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Fürstenworte als Fürstenspiegel

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Textdaten
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Autor: Verus
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Titel: Fürstenworte als Fürstenspiegel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 96–98
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Fürstenworte als Fürstenspiegel.

Der griechische Geschichtschreiber Plutarch sagt irgendwo einmal, daß es für die Erkenntniß der Geschichte oft wichtiger sei, eine bezeichnende Aeußerung eines hervorragenden Mannes zu wissen, als in lange Beschreibungen von Kriegen und Schlachten sich zu vertiefen; denn aus einer einzigen Aeußerung lasse sich oft das ganze Wesen eines solchen Mannes abnehmen. Unter diesem Gesichtspunkt stellen wir im Nachfolgenden eine Anzahl von Worten bedeutender Herrscher zusammen; nicht bloß zur Nachahmung fordern sie auf, sie zeigen auch Abwege, auf die ein Fürst gerathen kann.

Die Reihe der römischen Kaiser eröffnet Augustus, dem das römische Volk die Herstellung des Friedens nach den Greueln der Bürgerkriege dankt: nicht ohne Grund hat es ihm den Namen eines Vaters des Vaterlandes aufgedrungen; die Lobsprüche der Dichter seiner Zeit waren insofern wohlverdient, als er einer der größten Reorganisatoren der Geschichte ist. Obwohl er das Heer in seiner Hand hatte, gründete er doch nicht, wie man gewöhnlich sagt, schlechthin die Monarchie; er theilte die Gewalt mit dem Senat, dem hohen Rath des Reiches, in welchem die Angehörigen der alten aristokratischen Geschlechter vertreten waren, und ließ sich in der Debatte widersprechen, ohne zu zürnen. Als einem gewissen Aemilius Aelianus vorgeworfen ward, er denke schlecht vom Kaiser, weigerte sich Augustus, eine Untersuchung anzuordnen: „Es ist genug, wenn man uns nicht thätlich schaden kann!“ Er hörte es mit an, daß ihm, wenn er wohl über die Hitze der Debatten im Senat sich verstimmt zeigte, gesagt wurde, es müsse den Senatoren frei stehen, sich über die öffentlichen Angelegenheiten unumwunden zu äußern. Der Sitte nach empfahl er seine Stiefsöhne und Enkel dem Volke bei den Wahlen zu den Ehrenämtern. „Wählt sie,“ sagte er dann, „wenn sie es verdienen"; niemals ließ er diesen Zusatz weg. Bei seinem Tode fragte er die sein Bett umstehenden Freunde, ob sie glaubten, daß er seine Lebensrolle gut durchgeführt habe; im Sterben wünschte er, ein gutes Zeugniß über sich zu erhalten, und die Geschichte hat es ihm nicht versagt, wenn wir auch wohl wissen, daß seine Persönlichkeit oft in entgegengesetztem Sinne aufgefaßt worden ist.

Wie oft ist sein Stiefsohn und Nachfolger Tiberius als ein Scheusal ohnegleichen abgeschildert worden, weil man über ihn nichts hörte als den Klatsch der Hauptstadt. Für Kammerdiener, sagte der Marschall Catinat und nach ihm Hegel, giebt es keine Helden. Aber die große Anklageakte, welche der Geschichtschreiber Tacitus über ihn zusammengestellt hat und welche mit der Wirkung eines in sich geschlossenen Kunstwerks die Seelen der Leser ergreift – sie enthält doch auch zahlreiche Dinge, welche ihre eigene Wirkung aufheben.

Als das jenseitige Spanien beim Senat um die Erlaubniß bat, dem Tiberius und seiner Mutter einen Tempel erbauen zu dürfen, da lehnte er es nach des Tacitus eigenem Bericht mit den schönen Worten ab! „Die Nachwelt wird meinem Andenken mehr als genug Ehre erweisen, wenn sie urtheilt, daß ich meiner Ahnen werth, für euer Wohl besorgt, standhaft in Gefahr und im Interesse des Gemeinwesens nicht furchtsam vor Feindseligkeiten gewesen sei. Das sollen meine Tempel in euren Herzen sein, das meine Bilder, und zwar solche, die dauern werden. Bilder aus Stein werden gleich Gräbern gemieden, wenn das Urtheil der Nachwelt umschlägt. Ich bitte die Götter, daß sie mir bis zum Schluß meines Lebens einen maßvollen Sinn erhalten, welcher weiß, was Menschen und Göttern recht ist; meine Mitbürger und die Bundesgenossen aber bitte ich, daß sie mir, wenn ich einst abgeschieden bin, ein gutes Gedenken bewahren.“ Ist es möglich, daß ein Fürst, vor dem alles zu kriechen bereit ist, schöner und würdiger die andern, zum Bewußtsein dessen erweckt, was ihm und was ihnen geziemt?

