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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Epistellektionen Theil 1

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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)
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Kurze Lectionen
zu
den sonn- und festtäglichen Episteln
des Kirchenjahres.
Neben der Evangelien-Postille zu lesen.

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Inhalt
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Am ersten Sonntage des Advents.
Römer 13, 11–14.

 ES ist Zeit, aufzustehen vom Schlafe!“ Der Schlaf, der ist nichts anderes, als das Alltagleben in Sünd und Sündengemächlichkeit. Aufstehen, das ist nichts anderes, als Christum oder die Sonne der Gerechtigkeit anziehen im Glauben. Es ist Zeit − ja, ja! Denn die Nacht ist vergangen, da keine Hilfe, keine Erlösung war, da man in Sünden schlummerte, weil keine Stimme des Evangeliums Vergebung, Frieden, Erneuerung anbot. Und gekommen ist der helle, lichte Tag, der Tag des neuen Testamentes, der Tag der Gnade, das Jahr des Heils! Es ist die Zeit aufzustehen! Ists denn nicht Zeit? Ists bei dir nicht Zeit? Schmeckt dir denn der Schlaf der Sünde so gut? Es kann doch nicht sein! Es kann nimmermehr sein. Im Schlaf der Sünde ist ein Traum des Gerichts und zugleich Gefahr, das Heil zu verschlafen. Ein peinigender Traum, eine schreckliche Möglichkeit! Es kann dir unmöglich wohl sein bei dem Schlafe der Sünde! Die größte Qual des Wachens ist nicht so schrecklich, als dieselbe Qual, wenn man sie träumte. Die lieblichsten Träume haben Todesschauer bei sich, − und die schrecklichen Träume sind Nachtbilder voll Grauens einer kommenden ewigen Nacht. Aufwachen, aufwachen, denn es ist Zeit!

 Ja aufwachen! Aber nicht, um mit den Augen zu blinzen und wieder einzuschlafen. Aufwachen, aufstehen. Christum anziehen, den schmalen Weg wandeln, drauf verharren, bis das Heil gar gekommen ist, das immer näher kommt! Aufwachen und verharren, bis die Stunde des Erwachens zum ewigen Leben kommt!

 Das Heil ist nahe! Du kommst ja und mit Dir Dein Lohn! Die Jungfrauen schliefen, da das Geschrei vom Bräutigam kam, und etliche hatten beim Erwachen kein Oel, entgegen zu gehen! HErr, erwecke mich Du und gib mir Leben, das nicht verlischt, ehe ich sterbe, und das da triumphirt, wenn ich sterbe! Wenn diese Augen entschlafen und mein Leib zur Verwesung geht, dann erlösche meine Lampe nicht. Voll übergebe ich sie Dir − und Du gibst sie mir voll wieder, wenn das Geschrei Deiner Zukunft kommt! − Du bist nahe! Hilf mir, daß ich Dich mit Freuden schaue! Amen.


Am zweiten Sonntage des Advents.
Römer 15, 4–13.
 EInerlei gesinnt sein!“ − Das ist etwas Großes, wenn es auch nur bei zwei Menschen sich findet. Mann und Weib, wie nahe sind sie einander, − und doch wie selten ist es, daß sie einerlei gesinnt sind untereinander. Und wenn es sich findet, wie selten geschieht es, daß ihre Einigkeit recht ist vor Gott dem HErrn. Ach, wie selten ist unter Zweien rechte Einigkeit! Die Zwei, die recht einig gewesen sind in dem HErrn, sollte man eines unsterblichen Andenkens würdigen. Denn in ihnen hat Gott ein Wunder der Liebe geoffenbart! − Und nun erst wenn drei eins werden! Wunderbarer Gott! − Und so hinauf zu mehreren! Oder gibts da keine Ewigkeit mehr? Ja doch! Hast du Augen, so sieh in die heutige Epistel und staune! Ueber was sollst du staunen? Siehst du nicht eine überraschende, eine alle| Menschenmöglichkeit übersteigende Einigkeit, eine Einigkeit, welche größer ist, als Babels Wunder, − eine Einigkeit, die kein Mensch glauben könnte, wenn sie nicht Der sagte, dem wir alles glauben! Da steht die Erde zwiegespalten − in Juden und Heiden. Und heraustreten zu Christo eine große Schaar der Juden und eine größere der Heiden und werden Eins in Christo, einig, einerlei gesinnt, Eine Gemeine der Heiligen, Eine Kirche! Sie sind einig, wenn nicht in anderem, doch im Größten, Besten, im HErrn und in Seiner Wahrheit! Und was will das sagen! Sie werden immer einiger! Und sieh hin in die Ewigkeit, da stehen sie, versammelt aus allen Zungen und Sprachen und Völkern, und sind ganz einig, ewig einig, in allem einig! Millionen und doch vollkommen einig! Und doch Millionen, deren jeder sich selbst besitzt gegenüber dem ewigen Gute!

 Gibts unter den Christen auch Antipathien? Mögen sich manche nicht? Du kannst nicht zweifeln! Und dort sind sie beisammen, ohne Pein! Gerne beisammen! Einig, einerlei gesinnt! Manche Kranke können in der Krankheit ihre Liebsten nicht leiden. Ist dieß Leben eine Krankheit, sind dort, die man nicht mag, die Liebsten? − Nach so großen Wundern wäre das kein Großes.

 Begreifen kann ichs nicht! Aber ich wollte, ich sähe es, wie man es dort sieht! Ich wollte, ich wäre bei meinen seligen Freunden − und bei meinen seligen Feinden!


Am dritten Sonntage des Advents.
1. Corinther 4, 1–5.

 RIchtet nicht vor der Zeit!“ − „Mir aber ists ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde!“ − An die Corinther, seine liebe Gemeinde, muß der Apostel schreiben: „Richtet nicht vor der Zeit!“ − und muß es in Bezug auf sich schreiben. Also waren sie in Versuchung, ihn zu richten, ihn ungerecht zu beurtheilen, − oder waren gar Fälle vorgekommen, daß St. Paul von den Corinthern ungerecht beurtheilt worden war? Und es war also nöthig, daß er sich durch Bewußtsein seiner Unschuld über das eitle Gericht menschlicher Tage hinwegschwang? daß er sagen mußte: „Mir ists ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde!?“

 Ach, es ist doch traurig, daß selbst eines Apostels Würde bei denen, die er, uns seines Ausdrucks zu bedienen, mit Schmerzen geboren hatte durch den Dienst des Wortes, mistrauisch angesehen werden konnte, daß auch ein Apostel nicht ohne böses Gerücht und Gericht bleiben konnte und das bei seiner eigenen, geliebten Gemeinde! Es ist traurig, aber es ist auch tröstlich − tröstlich für die Hirten der Gemeinden, denen es, obschon sie nicht apostolische Würde haben, bei treuem Wort und Wandel nicht anders ergeht, als jenem. Warum sollen arme Hirten schlechterer Gemeinden ein friedlicheres Leben, einen unantastbareren Ruf in Anspruch nehmen, als Apostel?! Man sei stille und tröste sich mit Aposteln!

 Ein Hirte wacht über seine Heerde, − zwei Augen übersehen oft nicht bloß Hunderte, sondern Tausende. Und diese Hunderte und Tausende sehen alle auf den Hirten und überwachen ihn. Es ist selbst für unreine Hirtenseelen eine gewaltige Anmahnung zur Heiligung in diesem Wachen der Hunderte und Tausende; selbst matte Hände, müde Füße müßen dadurch immer aufs neue angefeuert werden, was recht ist, zu thun, und den Weg des Heils zu wandeln. Warum sollen nicht heilige Hirtenseelen schon darum, weil ein unheiliger Wandel der Hirten in der Hunderte Gewißen alle Sünden entschuldigt, über ihrem Wandel um so mehr wachen? Aber wache, bete, kämpfe, − erfahre den Segen Gottes in Bewahrung vor Sünde fort und fort. Länger bleibst du nicht unbescholten, bis dich einer schilt − und das kann dir zu Theil werden, sowie du das Unglück hast, den Unwillen eines Schurken auf dich zu laden. Ist das Scheltwort und die Verläumdung aus dem Munde, so glaubt sie, wer will, und auch du bist dann vor der Welt in den Staub und Koth gezogen. Rechne nicht auf menschliches Verschonen eines heiligen Lebens! Aber tröste dich des Beispiels des Apostels und freu dich, daß „der HErr kommt, welcher auch wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und den Rath der Herzen offenbaren, daß alsdann einem jeglichen von Gott Lob widerfahren wird.“


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Am vierten Sonntage des Advents.
Philipper 4, 4–7.

 Welch eine Epistel! Welch eine Feier der Seele, die das geschrieben hat! Wie nahe dem HErrn muß der im Geiste sein, der so von der Zukunft Christi schreiben konnte! Köstlich ist Luthers Predigt über diese Epistel, aber was ist sie gegen den Text selber! Man ist versucht, über diesen Text nicht zu predigen, sondern ihn allein reden und hinter ihm jede menschliche Stimme verstummen zu laßen! So oft ich von der Kanzel gehe, spreche ich die wunderschönen Worte voll wunderbaren Inhalts: „Der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo JEsu!“ Aber es kommt mich immer an, die ganze Epistel zu sagen, deren Schluß sie bilden.

 „Der HErr ist nahe!“ Das ist der Grundton, welcher das harmonische Geläute dieser Epistel trägt. Alle Traurigkeit der Erlösten löse sich in Freude auf, alle Härtigkeit in Lindigkeit, alle Sorge in Gebet, aller Tumult und Streit in jenen göttlichen Frieden, den die Welt nicht kennt und nicht empfangen kann! − Der HErr ist nahe, nahe im Worte, nahe im Tode, nahe im Gerichte, − der HErr ist nahe in jedem Sinn. Und in welchem Sinn du das Wort nehmen willst, immer wird es an Stärke mächtig sein, dein Ohr für die apostolischen Vermahnungen zu öffnen! Faße den verschiedenen Sinn des Wortes zusammen zu einem, wie es hier recht ist, denke an Wort, Tod und Gericht zugleich. Du thust nur recht − und desto mächtiger wird die Vermahnung auf dich wirken, welche dir Gott gibt!

