Fantasia (Tucholsky)
Nationale Zeitungsnotiz
Der Löwe hinter meinem Hause schlug kurz an.
Vom Felsgestein der sieben Lüste, das sich grade an der Wegbiegung erhob, schritt ein Mann, in einen ehemals fast weißen Burnus gehüllt, majestätisch auf mich zu. Es war Reimann-Effendi, der Führer der sächsischen Mohammedaner. „Batschari-Aleikum!“ sagte ich, würdevoll die Hand auf meine orientalische Brust legend. „Wie gähds dr denn?“ sagte der Effendi und holte aus seiner Toga ein Gaffeegännchen, das er schlürfend leerte. „Der Name des Propheten sei gelobt!“ sagte ich. „Nimm Platz und rauche diese Nargileh – wenn du ziehst, kommt Rauch; wenn du bläst, spielt sie: Deutschland, Deutschland über alles!“ Der Effendi setzte sich, zog, blies und schwieg. Die Sonne glühte, um eine Zeile zu füllen.
Der Effendi blinzelte durch die offene Tür meines Harems; leise hörte ich ihn vor sich hinmurmeln: „Eene gleene Digge hädch gern …“, aber schon tauchte der riesige Schatten meines Leibeunuchen Lissauer auf – solange er da war, konnte ich unbesorgt sein: denn was der unter den Händen hatte, das wurde nichts. Um meinen Gast abzulenken, begann ich, höflich mit ihm zu plaudern.
„Habt Ihr schon einmal eine Fantasia gesehn?“ fragte ich ihn. Reimann-Effendi sah mich mit listigen Äuglein an, schwenkte den Kaffee und sprach die Verse:
„Dein dämliches Gefrage ehrt den gemeinen Mann – der Majestät des Todes kann niemand entgehn –
Wenn Sie meinen, daß Fantasia gut ist – mir soll sie nicht zu dick sein.“
[228] Darauf sagte ich die Verse:
„O Adamskind, laß nicht die Hoffnung höhnen – Fantasia ist kein Mädchen, sondern eine Art Reitervergnügen –
Wenn ich aber Anschluß mit Damaskus bekomme – dann kriegst du die Fantasia.“
Und ich forderte „Damaskus Neunundneunzigneunundneunzig“ und bekam es dreimal fast, und schließlich sah Allah-el-Telephon wohlgesinnt auf mich herab, und ich bereitete alles vor, wie es vorgeschrieben steht in den heiligen Büchern, und wir saßen still auf unsern Matten und kratzten uns und warteten. Nur einmal unterbrach Reimann-Effendi die Stille und sprach: „Wenn die Araber ’n Geenj häddn, wär alles viel besser!“ – und dann war es wieder still.
Mit einem Satz sprangen wir auf.
„Ulululululululu –“ heulte es durch die siedend-heiße Luft, und da brauste es heran. Wir stiegen uns aufs Dach und sahen hinunter auf Damaskus mit seinen Minaretts und seinem Moscheegekuppel, und dies war es, was wir sahen:
Vornweg sprengte die Reiterkavalkade der Samisischen Fischer: an der Spitze der alte Scheich Hauptmann, dem der Koran den Wein verboten hatte; hinter ihm ein Sklav’ aus dem Stamme der Schmoggs; dann Thomas-al-Raschid auf einem Zauberpferd, das hatte vier Beine und kam nicht vom Fleck; dann Johab-il-Wassermann, der gern inkognito ausging; dann Trebitsch, der es lieber kognito tat; danach Shaw-Effendi, der Töpfer, der mit leeren Tongefäßen gute Geschäfte machte, und Rudolf Herzog, der Schuster …
„Ululululululu –“ heulte die Kavalkade, und Tausende von arabischen Wüstensöhnen folgten, in Staub gehüllt, nach.
Da ritt, in prächtiger Haltung, der Reichsbund der deutschen Verleger, es waren einundvierzig Mann: Ali Baba [229] und die vierzig andern; nach ihnen Alfred Sindbad der Seefahrer, der sieben Reisen gemacht hatte; Hedwig Scheherezade-Mahler, die sich dem Kalifen in der tausendundeinsten Nacht zum Fraße angeboten, aber er hatte gesagt: „Erzähle gottbehüte weiter!“; der junge Prinz Sternheim-al-Snob, der sich im Glanze einer Perlenkette sonnte, es war aber nur eine Perle daran; der Prinz von Theben; der Leibarzt des Kalifen, Unruh-Pascha, der Erfinder des immanenten Durchfalls; Omar-Klabund, ein vornehmer Perser, der hinter einem Steinklöpfer herjagte, weil der ihm einen Film weggenommen hatte; der junge Seeler-Hassan: der schoß, kaum wurde er unser gewahr, auf unsre Wasserpfeife, er mochte Pfeifen nicht; Abdullah Zuckermayer, der Besitzer eines berühmten Weinbergs, um den allabendlich, in der Dämmerung, die Säue grunzten; Fatme Geßlerine, eine bekannte Märchenerzählerin; der alte Kümmeltürke Bahr, der Mohammedaner geworden war, von der letzten Bekehrung her hatte er noch ein Kreuz um den Bauch baumeln. Auch zwei vermummte Gestalten bemerkte ich im Zug, die waren in weiße Tücher gehüllt, weil der Herausgeber der „Weltbühne“ mir verboten hatte, sie anzugreifen, die alten Teppen – und so zogen sie ungenannt dahin.
