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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis 07

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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)
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Trinitatis 08 »
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Am siebenten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Marc. 8, 1−9.
1. Zu der Zeit, da viel Volks da war, und hatten nichts zu eßen; rief JEsus Seine Jünger zu Sich, und sprach zu ihnen: 2. Mich jammert des Volks, denn sie haben nun drei Tage bei Mir verharret, und haben nichts zu eßen; 3. Und wenn ich sie ungeßen von mir heim ließe gehen, würden sie auf dem Wege verschmachten. Denn etliche waren von ferne gekommen. 4. Seine Jünger antworteten Ihm: woher nehmen wir Brot hier in der Wüste, daß wir sie sättigen? 5. Und Er fragte sie: Wie viel habt ihr Brote? Sie sprachen: Sieben. 8. Und Er gebot dem Volk, daß sie sich auf die Erde lagerten. Und Er nahm die sieben Brote, und dankte, und brach sie, und gab sie Seinen Jüngern, daß sie dieselbigen vorlegten! und sie legten dem Volke vor. 7. Und hatten ein wenig Fischlein; und Er dankte, und hieß dieselbigen auch vortragen. 8. Sie aßen aber und wurden satt; und hoben die übrigen Brocken auf, sieben Körbe. 9. Und ihrer waren bei vier tausend, die da gegeßen hatten; und Er ließ sie von Sich.

 DAs Evangelium am heutigen Sonntage ist demjenigen, welches wir am Sonntage Lätare aus Joh. 6. gelesen haben, sehr ähnlich. Heut lasen wir von der Speisung der viertausend Mann, am Sonntag Lätare wird die Speisung der fünf Tausende gelesen. In der Zeit der Saat und in der Zeit der Aernte sollen wir an Den erinnert werden, der durch Seinen Segen aus Wenigem Vieles, aus der Saat die Aernte macht. Daß die Väter zweimal einerlei Evangelium erwählten, ist nicht etwa ein Gedächtnisfehler oder sonst ein Fehler, sondern es ist Absicht. Sie wollen zu verschiedenen Zeiten dieselben Gedanken in den Herzen der Christen erwecken, weil für beide Zeiten gerade diese Gedanken gut und nöthig sind. Oder ist’s nicht so? Soll nicht der Säende und der Aerntende, der Betende und der Dankende an Den denken, welcher mit Seiner Allmacht für jenen Trost und Hoffnung, für diesen die wohlerkannte Quelle alles Segens und ein Gott ist, dem Dank und Anbetung gebührt? Getrost und dankbar dem doppelten ernsten Winke, auf den Anfänger und Vollender alles Segens aufzuschauen, haben wir die beiden ähnlichen Evangelien gelesen. Getrost und ohne Aengstlichkeit darf und soll ich euch aus den ähnlichen Evangelien ähnliche Gedanken vortragen, weil sie euch nützlich sind. Es paßt hieher der Spruch des heiligen Paulus, wenigstens in einem gewißen Maße: „Daß ich euch immer einerlei schreibe, verdrießt mich nicht, und macht euch desto gewißer.“ Fangen wir fröhlich die ins Einzelne gehende Betrachtung an. Was ich sage − und schon am Sonntage Lätare gesagt habe, das sei euch desto wichtiger; und was ich damals nicht sagte und heute sage, das wendet auch auf jenes Evangelium an, so weit es recht ist.


