Fahrt mit der „Bodensee“
Fahrt mit der „Bodensee“
Von Theobald Tiger
„Und wenn vielleicht in hundert Jahren
ein Luftschiff hoch mit Griechenwein
durchs Morgenrot käm hergefahren –
Wer möchte da nicht Fährmann sein?
wohl über Bord, von Kränzen schwer,
und gösse langsam meinen Becher
hinab in das verlaßne Meer.“ –
So sang vor Jahren Meister Keller.
Bis man das Luftschiff mit Propeller,
bis man den Zeppelin erfand.
Ich steige ein. In sieben Stunden
fliegst du von Lindau nach Berlin.
die Welt an mir vorüberziehn.
Es steigt das Schiff. Und klein und kleiner
wird Wald und Feld und Bodensee.
Am Tische hinter mir trinkt einer,
Ich schaue abwärts. In der Tiefe,
gibts da wohl Riesen, deren Huld
und Kraft das Volk zum Himmel riefe –?
Fast scheint es, als ob alles schliefe …
Ich schaue abwärts. Was so wichtig
da unten schien dem Tageskult –
hier oben sieht mans gar nicht richtig …
Dran ist gewiß die Höhe schuld.
Krakeeler auf dem Rednerpult,
die reklamierten Heldenbeene …
Dran ist gewiß die Höhe schuld.
Wo ist der anoch nicht korrupte
späh ich, wann er sich uns entpuppte …
Dran ist gewiß die Höhe schuld.
Wo ist die Reichsversorgungsstelle,
die noch kein Schläfchen eingelullt?
Dran ist gewiß die Höhe schuld.
Wo ist der Friede? Wo die Freude?
Wo ein Gemüt, das nicht verschrullt?
Wie kommts, daß ich die Zeit vergeude …?
Nur einer tät sich nicht verstecken:
Auf dieser Fahrt, im Windeswehn,
im platten Land, in Stadt und Flecken,
am Bach, am Fluß, in grünen Hecken –: