

Kies und Ufer berstend raucht.
Flüchten wir! Kommt alle, kommt!
Niemand dem das Wunder frommt.

Fort! ihr edlen frohen Gäste

7510
Zu dem seeisch heitern Feste,
[136]
Blinkend, wo die Zitterwellen,

Ufernetzend, leise schwellen;
Da wo Luna doppelt leuchtet,
Uns mit heiligem Thau befeuchtet.

7515
Dort ein freibewegtes Leben,

Hier ein ängstlich Erde-Beben;
Eile jeder Kluge fort!
Schauderhaft ist’s um den Ort.

Seismos
(in der Tiefe brummend und polternd).
Einmal noch mit Kraft geschoben,

7520
Mit den Schultern brav gehoben!

So gelangen wir nach oben,
Wo uns alles weichen muß.

Sphinxe.
Welch ein widerwärtig Zittern,
Häßlich grausenhaftes Wittern!

7525
Welch ein Schwanken, welches Beben,

Schaukelnd Hin- und Wiederstreben!
Welch unleidlicher Verdruß!
Doch wir ändern nicht die Stelle,
Bräche los die ganze Hölle.

7530
Nun erhebt sich ein Gewölbe

Wundersam. Es ist derselbe,
Jener Alte, längst Ergraute,

Der die Insel Delos baute,
[137]
Einer Kreisenden zu Lieb’
7535
Aus der Wog’ empor sie trieb.

Er, mit Streben, Drängen, Drücken,
Arme straff, gekrümmt den Rücken,
Wie ein Atlas an Gebärde,
Hebt er Boden, Rasen, Erde,

7540
Kies und Gries und Sand und Letten,

Unsres Ufers stille Betten.
So zerreißt er eine Strecke
Quer des Thales ruhige Decke.
Angestrengtest, nimmer müde,

7545
Kolossal-Karyatide,

Trägt ein furchtbar Steingerüste,
Noch im Boden bis zur Büste;
Weiter aber soll’s nicht kommen,
Sphinxe haben Platz genommen.

Seismos.

7550
Das hab’ ich ganz allein vermittelt,

Man wird mir’s endlich zugestehn:
Und hätt’ ich nicht geschüttelt und gerüttelt,
Wie wäre diese Welt so schön? –
Wie ständen eure Berge droben

7555
In prächtig-reinem Aetherblau,

Hätt’ ich sie nicht hervorgeschoben
Zu mahlerisch-entzückter Schau!
Als, Angesichts der höchsten Ahnen,
Der Nacht, des Chaos, ich mich stark betrug

7560
Und, in Gesellschaft von Titanen,
Mit Pelion und Ossa als mit Ballen schlug.
[138]
Wir tollten fort in jugendlicher Hitze,

Bis überdrüssig, noch zuletzt
Wir dem Parnaß, als eine Doppelmütze,

7565
Die beiden Berge frevelnd aufgesetzt...

Appollen hält ein froh Verweilen
Dort nun mit seliger Musen Chor.
Selbst Jupitern und seinen Donnerkeilen
Hob ich den Sessel hoch empor.

7570
Jetzt so, mit ungeheurem Streben,

Drang aus dem Abgrund ich herauf,
Und fordre laut, zu neuem Leben,
Mir fröhliche Bewohner auf.

Sphinxe.
Uralt müßte man gestehen

7575
Sey das hier Emporgebürgte,

Hätten wir nicht selbst gesehen
Wie sich’s aus dem Boden würgte.
Bebuschter Wald verbreitet sich hinan,
Noch drängt sich Fels auf Fels bewegt heran;

7580
Ein Sphinx wird sich daran nicht kehren:

Wir lassen uns im heiligen Sitz nicht stören.

Greife.
Gold in Blättchen, Gold in Flittern
Durch die Ritzen seh’ ich zittern.
Laßt euch solchen Schatz nicht rauben;

7585
Imsen auf! es auszuklauben.
[139]
Chor der Ameisen.

     Wie ihn die Riesigen
     Empor geschoben,
     Ihr Zappelfüßigen
     Geschwind nach oben!

7590
     Behendest aus und ein!

     In solchen Ritzen
     Ist jedes Bröselein
     Werth zu besitzen.
     Das Allermindeste

7595
     Müßt ihr entdecken

     Auf das geschwindeste
     In allen Ecken.
     Allemsig müßt ihr seyn,
     Ihr Wimmelschaaren;

7600
     Nur mit dem Gold herein!

     Den Berg laßt fahren.

Greife.
Herein! Herein! Nur Gold zu Hauf!
Wir legen unsre Klauen drauf,
Sind Riegel von der besten Art,

7605
Der größte Schatz ist wohlverwahrt.


Pygmäen.
Haben wirklich Platz genommen,
Wissen nicht wie es geschah.
Fraget nicht woher wir kommen,

Denn wir sind nun einmal da!
[140]
7610
Zu des Lebens lustigem Sitze

Eignet sich ein jedes Land;
Zeigt sich eine Felsenritze,
Ist auch schon der Zwerg zur Hand.
Zwerg’ und Zwergin, rasch zum Fleiße,

7615
Musterhaft ein jedes Paar.

Weiß nicht, ob es gleicher Weise
Schon im Paradiese war.
Doch wir finden’s hier zum besten,
Segnen dankbar unsern Stern;

7620
Denn, im Osten wie im Westen,

Zeugt die Mutter Erde gern.

Daktyle.
     Hat sie in einer Nacht
     Die Kleinen hervorgebracht;
     Sie wird die Kleinsten erzeugen,

7625
     Finden auch ihres Gleichen.


Pygmäen-Aelteste.
     Eilet, bequemen
     Sitz einzunehmen,
     Eilig zum Werke!
     Schnelle für Stärke.

7630
     Noch ist es Friede;

     Baut euch die Schmiede,
     Harnisch und Waffen
     Dem Heer zu schaffen.

     Ihr Imsen alle,

7635
     Rührig im Schwalle,
[141]
     Schafft uns Metalle!

     Und ihr Daktyle,
     Kleinste, so viele,
     Euch sey befohlen

7640
     Hölzer zu holen!

     Schichtet zusammen
     Heimliche Flammen,
     Schaffet uns Kohlen.

Generalissimus.
     Mit Pfeil und Bogen

7645
     Frisch ausgezogen!

     An jenem Weiher
     Schießt mir die Reiher
     Unzählig nistende,
     Hochmüthig brüstende,

7650
     Auf einen Ruck!

     Alle wie Einen;
     Daß wir erscheinen
     Mit Helm und Schmuck.

Imsen und Daktyle.
     Wer wird uns retten!

7655
     Wir schaffen’s Eisen,

     Sie schmieden Ketten.
     Uns los zu reißen
     Ist noch nicht zeitig,
     Drum seyd geschmeidig.

Die Kraniche des Ibykus.

7660
Mordgeschrei und Sterbeklagen!
Aengstlich Flügelfllatterschlagen!
[142]
     Welch ein Aechzen, welch Gestöhn

     Dringt herauf zu unsern Höhn!
     Alle sind sie schon ertödtet,

7665
     See von ihrem Blut geröthet;

     Mißgestaltete Begierde
     Raubt des Reihers edle Zierde.
     Weht sie doch schon auf dem Helme
     Dieser Fettbauch-Krummbein-Schelme.

7670
     Ihr Genossen unsres Heeres,

     Reihenwanderer des Meeres,
     Euch berufen wir zur Rache
     In so nahverwandter Sache.
     Keiner spare Kraft und Blut,

7675
     Ewige Feindschaft dieser Brut!

(Zerstreuen sich krächzend in den Lüften.)

Mephistopheles
(in der Ebene).
Die nordischen Hexen wußt’ ich wohl zu meistern,
Mir wird’s nicht just mit diesen fremden Geistern.
Der Blocksberg bleibt ein gar bequem Local,
Wo man auch sey, man findet sich zumal.

7680
Frau Ilse wacht für uns auf ihrem Stein,

Auf seiner Höh’ wird Heinrich munter seyn,
Die Schnarcher schnauzen zwar das Elend an,
Doch alles ist für tausend Jahr gethan.
Wer weiß denn hier nur wo er geht und steht,

7685
Ob unter ihm sich nicht der Boden bläht?

Ich wandle lustig durch ein glattes Thal

Und hinter mir erhebt sich auf[3] einmal
[143]
Ein Berg, zwar kaum ein Berg zu nennen,

Von meinen Sphinxen mich jedoch zu trennen

7690
Schon hoch genug – hier zuckt noch manches Feuer

Das Thal hinab, und flammt um’s Abenteuer…
Noch tanzt und schwebt mir lockend, weichend vor
Spitzbübisch gaukelnd, der galante Chor.
Nur sachte drauf! Allzugewohnt an’s Naschen

7695
Wo es auch sey, man sucht was zu erhaschen.


Lamien
(Mephistopheles nach sich ziehend).
     Geschwind, geschwinder!
     Und immer weiter!
     Dann wieder zaudernd,
     Geschwätzig plaudernd.

7700
     Es ist so heiter

     Den alten Sünder
     Uns nach zu ziehen,
     Zu schwerer Buße
     Mit starrem Fuße

7705
     Kommt er geholpert

     Einher gestolpert;
     Er schleppt das Bein,
     Wie wir ihn fliehen,
     Uns hinterdrein.

Mephistopheles (stillstehend).

7710
Verflucht Geschick! Betrogne Mansen!

Von Adam her verführte Hansen!
Alt wird man wohl, wer aber klug?

Warst du nicht schon vernarrt genug!
[144]
Man weiß, das Volk taugt aus dem Grunde nichts;
7715
Geschnürten Leibs, geschminkten Angesichts;

Nichts haben sie Gesundes zu erwiedern,
Wo man sie anfaßt, morsch in allen Gliedern.
Man weiß, man sieht’s, man kann es greifen,
Und dennoch tanzt man wenn die Luder pfeifen.

Lamien (innehaltend).

7720
Halt! er besinnt sich, zaudert, steht;

Entgegnet ihm daß er euch nicht entgeht!

Mephistopheles (fortschreitend).
Nur zu! und laß dich in’s Gewebe
Der Zweifeley nicht thörig ein;
Denn wenn es keine Hexen gäbe,

7725
Wer Teufel möchte Teufel seyn!


Lamien (anmuthigst).
Kreisen wir um diesen Helden;
Liebe wird in seinem Herzen
Sich gewiß für Eine melden.

Mephistopheles.
Zwar bei ungewissem Schimmer

7730
Scheint ihr hübsche Frauenzimmer,

Und so möcht’ ich euch nicht schelten.

Empuse (eindringend).
Auch nicht mich! als eine solche
Laßt mich ein in eure Folge.

Lamien.
Die ist in unserm Kreis zuviel,

7735
Verdirbt doch immer unser Spiel.
[145]
Empuse

(zu Mephistopheles).
Begrüßt von Mühmichen Empuse,
Der Trauten mit dem Eselsfuße!
Du hast nur einen Pferdefuß,
Und doch, Herr Vetter, schönsten Gruß!

Mephistopheles.

7740
Hier dacht’ ich lauter Unbekannte,

Und finde leider Nahverwandte,
Es ist ein altes Buch zu blättern:
Vom Harz bis Hellas immer Vettern!

Empuse.
Entschieden weiß ich gleich zu handeln,

7745
In vieles könnt’ ich mich verwandeln;

Doch euch zu Ehren hab’ ich jetzt
Das Eselsköpfchen aufgesetzt.

Mephistopheles.
Ich merk’ es hat bei diesen Leuten
Verwandtschaft Großes zu bedeuten;

7750
Doch mag sich was auch will ereignen,

Den Eselskopf möcht’ ich verleugnen.

Lamien.
Laß diese Garstige, sie verscheucht
Was irgend schön und lieblich däucht;
Was irgend schön und lieblich wär’,

7755
Sie kommt heran, es ist nicht mehr.


Mephistopheles.
Auch diese Mühmchen, zart und schmächtig,

Sie sind mir allesammt verdächtig;
[146]
Und hinter solcher Wänglein Rosen,

Fürcht’ ich doch auch Metamorphosen.

Lamien.

7760
Versuch’ es doch! sind unsrer Viele.

Greif zu! Und hast du Glück im Spiele
Erhasche dir das beste Loos.
Was soll das lüsterne Geleyer?
Du bist ein miserabler Freier,

7765
Stolzirst einher und thust so groß! –

Nun mischt er sich in unsre Schaaren;
Laßt nach und nach die Masken fahren,
Und gebt ihm euer Wesen bloß.

Mephistopheles.
Die schönste hab’ ich mir erlesen...
(Sie umfassend.)

7770
O weh mir! welch ein dürrer Besen!

(Eine andere ergreifend.)
Und diese?... Schmähliches Gesicht!

Lamien.
Verdienst du’s besser? dünk' es nicht.

Mephistopheles.
Die Kleine möcht’ ich mir verpfänden...
Lacerte schlüpft mir aus den Händen!

7775
Und schlangenhaft der glatte Zopf.

Dagegen faß’ ich mir die Lange...
Da pack’ ich eine Thyrsusstange!
Den Pinienapfel als den Kopf.
Wo will’s hinaus?... Noch eine Dicke,

7780
An der ich mich vielleicht erquicke;
[147]
Zum letztenmal gewagt! Es sey!

Recht quammig, quappig, das bezahlen
Mit hohem Preis Orientalen…
Doch ach! der Bovist platzt entzwey!

Lamien.

7785
Fahrt auseinander, schwankt und schwebet

Blitzartig, schwarzen Flugs, umgebet
Den eingedrungnen Hexensohn!
Unsichre schauderhafte Kreise!
Schweigsamen Fittichs, Fledermäuse;

7790
Zu wohlfeil kommt er doch davon.


Mephistopheles
(sich schüttelnd).
Viel klüger, scheint es, bin ich nicht geworden;
Absurd ist’s hier, absurd im Norden,
Gespenster hier wie dort vertrackt,
Volk und Poeten abgeschmackt.

7795
Ist eben hier eine Mummenschanz,

Wie überall ein Sinnentanz.
Ich griff nach holden Maskenzügen
Und faßte Wesen daß mich’s schauerte…
Ich möchte gerne mich betrügen,

7800
Wenn es nur länger dauerte.

(Sich zwischen dem Gestein ver[irren]d.)
Wo bin ich denn? Wo will’s hinaus?
Das war ein Pfad, nun ist’s ein Graus.
Ich kam daher auf glatten Wegen,

Und jetzt steht mir Geröll entgegen.
[148]
7805
Vergebens klettr’ ich auf und nieder,

Wo find’ ich meine Sphinxe wieder?
So toll hätt’ ich mir’s nicht gedacht,
Ein solch Gebirg in Einer Nacht!
Das heiß’ ich frischen Hexenritt,

7810
Die bringen ihren Blocksberg mit.


Oreas (vom Naturfels).
Herauf hier! Mein Gebirg ist alt,
Steht in ursprünglicher Gestalt.
Verehre schroffe Felsensteige,
Des Pindus letztgedehnte Zweige.

7815
Schon stand ich unerschüttert so

Als über mich Pompejus floh.
Daneben, das Gebild des Wahns,
Verschwindet schon beim Krähn des Hahns.
Dergleichen Mährchen seh’ ich oft entstehn

7820
Und plötzlich wieder untergehn.


Mephistopheles.
Sey Ehre dir, ehrwürdiges Haupt!
Von hoher Eichenkraft umlaubt.
Der allerklarste Mondenschein
Dringt nicht zur Finsterniß herein. –

7825
Doch neben am Gebüsche zieht

Ein Licht das gar bescheiden glüht.
Wie sich das alles fügen muß!
Fürwahr! es ist Homunculus.

Woher des Wegs, du Kleingeselle?
[149]
Homunculus.
7830
Ich schwebe so von Stell’ zu Stelle

Und möchte gern im besten Sinn entstehn,
Voll Ungeduld mein Glas entzwey zu schlagen;
Allein was ich bisher gesehn
Hinein da möcht’ ich mich nicht wagen.

7835
Nur, um dir’s im Vertraun zu sagen:

Zwey Philosophen bin ich auf der Spur,
Ich horchte zu, es hieß: Natur! Natur!
Von diesen will ich mich nicht trennen,
Sie müssen doch das irdische Wesen kennen;

7840
Und ich erfahre wohl am Ende

Wohin ich mich am allerklügsten wende.

Mephistopheles.
Das thu’ auf deine eigne Hand.
Denn, wo Gespenster Platz genommen,
Ist auch der Philosoph willkommen.

7845
Damit man seiner Kunst und Gunst sich freue,

Erschafft er gleich ein Dutzend neue.
Wenn du nicht irrst, kommst du nicht zu Verstand.
Willst du entstehn, entsteh’ auf eigne Hand!

Homunculus.
Ein guter Rath ist auch nicht zu verschmähn.

Mephistopheles.

7850
So fahre hin! Wir wollen’s weiter sehn.

(Trennen sich.)

Anaxagoras (zu Thales).
Dein starrer Sinn will sich nicht beugen,

Bedarf es weit’res dich zu überzeugen?
[150]
Thales.

Die Welle beugt sich jedem Winde gern,
Doch hält sie sich vom schroffen Felsen fern.

Anaxagoras.

7855
Durch Feuerdunst ist dieser Fels zu Handen.


Thales.
Im Feuchten ist Lebendiges erstanden.

Homunculus[4]
(zwischen beiden).
Laßt mich an eurer Seite gehn,
Mir selbst gelüstet’s zu entstehn!

Anaxagoras.
Hast du, o Thales, je, in Einer Nacht,

7860
Solch einen Berg aus Schlamm hervorgebracht?


Thales.
Nie war Natur und ihr lebendiges Fließen
Auf Tag und Nacht und Stunden angewiesen.
Sie bildet regelnd jegliche Gestalt,
Und selbst im Großen ist es nicht Gewalt.

Anaxagoras.

7865
Hier aber war’s! Plutonisch grimmig Feuer,

Aeolischer Dünste Knallkraft, ungeheuer,
Durchbrach des flachen Bodens alte Kruste
Daß neu ein Berg sogleich entstehen mußte.

Thales.
Was wird dadurch nun weiter fortgesetzt?

7870
Er ist auch da, und das ist gut zuletzt.

Mit solchem Streit verliert man Zeit und Weile

Und führt doch nur geduldig Volk am Seile.
[151]
Anaxagoras.

Schnell quillt der Berg von Myrmidonen,
Die Felsenspalten zu bewohnen,

7875
Pygmäen, Imsen, Däumerlinge,

Und andre thätig kleine Dinge.
(Zum Homunculus.)
Nie hast du Großem nachgestrebt,
Einsiedlerisch-beschränkt gelebt;
Kannst du zur Herrschaft dich gewöhnen,

7880
So laß ich dich als König krönen.


Homunculus.
Was sagt mein Thales?

Thales.
 Will’s nicht rathen;
Mit Kleinen thut man kleine Thaten,
Mit Großen wird der Kleine groß.
Sieh hin! die schwarze Kranich-Wolke!

7885
Sie droht dem aufgeregten Volke

Und würde so dem König drohn.
Mit scharfen Schnäbeln, Krallen-Beinen,
Sie stechen nieder auf die Kleinen;
Verhängniß-Wetter leuchtet schon.

7890
Ein Frevel tödtete die Reiher,

Umstellend ruhigen Friedensweiher.
Doch jener Mordgeschosse Regen,
Schafft grausam-blutigen Rache-Segen,
Erregt der Nahverwandten Wuth,

7895
Nach der Pygmäen frevlem Blut.
[152]
Was nützt nun Schild und Helm und Speer?

Was hilft der Reiherstrahl den Zwergen?
Wie sich Daktyl und Imse bergen!
Schon wankt, es flieht, es stürzt das Heer.

Anaxagoras
(nach einer Pause feierlich).

7900
Konnt’ ich bisher die Unterirdischen loben,

So wend’ ich mich in diesem Fall nach oben…
Du! droben ewig unveraltete,
Dreynamig-Dreygestaltete,
Dich ruf’ ich an bei meines Volkes Weh,

7905
Diana, Luna, Hekate!

Du Brust-erweiternde, im Tiefsten-sinnige,
Du ruhig-scheinende, gewaltsam-innige,
Eröffne deiner Schatten grausen Schlund,
Die alte Macht sey ohne Zauber kund!
(Pause.)

7910
     Bin ich zu schnell erhört!

     Hat mein Flehn
     Nach jenen Höhn
     Die Ordnung der Natur gestört?

Und größer, immer größer nahet schon

7915
Der Göttin rundumschriebner Thron,

Dem Auge furchtbar, ungeheuer!
In’s Düstre röthet sich sein Feuer…
Nicht näher! drohend-mächtige Runde,

Du richtest uns und Land und Meer zu Grunde!
[153]
7920
So wär’ es wahr, daß dich thessalische Frauen,

In frevlend magischem Vertrauen,
Von deinem Pfad herabgesungen?
Verderblichstes dir abgerungen?…
Das lichte Schild hat sich umdunkelt,

7925
Auf einmal reißt’s und blitzt und funkelt!

Welch ein Geprassel! Welch ein Zischen!
Ein Donnern, Windgethüm dazwischen! –
Demüthig zu des Thrones Stufen –
Verzeiht! Ich hab’ es hergerufen.
(Wirft sich auf’s Angesicht.)

Thales.

7930
Was dieser Mann nicht alles hört’ und sah!

Ich weiß nicht recht wie uns geschah,
Auch hab’ ich’s nicht mit ihm empfunden.
Gestehen wir, es sind verrückte Stunden,
Und Luna wiegt sich ganz bequem

7935
An ihrem Platz so wie vordem.


Homunculus.
Schaut hin nach der Pygmäen Sitz,
Der Berg war rund, jetzt ist er spitz.
Ich spürt’ ein ungeheures Prallen,
Der Fels war aus dem Mond gefallen,

7940
Gleich hat er, ohne nachzufragen,

So Freund als Feind gequetscht, erschlagen.
Doch muß ich solche Künste loben,
Die schöpferisch, in einer Nacht,
Zugleich von unten und von oben,

7945
Dieß Berggebäu zu Stand gebracht.
[154]
Thales.

Sey ruhig! Es war nur gedacht.
Sie fahre hin die garstige Brut!
Daß du nicht König warst ist gut.
Nun fort zum heitern Meeresfeste,

7950
Dort hofft und ehrt man Wundergäste.

(Entfernen sich.)

Mephistopheles
(an der Gegenseite kletternd).
Da muß ich mich durch steile Felsentreppen,
Durch alter Eichen starre Wurzeln schleppen!
Auf meinem Harz der harzige Dunst
Hat was vom Pech und das hat meine Gunst;

7955
Zunächst der Schwefel… Hier, bei diesen Griechen

Ist von dergleichen kaum die Spur zu riechen;
Neugierig aber wär’ ich, nachzuspüren
Womit sie Höllenqual und Flamme schüren.

Dryas.
In deinem Lande sey einheimisch klug,

7960
Im fremden bist du nicht gewandt genug.

Du solltest nicht den Sinn zur Heimath kehren,
Der heiligen Eichen Würde hier verehren.

Mephistopheles.
Man denkt an das was man verließ,
Was man gewohnt war bleibt ein Paradies.

7965
Doch sagt: was in der Höhle dort,
Bei schwachem Licht, sich dreyfach hingekauert?
[155]
Dryas.

Die Phorkyaden! Wage dich zum Ort,
Und sprich sie an, wenn dich nicht schauert.

Mephistopheles.
Warum denn nicht! – Ich sehe was, und staune!

7970
So stolz ich bin, muß ich mir selbst gestehn:

Dergleichen hab’ ich nie gesehn,
Die sind ja schlimmer als Alraune.…
Wird man die urverworfnen Sünden
Im mindesten noch häßlich finden,

7975
Wenn man dieß Dreygethüm erblickt?

Wir litten sie nicht auf den Schwellen
Der grauenvollsten unsrer Höllen.
Hier wurzelt’s in der Schönheit Land,
Das wird mit Ruhm antik genannt.…

7980
Sie regen sich, sie scheinen mich zu spüren,

Sie zwitschern pfeifend, Fledermaus-Vampyren.

Phorkyaden.
Gebt mir das Auge, Schwestern, daß es frage,
Wer sich so nah an unsre Tempel wage.

Mephistopheles.
Verehrteste! Erlaubt mir euch zu nahen

7985
Und euren Segen dreyfach zu empfahen.

Ich trete vor, zwar noch als Unbekannter,
Doch, irr’ ich nicht, weitläufiger Verwandter.
Altwürdige Götter hab’ ich schon erblickt,
Vor Ops und Rhea tiefstens mich gebückt;

7990
Die Parzen selbst, des Chaos, eure Schwestern,
Ich sah sie gestern[5] – oder ehegestern;
[156]
Doch eures Gleichen hab’ ich nie erblickt,

Ich schweige nun und fühle mich entzückt.

Phorkyaden.
Er scheint Verstand zu haben dieser Geist.

Mephistopheles.

7995
Nur wundert’s mich, daß euch kein Dichter preis't. –

Und sagt! wie kam’s, wie konnte das geschehn?
Im Bilde hab’ ich nie euch Würdigste gesehn;
Versuch’s der Meißel doch euch zu erreichen,
Nicht Juno, Pallas, Venus und dergleichen.

Phorkyaden.

8000
Versenkt in Einsamkeit und stillste Nacht

Hat unser Drey noch nie daran gedacht!

Mephistopheles.
Wie sollt’ es auch? da ihr der Welt entrückt,
Hier niemand seht und niemand euch erblickt.
Da müßtet ihr an solchen Orten wohnen

8005
Wo Pracht und Kunst auf gleichem Sitze thronen,

Wo jeden Tag, behend, im Doppelschritt,
Ein Marmorblock als Held in’s Leben tritt.
Wo –

Phorkyaden.
     Schweige still und gib uns kein Gelüsten!
Was hülf’ es uns und wenn wir’s besser wüßten?

8010
In Nacht geboren, Nächtlichem verwandt,

Beinah uns selbst, ganz allen unbekannt.

Mephistopheles.
In solchem Fall hat es nicht viel zu sagen,

Man kann sich selbst auch andern übertragen.
[157]
Euch Dreyen gnügt Ein Auge, gnügt Ein Zahn,
8015
Da ging es wohl auch mythologisch an

In zwey die Wesenheit der drey zu fassen,
Der dritten Bildniß mir zu überlassen,
Auf kurze Zeit.

Eine.
 Wie dünkt’s euch! ging es an?

Die Andern.
Versuchen wir’s! – doch ohne Aug’ und Zahn.

Mephistopheles.

8020
Nun habt ihr grad das Beste weggenommen,

Wie würde da das strengste Bild vollkommen!

Eine
Drück’ du ein Auge zu, ’s ist leicht geschehn,
Laß alsofort den Einen Raffzahn sehn,
Und, im Profil, wirst du sogleich erreichen

8025
Geschwisterlich vollkommen uns zu gleichen.


Mephistopheles.
Viel Ehr’! Es sey!

Phorkyaden.
 Es sey!

Mephistopheles
(als Phorkyas im Profil).
 Da steh’ ich schon,
Des Chaos vielgeliebter Sohn!

Phorkyaden.
Des Chaos Töchter sind wir unbestritten.

Mephistopheles.

Man schilt mich nun, o Schmach! Hermaphroditen.
[158]
Phorkyaden.
8030
Im neuen Drey der Schwestern welche Schöne!

Wir haben zwey der Augen, zwey der Zähne.

Mephistopheles.
Vor aller Augen muß ich mich verstecken,
Im Höllenpfuhl die Teufel zu erschrecken.

(Ab.)




Felsbuchten des Aegäischen Meers.




Mond im Zenith verharrend.




Sirenen

(auf den Klippen umher gelagert, flötend und singend).
     Haben sonst bei nächtigem Grauen

8035
     Dich thessalische Zauberfrauen

     Frevelhaft herabgezogen,
     Blicke ruhig von dem Bogen
     Deiner Nacht auf Zitterwogen
     Mildeblitzend Glanzgewimmel,

8040
     Und erleuchte das Getümmel

     Das sich aus den Wogen hebt.
     Dir zu jedem Dienst erbötig,
     Schöne Luna sey uns gnädig!

Nereiden und Tritonen
(als Meerwunder).
     Tönet laut in schärfern Tönen,

8045
     Die das breite Meer durchdröhnen,
[159]
     Volk der Tiefe ruft fortan! –

     Vor des Sturmes grausen Schlünden
     Wichen wir zu stillsten Gründen,
     Holder Sang zieht uns heran.

8050
     Seht! Wie wir im Hochentzücken

     Uns mit goldnen Ketten schmücken;
     Auch zu Kron’ und Edelsteinen,
     Spang- und Gürtelschmuck vereinen.
     Alles das ist eure Frucht.

8055
     Schätze, scheiternd hier verschlungen,

     Habt ihr uns herangesungen,
     Ihr Dämonen unsrer Bucht.

Sirenen.
     Wissen’s wohl, in Meeresfrische
     Glatt behagen sich die Fische,

8060
     Schwanken Lebens ohne Leid;

     Doch! ihr festlich regen Schaaren,
     Heute möchten wir erfahren,
     Daß ihr mehr als Fische seyd.

Nereiden und Tritonen.
     Ehe wir hieher gekommen

8065
     Haben wir’s zu Sinn genommen,

     Schwestern, Brüder, jetzt geschwind!
     Heut bedarf’s der kleinsten Reise,
     Zum vollgültigsten Beweise,
     Daß wir mehr als Fische sind.

(Entfernen sich.)
[160]
Sirenen.
8070
     Fort sind sie im Nu!

     Nach Samothrace grade zu,
     Verschwunden mit günstigem Wind.
     Was denken sie zu vollführen
     Im Reiche der hohen Kabiren?

8075
     Sind Götter! wundersam eigen,

     Die sich immerfort selbst erzeugen,
     Und niemals wissen was sie sind.

     Bleibe auf deinen Höhn,
     Holde Luna, gnädig stehn;

8080
     Daß es nächtig verbleibe,

     Uns der Tag nicht vertreibe.

Thales
(am Ufer zu Homunculus).
Ich führte dich zum alten Nereus gern;
Zwar sind wir nicht von seiner Höhle fern,
Doch hat er einen harten Kopf

8085
Der widerwärtige Sauertopf.

Das ganze menschliche Geschlecht
Macht’s ihm, dem Griesgram, nimmer recht.
Doch ist die Zukunft ihm entdeckt,
Dafür hat jederman Respect,

8090
Und ehret ihn auf seinem Posten;

Auch hat er manchem wohlgethan.

Homunculus.
Probiren wir’s und klopfen an!

Nicht gleich wird’s Glas und Flamme kosten.
[161]
Nereus.

Sind’s Menschenstimmen die mein Ohr vernimmt?

8095
Wie es mir gleich im tiefsten Herzen grimmt!

Gebilde, strebsam Götter zu erreichen,
Und doch verdammt sich immer selbst zu gleichen.
Seit alten Jahren konnt’ ich göttlich ruhn,
Doch trieb mich’s an den Besten wohlzuthun;

8100
Und schaut’ ich dann zuletzt vollbrachte Thaten,

So war es ganz als hätt’ ich nicht gerathen.

Thales.
Und doch, o Greis des Meers, vertraut man dir;
Du bist der Weise, treib’ uns nicht von hier!
Schau’ diese Flamme, menschenähnlich zwar,

8105
Sie deinem Rath ergibt sich ganz und gar.


Nereus.
Was Rath! Hat Rath bei Menschen je gegolten?
Ein kluges Wort erstarrt im harten Ohr.
So oft auch That sich grimmig selbst gescholten,
Bleibt doch das Volk selbstwillig wie zuvor.

8110
Wie hab’ ich Paris väterlich gewarnt,

Eh’ sein Gelüst ein fremdes Weib umgarnt.
Am griechischen Ufer stand er kühnlich da,
Ihm kündet ich was ich im Geiste sah:
Die Lüfte qualmend, überströmend Roth,

8115
Gebälke glühend, unten Mord und Tod:

Troja’s Gerichtstag, rhythmisch festgebannt,
Jahrtausenden so schrecklich als gekannt.
Des Alten Wort dem Frechen schien’s ein Spiel,

Er folgte seiner Lust und Ilion fiel –.
[162]
8120
Ein Riesenleichnam, starr nach langer Qual,

Des Pindus Adlern gar willkommnes Mahl.
Ulyssen auch! sagt’ ich ihm nicht voraus
Der Circe Listen, des Cyklopen Graus?
Das Zaudern sein, der Seinen leichten Sinn,

8125
Und was nicht alles! bracht’ ihm das Gewinn?

Bis vielgeschaukelt ihn, doch spät genug,
Der Woge Gunst an gastlich Ufer trug.