 Es ist viel Volkes bei JEsu, bei viertausend Mann, und sie sind nicht eben heute erst auf ein paar Stunden zu Ihm zusammengeströmt. Es waren drei Tage vergangen, seitdem sie in der unwirthbaren, unbequemen Wüste bei dem HErrn Herberge genommen haben. Haben sie daheim nicht zum Theil Weiber und Kinder, zum Theil Väter und Mütter oder andere Angehörige, daß sie so lange abwesend sein können? Sind es lauter Müßiggänger, die nichts zu versäumen haben? Was veranlaßt uns, so zu denken? Es ist keine Ursache vorhanden, dem Volke Uebles nachzureden. Es ist auch nicht wahrscheinlich, daß die, welche sich in Israel so sehr zu JEsu drängten, der schlechteste Theil des Volkes waren. Vielleicht war es vorzugsweise der beßere Theil. Die Wüste bietet keinerlei Erquickung. Da ist keine Speise und vielleicht| auch die Waßerquelle nicht zu nahe, nicht sehr reichlich. Am Tage ist kein Obdach gegen den Sonnenbrand, in der Nacht keines gegen den Frost, am Morgen keines gegen den träufelnden Thau. Auch ist hier kein Sitz, kein Lager außer dem grünen Gras − und viele Hunderte und Tausende in unsern Tagen würden deshalb auch eines solchen dreitägigen Aufenthalts bei JEsu gar nicht fähig gewesen sein. Warum fühlten sich denn nun die viertausend Mann so wenig beschwert? Warum bringen sies über das Herz, Familie, Arbeit und alles drei Tage lang allein zu laßen und unter Entbehrung und Mangel bei dem HErrn zu bleiben? So sehr zog sie das Wort des HErrn an. Sie erfuhren es an ihrem Theil, daß der Mensch nicht lebt allein vom Brote, sondern von einem jeglichen Worte, das aus dem Munde Gottes geht. Sie schmecken die Kräfte der zukünftigen Welt, die durch den Mund JEsu auf sie kommen und werden durch sie unabhängiger von irdischen Bedürfnissen; der Geist wird HErr über den Leib, und sie merken es deshalb kaum, daß er entbehrt. Freunde, ihr habt auch schon Zeiten gehabt, wo ihr vor Ueberschwang der Seelen weder Speise, noch Trank bedurftet. Ihr wißt es, daß große Freude, tiefe Traurigkeit oft alle Lust zu zeitlicher, leiblicher Nahrung vertreibt. Warum soll also, wer recht von den vollen Tischen des Wortes Gottes gegeßen und getrunken, nicht auch der Speise eine Weile misachten und sich mit wenigem begnügen können? Es gibt unter uns nicht viele, die sich des Wortes freuen können, wie man sich großen Glückes freut; aber die es können, können auch die vier Tausende begreifen, deren innern Seelenzustand man gar nicht zu überschätzen braucht, um anzunehmen, daß sie Himmelsfreuden vom Munde JEsu sogen. Er predigte ja nicht wie die Schriftgelehrten, sondern gewaltig, und sicherlich wie keiner vor und keiner nach Ihm.

 Ob sie es aber nicht doch übertrieben haben, die viertausend Mann? Sie konnten es ja anders einrichten, weniger auffällig ihre Lust an Christi Wort beweisen. Sie konnten kommen und rechtzeitig gehen und wiederkommen. Auch war ja der HErr im Lande und zog hin und her, und das Land war nicht so gar groß, daß man nicht, wenn es die Geschäfte und Verhältnisse erlaubten, öfter auf kürzere Zeiten und Fristen sich bei Ihm hätte einstellen können. Nicht wahr, meine Freunde, eine nüchterne Sprache? Setzet aber dazu: eine unerträgliche, die Sprache eines liebeleeren, trägen Herzens. So ungefähr lautete die Sprache der Jünger, da sie die Salbe reute, die jenes Weib, welches man segnen soll, auf den Leib des HErrn goß. Es muß nicht immer alles recht alltäglich und nach jedermanns Sinn hergehen, um recht zu sein. Ich erlaube mir, das obige armselige Reden gar nicht zu widerlegen. Ich will zuversichtlich und kurzab die vier Tausend loben und sprechen: Recht haben sie gethan − und dem müßen alle frommen Herzen zufallen. Wenn sie unrecht gethan hätten, hätte sie der HErr getadelt, sie von Sich gewiesen. Wo steht aber davon ein Wort, wo ist von