Und ich reichte dem Reimann-Effendi mein Riechbüchschen mit Sago, und er hielt es an die edel geformte Nase und sagte die Verse:
„Wer ist der schöne Reiter dort, der keines unbeschnittnen Christenhundes Wut wich?
Gännsde dähn? Das ist wohl Aemil Ludwig!“
Und ich antwortete mit den Versen:
„Wer ist der edle Moslem dort – mit jenem rosa Pickele?
Gännsde dähn? Das ist wohl René Schickele!“
und so sprachen wir noch viele schöne Verse.
[230] Und es ritt ein Fremdling im Gedränge mit, den niemand kannte – in einem sonderbaren Kostüm. Wie sich später herausstellte, hatten wir den Ritter von Hofmannsthal gesehen, einen Christen, den die Türken bei der Belagerung von Wien im Jahre 1529 dort zurückgelassen hatten, als einzigen seines Stammes; der hatte sich zur Abwechslung als Orientale verkleidet, und daher erkannte ihn im Morgenlande kein Mensch. Auch trieb sich ein Gaukler in der Schar umher, mit einem Tigerfell, darunter eine Panterhaut, darunter die Federn eines Wrobels – und unter alledem ein magerer, blau rasierter Kerl, mit einem Gesicht, wie wenn er Essig gesoffen hätte.
Und es folgten, auf Pferde gebunden, die Kriegsgefangenen der Kavalkade: die verfluchten Söhne des Sozi-al-Demokrat. Auf daß sie weicher säßen, hatte man ihnen einige Kompromisse untergelegt, und doch waren sie braun und blau am ganzen Leibe, Allah weiß, von wem sie ihre Prügel bezogen hatten; und es war einer dabei, Hörsing aus Bagdad, das war ein Barbier und ein fürtrefflicher Schaumschläger vor dem Herrn. Und nach ihnen tänzelte noch ein junger, aber falscher Prinz, in Wahrheit ein Edschmid von Beruf, hier aber hieß er der Aufgewachsen-Bey, und das war der allerletzte.
Und als sie alle versammelt waren, siehe, da wurden wir Zeugen eines unvergeßlichen Schauspiels. Aufbäumten sich die Pferde der Fantasia, der Staub wirbelte, einer der Reiter erhob die Flinte und gab einen Schuß ab. Bestürzt und erschreckt hielt die Kavalkade der Tausende – sie dienten jetzt fünfundvierzig Jahre der Fahne des Kalifen –: aber einen Vorschuß hatten sie noch nie erlebt.
Und als sie alle, alle so auf ihren Pferden regungslos in der untergehenden Sonne hielten, horch, da sang der Muezzin vom Turm der nahen Moschee sein Abendgebet. Und also sprach der Muezzin:
[231]„Allah-il-Allah – es gibt nur einen Gott, und Mohammed, der Heilige von Mokka und der ganzen Medine, ist sein Prophet!
Höret, Gläubige!
Lobet den Brecht, denn der Bronnen ist nicht weit – und ein Thomas in der Hand ist besser als ein Klaus auf dem Dach …
Wenn dich Kerr lobt, ist es Fatum; wenn dich aber Ihering tadelt, ist es Kismet, und so spielen sie das Spiel: Haust du meinen Moslem, hau ich deinen Moslem …!
Gedenket in Liebe Paul Valérys, der da Mode ist unter den Völkern; wer ihn aber lesen kann, dem will ich was prousten …
Herrgott, wie groß ist deine literarische Welt, wie erhaben deine Weltbühne und wie mannigfaltig dein Tierreich …
Und wer da eingeht in die Gesamtausgabe, dem ist das Paradies sicher, mitsamt den Houris, die da rufen: Na, Kleener –?
Es ging ein Fischer aus, einen Wolff zu suchen, aber es war eitel Reiß in seinem Netz, und als er sich den Schaden besah, da war die himmlische Schmiede leer …
Zeucht hin in Frieden, vermehret euch wie die Sandflöhe am Meer, denn wir haben noch nicht genug …
Allah-il-Allah –!“
Da erhob sich ein brausender Ruf aus tausend und abertausend brauner Kehlen. „Wem sagen Sie das –!“ riefen die degenerierten Wüstensöhne.
Der östliche Abend verdämmerte langsam im Westen, mein Gast Reimann-Effendi war längst gegangen, und ich sann noch lange unter den rauschenden Palmen über die Wunder des Morgenlandes.