 Ueber ein Kleines − und vom Auge rinnt keine Thräne, aus dem Herzen steigt kein Seufzer mehr, und ununterbrochene Freuden ergreifen dich! Wirf hin die Traurigkeit, ergreif einstweilen im Glauben die Freude, zu welcher du berufen bist! Ueber ein Kleines und du sagst in einem vollkommeneren Sinn, als Jakob zu seinem Bruder Esau: „Ich habe alles genug!“ − für was also eiferst du noch, womit kargst du noch? Schwing dich in den ewigen Besitz − und sei treu in allen Dingen, gegen alle Menschen. Ueber ein Kleines, so ist Kummer und Sorge gestorben, − schwing dich betend über jedes Hemmnis und Hindernis hinweg. Glaube betend Sorgenberge ins Meer! Ueber ein Kleines, so wird eine Stille werden, die kein Schlachtruf, kein hadernd Wort mehr unterbricht. Dann wird nur ein ewig friedenvolles Halleluja erschallen und man wird Gott loben in unaussprechlicher Stille. Also ergreif, der du in Christo JEsu berechtigt bist, ergreif den ewigen Frieden − und harre! Ueber ein Kleines, so ist überwunden die Welt, so ist gekommen, gewonnen die neue Welt!


Am Weihnachtsfeste.
Titum 2, 11–14.
 DIese Epistel wirft Licht auf die Krippe. Sie gibt dem neugebornen Kinde einen Namen, des sich die Menschheit freuen kann. Sie benennt es die leibhaftige Erscheinung der heilsamen Gnade Gottes für alle Menschen. Niemand konnte sich vermeßen, auszudeuten, wie Gott gegen uns gesinnt ist; aber nun ist es offenbart, nun ists erschienen. Gottes Gesinnung gegen uns ist Gnade. Liebe, Güte, Erbarmen, Gnade sind Steigerungen, aber die Gnade ist unter ihnen die höchste, denn sie ist nicht bloß thätige Liebe überhaupt, wie die Güte, nicht bloß thätige Liebe gegen die Elenden, wie das Erbarmen, sondern sie ist thätige Liebe Gottes gegen die elenden Sünder, gegen die Boshaften, welche das Gegentheil der Liebe sind. Diese Sünderliebe Gottes ist nun erschienen, die Menschwerdung und Geburt des Eingebornen predigt sie. − Die Epistel wirft Licht auf die Krippe. Sie bringt aber auch die Krippe in Verbindung mit dem Kreuze, denn sie nennt die Gnade eine heilsame, eine erlösende, und sagt, Christus, die leibhaftig erschienene Gnade Gottes, habe Sich Selbst für uns gegeben, nemlich in den Tod.| Von der Krippe bis zum Kreuze sind wieder lauter Steigerungen der heilsamen Gnade. Jeder Fortschritt des Lebens JEsu bis zum Tode ist eine neue, hellere Erscheinung der heilsamen Gnade; vom Kreuze aber leuchtet diese Gnade doch am hellsten, und zwar im Augenblick des Todes JEsu. Da ists am allermeisten erschienen, wie ganz Er und Sein Vater nach dem menschlichen Heile strebten. Da vollbrachte JEsus, und nicht bloß für den einen und den andern, sondern für alle Menschen. Denn so weit geht die Gnade, daß sie in Zeit und Raum keine andern Grenzen sich stecken läßt, als welche die Menschheit selbst hat. So weit die Menschheit wohnt, so weit bricht die Gnade und ihre Segnungen aus. Der HErr läßt es in allen Landen von Kind zu Kindeskind verkündigen, daß Er für alle geboren und in Seiner Menschwerdung für alle erschienen sei. − Das lehrt uns die Epistel und verbindet also die Krippe mit dem Kreuze. Sie verbindet aber die Geburt auch mit dem endlichen Ziele der Menschwerdung und Geburt, des Kreuzes und Todes JEsu. Warum, zu welchem Ende ist Christus geboren? Zu welchem gestorben? Auf daß Er uns erlösete von aller Ungerechtigkeit und reinigte Ihm Selbst ein Volk zum Eigentum, das fleißig wäre zu guten Werken. Das ists, das ist die letzte Aussicht von der Krippe und vom Kreuze in die ferne Zukunft. Die Gnade wollte einen unverhofften, großen Sieg davon tragen: Eine erlöste, gereinigte, zu allen guten Werken fleißige Gemeinde, ein Volk des Eigentums wollte sie mitten unter ihren Feinden sich auslesen und sammeln. Die Kirche Gottes ist also das endliche Ziel aller Wege Gottes und unseres Heilandes. − Damit wir nun sehen, wie die Gnade Gottes von der Krippe bis zur Sammlung und Vollendung der Kirche fortschreitet, wird die heimliche Werkstätte der Gnade enthüllt und wir lernen die heilsame Gnade als eine züchtigende, das ist zum ewigen Heile erziehende kennen. Von Natur ist der Mensch in Anbetracht der ersten Tafel des Gesetzes voll ungöttlichen Wesens, in Anbetracht der zweiten voll weltlicher und weltförmiger Lüste, und was ist all sein Kampf gegen diese jammervolle, angeerbte Anlage? Ein Nichts, eine Eitelkeit. Da kommt aber die züchtigende Gnade und lehrt Verleugnung, lehrt uns, die angeborene Beschaffenheit nicht als ursprünglich, sondern als misziemend anerkennen, ihrer nichts achten und trotz ihrer züchtig, gerecht und gottselig leben. Sie lehrt uns züchtig, d. i. so leben, wie es Leuten gebührt, die hier nicht alles auszugenießen haben, die mit heiliger Besonnenheit die ewige Heimath im Auge haben und um ihretwillen gerne allem entsagen, was die Kinder der Welt nicht entbehren können. Gerecht lehrt die Gnade leben, d. i. so, daß man, reich in Christo, vom Mein und Dein der Erde nicht mehr in Leidenschaft gezogen, und gerade damit erst recht tüchtig wird, neidlos und leidlos das Mein und Dein auch in Dingen dieser Erde zu erkennen. Gottselig lehrt die Gnade leben, d. i. Gottes, Seiner Güte, Seines Vergnügens voll. Die Schüler der Gnade haben in Gott alles genug wie Jakob, und hüten sich drum nur davor, daß sie nicht verlieren, was sie haben, daß ihnen nicht ihr Gott misgünstig werden möge. „Sei Du mir nur nicht schrecklich, meine Zuversicht in der Noth,“ beten sie mit Jeremia.

 Solches alles wirkt die züchtigende Gnade und befreit also den Menschen von der eigennützigen, bösen Art der gegenwärtigen Welt. Sie lehrt ihn aber auch für die Zukunft leben, deren er von Natur am liebsten nicht achtete. Sie lehrt ihn warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unsers Heilandes JEsu Christi. Der Heiland in der Krippe und Seine Erscheinung in der Herrlichkeit, als Gott und Heiland der Seinen, das ist zweierlei. Jenes ist vorüber, ist der Friede der Erlösten, dieses ist ihre Hoffnung, auf die sie warten, sehnlich und verlangend warten sollen. Denn es ist nicht von einem Warten die Rede, da man gerne wartet und einem Wartens Weile nicht lang wird; sondern von einem solchen Warten hören wir, da wir mit brünstigem Auge und ausgestreckten Armen Dem entgegengehen, der da kommen soll.

 Die Krippe und das Kreuz, die Krippe und das Ziel der Menschwerdung und des Kreuzes, die Krippe und das endliche Heil aller Gläubigen, die Krippe und die züchtigende, zum endlichen Heile erziehende Gnade sehen wir in Verbindung. Die Krippe nicht allein, sondern im Zusammenhange aller Gotteswerke die Krippe im Mittelpunkt und ringsum Kreis um Kreis in immer weiterer Ausdehnung, ringsum immer mächtiger sich ausbreitende und vollendende Gnade zeigt uns unser Text. Es gehört alles zusammen, so| schauen wir alles zusammen − und vergeßen nicht, meine Brüder, daß auch wir von der züchtigenden Gnade fürs ewige Heil erzogen werden sollen. Der HErr helfe uns zu solchem Weihnachtssegen!
Am zweiten Weihnachtstage.
Titum 3, 4–7.

 AUch diese Epistel, wie so viele im Kirchenjahre, gibt uns etwas Ganzes vom Reiche Gottes und klingt doch ganz weihnachtsmäßig, so wie wir nur ihren ersten Vers uns weihnachtsmäßig deuten. Dieser erste Vers ist so sehr dem ersten Worte der gestrigen Epistel ähnlich. Gestern lernten wir die Geburt JEsu als eine Erscheinung der heilsamen Gnade Gottes anschauen; heute wird uns ein ganz verwandter Blick eröffnet, wir sehen den Neugeborenen im Lichte unsers Textes als eine Erscheinung der Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unsers Heilandes. Gnade, wie es gestern hieß, − und Freundlichkeit, Leutseligkeit, wie es heute heißt, widersprechen einander nicht, sondern sind im innersten Eins. Alle Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unsers Heilandes, ist Gnade, nichts als Gnade, darauf deutet schon der Umstand, daß Gott unser Heiland, unser Erretter genannt wird, wir demnach als arme, erlösungsbedürftige Sünder angesehen werden. Wie freundlich, wie leutselig naht Sich Gott den Sündern, − wie lieblich läßt Er uns durch die Namen „Freundlichkeit, Leutseligkeit“ Seine Herzensmeinung und Gesinnung beschreiben!