so etwas eine Spur? Gerade umgekehrt! Der HErr läßt sie machen, läßt sie alles über Seinem Worte vergeßen, läßt sie hungrig werden, so hungrig, daß sie verschmachtet wären, wenn Er sie hätte ohne Hilfe gehen laßen. Als sie aber genug bewiesen hatten, wie sehr ihnen die Freude Seines Wortes über alle Speise und über alle Gemächlichkeit des Lebens gieng; da gibt Er ihnen einen auffallenden Beweis Seiner Liebe und Seines Wohlgefallens durch die wunderbare Speisung. Er hat ein Auge und ein Herz voll Mitleid für alles, was dem Menschen, der für sein himmlisches Verlangen Stillung sucht, auf diesem Weg begegnen mag, − und wer aufrichtig und redlich für seine Seele sorgt, dem hilft Er, selbst wenn Er ihm in Betreff der Art und Weise seiner Seelsorge manches zu verzeihen hätte. Seht nur in den Text und leset! Ausdrücklich bezeugt der HErr den vier Tausenden Sein Mitleid. „Mich jammert des Volks, spricht Er, denn sie haben nun drei Tage bei Mir verharret und haben nichts zu eßen, und wenn Ich sie ungeßen von Mir ließe heimgehen, würden sie auf dem Wege verschmachten.“ Daraus ziehe ich zur Ermunterung aller, die ihr Seelenheil suchen, und zum Troste aller, die auf dem Wege ihrer Seelsorge etwas zu leiden bekommen, den starken Schluß, daß es dem HErrn wohlgefiel und wohlgefällt, so oft ein Mensch mit Hintansetzung mancher irdischen Rücksicht das sucht, was ihm ewig nützen kann.


|  Am Sonntag Lätare lasen wir, daß der HErr Seine Jünger fragte, „wo kaufen wir Brot, daß diese eßen“? Im heutigen Evangelium lesen wir, daß die Jünger fragen: „Woher nehmen wir Brot hier in den Wüsten, daß wir sie sättigen“? Des HErrn Frage an die Jünger war eine Frage der Versuchung zum Guten, während Er Selbst ganz wohl Rath wußte. Dagegen die Frage der Jünger an Ihn war eine Frage der Rathlosigkeit. Er aber, der HErr, weiß auch dies Mal Rath. Es gibt Zeiten, wo es der Mensch nicht vermag, nach St. Pauli Befehl alle seine Bitte in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden zu laßen, − wo die Last der Noth und Sorge zu schwer drückt, − wo der Zusammenhang der Seele, der gequälten, mit Gott nur noch in halb hoffnungsvollen, halb zweifelnden Fragen an den HErrn laut wird. In solchen Fällen ist dann der HErr nicht ferne, und obschon die Seele wankt, wankt Er doch nicht, sondern bringt Seine zagenden, zitternden Schafe eilends auf eine fröhliche grüne Weide, wo alle Sorge sich auflöst in Scham und Reue für den halben Zweifel, dem die Seele Raum gegeben, und in Dank, der um so inniger, weil er durch keine Bitte sich selbst angekündigt und geweißagt hatte. So ist es hier. Die Jünger sehen keinen Ausweg, aber Er ist reich über alle, für welche die Jünger sorgen. Er ist reich über alle, die Sein bedürfen, seien es nun Tausende oder Millionen. Ohne Bitten, aus eigener, freier Bewegung reicht Er das Almosen Seiner Gnade und hilft. Es ist Ihm dabei auch ganz gleich, durch wenig, oder durch viel helfen, oder auch durch nichts; denn Er kann auch dem rufen, das nicht ist, daß es sei, und alles ist Ihm möglich. − Ach, warum zagen wir so oft, da wir doch wißen, daß JEsus lebt? Sind wir in Verlegenheiten, die unsre Schwachheit verschuldet hat, so ist ja bei Ihm die Vergebung und viel Erlösung bei Ihm. Und haben wir wißentlich die Noth nicht verschuldet, verdammt uns unser Herz nicht, so sollten wir ja viel mehr Freudigkeit haben, zu Ihm zu beten, und nicht zweifeln, daß Er uns erhören wird. Er hat doch vielen Tausenden und viel tausendmal aus großem Gedränge auf weiten Raum geholfen und gepreßte Herzen erleichtert und erweitert! Warum weinen und zagen und trauern wir denn und senken die Häupter, da der alte Gott und Heiland noch immer lebt, der Petro die Hand reichte und den Jüngern im Schifflein zurief: „Ihr Kleingläubigen, warum zweifelt ihr“?