Thales.
Dem weisen Mann gibt solch Betragen Qual;
Der gute doch versucht es noch einmal.

8130
Ein Quentchen Danks wird, hoch ihn zu vergnügen,

Die Centner Undanks völlig überwiegen.
Denn nichts Geringes haben wir zu flehn:
Der Knabe da wünscht weislich zu entstehn.

Nereus.
Verderbt mir nicht den seltensten Humor!

8135
Ganz andres steht mir heute noch bevor:

Die Töchter hab’ ich alle herbeschieden,
Die Grazien des Meeres, die Doriden.
Nicht der Olymp, nicht euer Boden trägt
Ein schön Gebild das sich so zierlich regt.

8140
Sie werfen sich, anmuthigster Gebärde,

Vom Wasserdrachen auf Neptunus Pferde,
Dem Element auf’s zarteste vereint,
Daß selbst der Schaum sie noch zu heben scheint.
Im Farbenspiel von Venus Muschelwagen

8145
Kommt Galatee, die schönste nun, getragen,
[163]
Die, seit sich Kypris von uns abgekehrt,

In Paphos wird als Göttin selbst verehrt.
Und so besitzt die Holde, lange schon,
Als Erbin, Tempelstadt und Wagenthron.

8150
Hinweg! Es ziemt, in Vaterfreudenstunde,

Nicht Haß dem Herzen, Scheltwort nicht dem Munde.
Hinweg zu Proteus! Fragt den Wundermann:
Wie man entstehn und sich verwandeln kann.
(Entfernt sich gegen das Meer.)

Thales.
Wir haben nichts durch diesen Schritt gewonnen,

8155
Trifft man auch Proteus, gleich ist er zerronnen,

Und steht er euch, so sagt er nur zuletzt
Was Staunen macht und in Verwirrung setzt.
Du bist einmal bedürftig solchen Raths,
Versuchen wir’s und wandeln unsres Pfads!
(Entfernen sich.)

Sirenen
(oben auf den Felsen).

8160
     Was sehen wir von Weiten

     Das Wellenreich durchgleiten?
     Als wie nach Windes Regel
     Anzögen weiße Segel,
     So hell sind sie zu schauen,

8165
     Verklärte Meeresfrauen.

     Laßt uns herunter klimmen,

     Vernehmt ihr doch die Stimmen.
[164]
Nereiden und Tritonen.

Was wir auf Händen tragen
Soll allen euch behagen.

8170
Chelonen’s Riesen-Schilde

Entglänzt ein streng Gebilde:
Sind Götter die wir bringen;
Müßt hohe Lieder singen.

Sirenen.
     Klein von Gestalt,

8175
     Groß von Gewalt,

     Der Scheiternden Retter,
     Uralt verehrte Götter.

Nereiden und Tritonen.
Wir bringen die Kabiren,
Ein friedlich Fest zu führen;

8180
Denn wo sie heilig walten,

Neptun wird freundlich schalten.

Sirenen.
     Wir stehen euch nach;
     Wenn ein Schiff zerbrach,
     Unwiderstehbar an Kraft

8185
     Schützt ihr die Mannschaft.


Nereiden und Tritonen.
Drey haben wir mitgenommen,
Der Vierte wollte nicht kommen,
Er sagte er sey der Rechte,

Der für sie alle dächte.
[165]
Sirenen.
8190
     Ein Gott den andern Gott

     Macht wohl zu Spott.
     Ehrt ihr alle Gnaden,
     Fürchtet jeden Schaden.

Nereiden und Tritonen.
Sind eigentlich ihrer Sieben.

Sirenen.

8195
Wo sind die drey geblieben?


Nereiden und Tritonen.
Wir wüßten’s nicht zu sagen,
Sind im Olymp zu erfragen,
Dort wes’t auch wohl der Achte,
An den noch niemand dachte!

8200
In Gnaden uns gewärtig,

Doch alle noch nicht fertig.

Diese Unvergleichlichen
Wollen immer weiter,
Sehnsuchtsvolle Hungerleider

8205
Nach dem Unerreichlichen.


Sirenen.
     Wir sind gewohnt:
     Wo es auch thront,
     In Sonn und Mond

     Hinzubeten, es lohnt.
[166]
Nereiden und Tritonen.
8210
Wie unser Ruhm zum höchsten prangt

Dieses Fest anzuführen!

Sirenen.
     Die Helden des Alterthums
     Ermangeln des Ruhms,
     Wo und wie er auch prangt,

8215
     Wenn sie das goldne Vließ, erlangt

     Ihr die Kabiren.
(Wiederholt als Altgesang.)
     Wenn sie das goldne Vließ erlangt,
     Wir! ihr! die Kabiren.

Nereiden und Tritonen
(ziehen vorüber).

Homunculus.
Die Ungestalten seh’ ich an

8220
Als irden-schlechte Töpfe,

Nun stoßen sich die Weisen dran
Und brechen harte Köpfe.

Thales.
Das ist es ja was man begehrt:
Der Rost macht erst die Münze werth.

Proteus (unbemerkt).

8225
So etwas freut mich alten Fabler!

Je wunderlicher desto respectabler.

Thales.

Wo bist du Proteus?
[167]
Proteus

(bauchrednerisch, bald nah, bald fern).
 Hier! und hier!

Thales.
Den alten Scherz verzeih’ ich dir;
Doch, einem Freund nicht eitle Worte!

8230
Ich weiß du sprichst vom falschen Orte.


Proteus
(als aus der Ferne).
Leb’ wohl!

Thales
(leise zu Homunculus).
 Er ist ganz nah. Nun leuchte frisch,
Er ist neugierig wie ein Fisch;
Und wo er auch gestaltet stockt,
Durch Flammen wird er hergelockt.

Homunculus.

8235
Ergieß’ ich gleich des Lichtes Menge,

Bescheiden doch, daß ich das Glas nicht sprenge.

Proteus
(in Gestalt einer Riesen-Schildkröte).
Was leuchtet so anmuthig schön?

Thales
(den Homunculus verhüllend).
Gut! Wenn du Lust hast kannst du’s näher sehn.
Die kleine Mühe lass’ dich nicht verdrießen,

8240
Und zeige dich auf menschlich beiden Füßen.

Mit unsern Gunsten sey’s, mit unserm Willen,

Wer schauen will was wir verhüllen.
[168]
Proteus (edel gestaltet).

Weltweise Kniffe sind dir noch bewußt.

Thales.
Gestalt zu wechseln bleibt noch deine Lust.
(Hat den Homunculus enthüllt.)

Proteus (erstaunt).

8245
Ein leuchtend Zwerglein! Niemals noch gesehn!


Thales.
Es fragt um Rath, und möchte gern entstehn.
Er ist, wie ich von ihm vernommen,
Gar wundersam nur halb zur Welt gekommen.
Ihm fehlt es nicht an geistigen Eigenschaften,

8250
Doch gar zu sehr am greiflich Tüchtighaften.

Bis jetzt gibt ihm das Glas allein Gewicht,
Doch wär’ er gern zunächst verkörperlicht.

Proteus.
Du bist ein wahrer Jungfern-Sohn,
Eh’ du seyn solltest bist du schon!

Thales (leise).

8255
Auch scheint es mir von andrer Seite kritisch,

Er ist, mich dünkt, hermaphroditisch.

Proteus.
Da muß es desto eher glücken,
So wie er anlangt wird sich’s schicken.
Doch gilt es hier nicht viel besinnen,

8260
Im weiten Meere mußt du anbeginnen!
[169]
Da fängt man erst im Kleinen an

Und freut sich Kleinste zu verschlingen,
Man wächst so nach und nach heran,
Und bildet sich zu höherem Vollbringen.

Homunculus.

8265
Hier weht gar eine weiche Luft,

Es grunelt so und mir behagt der Duft!

Proteus.
Das glaub’ ich, allerliebster Junge!
Und weiter hin wird’s viel behäglicher,
Auf dieser schmalen Strandeszunge

8270
Der Dunstkreis noch unsäglicher;

Da vorne sehen wir den Zug,
Der eben herschwebt, nah genug.
Kommt mit dahin!

Thales.
 Ich gehe mit.

Homunculus.
Dreyfach merkwürd’ger Geisterschritt!






Telchinen von Rhodus

auf Hippokampen und Meerdrachen, Neptunens Dreyzack handhabend.





Chor.

8275
Wir haben den Dreyzack Neptunen geschmiedet
Womit er die regesten Wellen begütet.
[170]
Entfaltet der Donn’rer die Wolken, die vollen,

Entgegnet Neptunus dem gräulichen Rollen;
Und wie auch von oben es zackig erblitzt,

8280
Wird Woge nach Woge von unten gespritzt;

Und was auch dazwischen in Aengsten gerungen,
Wird, lange geschleudert, vom Tiefsten verschlungen;
Weßhalb er uns heute den Scepter gereicht, –
Nun schweben wir festlich, beruhigt und leicht.

Sirenen.

8285
     Euch, dem Helios Geweihten,

     Heiteren Tags Gebenedeiten,
     Gruß zur Stunde, die bewegt
     Luna’s Hochverehrung regt!

Telchinen.
Alllieblichste Göttin am Bogen da droben!

8290
Du hörst mit Entzücken den Bruder beloben.

Der seligen Rhodus verleihst du ein Ohr,
Dort steigt ihm ein ewiger Päan hervor.
Beginnt er den Tagslauf und ist es gethan,
Er blickt uns mit feurigem Strahlenblick an.

8295
Die Berge, die Städte, die Ufer, die Welle,

Gefallen dem Gotte, sind lieblich und helle.
Kein Nebel umschwebt uns, und schleicht er sich ein,
Ein Strahl und ein Lüftchen und die Insel ist rein!
Da schaut sich der Hohe in hundert Gebilden,

8300
Als Jüngling, als Riesen, den großen, den milden.

Wir ersten wir waren’s, die Göttergewalt

Aufstellten in würdiger Menschengestalt.
[171]
Proteus.

     Laß du sie singen, laß sie prahlen!
     Der Sonne heiligen Lebestrahlen

8305
     Sind todte Werke nur ein Spaß.

     Das bildet, schmelzend, unverdrossen;
     Und haben sie’s in Erz gegossen,
     Dann denken sie es wäre was.
     Was ist’s zuletzt mit diesen Stolzen?

8310
     Die Götterbilder standen groß, –

     Zerstörte sie ein Erdestoß;
     Längst sind sie wieder eingeschmolzen.

     Das Erdetreiben, wie’s auch sey,
     Ist immer doch nur Plackerey;

8315
     Dem Leben frommt die Welle besser;

     Dich trägt in’s ewige Gewässer
     Proteus-Delphin.
     (Er verwandelt sich.)
      Schon ist’s gethan!
     Da soll es dir zum schönsten glücken,
     Ich nehme dich auf meinen Rücken,

8320
     Vermähle dich dem Ocean.


Thales.
Gib nach dem löblichen Verlangen
Von vorn die Schöpfung anzufangen!
Zu raschem Wirken sey bereit!
Da regst du dich nach ewigen Normen,

8325
Durch tausend abertausend Formen,
Und bis zum Menschen hast du Zeit.
[172]
Homunculus

(besteigt den Proteus-Delphin).

Proteus.
Komm geistig mit in feuchte Weite,
Da lebst du gleich in Läng’ und Breite,
Beliebig regest du dich hier;

8330
Nur strebe nicht nach höhern Orden:

Denn bist du erst ein Mensch geworden,
Dann ist es völlig aus mit dir.

Thales.
Nachdem es kommt; ’s ist auch wohl fein
Ein wackrer Mann zu seiner Zeit zu seyn.

Proteus (zu Thales).

8335
So einer wohl von deinem Schlag!

Das hält noch eine Weile nach;
Denn unter bleichen Geisterschaaren
Seh’ ich dich schon seit vielen hundert Jahren.

Sirenen
(auf dem Felsen).
     Welch ein Ring[6] von Wölkchen ründet

8340
     Um den Mond so reichen Kreis?

     Tauben sind es, liebentzündet,
     Fittige wie Licht so weiß.
     Paphos hat sie hergesendet
     Ihre brünstige Vogelschaar;

8345
     Unser Fest, es ist vollendet,
     Heitre Wonne voll und klar!
[173]
Nereus

(zu Thales tretend).
Nennte wohl ein nächtiger Wandrer
Diesen Mondhof Lufterscheinung;
Doch wir Geister sind ganz andrer

8350
Und der einzig richtigen Meinung:

Tauben sind es, die begleiten
Meiner Tochter Muschelpfad,
Wunderflugs besondrer Art,
Angelernt vor alten Zeiten.

Thales.

8355
Auch ich halte das für’s Beste

Was dem wackern Mann gefällt,
Wenn im stillen warmen Neste
Sich ein Heiliges lebend hält.

Psellen und Marsen
(auf Meerstieren, Meerkälbern und Widdern).
In Cyperns rauhen Höhle-Grüften,

8360
Vom Meergott nicht verschüttet,

Vom Seismos nicht zerrüttet,
Umweht von ewigen Lüften,
Und, wie in den ältesten Tagen,
In still-bewußtem Behagen,

8365
Bewahren wir Cypriens Wagen

Und führen, beim Säuseln der Nächte,
Durch liebliches Wellengeflechte
Unsichtbar dem neuen Geschlechte,

Die lieblichste Tochter heran.
[174]
8370
Wir leise Geschäftigen scheuen

Weder Adler, noch geflügelten Leuen,
Weder Kreuz noch Mond,
Wie es oben wohnt und thront,
Sich wechselnd wägt und regt,

8375
Sich vertreibt und todtschlägt,

Saaten und Städte niederlegt.
Wir, so fortan,
Bringen die lieblichste Herrin heran,

Sirenen.
     Leicht bewegt, in mäßiger Eile,

8380
     Um den Wagen, Kreis um Kreis,

     Bald verschlungen Zeil’ an Zeile
     Schlangenartig reihenweis,
     Naht euch rüstige Nereiden,
     Derbe Frau’n, gefällig wild,

8385
     Bringet, zärtliche Doriden,

     Galate’n der Mutter Bild:
     Ernst, den Göttern gleich zu schauen,
     Würdiger Unsterblichkeit,
     Doch wie holde Menschenfrauen

8390
     Lockender Anmuthigkeit.


Doriden
(im Chor am Nereus vorbeiziehend, sämmtlich auf Delphinen).
     Leih’ uns Luna Licht und Schatten,
     Klarheit diesem Jugendflor!
     Denn wir zeigen liebe Gatten
     Unserm Vater bittend vor.

     (Zu Nereus.)
[175]
8395
     Knaben sind’s die wir gerettet,

     Aus der Brandung grimmem Zahn,
     Sie, auf Schilf und Moos gebettet,
     Aufgewärmt zum Licht heran;
     Die es nun mit heißen Küssen

8400
     Traulich uns verdanken müssen;

     Schau’ die Holden günstig an!

Nereus.
Hoch ist der Doppelgewinn zu schätzen:
Barmherzig seyn, und sich zugleich ergötzen.

Doriden.
     Lobst du Vater unser Walten,

8405
     Gönnst uns wohl erworbne Lust;

     Lass’ uns fest, unsterblich halten
     Sie an ewiger Jugendbrust.

Nereus.
Mög’t euch des schönen Fanges freuen,
Den Jüngling bildet euch als Mann;

8410
Allein ich könnte nicht verleihen

Was Zeus allein gewähren kann.
Die Welle, die euch wogt und schaukelt,
Läßt auch der Liebe nicht Bestand,
Und hat die Neigung ausgegaukelt,

8415
So setzt gemächlich sie an’s Land.


Doriden.
     Ihr holde Knaben seyd uns werth;
     Doch müssen wir traurig scheiden.
     Wir haben ewige Treue begehrt,

     Die Götter wollen’s nicht leiden.
[176]
Die Jünglinge.
8420
     Wenn ihr uns nur so ferner labt,

     Uns wackre Schiffer-Knaben;
     Wir haben’s nie so gut gehabt
     Und wollen’s nicht besser haben.

Galatee
(auf dem Muschelwagen nähert sich).

Nereus.
Du bist es, mein Liebchen!

Galatee.
 O Vater! das Glück!

8425
Delphine, verweilet! mich fesselt der Blick.


Nereus.
Vorüber schon, sie ziehen vorüber
In kreisenden Schwunges Bewegung!
Was kümmert sie die innre, herzliche Regung!
Ach! nähmen sie mich mit hinüber!

8430
Doch ein einziger Blick ergötzt,

Daß er das ganze Jahr ersetzt.

Thales.
Heil! Heil! auf’s neue!
Wie ich mich blühend freue,
Vom Schönen, Wahren durchdrungen…

8435
Alles ist aus dem Wasser entsprungen!!

Alles wird durch das Wasser erhalten!
Ocean gönn’ uns dein ewiges Walten.
Wenn du nicht Wolken sendetest,

Nicht reiche Bäche spendetest,
[177]
8440
Hin und her nicht Flüsse wendetest,

Die Ströme nicht vollendetest,
Was wären Gebirge, was Ebnen und Welt?
Du bist’s der das frischeste Leben erhält.

Echo
(Chorus der sämmtlichen Kreise).
Du bist’s dem das frischeste Leben entquellt.

Nereus.

8445
Sie kehren schwankend fern zurück,

Bringen nicht mehr Blick zu Blick;
In gedehnten Kettenkreisen
Sich festgemäß zu erweisen,
Windet sich die unzählige Schaar.

8450
Aber Galatea’s Muschelthron

Seh’ ich schon und aber schon,
Er glänzt wie ein Stern
Durch die Menge.
Geliebtes leuchtet durch’s Gedränge!

8455
Auch noch so fern

Schimmert’s hell und klar,
Immer nah und wahr.

Homunculus.
     In dieser holden Feuchte
     Was ich auch hier beleuchte

8460
     Ist alles reizend schön.


Proteus.
     In dieser Lebensfeuchte
     Erglänzt erst deine Leuchte

     Mit herrlichem Getön.
[178]
Nereus.

Welch neues Geheimniß in Mitte der Schaaren

8465
Will unseren Augen sich offenbaren?

Was flammt um die Muschel um Galate’s Füße?
Bald lodert es mächtig, bald lieblich, bald süße,
Als wär’ es von Pulsen der Liebe gerührt?

Thales.
Homunculus ist es, von Proteus verführt…

8470
Es sind die Symptome des herrischen Sehnens,

Mir ahnet das Aechzen beängsteten Dröhnens;
Er wird sich zerschellen am glänzenden Thron;
Jetzt flammt es, nun blitzt es, ergießet sich schon.

Sirenen.
Welch feuriges Wunder verklärt uns die Wellen,

8475
Die gegeneinander sich funkelnd zerschellen?

So leuchtet’s und schwanket und hellet hinan:
Die Körper sie glühen auf nächtlicher Bahn,
Und rings ist alles vom Feuer umronnen;
So herrsche denn Eros der alles begonnen!

8480
     Heil dem Meere! Heil den Wogen!

     Von dem heiligen Feuer umzogen;
     Heil dem Wasser! Heil dem Feuer!
     Heil dem seltnen Abenteuer!

     All Alle!
     Heil den mildgewognen Lüften!

8485
     Heil geheimnißreichen Grüften!

     Hochgefeiert seyd allhier

     Element’ ihr alle vier!

[179]
Dritter Act.

Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta.

Helena tritt auf und Chor gefangener Trojanerinnen.
Panthalis Chorführerin.

Helena.
Bewundert viel und viel gescholten, Helena,
Vom Strande komm’ ich wo wir erst gelandet sind,

8490
Noch immer trunken von des Gewoges regsamem

Geschaukel, das vom phrygischen Blachgefild uns her
Auf sträubig-hohem Rücken, durch Poseidons Gunst
Und Euros Kraft in vaterländische Buchten trug.
Dort unten freuet nun der König Menelas

8495
Der Rückkehr sammt den tapfersten seiner Krieger sich.

Du aber heiße mich willkommen hohes Haus,
Das Tyndareos, mein Vater, nach dem Hange sich
Von Pallas Hügel wiederkehrend aufgebaut;
Und, als ich hier mit Klytämnestren schwesterlich,

8500
Mit Castor auch und Pollux fröhlich spielend wuchs,
Vor allen Häusern Sparta’s herrlich ausgeschmückt.
[180]
Gegrüßet seyd mir der eh’rnen Pforte Flügel ihr!

Durch euer gastlich ladendes Weiteröffnen einst
Geschah’s, daß mir, erwählt aus vielen, Menelas

8505
In Bräutigams-Gestalt entgegen leuchtete.

Eröffnet mir sie wieder, daß ich ein Eilgebot
Des Königs treu erfülle, wie der Gattin ziemt.
Laßt mich hinein! und alles bleibe hinter mir
Was mich umstürmte bis hieher, verhängnißvoll.

8510
Denn seit ich diese Stelle sorgenlos verließ,

Cytherens Tempel besuchend, heiliger Pflicht gemäß,
Mich aber dort ein Räuber griff, der phrygische,
Ist viel geschehen, was die Menschen weit und breit
So gern erzählen, aber der nicht gerne hört

8515
Von dem die Sage wachsend sich zum Mährchen spann.


Chor.
     Verschmähe nicht, o herrliche Frau,
     Des höchsten Gutes Ehrenbesitz!
     Denn das größte Glück ist dir einzig beschert,
     Der Schönheit Ruhm, der vor allen sich hebt.

8520
     Dem Helden tönt sein Name voran,

     Drum schreitet er stolz,
     Doch beugt sogleich hartnäckigster Mann
     Vor der allbezwingenden Schöne den Sinn.

Helena.
Genug! mit meinem Gatten bin ich hergeschifft

8525
Und nun von ihm zu seiner Stadt vorausgesandt;

Doch welchen Sinn er hegen mag errath’ ich nicht.

Komm’ ich als Gattin? komm’ ich eine Königin?
[181]
Komm’ ich ein Opfer für des Fürsten bittern Schmerz

Und für der Griechen lang’ erduldetes Mißgeschick?

8530
Erobert bin ich, ob gefangen weiß ich nicht!

Denn Ruf und Schicksal bestimmten fürwahr die Unsterblichen
Zweydeutig mir, der Schöngestalt bedenkliche
Begleiter, die an dieser Schwelle mir sogar
Mit düster drohender Gegenwart zur Seite stehn.

8535
Denn schon im hohlen Schiffe blickte mich der Gemahl

Nur selten an, auch sprach er kein erquicklich Wort.
Als wenn er Unheil sänne saß er gegen mir.
Nun aber, als des Eurotas tiefem Buchtgestad
Hinangefahren, der vordern Schiffe Schnäbel kaum

8540
Das Land begrüßten, sprach er, wie vom Gott bewegt:

Hier steigen meine Krieger nach der Ordnung aus,
Ich mustre sie am Strand des Meeres hingereiht,
Du aber ziehe weiter, ziehe des heiligen
Eurotas fruchtbegabtem Ufer immer auf,

8545
Die Rosse lenkend auf der feuchten Wiese Schmuck,

Bis daß zur schönen Ebene du gelangen magst,
Wo Lakedämon, einst ein fruchtbar weites Feld,
Von ernsten Bergen nah umgeben, angebaut.
Betrete dann das hochgethürmte Fürstenhaus,

8550
Und mustre mir die Mägde, die ich dort zurück

Gelassen, sammt der klugen alten Schaffnerin.
Die zeige dir der Schätze reiche Sammlung vor,
Wie sie dein Vater hinterließ und die ich selbst
In Krieg und Frieden, stets vermehrend, aufgehäuft.

8555
Du findest alles nach der Ordnung stehen: denn
[182]
Das ist des Fürsten Vorrecht, daß er alles treu

In seinem Hause, wiederkehrend, finde, noch
An seinem Platze jedes wie er’s dort verließ.
Denn nichts zu ändern hat für sich der Knecht Gewalt.

Chor.

8560
     Erquicke nun am herrlichen Schatz,

     Dem stets vermehrten, Augen und Brust;
     Denn der Kette Zier, der Krone Geschmuck
     Da ruhn sie stolz und sie dünken sich was;
     Doch tritt nur ein und fordre sie auf,

8565
     Sie rüsten sich schnell.

     Mich freuet zu sehn Schönheit in dem Kampf
     Gegen Gold und Perlen und Edelgestein.

Helena.
Sodann erfolgte des Herren ferneres Herrscherwort:
Wenn du nun alles nach der Ordnung durchgesehn,

8570
Dann nimm so manchen Dreyfuß, als du nöthig glaubst,

Und mancherlei Gefäße, die der Opfrer sich
Zur Hand verlangt, vollziehend heiligen Festgebrauch.
Die Kessel, auch die Schalen, wie das flache Rund;
Das reinste Wasser aus der heiligen Quelle sey

8575
In hohen Krügen; ferner auch das trockne Holz,

Der Flamme schnell empfänglich, halte da bereit;
Ein wohlgeschliffnes Messer fehle nicht zuletzt;
Doch alles andre geb’ ich deiner Sorge hin.
So sprach er, mich zum Scheiden drängend; aber nichts

8580
Lebendigen Athems zeichnet mir der Ordnende,
Das er, die Olympier zu verehren, schlachten will.
[183]
Bedenklich ist es; doch ich sorge weiter nicht,

Und alles bleibe hohen Göttern heimgestellt,
Die das vollenden, was in ihrem Sinn sie däucht;

8585
Es möge gut von Menschen, oder möge bös

Geachtet seyn, die Sterblichen wir ertragen das.
Schon manchmal hob das schwere Beil der Opfernde
Zu des erdgebeugten Thieres Nacken weihend auf,
Und konnt’ es nicht vollbringen, denn ihn hinderte

8590
Des nahen Feindes oder Gottes Zwischenkunft.


Chor.
     Was geschehen werde sinnst du nicht aus.
     Königin, schreite dahin
     Guten Muths!
     Gutes und Böses kommt

8595
     Unerwartet dem Menschen;

     Auch verkündet glauben wir’s nicht.
     Brannte doch Troja, sahen wir doch
     Tod vor Augen, schmählichen Tod;
     Und sind wir nicht hier

8600
     Dir gesellt, dienstbar freudig,

     Schauen des Himmels blendende Sonne
     Und das schönste der Erde
     Huldvoll, dich, uns Glücklichen!

Helena.
Sey’s wie es sey! Was auch bevorsteht, mir geziemt

8605
Hinaufzusteigen ungesäumt in das Königshaus,

Das lang entbehrt, und viel ersehnt, und fast verscherzt,

Mir abermals vor Augen steht, ich weiß nicht wie.
[184]
Die Füße tragen mich so muthig nicht empor

Die hohen Stufen die ich kindisch übersprang.

Chor.

8610
     Werfet, o Schwestern, ihr

     Traurig gefangenen,
     Alle Schmerzen in’s Weite;
     Theilet der Herrin Glück,
     Theilet Helenens Glück,

8615
     Welche zu Vaterhauses Herd,

     Zwar mit spät zurückkehrendem,
     Aber mit desto festerem
     Fuße freudig herannaht.

     Preiset die heiligen,

8620
     Glücklich herstellenden,

     Und heimführenden Götter!
     Schwebt der Entbundene
     Doch wie auf Fittigen
     Ueber das Rauhste, wenn umsonst

8625
     Der Gefangene, sehnsuchtsvoll,

     Ueber die Zinne des Kerkers hin,
     Armausbreitend sich abhärmt.

     Aber sie ergriff ein Gott
     Die Entfernte;

8630
     Und aus Ilios Schutt

     Trug er hierher sie zurück
     In das alte, das neugeschmückte

     Vaterhaus,
[185]
     Nach unsäglichen
8635
     Freuden und Qualen

     Früher Jugendzeit
     Angefrischt zu gedenken.

Panthalis
(als Chorführerin).
Verlasset nun des Gesanges freudumgebnen Pfad
Und wendet nach der Thüre Flügeln euern Blick.

8640
Was seh’ ich, Schwestern? Kehret nicht die Königin

Mit heftigen Schrittes Regung wieder zu uns her?
Was ist es, große Königin, was konnte dir
In deines Hauses Hallen, statt der Deinen Gruß,
Erschütterndes begegnen? Du verbirgst es nicht;

8645
Denn Widerwillen seh’ ich an der Stirne dir,

Ein edles Zürnen, das mit Ueberraschung kämpft.

Helena
(welche die Thürflügel offen gelassen hat, bewegt).
Der Tochter Zeus geziemet nicht gemeine Furcht,
Und flüchtig-leise Schreckenshand berührt sie nicht;
Doch das Entsetzen, das dem Schoß der alten Nacht,

8650
Vom Urbeginn entsteigend, vielgestaltet noch

Wie glühende Wolken aus des Berges Feuerschlund
Herauf sich wälzt, erschüttert auch des Helden Brust.
So haben heute grauenvoll die Stygischen
In’s Haus den Eintritt mir bezeichnet, daß ich gern

8655
Von oft betretner, langersehnter Schwelle mich,

Entlass’nem Gaste gleich, entfernend scheiden mag.
Doch nein! gewichen bin ich her an’s Licht, und sollt’

Ihr weiter nicht mich treiben, Mächte, wer ihr seyd.
[186]
Auf Weihe will ich sinnen, dann gereinigt mag
8660
Des Herdes Gluth die Frau begrüßen wie den Herrn.


Chorführerin.
Entdecke deinen Dienerinnen, edle Frau,
Die dir verehrend beistehn, was begegnet ist.

Helena.
Was ich gesehen sollt ihr selbst mit Augen sehn,
Wenn ihr Gebilde nicht die alte Nacht sogleich

8665
Zurück geschlungen in ihrer Tiefe Wunderschoß.

Doch daß ihr’s wisset, sag’ ich’s euch mit Worten an:
Als ich des Königs-Hauses ernsten Binnenraum,
Der nächsten Pflicht gedenkend, feierlich betrat,
Erstaunt’ ich ob der öden Gänge Schweigsamkeit.

8670
Nicht Schall der emsig wandelnden begegnete

Dem Ohr, nicht raschgeschäftiges Eiligthun dem Blick,
Und keine Magd erschien mir, keine Schaffnerin,
Die jeden Fremden freundlich sonst begrüßenden.
Als aber ich dem Schoße des Herdes mich genaht,

8675
Da sah ich, bei verglommener Asche lauem Rest,

Am Boden sitzen welch verhülltes großes Weib,
Der Schlafenden nicht vergleichbar, wohl der Sinnenden.
Mit Herrscherworten ruf’ ich sie zur Arbeit auf,
Die Schaffnerin mir vermuthend, die indeß vielleicht

8680
Des Gatten Vorsicht hinterlassend angestellt;

Doch eingefaltet sitzt die unbewegliche;
Nur endlich rührt sie, auf mein Dräun, den rechten Arm,
Als wiese sie von Herd und Halle mich hinweg.
Ich wende zürnend mich ab von ihr und eile gleich

8685
Den Stufen zu, worauf empor der Thalamos
[187]
Geschmückt sich hebt und nah daran das Schatzgemach;

Allein das Wunder reißt sich schnell vom Boden auf,
Gebietrisch mir den Weg vertretend, zeigt es sich
In hagrer Größe, hohlen, blutig-trüben Blicks,

8690
Seltsamer Bildung, wie sie Aug und Geist verwirrt.

Doch red’ ich in die Lüfte; denn das Wort bemüht
Sich nur umsonst Gestalten schöpferisch aufzubaun.
Da seht sie selbst! sie wagt sogar sich an’s Licht hervor!
Hier sind wir Meister, bis der Herr und König kommt.

8695
Die grausen Nachtgeburten drängt der Schönheitsfreund

Phöbus hinweg in Höhlen, oder bändigt sie.

Phorkyas
(auf der Schwelle zwischen den Thürpfosten auftretend).