 Der erste Vers hat ein Rückwärts und ein Vorwärts. Rückwärts, hinter der Krippe sehen wir die Menschheit, wie sie vor und ohne Christum ist. St. Paul beschreibt sie im Verse, der vor unsrer Epistel hergeht; es ist ein unangenehmer Haufe, „unweise, ungehorsam, irrig, dienend den Lüsten und mancherlei Wollüsten, wandelnd in Bosheit und Neid, voll Haßes untereinander.“ Vorwärts sehen wir wieder die Menschheit, aber in einem ganz andern Glanze, wie sie nemlich durch die Erscheinung der Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes geworden ist. Da heißt sie selig, erneuert, gerecht, Erbe des ewigen Lebens. So ein großer Unterschied ist zwischen Rückwärts und Vorwärts. Wer es nicht wüßte, wie die Aenderung zu Wege gebracht ist, der würde die Menschheit vor und nach Christo, die Menschheit ohne Christum und in Christo, die Welt und die Kirche für grundverschiedene Creaturen halten.

 Aber der Weg der Menschheit zu ihrer Verherrlichung ist offenbar. Von Dem aus, der in der Krippe liegt, ergießt sich die Barmherzigkeit und die Gnade Gottes, achtet nicht der Werke unsrer Gerechtigkeit, die wir gethan, nicht der Sünde und des bösen Gewißens, welches uns belastet; sondern überfluthet uns frei. Von Christo stammt alle selig, gerecht und guter Hoffnung theilhaftig machende Gnade und Barmherzigkeit.

 Und wie kommt sie zu dir, wie erreicht sie dich, daß auch du deinen Antheil bekommest? Das sagt dir die Epistel klar. Dieser neugeborene JEsus, alle Seine Gnade und Barmherzigkeit erreicht dich, erfaßt, verändert und verneuert dich in deiner Taufe. Wie schön ist es, daß uns, die wir nicht mehr zum Kripplein in Bethlehem gehen können, die Kirche durch die heutige Lection zu unsrer Taufe weist, wo wir unsern HErrn fanden und Er uns − seliger, als die Hirten! Wie kindlich lieblich und wie männlich vollkommen zugleich ist der Gedanke, die Krippe am zweiten Weihnachtstage in ihrer Verbindung mit der Taufe zu zeigen!

 Die Taufe wird genannt ein Bad der Wiedergeburt, d. h. ein Bad, durch welches man wiedergeboren werden kann, durch welches wir wiedergeboren sind, denn wir haben nicht bloß wie die Kinder, sondern als Kinder die Taufe empfangen und deshalb ohne Zweifel unsre Wiedergeburt. Da sind wir selig worden, da lagen wir friedenvoll, gleich dem JEsusknaben, und waren eine Freude Gottes und der Engel. − Da begann aber auch unsere Erneuerung, denn die Taufe ist ein Bad der Erneuerung des heiligen Geistes. Nicht müßig lagen wir in unsern Wiegen. Zwar konnten wir nichts thun, aber der heilige Geist arbeitete an uns und begann in uns die Wiederherstellung und Verklärung unsrer Seele ins| Bild des göttlichen Sohnes, der uns erschienen und geboren ist. Wir sind größer und älter worden und damit haben wir den Widerstand gegen Gottes Geist gelernt; aber ob auch unsre Erneuerung durch unsre Schuld in ein Stocken gerathen ist, der Geist, der in unsrer Taufe reichlich über uns ausgegoßen ist durch JEsum Christum unsern Heiland, ist noch vorhanden, − und wenn wir uns nur Sein und unsrer Taufe besinnen und wieder wie Kinder, wie Taufkinder Ihm folgen mögen, so fährt Er fort wo Ers gelaßen, bis Er uns vollendet und zu dem Erbe hindurchgebracht hat, das wir mit dem menschgewordenen Gottessohne theilen sollen.

 Laßt uns Kinder werden, liebe Brüder, JEsu, dem Neugeborenen gleich! Laßt uns wieder zum Taufbrunnen gehen und uns Seinem Geiste wieder überliefern! Der helfe uns doch, daß wir selbst den kindlichen Geist wieder finden, durch den wir Weihnachten am seligsten feiern! Amen.


Am Sonntage nach Weihnachten.
Galater 4, 1–7.

 GEist meines Vaters, HErr Gott, heiliger Geist! Gelobet seist Du, der Du in meinem Herzen wohnst und mich beten lehrst. Geist der Kindschaft, ich danke Dir, daß ich durch Dich ermächtigt bin, alle meine Gebete in ein vertrauensvolles Wörtlein, in das Wörtlein: „Abba“! zusammenzufaßen. Alle meine Sorgen für meine Seele, alle meine Sorgen für meinen Leib schweigen, wenn ich aus dem Grunde meiner Seele beten kann: „Abba, lieber Vater!“ − Erhalte mich in dem Einigen, daß ich diesen Namen liebe, daß er in meinem Herzen bleibe, daß ich sein nicht vergeße. Wenn mir alles vergeht und entschwindet, so sei es das Gebet „Abba“, − das bleibe mir und erhebe mich übers Leben, das reiße mich hindurch und bringe mich heim!

 Sohn Gottes, geboren vom Weibe, und unter das Gesetz gethan, der Du uns die Fülle des Gesetzes gezeigt hast, um es dann zu vollenden und Deine große göttlich-menschliche Herrlichkeit in Erfüllung desselben zu zeigen, der Du uns die Strafen der Sünden an Deinem Leibe, an Deiner angstvollen Seele gezeigt hast, um sie in unserm Namen vollkommen zu überwinden, und uns in die Freiheit der Gnade zu führen! Ich danke Dir, Du hast mich erlöst. Meine Stricke sind zerrißen, meine Bande entzwei! Ich bin Dein − und ewig, ewig will ich nun mit Dir im Himmel loben und preisen, den Du, obschon selbst vollkommener Gott, dennoch ewig lobest, ewig preisest!

 Vater unsers HErrn JEsu Christi, reicher, allmächtiger Gott, der Du Himmel und Erde und ihre Fülle für Menschen geschaffen und auf Wunderwegen für die gefallenen Menschen erhalten und bewahrt hast! Der Du auch mir ein Erbe gegeben hast, so wahr ich versöhnt bin durch Christum und Dein Kind kraft des Abba, das Dein Geist mich lehrt! Mein Vater, − Vater meines Bruders und Königs Christus, − Vater meines Volkes, zu dem ich gesammelt werde, − Vater Deines Reiches: ich preise Deinen Namen! Ich schreie nicht Hosianna, nicht Halleluja! Ich schreie mit größerer Lust: Abba, Abba!

 Mit dem Worte schweig ich! Es ist genug, wenn ich Dein Kind, o Vater, bin in Christo JEsu! Abba, lieber Vater!


Am Neujahrstage, als dem Beschneidungsfeste Christi.
Galater 3, 23–29.

 DIese Epistel hat mit den vorausgegangenen eine große Verwandtschaft. Auch sie zeigt den Uebergang des Alten in das Neue Testament durch den neugeborenen Christus; auch sie zeigt den großen Unterschied, welcher durch die Menschwerdung Gottes zwischen sonst und jetzt entstanden ist; auch sie lehrt etwas Ganzes, einen zusammenlaufenden Ring und Kranz heiliger, Gott gefälliger, dem Menschen heilsamer Lehren.

 Christus, der Neugeborene, und das mit Ihm eintretende Neue Testament heißt in unserer Epistel der| Glaube, auf den man lange wartete, für deßen Eintreten die Menschen lange Zeit zusammen verwahrt und verschloßen wurden, der endlich kam und der Welt ein anderes Dasein und eine andere Hoffnung gab. Es ist ein schöner Name für Christum, der Glaube. Schön ist der Name „Erscheinung der heilsamen Gnade“, „Erscheinung der Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unseres Heilandes“; aber wenn Christus der Glaube heißt, so hat dieser Name für uns Menschen das voraus, daß er uns kurz und völlig erinnert, wie alle Gottesfülle, die in Christo wohnt, allein uns zukommen kann, nemlich durch den Glauben. Wir haben alles, den ganzen Christus, wenn wir fest faßen und glauben, was der Mund des heiligen Geistes von Ihm verkündet. Ehe der Glaube, ehe Christus kam, war die Welt ein Haufe von Kindern, deren Bestimmung noch nicht erschienen war; ein Zuchtmeister, das göttliche Gesetz, welches die Juden strenger, die Heiden durch ihr Gewißen auf eine laxere Weise beherrschte, zog und arbeitete an ihnen, − vergeblich, wie sichs denken läßt. Denn ein Erzieher hat zwar große, schwere Mühe, seine Knaben zu verwahren, zusammenzuhalten und sie für die Zeit reif zu machen, wo sie aus der Schule kommen sollen; es ist auch seine Mühe mit allem Dank zu erkennen, denn wie schlimm wärs, wenn die Knaben keinen Zuchtmeister hätten; aber wahrhaft beßern und erneuen, nein, das können Zuchtmeister und Erzieher nicht, und ob sie sichs einbilden, ists drum noch nicht wahr. Ganz wohl hoffen die Leute mehr von den verständigen Jahren, als von der Zeit der Zucht; es muß Verstand und Weisheit, eigene Regung und Bewegung zum Beßeren kommen, oder es wird allewege nichts mit einem Menschen. − Gerade so ists mit dem Gesetze gewesen. Es war nicht unnütz, weil es dem natürlichen Sinn der Menschen widerstand, weil es ihnen Zwang anthat und ihnen begreiflich machte, daß Gottes Wille dem ihrigen widerstand, weil es eine Sehnsucht nach beßerer Zeit in ihnen weckte. Aber der rechte Nutzen kam nicht vom Gesetz, denn es gab keinen Geist der Erneuerung. Das wurde anders, als der Glaube, als Christus kam.