 Laßt uns, unser Herz zu erfreuen und zu ermuthigen, die schöne Hilfe JEsu genauer ansehen, liebe Brüder! Er gibt Speise den Hungrigen − und all Sein Geben ist von der Art, daß Er dadurch noch mehr als durch die Gabe selbst die Seele anzieht. Es ist doch gar nicht einerlei, wie einer gibt. Wer zuvorkommend und freundlich gibt, der gibt zwei mal und drei mal, während der langsame, mürrische Geber durch diese häßliche Art des Gebens die Hälfte seiner Gabe wieder nimmt und in den süßen Freudenwein derselben bittere Thränen und Wermuth träufelt. Heiliger, frommer Geber, HErr JEsu, wie gibst Du Dein Almosen Deinen Armen? Das laß uns lernen und es nachmachen. Du gibst, Du ißest nicht selber − und doch dankst Du, dankst für die Almosen, die Du geben kannst. Du gibst − und willst von Deinen Empfängern die heilige Feier der Ordnung; feierlich stille, feierlich geschaart sollen Deine Armen das Brot Deiner Danksagung dahinnehmen. Heiligkeit und Zier ist bei Dir überall − und wie Dein Apostel befiehlt, dem nachzudenken, was lieblich und schön ist, so ist in Deinem eigenen Thun und wo Du regierst, Wahrheit, Güte, Schönheit − alles beisammen. So sollte es auch bei uns sein. Auch wir sollten den Armen, die Du zu uns sendest, die Gabe mit Danksagung reichen; das Brot unserer Armen sollte ein Brot der Danksagung sein und der Becher frischen Waßers, den wir darreichen, ein Kelch der Danksagung. Denn geben können, ist selige Freude und alles Dankes werth. Geben ist seliger als nehmen, darum sollte der Geber mehr danken als der Nehmer. Wie wenig denken wir daran! Wie viele mögen unter uns sein, die auch nur ein einziges Mal ihre Almosen mit Danksagung begleitet haben, geschweige daß es ihnen zur heiligen süßen Gewohnheit geworden wäre, danksagend zu geben! Ach daß wir so ungelehrig sind für Himmelsfreuden; denn ein dankendes Geben ist gewis Himmelsfreude! Danken ist ein köstlich Ding; Geben ist selig − wie kann es anders sein. Laßt uns doch gerne die von Gott gegönnten Freuden lernen! Dieß Wort der Ermunterung und Ermahnung gilt auch für alle liebliche Ordnung, die wir bei unserm| Geben Christo nach beobachten können; denn die Uebung seiner heiligen Ordnung ist von ihm gegönnte purlautere Freude. − Und noch etwas, meine Freunde, das ich nicht verschweigen kann, das ich euch sagen will, so oft ich immer Gelegenheit habe, es sagen zu können. Des HErrn Danksagung ist ein Tischgebet. Christus hielt die schöne Sitte Seiner Heimat und Seines Volkes fest. Werden wir Ihm nicht nachfolgen? „Alle Creatur Gottes ist gut, spricht St. Paulus, so sie mit Danksagung empfangen wird“; wie wenn sie ohne Danksagung nicht gut wäre. „Alle Dinge werden geheiligt durch das Wort Gottes und durch Gebet,“ spricht Er gleichfalls, so daß also ohne Gottes Wort und Gebet nichts, auch die Speise nicht heilig ist! Das haben sich unsere Väter gemerkt − sie machten jedes Mahl, das sie genoßen, zu einem Opfer. Erst brachten sie es Gott dar, weil Er es gegeben hatte und weil sie sein Geben durch nichts mehr anerkennen konnten, als durch Zurückgeben; dann nahmen sie es wieder mit Danksagung dahin und genoßen es als eitel Opferspeise. Ihr Eßen gesegneter mit Dank geweihter Speisen däuchte ihnen nichts anders zu sein, als ein Eßen mit Gott, in Seiner Gegenwart, unter Seinen Augen! Hatten sie Unrecht, liebe Brüder? Sind das nicht lauter wahre und heilsame Gedanken? Dürften wir sie nicht auch aufnehmen und darnach wandeln? − Ach HErr, schenk uns dazu Deinen Geist und gib uns Muth, zu thun wie Du und unsre Väter, zu denken und zu thun, wie sie! Wir eßen oder wir trinken, so laß uns doch alles zu Deiner Ehre und in Deinem Namen thun.