Als ihn einer mit dominus, Herr, anredete – worin lag, daß er seinen Willen den Bürgern wie seinen Sklaven auflegen könne – da verbat er es sich als eine ihm angethane Schmach. Schriften, welche ihn und die Seinen angriffen, ließ er ohne Anstand verbreitet werden; „denn in einem freien Staate müßten Zunge und Gesinnung frei sein.“ Gewiß, Tiberius hatte seine Schattenseiten, aber in den wichtigsten Fragen dachte er größer als mancher gepriesene Herrscher, welcher von der Menge weit über ihn erhoben wird. Je entschiedener er seine Stellung an der Spitze des Staates behauptete, desto mehr war er davon überzeugt, daß er diese Stellung täglich verdienen müsse; die Kritik, die er nicht verwarf, suchte er zu entwaffnen durch seine Thaten.

Von den mittelalterlichen deutschen Herrschern wollen wir vor allem einen herausgreifen, welcher vorbildlich ist für die besten unter ihnen, Karl den Großen. In dem Augenblick, wo der Stand der Gemeinfreien der mächtigen Ausbreitung des Lehnswesens zu erliegen, von den großen Grundherren abhängig zu werden begann, hat er den Grundsatz aufgestellt: „Jeder Grundherr muß seine Armen von seinen Lehen oder seiner eigenen Familie ernähren und darf nicht zugeben, daß sie anderswohin gehen und betteln.“ Er hat damit die Armen nicht bloß auf die Almosen verwiesen, sondern ihnen, wie der Kirchenhistoriker Albert Hauck sagt, ein Recht auf Hilfe gewährt – was das besagt, das weiß unser Geschlecht besser als irgend ein früheres.

Das Mittelalter ist die eigentlich kirchliche Periode der Menschheit gewesen, es mißt auch den Herrscher mit dem dadurch [97] gegebenen Maßstab. Wer wollte bestreiten, daß der Schutz der Religion im Interesse der Herrscher wie der Beherrschten gelegen ist; aber selbst derjenige französische König, welcher der Heilige schlechtweg heißt, Ludwig IX., hat begriffen, auf was es dabei ankommt. Er äußerte wohl, es sei besser, aussätzig zu sein als eine Todsünde zu begehen, weil der Aussatz nur den Leib, die Todsünde aber die Seele verderbe; allein diese Frömmigkeit war nicht knechtischer Art. Einst klagten die Erzbischöfe und Bischöfe seines Reiches, daß so viele Leute im Banne der Kirche stürben; der König möge durch seine Statthalter und Vögte anordnen, daß die, welche ein Jahr und einen Tag gebannt seien, sich bei Verlust ihres Vermögens um Absolution durch die Priester bemühen müßten. Darauf antwortete der fromme Monarch. „Das will ich gerne allen denen befehlen, von denen Ihr mir gewiß macht, daß sie unrecht haben; anders aber nicht, da ich sonst gegen Gott und gegen sie mich versündigen würde.“

Der König begriff sehr gut, daß die Prälaten ihre eigene Autorität mit der vorgeblichen Rücksicht auf das Ansehen der Kirche Christi decken wollten. Mit fester Hand zerriß er diesen Schleier; wer mit Unrecht gebannt ist, braucht keine Absolution; den Satz: „Die Kirche hat gesprochen, die Sache ist erledigt,“ läßt er nicht gelten, weil er sich nicht Priestern verantwortlich weiß, sondern Gott.