 Da wurden alle, die an Ihn gläubig wurden, dem jammervollen Zwang und Drang des Gesetzes entnommen, der Zuchtmeister lieferte seine Zöglinge, mit denen er nicht hatte fertig werden können, aus, und statt des äußern Befehls und Zwangs wurde ihnen nun ein neuer Geist heiliger Freiwilligkeit und getrosten, starken Muthes gegeben, es kam ein Geist und ein Bewußtsein der Kindschaft in sie hinein und eine heilige Liebe des Vaters mahnte und trieb sie nun mehr, als zuvor alle Gebote, den väterlichen Willen zu vollbringen. Es hieß nun: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“

 Diese ganze Aenderung wurde durch Den hervorgebracht, welcher der Glaube heißt, durch Christum. Die Gnade und Leutseligkeit Gottes, die in Ihm offenbart wurde, überwog und überwand die Menschen, sie glaubten daran und ließen sich taufen. In der Taufe empfiengen sie neue Lebenskräfte. Wie man ein Kleid anzieht, so zogen sie in der Taufe Christum an. Wie ein Kleid die Blöße deckt, so deckte Christus, den man anzog, alle Sünden und Flecken der Seele. Wie kein Kleid theilte Christus, den man angezogen, der von Ihm bedeckten Seele Lebenskräfte zu und Kräfte der Erneuerung. Mehr als das beste Kleid hielt Er die mitgetheilte neue Lebenskraft und Wärme zusammen und schaffte dem zuvor Verlorenen die Möglichkeit, im Guten heimisch zu werden und sich mit fröhlichem Behagen auf Gottes Wegen und in Gottes Willen zu bewegen. – – Und das alles ist kein Traum, so sagt unsere Epistel, so kann es jeder erfahren, und wir werden heute, am Beschneidungstag des HErrn, hiemit ganz schön an die rechte Beschneidung erinnert, an unsere Taufe, welche nicht am Fleisch vollzogen wird, sondern eine Beschneidung des Herzens ist, eine mächtige Gotteskraft zur Erneuerung unserer Seelen.

 Die Beschneidung JEsu und Seine Geburt gehören zusammen. Das Weihnachtsfest schließt mit dem Beschneidungsfeste. Dieses ist drum noch vorherrschend ein Freudenfest, ein Dankfest für die Menschwerdung und Erscheinung Christi. Denken wir nun dran, was uns durch Christum geworden, wie wir durch Ihn und Seine Taufe zur rechten Beschneidung kamen, so wird uns der Beschneidungstag JEsu um so mehr ein Dankfest. Vollkommen aber wird unser Dank erst dann, wenn wir den Inhalt der zwei letzten Verse unsrer Epistel dazu nehmen.

 Die Wohlthat Christi, die Beschneidung der Seelen soll nemlich nicht bloß einem Theile der Menschen zukommen, nicht etwa bloß den Juden, sondern allen. Juden und Griechen, Knechte und Freie, Männer und Weiber − alle haben Theil an dem gemeinsamen Christus,| an dem gemeinsamen „Glauben“. Alle Unterschiede werden verschlungen durch die Einigkeit des Glaubens. Ja, so ganz einig werden alle durch den Glauben, daß der Text spricht: „Ihr seid allzumal Einer in Christo“. Alle haben Christum angezogen, Christus deckt sie alle und vereinigt sie zu einem heiligen Leibe, deßen Haupt Er ist. Aus allen getauften Gläubigen wird Ein Gottesmensch. Und so gar kein Unterschied bleibt mehr zwischen Juden und Heiden, daß die Heiden sich auch Abrahams rühmen dürfen als ihres Vaters, daß sie Abrahams Same werden in Christo und daß sie nach der Verheißung Erben alles Segens werden, den Abrahams Same hat. So gehen alle Vorzüge der Juden auf die Heiden über, wenn sie durch den Glauben Christi Eigentum werden. Japhet wohnt in Sems Hütten und Sems HErr wird auch Japhets HErr. Alles wird Eins. Christus ist ein Ende der Trennung, ein Anfang, Mittel und Ende aller Einigkeit der Menschheit, der Sammel- und Lebenspunkt Seiner ganzen Kirche. − Das ist der Christus, der heute beschnitten ist. Um Ihn bewegt sich, wie die Sterne um die Sonne, die gesammte erlöste Menschheit. Ihn wird man loben, wenn Sonne und Mond nicht mehr sein werden, und Er wird der Seinen ewiges Licht und ihr ewiger Preis sein. Halleluja.
Am Sonntage nach dem Neujahre.
1. Petri 4, 12–19.

 DIe Schriften des heiligen Petrus zeichnen sich durch eine große Fülle vor denen der andern heiligen Schriftsteller aus. Während jeder von den andern Aposteln besondere Aufgaben löst, scheint es fast, als habe St. Petrus alles zusammenfaßen sollen und wollen. Sein Ausdruck ist wunderbar reich und schön, und macht einen besonders befriedigenden Eindruck auf männliche Seelen. Man begreift es, warum der HErr in den Tagen Seines Fleisches so manchmal Petrum wie einen Erstling und Vertreter der Apostel anredet. Vollendete Mannesweisheit und Manneskraft sehen wir an dem heiligen Petro, wo er nicht etwa von einem Fehl übereilet wird, überall hervorleuchten.

 Wie herrlich ist die heutige Epistel! Wer kann sich an ihr satt lesen! Und wie vortrefflich ist ihre Wahl! Sie paßt eben so gut als Nachklang des Namensfestes JEsu, indem sie uns selig preist, wenn wir über dem Namen JEsu geschmäht werden, als sie zum heutigen Evangelium stimmt, indem sie uns ermuntert, mit dem leidenden Flüchtling, dem heiligen JEsusknaben, und um Seinetwillen zu dulden. Doch ist die letztere Beziehung vorherrschend, und die ganze Lection ist von dem einen Gedanken getragen, den St. Petrus in demselben Briefe (2, 21.) in den Worten ausspricht: „Dazu − zu unschuldigem Leiden um Christi willen − seid ihr berufen, sintemal auch Christus gelitten hat für uns und uns ein Fürbild gelaßen, daß ihr sollt nachfolgen Seinen Fußstapfen.“

 Laßt uns den Inhalt überschauen! − Die Hitze der Verfolgung und der Leiden soll nicht befremden, denn sie ist nichts Fremdes, nichts Seltsames. Wenn sie nicht käme, das wäre befremdlich und seltsam; denn Christus hat allen Seinen Jüngern den Weg Seiner Nachfolge als einen Kreuzweg bezeichnet und in vielen Worten, bei vielen Gelegenheiten bezeugt, daß keiner Sein Jünger sein könne, der nicht Sein Kreuz auf sich nehme und Ihm nachfolge. − Man sollte es freilich befremdend finden, wenn unter uns, mitten im Schooße der christlichen Kirche, ein Mensch um Christi willen leiden muß; man sollte denken, für uns paße die Epistel nicht. Aber die Welt hat sich auch unter dem Schatten des christlichen Lebensbaumes angebaut und findet es gut, drunter zu wohnen. Weil nun die Welt nicht bloß außerhalb, sondern auch innerhalb der Kirche Gottes ist, so geschiehts, daß man in der Kirche um Christi willen leiden muß. Das Kreuz ist also auch bei uns nicht befremdlich, und die Epistel gehört auch uns.

 So kommts denn, daß wir uns auch die Freude zueignen dürfen, die St. Petrus Christi leidenden Jüngern zuspricht. Es ist freilich ein wunderliches Ding und klingt fast wie Widerspruch, wenn wir lesen: „Freuet euch, daß ihr mit Christo leidet.“ Sich freuen − und leiden, wie gehört das zusammen? Die Freude soll doch das Leiden nicht verzehren, sonst wäre ja der Grund der Freude selbst nicht mehr vorhanden,| und die Freude selbst erstürbe. Es soll also am Leid die Freude erwachen, und die Freude trotz des Leides blühen und grünen. Das versteht die Welt nicht, aber die Kirche Gottes versteht und hat es; sie vermag das Widersprechende zu tragen. − Es wird indes die Freude doch endlich auch ohne Leid bestehen, denn wenn das Leid aufhören wird, so wird die große Hoffnung eintreten, und die Christen werden zur Zeit der Offenbarung Christi ewige Freude und Wonne haben. Diese Hoffnung macht es, daß man im Leid Freude haben kann, denn man freut sich des Leidens auf Erden, weil es durch Gottes Gnade ein Anrecht auf die ewige Wonne gibt.

 Doch würde der Blick auf die zukünftige Herrlichkeit allein oftmals nicht hinreichen, die Jünger zu einem fröhlichen und geduldigen Leiden zu ermuthigen. Die Schwachheit und die Reizung der Leiden sind beide manchmal zu groß. Es muß drum schon in der Gegenwart und während der Leiden eine Macht der Freuden geben, und die ist es, von welcher v. 14. spricht. Wir gedenken heute auch der Taufe Christi. Da kam über den HErrn der heilige Geist, blieb und ruhte auf Ihm. Wie schön erinnert nun unsere Epistel daran, daß auch wir Christo gleich sein sollen durch unsre Taufe. „Der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht auf euch. Bei ihnen ist Er verlästert, bei euch ist Er gepreiset.“ So ruft uns der heilige Petrus zu. Wenn wir diesen herrlichen Gottesgeist in uns haben und Er in uns Sabbath und Ruhe hält, dann wird uns kein Leiden aus der Ruhe bringen; mit dem Geiste Selbst und mit dem Namen JEsu werden wir gelästert − und haben darin eine Verheißung ewiger Gottesruhe und himmlischer Freuden, eine Verheißung, die wir in des Geistes Ruhe seliglich faßen können.

 Der Apostel rückt übrigens auch die verheißene Freude der Ewigkeit näher. Er bezeichnet die Leiden, welche den Christen beschieden sind, als einen Anfang der Gerichte Gottes. „Es ist Zeit, sagt er, daß anfahe das Gericht an dem Hause Gottes.“ Zuerst werden die Kinder gerichtet, dann die Feinde. Werden die Kinder streng gerichtet, wie streng werden die Gerichte über die Feinde, über die Gottlosen sein. „Wird der Gerechte kaum erhalten, wo will der Gottlose und Sünder erscheinen?“ Es kommt also nur darauf an, daß wir gerecht seien, daß wir nicht als Mörder, Diebe, Uebelthäter, Eindringlinge in fremdes Amt leiden, daß wir um Christi willen leiden, dann können wir alles, was uns Menschen anthun, als von Gott kommend, als Gottes ernstes Gericht erkennen, in dem wir zwar kaum d. i. mit Mühe, aber doch gewis erhalten werden. Da werden wir stille; über ein Kleines ist alles vorüber, Gott spart uns mitten im Ueberfluß der Leiden zum ewigen Leben. Wir wißen, daß die Leiden von Ihm kommen und unsre Treue versuchen, daß wir nach Seinem Willen leiden, daß wir gewis überwinden, denn Sein Geist ruht in uns. Da thun wir denn, was so schön zuletzt gesagt ist; fleißig in guten Werken befehlen wir im Gerichte unserer Leiden unsre Seelen Ihm, dem treuen Schöpfer, der uns nicht zum Verderben geschaffen hat, sondern um uns ewig zu erhalten.