 Der HErr bricht das Brot Seiner Barmherzigkeit und legt es zur Vertheilung in die Hände Seiner Apostel, − Er nimmt die Fische und legt sie gleichfalls in die Hände Seiner Jünger nieder. Seine Armenpfleger sind also dieselben, die Ihm auch predigen und taufen halfen. Die irdischen Gaben, die Er austheilen will, schafft Er Selbst herzu; alles aber gibt Er den Dürftigen durch dieselben Hände, durch welche Er die geistlichen Segnungen reicht. So sehen wir also hier schon das Amt, das den Geist gibt, vereinigt mit dem Amte, welches irdische Gaben darreicht. Das Brot der Seele und das Brot des Leibes geht durch dieselben Hände. Und so blieb es auch, nachdem Er aufgefahren, der Geist ausgegoßen und eine Gemeine gesammelt war. Wer hat die freiwilligen Gaben der Gemeine von Jerusalem, welche mit so großer Aufopferung gegeben wurden, in Empfang genommen? Dieselben Männer, die wir hier in der Wüste zu Tische dienen sahen, thatens auch, nachdem sie durch die reiche Begabung des heiligen Geistes Väter der Kirche geworden waren. Sie dienten zu Tische, sie gaben den Armen und Wittwen aus dem gemeinsamen Schatze aller Glieder der ersten Gemeine ihre Nothdurft. Und auch als aus dem Apostolate die andern Aemter wie Zweige hervorzuwachsen anfiengen, als die Apostel − wie einst Mose − nothgedrungen ihre Geschäfte auf andere übertragen mußten, als sie das Amt der heiligen Diaconen oder Armenpfleger stifteten, war doch auch dies Amt nach ihrer Meinung nichts anderes, als ein Amt der Kirche und wurde von den Aposteln unter Handauflegung eingesegnet. Das Amt der Diaconen ist von dem der Presbyter oder Aeltesten verschieden; aber beide gehörten der Kirche, beide mußten von heiligen, mit geistlichen Gaben gesegneten Personen verwaltet werden, beide wuchsen aus der Machtvollkommenheit des ersten Amtes, des Apostolats hervor. Das ist, meine theuren Brüder, nicht unwichtig. Armenpflege und Seelenpflege sind beide geistlich. Die Leiber der Armen und die Seelen aller stehen unter besondern heiligen Aemtern. Gleichwie die Seelen nicht weltgesinnten Männern anvertraut werden, so auch nicht die Leiber der Armen. Alle Leiber sollen Heiligtum sein denen, welche sie tragen; die Leiber der Armen genießen besondere Obsorge und Pflege durch das kirchliche Amt der Diaconie. Wohl den Armen, für welche die Kirche sorgt, die unter heiligen Diaconen leben, kranken, genesen und sterben! Wohl den Zeiten, wo es Diaconen, vom HErrn gesetzte Armenfreunde gab; Armenpflege der Kirche ist vom Geiste freiwilliger, lauterer, himmlischer Liebe getragen; sie geschieht im Namen des HErrn; da steht immer Er an der Spitze, und wie die Apostel in der Wüste, so schauen die Augen aller Diaconen auf die Hände des HErrn, ihr gesammter Dienst ist eben so Ihm, dem hochgelobten Haupte, wie den Armen gethan. Da ist − alles Menschliche zugegeben, welches eintreten kann, doch jeden Falls zu vermuthen, daß nicht der Geiz, sondern milde Liebe und barmherzige Fürsorge den| Säckel hüten, daß nichts zu wenig, nichts bloß zum Schein geschehen wird. Wie ganz anders, wo die Armenpflege ein weltlich Amt, ein weltliches Gebot wird, und statt der freien Liebe