Ein Zeitgenosse des heiligen Ludwig war Friedrich II., der Hohenstaufe, einer der geistvollsten und gewaltigsten Fürsten des Mittelalters, welcher in vielen Stücken seiner Zeit voraus war. Er schuf in Neapel und Sicilien einen bureaukratisch regierten Staat; inmitten einer Zeit, wo das Lehnswesen noch die Grundlage des staatlichen Lebens war, hat er neue und feste Stützen seiner Macht gefunden. Oft hat man ihn als einen von der Kirche abtrünnigen Ketzer bezeichnet, schon bei seinen Lebzeiten, und es unterliegt keinem Zweifel, daß er innerlich freier dachte, als man von dem Manne erwarten sollte, welcher, um den Papst nicht unnöthig zu reizen und schlimmen Verdacht auf sich zu laden, die Einführung der Inquisition in Deutschland geschehen ließ. Ein Anzeichen dieser inneren Loslösung von dem Ueberlieferten und dabei ein lehrreiches und wehmüthiges Bekenntniß von den Schranken, welche Zeit und Menschen auch dem Mächtigsten ziehen, ist sein Wort: „Wer darf im Leben das scheinen, was er ist?“

Die Gestalt Friedrichs II. gehört schon in die Pforten des Uebergangszeitalters vom Mittelalter zur Neuzeit. Die Monarchie dieser neuen Zeit hat die feudale Aristokratie überwältigt welche als der Stand der Kriegsleute und der Grundherren sich zwischen das Königthum und die Masse des Volks hineingeschoben und jahrhundertelang jenem Schach geboten, diese aber ausgesogen hatte. Indem das Königthum die unbeschränkte Gewalt an sich brachte, erlangte es die Möglichkeit, sich der unteren Schichten des Volkes anzunehmen, zu welchen ihm Jahrhunderte hindurch sozusagen der Zugang fast versperrt gewesen war. Der Absolutismus des 17. Jahrhunderts ist deshalb kein Rückschritt in der Geschichte, sondern ein Fortschritt: durch ihn ward die tiefe Kluft einigermaßen ausgefüllt, die zwischen dem Adel und dem Volke gegähnt hatte, und der Gleichheit aller vor dem Gesetze vorgearbeitet. Der Absolutismus war ein Zuchtmeister zur Freiheit. Einer der tüchtigsten Vertreter dieses Absolutismus war Heinrich IV. von Frankreich, mit welchem 1589 das Haus Bourbon auf den Thron gelangte. Er wollte, sagt ein Bericht, überall und in allem König sein; deshalb war auch sein Leben wiederholt von Verschwörungen der Edelleute bedroht, und er ist schließlich unter dem Messer Ravaillacs gefallen, welcher nicht bloß den König als Verräther an der Kirche haßte, weil er dieser die Hugenotten nicht unterworfen habe, sondern auch, was oft übersehen wird, ein früherer Diener des hingerichteten Verschwörers Biron gewesen ist. Dem Volke war Heinrich ein gütiger Vater, von dem das Wort herumgetragen ward: „Ich will, daß am Sonntag jeder Bauer sein Huhn im Topfe habe.“ Die Leute nannten ihn schlechtweg den „guten König“, und Frankreich hat unter ihm nach den Greueln eines dreißigjährigen Religions- und Bürgerkriegs, in welchem über 130 000 Häuser niederbrannten, eine Wiederauferstehung gefeiert, gegen welche die nach 1871, so großartig sie war, sich doch wie ein Kinderspiel ausnimmt.