 Es ist ein armes Nachdenken zur Epistel, das ich euch vorgelegt habe. Aber wenn es in der Stille und in heiliger Achtsamkeit aufgenommen wird, wer weiß, wird doch auch dadurch der Geruch des himmlischen Lebens, der aus diesem Texte kommt, eine Seele erquicken. Das gebe Gott durch JEsum Christum! Amen.


Am Erscheinungsfeste.
Jesaias 60, 1–6.
 EHe unser HErr erschien, war der Zustand der Völker ein trauriger und jammervoller. „Finsternis bedeckte das Erdreich und Dunkel die Völker“, Finsternis und Dunkel in Anbetracht der Erkenntnis, wie in Anbetracht lichten, heiligen Lebens. Auch das Volk Israel war größtentheils in denselben betrübten Zustand der Heiden hingesunken. Kein Prophet redete mehr und das Wort der geschriebenen Prophezei brannte nur wie eine dunkle Lampe in großer Finsternis. Da, als man es am wenigsten erwartete, kam die Erfüllung aller Verheißungen, und die Stimme des Propheten wurde wahr: „Ueber dir, o Zion, geht auf der HErr, und Seine Herrlichkeit erscheint über dir“. Der HErr, der Aufgang aus der Höhe, unser Heiland| Christus, gieng auf über Israel; mitten im heiligen Lande wird Er geboren, beginnt Er Seinen Lauf, bringt Er Sein Licht. Drei und dreißig Jahre lebte, predigte, wirkte Er, und als Er gestorben war und wieder auferstanden und gen Himmel gefahren, da wurde Sein Name nicht geringer, sondern größer und Sein Ruhm erleuchtete durch das Wort Seiner Knechte die Welt wie die Sonne, wenn sie zum Mittag emporsteigt. Da konnte Israel die Trauer laßen, da konnte Jacob fröhlich sein, da hieß es: „Mache dich auf, werde Licht, denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HErrn geht auf über dir“.

 Zu derselben Zeit begann es sich unter den Völkern zu regen, wie in Israel, so unter den Heiden, wie unter den Heiden, so in Israel, und die Bewegung war eine zwiefache. Die eine war eine feindliche und von ihr redet der 2. Psalm: „Warum toben die Heiden und die Leute reden so vergeblich? Die Könige im Lande lehnen sich auf und die Herren rathschlagen miteinander wider den HErrn und Seinen Gesalbten“? Die andere aber war eine freundliche, von welcher unser Text spricht: „Die Heiden werden in Deinem Lichte wandeln, die Könige im Glanze, der über Dir aufgeht“. Christus wird sein ein Fels der Aergernis, ein Zeichen, dem widersprochen wird, ein Scheidepunkt der Menschheit. Eine große Menge tobt wider Ihn und geht verloren; aber nicht wenige sind auch derer, die sich zu Ihm sammeln, an Ihm auferstehen und selig werden.

 Die zweite, fröhliche Bewegung der sich sammelnden Kirche ist es vornehmlich, von welcher unsre Epistel spricht. Das Heil kommt von den Juden und von Zion geht aus der schöne Glanz des HErrn; aber zu den Juden und ihrem heiligen Berge kommt es auch von allen Seiten heran. „Hebe deine Augen auf, spricht der Prophet, und siehe umher, diese alle versammelt kommen zu dir. Deine Söhne werden von Ferne kommen, deine Töchter zur Seiten erzogen werden; die Menge am Meer wird sich zu dir bekehren, die Macht der Heiden kommt zu dir; die Menge der Kameele wird dich bedecken, die Läufer aus Midian und Epha. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HErrn Lob verkündigen.“ − So wird Israel der Sammelpunkt aller Völker werden, weil von ihm aus das Heil kommt. Alle Kinder Japhet werden zu Sems Hütten wallen und alle Völker anbeten an den heiligen Orten von Juda. Alles wird sich zu Juda und Israel bekehren − und der Heiland Israels, der Löwe aus Juda, wird der Beruhiger aller Völker werden.

 Wird sich des Israel freuen und Juda fröhlich sein? Ein Theil von Israel und Juda wird sich freuen, daß alle Völker sich zur Einigkeit seines Glaubens versammeln. „Du wirst deine Lust sehen, redet deshalb der Prophet den frommen Haufen an, du wirst ausbrechen und dein Herz wird sich wundern und ausbreiten, wenn sich die Menge am Meer zu dir bekehrt.“ Aber ein anderer Theil wird sich nicht freuen, wird dem Volk Israel allein das Heil gönnen und lieber es gar nicht annehmen, ehe sie es mit den Heiden theilen. Und auch die Frommen werden sich „wundern“ und es wird nicht alsbald, sondern erst nach und nach über sie die Freude kommen, wenn das Heil nicht bei ihnen allein bleiben, sondern alle Völker erleuchten wird. Wir sehen das auch in der Erfüllung und die Geschichte der Apostel gibt Zeugnis davon. Selbst Petrus und die heiligen Apostel wunderten sich über das von der Welt her verborgene Geheimnis, daß auch die Heiden Miterben sein sollten an der Gnade Gottes und es bedurfte besonderer Führungen Gottes, um ihnen den gnadenreichen Gottesgedanken von der Heiden Seligkeit angenehm und zur Freude zu machen.


 Dieß ist der Inhalt der Epistel, und wie schön vereinigt er sich mit dem Inhalt des Evangeliums. Zwar ist, was wir in diesem lesen, nur ein kleiner Anfang der Erfüllung; man könnte ihn mehr ein Pfand der Erfüllung nennen oder eine Bekräftigung der Verheißung, wenn man ihn mit dem vergleicht, was nach Pfingsten geschah. Aber nenne mans, wie man will: was die Epistel in der Fülle weißagt, − wie es im Einzelnen zu verstehen ist, das zeigt uns das Evangelium doch. Die Weisen aus Morgenland kommen, Gold und Weihrauch bringen sie, wie es geschrieben steht, dem kaum Geborenen, und Sein Lob verkündigen sie im Heimathlande. Das Licht Christi führt sie durch finstere dunkle Orte zum hellen Mittelpunkt der Welt; der Stern führt sie zur Sonne. In Zions Licht, im Glanze, der über Israel aufgegangen, ziehen sie wieder heim. Licht ist über sie gekommen und die Herrlichkeit über ihnen aufgegangen, ehe nur Israel etwas| davon merkt und wißen will. − Glück auf und Hosianna Dem, der gekommen ist, ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis Seines Volkes Israel! Hosianna im Namen aller Heiden, die gekommen und im Lichte Zions entschlafen sind, die noch in diesem Lichte leben, und die da kommen werden! Hosianna im Namen der letzten und für sie, ihnen zum Heil! Möge die Fülle der Heiden bald eingehen, das Uebrige Israels sich bald sammeln! Mögest Du Selbst bald erscheinen, o Sonne, HErr JEsu Christe, und das ewige Reich beginnen! Amen.
Am ersten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.
Römer 12, 1–6.

 EIne jede Zeit hat gewisse göttliche Gedanken, die ihr von dem heiligen Geiste mehr zum Verständnis gebracht werden, als den Menschen früherer Zeiten; eine jede aber macht sich auch durch ihre besondern Sünden unempfänglich für andere Gedanken Gottes, welche nicht minder klar und deutlich im Worte Gottes ausgesprochen sind. Jene pflegt sie überall in der Schrift zu finden, diese überall oder doch meistens zu übersehen. Eine traurige Warnehmung, aus der man sichs erklären kann, warum es so langsam dem vollkommenen Mannesmaße entgegengeht, zu welchem wir doch alle berufen sind! − Unsre Epistel scheint insonderheit vier von unsrer Zeit wenig erkannte Gedanken Gottes vorzulegen. Die laßt uns jetzt hören und Gott bitten, daß wir sie zum Heile und zur Vollendung unsrer Seelen verstehen lernen.

 Durch Christi einiges Opfer sind alle Versöhnopfer aufgehoben. Er hat durch Sein einiges Opfer in Ewigkeit alle vollendet, die geheiligt werden. Das ist ganz richtig, dagegen aber ist z. B. das Dankopfer nicht aufgehoben. Die Gegenstände, welche Gott geopfert d. i. dargebracht werden sollen, haben sich etwa geändert; statt der Thiere etc. sollen werthvollere Dinge dargebracht werden; aber die heilige Handlung des Dankopfers bleibt. Das ist so gewis, daß man behaupten kann, der Opfergedanke sei ein Lieblingsgedanke St. Pauli, gerade desjenigen Apostels, der aus dem alten Bunde nur das aufbewahrt und empfiehlt, was einen dauernden Werth hat. So will er z. B. in unsrer Epistel, daß die Christen ihre Leiber Gott zum Opfer begeben sollen, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, − und das nennt er ihren vernünftigen Gottesdienst. − Leider, meine Freunde, ist der heilige Opfergedanke bei uns sehr verschwunden. Alles, was Gott von uns haben will, erkennen wir nur als ernste Pflicht; dahin aber bringen es wenige, daß sie ihre Liebesarbeit als freiwilliges, seliges, festliches Opfer dem HErrn widmen. Der Gedanke der Pflicht ist ein kalter Gedanke, welcher ungeschickt ist, Vergnügen zu erregen; aber der Opfergedanke ist ein heiliger, schöner Gedanke, zu dem sich auserwählte, nach Vollendung ringende Seelen gerne erheben laßen durch den Geist des HErrn. − Ein wahrer und heiliger Gedanke ist in seiner Würde, so wie er ist; aber in vollkommener, herzgewinnender Herrlichkeit erscheint er erst dann, wenn er die feiernde Schönheit und Gestalt des Heiligtums trägt. Daß einer seinen Leib nach Gottes Geboten halten, pflegen und regieren soll, ist wahr und recht; aber schön, lieblich und angenehm wird es erst, wenn es zum Gottesdienst verklärt, wenn es zu einem Opfer Gottes erhoben wird. So ist es mit allen Gedanken, mit allen Werken, mit allen Zuständen. Was nicht einen Platz im heiligen, von dem HErrn Selbst geordneten Gottesdienste findet, ist nicht zur Vollendung gekommen, auch wenn es sonst ganz wahr und recht ist. Gottesdienstliches Leben ist das allerhöchste − und das Leben im Himmel ist eitel Gottesdienst.