das strenge Muß und die Gewalt herrscht! Da erwacht Mistrauen und Widerstreben − und der Arme wird, weil er ein Schützling irdischer Gewalt wird, zu einem Gegenstande der Abneigung, zu einer Ueberlast, vor der man sich hütet, welche aufzunehmen man sich auf alle Weise weigert, welche abzuschütteln man jedes Mittel ergreift. Ich sage nicht zu viel, ich verweise auf die Wirklichkeit, − wir erleben es allewege, daß Armenpflege unter dem Fittich weltlicher Befehle nicht gedeiht, daß sie spärlich, ärmlich, nichtig, und in ihrer Nichtigkeit überdies voll Mühe, voll Lug und List und Verschlagenheit ist. Sei Du wieder der Armen Schutz und Gewährsmann, HErr JEsu! Brich Du wieder den Armen das Brot der Danksagung! Leg es wieder in die Hände Deines Amtes nieder! Laß die Diaconen austheilen und die Aeltesten wachen, daß Dein Sinn vollführt werde! Setz Deine Armen wieder in die Vorhöfe Deiner Kirchen und die Spitäler und Armenhäuser unter Deinen Hirtenstab! Des wird der Arme sich freuen und Deine Gemeinen werden die Gabe ihrer Liebe, das Armenbrot, das Brot der Danksagung, auf Deine Altäre ungezwungen und viel reichlicher niederlegen, als es unter den Befehlen der Gewaltigen geschieht! Deine Armen werden es wieder gut und schön haben, wie in der ersten beßeren Zeit, wenn Niemand mehr „muß“, sondern der von Deinem Geist gewirkte freiwillige Sinn an Deinen Altären opfert.
 Sehet nur hin in die Wüste, wo der HErr die Speise segnet und Seine Jünger dienen! Wie gut haben es diese Darbenden an ihren grünen Tischen, bei ihrer lieben Ordnung! Sie waren sehr hungrig geworden: hätte sie der HErr ungeßen gehen laßen, so würden sie auf dem Wege verschmachtet sein. So hungrige Leute sind mit geringer Speise zufrieden und vergnügt. Der HErr hätte ihnen getrost Brot reichen dürfen und weiter nichts; sie würden dennoch Seine wunderbare, gnadenreiche Hand gepriesen haben. Aber nein! Er ist ein reicher HErr, Er gibt zur Kost die Zukost, zum Brote die Fische, zum Nöthigen das Liebliche, Er hält Seine armen Leute nicht zu kurz. Wie Er als Schöpfer so mancherlei Dinge geschaffen hat, so reicht Er als Ernährer und Erhalter Seiner Creaturen auch mancherlei Güter und Gaben dar, auf daß Seine Güte sich desto reicher erweise und unser Dank desto völliger und brünstiger sei! Mit wie viel Wenigerem könnte, wenn es sein müßte, selbst der Arme auskommen, und nun erst der Reiche! Was alles könnte man als unnöthig bezeichnen, wenn man darauf ausgienge! Aber es ist ja im Leben gar nicht davon die Rede und ist auch nicht der Wille Gottes, daß einer nur das Allernöthigste gebrauche und alles andere von sich weise. Der Gott, welcher mit so vollen Gebershänden uns entgegenkommt, will nicht, daß wir wie stolze Bettler Ihn stehen laßen und höchstens für den Hungertod nehmen. Was Er uns darreicht, das gönnt Er uns, das sollen wir nehmen, das sollen wir mit Danksagung empfangen und fröhlich darüber sein zum Preise Gottes, der alles mit Wohlgefallen erfüllt, der um Sich her eine fröhliche Kinderschaar sehen will und darum aller Welt so wohl thut. Es ist wahr, daß wir im Jammerthale, ja in einem Todesthale wandeln; wer kann das Ach und