Chor.
     Vieles erlebt’ ich, obgleich die Locke
     Jugendlich wallet mir um die Schläfe!
     Schreckliches hab’ ich vieles gesehen,

8700
     Kriegrischen Jammer, Ilios Nacht,

     Als es fiel.

     Durch das umwölkte, staubende Tosen
     Drängender Krieger hört’ ich die Götter
     Fürchterlich rufen, hört’ ich der Zwietracht

8705
     Eherne Stimme schallen durch’s Feld,

     Mauerwärts.

     Ach! sie standen noch, Ilios
     Mauern, aber die Flammengluth

     Zog vom Nachbar zum Nachbar schon,
[188]
8710
     Sich verbreitend von hier und dort,

     Mit des eignen Sturmes Wehn,
     Ueber die nächtliche Stadt hin.

     Flüchtend sah ich, durch Rauch und Gluth
     Und der züngelnden Flamme Lohe

8715
     Gräßlich zürnender Götter Nahn,

     Schreitend Wundergestalten,
     Riesengroß, durch düsteren
     Feuerumleuchteten Qualm hin.

     Sah ich’s, oder bildete

8720
     Mir der angstumschlungene Geist

     Solches Verworrene? sagen kann
     Nimmer ich’s; doch daß ich dieß
     Gräßliche hier mit Augen schau’
     Solches gewiß ja weiß ich;

8725
     Könnt’ es mit Händen fassen gar,

     Hielte von dem Gefährlichen
     Nicht zurücke die Furcht mich.

     Welche von Phorkys
     Töchtern nur bist du?

8730
     Denn ich vergleiche dich

     Diesem Geschlechte.
     Bist du vielleicht der graugebornen,
     Eines Auges und Eines Zahns
     Wechselsweis theilhaftigen

8735
     Graien eine gekommen?
[189]
     Wagest du Scheusal,

     Neben der Schönheit,
     Dich vor dem Kennerblick
     Phöbus zu zeigen?

8740
     Tritt du dennoch hervor nur immer,

     Denn das Häßliche schaut Er nicht,
     Wie sein heiliges Auge noch
     Nie erblickte den Schatten.

     Doch uns Sterbliche nöthigt, ach

8745
     Leider! trauriges Mißgeschick

     Zu dem unsäglichen Augenschmerz,
     Den das Verwerfliche, Ewig-unselige
     Schönheitliebenden rege macht.

     Ja so höre denn, wenn du frech

8750
     Uns entgegenest, höre Fluch,

     Höre jeglicher Schelte Drohn
     Aus dem verwünschenden Munde der Glücklichen,
     Die von Göttern gebildet sind.

Phorkyas.
Alt ist das Wort, doch bleibet hoch und wahr der Sinn:

8755
Daß Scham und Schönheit nie zusammen, Hand in Hand,

Den Weg verfolgen über der Erde grünen Pfad.
Tief eingewurzelt wohnt in beiden alter Haß,
Daß, wo sie immer irgend auch des Weges sich
Begegnen, jede der Gegnerin den Rücken kehrt.

8760
Dann eilet jede wieder heftiger weiter fort,
Die Scham betrübt, die Schönheit aber frech gesinnt,
[190]
Bis sie zuletzt des Orcus hohle Nacht umfängt,

Wenn nicht das Alter sie vorher gebändigt hat.
Euch find’ ich nun, ihr frechen, aus der Fremde her

8765
Mit Uebermuth ergossen, gleich der Kraniche

Laut-heiser klingendem Zug, der über unser Haupt,
In langer Wolke, krächzend sein Getön herab
Schickt, das den stillen Wandrer über sich hinauf
Zu blicken lockt; doch ziehn sie ihren Weg dahin,

8770
Er geht den seinen; also wird’s mit uns geschehn.


Wer seyd denn ihr, daß ihr des Königs Hochpalast
Mänadisch wild, Betrunknen gleich, umtoben dürft?
Wer seyd ihr denn, daß ihr des Hauses Schaffnerin
Entgegen heulet, wie dem Mond der Hunde Schaar?

8775
Wähnt ihr, verborgen sey mir welch Geschlecht ihr seyd?

Du kriegerzeugte, schlachterzogne, junge Brut!
Mannlustige du, so wie verführt, verführende!
Entnervend beide, Kriegers auch und Bürgers Kraft.
Zu Hauf euch sehend scheint mir ein Cicaden-Schwarm

8780
Herabzustürzen, deckend grünende Feldersaat.

Verzehrerinnen fremden Fleißes! Naschende
Vernichterinnen aufgekeimten Wohlstands ihr!
Erobert, marktverkauft, vertauschte Waare du!

Helena.
Wer gegenwarts der Frau die Dienerinnen schilt,

8785
Der Gebiet’rin Hausrecht tastet er vermessen an;

Denn ihr gebührt allein das Lobenswürdige
Zu rühmen, wie zu strafen was verwerflich ist.

Auch bin des Dienstes ich wohl zufrieden, den sie mir
[191]
Geleistet als die hohe Kraft von Ilios
8790
Umlagert stand und fiel und lag; nicht weniger

Als wir der Irrfahrt kummervolle Wechselnoth
Ertrugen, wo sonst jeder sich der nächste bleibt.
Auch hier erwart’ ich gleiches von der muntern Schaar;
Nicht was der Knecht sey, fragt der Herr, nur wie er dient.

8795
Drum schweige du und grinse sie nicht länger an.

Hast du das Haus des Königs wohl verwahrt bisher,
Anstatt der Hausfrau, solches dient zum Ruhme dir;
Doch jetzo kommt sie selber, tritt nun du zurück,
Damit nicht Strafe werde statt verdienten Lohns.

Phorkyas.

8800
Den Hausgenossen drohen bleibt ein großes Recht,

Das gottbeglückten Herrschers hohe Gattin sich
Durch langer Jahre weise Leitung wohl verdient.
Da du, nun Anerkannte, nun den alten Platz
Der Königin und Hausfrau wiederum betrittst,

8805
So fasse längst erschlaffte Zügel, herrsche nun,

Nimm in Besitz den Schatz und sämmtlich uns dazu.
Vor allem aber schütze mich die ältere
Vor dieser Schaar, die, neben deiner Schönheit Schwan,
Nur schlecht befittigt schnatterhafte Gänse sind.

Chorführerin.

8810
Wie häßlich neben Schönheit zeigt sich Häßlichkeit.


Phorkyas.

Wie unverständig neben Klugheit Unverstand.

(Von hier an erwiedern die Choretiden, einzeln aus dem Chor heraustretend.)

[192]
Choretide 1.

Von Vater Erebus melde, melde von Mutter Nacht.

Phorkyas.
So sprich von Scylla, leiblich dir Geschwisterkind.

Choretide 2.
An deinem Stammbaum steigt manch Ungeheu'r empor.

Phorkyas.

8815
Zum Orcus hin! da suche deine Sippschaft auf.


Choretide 3.
Die dorten wohnen sind dir alle viel zu jung.

Phorkyas.
Tiresias, den Alten, gehe buhlend an.

Choretide 4.
Orions Amme war dir Ur-Urenkelin.

Phorkyas.
Harpyen, wähn’ ich, fütterten dich im Unflath auf.

Choretide 5.

8820
Mit was ernährst du so gepflegte Magerkeit?


Phorkyas.
Mit Blute nicht, wonach du allzulüstern bist.

Choretide 6.
Begierig du auf Leichen, ekle Leiche selbst!

Phorkyas.
Vampyren-Zähne glänzen dir im frechen Maul.

Chorführerin.
Das deine stopf’ ich wenn ich sage wer du seyst.

Phorkyas.

8825
So nenne dich zuerst, das Räthsel hebt sich auf.
[193]
Helena.

Nicht zürnend, aber trauernd schreit’ ich zwischen euch,
Verbietend solches Wechselstreites Ungestüm!
Denn schädlicheres begegnet nichts dem Herrscherherrn
Als treuer Diener heimlich unterschworner Zwist.

8830
Das Echo seiner Befehle kehrt alsdann nicht mehr

In schnell vollbrachter That wohlstimmig ihm zurück,
Nein, eigenwillig brausend tos’t es um ihn her,
Den selbstverirrten, in’s Vergeb’ne scheltenden.
Dieß nicht allein. Ihr habt in sittelosem Zorn,

8835
Unsel’ger Bilder Schreckgestalten hergebannt,

Die mich umdrängen, daß ich selbst zum Orcus mich
Gerissen fühle, vaterländ’scher Flur zum Trutz.
Ist’s wohl Gedächtniß? war es Wahn, der mich ergreift?
War ich das alles? Bin ich’s? Werd’ ich’s künftig seyn,

8840
Das Traum- und Schreckbild jener Städteverwüstenden?

Die Mädchen schaudern, aber du die älteste
Du stehst gelassen, rede mir verständig Wort.

Phorkyas.
Wer langer Jahre mannichfaltigen Glücks gedenkt,
Ihm scheint zuletzt die höchste Göttergunst ein Traum.

8845
Du aber, hochbegünstigt, sonder Maß und Ziel,

In Lebensreihe sahst nur Liebesbrünstige,
Entzündet rasch zum kühnsten Wagstück jeder Art.
Schon Theseus haschte früh dich, gierig aufgeregt,
Wie Herakles stark, ein herrlich schön geformter Mann.

Helena.

8850
Entführte mich, ein zehenjährig schlankes Reh,
Und mich umschloß Aphidnus Burg in Attika.
[194]
Phorkyas.

Durch Castor dann und Pollux aber bald befreit,
Umworben standst du ausgesuchter Helden-Schaar.

Helena.
Doch stille Gunst vor allen, wie ich gern gesteh’,

8855
Gewann Patroclus, er, des Peliden Ebenbild.


Phorkyas.
Doch Vaterwille traute dich an Menelas,
Den kühnen Seedurchstreicher, Hausbewahrer auch.

Helena.
Die Tochter gab er, gab des Reichs Bestellung ihm.
Aus ehlichem Beiseyn sproßte dann Hermione.

Phorkyas.

8860
Doch als er fern sich Creta’s Erbe kühn erstritt,

Dir Einsamen da erschien ein allzuschöner Gast.

Helena.
Warum gedenkst du jener halben Witwenschaft?
Und welch Verderben gräßlich mir daraus erwuchs!

Phorkyas.
Auch jene Fahrt mir freigebornen Creterin

8865
Gefangenschaft erschuf sie, lange Sclaverey.


Helena.
Als Schaffnerin bestellt’ er dich sogleich hieher,
Vertrauend vieles, Burg und kühn erworbnen Schatz.

Phorkyas.
Die du verließest, Ilios umthürmter Stadt

Und unerschöpften Liebesfreuden zugewandt.
[195]
Helena.
8870
Gedenke nicht der Freuden! allzuherben Leid’s

Unendlichkeit ergoß sich über Brust und Haupt.

Phorkyas.
Doch sagt man, du erschienst ein doppelhaft Gebild,
In Ilios gesehen und in Aegypten auch.

Helena.
Verwirre wüsten Sinnes Aberwitz nicht gar.

8875
Selbst jetzo, welche denn ich sey, ich weiß es nicht.


Phorkyas.
Dann sagen sie: aus hohlem Schattenreich herauf
Gesellte sich inbrünstig noch Achill zu dir!
Dich früher liebend gegen allen Geschicks Beschluß.

Helena.
Ich als Idol, ihm dem Idol verband ich mich.

8880
Es war ein Traum, so sagen ja die Worte selbst.

Ich schwinde hin und werde selbst mir ein Idol.
(Sinkt dem Halbchor in die Arme.)

Chor.
     Schweige, schweige!
     Mißblickende, mißredende du!
     Aus so gräßlichen einzahnigen

8885
     Lippen! was enthaucht wohl

     Solchem furchtbaren Gräuelschlund.

     Denn der Bösartige wohlthätig erscheinend,
     Wolfesgrimm unter schafwolligem Vließ,
     Mir ist er weit schrecklicher als des drey-

8890
     köpfigen Hundes Rachen.
[196]
     Aengstlich lauschend stehn wir da,

     Wann? wie? wo nur bricht’s hervor
     Solcher Tücke
     Tiefauflauerndes Ungethüm?

8895
     Nun denn, statt freundlich mit Trost reich begabten

     Letheschenkenden holdmildesten Worts,
     Regest du auf aller Vergangenheit
     Bösestes mehr denn Gutes,
     Und verdüsterst allzugleich,

8900
     Mit dem Glanz der Gegenwart,

     Auch der Zukunft
     Mild aufschimmerndes Hoffnungslicht.


     Schweige, schweige!
     Daß der Königin Seele,

8905
     Schon zu entfliehen bereit,

     Sich noch halte, fest halte
     Die Gestalt aller Gestalten
     Welche die Sonne jemals beschien.
(Helena hat sich erholt und steht wieder in der Mitte.)

Phorkyas.
Tritt hervor aus flüchtigen Wolken hohe Sonne dieses Tags,

8910
Die verschleiert schon entzückte, blendend nun im Glanze herrscht.

Wie die Welt sich dir entfaltet schaust du selbst mit holdem Blick.

Schelten sie mich auch für häßlich, kenn’ ich doch das Schöne wohl.
[197]
Helena.

Tret’ ich schwankend aus der Oede die im Schwindel mich umgab,
Pflegt’ ich gern der Ruhe wieder, denn so müd’ ist mein Gebein:

8915
Doch es ziemet Königinnen, allen Menschen ziemt es wohl,

Sich zu fassen, zu ermannen, was auch drohend überrascht.

Phorkyas.
Stehst du nun in deiner Großheit, deiner Schöne vor uns da,
Sagt dein Blick, daß du befiehlest, was befiehlst du? sprich es aus.

Helena.
Eures Haders frech Versäumniß auszugleichen seyd bereit,

8920
Eilt ein Opfer zu bestellen wie der König mir gebot.


Phorkyas.
Alles ist bereit im Hause, Schale, Dreyfuß, scharfes Beil,
Zum Besprengen, zum Beräuchern; das zu Opfernde zeig’ an.

Helena.
Nicht bezeichnet’ es der König.

Phorkyas.

 Sprach’s nicht aus? O Jammerwort!
[198]
Helena.

Welch ein Jammer überfällt dich?

Phorkyas.
 Königin, du bist gemeint!

Helena.

8925
Ich?


Phorkyas.
     Und diese.

Chor.
 Weh und Jammer!

Phorkyas.
 Fallen wirst du durch das Beil.

Helena.
Gräßlich! doch geahnt, ich Arme!

Phorkyas.
 Unvermeidlich scheint es mir.

Chor.
Ach! Und uns? was wird begegnen?

Phorkyas.
 Sie stirbt einen edlen Tod;
Doch am hohen Balken drinnen, der des Daches Giebel trägt,
Wie im Vogelfang die Drosseln, zappelt ihr der Reihe nach.

Helena und Chor

(stehen erstaunt und erschreckt, in bedeutender, wohl vorbereiteter Gruppe).
[199]
Phorkyas.
8930
Gespenster! – – Gleich erstarrten Bildern steht ihr da,

Geschreckt vom Tag zu scheiden der euch nicht gehört.
Die Menschen, die Gespenster sämmtlich gleich wie ihr,
Entsagen auch nicht willig hehrem Sonnenschein;
Doch bittet oder rettet niemand sie vom Schluß;

8935
Sie wissen’s alle, wenigen doch gefällt es nur.

Genug ihr seyd verloren! Also frisch an’s Werk.
(Klatscht in die Hände; darauf erscheinen an der Pforte
vermummte Zwerggestalten, welche die ausgesprochenen
Befehle alsobald mit Behendigkeit ausführen.)
Herbei du düstres, kugelrundes Ungethüm,
Wälzt euch hieher, zu schaden gibt es hier nach Lust.
Dem Tragaltar, dem goldgehörnten, gebet Platz;

8940
Das Beil, es liege blinkend über dem Silberrand;

Die Wasserkrüge füllet, abzuwaschen gibt’s
Des schwarzen Blutes gräuelvolle Besudelung.
Den Teppich breitet köstlich hier am Staube hin,
Damit das Opfer niederkniee königlich,

8945
Und eingewickelt, zwar getrennten Haupts, sogleich

Anständig würdig, aber doch bestattet sey.

Chorführerin.
Die Königin stehet sinnend an der Seite hier,
Die Mädchen welken gleich gemähtem Wiesengras;
Mir aber däucht, der Aeltesten, heiliger Pflicht gemäß

8950
Mit dir das Wort zu wechseln, Ur-Urälteste.

Du bist erfahren, weise, scheinst uns gut gesinnt,
Obschon verkennend hirnlos diese Schaar dich traf.

Drum sage, was du möglich noch von Rettung weißt.
[200]
Phorkyas.

Ist leicht gesagt: von der Königin hängt allein es ab

8955
Sich selbst zu erhalten, euch Zugaben auch mit ihr.

Entschlossenheit ist nöthig und die behendeste.

Chor.
Ehrenwürdigste der Parzen, weiseste Sibylle du,
Halte gesperrt die goldne Scheere, dann verkünd’ uns Tag und Heil,
Denn wir fühlen schon im Schweben, Schwanken, Bammeln, unergötzlich

8960
Unsere Gliederchen, die lieber erst im Tanze sich ergötzten,

Ruhten drauf an Liebchens Brust.

Helena.
Laß diese bangen! Schmerz empfind’ ich, keine Furcht;
Doch kennst du Rettung, dankbar sey sie anerkannt.
Dem Klugen, Weitumsichtigen zeigt fürwahr sich oft

8965
Unmögliches noch als möglich. Sprich und sag’ es an! –


Chor.
Sprich und sage, sag’ uns eilig: wie entrinnen wir den grausen,
Garstigen Schlingen, die bedrohlich, als die schlechtesten Geschmeide,
Sich um unsre Hälse ziehen? Vorempfinden wir’s, die Armen,
Zum Entathmen, zum Ersticken, wenn du Rhea, aller Götter

8970
Hohe Mutter, dich nicht erbarmst.
[201]
Phorkyas.

Habt ihr Geduld des Vortrags langgedehnten Zug
Still anzuhören? Mancherlei Geschichten sind’s.

Chor.
Geduld genug! Zuhörend leben wir indeß.

Phorkyas.
Dem der zu Hause verharrend edlen Schatz bewahrt

8975
Und hoher Wohnung Mauern auszukitten weiß,

Wie auch das Dach zu sichern vor des Regens Drang,
Dem wird es wohlgehn lange Lebenstage durch:
Wer aber seiner Schwelle heilige Richte leicht
Mit flüchtigen Sohlen überschreitet freventlich,

8980
Der findet wiederkehrend wohl den alten Platz,

Doch umgeändert alles, wo nicht gar zerstört.

Helena.
Wozu dergleichen wohlbekannte Sprüche hier!
Du willst erzählen, rege nicht an Verdrießliches.

Phorkyas.
Geschichtlich ist es, ist ein Vorwurf keineswegs.

8985
Raubschiffend ruderte Menelas von Bucht zu Bucht;

Gestad’ und Inseln, alles streift’ er feindlich an,
Mit Beute wiederkehrend, wie sie drinnen starrt.
Vor Ilios verbracht’ er langer Jahre zehn,
Zur Heimfahrt aber weiß ich nicht wie viel es war.

8990
Allein wie steht es hier am Platz um Tyndareos

Erhabnes Haus? wie stehet es mit dem Reich umher?

Helena.
Ist dir denn so das Schelten gänzlich einverleibt,

Daß ohne Tadeln du keine Lippe regen kannst?
[202]
Phorkyas.

So viele Jahre stand verlassen das Thal-Gebirg,

8995
Das hinter Sparta nordwärts in die Höhe steigt,

Taygetos im Rücken, wo als muntrer Bach
Herab Eurotas rollt und dann durch unser Thal
An Rohren breit hinfließend eure Schwäne nährt.
Dort hinten still im Gebirgthal hat ein kühn Geschlecht

9000
Sich angesiedelt, dringend aus cimmerischer Nacht,

Und unersteiglich feste Burg sich aufgethürmt,
Von da sie Land und Leute placken wie’s behagt.

Helena.
Das konnten sie vollführen? Ganz unmöglich scheint’s.

Phorkyas.
Sie hatten Zeit, vielleicht an zwanzig Jahre sind’s.

Helena.

9005
Ist Einer Herr? sind’s Räuber viel, Verbündete?


Phorkyas.
Nicht Räuber sind es, Einer aber ist der Herr.
Ich schelt’ ihn nicht und wenn er schon mich heimgesucht.
Wohl konnt’ er alles nehmen, doch begnügt er sich
Mit wenigen Freigeschenken, nannt’ er’s, nicht Tribut.

Helena.

9010
Wie sieht er aus?


Phorkyas.
 Nicht übel! mir gefällt er schon.
Es ist ein munterer, kecker, wohlgebildeter,
Wie unter Griechen wenig, ein verständiger Mann.
Man schilt das Volk Barbaren, doch ich dächte nicht

Daß grausam einer wäre, wie vor Ilios
[203]
9015
Gar mancher Held sich menschenfresserisch erwies.

Ich acht’ auf seine Großheit, ihm vertraut’ ich mich.
Und seine Burg! die solltet ihr mit Augen sehn!
Das ist was anderes gegen plumpes Mauerwerk
Das eure Väter, mir nichts dir nichts, aufgewälzt,

9020
Cyklopisch wie Cyklopen, rohen Stein sogleich

Auf rohe Steine stürzend; dort hingegen, dort
Ist alles senk- und wagerecht und regelhaft.
Von außen schaut sie! himmelan sie strebt empor,
So starr, so wohl in Fugen, spiegelglatt wie Stahl.

9025
Zu klettern hier – ja selbst der Gedanke gleitet ab.

Und innen großer Höfe Raumgelasse, rings
Mit Baulichkeit umgeben aller Art und Zweck.
Da seht ihr Säulen, Säulchen, Bogen, Bögelchen,
Altane, Galerie’n zu schauen aus und ein,

9030
Und Wappen.


Chor.
 Was sind Wappen?

Phorkyas.
 Ajax führte ja
Geschlungne Schlang’ im Schilde, wie ihr selbst gesehn.
Die Sieben dort vor Theben trugen Bildnerey’n
Ein jeder auf seinem Schilde, reich bedeutungsvoll.
Da sah man Mond und Stern’ am nächtigen Himmelsraum,

9035
Auch Göttin, Held und Leiter, Schwerter, Fackeln auch,

Und was Bedrängliches guten Städten grimmig droht.
Ein solch Gebilde führt auch unsre Heldenschaar

Von seinen Ur-Urahnen her in Farbenglanz.
[204]
Da seht ihr Löwen, Adler, Klau’ und Schnabel auch,
9040
Dann Büffelhörner, Flügel, Rosen, Pfauenschweif,

Auch Streifen, gold und schwarz und silbern, blau und roth.
Dergleichen hängt in Sälen Reih’ an Reihe fort,
In Sälen, gränzenlosen, wie die Welt so weit;
Da könnt ihr tanzen!

Chor.
 Sage, gibt’s auch Tänzer da?

Phorkyas.

9045
Die besten! goldgelockte, frische Bubenschaar;

Die duften Jugend! Paris duftete einzig so,
Als er der Königin zu nahe kam.

Helena.
 Du fällst
Ganz aus der Rolle, sage mir das letzte Wort!

Phorkyas.
Du sprichst das letzte, sagst mit Ernst vernehmlich Ja!

9050
Sogleich umgeb’ ich dich mit jener Burg.


Chor.
 O sprich
Das kurze Wort! und rette dich und uns zugleich.

Helena.
Wie? sollt’ ich fürchten, daß der König Menelas
So grausam sich verginge mich zu schädigen?

Phorkyas.
Hast du vergessen, wie er deinen Deiphobus,

9055
Des todtgekämpften Paris Bruder, unerhört
Verstümmelte, der starrsinnig Witwe dich erstritt
[205]
Und glücklich kebs’te; Nas’ und Ohren schnitt er ab

Und stümmelte mehr so; Gräuel war es anzuschaun.

Helena.
Das that er jenem, meinetwegen that er das.

Phorkyas.

9060
Um jenes willen wird er dir das Gleiche thun.

Untheilbar ist die Schönheit; der sie ganz besaß
Zerstört sie lieber, fluchend jedem Theilbesitz.
(Trompeten in der Ferne, der Chor fährt zusammen.)
Wie scharf der Trompete Schmettern Ohr und Eingeweid’
Zerreißend anfaßt, also krallt sich Eifersucht

9065
Im Busen fest des Mannes, der das nie vergißt

Was einst er besaß und nun verlor, nicht mehr besitzt.

Chor.
Hörst du nicht die Hörner schallen? siehst der Waffen Blitze nicht?

Phorkyas.
Sey willkommen Herr und König, gerne geb’ ich Rechenschaft.

Chor.
Aber wir?

Phorkyas.
 Ihr wißt es deutlich, seht vor Augen ihren Tod,

9070
Merkt den eurigen da drinne; nein, zu helfen ist euch nicht.

(Pause.)

Helena.
Ich sann mir aus das Nächste was ich wagen darf.
Ein Widerdämon bist du, das empfind’ ich wohl,

Und fürchte, Gutes wendest du zum Bösen um.
[206]
Vor allem aber folgen will ich dir zur Burg;
9075
Das andre weiß ich; was die Königin dabei

In tiefem Busen geheimnißvoll verbergen mag,
Sey jedem unzugänglich. Alte! geh’ voran.

Chor.
     O wie gern gehen wir hin,
     Eilenden Fußes;

9080
     Hinter uns Tod,

     Vor uns abermals
     Ragender Veste
     Unzugängliche Mauer.
     Schütze sie eben so gut,

9085
     Eben wie Ilios Burg,

     Die doch endlich nur
     Niederträchtiger List erlag.
(Nebel verbreiten sich, umhüllen den Hintergrund, auch die Nähe, nach Belieben.)
     Wie? aber wie!
     Schwestern schaut euch um!

9090
     War es nicht heiterer Tag?

     Nebel schwanken streifig empor
     Aus Eurotas heil’ger Fluth;
     Schon entschwand das liebliche
     Schilfumkränzte Gestade dem Blick,

9095
     Auch die frei, zierlich-stolz

     Sanfthingleitenden Schwäne
     In gesell’ger Schwimmlust

     Seh’ ich, ach, nicht mehr!
[207]
     Doch, aber doch
9100
     Tönen hör’ ich sie,

     Tönen fern heiseren Ton!
     Tod verkündenden sagen sie;
     Ach daß uns er nur nicht auch,
     Statt verheißener Rettung Heil,

9105
     Untergang verkünde zuletzt,

     Uns den schwangleichen, lang-
     Schön weißhalsigen, und ach!
     Uns’rer Schwanerzeugten.
     Weh uns, weh, weh!

9110
     Alles deckte sich schon

     Rings mit Nebel umher.
     Sehen wir doch einander nicht!
     Was geschieht? gehen wir?
     Schweben wir nur

9115
     Trippelnden Schrittes am Boden hin?

     Siehst du nichts? schwebt nicht etwa gar
     Hermes voran? Blinkt nicht der goldne Stab
     Heischend, gebietend uns wieder zurück
     Zu dem unerfreulichen, grautagenden,

9120
     Ungreifbarer Gebilde vollen,

     Ueberfüllten, ewig leeren Hades?

Ja auf einmal wird es düster, ohne Glanz entschwebt der Nebel

Dunkelgräulich, mauerbräunlich. Mauern stellen sich dem Blicke
[208]
Freiem Blicke starr entgegen. Ist’s ein Hof? ist’s tiefe Grube?
9125
Schauerlich in jedem Falle! Schwestern ach! wir sind gefangen,
So gefangen wie nur je.

(Innerer Burghof, umgeben von reichen phantastischen Gebäuden des Mittelalters.)

Chorführerin.

Vorschnell und thöricht, ächt wahrhaftes Weibsgebild!
Vom Augenblick abhängig, Spiel der Witterung
Des Glücks und Unglücks, keins von beiden wißt ihr je

9130
Zu bestehn mit Gleichmuth. Eine widerspricht ja stets

Der andern heftig, überquer die andern ihr;
In Freud’ und Schmerz nur heult und lacht ihr gleichen Ton’s.
Nun schweigt! und wartet horchend was die Herrscherin
Hochsinnig hier beschließen mag für sich und uns.

Helena.

9135
Wo bist du Pythonissa? heiße wie du magst,

Aus diesen Gewölben tritt hervor der düstern Burg.
Gingst etwa du, dem wunderbaren Heldenherrn
Mich anzukündigen, Wohlempfang bereitend mir,
So habe Dank und führe schnell mich ein zu ihm;

9140
Beschluß der Irrfahrt wünsch’ ich, Ruhe wünsch’ ich nur.


Chorführerin.
Vergebens blickst du, Königin, allseits um dich her;
Verschwunden ist das leidige Bild, verblieb vielleicht
Im Nebel dort, aus dessen Busen wir hieher,

Ich weiß nicht wie, gekommen, schnell und sonder Schritt.
[209]
9145
Vielleicht auch irrt sie zweifelhaft im Labyrinth

Der wundersam aus vielen eins gewordnen Burg,
Den Herrn erfragend fürstlicher Hochbegrüßung halb.
Doch sieh, dort oben regt in Menge sich allbereits
In Galerien, am Fenster, in Portalen rasch

9150
Sich hin und her bewegend viele Dienerschaft,

Vornehm-willkommnen Gastempfang verkündet es.

Chor.
     Aufgeht mir das Herz! o, seht nur dahin,
     Wie so sittig herab mit verweilendem Tritt
     Jungholdeste Schaar anständig bewegt

9155
     Den geregelten Zug. Wie? auf wessen Befehl

     Nur erscheinen gereiht und gebildet so früh,
     Von Jünglingsknaben das herrliche Volk?
     Was bewundr’ ich zumeist! Ist es zierlicher Gang,
     Etwa des Haupts Lockhaar um die blendende Stirn,

9160
     Etwa der Wänglein Paar, wie die Pfirsiche roth,

     Und eben auch so weichwollig beflaumt?
     Gern biß ich hinein, doch ich schaudre davor,
     Denn in ähnlichem Fall, da erfüllte der Mund
     Sich, gräßlich zu sagen! mit Asche.

9165
          Aber die schönsten

          Sie kommen daher;
          Was tragen sie nur?
          Stufen zum Thron,
          Teppich und Sitz,

9170
          Umhang und zelt-

          artigen Schmuck,

          Ueber überwallt er,
[210]
          Wolkenkränze bildend,

          Unsrer Königin Haupt;

9175
          Denn schon bestieg sie

          Eingeladen herrlichen Pfühl.
          Tretet heran,
          Stufe für Stufe,
          Reihet euch ernst.

9180
          Würdig, o würdig, dreyfach würdig

          Sey gesegnet ein solcher Empfang!
(Alles vom Chor Ausgesprochene geschieht nach und nach.)

Faust.

(Nachdem Knaben und Knappen in langem Zug herabgestiegen, erscheint er oben an der Treppe in ritterlicher Hofkleidung des Mittelalters und kommt langsam würdig herunter.)

Chorführerin

(ihn aufmerksam beschauend).
Wenn diesem nicht die Götter, wie sie öfter thun,
Für wenige Zeit nur wundernswürdige Gestalt,
Erhabnen Anstand, liebenswerthe Gegenwart

9185
Vorübergänglich liehen; wird ihm jedesmal

Was er beginnt gelingen, sey’s in Männerschlacht,
So auch im kleinen Kriege mit den schönsten Frau’n.
Er ist fürwahr gar vielen andern vorzuziehn,
Die ich doch auch als hochgeschätzt mit Augen sah.

9190
Mit langsam-ernstem, ehrfurchtsvoll gehaltnem Schritt
Seh’ ich den Fürsten; wende dich, o Königin!
[211]
Faust

(herantretend, einen Gefesselten zur Seite).
Statt feierlichsten Grußes, wie sich ziemte,
Statt ehrfurchtsvollem Willkomm bring’ ich dir
In Ketten hartgeschlossen solchen Knecht,

9195
Der, Pflicht verfehlend, mir die Pflicht entwand.

Hier kniee nieder! dieser höchsten Frau
Bekenntniß abzulegen deiner Schuld.
Dieß ist, erhabne Herrscherin, der Mann
Mit seltnem Augenblitz vom hohen Thurm

9200
Umherzuschaun bestellt, dort Himmelsraum

Und Erdenbreite scharf zu überspähn,
Was etwa da und dort sich melden mag,
Vom Hügelkreis in’s Thal zur festen Burg
Sich regen mag, der Heerden Woge sey’s,

9205
Ein Heereszug vielleicht; wir schützen jene,

Begegnen diesem. Heute, welch Versäumniß!
Du kommst heran, er meldet’s nicht, verfehlt
Ist ehrenvollster schuldigster Empfang
So hohen Gastes. Freventlich verwirkt

9210
Das Leben hat er, läge schon im Blut

Verdienten Todes; doch nur du allein
Bestrafst, begnadigst, wie dir’s wohl gefällt.