 Der zweite von den oben erwähnten vier Gedanken ist der: Man muß sich verneuern durch Veränderung des Sinnes, wenn man prüfen will, welches da sei der gute, der wohlgefällige und der vollkommene Gotteswille. Es ist eine herrliche Lebensweisheit, überall und in allen Fällen zu erkennen, was Gottes guter, wohlgefälliger, vollkommener Wille sei. Wenn Gott eine Familie segnen will, gibt Er ihr einen Mann, der Meister in solch praktischer, heiliger Weisheit ist. Aber woher kommt diese Weisheit? Und bei wem wohnt sie? Der Sinn muß verneut und| verändert werden, sonst kommt jene Weisheit nicht! Nur wer seinen Sinn verändern und verneuen ließ, kann weise werden, sich und andere über Gottes Willen zu berathen. Der ganze Mensch ist gefallen und verderbt, so ist auch der Sinn, das, was im Menschen erkennt und urtheilt, verderbt. Wie der ganze Mensch, so muß der Sinn erneut werden, und ein Mensch, der sich nie verändern, erneuen, bekehren will, wird nie wahrhaft weise werden, wird niemals guten Rath für sich und andere erfinden. Lebensweisheit findet sich nur bei Christen.

 Der dritte Gedanke ist von dem zweiten verschieden, aber dennoch nahe mit ihm verwandt. Alle Weisheit hängt mit der Bekehrung zusammen, aber wenn schon einer bekehrt ist, ist er doch nicht in allen Dingen weise, sondern der HErr gibt ihm seine besondern Gaben, nach deren Maß er weise ist, über die hinaus ihm niemand Weisheit zutrauen soll. Alle Gaben hat keiner, als einer, der das Haupt ist; alle andern haben nur einzelne Gaben. Darum sagt der Apostel, es solle ein jeder mäßiglich von sich selbst halten, je nachdem ihm Gott das Maß des Glaubens und der dem Glauben entquellenden Gaben zugetheilt hat. Es ist in diesem Gedanken, wenn er recht gefaßt wird, ein fruchtbarer Same der Bescheidenheit und des Friedens. Denn wo ein jeder sich und andere nach dem Maße des Glaubens und der Gnadengaben beurtheilt, da stirbt die eitle Unzufriedenheit und Selbsterhebung, da lebt und nützt ein jeder nach seinem, seis großen oder kleinen Maße zum Preise Gottes.


 Der vierte Gedanke ist wiederum dem dritten ganz verwandt. Die Menschen sind leider so geartet, daß ein jeder in angeborner Selbstsucht sich für ein abgeschlossenes, für sich bestehendes Ganze hält, das sich um andere nichts zu kümmern habe. Da kommt der Apostel und lehrt uns, die Kirche sei ein Leib, an welchem jeder einzelne Christ ein Glied sei. Also ist keiner für sich ein Ganzes, keiner darf sich von dem andern abschließen, jeder muß sich, wie ein Glied dem andern, anschließen. Also muß jeder auch seine Größe und Grenze, seine Gestalt und seine Gabe, seinen Nutz und Brauch erkennen lernen, mit allem was er ist, dem ganzen Leibe dienen und zufrieden damit sein, daß er die Pflicht eines Gliedes erfüllt und zu dem großen, heiligen Leibe JEsu gehört. Was liegt also in dem Gedanken des Leibes Christi oder Seiner Kirche für eine schöne, liebliche, demüthige Weisheit! Wer ein Feind eigensüchtiger Vereinzelung, ein Freund wahrer Einigung ist, der faße die schöne Lehre des Apostels und Christi von der Kirche. Da findet ein jeder einen HErrn, den er vertragen kann, Christum, den Allerhöchsten. Gegen Diesen gilt kein Neid, und dieser wird auch keinem an Seinem Leibe einen Platz anweisen, an den er nicht gehört, sondern einen jeden zu dem Gliede machen, zu dem er versehen und bereitet ist.

 Gott segne uns diese Lehren an unsern Herzen! Amen.


Am zweiten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.
Römer 12, 7–16.
 DIe drei Episteln der drei ersten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste sind fortlaufende Bestandtheile eines und desselben Capitels der heiligen Schrift, des zwölften an die Römer. Sie stehen im unmittelbarsten Zusammenhange mit einander. Am Ende der vorigen Epistel hat St. Paulus gelehrt, daß alle Christen Glieder am Leibe Christi seien, und daß ein jeder seine besondere Gnadengabe habe, mit der er der Gemeinde dienen soll. Die heutige Epistel gibt uns nun ein langes Register einzelner herrlicher Gnadengaben, welches auf kurzem Raume durchzugehen gar nicht möglich ist. Ein jeder Leser verweile aber selbst bei den einzelnen Theilen des Registers, suche sich jedes Wort verständlich zu machen und aus allen Theilen das Ganze, die innere Gestalt einer christlichen Gemeinde, zusammenzustellen. Wird auch die Arbeit nicht schnell gelingen; so wird doch viel Licht in die Seele kommen, das zuvor nicht vorhanden war. Namentlich wird man bald begreifen, wie gar vieles noch fehlt, bis unsre gegenwärtigen Gemeinden dem Maße des| apostolischen Registers entsprechen. Wenn dann diese Erkenntnis dazu angewendet wird, den HErrn der Gemeinde um Erbarmung anzuflehen, daß Er nicht ansehe unsre Sünden, sondern auch uns wieder eine größere Fülle von Gaben mittheilen wolle; so ist damit gewis etwas sehr Gutes und Folgenreiches geschehen. Denn was ist reicher an Folgen, als das Gebet, zumal wenn es um Gaben für die Gemeinde bittet, welcher der HErr Selbst so gerne die gesammte Fülle himmlischer Schätze verleiht.

 Anstatt einer Reihe von Bemerkungen zu den einzelnen angeführten Gnadengaben, welche der Raum nicht faßen würde, will ich wenigstens den ersten Satz des Textes erläutern. „Hat jemand Weißagung, so sei sie dem Glauben ähnlich,“ spricht der Apostel. Es fragt sich hier, was Weißagung und was Glaube sei? − Weißagung könnte, wie an andern Stellen der heiligen Schrift, die Gabe sein, zukünftige Dinge vorauszusagen. Dann würde aber nicht recht zu verstehen sein, was unter Aehnlichkeit des Glaubens gemeint ist. Zukünftige Dinge geschehen nach Gottes Willen, und der die Gabe hat, sie vorauszusagen, muß sie verkünden, so wie sie sein werden und wie sie ihm geoffenbart sind. Von einer Aehnlichkeit mit dem Glauben kann da keine Rede sein, zumal ja Gottes Werke und der Glaube einander nicht widersprechen können. Unter Weißagung werden wir drum wie an andern Stellen die Gabe zu verstehen haben, vermöge welcher man die heilige Schrift nach dem Sinne des heiligen Geistes, welcher sie eingegeben hat, auslegen und erklären kann. Und in der That ist es eine besondere, der eigentlich prophetischen nahe verwandte Gabe, die Schrift auszulegen, und in den ersten Zeiten fand sich diese Gabe in einem Maße, von welchem uns gegenwärtig wenig übrig geblieben ist. Das 14. Cap. des 1. Briefes Pauli an die Korinther kann über diese besondere Gabe der Schriftauslegung mehr Erkenntnis und Licht geben.

 Nun ist es aber offenbar, daß einer, der die Schrift auslegt, andere, welche dieselbe Gabe nicht haben, auch leicht verführen kann. Es könnte ein böser Geist ihn selbst betrügen und aus ihm reden; er könnte auch selbst den boshaften Vorsatz faßen, unter dem Scheine prophetischer Schriftauslegung Lehren zu verbreiten, welche der Gemeine zu großem Schaden gedeihen könnten. Was sichert nun den Propheten selbst gegen falsche Eingebung, die Gemeinde gegen falsche Auslegung Satans oder seiner Knechte? Da muß doch der Geist der Weisheit und der Ordnung seinen Knechten und seinem Volke eine Regel gegeben haben, durch welche der Segen der prophetischen Schriftauslegung in ein sicheres Bette eingedämmt, Schade und Mißbrauch vermieden wird. Und diese Regel liegt eben in dem apostolischen Satze: „Hat jemand Weißagung, so sei sie dem Glauben ähnlich.“

 Es fragt sich nun nur, was unter dem Glauben zu verstehen sei, welchem ähnlich die Weißagung sein soll. Da müßen wir uns denn erinnern, daß es eine Anzahl gewisser, heller, aus der heiligen Schrift unwidersprechlich hervorgehender Glaubenssätze gibt, zu deren Auffindung es keiner prophetischen Gabe bedarf, die jedes vorurtheilsfreie Auge findet. Diese zweifellosen Glaubenssätze bilden das Glaubensbekenntnis einer jeden Zeit der Kirche. So entstand z. B. das apostolische Symbolum auf diese Weise; es ist nichts anderes als die Zusammenfaßung der gewissen Glaubenssätze, an welche man sich in der ersten Zeit hielt. Im Streite und der Anfechtung der späteren Zeit machte der heilige Geist die Kirche Gottes fernerer Erkenntnis gewis, und die Kirche legte, was sie hell und klar erkannte, in die erweiterten Glaubensbekenntnisse der Folgezeit nieder. So entstanden das nicänische, das athanasianische Bekenntnis, welche beide, wie das apostolische, sich, nachdem sie einmal gefunden sind, jedem Leser der heiligen Schrift bewähren. − Was nun aus den hellen, klaren Stellen der Schrift unabweisbar hervorgegangen, der Zusammenklang gewisser Glaubenssätze, wie ihn die Kirche aufgenommen: das ist der Glaube, dem keine neue Weißagung unähnlich sein und widersprechen darf.