Weh der Erde zählen? Jeder Augenblick löscht ein Leben aus und keiner ist frei vom Schmerz und Thränen. Wo die einen sich freuen, trauern und jammern genug andere. Aber die Freude hat ihr Recht durch die Schöpfung und durch die Erlösung und durch die Heiligung; und die Religion des Kreuzes ist die wunderbare weise und mächtige Prophetin, die allem Schmerz, ja auch dem Tode Freuden beigibt, allen Schmerz und Jammer tödtet, und am Ende dieses Lebens, das nicht ohne Anfechtung des Jammers sein kann, die Pforten eines ewigen Freudenhimmels öffnet. Es ist darum nicht Todesvergeßenheit, nicht Vergeßenheit drückender Lebenslasten, sondern Hingabe an den Geist unsers HErrn JEsu, wenn wir jede, auch jede Erdengabe mit Danksagung, fröhlich, als Pfand und Angeld ewiger Freuden, als einen Vorboten des Landes annehmen, wo der Himmel keine Wolken und das Licht keine Dunkelheit mehr hat. Ihr Armen unsers HErrn JEsu, und das seid ihr alle, − schwelget drum zwar nicht von den reichen Gütern Seines Hauses, praßet nicht; aber nehmet und genießet alles so, daß nach dem Empfang und Genuß die Seele desto dankbarer und fröhlicher beten, loben und rühmen könne. Lernet an den Gaben Gottes, die euch zeitlich| erfreuen, den edlen Spruch jenes frommen Bischofs sprechen: „Gott sei Dank für alles!“ Lernet ihn also, daß ihr ihn auch im Kreuze sprechen könnet und wenn das Haupt erblaßend in den Staub sinkt.

 Zu dankbarer Freude an den mancherlei Gaben Gottes habe ich euch aufgefordert; laßt mich noch einen Grund mehr zur Freude und Danksagung anführen. Der HErr gibt nicht bloß mancherlei Gaben, Er gibt auch Seine Gaben im Ueberfluß. Sieben Brote waren da, als man austheilte; sieben Körbe mit Brocken waren vorhanden, als man das Uebriggebliebene sammelte. Das heißt überflüßig geben. Und so gibt der HErr im Grunde doch allen, über denen nicht ein besonderer, geheimnisvoller Rath waltet. Wenn ein Lebenslauf zu Ende ist, überwiegt das Gute, welches der HErr gegeben, allermeist, ja immer das Uebel. Allermeist heißt es: „Er hat mich reichlich und täglich versorgt.“ Allermeist muß die Frage: „Habt ihr auch je Mangel gehabt?“ beantwortet werden mit einem: „Herr, nie keinen!“ Man muß zuweilen Mangel leiden, darben und hungern, wie die vier Tausende in der Wüste; aber durch Mangel und Kummer steigen doch die meisten zu Ueberfluß auf, und wenn ein Mann auch anfangs den Schweiß seines Angesichtes reichlich vergießen und sich mit viel Kummer nähren muß: zuletzt kommt es meist anders und am Abend wird es auch in dieser Beziehung für viele Licht. Drum sei auch in der Noth das Wort „Gott sei Dank für Alles“ hoffend gesprochen und an der reichen Erfahrung göttlicher Hilfe erstarke der Geist zu unwandelbarem Vertrauen; zu tapferer Ertödtung aller Sorgen, zu Dank und Preisgesang in allen Fällen! − Deine mannigfaltige, überfließende Güte, HErr JEsu, Deine reiche, milde Hand, Dein frommes Herz sei von mir und allen den Deinigen allezeit bewundert und verehrt, und daß Du alles wohl machst und Dich erbarmest aller Deiner Werke, das sei mein Wort im Leben und im Sterben! Amen.




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