Helena.
So hohe Würde wie du sie vergönnst,
Als Richterin, als Herrscherin, und wär’s

9215
Versuchend nur, wie ich vermuthen darf,

So üb’ ich nun des Richters erste Pflicht

Beschuldigte zu hören. Rede denn!
[212]
Thurmwächter, Lynceus.

     Laß mich knieen, laß mich schauen,
     Laß mich sterben, laß mich leben,

9220
     Denn schon bin ich hingegeben

     Dieser gottgegebnen Frauen.

     Harrend auf des Morgens Wonne,
     Oestlich spähend ihren Lauf,
     Ging auf einmal mir die Sonne

9225
     Wunderbar im Süden auf.


     Zog den Blick nach jener Seite,
     Statt der Schluchten, statt der Höhn,
     Statt der Erd- und Himmelsweite,
     Sie die Einzige zu spähn.

9230
     Augenstrahl ist mir verliehen

     Wie dem Luchs auf höchstem Baum;
     Doch nun mußt’ ich mich bemühen
     Wie aus tiefem düsterm Traum.

     Wüßt’ ich irgend mich zu finden?

9235
     Zinne? Thurm? geschloss’nes Thor?

     Nebel schwanken, Nebel schwinden,
     Solche Göttin tritt hervor!

     Aug’ und Brust ihr zugewendet
     Sog ich an den milden Glanz,

9240
     Diese Schönheit, wie sie blendet,
     Blendete mich Armen ganz.
[213]
     Ich vergaß des Wächters Pflichten,

     Völlig das beschworne Horn;
     Drohe nur mich zu vernichten,

9245
     Schönheit bändigt allen Zorn.


Helena.
Das Uebel das ich brachte darf ich nicht
Bestrafen. Wehe mir! Welch streng Geschick
Verfolgt mich, überall der Männer Busen
So zu bethören, daß sie weder sich

9250
Noch sonst ein Würdiges verschonten. Raubend jetzt,

Verführend, fechtend, hin und her entrückend,
Halbgötter, Helden, Götter, ja Dämonen,
Sie führten mich im Irren her und hin.
Einfach die Welt verwirrt’ ich, doppelt mehr,

9255
Nun dreyfach, vierfach bring’ ich Noth auf Noth.

Entferne diesen Guten, laß ihn frei;
Den Gottbethörten treffe keine Schmach.

Faust.
Erstaunt, o Königin, seh’ ich zugleich
Die sicher Treffende, hier den Getroffnen;

9260
Ich seh’ den Bogen, der den Pfeil entsandt,

Verwundet jenen. Pfeile folgen Pfeilen
Mich treffend. Allwärts ahn’ ich überquer
Gefiedert schwirrend sie in Burg und Raum.
Was bin ich nun? Auf einmal machst du mir

9265
Rebellisch die Getreusten, meine Mauern

Unsicher. Also fürcht’ ich schon, mein Heer
Gehorcht der siegend unbesiegten Frau.

Was bleibt mir übrig, als mich selbst und alles,
[214]
Im Wahn das Meine, dir anheim zu geben?
9270
Zu deinen Füßen laß mich, frei und treu,

Dich Herrin anerkennen, die sogleich
Auftretend sich Besitz und Thron erwarb.

Lynceus
(mit einer Kiste und Männer die ihm andere nachtragen).
     Du siehst mich, Königin, zurück!
     Der Reiche bettelt einen Blick,

9275
     Er sieht dich an und fühlt sogleich

     Sich bettelarm und fürstenreich.

     Was war ich erst? was bin ich nun?
     Was ist zu wollen? was zu thun?
     Was hilft der Augen schärfster Blitz!

9280
     Er prallt zurück an deinem Sitz.


     Von Osten kamen wir heran
     Und um den Westen war’s gethan;
     Ein lang und breites Volksgewicht,
     Der erste wußte vom letzten nicht.

9285
     Der erste fiel, der zweyte stand,

     Des dritten Lanze war zur Hand;
     Ein jeder hundertfach gestärkt,
     Erschlagne Tausend unbemerkt.

     Wir drängten fort, wir stürmten fort,

9290
     Wir waren Herrn von Ort zu Ort;

     Und wo ich herrisch heut befahl

     Ein andrer morgen raubt’ und stahl.
[215]
     Wir schauten, – eilig war die Schau;

     Der griff die allerschönste Frau,

9295
     Der griff den Stier von festem Tritt,

     Die Pferde mußten alle mit.

     Ich aber liebte zu erspähn
     Das Seltenste was man gesehn,
     Und was ein andrer auch besaß,

9300
     Das war für mich gedörrtes Gras.


     Den Schätzen war ich auf der Spur,
     Den scharfen Blicken folgt’ ich nur,
     In alle Taschen blickt’ ich ein,
     Durchsichtig war mir jeder Schrein.

9305
     Und Haufen Goldes waren mein,

     Am herrlichsten der Edelstein:
     Nun der Smaragd allein verdient
     Daß er an deinem Herzen grünt.

     Nun schwanke zwischen Ohr und Mund

9310
     Das Tropfeney aus Meeresgrund;

     Rubinen werden gar verscheucht,
     Das Wangenroth sie niederbleicht.

     Und so den allergrößten Schatz
     Versetz’ ich hier auf deinen Platz,

9315
     Zu deinen Füßen sey gebracht
     Die Ernte mancher blutigen Schlacht.
[216]
     So viele Kisten schlepp’ ich her,

     Der Eisenkisten hab’ ich mehr;
     Erlaube mich auf deiner Bahn

9320
     Und Schatzgewölbe füll’ ich an.


     Denn du bestiegest kaum den Thron,
     So neigen schon, so beugen schon
     Verstand und Reichthum und Gewalt
     Sich vor der einzigen Gestalt.

9325
     Das alles hielt ich fest und mein,

     Nun aber lose, wird es dein,
     Ich glaubt’ es würdig, hoch und baar,
     Nun seh’ ich, daß es nichtig war.

     Verschwunden ist was ich besaß,

9330
     Ein abgemähtes welkes Gras.

     O gib mit einem heitern Blick
     Ihm seinen ganzen Werth zurück!

Faust.
Entferne schnell die kühn erworbne Last,
Zwar nicht getadelt aber unbelohnt.

9335
Schon ist ihr alles eigen was die Burg

Im Schoß verbirgt, Besondres ihr zu bieten
Ist unnütz. Geh’ und häufe Schatz auf Schatz
Geordnet an. Der ungeseh’nen Pracht
Erhabnes Bild stell’ auf! Laß die Gewölbe

9340
Wie frische Himmel blinken, Paradiese
Von leblosem Leben richte zu.
[217]
Voreilend ihren Tritten laß beblümt

An Teppich Teppiche sich wälzen; ihrem Tritt
Begegne sanfter Boden; ihrem Blick,

9345
Nur Göttliche nicht blendend, höchster Glanz.


Lynceus.
     Schwach ist was der Herr befiehlt,
     Thut’s der Diener, es ist gespielt:
     Herrscht doch über Gut und Blut
     Dieser Schönheit Uebermuth.

9350
     Schon das ganze Heer ist zahm,

     Alle Schwerter stumpf und lahm,
     Vor der herrlichen Gestalt
     Selbst die Sonne matt und kalt,
     Vor dem Reichthum des Gesichts

9355
     Alles leer und alles nichts.

(Ab.)

Helena (zu Faust).
Ich wünsche dich zu sprechen, doch herauf
An meine Seite komm’! der leere Platz
Beruft den Herrn und sichert mir den meinen.

Faust.
Erst knieend laß die treue Widmung dir

9360
Gefallen, hohe Frau; die Hand, die mich

An deine Seite hebt, laß mich sie küssen.
Bestärke mich als Mitregenten deines
Gränzunbewußten Reichs, gewinne dir
Verehrer, Diener, Wächter all’ in Einem.

Helena.

9365
Vielfache Wunder seh’ ich, hör’ ich an,
[218]
Erstaunen trifft mich, fragen möcht’ ich viel.

Doch wünscht’ ich Unterricht, warum die Rede
Des Mann’s mir seltsam klang, seltsam und freundlich.
Ein Ton scheint sich dem andern zu bequemen,

9370
Und hat ein Wort zum Ohre sich gesellt,

Ein andres kommt, dem ersten liebzukosen.

Faust.
Gefällt dir schon die Sprechart unsrer Völker
O so gewiß entzückt auch der Gesang,
Befriedigt Ohr und Sinn im tiefsten Grunde.

9375
Doch ist am sichersten wir üben’s gleich,

Die Wechselrede lockt es, ruft’s hervor.

Helena.
So sage denn, wie sprech’ ich auch so schön?

Faust.
Das ist gar leicht, es muß vom Herzen gehn.
Und wenn die Brust von Sehnsucht überfließt,

9380
Man sieht sich um und fragt –


Helena.
 Wer mit genießt,

Faust.
Nun schaut der Geist nicht vorwärts nicht zurück,
Die Gegenwart allein –

Helena.
 Ist unser Glück.

Faust.
Schatz ist sie, Hochgewinn, Besitz und Pfand;

Bestätigung wer gibt sie?
[219]
Helena.

 Meine Hand.

Chor.

9385
Wer verdächt’ es unsrer Fürstin

Gönnet sie dem Herrn der Burg
Freundliches Erzeigen.
Denn gesteht, sämmtliche sind wir
Ja Gefangene, wie schon öfter

9390
Seit dem schmählichen Untergang

Ilios und der ängstlich-
Labyrinthischen Kummerfahrt.
Fraun, gewöhnt an Männerliebe,
Wählerinnen sind sie nicht,

9395
Aber Kennerinnen.

Und wie goldlockigen Hirten,
Vielleicht schwarzborstigen Faunen,
Wie es bringt die Gelegenheit,
Ueber die schwellenden Glieder

9400
Vollertheilen sie gleiches Recht.

Nah und näher sitzen sie schon
An einander gelehnet,
Schulter an Schulter, Knie an Knie;
Hand in Hand wiegen sie sich

9405
Ueber des Throns

Aufgepolsterter Herrlichkeit.
Nicht versagt sich die Majestät
Heimlicher Freuden
Vor den Augen des Volkes

9410
Uebermüthiges Offenbarseyn.
[220]
Helena.

Ich fühle mich so fern und doch so nah,
Und sage nur zu gern: da bin ich! da!

Faust.
Ich athme kaum, mir zittert, stockt das Wort,
Es ist ein Traum, verschwunden Tag und Ort.

Helena.

9415
Ich scheine mir verlebt und doch so neu,

In dich verwebt, dem Unbekannten treu.

Faust.
Durchgrüble nicht das einzigste Geschick,
Daseyn ist Pflicht und wär’s ein Augenblick.

Phorkyas (heftig eintretend).
     Buchstabirt in Liebes-Fibeln,

9420
     Tändelnd grübelt nur am Liebeln,

     Müßig liebelt fort im Grübeln,
     Doch dazu ist keine Zeit.
     Fühlt ihr nicht ein dumpfes Wettern?
     Hört nur die Trompete schmettern,

9425
     Das Verderben ist nicht weit.

     Menelas mit Volkes-Wogen
     Kommt auf euch herangezogen;
     Rüstet euch zu herbem Streit!
     Von der Sieger-Schaar umwimmelt,

9430
     Wie Deiphobus verstümmelt,

     Büßest du das Fraun-Geleit.
     Bammelt erst die leichte Waare,
     Dieser gleich ist am Altare

     Neugeschliffnes Beil bereit.
[221]
Faust.
9435
Verwegne Störung! widerwärtig dringt sie ein,

Auch nicht in Gefahren mag ich sinnlos Ungestüme.
Den schönsten Boten Unglücksbotschaft häßlicht ihn;
Du Häßlichste gar nur schlimme Botschaft bringst du gern.
Doch dießmal soll dir’s nicht gerathen, leeres Hauchs

9440
Erschüttere du die Lüfte. Hier ist nicht Gefahr,
Und selbst Gefahr erschiene nur als eitles Dräun.

(Signale, Explosionen von den Thürmen, Trompeten und Zinken, kriegerische Musik, Durchmarsch gewaltiger Heereskraft.)

Faust.

     Nein gleich sollst du versammelt schauen
     Der Helden ungetrennten Kreis:
     Nur der verdient die Gunst der Frauen,

9445
     Der kräftigst sie zu schützen weiß.

(Zu den Heerführern, die sich von den Colonnen absondern und herantreten.)

     Mit angehaltnem stillen Wüthen,
     Das euch gewiß den Sieg verschafft,
     Ihr Nordens jugendliche Blüthen,
     Ihr Ostens blumenreiche Kraft.

9450
     In Stahl gehüllt, vom Strahl umwittert,

     Die Schaar die Reich um Reich zerbrach,
     Sie treten auf, die Erde schüttert,

     Sie schreiten fort, es donnert nach.
[222]
     An Pylos traten wir zu Lande,
9455
     Der alte Nestor ist nicht mehr,

     Und alle kleinen Königsbande
     Zersprengt das ungebundne Heer.

     Drängt ungesäumt von diesen Mauern
     Jetzt Menelas dem Meer zurück!

9460
     Dort irren mag er, rauben, lauern,

     Ihm war es Neigung und Geschick.

     Herzoge soll ich euch begrüßen,
     Gebietet Sparta’s Königin,
     Nun legt ihr Berg und Thal zu Füßen,

9465
     Und euer sey des Reichs Gewinn.


     Germane du! Corinthus Buchten
     Vertheidige mit Wall und Schutz,
     Achaia dann mit hundert Schluchten
     Empfehl’ ich Gothe deinem Trutz.

9470
     Nach Elis ziehn der Franken Heere,

     Messene sey der Sachsen Loos,
     Normanne reinige die Meere
     Und Argolis erschaff’ er groß.

     Dann wird ein jeder häuslich wohnen,

9475
     Nach außen richten Kraft und Blitz;

     Doch Sparta soll euch überthronen,

     Der Königin verjährter Sitz.
[223]
     All-Einzeln sieht sie euch genießen

     Des Landes dem kein Wohl gebricht;

9480
     Ihr sucht getrost zu ihren Füßen

     Bestätigung und Recht und Licht.
(Faust steigt herab, die Fürsten schließen einen Kreis um ihn, Befehl und Anordnung näher zu vernehmen.)

Chor.
     Wer die Schönste für sich begehrt,
     Tüchtig vor allen Dingen
     Seh’ er nach Waffen weise sich um;

9485
     Schmeichelnd wohl gewann er sich

     Was auf Erden das Höchste;
     Aber ruhig besitzt er’s nicht:
     Schleicher listig entschmeicheln sie ihm,
     Räuber kühnlich entreißen sie ihm,

9490
     Dieses zu hindern sey er bedacht.


     Unsern Fürsten lob’ ich drum,
     Schätz’ ihn höher vor andern,
     Wie er so tapfer klug sich verband,
     Daß die Starken gehorchend stehn

9495
     Jedes Winkes gewärtig.

     Seinen Befehl vollziehn sie treu,
     Jeder sich selbst zu eignem Nutz,
     Wie dem Herrscher zu lohnendem Dank,
     Beiden zu höchlichem Ruhmes-Gewinn.

9500
     Denn wer entreißet sie jetzt
     Dem gewalt’gen Besitzer?
[224]
     Ihm gehört sie, ihm sey sie gegönnt,

     Doppelt von uns gegönnt, die er
     Sammt ihr zugleich innen mit sicherster Mauer,

9505
     Außen mit mächtigstem Heer umgab.


Faust.
Die Gaben, diesen hier verliehen –
An jeglichen ein reiches Land –
Sind groß und herrlich, laß sie ziehen!
Wir halten in der Mitte Stand.

9510
Und sie beschützen um die Wette,

Rings um von Wellen angehüpft,
Nichtinsel dich, mit leichter Hügelkette
Europens letztem Bergast angeknüpft.

Das Land, vor aller Länder Sonnen

9515
Sey ewig jedem Stamm beglückt,

Nun meiner Königin gewonnen,
Das früh an ihr hinaufgeblickt.

Als, mit Eurotas Schilfgeflüster,
Sie leuchtend aus der Schale brach,

9520
Der hohen Mutter, dem Geschwister

Das Licht der Augen überstach.

Dieß Land, allein zu dir gekehret,
Entbietet seinen höchsten Flor;
Dem Erdkreis, der dir angehöret,

9525
Dein Vaterland, o zieh’ es vor!
[225]

Und duldet auch auf seiner Berge Rücken
Das Zackenhaupt der Sonne kalten Pfeil,
Läßt nun der Fels sich angegrünt erblicken,
Die Ziege nimmt genäschig kargen Theil.

9530
Die Quelle springt, vereinigt stürzen Bäche,

Und schon sind Schluchten, Hänge, Matten grün.
Auf hundert Hügeln unterbrochner Fläche
Siehst Wollenheerden ausgebreitet ziehn.

Vertheilt, vorsichtig, abgemessen schreitet

9535
Gehörntes Rind hinan zum jähen Rand,

Doch Obdach ist den sämmtlichen bereitet,
Zu hundert Höhlen wölbt sich Felsenwand.

Pan schützt sie dort und Lebensnymphen wohnen
In buschiger Klüfte feucht erfrischtem Raum,

9540
Und, sehnsuchtsvoll nach höhern Regionen,

Erhebt sich zweighaft Baum gedrängt an Baum.

Alt-Wälder sind’s! die Eiche starret mächtig,
Und eigensinnig zackt sich Ast an Ast;
Der Ahorn mild, von süßem Safte trächtig,

9545
Steigt rein empor und spielt mit seiner Last.


Und mütterlich im stillen Schattenkreise
Quillt laue Milch bereit für Kind und Lamm;
Obst ist nicht weit, der Ebnen reife Speise,

Und Honig trieft vom ausgehöhlten Stamm.
[226]
9550
Hier ist das Wohlbehagen erblich,

Die Wange heitert wie der Mund,
Ein jeder ist an seinem Platz unsterblich,
Sie sind zufrieden und gesund.

Und so entwickelt sich am reinen Tage

9555
Zu Vaterkraft das holde Kind.

Wir staunen drob; noch immer bleibt die Frage:
Ob’s Götter, ob es Menschen sind?

So war Apoll den Hirten zugestaltet
Daß ihm der schönsten einer glich;

9560
Denn wo Natur im reinen Kreise waltet

Ergreifen alle Welten sich.
(Neben ihr sitzend.)

So ist es mir, so ist es dir gelungen,
Vergangenheit sey hinter uns gethan;
O fühle dich vom höchsten Gott entsprungen,

9565
Der ersten Welt gehörst du einzig an.


Nicht feste Burg soll dich umschreiben!
Noch zirkt, in ewiger Jugendkraft
Für uns, zu wonnevollem Bleiben,
Arkadien in Sparta’s Nachbarschaft.

9570
Gelockt auf seligem Grund zu wohnen

Du flüchtetest in’s heiterste Geschick!
Zur Laube wandeln sich die Thronen,

Arkadisch frei sey unser Glück!

(Der Schauplatz verwandelt sich durchaus. An eine Reihe [227] von Felsenhöhlen lehnen sich geschlossene Lauben. Schattiger Hain bis an die rings umgebende Felsensteile hinan. Faust und Helena werden nicht gesehen. Der Chor liegt schlafend vertheilt umher.)

Phorkyas.

Wie lange Zeit die Mädchen schlafen weiß ich nicht,

9575
Ob sie sich träumen ließen was ich hell und klar

Vor Augen sah, ist ebenfalls mir unbekannt.
Drum weck’ ich sie. Erstaunen soll das junge Volk;
Ihr Bärtigen auch, die ihr da drunten sitzend harrt,
Glaubhafter Wunder Lösung endlich anzuschaun.

9580
Hervor! hervor! Und schüttelt eure Locken rasch;

Schlaf aus den Augen! Blinzt nicht so, und hört mich an!

Chor.
Rede nur, erzähl’, erzähle was sich Wunderlich’s begeben,
Hören möchten wir am liebsten was wir gar nicht glauben können,
Denn wir haben lange Weile diese Felsen anzusehn.

Phorkyas.

9585
Kaum die Augen ausgerieben, Kinder, langeweilt ihr schon?

So vernehmt: in diesen Höhlen, diesen Grotten, diesen Lauben
Schutz und Schirmung war verliehen, wie idyllischem Liebespaare,

Unserm Herrn und unsrer Frauen.
[228]
Chor.

 Wie, da drinnen?

Phorkyas.
 Abgesondert
Von der Welt, nur mich die Eine riefen sie zu stillem Dienste.

9590
Hochgeehrt stand ich zur Seite, doch, wie es Vertrauten ziemet,

Schaut’ ich um nach etwas andrem. Wendete mich hier- und dorthin,
Suchte Wurzeln, Moos und Rinden, kundig aller Wirksamkeiten,
Und so blieben sie allein.

Chor.
Thust du doch als ob da drinnen ganze Weltenräume wären,

9595
Wald und Wiese, Bäche, Seen; welche Mährchen spinnst du ab!


Phorkyas.
Allerdings, ihr Unerfahrnen! das sind unerforschte Tiefen:
Saal an Sälen, Hof an Höfen, diese spürt’ ich sinnend aus.
Doch auf einmal ein Gelächter echo’t in den Höhlen-Räumen;
Schau’ ich hin, da springt ein Knabe von der Frauen Schoß zum Manne,

9600
Von dem Vater zu der Mutter; das Gekose, das Getändel
[229]
Thöriger Liebe Neckereyen, Scherzgeschrei und Lustgejauchze

Wechselnd übertäuben mich.
Nackt ein Genius ohne Flügel, faunenartig ohne Thierheit
Springt er auf den festen Boden, doch der Boden gegenwirkend

9605
Schnellt ihn zu der luftigen Höhe, und im zweyten dritten Sprunge

Rührt er an das Hochgewölb.
Aengstlich ruft die Mutter: springe wiederholt und nach Belieben,
Aber hüte dich zu fliegen, freier Flug ist dir versagt.
Und so mahnt der treue Vater: in der Erde liegt die Schnellkraft,

9610
Die dich aufwärts treibt, berühre mit der Zehe nur den Boden

Wie der Erdensohn Antäus bist du alsobald gestärkt.
Und so hüpft er auf die Masse dieses Felsens, von der Kante
Zu dem andern und umher so wie ein Ball geschlagen springt.
Doch auf einmal in der Spalte rauher Schlucht ist er verschwunden,

9615
Und nun scheint er uns verloren. Mutter jammert, Vater tröstet,

Achselzuckend steh’ ich ängstlich. Doch nun wieder welch Erscheinen!

Liegen Schätze dort verborgen? Blumenstreifige Gewande
[230]
Hat er würdig angethan.

Quasten schwanken von den Armen, Binden flattern um den Busen,

9620
In der Hand die goldne Leyer, völlig wie ein kleiner Phöbus,

Tritt er wohlgemuth zur Kante, zu dem Ueberhang; wir staunen.
Und die Eltern vor Entzücken werfen wechselnd sich an’s Herz.
Denn wie leuchtet’s ihm zu Haupten? Was erglänzt ist schwer zu sagen,
Ist es Goldschmuck, ist es Flamme übermächtiger Geisteskraft.

9625
Und so regt er sich gebärdend, sich als Knabe schon verkündend

Künftigen Meister alles Schönen, dem die ewigen Melodieen
Durch die Glieder sich bewegen; und so werdet ihr ihn hören,
Und so werdet ihr ihn sehn zu einzigster Bewunderung.

Chor.
     Nennst du ein Wunder dieß,

9630
     Creta’s Erzeugte?

     Dichtend belehrendem Wort
     Hast du gelauscht wohl nimmer?
     Niemals noch gehört Ioniens,
     Nie vernommen auch Hellas

9635
     Urväterlicher Sagen
     Göttlich-heldenhaften Reichthum?
[231]
     Alles was je geschieht

     Heutiges Tages
     Trauriger Nachklang ist’s

9640
     Herrlicher Ahnherrn-Tage;

     Nicht vergleicht sich dein Erzählen
     Dem, was liebliche Lüge,
     Glaubhaftiger als Wahrheit,
     Von dem Sohne sang der Maja.

9645
     Diesen zierlich und kräftig doch

     Kaum geborenen Säugling
     Faltet in reinster Windeln Flaum,
     Strenget in köstlicher Wickeln Schmuck
     Klatschender Wärterinnen Schaar

9650
     Unvernünftigen Wähnens.

     Kräftig und zierlich aber zieht
     Schon der Schalk die geschmeidigen
     Doch elastischen Glieder
     Listig heraus, die purpurne

9655
     Aengstlich drückende Schale

     Lassend ruhig an seiner Statt,
     Gleich dem fertigen Schmetterling,
     Der aus starrem Puppenzwang
     Flügel entfaltend behendig schlüpft,

9660
     Sonne-durchstrahlten Aether kühn

     Und muthwillig durchflatternd.

     So auch er, der behendeste,

     Daß er Dieben und Schälken,
[232]
     Vortheil suchenden allen auch
9665
     Ewig günstiger Dämon sey,

     Dieß bethätigt er alsobald
     Durch gewandteste Künste.
     Schnell des Meeres Beherrscher stiehlt
     Er den Trident, ja dem Ares selbst

9670
     Schlau das Schwert aus der Scheide,

     Bogen und Pfeil dem Phöbus auch,
     Wie dem Hephästos die Zange;
     Selber Zeus, des Vaters, Blitz
     Nähm’ er, schreckt’ ihn das Feuer nicht;

9675
     Doch dem Eros siegt er ob

     In beinstellendem Ringerspiel.
     Raubt auch Cyprien, wie sie ihm kos’t,
     Noch vom Busen den Gürtel.
(Ein reizendes, reinmelodisches Saitenspiel erklingt aus der Höhle.
Alle merken auf und scheinen bald innig gerührt. Von hier
an bis zur bemerkten Pause durchaus mit vollstimmiger Musik.)

Phorkyas.
     Höret allerliebste Klänge,

9680
     Macht euch schnell von Fabeln frei,

     Eurer Götter alt Gemenge
     Laßt es hin, es ist vorbei.

     Niemand will euch mehr verstehen,
     Fordern wir doch höhern Zoll:

9685
     Denn es muß von Herzen gehen,

     Was auf Herzen wirken soll.

(Sie zieht sich nach dem Felsen zurück.)
[233]
Chor.

Bist du fürchterliches Wesen
Diesem Schmeichelton geneigt,
Fühlen wir als frisch genesen,

9690
Uns zur Thränenlust erweicht.


Laß der Sonne Glanz verschwinden,
Wenn es in der Seele tagt,
Wir im eignen Herzen finden
Was die ganze Welt versagt.

Helena. Faust. Euphorion
(in dem oben beschriebenen Costume).

Euphorion.

9695
     Hört ihr Kindeslieder singen,

     Gleich ist’s euer eigner Scherz;
     Seht ihr mich im Tacte springen,
     Hüpft euch elterlich das Herz.

Helena.
     Liebe, menschlich zu beglücken,

9700
     Nähert sie ein edles Zwey;

     Doch zu göttlichem Entzücken
     Bildet sie ein köstlich Drey.

Faust.
     Alles ist sodann gefunden:
     Ich bin dein und du bist mein;

9705
     Und so stehen wir verbunden,
     Dürft’ es doch nicht anders seyn!
[234]
Chor.

Wohlgefallen vieler Jahre
In des Knaben mildem Schein
Sammelt sich auf diesem Paare.

9710
O! wie rührt mich der Verein.


Euphorion.
     Nun laßt mich hüpfen,
     Nun laßt mich springen,
     Zu allen Lüften
     Hinauf zu dringen

9715
     Ist mir Begierde,

     Sie faßt mich schon.

Faust.
     Nur mäßig! mäßig!
     Nicht in’s Verwegne,
     Daß Sturz und Unfall

9720
     Dir nicht begegne,

     Zu Grund’ uns richte
     Der theure Sohn.

Euphorion.
     Ich will nicht länger
     Am Boden stocken;

9725
     Laßt meine Hände,

     Laßt meine Locken,
     Laßt meine Kleider,

     Sie sind ja mein.
[235]
Helena.

     O denk’! o denke

9730
     Wem du gehörest!

     Wie es uns kränke,
     Wie du zerstörest
     Das schön errungene
     Mein, Dein und Sein.

Chor.

9735
     Bald lös’t, ich fürchte,

     Sich der Verein!

Helena und Faust.
     Bändige! bändige,
     Eltern zu Liebe,
     Ueberlebendige

9740
     Heftige Triebe!

     Ländlich im Stillen
     Ziere den Plan.

Euphorion.
     Nur euch zu Willen
     Halt’ ich mich an.
(Durch den Chor sich schlingend und ihn zum Tanz fortziehend.)

9745
     Leichter umschweb’ ich hie,

     Muntres Geschlecht.
     Ist nun die Melodie,
     Ist die Bewegung recht?

Helena.
     Ja, das ist wohlgethan,

9750
     Führe die Schönen an
     Künstlichem Reihn.
[236]
Faust.

     Wäre das doch vorbei!
     Mich kann die Gaukeley
     Gar nicht erfreun.

Euphorion und Chor
(tanzend und singend bewegen sich in verschlungenen Reihen).

9755
     Wenn du der Arme Paar

     Lieblich bewegest;
     Im Glanz dein lockig Haar
     Schüttelnd erregest,
     Wenn dir der Fuß so leicht

9760
     Ueber die Erde schleicht,

     Dort und da wieder hin
     Glieder um Glied sich ziehn,
     Hast du dein Ziel erreicht
     Liebliches Kind;

9765
     All’ unsre Herzen sind

     All’ dir geneigt.
(Pause.)

Euphorion.
     Ihr seyd so viele
     Leichtfüßige Rehe,
     Zu neuem Spiele

9770
     Frisch aus der Nähe,

     Ich bin der Jäger,

     Ihr seyd das Wild.
[237]
Chor.

     Willst du uns fangen
     Sey nicht behende,

9775
     Denn wir verlangen

     Doch nur am Ende
     Dich zu umarmen
     Du schönes Bild.

Euphorion.
     Nur durch die Haine!

9780
     Zu Stock und Steine!

     Das leicht Errungene
     Das widert mir,
     Nur das Erzwungene
     Ergötzt mich schier.

Helena und Faust.

9785
Welch ein Muthwill, welch ein Rasen!

Keine Mäßigung ist zu hoffen,
Klingt es doch wie Hörnerblasen
Ueber Thal und Wälder dröhnend,
Welch ein Unfug! Welch Geschrei!

Chor
(einzeln schnell eintretend).

9790
Uns ist er vorbei gelaufen;

Mit Verachtung uns verhöhnend,
Schleppt’ er von dem ganzen Haufen

Nun die wildeste herbei.
[238]
Euphorion

(ein junges Mädchen hereintragend).
Schlepp’ ich her die derbe Kleine

9795
Zu erzwungenem Genusse.

Mir zur Wonne, mir zur Lust
Drück’ ich widerspenstige Brust,
Küss’ ich widerwärtigen Mund,
Thue Kraft und Willen kund.

Mädchen.

9800
Laß mich los! In dieser Hülle

Ist auch Geistes Muth und Kraft;
Deinem gleich ist unser Wille
Nicht so leicht hinweggerafft.
Glaubst du wohl mich im Gedränge?

9805
Deinem Arm vertraust du viel!

Halte fest, und ich versenge
Dich den Thoren mir zum Spiel.
(Sie flammt auf und lodert in die Höhe.)
Folge mir in leichte Lüfte,
Folge mir in starre Grüfte,

9810
Hasche das verschwundne Ziel.


Euphorion
(die letzten Flammen abschüttelnd).
     Felsengedränge hier
     Zwischen dem Waldgebüsch,
     Was soll die Enge mir,

     Bin ich doch jung und frisch.
[239]
9815
     Winde sie sausen ja,

     Wellen sie brausen da;
     Hör’ ich doch beides fern,
     Nah wär’ ich gern.
(Er springt immer höher Fels auf.)