 Es sind, meine Freunde, namentlich in der neueren Zeit viele Schriftauslegungen gekommen, welche, so fein gesponnen auch ihr Faden sein mag, nimmermehr das Volk betrogen haben würden, wenn die Regel des heiligen Apostels fest gehalten worden wäre. Kennen nicht alle das apostolische Symbolum, oder das nicänische, das athanasianische, den kleinen Catechismus, die augsburgische Confession? Vermag nicht jeder, der sehen kann und Menschenverstand hat, diese Bekenntnisse aus heiliger Schrift zu prüfen und zu bewähren? Wäre nicht schon die kürzeste Form des Glaubens, das apostolische Symbolum, hinreichend| gewesen, dem Volke die falsche Schriftauslegung der neuen Zeit zu enthüllen? − Erkennet hieraus, meine Freunde, wie wichtig die apostolische Regel ist und richtet euch ferner nach ihr zu euerm Heile!
Am dritten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.
Römer 12, 17–21.

 MIt Ausnahme des ersten Satzes, welcher Eigendünkel verbietet, handelt diese ganze Epistel von dem Benehmen der Christen gegen die Beleidiger und Feinde. −

 Gerechtigkeit ist es, einem jeden zu geben und zu laßen, was ihm gehört, aber in eigenen Händeln wird dem Menschen nicht die Gerechtigkeit, sondern Mäßigung, Selbstverläugnung und verzeihende Liebe geboten. Wenn also Böses erlitten wurde, soll nicht mit Bösem und gleicher Münze bezahlt werden: „vergeltet niemand Böses mit Bösem,“ spricht der Apostel. Schon dieß Verbot ist nicht leicht. Es drängt den Menschen, so wie er ist, zur Wiedervergeltung, und die Gerechtigkeit selbst scheint seine Vertheidigung zu übernehmen, wenn er seinem Trieb und Drange folgt. Denn was gibt er seinem Beleidiger, wenn er ihm Böses mit Bösem bezahlt, als Gerechtigkeit? − Und doch ist Wiedervergeltung verboten, und es bleibt nicht bei diesem Verbote, sondern es kommt noch ein ausdrückliches Gebot hinzu, welches ein edles und großmüthiges Benehmen gegen alle Welt befiehlt. Denn das ist am Ende doch der Sinn des Satzes, welchen Luther mit den Worten wiedergibt: „Fleißiget euch der Ehrbarkeit gegen jedermann.“ Die Ehrbarkeit, von welcher hier die Rede ist, ist eine Ehrbarkeit im höhern Styl, jene nemlich, die die Ehre darein setzt, allewege das Edle zu vollbringen, die also im Falle erlittener Beleidigung großmüthig nicht bloß verzeiht, sondern Gutes für Böses erweist.


 Anstatt der Selbstsucht, die nur auf Recht und Gerechtigkeit trotzt, wird dem Christen ein Beweggrund für sein Thun und Laßen empfohlen, der, wenn er festgehalten wird, über viel Leid hinweghilft und getrosten Muth gibt, manches zu ertragen, was sonst unerträglich schiene. Ich rede von dem Lebensgrundsatz der Friedfertigkeit. „Ists möglich, so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Friede.“ Es ist nicht immer möglich, Friede zu halten, denn es liegt nicht immer an uns. In eigenen Sachen können wir immerhin den Frieden höher stellen als das Recht, aber in fremden Sachen, oder wenn es die Seligkeit des Beleidigers selbst oder die Ehre des Allerhöchsten gilt, da können wir es nicht. Da ist es Geduld und entschloßener Muth der Gläubigen, getrost hineinzugehen in den Kampf für den HErrn und die Seligkeit der Brüder. Ach, wer einmal geschmeckt hat, wie sanft es thut, Grundsätze der Friedfertigkeit, seis auch mit Selbstverleugnung auszuüben, der weicht nicht gern von der Friedensbahn; für ihn ist es eine schwere, aber herrliche Erprobung himmlischer Gesinnung, den Frieden zu brechen. Es sind aber nur Wenige, die den Frieden so brünstig lieben, daß man ihnen die Ausnahmen der Friedfertigkeit einprägen muß; die meisten haben Ursach, das apostolische Wort sich alle Tage zu erneuen: „Ists möglich, so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Friede“.


 Wie viele bringen es nicht einmal bis zu dem mindesten Grade der Friedfertigkeit, ich meine bis zur Ueberwindung der Rachsucht! Wenn ein Beleidigter sein Recht sucht, spricht der Apostel zu ihm: „Warum laßet ihr euch nicht viel lieber vervortheilen?“ Es ist ihm schon das Dringen auf Recht in eigenen Dingen ein Greuel, und nun erst die Rachsucht, die es zu langweilig findet, das Rechte bei den Gerichten zu suchen, die ungestüm zur Wiedervergeltung drängt und am liebsten Kläger, Richter und Büttel in Einer Person wird! Aus seinem Herzen voll Lieb und Frieden stammt deshalb die brünstige Vermahnung: „Rächet euch selbst nicht, meine Lieben“! − Warum wird es uns denn schwer, uns der Rachsucht zu entschlagen? Ist es uns so gar süß, andere um unsertwillen gestraft zu wißen; muß es sein, können wir nicht anders ruhig werden, je nun, das Auge des ewigen Richters wacht und Sein Zorn zürnt an unsrer Statt. Dem| Zorne gebe man nur Raum, er wird seine Stunde finden, wo er alles und jedes bezahlt, wo der HErr Sein Wort lösen wird, das Er gesprochen hat: „Die Rache ist Mein, Ich will vergelten, spricht der HErr“.

 Aber ists denn nicht schöner und dem allgemeinen Grundsatz edler Großmuth, den wir V. 17 angeführt finden, entsprechender, ists nicht christlicher, dem Beispiele des dreieinigen Gottes entsprechender, zu verzeihen, für die Feinde zu beten, ihnen Gutes zu thun? Ist nicht Feindesliebe ein Kennzeichen der Christenheit? Was klingt schöner, als das Wort: „So deinen Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn. Wenn du das thust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“? Was klingt schöner im Ohr und was ist schöner, wenn es geschieht, wenn es nicht bloß einmal geschieht, wenn es zur heiligen Lebensgewohnheit und täglichen Tugend wird? Und was sänftigt und befriedigt mehr, als ein solches Thun? Ist nicht eine Seligkeit darin? Kann man nicht auch auf einen solchen Thäter des himmlischen Befehls die apostolischen Worte anwenden: „Derselbige wird selig sein in seiner That!?“


 Zweimal dieselbe Gedankenreihe hat der Apostel den Römern vorgetragen, nur das zweite mal bestimmter, eingreifender, mächtiger. Zweimal haben wir sie selbst gelesen. Aber ists denn genug, daß sie zweimal wiederholt ist? Wie oft müßte sie für die meisten Menschen wiederholt werden, wenn sie das Böse aus dem Herzen verdrängen und einen Sinn des Friedens und der Liebe einpflanzen sollte? Ach von Fertigkeit, von Gewohnheit, von beständiger Tugend friedfertiger Feindesliebe wollen wir einmal ganz absehen! Wir wollen nur fragen, wer es überhaupt irgendwie, wenn auch unter schwerem Kampf, dahin bringt, Beleidigungen zu überwinden, wer sich nur so weit bezwingen kann, dem Bösen keine Folge zu geben, nur im äußern Thun sich gleich und allzeit ruhig zu verbleiben? − Es ist ein Kampf im Herzen, den die meisten Menschen sehr oft zu kämpfen haben. Das Böse, was sie erleiden, will sie überwinden, daß sie auch Böses thun und bös werden. Es hängt manchmal nur noch an einem schwachen Faden, so ists um sie geschehen, so sind sie überwunden und die Rachsucht ist, wie eine schwere Last oder wie ein tödtendes Meßer über ihren Nacken gefallen. Ach, wie schwer ists vielen, sich nicht thätlich an ihren Feinden zu versündigen! Wie sehr bedürfen sie der apostolischen Warnung: „Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“! − Der HErr sei ihnen doch gnädig, daß sie nicht dem Menschenmörder in die Arme fallen, indem sie ihres bösen Herzens Zug und Lockung gehorchen! Gott sänftige alle Herzen durch Seine Sanftmuth! Amen.


Am vierten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.
Römer 13, 8–10.

 DIe meisten Menschen haben im Leben irgend einmal Schulden gehabt, und wer sie gehabt hat, wird gestehen müßen, daß es kein angenehmer Zustand war. Man fühlt sich gedrückt, oder wenn man auch keinen Druck empfindet, so ist man doch nicht frei, nicht völlig selbständig, und deshalb ringt ein jeder redliche Mann, seiner Schulden los und in Erdendingen, was fremdes Geld anlangt, unabhängig und selbständig zu werden. Und wenn man es geworden ist, da athmet man so viel freier und leichter, da entschließt man sich, lieber jede Einschränkung zu erdulden, als sich wieder in das Joch der Schulden und des fremden Geldes zu begeben. Und das ist auch nicht unchristlich. So schreibt St. Paulus an die Thessalonicher 1. Br. 4, 11. 12.: „Ringet darnach, daß ihr stille seid und das Eure schaffet und arbeitet mit euren eigenen Händen, wie wir euch geboten haben, auf daß ihr ehrbarlich wandelt gegen die, die draußen sind, und ihrer keines bedürfet.“ Und er selbst gieng ihnen voran und wenn er des Tages gepredigt hatte, arbeitete er lieber des Nachts und machte Teppiche, ehe er den Ruhm, den er sich vorgenommen, völlig frei und umsonst den Heiden das Evangelium zu predigen, aufgegeben hätte. Das ist derselbe Mannessinn, welcher sich auch in unserm Texte in den Worten kundgibt: „Seid niemand nichts schuldig!“

|  Aber freilich, eine Schuld gibt es, die können wir nie völlig von uns bringen, ob wir schon immer dran zahlen, und wir wollen sie auch nicht los werden, sondern sie behalten bis zum Grabe. Es ist eine liebe Schuld, die nicht drückt, obschon sie rührig und thätig macht und immer und ohne Unterlaß zum Zahlen treibt. Wißet ihr, was gemeint ist? Es ist die Bruderliebe. Wir zahlen immer dran und werden nicht fertig, denn wir lieben alle Tage und können nicht fertig werden zu lieben, sollens und wollens auch nicht bis ins Grab. Und diese Schuld der Liebe drückt uns auch nicht, sondern wir tragen sie gern und es ist uns eine heilige Freude, uns mit ihr immer und immer zu bemühen. Das ist die Schuld, von der auch St. Paulus spricht: „Seid niemand nichts schuldig, denn daß ihr einander liebet“.