Unter Heinrichs Enkel, Ludwig XIV., erstieg der französische Absolutismus den Höhepunkt. Es wäre ungerecht, dem König eine gewisse Größe abzusprechen. Macaulay rühmt ihm eine der Haupttugenden eines Herrschers nach, daß er nämlich verstanden habe, die richtigen Männer für jede Aufgabe zu finden, und in der That ist es königlich, die Kräfte des Landes zu überblicken und sie, eine jede an ihrem Orte, in Bewegung zu setzen; auch hat der König Frankreich für Jahrzehnte an die Spitze des Welttheils gebracht. Aber er erstickte durch seine Selbstherrschaft jeden unabhängigen Willen. Es ist bezeichnend dafür, daß der erste Feldherr Frankreichs, der Vicomte de Turenne, 1668 mit der Begründung zum Katholicismus übertrat, es gezieme ihm nicht, eine andere Religion zu haben als der König. Ludwig XIV. soll, als ein Richter die Worte gebrauchte[:] „Der König und der Staat“, ihn unterbrochen und majestätisch ausgerufen haben. „Der Staat, das bin ich,“ „l’etat, c’est moi“ –: das will heißen: in meiner Person verkörpert sich das Ganze; wer mir widerstrebt, der widerstrebt dem Ganzen. Dabei bleibt dann freilich nur ein Wille übrig, der oberstes Gesetz für alle anderen ist. Diese Ueberspannung des monarchischen Prinzips führte mit Nothwendigkeit schließlich zum entgegengesetzten Satze, daß, wenn der Staat nicht in einer Person aufgehen, wenn Platz für die anderen sein solle, man mit dem Königthum gründlich aufräumen müsse. Durch sehr erkennbare Zusammenhänge, wenn sie auch nur allmählich in Wirkung getreten sind, hängt die Revolution von 1792 mit all ihren Schrecken zusammen mit dem System Ludwigs XIV.

Der Absolutismus hat auch in Deutschland und Preußen seine geschichtliche Sendung gehabt und vollbracht; es gab auch dort ein feudales, bezw. patrizisches Joch, unter dem die Masse des Volks seufzte. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, fand in Cleve Zustände von schreiender Ungleichheit vor, der Bauer war dreimal härter belastet als der Städter; auch das [98] war eine Erbschaft aus früheren Zeiten, daß zwar das stolze und kraftvolle Bürgerthum sich hinaufgearbeitet hatte, der Bauer aber – namentlich seit dem Aufkommen des römischen Rechts, das jeden zu Bodenzins verpflichteten Mann als hörig ansieht, und seit der gewaltigen Katastrophe des Bauernkriegs – immer tiefer hinabgedrückt ward. Friedrich Wilhelm war sich bewußt, daß er verpflichtet sei, des Volkes sich anzunehmen; er hat einmal seinen Söhnen den Satz als Wahlspruch diktiert: „Ich werde das Regiment so führen, daß ich stets eingedenk bleibe, es sei des Volkes und nicht meine persönliche Sache!“ Dem, der diesen Satz zuerst auswendig wisse, hat er sechs Dukaten versprochen. Wer vermöchte zu verkennen, daß in diesen Worten eine andere Art von Absolutismus sich ausspricht als in dem „l’état, c’est moi!“ Der Herrscher übt noch die selbstherrliche Gewalt aus; aber er fühlt sich als Beauftragten des Volkes, der Gesammtheit, welche hinter Ludwig XIV. sozusagen verschwunden war. Und was Friedrich Wilhelm fühlte, das hat sein Urenkel Friedrich II., der Große, klar ausgedrückt in seiner Vorrede zum „Antimacchiavell“, zu dem Werke, in dem er als Kronprinz sein politisches Glaubensbekenntniß ablegte: „Das Wohl der Völker, die er regiert, muß der Fürst jedem andern Interesse vorziehen. Der Souverän, weit entfernt, der unumschränkte Herr der Völker zu sein, die unter seinem Regiment stehen, ist nur ihr erster Diener“ – „le premier domestique“. Seine Hauptfürsorge wendete der König den kleinen Leuten zu. Als Schlesien ihm 1741 huldigte, da durften die Bürgerlichen stehen, während der Adel knieen mußte: Friedrich wollte „le roi des gueux“, der „König der Armen“ sein.