Helena, Faust und Chor.
Wolltest du den Gemsen gleichen?

9820
Vor dem Falle muß uns graun.


Euphorion.
Immer höher muß ich steigen,
Immer weiter muß ich schaun.
     Weiß ich nun wo ich bin!
     Mitten der Insel drinn,

9825
     Mitten in Pelops Land,

     Erde- wie seeverwandt.

Chor.
     Magst nicht in Berg und Wald
     Friedlich verweilen,
     Suchen wir alsobald

9830
     Reben in Zeilen,

     Reben am Hügelrand;
     Feigen und Apfelgold.
     Ach, in dem holden Land
     Bleibe du hold!

Euphorion.

9835
     Träumt ihr den Friedenstag?

     Träume wer träumen mag.
     Krieg ist das Losungswort!

     Sieg! und so klingt es fort.
[240]
Chor.

     Wer im Frieden

9840
     Wünschet sich Krieg zurück,

     Der ist geschieden
     Vom Hoffnungsglück.

Euphorion.
     Welche dieß Land gebar
     Aus Gefahr in Gefahr,

9845
     Frei, unbegränzten Muths,

     Verschwendrisch eignen Bluts,
     Mit nicht zu dämpfendem
     Heiligem Sinn,
     Alle den Kämpfenden

9850
     Bring’ es Gewinn!


Chor.
     Seht hinauf wie hoch gestiegen!
     Und erscheint uns doch nicht klein.
     Wie im Harnisch, wie zum Siegen,
     Wie von Erz und Stahl der Schein.

Euphorion.

9855
     Keine Welle, keine Mauern,

     Jeder nur sich selbst bewußt;
     Feste Burg um auszudauern
     Ist des Mannes eh’rne Brust.

     Wollt ihr unerobert wohnen,

9860
     Leicht bewaffnet rasch in’s Feld;

     Frauen werden Amazonen

     Und ein jedes Kind ein Held.
[241]
Chor.

     Heilige Poesie
     Himmelan steige sie!

9865
     Glänze, der schönste Stern,

     Fern und so weiter fern,
     Und sie erreicht uns doch
     Immer, man hört sie noch,
     Vernimmt sie gern.

Euphorion.

9870
Nein, nicht ein Kind bin ich erschienen,

In Waffen kommt der Jüngling an!
Gesellt zu Starken, Freien, Kühnen,
Hat er im Geiste schon gethan.
Nun fort!

9875
Nun[7] dort

Eröffnet sich zum Ruhm die Bahn.

Helena und Faust.
Kaum in’s Leben eingerufen,
Heitrem Tag gegeben kaum,
Sehnest du von Schwindelstufen

9880
Dich zu schmerzenvollem Raum.

Sind denn wir
Gar nichts dir?
Ist der holde Bund ein Traum?

Euphorion.
Und hört ihr donnern auf dem Meere?

9885
Dort wiederdonnern Thal um Thal,

In Staub und Wellen, Heer dem Heere,

In Drang um Drang zu Schmerz und Qual.
[242]
     Und der Tod

     Ist Gebot,

9890
     Das versteht sich nun einmal.


Helena, Faust und Chor.
     Welch Entsetzen! welches Grauen!
     Ist der Tod denn dir Gebot?

Euphorion.
     Sollt’ ich aus der Ferne schauen?
     Nein! ich theile Sorg’ und Noth.

Die Vorigen.

9895
     Uebermuth und Gefahr!

     Tödtliches Loos.

Euphorion.
     Doch! – und ein Flügelpaar
     Faltet sich los!
     Dorthin! Ich muß! ich muß!

9900
     Gönn’t mir den Flug!

(Er wirft sich in die Lüfte, die Gewande tragen ihn einen Augenblick, sein Haupt strahlt, ein Lichtschweif zieht nach.)

Chor.
     Ikarus! Ikarus!
     Jammer genug.

(Ein schöner Jüngling stürzt zu der Eltern Füßen, man glaubt in dem Todten eine bekannte Gestalt zu erblicken; doch das Körperliche verschwindet sogleich, die Aureole steigt wie ein Komet zum Himmel auf, Kleid, Mantel und Lyra bleiben liegen.)
[243]
Helena und Faust.

     Der Freude folgt sogleich
     Grimmige Pein.

Euphorions
(Stimme aus der Tiefe).

9905
     Laß mich im düstern Reich

     Mutter mich nicht allein!
(Pause.)

Chor.
(Trauergesang.)
     Nicht allein! – wo du auch weilest,
     Denn wir glauben dich zu kennen,
     Ach! wenn du dem Tag enteilest

9910
     Wird kein Herz von dir sich trennen.

     Wüßten wir doch kaum zu klagen,
     Neidend singen wir dein Loos:
     Dir in klar’ und trüben Tagen
     Lied und Muth war schön und groß.

9915
     Ach! zum Erdenglück geboren,

     Hoher Ahnen, großer Kraft,
     Leider! früh dir selbst verloren,
     Jugendblüthe weggerafft.
     Scharfer Blick die Welt zu schauen,

9920
     Mitsinn jedem Herzensdrang,

     Liebesgluth der besten Frauen

     Und ein eigenster Gesang.
[244]
     Doch du ranntest unaufhaltsam

     Frei in’s willenlose Netz,

9925
     So entzweytest du gewaltsam

     Dich mit Sitte, mit Gesetz;
     Doch zuletzt das höchste Sinnen
     Gab dem reinen Muth Gewicht,
     Wolltest Herrliches gewinnen,

9930
     Aber es gelang dir nicht.


     Wem gelingt es? – Trübe Frage,
     Der das Schicksal sich vermummt,
     Wenn am unglückseligsten Tage
     Blutend alles Volk verstummt.

9935
     Doch erfrischet neue Lieder,

     Steht nicht länger tief gebeugt;
     Denn der Boden zeugt sie wieder,
     Wie von je er sie gezeugt.
(Völlige Pause. Die Musik hört auf.)

Helena (zu Faust).
Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir:

9940
Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint.

Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band;
Bejammernd beide, sag’ ich schmerzlich Lebewohl!
Und werfe mich noch einmal in die Arme dir.
Persephoneia nimm den Knaben auf und mich.
(Sie umarmt Faust, das Körperliche verschwindet, Kleid und Schleier bleiben ihm in den Armen.)

Phorkyas (zu Faust).

9945
Halte fest was dir von allem übrig blieb.
[245]
Das Kleid laß es nicht los. Da zupfen schon

Dämonen an den Zipfeln, möchten gern
Zur Unterwelt es reißen. Halte fest!
Die Göttin ist’s nicht mehr die du verlorst,

9950
Doch göttlich ist’s. Bediene dich der hohen

Unschätzbar’n Gunst und hebe dich empor,
Es trägt dich über alles Gemeine rasch
Am Aether hin, so lange du dauern kannst.
Wir sehn uns wieder, weit gar weit von hier.
(Helenens Gewande lösen sich in Wolken auf, umgeben Faust, heben ihn in die Höhe und ziehen mit ihm vorüber.)

Phorkyas
(nimmt Euphorions Kleid, Mantel und Lyra von der Erde, tritt in’s Proscenium, hebt die Exuvien in die Höhe und spricht).

9955
     Noch immer glücklich aufgefunden!

     Die Flamme freilich ist verschwunden,
     Doch ist mir um die Welt nicht leid.
     Hier bleibt genug Poeten einzuweihen,
     Zu stiften Gild- und Handwerksneid.

9960
     Und kann ich die Talente nicht verleihen,

     Verborg’ ich wenigstens das Kleid.
(Sie setzt sich im Proscenium an eine Säule nieder).

Panthalis.
Nun eilig Mädchen! Sind wir doch den Zauber los,
Der alt-thessalischen Vettel wüsten Geisteszwang;
So des Geklimpers viel-verworrner Töne Rausch,

9965
Das Ohr verwirrend, schlimmer noch den innern Sinn.
Hinab zum Hades! Eilte doch die Königin
[246]
Mit ernstem Gang hinunter. Ihrer Sohle sey

Unmittelbar getreuer Mägde Schritt gefügt.
Wir finden sie am Throne der Unerforschlichen.

Chor.

9970
     Königinnen freilich überall sind sie gern;

     Auch im Hades stehen sie oben an,
     Stolz zu ihres Gleichen gesellt,
     Mit Persephonen innigst vertraut;
     Aber wir im Hintergrunde

9975
     Tiefer Asphodelos-Wiesen,

     Langgestreckten Pappeln,
     Unfruchtbaren Weiden zugesellt,
     Welchen Zeitvertreib haben wir?
     Fledermaus gleich zu pipsen,

9980
     Geflüster, unerfreulich, gespenstig.


Chorführerin.
Wer keinen Namen sich erwarb, noch Edles will,
Gehört den Elementen an, so fahret hin!
Mit meiner Königin zu seyn verlangt mich heiß;
Nicht nur Verdienst, auch Treue wahrt uns die Person.
(Ab.)

Alle.

9985
     Zurückgegeben sind wir dem Tageslicht,

     Zwar Personen nicht mehr,
     Das fühlen, das wissen wir,
     Aber zum Hades kehren wir nimmer.
     Ewig lebendige Natur

9990
     Macht auf uns Geister,
     Wir auf sie vollgültigen Anspruch.
[247]
Ein Theil des Chors.

Wir in dieser tausend Aeste Flüsterzittern, Säuselschweben,
Reizen tändelnd, locken leise, wurzelauf des Lebens Quellen
Nach den Zweigen; bald mit Blättern, bald mit Blüthen überschwenglich

9995
Zieren wir die Flatterhaare frei zu luftigem Gedeihn.

Fällt die Frucht, sogleich versammeln, lebenslustig Volk und Heerden
Sich zum Greifen, sich zum Naschen, eilig kommend, emsig drängend.
Und, wie vor den ersten Göttern, bückt sich alles um uns her.

Ein andrer Theil.
Wir an dieser Felsenwände weithinleuchtend glattem Spiegel

10000
Schmiegen wir, in sanften Wellen uns bewegend, schmeichelnd an;

Horchen, lauschen jedem Laute, Vogelsingen, Röhrigflöten;
Sey es Pans furchtbarer Stimme, Antwort ist sogleich bereit;
Säuselt’s, säuseln wir erwidernd, donnert’s, rollen unsre Donner

In erschütterndem Verdoppeln, dreyfach zehnfach hinten nach.
[248]
Ein dritter Theil.
10005
Schwestern! Wir bewegtern Sinnes, eilen mit den Bächen weiter;

Denn es reizen jener Ferne reichgeschmückte Hügelzüge,
Immer abwärts, immer tiefer, wässern wir, mäandrisch wallend,
Jetzt die Wiese, dann die Matten, gleich den Garten um das Haus.
Dort bezeichnen’s der Cypressen schlanke Wipfel, über Landschaft,

10010
Uferzug und Wellenspiegel nach dem Aether steigende.


Ein vierter Theil.
Wallt ihr andern wo’s beliebet, wir umzingeln, wir umrauschen
Den durchaus bepflanzten Hügel, wo am Stab die Rebe grünt;
Dort zu aller Tage Stunden läßt die Leidenschaft des Winzers
Uns des liebevollsten Fleißes zweifelhaft Gelingen sehn.

10015
Bald mit Hacke, bald mit Spaten, bald mit Häufeln, Schneiden, Binden,

Betet er zu allen Göttern, vördersamst zum Sonnengott.
Bacchus kümmert sich, der Weichling, wenig um den treuen Diener,
Ruht in Lauben, lehnt in Höhlen, faselnd mit dem jüngsten Faun.

Was zu seiner Träumereyen halbem Rausch er je bedurfte,
[249]
10020
Immer bleibt es ihm in Schläuchen, ihm in Krügen und Gefäßen,

Rechts und links der kühlen Grüfte ewige Zeiten aufbewahrt.
Haben aber alle Götter, hat nun Helios vor allen,
Lüftend, feuchtend, wärmend, gluthend, Beeren-Füllhorn aufgehäuft,
Wo der stille Winzer wirkte, dort auf einmal wird’s lebendig,

10025
Und es rauscht in jedem Laube, raschelt um von Stock zu Stock.

Körbe knarren, Eimer klappern, Tragebutten ächzen hin,
Alles nach der großen Kufe zu der Keltrer kräftigem Tanz;
Und so wird die heilige Fülle reingeborner saftiger Beeren
Frech zertreten; schäumend, sprühend mischt sich’s widerlich zerquetscht.

10030
Und nun gellt in’s Ohr der Cymbeln mit der Becken Erzgetöne,

Denn es hat sich Dionysos aus Mysterien enthüllt;
Kommt hervor mit Ziegenfüßlern, schwenkend Ziegenfüßlerinnen,
Und dazwischen schreit unbändig grell Silenus öhrig Thier.
Nichts geschont! Gespaltne Klauen treten alle Sitte nieder,

10035
Alle Sinne wirbeln taumlich, gräßlich übertäubt das Ohr.
Nach der Schale tappen Trunkne, überfüllt sind Kopf und Wänste,
[250]
Sorglich ist noch ein und andrer, doch vermehrt er die Tumulte,

Denn um neuen Most zu bergen, leert man rasch den alten Schlauch!
(Der Vorhang fällt.)

Phorkyas

(im Proscenium[8] richtet sich riesenhaft auf, tritt vor den Cothurnen herunter, lehnt Maske und Schleier zurück und zeigt sich als Mephistopheles, um, in sofern es nöthig wäre, im Epilog das Stück zu commentiren).



[251]
Vierter Act.




Hochgebirg,
starke zackige Felsen-Gipfel. Eine Wolke zieht herbei, lehnt sich an, senkt sich auf eine vorstehende Platte herab.
Sie theilt sich.




Faust (tritt hervor).

Der Einsamkeiten tiefste schauend unter meinem Fuß,

10040
Betret’ ich wohlbedächtig dieser Gipfel Saum,

Entlassend meiner Wolke Tragwerk, die mich sanft
An klaren Tagen über Land und Meer geführt.
Sie lös’t sich langsam, nicht zerstiebend, von mir ab.
Nach Osten strebt die Masse mit geballtem Zug,

10045
Ihr strebt das Auge staunend in Bewundrung nach.

Sie theilt sich wandelnd, wogenhaft, veränderlich.
Doch will sich’s modeln. – Ja! das Auge trügt mich nicht! –
Auf sonnbeglänzten Pfühlen herrlich hingestreckt,
Zwar riesenhaft, ein göttergleiches Fraungebild,

10050
Ich seh’s! Junonen ähnlich, Leda’n, Helenen,
Wie majestätisch lieblich mir’s im Auge schwankt.
[252]
Ach! schon verrückt sich’s! Formlos breit und aufgethürmt,

Ruht es in Osten, fernen Eisgebirgen gleich,
Und spiegelt blendend flüchtiger Tage großen Sinn.

10055
Doch mir umschwebt ein zarter lichter Nebelstreif

Noch Brust und Stirn, erheiternd, kühl und schmeichelhaft.
Nun steigt es leicht und zaudernd hoch und höher auf,
Fügt sich zusammen. – Täuscht mich ein entzückend Bild,
Als jugenderstes, längstentbehrtes höchstes Gut?

10060
Des tiefsten Herzens frühste Schätze quellen auf,

Aurorens Liebe, leichten Schwungs, bezeichnet’s mir,
Den schnellempfundnen, ersten, kaum verstandnen Blick,
Der, festgehalten, überglänzte jeden Schatz.
Wie Seelenschönheit steigert sich die holde Form,

10065
Lös’t sich nicht auf, erhebt sich in den Aether hin,

Und zieht das Beste meines Innern mit sich fort.

Ein Sieben-Meilenstiefel (tappt auf).

Ein Anderer folgt alsbald.

Mephistopheles (steigt ab).

Die Stiefel schreiten eilig weiter.

Mephistopheles.
Das heiß’ ich endlich vorgeschritten!
Nun aber sag’, was fällt dir ein?
Steigst ab in solcher Gräuel Mitten,

10070
Im gräßlich gähnenden Gestein?

Ich kenn’ es wohl, doch nicht an dieser Stelle,

Denn eigentlich war das der Grund der Hölle.
[253]
Faust.

Es fehlt dir nie an närrischen Legenden,
Fängst wieder an dergleichen auszuspenden.

Mephistopheles (ernsthaft).

10075
Als Gott der Herr – ich weiß auch wohl warum, –

Uns, aus der Luft, in tiefste Tiefen bannte,
Da, wo centralisch glühend, um und um,
Ein ewig Feuer flammend sich durchbrannte,
Wir fanden uns bei allzugroßer Hellung

10080
In sehr gedrängter unbequemer Stellung.

Die Teufel fingen sämmtlich an zu husten,
Von oben und von unten auszupusten;
Die Hölle schwoll von Schwefel-Stank und Säure,
Das gab ein Gas! das ging in’s Ungeheure,

10085
So daß gar bald der Länder flache Kruste,

So dick sie war, zerkrachend bersten mußte.
Nun haben wir’s an einem andern Zipfel,
Was ehmals Grund war ist nun Gipfel.
Sie gründen auch hierauf die rechten Lehren

10090
Das Unterste in’s Oberste zu kehren.

Denn wir entrannen knechtisch-heißer Gruft
In’s Uebermaß der Herrschaft freier Luft.
Ein offenbar Geheimniß wohl verwahrt
Und wird nur spät den Völkern offenbart.
  (Ephes. 6. 12.)

Faust.

10095
Gebirgesmasse bleibt mir edel-stumm,
Ich frage nicht woher und nicht warum? –
[254]
Als die Natur sich in sich selbst gegründet,

Da hat sie rein den Erdball abgeründet.
Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut,

10100
Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht;

Die Hügel dann bequem hinabgebildet,
Mit sanftem Zug sie in das Thal gemildet.
Da grünt’s und wächst’s, und um sich zu erfreuen
Bedarf sie nicht der tollen Strudeleyen.

Mephistopheles.

10105
Das sprecht ihr so! Das scheint euch sonnenklar,

Doch weiß es anders der zugegen war.
Ich war dabei, als noch da drunten, siedend,
Der Abgrund schwoll und strömend Flammen trug;
Als Molochs Hammer, Fels an Felsen schmiedend,

10110
Gebirges-Trümmer in die Ferne schlug.

Noch starrt das Land von fremden Centnermassen;
Wer gibt Erklärung solcher Schleudermacht?
Der Philosoph, er weiß es nicht zu fassen,
Da liegt der Fels, man muß ihn liegen lassen,

10115
Zu Schanden haben wir uns schon gedacht. –

Das treu-gemeine Volk allein begreift
Und läßt sich im Begriff nicht stören;
Ihm ist die Weisheit längst gereift:
Ein Wunder ist’s, der Satan kommt zu Ehren.

10120
Mein Wandrer hinkt an seiner Glaubenskrücke,

Zum Teufelsstein, zur Teufelsbrücke.

Faust.
Es ist doch auch bemerkenswerth zu achten,

Zu sehn wie Teufel die Natur betrachten.
[255]
Mephistopheles.

Was geht mich’s an! Natur sey wie sie sey!

10125
’s ist Ehrenpunkt: der Teufel war dabei!

Wir sind die Leute Großes zu erreichen;
Tumult, Gewalt und Unsinn! sieh das Zeichen! –
Doch, daß ich endlich ganz verständlich spreche,
Gefiel dir nichts an unsrer Oberfläche?

10130
Du übersahst, in ungemess’nen Weiten,

„Die Reiche der Welt und ihre Herlichkeiten.“
 (Matth. 4.)
Doch, ungenügsam wie du bist,
Empfandest du wohl kein Gelüst?

Faust.
Und doch! ein Großes zog mich an.

10135
Errathe!


Mephistopheles.
 Das ist bald gethan.
Ich suchte mir so eine Hauptstadt aus,
Im Kerne Bürger-Nahrungs-Graus,
Krummenge Gäßchen, spitze Giebeln,
Beschränkten Markt, Kohl, Rüben, Zwiebeln;

10140
Fleischbänke wo die Schmeißen hausen,

Die fetten Braten anzuschmausen;
Da findest du zu jeder Zeit
Gewiß Gestank und Thätigkeit.
Dann weite Plätze, breite Straßen,

10145
Vornehmen Schein sich anzumaßen;

Und endlich, wo kein Thor beschränkt,

Vorstädte gränzenlos verlängt.
[256]
Da freut’ ich mich an Rollekutschen,

Am lärmigen Hin- und Wiederrutschen,

10150
Am ewigen Hin- und Wiederlaufen,

Zerstreuter Ameis-Wimmelhaufen.
Und, wenn ich führe, wenn ich ritte,
Erschien ich immer ihre Mitte,
Von Hunderttausenden verehrt.

Faust.

10155
Das kann mich nicht zufrieden stellen!

Man freut sich daß das Volk sich mehrt,
Nach seiner Art behaglich nährt,
Sogar sich bildet, sich belehrt, –
Und man erzieht sich nur Rebellen.

Mephistopheles.

10160
Dann baut’ ich, grandios, mir selbst bewußt,

Am lustigen Ort ein Schloß zur Lust.
Wald, Hügel, Flächen, Wiesen, Feld
Zum Garten prächtig umbestellt.
Vor grünen Wänden Sammet-Matten,

10165
Schnurwege, kunstgerechte Schatten,

Cascadensturz, durch Fels zu Fels gepaart,
Und Wasserstrahlen aller Art;
Ehrwürdig steigt es dort, doch an den Seiten,
Da zischt’s und pischt’s, in tausend Kleinigkeiten.

10170
Dann aber ließ ich allerschönsten Frauen,

Vertraut-bequeme Häuslein bauen;
Verbrächte da gränzenlose Zeit

In allerliebst-geselliger Einsamkeit.
[257]
Ich sage Frau’n; denn ein für allemal
10175
Denk’ ich die Schönen im Plural.


Faust.
Schlecht und modern! Sardanapal!

Mephistopheles.
Erräth man wohl wornach du strebtest?
Es war gewiß erhaben kühn.
Der du dem Mond um so viel näher schwebtest,

10180
Dich zog wohl deine Sucht dahin?


Faust.
Mit nichten! dieser Erdenkreis
Gewährt noch Raum zu großen Thaten.
Erstaunenswürdiges soll gerathen,
Ich fühle Kraft zu kühnem Fleiß.

Mephistopheles.

10185
Und also willst du Ruhm verdienen?

Man merkt’s du kommst von Heroinen.

Faust.
Herrschaft gewinn’ ich, Eigenthum!
Die That ist alles, nichts der Ruhm.

Mephistopheles.
Doch werden sich Poeten finden,

10190
Der Nachwelt deinen Glanz zu künden,

Durch Thorheit Thorheit zu entzünden.

Faust.
Von allem ist dir nichts gewährt.
Was weißt du, was der Mensch begehrt?
Dein widrig Wesen, bitter, scharf,

10195
Was weiß es, was der Mensch bedarf?
[258]
Mephistopheles.

Geschehe denn nach deinem Willen!
Vertraue mir den Umfang deiner Grillen.

Faust.
Mein Auge war auf’s hohe Meer gezogen;
Es schwoll empor, sich in sich selbst zu thürmen.

10200
Dann ließ es nach und schüttelte die Wogen,

Des flachen Ufers Breite zu bestürmen.
Und das verdroß mich; wie der Uebermuth
Den freien Geist, der alle Rechte schätzt,
Durch leidenschaftlich aufgeregtes Blut

10205
In’s Mißbehagen des Gefühls versetzt.

Ich hielt’s für Zufall, schärfte meinen Blick,
Die Woge stand und rollte dann zurück,
Entfernte sich vom stolz erreichten Ziel;
Die Stunde kommt, sie wiederholt das Spiel.

Mephistopheles
(ad Spectatores).

10210
Da ist für mich nichts Neues zu erfahren,

Das kenn’ ich schon seit hunderttausend Jahren.

Faust
(leidenschaftlich fortfahrend).
Sie schleicht heran, an aber tausend Enden
Unfruchtbar selbst Unfruchtbarkeit zu spenden;
Nun schwillt’s und wächs’t und rollt und überzieht

10215
Der wüsten Strecke widerlich Gebiet.

Da herrschet Well’ auf Welle kraftbegeistet,

Zieht sich zurück und es ist nichts geleistet,
[259]
Was zur Verzweiflung mich beängstigen könnte!

Zwecklose Kraft unbändiger Elemente!

10220
Da wagt mein Geist sich selbst zu überfliegen,

Hier möcht’ ich kämpfen, dieß möcht’ ich besiegen.

Und es ist möglich! – fluthend wie sie sey,
An jedem Hügel schmiegt sie sich vorbei;
Sie mag sich noch so übermüthig regen,

10225
Geringe Höhe ragt ihr stolz entgegen,

Geringe Tiefe zieht sie mächtig an.
Da faßt’ ich schnell im Geiste Plan auf Plan:
Erlange dir das köstliche Genießen
Das herrische Meer vom Ufer auszuschließen,

10230
Der feuchten Breite Gränzen zu verengen

Und, weit hinein, sie in sich selbst zu drängen.
Von Schritt für Schritt wußt’ ich mir’s zu erörtern.
Das ist mein Wunsch, den wage zu befördern!
(Trommeln und kriegerische Musik im Rücken der Zuschauer, aus der Ferne, von der rechten Seite her.)

Mephistopheles.
Wie leicht ist das! - hörst du die Trommeln fern?

Faust.

10235
Schon wieder Krieg! der Kluge hört’s nicht gern.


Mephistopheles.
Krieg oder Frieden. Klug ist das Bemühen
Aus jedem Umstand seinen Vortheil ziehen.
Man paßt, man merkt auf jedes günstige Nu.

Gelegenheit ist da, nun Fauste greife zu.
[260]
Faust.
10240
Mit solchem Räthselkram verschone mich!

Und kurz und gut, was soll’s? Erkläre dich.

Mephistopheles.
Auf meinem Zuge blieb mir nicht verborgen,
Der gute Kaiser schwebt in großen Sorgen,
Du kennst ihn ja. Als wir ihn unterhielten,

10245
Ihm falschen Reichthum in die Hände spielten,

Da war die ganze Welt ihm feil.
Denn jung ward ihm der Thron zu Theil,
Und ihm beliebt’ es falsch zu schließen,
Es könne wohl zusammengehn,

10250
Und sey recht wünschenswerth und schön,

Regieren und[9] zugleich genießen.

Faust.
Ein großer Irrthum. Wer befehlen soll,
Muß im Befehlen Seligkeit empfinden.
Ihm ist die Brust von hohem Willen voll,

10255
Doch was er will, es darf’s kein Mensch ergründen.

Was er den Treusten in das Ohr geraunt,
Es ist gethan und alle Welt erstaunt.
So wird er stets der Allerhöchste seyn,
Der Würdigste –; Genießen macht gemein.

Mephistopheles.

10260
So ist er nicht! Er selbst genoß und wie?

Indeß zerfiel das Reich in Anarchie,
Wo Groß und Klein sich kreuz und quer befehdeten,

Und Brüder sich vertrieben, tödteten,
[261]
Burg gegen Burg, Stadt gegen Stadt,
10265
Zunft gegen Adel Fehde hat,

Der Bischof mit Capitel und Gemeinde;
Was sich nur ansah waren Feinde.
In Kirchen Mord und Todtschlag, vor den Thoren
Ist jeder Kauf- und Wandersmann verloren.

10270
Und allen wuchs die Kühnheit nicht gering;

Denn leben hieß: sich wehren – Nun, das ging.

Faust.
Es ging, es hinkte, fiel, stand wieder auf,
Dann überschlug sich’s, rollte plump zu Hauf.

Mephistopheles.
Und solchen Zustand durfte niemand schelten,

10275
Ein jeder konnte, jeder wollte gelten:

Der Kleinste selbst er galt für voll;
Doch war’s zuletzt den Besten allzutoll.
Die Tüchtigen sie standen auf mit Kraft
Und sagten: Herr ist der uns Ruhe schafft:

10280
Der Kaiser kann’s nicht, will’s nicht – laßt uns wählen

Den neuen Kaiser, neu das Reich beseelen,
Indem er jeden sicher stellt,
In einer frisch geschaffnen Welt
Fried’ und Gerechtigkeit vermählen.

Faust.

10285
Das klingt sehr pfäffisch.


Mephistopheles.
 Pfaffen waren’s auch,

Sie sicherten den wohlgenährten Bauch;
[262]
Sie waren mehr, als andere betheiligt.

Der Aufruhr schwoll, der Aufruhr ward geheiligt;
Und unser Kaiser, den wir froh gemacht,

10290
Zieht sich hieher, vielleicht zur letzten Schlacht.


Faust.
Er jammert mich, er war so gut und offen.

Mephistopheles.
Komm, sehn wir zu, der Lebende soll hoffen.
Befrein wir ihn aus diesem engen Thale!
Einmal gerettet ist’s für tausend Male.

10295
Wer weiß wie noch die Würfel fallen?

Und hat er Glück, so hat er auch Vasallen.
(Sie steigen über das Mittelgebirg herüber und beschauen die Anordnung des Heeres im Thal. Trommeln und Kriegsmusik schallt von unten auf.)

Mephistopheles.
Die Stellung, seh’ ich, gut ist sie genommen;
Wir treten zu, dann ist der Sieg vollkommen.

Faust.
Was kann da zu erwarten seyn?

10300
Trug! Zauberblendwerk! Hohler Schein.


Mephistopheles.
Kriegslist um Schlachten zu gewinnen!
Befestige dich bei großen Sinnen,
Indem du deinen Zweck bedenkst.
Erhalten wir dem Kaiser Thron und Lande,

10305
So kniest du nieder und empfängst
Die Lehn von gränzenlosem Strande.
[263]
Faust.

Schon manches hast du durchgemacht,
Nun, so gewinn’ auch eine Schlacht.

Mephistopheles.
Nein, du gewinnst sie! dieses Mal

10310
Bist du der Obergeneral.


Faust.
Das wäre mir die rechte Höhe,
Da zu befehlen wo ich nichts verstehe!

Mephistopheles.
Laß du den Generalstab sorgen
Und der Feldmarschall ist geborgen.

10315
Kriegsunrath hab’ ich längst verspürt,

Den Kriegsrath gleich voraus formirt
Aus Urgebirgs Urmenschenkraft;
Wohl dem der sie zusammenrafft.

Faust.
Was seh’ ich dort was Waffen trägt?

10320
Hast du das Bergvolk aufgeregt?


Mephistopheles.
Nein! aber gleich Herrn Peter Squenz
Vom ganzen Praß die Quintessenz.

Die drey Gewaltigen (treten auf).
 Sam. II. 23. 8.

Mephistopheles.
Da kommen meine Bursche ja!
Du siehst, von sehr verschiednen Jahren,

10325
Verschiednem Kleid und Rüstung sind sie da;
Du wirst nicht schlecht mit ihnen fahren.
[264]
(Ad Spectatores.)

Es liebt sich jetzt ein jedes Kind
Den Harnisch und den Ritterkragen;
Und, allegorisch wie die Lumpen sind,

10330
Sie werden nur um desto mehr behagen.


Raufebold
(jung, leicht bewaffnet, bunt gekleidet).
Wenn einer mir in’s Auge sieht
Werd’ ich ihm mit der Faust gleich in die Fresse fahren,
Und eine Memme, wenn sie flieht,
Fass’ ich bei ihren letzten Haaren.

Habebald
(männlich, wohl bewaffnet, reich gekleidet).

10335
So leere Händel das sind Possen,

Damit verdirbt man seinen Tag;
Im Nehmen sey nur unverdrossen,
Nach allem andern frag’ hernach.

Haltefest
(bejahrt, stark bewaffnet, ohne Gewand).
Damit ist auch nicht viel gewonnen!

10340
Bald ist ein großes Gut zerronnen,

Es rauscht im Lebensstrom hinab.
Zwar nehmen ist recht gut, doch besser ist’s behalten;
Laß du den grauen Kerl nur walten
Und niemand nimmt dir etwas ab.
(Sie steigen allzusammen tiefer.)




[265]
Auf dem Vorgebirg.




Trommeln und kriegerische Musik von unten.
Des Kaisers Zelt wird aufgeschlagen.




Kaiser. Obergeneral. Trabanten.


Obergeneral.
10345
Noch immer scheint der Vorsatz wohl erwogen,

Daß wir in dieß gelegene Thal
Das ganze Heer gedrängt zurückgezogen;
Ich hoffe fest uns glückt die Wahl.

Kaiser.
Wie es nun geht, es muß sich zeigen;

10350
Doch mich verdrießt die halbe Flucht, das Weichen.


Obergeneral.
Schau hier, mein Fürst, auf unsre rechte Flanke!
Solch ein Terrain wünscht sich der Kriegsgedanke:
Nicht steil die Hügel, doch nicht allzu gänglich,
Den Unsern vortheilhaft, dem Feind verfänglich,

10355
Wir, halb versteckt, auf wellenförmigem Plan,

Die Reiterey sie wagt sich nicht heran.

Kaiser.
Mir bleibt nichts übrig als zu loben;
Hier kann sich Arm und Brust erproben.

Obergeneral.
Hier, auf der Mittelwiese flachen Räumlichkeiten,

10360
Siehst du den Phalanx, wohlgemuth zu streiten.
[266]
Die Piken blinken flimmernd in der Luft,

Im Sonnenglanz, durch Morgennebelduft.
Wie dunkel wogt das mächtige Quadrat!
Zu Tausenden glüht’s hier auf große That.

10365
Du kannst daran der Masse Kraft erkennen,

Ich trau’ ihr zu der Feinde Kraft zu trennen.

Kaiser.
Den schönen Blick hab’ ich zum ersten Mal.
Ein solches Heer gilt für die Doppelzahl.

Obergeneral.
Von unsrer Linken hab’ ich nichts zu melden,

10370
Den starren Fels besetzen wackre Helden.

Das Steingeklipp, das jetzt von Waffen blitzt,
Den wichtigen Paß der engen Klause schützt.
Ich ahne schon hier scheitern Feindeskräfte
Unvorgesehn im blutigen Geschäfte.

Kaiser.

10375
Dort ziehn sie her die falschen Anverwandten,

Wie sie mich Oheim, Vetter, Bruder nannten,
Sich immer mehr und wieder mehr erlaubten,
Dem Scepter Kraft, dem Thron Verehrung raubten,
Dann, unter sich entzweyt, das Reich verheerten,

10380
Und nun gesammt sich gegen mich empörten.

Die Menge schwankt im ungewissen Geist,
Dann strömt sie nach, wohin der Strom sie reißt.

Obergeneral.
Ein treuer Mann, auf Kundschaft ausgeschickt,

Kommt eilig felsenab; sey’s ihm geglückt!
[267]
Erster Kundschafter.
10385
     Glücklich ist sie uns gelungen,

     Listig, muthig unsre Kunst,
     Daß wir hin und her gedrungen;
     Doch wir bringen wenig Gunst.
     Viele schwören reine Huldigung

10390
     Dir, wie manche treue Schaar;

     Doch Unthätigkeits-Entschuldigung
     Innere Gährung, Volksgefahr.

Kaiser.
Sich selbst erhalten bleibt der Selbstsucht Lehre,
Nicht Dankbarkeit und Neigung, Pflicht und Ehre.

10395
Bedenkt ihr nicht, wenn eure Rechnung voll,

Daß Nachbars Hausbrand Euch verzehren soll?

Obergeneral.
Der Zweyte kommt, nur langsam steigt er nieder,
Dem müden Manne zittern alle Glieder.

Zweyter Kundschafter.
     Erst gewahrten wir vergnüglich

10400
     Wilden Wesens irren Lauf;

     Unerwartet, unverzüglich
     Trat ein neuer Kaiser auf.
     Und auf vorgeschriebenen Bahnen
     Zieht die Menge durch die Flur;

10405
     Den entrollten Lügenfahnen

     Folgen alle. – Schaafsnatur!

Kaiser.
Ein Gegenkaiser kommt mir zum Gewinn,

Nun fühl’ ich erst, daß Ich der Kaiser bin.
[248]
Nur als Soldat legt’ ich den Harnisch an,
10410
Zu höh’rem Zweck ist er nun umgethan.

Bei jedem Fest, wenn’s noch so glänzend war,
Nichts ward vermißt, mir fehlte die Gefahr.
Wie ihr auch seyd, zum Ringspiel riethet ihr,
Mir schlug das Herz, ich athmete Turnier;

10415
Und hättet ihr mir nicht vom Kriegen abgerathen,

Jetzt glänzt’ ich schon in lichten Heldenthaten.
Selbstständig fühlt’ ich meine Brust besiegelt
Als ich mich dort im Feuerreich bespiegelt;
Das Element drang gräßlich auf mich los;

10420
Es war nur Schein, allein der Schein war groß.

Von Sieg und Ruhm hab’ ich verwirrt geträumt,
Ich bringe nach was frevelhaft versäumt.
(Die Herolde werden abgefertigt zu Herausforderung des Gegenkaisers.)

Faust geharnischt, mit halbgeschlossenem Helme.

Die drey Gewaltigen gerüstet und gekleidet wie oben.

Faust.
Wir treten auf und hoffen ungescholten;
Auch ohne Noth hat Vorsicht wohl gegolten.

10425
Du weißt das Bergvolk denkt und simulirt,

Ist in Natur- und Felsenschrift studirt.
Die Geister, längst dem flachen Land entzogen,
Sind mehr als sonst dem Felsgebirg gewogen.
Sie wirken still durch labyrinthische Klüfte,

10430
Im edlen Gas metallisch reicher Düfte;

Im steten Sondern, Prüfen und Verbinden

Ihr einziger Trieb ist Neues zu erfinden.
[269]
Mit leisem Finger geistiger Gewalten

Erbauen sie durchsichtige Gestalten;

10435
Dann im Krystall und seiner ewigen Schweigniß

Erblicken sie der Oberwelt Ereigniß.

Kaiser.
Vernommen hab ich’s und ich glaube dir;
Doch wackrer Mann, sag’ an: was soll das hier?

Faust.
Der Negromant von Norcia, der Sabiner,

10440
Ist dein getreuer, ehrenhafter Diener.

Welch gräulich Schicksal droht ihm ungeheuer,
Daß Reisig prasselte, schon züngelte das Feuer;
Die trocknen Scheite, rings umher verschränkt,
Mit Pech und Schwefelruthen untermengt;

10445
Nicht Mensch, noch Gott, noch Teufel konnte retten,

Die Majestät zersprengte glühende Ketten.
Dort war’s in Rom. Er bleibt dir hoch verpflichtet,
Auf deinen Gang in Sorge stets gerichtet.
Von jener Stund’ an ganz vergaß er sich,

10450
Er fragt den Stern, die Tiefe nur für Dich.

Er trug uns auf, als eiligstes Geschäfte,
Bei dir zu stehn. Groß sind des Berges Kräfte;
Da wirkt Natur so übermächtig frei,
Der Pfaffen Stumpfsinn schilt es Zauberey.

Kaiser.

10455
Am Freudentag wenn wir die Gäste grüßen,

Die heiter kommen, heiter zu genießen,
Da freut uns jeder wie er schiebt und drängt,

Und, Mann für Mann, der Säle Raum verengt;
[270]
Doch höchst willkommen muß der Biedre seyn,
10460
Tritt er als Beistand kräftig zu uns ein,

Zur Morgenstunde, die bedenklich waltet,
Weil über ihr des Schicksals Wage schaltet.
Doch lenket hier, im hohen Augenblick,
Die starke Hand vom willigen Schwert zurück,

10465
Ehrt den Moment, wo manche Tausend schreiten,

Für oder wider mich zu streiten.
Selbst ist der Mann! Wer Thron und Kron begehrt
Persönlich sey er solcher Ehren werth.
Sey das Gespenst, das gegen uns erstanden,

10470
Sich Kaiser nennt und Herr von unsern Landen,

Des Heeres Herzog, Lehnsherr unsrer Großen,
Mit eigner Faust in's Todtenreichgestoßen!

Faust.
Wie es auch sey das Große zu vollenden,
Du thust nicht wohl dein Haupt so zu verpfänden.

10475
Ist nicht der Helm mit Kamm und Busch geschmückt?

Er schützt das Haupt das unsern Muth entzückt.
Was, ohne Haupt, was förderten die Glieder?
Denn schläfert jenes, alle sinken nieder;
Wird es verletzt, gleich alle sind verwundet,

10480
Erstehen frisch, wenn jenes rasch gesundet.

Schnell weiß der Arm sein starkes Recht zu nützen,
Er hebt den Schild den Schädel zu beschützen;
Das Schwert gewahret seiner Pflicht sogleich,
Lenkt kräftig ab und wiederholt den Streich;

10485
Der tüchtige Fuß nimmt Theil an ihrem Glück,
Setzt dem Erschlagnen frisch sich in’s Genick.
[271]
Kaiser.

Das ist mein Zorn, so möcht’ ich ihn behandeln,
Das stolze Haupt in Schemeltritt verwandeln!

Herolde (kommen zurück).
     Wenig Ehre, wenig Geltung

10490
     Haben wir daselbst genossen,

     Unsrer kräftig edlen Meldung
     Lachten sie als schaler Possen:
     „Euer Kaiser ist verschollen,
     Echo dort im engen Thal;

10495
     Wenn wir sein gedenken sollen,

     Mährchen sagt: – Es war einmal.“

Faust.
Dem Wunsch gemäß der Besten ist’s geschehn,
Die, fest und treu, an deiner Seite stehn.
Dort naht der Feind, die Deinen harren brünstig

10500
Befiehl den Angriff, der Moment ist günstig.


Kaiser.
Auf das Commando leist’ ich hier Verzicht.
(Zum Oberfeldherrn.)
In deinen Händen, Fürst, sey deine Pflicht.

Obergeneral.
So trete denn der rechte Flügel an!
Des Feindes Linke, eben jetzt im Steigen,

10505
Soll, eh’ sie noch den letzten Schritt gethan,

Der Jugendkraft geprüfter Treue weichen.

Faust
Erlaube denn, daß dieser muntre Held
Sich ungesäumt in deine Reihen stellt,


[272]
Sich deinen Reihen innigst einverleibt
10510
Und, so gesellt, sein kräftig Wesen treibt.

(Er deutet zur Rechten.)

Raufebold (tritt vor).
Wer das Gesicht mir zeigt der kehrt’s nicht ab
Als mit zerschlagnen Unter- und Oberbacken;
Wer mir den Rücken kehrt, gleich liegt ihm schlapp
Hals, Kopf und Schopf hinschlotternd graß im Nacken.

10515
Und schlagen deine Männer dann,

Mit Schwert und Kolben wie ich wüthe,
So stürzt der Feind, Mann über Mann,
Ersäuft im eigenen Geblüte.
(Ab.)

Obergeneral.
Der Phalanx unsrer Mitte folge sacht,

10520
Dem Feind begegn’ er, klug mit aller Macht,

Ein wenig rechts, dort hat bereits, erbittert,
Der Unsern Streitkraft ihren Plan erschüttert.

Faust
(auf den Mittelsten deutend).
So folge denn auch dieser deinem Wort.

Habebald
(tritt hervor).

10525
Dem Heldenmuth der Kaiserschaaren

Soll sich der Durst nach Beute paaren;
Und allen sey das Ziel gestellt:
Des Gegenkaisers reiches Zelt.
Er prahlt nicht lang auf seinem Sitze,

10530
Ich ordne mich dem Phalanx an die Spitze.
[273]
Eilebeute

(Marketenderin, sich an ihn anschmiegend).
Bin ich auch ihm nicht angeweibt,
Er mir der liebste Buhle bleibt.
Für uns ist solch ein Herbst gereift!
Die Frau ist grimmig wenn sie greift,

10535
Ist ohne Schonung wenn sie raubt;

Im Sieg voran! und alles ist erlaubt.
(Beide ab.)

Obergeneral.
Auf unsre Linke, wie vorauszusehn,
Stürzt ihre Rechte, kräftig. Widerstehn
Wird, Mann für Mann, dem wüthenden Beginnen

10540
Den engen Paß des Felswegs zu gewinnen.


Faust
(winkt nach der Linken).
So bitte, Herr, auch diesen zu bemerken,
Es schadet nichts wenn Starke sich verstärken.

Haltefest (tritt vor).
Dem linken Flügel keine Sorgen!
Da wo ich bin ist der Besitz geborgen;

10545
In ihm bewähret sich der Alte,

Kein Strahlblitz spaltet was ich halte.
(Ab.)

Mephistopheles
(von oben herunterkommend).
Nun schauet wie im Hintergrunde,

Aus jedem zackigen Felsenschlunde
[274]
Bewaffnete hervor sich drängen.
10550
Die schmalen Pfade zu verengen.

Mit Helm und Harnisch, Schwertern, Schilden,
In unserm Rücken eine Mauer bilden,
Den Wink erwartend zuzuschlagen.
(Leise zu den Wissenden.)
Woher das kommt müßt ihr nicht fragen.

10555
Ich habe freilich nicht gesäumt,

Die Waffensäle ringsum aufgeräumt;
Da standen sie zu Fuß, zu Pferde,
Als wären sie noch Herrn der Erde;
Sonst waren’s Ritter, König, Kaiser,

10560
Jetzt sind es nichts als leere Schneckenhäuser,

Gar manch Gespenst hat sich darein geputzt,
Das Mittelalter lebhaft aufgestutzt.
Welch Teufelchen auch drinne steckt
Für dießmal macht es doch Effect.
(Laut.)

10565
Hört wie sie sich voraus erboßen,

Blechklappernd an einander stoßen!
Auch flattern Fahnenfetzen bei Standarten,
Die frischer Lüftchen ungeduldig harrten.
Bedenkt hier ist ein altes Volk bereit

10570
Und mischte gern sich auch zum neuen Streit.

(Furchtbarer Posaunenschall von oben, im feindlichen Heere merkliche Schwankung.)

Faust.
Der Horizont hat sich verdunkelt,

Nur hie und da bedeutend funkelt
[275]
Ein rother ahnungsvoller Schein;

Schon blutig blinken die Gewehre,

10575
Der Fels, der Wald, die Atmosphäre,

Der ganze Himmel mischt sich ein.

Mephistopheles.
Die rechte Flanke hält sich kräftig;
Doch seh’ ich ragend unter diesen,
Hans Raufbold, den behenden Riesen,

10580
Auf seine Weise rasch beschäftigt.


Kaiser.
Erst sah ich Einen Arm erhoben,
Jetzt seh’ ich schon ein Dutzend toben,
Naturgemäß geschieht es nicht.

Faust.
Vernahmst du nichts von Nebelstreifen

10585
Die auf Siciliens Küsten schweifen?

Dort, schwankend klar, im Tageslicht,
Erhoben zu den Mittellüften,
Gespiegelt in besondern Düften,
Erscheint ein seltsames Gesicht.

10590
Da schwanken Städte hin und wieder,

Da steigen Gärten auf und nieder,
Wie Bild um Bild den Aether bricht.

Kaiser.
Doch wie bedenklich! Alle Spitzen
Der hohen Speere seh’ ich blitzen;

10595
Auf unsrer Phalanx blanken Lanzen

Seh’ ich behende Flämmchen tanzen.

Das scheint mir gar zu geisterhaft.
[276]
Faust.

Verzeih', o Herr, das sind die Spuren
Verschollner geistiger Naturen,

10600
Ein Widerschein der Dioskuren,

Bei denen alle Schiffer schwuren,
Sie sammeln hier die letzte Kraft.

Kaiser.
Doch sage: wem sind wir verpflichtet
Daß die Natur, auf uns gerichtet,

10605
Das Seltenste zusammenrafft?


Mephistopheles.
Wem als dem Meister, jenem hohen,
Der dein Geschick im Busen trägt?
Durch deiner Feinde starkes Drohen
Ist er im Tiefsten aufgeregt.

10610
Sein Dank will dich gerettet sehen,

Und sollt’ er selbst daran vergehen.

Kaiser.
Sie jubelten mich pomphaft umzuführen,
Ich war nun was, das wollt’ ich auch probiren,
Und fand’s gelegen, ohne viel zu denken,

10615
Dem weißen Barte kühle Luft zu schenken.

Dem Klerus hab’ ich eine Lust verdorben,
Und ihre Gunst mir freilich nicht erworben.
Nun sollt’ ich, seit so manchen Jahren,

Die Wirkung frohen Thuns erfahren?
[277]
Faust.
10620
Freiherzige Wohlthat wuchert reich;

Laß deinen Blick sich aufwärts wenden!
Mich däucht Er will ein Zeichen senden,
Gib Acht, es deutet sich sogleich.

Kaiser.
Ein Adler schwebt im Himmelhohen,

10625
Ein Greif ihm nach mit wildem Drohen.


Faust.
Gib Acht: gar günstig scheint es mir.
Greif ist ein fabelhaftes Thier;
Wie kann er sich so weit vergessen
Mit ächtem Adler sich zu messen?

Kaiser.

10630
Nunmehr, in weitgedehnten Kreisen,

Umziehn sie sich; – in gleichem Nu
Sie fahren auf einander zu
Sich Brust und Hälse zu zerreißen.

Faust.
Nun merke wie der leidige Greif,

10635
Zerzerrt, zerzaus’t nur Schaden findet,

Und mit gesenktem Löwenschweif,
Zum Gipfelwald gestürzt, verschwindet.

Kaiser.
Sey’s, wie gedeutet, so gethan!

Ich nehm’ es mit Verwundrung an.
[278]
Mephistopheles

(gegen die Rechte).

10640
Dringend wiederholten Streichen

Müssen unsre Feinde weichen,
Und, mit ungewissem Fechten,
Drängen sie nach ihrer Rechten
Und verwirren so im Streite

10645
Ihrer Hauptmacht linke Seite.

Unsers Phalanx feste Spitze
Zieht sich rechts, und gleich dem Blitze
Fährt sie in die schwache Stelle. –
Nun, wie sturmbewegte Welle,

10650
Sprühend, wüthen gleiche Mächte

Wild in doppeltem Gefechte,
Herrlichers ist nichts ersonnen,
Uns ist diese Schlacht gewonnen!

Kaiser
(an der linken Seite zu Faust).
Schau! Mir scheint es dort bedenklich,

10655
Unser Posten steht verfänglich.

Keine Steine seh’ ich fliegen,
Niedre Felsen sind erstiegen,
Obre stehen schon verlassen.
Jetzt! – der Feind, zu ganzen Massen

10660
Immer näher angedrungen,

Hat vielleicht den Paß errungen,
Schlußerfolg unheiligen Strebens!
Eure Künste sind vergebens.

(Pause.)
[279]
Mephistopheles.

Da kommen meine beiden Raben,

10665
Was mögen die für Botschaft haben?

Ich fürchte gar es geht uns schlecht.

Kaiser.
Was sollen diese leidigen Vögel?
Sie richten ihre schwarzen Segel
Hierher vom heißen Felsgefecht.

Mephistopheles
(zu den Raben).

10670
Setzt euch ganz nah zu meinen Ohren.

Wen ihr beschützt ist nicht verloren,
Denn euer Rath ist folgerecht.

Faust (zum Kaiser).
Von Tauben hast du ja vernommen,
Die aus den fernsten Landen kommen,

10675
Zu ihres Nestes Brut und Kost.

Hier ist’s mit wichtigen Unterschieden:
Die Taubenpost bedient den Frieden,
Der Krieg befiehlt die Rabenpost.

Mephistopheles.
Es meldet sich ein schwer Verhängniß,

10680
Seht hin! gewahret die Bedrängniß

Um unsrer Helden Felsenwand.
Die nächsten Höhen sind erstiegen,
Und würden sie den Paß besiegen,

Wir hätten einen schweren Stand.
[280]
Kaiser.
10685
So bin ich endlich doch betrogen!

Ihr habt mich in das Netz gezogen,
Mir graut seitdem es mich umstrickt.

Mephistopheles.
Nur Muth! Noch ist es nicht mißglückt
Geduld und Pfiff zum letzten Knoten!

10690
Gewöhnlich geht’s am Ende scharf.

Ich habe meine sichern Boten,
Befehlt daß ich befehlen darf.

Obergeneral
(der indessen herangekommen).
Mit diesen hast du dich vereinigt,
Mich hat’s die ganze Zeit gepeinigt,

10695
Das Gaukeln schafft kein festes Glück.

Ich weiß nichts an der Schlacht zu wenden,
Begannen sie’s, sie mögen’s enden,
Ich gebe meinen Stab zurück.

Kaiser.
Behalt’ ihn bis zu bessern Stunden,

10700
Die uns vielleicht das Glück verleiht.

Mir schaudert vor dem garstigen Kunden
Und seiner Rabentraulichkeit.
(Zu Mephistopheles.)
Den Stab kann ich dir nicht verleihen,
Du scheinst mir nicht der rechte Mann,

10705
Befiehl, und such’ uns zu befreien!

Geschehe, was geschehen kann.

(Ab in’s Zelt mit dem Obergeneral.)
[281]
Mephistopheles.

Mag ihn der stumpfe Stab beschützen!
Uns andern könnt’ er wenig nützen,
Es war so was vom Kreuz daran.

Faust.

10710
Was ist zu thun?


Mephistopheles.
 Es ist gethan! –
Nun schwarze Vettern, rasch im Dienen,
Zum großen Bergsee! grüßt mir die Undinen,
Und bittet sie um ihrer Fluthen Schein.
Durch Weiberkünste, schwer zu kennen,

10715
Verstehen sie vom Seyn den Schein zu trennen,

Und jeder schwört das sey das Seyn.
(Pause.)

Faust.
Den Wasserfräulein müssen unsre Raben
Recht aus dem Grund geschmeichelt haben;
Dort fängt es schon zu rieseln an.

10720
An mancher trocknen, kahlen Felsenstelle

Entwickelt sich die volle, rasche Quelle;
Um Jener Sieg ist es gethan.

Mephistopheles.
Das ist ein wunderbarer Gruß,
Die kühnsten Klett’rer sind confus.

Faust.

10725
Schon rauscht Ein Bach zu Bächen mächtig nieder
Aus Schluchten kehren sie gedoppelt wieder,
[282]
Ein Strom nun wirft den Bogenstrahl,

Auf einmal legt er sich in flache Felsenbreite
Und rauscht und schäumt, nach der und jener Seite,

10730
Und stufenweise wirft er sich in’s Thal.

Was hilft ein tapfres heldenmäßiges Stemmen?
Die mächtige Woge strömt sie wegzuschwemmen.
Mir schaudert selbst vor solchem wilden Schwall.

Mephistopheles.
Ich sehe nichts von diesen Wasserlügen,

10735
Nur Menschen-Augen lassen sich betrügen

Und mich ergötzt der wunderliche Fall.
Sie stürzen fort zu ganzen hellen Haufen,
Die Narren wähnen zu ersaufen,
Indem sie frei auf festem Lande schnaufen,

10740
Und lächerlich mit Schwimmgebärden laufen.

Nun ist Verwirrung überall.

(Die Raben sind wieder gekommen.)

Ich werd’ euch bei dem hohen Meister loben;
Wollt ihr euch nun als Meister selbst erproben,
So eilet zu der glühnden Schmiede,

10745
Wo das Gezwerg-Volk, nimmer müde,

Metall und Stein zu Funken schlägt.
Verlangt, weitläufig sie beschwatzend,
Ein Feuer, leuchtend, blinkend, platzend,
Wie man’s im hohen Sinne hegt.

10750
Zwar Wetterleuchten in der weiten Ferne,
Blickschnelles Fallen allerhöchster Sterne,
[283]
Mag jede Sommernacht geschehn;

Doch Wetterleuchten in verworrnen Büschen,
Und Sterne die am feuchten Boden zischen,

10755
Das hat man nicht so leicht gesehn.

So müßt ihr, ohn’ euch viel zu quälen,
Zuvörderst bitten, dann befehlen.

Raben
(ab. Es geschieht wie vorgeschrieben).

Mephistopheles.
Den Feinden dichte Finsternisse!
Und Tritt und Schritt in's Ungewisse!

10760
Irrfunken-Blick an allen Enden,

Ein Leuchten plötzlich zu verblenden.
Das alles wäre wunderschön,
Nun aber braucht’s noch Schreckgetön.

Faust.
Die hohlen Waffen aus der Säle Grüften,

10765
Empfinden sich erstarkt in freien Lüften,

Da droben rasselt’s, klappert’s lange schon;
Ein wunderbarer falscher Ton.

Mephistopheles.
Ganz recht! sie sind nicht mehr zu zügeln,
Schon schallt’s von ritterlichen Prügeln,

10770
Wie in der holden alten Zeit.

Armschienen, wie der Beine Schienen,
Als Guelfen und als Ghibellinen,
Erneuen rasch den ewigen Streit.
Fest, im ererbten Sinne wöhnlich,

10775
Erweisen sie sich unversöhnlich,
[284]
Schon klingt das Tosen weit und breit.

Zuletzt, bei allen Teufelsfesten,
Wirkt der Parteyhaß doch zum Besten,
Bis in den allerletzten Graus;

10780
Schallt wider-widerwärtig panisch,

Mitunter grell und scharf satanisch,
Erschreckend in das Thal hinaus.

(Kriegstumult im Orchester, zuletzt übergehend in militärisch heitre Weisen.)




Des Gegenkaisers Zelt, Thron, reiche Umgebung.




Habebald. Eilebeute.
Eilebeute.

So sind wir doch die ersten hier!

Habebald.
Kein Rabe fliegt so schnell als wir.

Eilebeute.

10785
O! welch ein Schatz liegt hier zu Hauf!

Wo fang’ ich an! Wo hör’ ich auf?

Habebald.
Steht doch der ganze Raum so voll!
Weiß nicht wozu ich greifen soll.

Eilebeute.
Der Teppich wär’ mir eben recht,

10790
Mein Lager ist oft gar zu schlecht.
[285]
Habebald.

Hier hängt von Stahl ein Morgenstern,
Dergleichen hätt’ ich lange gern.

Eilebeute.
Den rothen Mantel goldgesäumt,
So etwas hatt’ ich mir geträumt.

Habebald
(die Waffe nehmend).

10795
Damit ist es gar bald gethan,

Man schlägt ihn todt und geht voran.
Du hast so viel schon aufgepackt,
Und doch nichts Rechtes eingesackt.
Den Plunder laß an seinem Ort,

10800
Nehm’ eines dieser Kistchen fort!

Dieß ist des Heers beschiedner Sold,
In seinem Bauche lauter Gold.

Eilebeute.
Dieß hat ein mörderisch Gewicht!
Ich heb’ es nicht, ich trag’ es nicht.

Habebald.

10805
Geschwinde duck dich! Mußt dich bücken!

Ich huck’ dir’s auf den starken Rücken.

Eilebeute.
O weh! O weh! nun ist’s vorbei.
Die Last bricht mir das Kreuz entzwey.
(Das Kistchen stürzt und springt auf.)

Habebald.
Da liegt das rothe Gold zu Hauf,

10810
Geschwinde zu und raff’ es auf.
[286]
Eilebeute

(kauert nieder).
Geschwinde nur zum Schoß hinein!
Noch immer wird’s zur Gnüge seyn.

Habebald.
Und so genug! und eile doch!
(Sie steht auf.)
O weh die Schürze hat ein Loch!

10815
Wohin du gehst und wo du stehst

Verschwenderisch die Schätze sä’st.

Trabanten
(unsres Kaisers).
Was schafft ihr hier am heiligen Platz?
Was kramt ihr in dem Kaiserschatz?

Habebald.
Wir trugen unsre Glieder feil,

10820
Und holen unser Beutetheil.

In Feindes-Zelten ist’s der Brauch,
Und wir, Soldaten sind wir auch.

Trabanten.
Das passet nicht in unsern Kreis:
Zugleich Soldat und Diebsgeschmeiß;

10825
Und wer sich unserm Kaiser naht,

Der sey ein redlicher Soldat.

Habebald.
Die Redlichkeit die kennt man schon.
Sie heißet: Contribution.
Ihr alle seyd auf gleichem Fuß:

10830
Gib her! das ist der Handwerksgruß.
[287]
(Zu Eilebeute.)

Mach fort und schleppe was du hast,
Hier sind wir nicht willkommne Gast.
(Ab.)

Erster Trabant.
Sag’, warum gabst du nicht sogleich
Dem frechen Kerl einen Backenstreich?

Zweyter.

10835
Ich weiß nicht, mir verging die Kraft,

Sie waren so gespensterhaft.

Dritter.
Mir ward es vor den Augen schlecht,
Da flimmert’ es, ich sah nicht recht.

Vierter.
Wie ich es nicht zu sagen weiß:

10840
Es war den ganzen Tag so heiß,

So bänglich, so beklommen schwül,
Der eine stand, der andere fiel,
Man tappte hin und schlug zugleich,
Der Gegner fiel vor jedem Streich,

10845
Vor Augen schwebt’ es wie ein Flor,

Dann summt’s und saust’s und zischt im Ohr,
Das ging so fort, nun sind wir da
Und wissen selbst nicht wie’s geschah.

Kaiser mit Vier Fürsten (treten auf).

Die Trabanten (entfernen sich).
[288]
Kaiser.

Es sey nun wie ihm sey! uns ist die Schlacht gewonnen,

10850
Des Feinds zerstreute Flucht im flachen Feld zerronnen.

Hier steht der leere Thron, verrätherischer Schatz,
Von Teppichen umhüllt, verengt umher den Platz.
Wir, ehrenvoll, geschützt von eigenen Trabanten,
Erwarten Kaiserlich der Völker Abgesandten;

10855
Von allen Seiten her kommt frohe Botschaft an:

Beruhigt sey das Reich, uns freudig zugethan.
Hat sich in unsern Kampf auch Gaukeley geflochten,
Am Ende haben wir uns nur allein gefochten.
Zufälle kommen ja den Streitenden zu gut,

10860
Vom Himmel fällt ein Stein, dem Feinde regnet’s Blut,

Aus Felsenhöhlen tönt’s von mächtigen Wunderklängen,
Die unsre Brust erhöhn, des Feindes Brust verengen.
Der Ueberwundne fiel, zu stets erneutem Spott,
Der Sieger, wie er prangt, preis’t den gewognen Gott.

10865
Und alles stimmt mit ein, er braucht nicht zu befehlen,

Herr Gott dich loben wir! aus Millionen Kehlen.
Jedoch zum höchsten Preis, wend’ ich den frommen Blick,
Das selten sonst geschah, zur eignen Brust zurück.
Ein junger muntrer Fürst mag seinen Tag vergeuden,

10870
Die Jahre lehren ihn des Augenblicks Bedeuten.

Deßhalb denn ungesäumt, verbind’ ich mich sogleich
Mit euch Vier Würdigen, für Haus und Hof und Reich.
(Zum Ersten.)
Dein war, o Fürst! des Heers geordnet kluge Schichtung,

Sodann, im Hauptmoment, heroisch kühne Richtung;
[289]
10875
Im Frieden wirke nun wie es die Zeit begehrt,

Erbmarschall nenn’ ich dich, verleihe dir das Schwert.

Erbmarschall.
Dein treues Heer, bis jetzt im Inneren beschäftigt,
Wenn’s an der Gränze dich und deinen Thron bekräftigt,
Dann sey es uns vergönnt, bei Festesdrang im Saal

10880
Geräumiger Vaterburg, zu rüsten dir das Mahl.

Blank trag’ ich’s dir dann vor, blank halt’ ich dir’s zur Seite,
Der höchsten Majestät zu ewigem Geleite.

Der Kaiser (zum Zweyten).
Der sich, als tapfrer Mann, auch zart gefällig zeigt,
Du! sey Erzkämmerer, der Auftrag ist nicht leicht.

10885
Du bist der Oberste von allem Hausgesinde,

Bei deren innerm Streit ich schlechte Diener finde;
Dein Beispiel sey fortan in Ehren aufgestellt,
Wie man dem Herrn, dem Hof und Allen wohlgefällt.