Man hat diese Art des Despotismus den „aufgeklärten“ Despotismus genannt; neben Friedrich dem Großen ist sein Hauptvertreter Joseph II.; ja dieser ist vielleicht der lehrreichste Typus der ganzen Richtung. Wenn irgend ein Fürst es mit seinen Unterthanen gut gemeint hat, so war er es: er hat von sich bezeugt, daß in ihm ein „wahrer Fanatismus für das Staatswohl“ wohne, dem er alles opfere. Mit Recht sagt deshalb die Inschrift auf seinem Denkmal zu Wien von ihm: „reipublicae vixit, non diu, sed totus“ – „er lebte dem Gemeinwesen, nicht lange, aber ganz.“ Allein indem Joseph II. die Menschen beglücken wollte, fragte er nichts danach, ob sie seine Maßregeln auch als Beglückung empfänden; den ihm entgegentretenden Widerstand glaubte er zerschmettern zu dürfen, ja zu müssen, um die Bahn zum Guten frei zu machen. „Alles,“ sagt Ludwig Häusser, „sollte ohne Vorarbeit, im Sturm erreicht werden; die Aufgaben, zu denen in Preußen über ein Jahrhundert und drei hervorragende Regenten nöthig gewesen waren, wollte er mit der Ungeduld des Enthusiasten lösen. In seinem Freisinn und seiner Humanität war ein gut Stück Despotismus und Absolutismus versteckt.“ Da sich nicht alles im Handumdrehen anders machen ließ, so entstand „ein Mittelzustand zwischen Altem und Neuem, der wegen seiner Unentschiedenheit auch die Besten verstimmte.“ Joseph II. hatte nach dem Bericht eines Engländers strenge und feste Grundsätze über Gerechtigkeit und Billigkeit, und kein Herrscher konnte ein größerer Feind der Unterdrückung sein. „Es ist jedoch eine gewisse Härte und Steifheit in ihm, welche erst die Reife und die Erfahrung des Alters mildern kann und welche ihn zu schnell und zu oft zu dem Schlusse verleitet: dies ist recht, also soll und muß es sein. Er bedenkt zu wenig, mit welcher außerordentlichen Vorsicht allgemeine Neuerungen eingeführt werden müssen, selbst wenn sie weise sind.“ Indem Joseph II. neben der Riesenaufgabe einer Modernisierung des österreichischen Staats auch noch die Last eines auswärtigen Krieges auf sich nahm, brach seine Kraft zusammen. Er bleibt der Befreier der Bauern vom Joch der Leibeigenschaft, der Begründer einer wenn auch noch eingeschränkten religiösen Duldung; aber er scheitert mit seinem Versuch, die römische Kirche in Oesterreich zu entwurzeln, alle Provinzen und Völker zu einem einheitlichen Ganzen zu verschmelzen, Slaven und Magyaren zu verdeutschen; er nennt sich kurz vor seinem frühen Tode – er starb im 50. Lebensjahr – den „Unglücklichsten aller Sterblichen“. Im Angesichte des Todes war er ruhig in seinem Gewissen; aber ihn kränkte, „daß er durch so viel Lebensplage so wenig Glückliche und so viel Undankbare gemacht habe.“

Joseph II. ist ein Beweis dafür, daß der beste Herrscherwille nicht genügt, wenn er nicht von praktischer Weisheit und Kenntniß der Menschen berathen wird. Die Niederländer, welche sich gegen ihn erhoben, haben ihm mit ähnlicher Begründung den Gehorsam aufgesagt wie ihre Vorfahren einst Philipp II.: „Er hat den uns geleisteten Schwur gebrochen; also sind wir auch unseres Eides quitt.“ Und doch – welch ein Unterschied zwischen dem menschenfreundlichen Joseph II. und dem strengen Despoten Philipp II., welcher nicht einmal dem hohen Adel des Deutschen Reichs einen huldvollen Blick oder eine Verbeugung gönnte! So ist Joseph II. die schlechthin tragische Gestalt unter den aufgeklärten Despoten, die alles für das Volk thun wollten, aber nichts durch das Volk. Die Zeit dieses Regiments war aber schon vor hundert Jahren um, und mit Recht hat Karl Grün im Dezember 1880 in der Allg. Zeitung an das Wort Macchiavellis erinnert: „Der Fürst wird glücklich sein, dessen Streben und Handeln mit dem Charakter seiner Zeit übereinstimmt; denjenigen aber wird das Unglück verfolgen, dessen Streben und Handeln mit dem Zeitgeist in Widerspruch ist.“ Joseph II. war in einem solchen Widerspruch, manchmal weniger nach Seite seiner Absichten, als nach der seiner Mittel; aber seine Mittel wurden seinen Absichten verderblich. Verus.