Erzkämmerer.
Des Herren großen Sinn zu fördern bringt zu Gnaden,

10890
Den Besten hülfreich seyn, den Schlechten selbst nicht schaden,

Dann klar seyn ohne List, und ruhig ohne Trug!
Wenn du mich, Herr, durchschaust, geschieht mir schon genug.
Darf sich die Phantasie auf jenes Fest erstrecken?
Wenn du zur Tafel gehst reich’ ich das goldne Becken,

10895
Die Ringe halt’ ich dir, damit zur Wonnezeit,
Sich deine Hand erfrischt, wie mich dein Blick erfreut.
[290]
Kaiser.

Zwar fühl’ ich mich zu ernst auf Festlichkeit zu sinnen,
Doch sey’s! Es fördert auch frohmüthiges Beginnen.
(Zum Dritten.)
Dich wähl’ ich zum Erztruchseß! Also sey fortan,

10900
Dir Jagd, Geflügel-Hof und Vorwerk unterthan;

Der Lieblingsspeise Wahl laß mir zu allen Zeiten
Wie sie der Monat bringt und sorgsam zubereiten.

Erztruchseß.
Streng Fasten sey für mich die angenehmste Pflicht,
Bis, vor dich hingestellt, dich freut ein Wohlgericht.

10905
Der Küche Dienerschaft soll sich mit mir verein’gen,

Das Ferne beizuziehn, die Jahrszeit zu beschleun’gen.
Dich reizt nicht Fern und Früh, womit die Tafel prangt,
Einfach und kräftig ist’s wornach dein Sinn verlangt.

Kaiser (zum Vierten).
Weil unausweichlich hier sich’s nur von Festen handelt,

10910
So sey mir junger Held, zum Schenken umgewandelt.

Erzschenke, sorge nun, daß unsre Kellerey
Auf’s reichlichste versorgt mit gutem Weine sey.
Du selbst sey mäßig, laß nicht über Heiterkeiten,
Durch der Gelegenheit Verlocken, dich verleiten.

Erzschenk.

10915
Mein Fürst, die Jugend selbst, wenn man ihr nur vertraut,

Steht, eh’ man sich’s versieht, zu Männern auferbaut.
Auch ich versetze mich zu jenem großen Feste;

Ein Kaiserlich Büffet schmück’ ich auf’s allerbeste.
[291]
Mit Prachtgefäßen, gülden, silbern allzumal;
10920
Doch wähl’ ich dir voraus den lieblichsten Pokal.

Ein blank venedisch Glas, worin Behagen lauschet,
Des Weins Geschmack sich stärkt und nimmermehr berauschet.
Auf solchen Wunderschatz vertraut man oft zu sehr;
Doch deine Mäßigkeit, du Höchster, schützt noch mehr.

Kaiser.

10925
Was ich euch zugedacht in dieser ernsten Stunde,

Vernahmt ihr mit Vertraun aus zuverlässigem Munde.
Des Kaisers Wort ist groß und sichert jede Gift,
Doch zur Bekräftigung bedarf’s der edlen Schrift,
Bedarf’s der Signatur. Die förmlich zu bereiten,

10930
Seh’ ich den rechten Mann zu rechter Stunde schreiten.


Der Erzbischof (tritt auf).

Kaiser.
Wenn ein Gewölbe sich dem Schlußstein anvertraut,
Dann ist’s mit Sicherheit für ewige Zeit erbaut.
Du siehst vier Fürsten da! Wir haben erst erörtert,
Was den Bestand zunächst von Haus und Hof befördert.

10935
Nun aber, was das Reich in seinem Ganzen hegt,

Sey, mit Gewicht und Kraft, der Fünfzahl auferlegt.
An Ländern sollen sie vor allen andern glänzen,
Deßhalb erweitr’ ich gleich jetzt des Besitzthums Gränzen,
Vom Erbtheil jener die sich von uns abgewandt.

10940
Euch Treuen sprech’ ich zu so manches schöne Land,

Zugleich das hohe Recht euch, nach Gelegenheiten,

Durch Anfall, Kauf und Tausch in’s Weitre zu verbreiten;
[292]
Dann sey bestimmt vergönnt, zu üben ungestört

Was von Gerechtsamen euch Landesherrn gehört.

10945
Als Richter werdet ihr die Endurtheile fällen,

Berufung gelte nicht von euern höchsten Stellen.
Dann Steuer, Zins und Beth’, Lehn und Geleit und Zoll,
Berg-, Salz- und Münzregal euch angehören soll.
Denn meine Dankbarkeit vollgültig zu erproben,

10950
Hab’ ich euch ganz zunächst der Majestät erhoben.


Erzbischof.
Im Namen aller sey dir tiefster Dank gebracht,
Du machst uns stark und fest und stärkest deine Macht.

Kaiser.
Euch Fünfen will ich noch erhöht’re Würden geben.
Noch leb’ ich meinem Reich und habe Lust zu leben;

10955
Doch hoher Ahnen Kette zieht bedächtigen Blick

Aus rascher Strebsamkeit in’s Drohende zurück.
Auch werd’ ich, seiner Zeit, mich von den Theuren trennen,
Dann sey es eure Pflicht den Folger zu ernennen.
Gekrönt erhebt ihn hoch auf heiligen Altar,

10960
Und friedlich ende dann was jetzt so stürmisch war.


Erzcanzler.
Mit Stolz in tiefster Brust, mit Demuth an Gebärde,
Stehn Fürsten dir gebeugt, die ersten auf der Erde.
So lang das treue Blut die vollen Adern regt,

Sind wir der Körper den dein Wille leicht bewegt.
[293]
Kaiser.
10965
Und also sey, zum Schluß, was wir bisher bethätigt

Für alle Folgezeit durch Schrift und Zug bestätigt.
Zwar habt ihr den Besitz als Herren völlig frei,
Mit dem Beding jedoch, daß er untheilbar sey.
Und wie ihr auch vermehrt was ihr von uns empfangen,

10970
Es soll’s der ält’ste Sohn in gleichem Maß erlangen.


Erzcanzler.
Dem Pergament alsbald vertrau’ ich wohlgemuth,
Zum Glück dem Reich und uns, das wichtigste Statut;
Reinschrift und Sieglung soll die Canzeley beschäft’gen.
Mit heiliger Signatur wirst du’s, der Herr, bekräft’gen.

Kaiser.

10975
Und so entlass’ ich euch, damit den großen Tag,

Gesammelt, jederman sich überlegen mag.

Die weltlichen Fürsten
(entfernen sich).

Der Geistliche
(bleibt und spricht pathetisch).
Der Canzler ging hinweg, der Bischof ist geblieben,
Vom ernsten Warnegeist zu deinem Ohr getrieben!
Sein väterliches Herz von Sorge bangt um dich.

Kaiser.

10980
Was hast du Bängliches zur frohen Stunde? sprich!


Erzbischof.
Mit welchem bittern Schmerz find’ ich, in dieser Stunde,
Dein hochgeheiligt Haupt mit Satanas im Bunde.
Zwar, wie es scheinen will, gesichert auf dem Thron,

Doch leider! Gott dem Herrn, dem Vater Papst zum Hohn.
[294]
10985
Wenn dieser es erfährt, schnell wird er sträflich richten,

Mit heiligem Strahl dein Reich das sündige zu vernichten.
Denn noch vergaß er nicht wie du, zur höchsten Zeit,
An deinem Krönungstag, den Zauberer befreit.
Von deinem Diadem, der Christenheit zum Schaden,

10990
Traf das verfluchte Haupt der erste Strahl der Gnaden.

Doch schlag’ an deine Brust und gib vom frevlen Glück,
Ein mäßig Schärflein, gleich dem Heiligthum zurück.
Den breiten Hügelraum, da wo dein Zelt gestanden,
Wo böse Geister sich zu deinem Schutz verbanden,

10995
Dem Lügenfürsten du ein horchsam Ohr geliehn,

Den stifte, fromm belehrt, zu heiligem Bemühn.
Mit Berg und dichtem Wald, so weit sie sich erstrecken,
Mit Höhen die sich grün zu steter Weide decken,
Fischreichen klaren Seen, dann Bächlein ohne Zahl,

11000
Wie sie sich, eilig schlängelnd, stürzen ab zu Thal.

Das breite Thal dann selbst, mit Wiesen, Gauen, Gründen:
Die Reue spricht sich aus, und du wirst Gnade finden.

Kaiser.
Durch meinen schweren Fehl bin ich so tief erschreckt,
Die Gränze sey von dir nach eignem Maß gesteckt.

Erzbischof.

11005
Erst: der entweihte Raum wo man sich so versündigt,

Sey alsobald zum Dienst des Höchsten angekündigt.
Behende steigt im Geist Gemäuer stark empor,

Der Morgensonne Blick erleuchtet schon das Chor,
[295]
Zum Kreuz erweitert sich das wachsende Gebäude,
11010
Das Schiff erlängt, erhöht sich zu der Gläubigen Freude,

Sie strömen brünstig schon, durch’s würdige Portal,
Der erste Glockenruf erscholl durch Berg und Thal,
Von hohen Thürmen tönt’s, wie sie zum Himmel streben,
Der Büßer kommt heran, zu neugeschaffnem Leben.

11015
Dem hohen Weihetag – er trete bald herein! –

Wird deine Gegenwart die höchste Zierde seyn.

Kaiser.
Mag ein so großes Werk den frommen Sinn verkünd’gen,
Zu preisen Gott den Herrn, so wie mich zu entsünd’gen.
Genug! Ich fühle schon wie sich mein Sinn erhöht.

Erzbischof.

11020
Als Canzler fördr’ ich nun Schluß und Formalität.


Kaiser.
Ein förmlich Document, der Kirche das zu eignen,
Du legst es vor, ich will’s mit Freuden unterzeichnen.

Erzbischof
(hat sich beurlaubt, kehrt aber beim Ausgang wieder um).
Dann widmest du zugleich dem Werke, wie’s entsteht,
Gesammte Landsgefälle: Zehnten, Zinsen, Beth’,

11025
Für ewig. Viel bedarf’s zu würdiger Unterhaltung,

Und schwere Kosten macht die sorgliche Verwaltung.
Zum schnellen Aufbau selbst auf solchem wüsten Platz,
Reichst du uns einiges Gold aus deinem Beuteschatz.
Daneben braucht man auch, ich kann es nicht verschweigen,

11030
Entferntes Holz und Kalk und Schiefer und dergleichen.
[296]
Die Fuhren thut das Volk, vom Predigtstuhl belehrt,

Die Kirche segnet den der ihr zu Diensten fährt.
(Ab.)

Kaiser.
Die Sünd’ ist groß und schwer womit ich mich beladen,
Das leidige Zaubervolk bringt mich in harten Schaden.

Erzbischof
(abermals zurückkehrend mit tiefster Verbeugung).

11035
Verzeih’, o Herr! Es ward dem sehr verrufnen Mann

Des Reiches Strand verliehn; doch diesen trifft der Bann,
Verleihst du reuig nicht der hohen Kirchenstelle
Auch dort den Zehnten, Zins und Gaben und Gefälle.

Kaiser (verdrießlich).
Das Land ist noch nicht da, im Meere liegt es breit.

Erzbischof.

11040
Wer’s Recht hat und Geduld für den kommt auch die Zeit.

Für uns mög’ Euer Wort in seinen Kräften bleiben!

Kaiser (allein).
So könnt’ ich wohl zunächst das ganze Reich verschreiben.




[297]
Fünfter Act.




Offene Gegend.




Wandrer.

Ja! sie sind’s die dunkeln Linden,
Dort, in ihres Alters Kraft.

11045
Und ich soll sie wieder finden,

Nach so langer Wanderschaft!
Ist es doch die alte Stelle,
Jene Hütte, die mich barg,
Als die sturmerregte Welle

11050
Mich an jene Dünen warf!

Meine Wirthe möcht’ ich segnen,
Hülfsbereit, ein wackres Paar,
Das, um heut mir zu begegnen,
Alt schon jener Tage war.

11055
Ach! das waren fromme Leute!

Poch’ ich? ruf’ ich? – Seyd gegrüßt!
Wenn, gastfreundlich, auch noch heute

Ihr des Wohlthuns Glück genießt.
[298]
Baucis

(Mütterchen, sehr alt).
Lieber Kömmling! Leise! Leise!

11060
Ruhe! laß den Gatten ruhn;

Langer Schlaf verleiht dem Greise
Kurzen Wachens rasches Thun.

Wanderer.
Sage, Mutter, bist du’s eben,
Meinen Dank noch zu empfahn,

11065
Was du für des Jünglings Leben

Mit dem Gatten einst gethan?
Bist du Baucis, die, geschäftig,
Halberstorbnen Mund erquickt?
(Der Gatte tritt auf.)
Du Philemon, der, so kräftig,

11070
Meinen Schatz der Fluth entrückt?

Eure Flammen raschen Feuers,
Eures Glöckchens Silberlaut,
Jenes grausen Abenteuers
Lösung war euch anvertraut.

11075
Und nun laßt hervor mich treten,

Schaun das gränzenlose Meer;
Laßt mich knieen, laßt mich beten,
Mich bedrängt die Brust so sehr.

(Er schreitet vorwärts auf der Düne.)
[299]
Philemon zu Baucis.

Eile nur den Tisch zu decken,

11080
Wo’s im Gärtchen munter blüht.

Laß ihn rennen, ihn erschrecken,
Denn er glaubt nicht was er sieht.
(Ihm folgend.)

Philemon
(neben dem Wanderer stehend).
Das euch grimmig mißgehandelt,
Wog’ auf Woge, schäumend wild,

11085
Seht als Garten ihr behandelt,

Seht ein paradiesisch Bild.
Aelter, war ich nicht zu Handen,
Hülfreich nicht wie sonst bereit;
Und, wie meine Kräfte schwanden,

11090
War auch schon die Woge weit.

Kluger Herren kühne Knechte
Gruben Gräben, dämmten ein,
Schmälerten des Meeres Rechte,
Herrn an seiner Statt zu seyn.

11095
Schaue grünend Wies’ an Wiese,

Anger, Garten, Dorf und Wald.
Komm nun aber und genieße,
Denn die Sonne scheidet bald. –
Doch! im Fernsten ziehen Segel!

11100
Suchen nächtlich sichern Port –

Kennen doch ihr Nest die Vögel –

Denn jetzt ist der Hafen dort.
[300]
So erblickst du in der Weite

Erst des Meeres blauen Saum,

11105
Rechts und links, in aller Breite,

Dichtgedrängt bewohnten Raum.

Im Gärtchen.

(Am Tische zu Drey.)

Baucis
(zum Fremdling).
Bleibst du stumm? und keinen Bissen
Bringst du zum verlechzten Mund?

Philemon.
Möcht’ er doch vom Wunder wissen,

11110
Sprichst so gerne, thu’s ihm kund.


Baucis.
Wohl! ein Wunder ist’s gewesen!
Läßt mich heut noch nicht in Ruh;
Denn es ging das ganze Wesen
Nicht mit rechten Dingen zu.

Philemon.

11115
Kann der Kaiser sich versündigen

Der das Ufer ihm verliehn?
Thät’s ein Herold nicht verkündigen
Schmetternd im Vorüberziehn?
Nicht entfernt von unsern Dünen

11120
Ward der erste Fuß gefaßt,

Zelte, Hütten! – Doch im Grünen,

Richtet bald sich ein Palast.
[301]
Baucis.

Tags umsonst die Knechte lärmten,
Hack’ und Schaufel, Schlag um Schlag,

11125
Wo die Flämmchen nächtig schwärmten

Stand ein Damm den andern Tag.
Menschenopfer mußten bluten,
Nachts erscholl des Jammers Qual,
Meerab flossen Feuergluthen,

11130
Morgens war es ein Canal.

Gottlos ist er, ihn gelüstet
Unsre Hütte, unser Hain;
Wie er sich als Nachbar brüstet
Soll man unterthänig seyn.

Philemon.

11135
Hat er uns doch angeboten

Schönes Gut im neuen Land!

Baucis.
Traue nicht dem Wasserboden,
Halt auf deiner Höhe Stand.

Philemon.
Laßt uns zur Capelle treten!

11140
Letzten Sonnenblick zu schaun.

Laßt uns läuten, knieen, beten!
Und dem alten Gott vertraun.





[302]
Palast.
Weiter Ziergarten, großer gradgeführter Canal
.


Faust (im höchsten Alter wandelnd, nachdenkend).


Lynceus der Thürmer

(durch’s Sprachrohr).
Die Sonne sinkt, die letzten Schiffe
Sie ziehen munter hafenein.

11145
Ein großer Kahn ist im Begriffe

Auf dem Canale hier zu seyn.
Die bunten Wimpel wehen fröhlich,
Die starren Masten stehn bereit,
In dir preis’t sich der Bootsmann selig,

11150
Dich grüßt das Glück zur höchsten Zeit.

(Das Glöckchen läutet auf der Düne.)

Faust (auffahrend).
Verdammtes Läuten! Allzuschändlich
Verwundet’s, wie ein tückischer Schuß;
Vor Augen ist mein Reich unendlich,
Im Rücken neckt mich der Verdruß,

11155
Erinnert mich durch neidische Laute

Mein Hochbesitz er ist nicht rein,
Der Lindenraum, die braune Baute,
Das morsche Kirchlein ist nicht mein.
Und wünscht’ ich dort mich zu erholen,

11160
Vor fremden Schatten schaudert mir,

Ist Dorn den Augen, Dorn den Sohlen,

O! wär’ ich weit hinweg von hier!
[303]
Thürmer (wie oben).

Wie segelt froh der bunte Kahn,
Mit frischem Abendwind heran!

11165
Wie thürmt sich sein behender Lauf

In Kisten, Kasten, Säcken auf!
(Prächtiger Kahn, reich und bunt beladen mit Erzeugnissen fremder Weltgegenden.)

Mephistopheles. Die drey gewaltigen Gesellen.

Chorus.
     Da landen wir,
     Da sind wir schon.
     Glück an! dem Herren,

11170
     Dem Patron.

(Sie steigen aus, die Güter werden an’s Land geschafft.)

Mephistopheles.
So haben wir uns wohl erprobt,
Vergnügt wenn der Patron es lobt.
Nur mit zwey Schiffen ging es fort,
Mit zwanzig sind wir nun im Port.

11175
Was große Dinge wir gethan,

Das sieht man unsrer Ladung an.
Das freie Meer befreit den Geist,
Wer weiß da was Besinnen heißt!
Da fördert nur ein rascher Griff,

11180
Man fängt den Fisch, man fängt ein Schiff,

Und ist man erst der Herr zu drey

Dann hackelt man das vierte bei.
[304]
Da geht es denn dem fünften schlecht,

Man hat Gewalt, so hat man Recht.

11185
Man fragt um’s Was? und nicht um’s Wie?

Ich müßte keine Schifffahrt kennen:
Krieg, Handel und Piraterie,
Dreyeinig sind sie, nicht zu trennen.

Die drey gewaltigen Gesellen.
     Nicht Dank und Gruß!

11190
     Nicht Gruß und Dank!

     Als brächten wir
     Dem Herrn Gestank!
     Er macht ein
     widerlich Gesicht;

11195
     Das Königsgut

     Gefällt ihm nicht.

Mephistopheles.
     Erwartet weiter
     Keinen Lohn,
     Nahmt ihr doch euren

11200
     Theil davon.


Die Gesellen.
     Das ist nur für
     Die Langeweil,
     Wir alle fordern

     Gleichen Theil.
[305]
Mephistopheles.
11205
     Erst ordnet oben

     Saal an Saal
     Die Kostbarkeiten
     Allzumal.
     Und tritt er zu

11210
     Der reichen Schau,

     Berechnet er alles
     Mehr genau,
     Er sich gewiß
     Nicht lumpen läßt

11215
     Und gibt der Flotte

     Fest nach Fest.
     Die bunten Vögel kommen morgen,
     Für die werd’ ich zum besten sorgen.
(Die Ladung wird weggeschafft.)

Mephistopheles (zu Faust).
Mit ernster Stirn, mit düsterm Blick

11220
Vernimmst du dein erhaben Glück.

Die hohe Weisheit wird gekrönt,
Das Ufer ist dem Meer versöhnt,
Vom Ufer nimmt, zu rascher Bahn,
Das Meer die Schiffe willig an,

11225
So sprich daß hier, hier vom Palast

Dein Arm die ganze Welt umfaßt.
Von dieser Stelle ging es aus,
Hier stand das erste Breterhaus,
Ein Gräbchen ward hinabgeritzt

11230
Wo jetzt das Ruder emsig spritzt.
[306]
Dein hoher Sinn, der Deinen Fleiß

Erwarb des Meers, der Erde Preis.
Von hier aus –

Faust.
 Das verfluchte hier!
Das eben leidig lastet mir.

11235
Dir Vielgewandten muß ich’s sagen,

Mir gibt’s im Herzen Stich um Stich,
Mir ist’s unmöglich zu ertragen!
Und wie ich’s sage, schäm’ ich mich.
Die Alten droben sollten weichen,

11240
Die Linden wünscht’ ich mir zum Sitz,

Die wenigen Bäume, nicht mein eigen,
Verderben mir den Welt-Besitz.
Dort wollt’ ich, weit umher zu schauen,
Von Ast zu Ast Gerüste bauen,

11245
Dem Blick eröffnen weite Bahn,

Zu sehn was alles ich gethan,
Zu überschaun mit einem Blick
Des Menschengeistes Meisterstück,
Bethätigend, mit klugem Sinn,

11250
Der Völker breiten Wohngewinn.


So sind am härtsten wir gequält:
Im Reichthum fühlend was uns fehlt.
Des Glöckchens Klang, der Linden Duft
Umfängt mich wie in Kirch’ und Gruft.

11255
Des Allgewaltigen Willens-Kür
Bricht sich an diesem Sande hier.
[307]
Wie schaff’ ich mir es vom Gemüthe!

Das Glöcklein läutet und ich wüthe.

Mephistopheles.
Natürlich, daß ein Hauptverdruß

11260
Das Leben dir vergällen muß.

Wer läugnet’s! Jedem edlen Ohr
Kommt das Geklingel widrig vor.
Und das verfluchte Bim-Baum-Bimmel
Umnebelnd heitern Abendhimmel,

11265
Mischt sich in jegliches Begebniß,

Vom ersten Bad bis zum Begräbniß,
Als wäre, zwischen Bimm und Baum,
Das Leben ein verschollner Traum.

Faust.
Das Widerstehn, der Eigensinn

11270
Verkümmern herrlichsten Gewinn,

Daß man, zu tiefer, grimmiger Pein,
Ermüden muß gerecht zu seyn.

Mephistopheles.
Was willst du dich denn hier geniren,
Mußt du nicht längst colonisiren?

Faust.

11275
So geht und schafft sie mir zur Seite!

Das schöne Gütchen kennst du ja,
Das ich dem Alten ausersah.

Mephistopheles.
Man trägt sie fort und setzt sie nieder,

Eh’ man sich umsieht stehn sie wieder;
[308]
11280
Nach überstandener Gewalt

Versöhnt ein schöner Aufenthalt.
(Er pfeift gellend.)

Die Drey treten auf.

Mephistopheles.
Kommt! Wie der Herr gebieten läßt,
Und morgen gibt ein Flottenfest.

Die Drey.
Der alte Herr empfing uns schlecht,

11285
Ein flottes Fest ist uns zu Recht.


Mephistopheles (ad Spectatores).
Auch hier geschieht was längst geschah,
Denn Naboths Weinberg war schon da.

 (Regum I. 21.)




Tiefe Nacht.




Lynceus, der Thürmer (auf der Schloßwarte singend):

     Zum Sehen geboren,
     Zum Schauen bestellt,

11290
     Dem Thurme geschworen

     Gefällt mir die Welt.
     Ich blick’ in die Ferne,
     Ich seh’ in der Näh’,
     Den Mond und die Sterne

11295
     Den Wald und das Reh.
[309]
     So seh’ ich in allen

     Die ewige Zier,
     Und wie mir’s gefallen
     Gefall’ ich auch mir.

11300
     Ihr glücklichen Augen

     Was je ihr gesehn,
     Es sey wie es wolle
     Es war doch so schön!
     (Pause.)
     Nicht allein mich zu ergötzen

11305
     Bin ich hier so hoch gestellt;

     Welch ein gräuliches Entsetzen
     Droht mir aus der finstern Welt!
     Funkenblicke seh’ ich sprühen
     Durch der Linden Doppelnacht,

11310
     Immer stärker wühlt ein Glühen

     Von der Zugluft angefacht.
     Ach! die inn’re Hütte lodert,
     Die bemoos’t und feucht gestanden,
     Schnelle Hülfe wird gefodert,

11315
     Keine Rettung ist vorhanden.

     Ach! die guten alten Leute,
     Sonst so sorglich um das Feuer,
     Werden sie dem Qualm zur Beute!
     Welch ein schrecklich Abenteuer!

11320
     Flamme flammet, roth in Gluthen

     Steht das schwarze Moosgestelle,
     Retteten sich nur die Guten

     Aus der wildentbrannten Hölle!
[310]
     Züngelnd lichte Blitze steigen
11325
     Zwischen Blättern, zwischen Zweigen;

     Aeste dürr, die flackernd brennen,
     Glühen schnell und stürzen ein.
     Sollt ihr Augen dieß erkennen!
     Muß ich so weitsichtig seyn!

11330
     Das Capellchen bricht zusammen

     Von der Aeste Sturz und Last;
     Schlängelnd sind, mit spitzen Flammen,
     Schon die Gipfel angefaßt.
     Bis zur Wurzel glühn die hohlen

11335
     Stämme, purpurroth im Glühn.

     (Lange Pause, Gesang.)
     Was sich sonst dem Blick empfohlen,
     Mit Jahrhunderten ist hin.

Faust
(auf dem Balkon, gegen die Dünen).
Von oben welch ein singend Wimmern?
Das Wort ist hier, der Ton zu spat,

11340
Mein Thürmer jammert; mich, im Innern,

Verdrießt die ungeduldige That.
Doch sey der Lindenwuchs vernichtet,
Zu halbverkohlter Stämme Graun,
Ein Luginsland ist bald errichtet,

11345
Um in’s Unendliche zu schaun.

Da seh’ ich auch die neue Wohnung,
Die jenes alte Paar umschließt,
Das, im Gefühl großmüthiger Schonung,

Der späten Tage froh genießt.
[311]
Mephistopheles und die Dreye (unten).
11350
Da kommen wir mit vollem Trab,

Verzeiht! es ging nicht gütlich ab.
Wir klopften an, wir pochten an,
Und immer ward nicht aufgethan;
Wir rüttelten, wir pochten fort,

11355
Da lag die morsche Thüre dort;

Wir riefen laut und drohten schwer,
Allein wir fanden kein Gehör.
Und wie’s in solchem Fall geschicht,
Sie hörten nicht, sie wollten nicht,

11360
Wir aber haben nicht gesäumt

Behende dir sie weggeräumt.
Das Paar hat sich nicht viel gequält,
Vor Schrecken fielen sie entseelt.
Ein Fremder, der sich dort versteckt,

11365
Und fechten wollte, ward gestreckt,

In wilden Kampfes kurzer Zeit,
Von Kohlen, rings umher gestreut,
Entflammte Stroh. Nun lodert’s frei,
Als Scheiterhaufen dieser drey.

Faust.

11370
War’t ihr für meine Worte taub!

Tausch wollt’ ich, wollte keinen Raub.
Dem unbesonnenen wilden Streich
Ihm fluch’ ich! theilt es unter euch.

Chorus.
Das alte Wort, das Wort erschallt:

11375
Gehorche willig der Gewalt!
[312]
Und bist du kühn, und hältst du Stich,

So wage Haus und Hof und – Dich.
(Ab.)

Faust (auf dem Balkon).
Die Sterne bergen Blick und Schein,
Das Feuer sinkt und lodert klein;

11380
Ein Schauerwindchen fächelt’s an,

Bringt Rauch und Dunst zu mir heran.
Geboten schnell, zu schnell gethan! –

Was schwebet schattenhaft heran?




Mitternacht.




Vier graue Weiber treten auf.


Erste.

Ich heiße der Mangel.

Zweyte.
 Ich heiße die Schuld.

Dritte.

11385
Ich heiße die Sorge.


Vierte.
 Ich heiße die Noth.

Zu drey.
Die Thür ist verschlossen wir können nicht ein,
Drinn wohnet ein Reicher wir mögen nicht ’nein.

Mangel.

Da werd’ ich zum Schatten.
[313]
Schuld.

 Da werd’ ich zu nicht.

Noth.
Man wendet von mir das verwöhnte Gesicht.

Sorge.

11390
Ihr Schwestern ihr könnt nicht und dürft nicht hinein.

Die Sorge sie schleicht sich durch’s Schlüsselloch ein.
(Sorge verschwindet.)

Mangel.
Ihr, graue Geschwister, entfernt euch von hier.

Schuld.
Ganz nah an der Seite verbind’ ich mich dir.

Noth.
Ganz nah an der Ferse begleitet die Noth.

Zu drey.

11395
Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne!

Dahinten, dahinten! von ferne von ferne,
Da kommt er der Bruder, da kommt er der – – – – – Tod.

Faust (im Palast).
Vier sah ich kommen, drey nur gehn,
Den Sinn der Rede konnt’ ich nicht verstehn.

11400
Es klang so nach als hieß es – Noth,

Ein düstres Reimwort folgte – Tod.
Es tönte hohl, gespensterhaft gedämpft.
Noch hab’ ich mich in’s Freie nicht gekämpft.
Könnt’ ich Magie von meinem Pfad entfernen,

11405
Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen,
[314]
Stünd’ ich, Natur! vor dir ein Mann allein,

Da wär’s der Mühe werth ein Mensch zu seyn.

Das war ich sonst, eh’ ich’s im Düstern suchte,
Mit Frevelwort mich und die Welt verfluchte.

11410
Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll

Daß niemand weiß wie er ihn meiden soll.
Wenn auch Ein Tag uns klar vernünftig lacht,
In Traumgespinnst verwickelt uns die Nacht;
Wir kehren froh von junger Flur zurück,

11415
Ein Vogel krächzt, was krächzt er? Mißgeschick.

Von Aberglauben früh und spat umgarnt.
Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt.
Und so verschüchtert, stehen wir allein;
Die Pforte knarrt und niemand kommt herein.
(Erschüttert.)

11420
Ist jemand hier?


Sorge.
 Die Frage fordert Ja!

Faust.
Und du, wer bist denn du?

Sorge.
 Bin einmal da.

Faust.
Entferne dich!

Sorge.

 Ich bin am rechten Ort.
[315]
Faust (erst ergrimmt, dann besänftigt für sich).

Nimm dich in Acht und sprich kein Zauberwort.

Sorge.
     Würde mich kein Ohr vernehmen

11425
     Müßt’ es doch im Herzen dröhnen;

     In verwandelter Gestalt
     Ueb’ ich grimmige Gewalt.
     Auf den Pfaden, auf der Welle,
     Ewig ängstlicher Geselle;

11430
     Stets gefunden, nie gesucht,

     So geschmeichelt wie verflucht.
Hast du die Sorge nie gekannt? –

Faust.
Ich bin nur durch die Welt gerannt;
Ein jed’ Gelüst ergriff ich bei den Haaren,

11435
Was nicht genügte ließ ich fahren,

Was mir entwischte ließ ich ziehn.
Ich habe nur begehrt und nur vollbracht,
Und abermals gewünscht, und so mit Macht
Mein Leben durchgestürmt; erst groß und mächtig;

11440
Nun aber geht es weise, geht bedächtig.

Der Erdenkreis ist mir genug bekannt.
Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;
Thor! wer dorthin die Augen blinzend richtet,
Sich über Wolken seines gleichen dichtet!

11445
Er stehe fest und sehe hier sich um;

Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm.
Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen!

Was er erkennt läßt sich ergreifen.
[316]
Er wandle so den Erdentag entlang;
11450
Wenn Geister spuken geh’ er seinen Gang;

Im Weiterschreiten find’ er Qual und Glück,
Er! unbefriedigt jeden Augenblick.

Sorge.
     Wen ich einmal mir besitze
     Dem ist alle Welt nichts nütze,

11455
     Ewiges Düstre steigt herunter,

     Sonne geht nicht auf noch unter,
     Bei vollkommnen äußern Sinnen
     Wohnen Finsternisse drinnen.
     Und er weiß von allen Schätzen

11460
     Sich nicht in Besitz zu setzen.

     Glück und Unglück wird zur Grille,
     Er verhungert in der Fülle,
     Sey es Wonne, sey es Plage,
     Schiebt er’s zu dem andern Tage,

11465
     Ist der Zukunft nur gewärtig,

     Und so wird er niemals fertig.

Faust.
Hör’ auf! so kommst du mir nicht bei!
Ich mag nicht solchen Unsinn hören.
Fahr’ hin! die schlechte Litaney

11470
Sie könnte selbst den klügsten Mann bethören.


Sorge.
     Soll er gehen? soll er kommen?
     Der Entschluß ist ihm genommen;
     Auf gebahnten Weges Mitte

     Wankt er tastend halbe Schritte.
[317]
11475
     Er verliert sich immer tiefer,

     Siehet alle Dinge schiefer,
     Sich und andre lästig drückend,
     Athem holend und erstickend;
     Nicht erstickt und ohne Leben,

11480
     Nicht verzweifelnd, nicht ergeben.

     So ein unaufhaltsam Rollen
     Schmerzlich Lassen, widrig Sollen,
     Bald Befreien, bald Erdrücken,
     Halber Schlaf und schlecht Erquicken

11485
     Heftet ihn an seine Stelle

     Und bereitet ihn zur Hölle.

Faust.
Unselige Gespenster! so behandelt ihr
Das menschliche Geschlecht zu tausend Malen;
Gleichgültige Tage selbst verwandelt ihr

11490
In garstigen Wirrwarr netzumstrickter Qualen.

Dämonen, weiß ich, wird man schwerlich los,
Das geistig-strenge Band ist nicht zu trennen;
Doch deine Macht, o Sorge, schleichend groß,
Ich werde sie nicht anerkennen.

Sorge.

11495
     Erfahre sie, wie ich geschwind

     Mich mit Verwünschung von dir wende!
     Die Menschen sind im gan[z]en Leben blind,
     Nun Fauste werde du’s am Ende! –

     (Sie haucht ihn an.)
[318]
Faust (erblindet).

Die Nacht scheint tiefer tief hereinzudringen,

11500
Allein im Innern leuchtet helles Licht;

Was ich gedacht ich eil’ es zu vollbringen;
Des Herren Wort es gibt allein Gewicht.
Vom Lager auf, ihr Knechte! Mann für Mann!
Laßt glücklich schauen was ich kühn ersann.

11505
Ergreift das Werkzeug, Schaufel rührt und Spaten!

Das Abgesteckte muß sogleich gerathen.
Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß,
Erfolgt der allerschönste Preis;
Daß sich das größte Werk vollende

11510
Genügt Ein Geist für tausend Hände.




Großer Vorhof des Palasts.




Fackeln.
Mephistopheles (als Aufseher voran).

     Herbei herbei! Herein herein!
     Ihr schlotternden Lemuren,
     Aus Bändern, Sehnen und Gebein
     Geflickte Halbnaturen.

Lemuren im Chor.

11515
     Wir treten dir sogleich zur Hand,

     Und, wie wir halb vernommen,
     Es gilt wohl gar ein weites Land

     Das sollen wir bekommen.
[319]
     Gespitzte Pfähle die sind da,
11520
     Die Kette lang zum Messen;

     Warum an uns der Ruf geschah
     Das haben wir vergessen.

Mephistopheles.
Hier gilt kein künstlerisch Bemühn;
Verfahret nur nach eignen Maßen;

11525
Der Längste lege längelang sich hin,

Ihr andern lüftet rings umher den Rasen;
Wie man’s für unsre Väter that,
Vertieft ein längliches Quadrat!
Aus dem Palast in’s enge Haus,

11530
So dumm läuft es am Ende doch hinaus.


Lemuren (mit neckischen Gebärden grabend).
     Wie jung ich war und lebt’ und liebt’,
     Mich däucht das war wohl süße;
     Wo’s fröhlich klang und lustig ging
     Da rührten sich meine Füße.

11535
     Nun hat das tückische Alter mich

     Mit seiner Krücke getroffen;
     Ich stolpert’ über Grabes Thür,
     Warum stand sie just offen!

Faust (aus dem Palaste tretend, tastet an den Thürpfosten).
Wie das Geklirr der Spaten mich ergötzt!

11540
Es ist die Menge, die mir fröhnet,

Die Erde mit sich selbst versöhnet,
Den Wellen ihre Gränze setzt,

Das Meer mit strengem Band umzieht.
[320]
Mephistopheles (bei Seite).

Du bist doch nur für uns bemüht

11545
Mit deinen Dämmen, deinen Buhnen;

Denn du bereitest schon Neptunen,
Dem Wasserteufel, großen Schmaus.
In jeder Art seyd ihr verloren; –
Die Elemente sind mit uns verschworen,

11550
Und auf Vernichtung läuft’s hinaus.


Faust.
Aufseher!

Mephistopheles.
 Hier!

Faust.
 Wie es auch möglich sey
Arbeiter schaffe Meng’ auf Menge,
Ermuntre durch Genuß und Strenge,
Bezahle, locke, presse[10] bei!

11555
Mit jedem Tage will ich Nachricht haben

Wie sich verlängt der unternomm’ne Graben.

Mephistopheles (halblaut).
Man spricht, wie man mir Nachricht gab,
Von keinem Graben, doch vom – Grab.

Faust.
Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,

11560
Verpestet alles schon Errungne;

Den faulen Pfuhl auch abzuziehn,
Das Letzte wär’ das Höchsterrungne.
Eröffn’ ich Räume vielen Millionen,

Nicht sicher zwar doch thätig-frei zu wohnen.
[321]
11565
Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Heerde

Sogleich behaglich auf der neusten Erde,
Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,
Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft.
Im Innern hier ein paradiesisch Land,

11570
Da rase draußen Fluth bis auf zum Rand,

Und wie sie nascht gewaltsam einzuschießen,
Gemeindrang eilt die Lücke zu verschließen.
Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:

11575
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,

Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht’ ich sehn,

11580
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.

Zum Augenblicke dürft’ ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdetagen
Nicht in Aeonen untergehn. –

11585
Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
Genieß’ ich jetzt den höchsten Augenblick.

(Faust sinkt zurück, die Lemuren fassen ihn auf und legen ihn auf den Boden.)

Mephistopheles.

Ihn sättigt keine Lust, ihm gnügt kein Glück,
So buhlt er fort nach wechselnden Gestalten;
Den letzten, schlechten, leeren Augenblick

11590
Der Arme wünscht ihn fest zu halten.
[322]
Der mir so kräftig widerstand,

Die Zeit wird Herr, der Greis hier liegt im Sand.
Die Uhr steht still –

Chor.
 Steht still! Sie schweigt wie Mitternacht.
Der Zeiger fällt.

Mephistopheles.
 Er fällt, es ist vollbracht.

Chor.

11595
Es ist vorbei.


Mephistopheles.
 Vorbei! ein dummes Wort.
Warum vorbei?
Vorbei und reines Nichts, vollkommnes Einerlei!
Was soll uns denn das ew’ge Schaffen!
Geschaffenes zu nichts hinwegzuraffen!

11600
„Da ist’s vorbei!“ Was ist daran zu lesen?

Es ist so gut als wär’ es nicht gewesen,
Und treibt sich doch im Kreis als wenn es wäre.

Ich liebte mir dafür das Ewig-Leere.
Grablegung.
Lemur. Solo.

     Wer hat das Haus so schlecht gebaut,

11605
     Mit Schaufeln und mit Spaten?


Lemuren. Chor.
     Dir dumpfer Gast im hänfnen Gewand

     Ist’s viel zu gut gerathen.
[323]
Lemur. Solo.

     Wer hat den Saal so schlecht versorgt?
     Wo blieben Tisch und Stühle?

Lemuren. Chor.

11610
     Es war auf kurze Zeit geborgt;

     Der Gläubiger sind so viele.

Mephistopheles.
Der Körper liegt und will der Geist entfliehn,
Ich zeig’ ihm rasch den blutgeschriebnen Titel; –
Doch leider hat man jetzt so viele Mittel

11615
Dem Teufel Seelen zu entziehn.

Auf altem Wege stößt man an,
Auf neuem sind wir nicht empfohlen;
Sonst hätt’ ich es allein gethan,
Jetzt muß ich Helfershelfer holen.

11620
Uns geht’s in allen Dingen schlecht!

Herkömmliche Gewohnheit, altes Recht,
Man kann auf gar nichts mehr vertrauen.
Sonst mit dem letzten Athem fuhr sie aus,
Ich paßt’ ihr auf und, wie die schnellste Maus,

11625
Schnapps! hielt’ ich sie in fest verschloss’nen Klauen.

Nun zaudert sie und will den düstern Ort,
Des schlechten Leichnams ekles Haus nicht lassen;
Die Elemente die sich hassen,
Die treiben sie am Ende schmählich fort.

11630
Und wenn ich Tag und Stunden mich zerplage,
Wann? wie? und wo? das ist die leidige Frage;
[324]
Der alte Tod verlor die rasche Kraft,

Das Ob? sogar ist lange zweifelhaft;
Oft sah ich lüstern auf die starren Glieder;

11635
Es war nur Schein, das rührte, das regte sich wieder.


(Phantastisch-Flügelmännische Beschwörungs-Gebärden.)

Nur frisch heran! verdoppelt euren Schritt,
Ihr Herrn vom graden, Herrn vom krummen Horne,
Vom alten Teufelsschrot und Korne
Bringt ihr zugleich den Höllenrachen mit.

11640
Zwar hat die Hölle Rachen viele! viele!

Nach Standsgebühr und Würden schlingt sie ein;
Doch wird man auch bei diesem letzten Spiele
Ins künftige nicht so bedenklich seyn.

(Der gräuliche Höllenrachen thut sich links auf.)

Eckzähne klaffen; dem Gewölb des Schlundes

11645
Entquillt der Feuerstrom in Wuth,

Und in dem Siedequalm des Hintergrundes
Seh’ ich die Flammenstadt in ewiger Gluth.
Die rothe Brandung schlägt hervor bis an die Zähne,
Verdammte, Rettung hoffend, schwimmen an;

11650
Doch kolossal zerknirscht sie die Hyäne

Und sie erneuen ängstlich heiße Bahn.
In Winkeln bleibt noch vieles zu entdecken,
So viel Erschrecklichstes im engsten Raum!
Ihr thut sehr wohl die Sünder zu erschrecken,

11655
Sie halten’s doch für Lug und Trug und Traum.


(Zu den Dickteufeln vom kurzen, graden Horne.)
[325]
Nun wanstige Schuften mit den Feuerbacken!

Ihr glüht so recht vom Höllenschwefel feist;
Klotzartige, kurze, nie bewegte Nacken!
Hier unten lauert ob’s wie Phosphor gleißt:

11660
Das ist das Seelchen, Psyche mit den Flügeln,

Die rupft ihr aus, so ist’s ein garstiger Wurm;
Mit meinem Stempel will ich sie besiegeln,
Dann fort mit ihr im Feuer-Wirbel-Sturm.

Paßt auf die niedern Regionen,

11665
Ihr Schläuche, das ist eure Pflicht;

Ob’s ihr beliebte da zu wohnen,
So accurat weiß man das nicht.
Im Nabel ist sie gern zu Haus,
Nehmt es in Acht sie wischt euch dort heraus.

(Zu den Dürrteufeln vom langen, krummen Horne.)

11670
Ihr Firlefanze, flügelmännische Riesen!

Greift in die Luft, versucht euch ohne Rast;
Die Arme strack, die Klauen scharf gewiesen,
Daß ihr die Flatternde, die Flüchtige faßt.
Es ist ihr sicher schlecht im alten Haus,

11675
Und das Genie es will gleich obenaus.


Glorie von oben, rechts.

Himmlische Heerschaar.
     Folget Gesandte,

     Himmelsverwandte,
[326]
     Gemächlichen Flugs:

     Sündern vergeben,

11680
     Staub zu beleben;

     Allen Naturen
     Freundliche Spuren
     Wirket im Schweben
     Des weilenden Zugs.

Mephistopheles.

11685
Mißtöne hör’ ich, garstiges Geklimper,

Von oben kommt’s mit unwillkommnem Tag;
Es ist das bübisch-mädchenhafte Gestümper,
Wie frömmelnder Geschmack sich’s lieben mag.
Ihr wißt wie wir, in tiefverruchten Stunden,

11690
Vernichtung sannen menschlichem Geschlecht:

Das Schändlichste was wir erfunden
Ist ihrer Andacht eben recht.

Sie kommen gleißnerisch, die Laffen!
So haben sie uns manchen weggeschnappt,

11695
Bekriegen uns mit unsern eignen Waffen;

Es sind auch Teufel, doch verkappt.
Hier zu verlieren wär’ euch ew’ge Schande;
An’s Grab heran und haltet fest am Rande!

Chor der Engel
(Rosen streuend).
     Rosen, ihr blendenden,

11700
     Balsam versendenden!

     Flatternde, schwebende,

     Heimlich belebende,
[327]
     Zweigleinbeflügelte,

     Knospenentsiegelte,

11705
     Eilet zu blühn.


     Frühling entsprieße!
     Purpur und Grün;
     Tragt Paradiese
     Dem Ruhenden hin.

Mephistopheles
(zu den Satanen).

11710
Was duckt und zuckt ihr? ist das Höllenbrauch?

So haltet Stand und laßt sie streuen.
An seinen Platz ein jeder Gauch!
Sie denken wohl mit solchen Blümeleyen
Die heißen Teufel einzuschneien;

11715
Das schmilzt und schrumpft vor eurem Hauch.

Nun pustet, Püstriche! – Genug genug!
Vor eurem Broden bleicht der ganze Flug. –
Nicht so gewaltsam! schließet Maul und Nasen!
Fürwahr, ihr habt zu stark geblasen.

11720
Daß ihr doch nie die rechten Maße kennt!

Das schrumpft nicht nur, es bräunt sich dort, es brennt!
Schon schwebt’s heran mit giftig klaren Flammen,
Stemmt euch dagegen, drängt euch fest zusammen! –
Die Kraft erlischt! dahin ist aller Muth!

11725
Die Teufel wittern fremde Schmeichelgluth.


Engel.
     Blüthen die seligen,

     Flammen die fröhlichen,
[328]
     Liebe verbreiten sie,

     Wonne bereiten sie,

11730
     Herz wie es mag.

     Worte die wahren,
     Aether im Klaren
     Ewigen Schaaren
     Ueberall Tag!

Mephistopheles.

11735
O Fluch! o Schande solchen Tröpfen!

Satane stehen auf den Köpfen,
Die Plumpen schlagen Rad auf Rad
Und stürzen ärschlings in die Hölle.
Gesegn’ euch das verdiente heiße Bad!

11740
Ich aber bleib’ auf meiner Stelle. –


(Sich mit den schwebenden Rosen herumschlagend.)

Irrlichter fort! du! leuchte noch so stark,
Du bleibst gehascht ein ekler Gallert-Quark.
Was flatterst du? Willst du dich packen! –
Es klemmt wie Pech und Schwefel mir im Nacken.

Engel. Chor.

11745
     Was euch nicht angehört

     Müsset ihr meiden,
     Was euch das Innre stört
     Dürft ihr nicht leiden.
     Dringt es gewaltig ein,

11750
     Müssen wir tüchtig seyn;

     Liebe nur Liebende

     Führet herein!
[329]
Mephistopheles.

Mir brennt der Kopf, das Herz, die Leber brennt,
Ein überteuflisch Element!

11755
Weit spitziger als Höllenfeuer!

Drum jammert ihr so ungeheuer,
Unglückliche Verliebte! die verschmäht,
Verdrehten Halses nach der Liebsten späht.

Auch mir! Was zieht den Kopf auf jene Seite?

11760
Bin ich mit ihr doch im geschwornen Streite!

Der Anblick war mir sonst so feindlich scharf.
Hat mich ein Fremdes durch und durchgedrungen?
Ich mag sie gerne sehn die allerliebsten Jungen;
Was hält mich ab, daß ich nicht fluchen darf? –

11765
Und wenn ich mich bethören lasse,

Wer heißt denn künftighin der Thor? –
Die Wetterbuben, die ich hasse,
Sie kommen mir doch gar zu lieblich vor! –

Ihr schönen Kinder laßt mich wissen:

11770
Seyd ihr nicht auch von Lucifers Geschlecht?

Ihr seyd so hübsch, fürwahr ich möcht’ euch küssen,
Mir ist’s als kommt ihr eben recht.
Es ist mir so behaglich, so natürlich,
Als hätt’ ich euch schon tausendmal gesehn;

11775
So heimlich-kätzchenhaft begierlich;

Mit jedem Blick auf’s neue schöner schön.

O nähert euch, o gönnt mir Einen Blick!
[330]
Engel.

Wir kommen schon, warum weichst du zurück?

Wir nähern uns und wenn du kannst so bleib.

(Die Engel nehmen, umherziehend, den ganzen Raum ein.)

Mephistopheles

(der in’s Proscenium gedrängt wird).

11780
Ihr scheltet uns verdammte Geister,

Und seyd die wahren Hexenmeister;
Denn ihr verführet Mann und Weib. –
Welch ein verfluchtes Abenteuer!
Ist dieß das Liebeselement?

11785
Der ganze Körper steht in Feuer,

Ich fühle kaum daß es im Nacken brennt. –
Ihr schwanket hin und her, so senkt euch nieder,
Ein bißchen weltlicher bewegt die holden Glieder;
Fürwahr der Ernst steht euch recht schön!

11790
Doch möcht’ ich euch nur einmal lächeln sehn;

Das wäre mir ein ewiges Entzücken.
Ich meine so, wie wenn Verliebte blicken,
Ein kleiner Zug am Mund so ist’s gethan.
Dich langer Bursche, dich mag ich am liebsten leiden,

11795
Die Pfaffenmiene will dich gar nicht kleiden,

So sieh’ mich doch ein wenig lüstern an!
Auch könntet ihr anständig-nackter gehen,
Das lange Faltenhemd ist übersittlich –
Sie wenden sich – Von hinten anzusehen! –

11800
Die Racker sind doch gar zu appetitlich! –
[331]
Chor der Engel.

     Wendet zur Klarheit
     Euch, liebende Flammen!
     Die sich verdammen
     Heile die Wahrheit;

11805
     Daß sie vom Bösen

     Froh sich erlösen,
     Um in dem Allverein
     Selig zu seyn.

Mephistopheles (sich fassend).
Wie wird mir! – Hiobsartig, Beul’ an Beule

11810
Der ganze Kerl, dem’s vor sich selber graut,

Und triumphirt zugleich wenn er sich ganz durchschaut,
Wenn er auf sich und seinen Stamm vertraut:
Gerettet sind die edlen Teufelstheile,
Der Liebespuk er wirft sich auf die Haut;

11815
Schon ausgebrannt sind die verruchten Flammen,

Und, wie es sich gehört, fluch ich euch allzusammen!

Chor der Engel.
     Heilige Gluthen!
     Wen sie umschweben
     Fühlt sich im Leben

11820
     Selig mit Guten.

     Alle vereinigt
     Hebt euch und preis’t,
     Luft ist gereinigt,

     Athme der Geist!

(Sie erheben sich, Faustens Unsterbliches entführend.)

[332]
Mephistopheles (sich umsehend).
11825
Doch wie? – wo sind sie hingezogen?

Unmündiges Volk du hast mich überrascht,
Sind mit der Beute himmelwärts entflogen;
Drum haben sie an dieser Gruft genascht!
Mir ist ein großer einziger Schatz entwendet,

11830
Die hohe Seele die sich mir verpfändet

Die haben sie mir pfiffig weggepascht.
Bei wem soll ich mich nun beklagen?
Wer schafft mir mein erworbnes Recht?
Du bist getäuscht in deinen alten Tagen,

11835
Du hast’s verdient, es geht dir grimmig schlecht.

Ich habe schimpflich mißgehandelt,
Ein großer Aufwand, schmählich! ist verthan,
Gemein Gelüst, absurde Liebschaft wandelt
Den ausgepichten Teufel an.

11840
Und hat mit diesem kindisch-tollen Ding

Der Klugerfahrne sich beschäftigt,
So ist fürwahr die Thorheit nicht gering
Die seiner sich am Schluß bemächtigt.





[333]
Bergschluchten, Wald, Fels, Einöde.




Heilige Anachoreten

(Gebirgauf vertheilt, gelagert zwischen Klüften).

Chor und Echo.

Waldung, sie schwankt heran,

11845
Felsen, sie lasten dran,

Wurzeln sie klammern an,
Stamm dicht an Stamm hinan;
Woge nach Woge spritzt,
Höhle die tiefste schützt;

11850
Löwen sie schleichen stumm-

Freundlich um uns herum,
Ehren geweihten Ort
Heiligen Liebeshort.

Pater ecstaticus
(auf- und abschwebend).
Ewiger Wonnebrand,

11855
Glühendes Liebeband,

Siedender Schmerz der Brust,
Schäumende Gottes Lust.
Pfeile durchdringet mich,
Lanzen bezwinget mich,

11860
Keulen zerschmettert mich,

Blitze durchwettert mich;
Daß ja das Nichtige,

Alles verflüchtige,
[334]
     Glänze der Dauerstern
11865
     Ewiger Liebe Kern.


Pater profundus
(tiefe Region).
Wie Felsenabgrund mir zu Füßen
Auf tiefem Abgrund lastend ruht,
Wie tausend Bäche strahlend fließen
Zum grausen Sturz des Schaums der Fluth,

11870
Wie strack, mit eignem kräftigen Triebe,

Der Stamm sich in die Lüfte trägt:
So ist es die allmächtige Liebe
Die alles bildet, alles hegt.

Ist um mich her ein wildes Brausen

11875
Als wogte Wald und Felsengrund!

Und doch stürzt, liebevoll im Sausen,
Die Wasserfülle sich zum Schlund,
Berufen gleich das Thal zu wässern;
Der Blitz, der flammend niederschlug

11880
Die Atmosphäre zu verbessern,

Die Gift und Dunst im Busen trug,
Sind Liebesboten, sie verkünden
Was ewig schaffend uns umwallt.
Mein Innres mög’ es auch entzünden

11885
Wo sich der Geist, verworren, kalt,

Verquält in stumpfer Sinne Schranken,
Scharfangeschloss’nem Kettenschmerz.
O Gott! beschwichtige die Gedanken,

Erleuchte mein bedürftig Herz.
[335]
Pater Seraphicus

(mittlere Region).

11890
Welch ein Morgenwölkchen schwebet

Durch der Tannen schwankend Haar!
Ahn’ ich was im Innern lebet?
Es ist junge Geisterschaar.

Chor seliger Knaben.
Sag’ uns, Vater, wo wir wallen,

11895
Sag’ uns, Guter, wer wir sind?

Glücklich sind wir, allen allen
Ist das Daseyn so gelind.

Pater Seraphicus.
Knaben! Mitternachts Geborne,
Halb erschlossen Geist und Sinn,

11900
Für die Eltern gleich Verlorne,

Für die Engel zum Gewinn.
Daß ein Liebender zugegen
Fühlt ihr wohl, so naht euch nur;
Doch von schroffen Erdewegen

11905
Glückliche! habt ihr keine Spur.

Steigt herab in meiner Augen
Welt- und erdgemäß Organ,
Könnt sie als die euern brauchen,
Schaut euch diese Gegend an.
(Er nimmt sie in sich.)

11910
Das sind Bäume, das sind Felsen,[11]

Wasserstrom, der abestürzt
Und mit ungeheurem Wälzen

Sich den steilen Weg verkürzt.
[336]
Selige Knaben (von innen).

Das ist mächtig anzuschauen;

11915
Doch zu düster ist der Ort,

Schüttelt uns mit Schreck und Grauen.
Edler, Guter, laß uns fort!

Pater Seraphicus.
Steigt hinan zu höhrem Kreise,
Wachset immer unvermerkt,

11920
Wie, nach ewig reiner Weise,

Gottes Gegenwart verstärkt.
Denn das ist der Geister Nahrung
Die im freisten Aether waltet:
Ewigen Liebens Offenbarung

11925
Die zur Seligkeit entfaltet.


Chor seliger Knaben (um die höchsten Gipfel kreisend).
     Hände verschlinget
     Freudig zum Ringverein,
     Regt euch und singet
     Heilige Gefühle drein;

11930
     Göttlich belehret

     Dürft ihr vertraun,
     Den ihr verehret
     Werdet ihr schaun.

Engel (schwebend in der höhern Atmosphäre,
Faustens Unsterbliches tragend).
Gerettet ist das edle Glied

11935
Der Geisterwelt vom Bösen:

Wer immer strebend sich bemüht

Den können wir erlösen;
[337]
Und hat an ihm die Liebe gar

Von oben Theil genommen,

11940
Begegnet ihm die selige Schaar

Mit herzlichem Willkommen.

Die jüngeren Engel.
Jene Rosen, aus den Händen
Liebend-heiliger Büßerinnen,
Halfen uns den Sieg gewinnen,

11945
Und das hohe Werk vollenden,

Diesen Seelenschatz erbeuten.
Böse wichen als wir streuten,
Teufel flohen als wir trafen.
Statt gewohnter Höllenstrafen

11950
Fühlten Liebesqual die Geister;

Selbst der alte Satans-Meister
War von spitzer Pein durchdrungen.
Jauchzet auf! es ist gelungen.

Die vollendeteren Engel.
Uns bleibt ein Erdenrest

11955
Zu tragen peinlich,

Und wär’ er von Asbest
Er ist nicht reinlich.
Wenn starke Geisteskraft
Die Elemente

11960
An sich herangerafft,
Kein Engel trennte
[338]
Geeinte Zwienatur

Der innigen Beiden,
Die ewige Liebe nur

11965
Vermag’s zu scheiden.


Die jüngern Engel.
Nebelnd um Felsenhöh’
Spür’ ich so eben,
Regend sich in der Näh’,
Ein Geister-Leben.

11970
Die Wölkchen werden klar,

Ich seh’ bewegte Schaar
Seliger Knaben,
Los von der Erde Druck,
Im Kreis gesellt,

11975
Die sich erlaben

Am neuen Lenz und Schmuck
Der obern Welt.
Sey er zum Anbeginn,
Steigendem Vollgewinn,

11980
Diesen gesellt!


Die seligen Knaben.
Freudig empfangen wir
Diesen im Puppenstand;
Also erlangen wir
Englisches Unterpfand.

11985
Löset die Flocken los

Die ihn umgeben,
Schon ist er schön und groß

Von heiligem Leben.
[339]
Doctor Marianus

(in der höchsten, reinlichsten Zelle).
     Hier ist die Aussicht frei,

11990
     Der Geist erhoben.

     Dort ziehen Frau’n vorbei,
     Schwebend nach oben;
     Die Herrliche mitteninn
     Im Sternenkranze,

11995
     Die Himmelskönigin,

     Ich seh’s am Glanze.
(Entzückt.)

Höchste Herrscherin der Welt!
Lasse mich, im blauen,
Ausgespannten Himmelszelt

12000
Dein Geheimniß schauen.

Billige was des Mannes Brust
Ernst und zart beweget
Und mit heiliger Liebeslust
Dir entgegen träget.

12005
Unbezwinglich unser Muth

Wenn du hehr gebietest,
Plötzlich mildert sich die Gluth
Wie du uns befriedest.
Jungfrau, rein im schönsten Sinn,

12010
Mutter, Ehren würdig,

Uns erwählte Königin,

Göttern ebenbürtig.
[340]
     Um sie verschlingen

     Sich leichte Wölkchen,

12015
     Sind Büßerinnen,

     Ein zartes Völkchen,
     Um Ihre Knie
     Den Aether schlürfend,
     Gnade bedürfend.

12020
Dir, der Unberührbaren,

Ist es nicht benommen
Daß die leicht Verführbaren
Traulich zu dir kommen.

In die Schwachheit hingerafft

12025
Sind sie schwer zu retten;

Wer zerreißt aus eigner Kraft
Der Gelüste Ketten?
Wie entgleitet schnell der Fuß
Schiefem glattem Boden?

12030
Wen bethört[12] nicht Blick und Gruß?

Schmeichelhafter Odem?

Mater gloriosa
(schwebt einher).

Chor der Büßerinnen.
     Du schwebst zu Höhen
     Der ewigen Reiche,
     Vernimm das Flehen

12035
     Du Ohnegleiche!
     Du Gnadenreiche!
[341]
Magna peccatrix (St. Lucae VII, 36).

Bei der Liebe, die den Füßen
Deines gottverklärten Sohnes
Thränen ließ zum Balsam fließen,

12040
Trotz des Pharisäer-Hohnes;

Beim Gefäße das so reichlich
Tropfte Wohlgeruch hernieder;
Bei den Locken die so weichlich
Trockneten die heiligen Glieder –

Mulier Samaritana (St. Joh. IV.)

12045
Bei dem Bronn, zu dem schon weiland

Abram ließ die Heerde führen;
Bei dem Eimer, der dem Heiland
Kühl die Lippe durft berühren;
Bei der reinen reichen Quelle,

12050
Die nun dorther sich ergießet,

Ueberflüssig, ewig helle,
Rings durch alle Welten fließet –

Maria Aegyptiaca (Acta Sanctorum).
Bei dem hochgeweihten Orte,
Wo den Herrn man niederließ;

12055
Bei dem Arm, der von der Pforte

Warnend mich zurücke stieß;
Bei der vierzigjährigen Buße,
Der ich treu in Wüsten blieb;
Bei dem seligen Scheidegruße,

12060
Den im Sand ich niederschrieb –
[342]
Zu drey.

Die du großen Sünderinnen
Deine Nähe nicht verweigerst,
Und ein büßendes Gewinnen
In die Ewigkeiten steigerst,

12065
Gönn’ auch dieser guten Seele,

Die sich einmal nur vergessen,
Die nicht ahnte daß sie fehle,
Dein Verzeihen angemessen!

Una Poenitentium
(sonst Gretchen genannt. Sich anschmiegend).
     Neige, neige

12070
     Du Ohnegleiche,

     Du Strahlenreiche,
     Dein Antlitz gnädig meinem Glück!
     Der früh Geliebte,
     Nicht mehr Getrübte,

12075
     Er kommt zurück.


Selige Knaben
(in Kreisbewegung sich nähernd).
     Er überwächs’t uns schon
     An mächtigen Gliedern,
     Wird treuer Pflege Lohn
     Reichlich erwiedern.

12080
     Wir wurden früh entfernt

     Von Lebechören;
     Doch dieser hat gelernt,

     Er wird uns lehren.
[343]
Die eine Büßerin sonst Gretchen genannt.

Vom edlen Geisterchor umgeben,

12085
Wird sich der Neue kaum gewahr,

Er ahnet kaum das frische Leben
So gleicht er schon der heiligen Schaar.
Sieh wie er jedem Erdenbande
Der alten Hülle sich entrafft,

12090
Und aus ätherischem Gewande

Hervortritt erste Jugendkraft!
Vergönne mir ihn zu belehren,
Noch blendet ihn der neue Tag.

Mater gloriosa.
Komm! hebe dich zu höhern Sphären,

12095
Wenn er dich ahnet folgt er nach.


Doctor Marianus.
(Auf dem Angesicht anbetend.)
     Blicket auf zum Retterblick
     Alle reuig Zarten,
     Euch zu seligem Geschick
     Dankend umzuarten.

12100
     Werde jeder bess’re Sinn

     Dir zum Dienst erbötig;
     Jungfrau, Mutter, Königin,
     Göttin bleibe gnädig!

Chorus mysticus.
     Alles Vergängliche

12105
     Ist nur ein Gleichniß;

     Das Unzulängliche

     Hier wird’s Ereigniß;
[344]
Das Unbeschreibliche

Hier ist es gethan;

12110
Das Ewig-Weibliche

Zieht uns hinan.

Finis.




Gedruckt: Augsburg, in der Buchdruckerey der

J. G. Cotta’schen Buchhandlung.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: immmerfort
  2. Vorlage: Wohiu
  3. Vorlage: anf
  4. Vorlage: Homuuculus
  5. Vorlage: gesteru
  6. Vorlage: Rink
  7. Vorlage: Run
  8. Vorlage: Prosceninm
  9. Vorlage: uud
  10. Vorlage: preffe
  11. Vorlage: Felseu
  12. Vorlage: hethört