 Man könnte allenfalls sagen, es sei doch die Liebe nicht die alleinige Schuld, denn wir seien ja schuldig, das Gesetz zu erfüllen; das Gesetz sei ein Gläubiger, deßen Schuldner wir allzumal wären bis ins Grab. Doch hätte man damit nur zum Schein eine zweite Schuld aufgebracht, sintemal ja die Liebe des Gesetzes Erfüllung ist, und, wer Liebe übet, dem Gläubiger, der Gesetz heißt, volle Genüge leistet. Das Gesetz verbeut den Ehebruch − und die Liebe bricht nimmer die Ehe, weil sie dem Nächsten nichts Böses thut. Das Gebot spricht, du sollst nicht tödten, nicht stehlen, nicht falsch Zeugnis geben, dich soll nicht gelüsten; und alles das unterläßt die Liebe gerne, denn sie thut dem Nächsten nichts Böses und müßte ihm doch allemal Böses thun, wo sie solches thäte. So sind alle Gebote zusammengefaßt in das Gebot der Liebe, alle Gesetzesschulden in die Liebesschuld und alle Gesetzeserfüllung in die Liebeserweisung, − und wer liebet, der zahlt alle Schuld und bleibt nichts schuldig, als immer zu und immer weiter zu lieben.

 Es ist allerdings auch die Liebe zu Gott eine Schuld, die wir haben, die wir, ob wir es schon täglich thäten, doch nimmer völlig abtragen können, in der wir immer mit der Zahlung zurückbleiben. Aber eines Theils wird Gott von denen sicher am redlichsten die Liebe heimgezahlt und aufgeopfert, welche den Nächsten lieben; denn in der Nächstenliebe erweist sich die Gottesliebe, wie geschrieben steht: „Das ist die Liebe zu Gott, daß wir Seine Gebote halten“. Und andern Theils ist es fast nicht paßend, die Liebe zu Gott eine Schuld zu nennen. Bei jeder Schuld entbehrt der Gläubiger etwas, wenn er sie dem Schuldner ausleiht. Was entbehrt aber Gott, wenn wir Ihm die Liebe nicht bezahlen, die wir Ihm widmen sollen? Und was genießt Er, wenn wir sie bezahlen? Ist Er nicht vollkommen selig ohne uns und mit uns? − Aus beiden Gründen mag es kommen, daß St. Paulus, da er von unsern Schulden spricht, nur von der Schuld der Nächstenliebe redet, nicht aber von der Schuld der Gottesliebe.

Am fünften Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.

Colosser 3, 12–17.

 AUserwählte Gottes, Heilige und Geliebte“ − das ist eine Anrede, die den Christen aus dem tiefsten Schlafe der Vergeßenheit seiner Würde erwecken und anreizen kann, allen Forderungen seines Gottes mit größtem Eifer nachzukommen. So redet der Apostel die Colosser an, und zeigt ihnen dann aber auch eine Lebensaufgabe, die solcher Anrede würdig ist. Diese Aufgabe ist liebevoller Friede, voll feiernder Anbetung wie sie im Vorhof des Himmels, in der Kirche Gottes auf Erden sein soll.

 Die Colosser und alle Christen sind Ein Leib. Jeder Christ ist des großen Leibes Glied. Gleichwie die Glieder nicht wider einander sind, nicht mit einander hadern und Krieg führen, so sind die Christen nicht wider einander, hadern und streiten auch nicht, sondern der Friede des heiligen Leibes Christi faßt sie alle zusammen. Unter Christen ist Friede, und das Geheimnis ihres seligen Friedens, worin liegt es? Sie haben herzliches Erbarmen, Freundlichkeit Demuth, Sanftmuth, Geduld, sie vertragen und vergeben einander nach Christi Vorbild. Sieben heilige, edle Früchte eines und desselben Baumes, der sie alle zeuget! Denn sie kommen alle aus der Liebe. Die Liebe allein ist barmherzig und freundlich, liebt das Niedrige, beugt sich und weicht gerne, ist langmüthig, erträgt alles, läßt sich nicht erbittern,| vergibt gerne und ist kurzum gleich einem Bande der Vollkommenheit, einer Kette, die viele zur christlichen Vollkommenheit gehörige Tugenden wie einzelne Glieder zu einem Ganzen voll Kraft und Stärke vereinigt. Wo die Liebe ist, da hat sie alles bei sich, was in allen Fällen Streit verhütet und Frieden erhält.

 Mit dem Frieden der Liebe vollendet sich übrigens die Aufgabe des Lebens einer Gemeinde nicht. Wenn sie, wenn alle ihre Glieder sich heiliglich und im Frieden vertragen und eines dem andern zu Lieb und Wohlgefallen lebt; so wird alles erst dadurch, was es soll, daß es zu einem Wandel vor Gottes Angesicht, zu feiernder Anbetung verklärt wird. Es wird Lieb und Friede bald ersterben, wenn sie nicht in den Vorhöfen des HErrn grünen und aus Seinen schönen Gottesdiensten täglich neues Leben schöpfen. Gleichwie ein Baum an Waßerbächen gedeiht, aber ein Baum in der Wüstenei verdorrt; so gedeiht Friede, Liebe und alles Leben nur an den Bächen des immer frischen Wortes Gottes und unter dem Hauch der Psalmen und Lobgesänge und geistlichen, lieblichen Lieder. Wo das nicht ist, gedeiht kein Kraut Gottes, da ist Wüstenei. − Ueberschätzen wir etwa Wort und Gottesdienst? So hat auch der Apostel sie überschätzt, da er den Frieden der Liebe mit dem Worte und dem gottesdienstlichen Gesang so eng verband, wie wirs in unserm Texte lesen! So hat auch er sich geirrt, Vergebliches, Eitles geboten, Nutzloses angeordnet! Wer wird das behaupten, wer einen solchen Satz aufstellen? Der Apostel konnte sich nicht irren, seine Anweisungen waren niemals nutzlos, allzeit segensreich! So muß auch Fried und Liebe einerseits und Wort und Gottesdienst andererseits genau zusammenhangen, und es wird wohl das Gerathenste und Beste sein, die Erfahrung zu machen und dann zu urtheilen.

 Eins noch bemerken wir. Gottesdienste, soweit sie in Versammlungen der Gemeine bestehen, kommen und gehen wieder vorüber, sie sind hier auf Erden, wo es neben dem ewigen auch einen zeitlichen Beruf gibt, etwas Wandelbares. Aber es soll dennoch von ihnen aus Feier und Andacht aufs ganze Leben übergehen und je länger wir leben, je mehr soll unser gesammtes Leben, auch das im irdischen Berufe Gestalt und Weihe der Gottesdienste an sich nehmen. Alles soll im Namen, d. i. im Bekenntnis und zur Ehre JEsu gesprochen und gethan werden und das ganze Leben soll ein Dankopfer werden, das wir durch Ihn Gott dem Vater bringen. Der Knecht und die Magd, Hausherren und Frauen, alle Glieder der Gemeinde sollen sich immer mehr als Priester Gottes fühlen und alle ihre Werke des Berufs durch Danksagung und Bekenntnis des höchsten Namens JEsu zu reinen Opfern machen. So wird das Leben aus dem Unreinen und Gemeinen erhoben, das Irdische himmlisch gemacht, Seel und Leib zum Himmel vorbereitet, zu seiner Ruhe, zu seiner ewigen freudenvollen Feier. − Dazu bereite uns alle der barmherzige Gott durch Seinen Geist um Christi willen! Amen.


Am sechsten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.
2. Petri 1, 16–21.

 UM einmal bei diesem Texte den Inhalt in umgekehrter Ordnung vorzulegen, erinnere ich euch zuerst an das vollkommen giltige Zeugnis des heiligen Apostels Petrus von der Weißagung, die wir in den Büchern der heiligen Propheten finden. Keine Weißagung ist die Frucht eines menschlichen Entschlußes; obschon ein natürlich Hochbegabter das Auge schärfte, in die Zukunft des Reiches zu schauen, es bliebe ihm dennoch alles dunkel und kein lichter Strahl erhellte ihm die zukünftigen Dinge. Jede Weißagung ist eine Gabe des heiligen Geistes, und die heiligen Menschen Gottes, die Propheten, haben, was sie schauten, geredet und geschrieben nicht wie sie wollten, sondern je nachdem sie der Geist zu mündlicher oder schriftlicher Rede drang. Das prophetische Wort ist also ein Wort des Geistes durch Menschen, aber nicht ein Menschenwort, aus menschlichem Geiste entsproßen.

 So wie nun die Weißagung nicht von Menschen stammt, so wird sie auch nicht von Menschen, nach eigenem Entschluße ausgelegt. So wenig ein Mensch sich entschließen kann ein Prophet zu werden, so wenig ist es mit dem Entschluße, ein Ausleger der Prophezei zu werden, gethan. Der Geist des HErrn erweckt Propheten − und Auslegung der Prophezei steht| gleichfalls ihm allein zu Gebot, wie der heilige Joseph im Kerker dasselbe vor Auslegung der prophetischen Träume des Mundschenks und Bäckers behauptet hat.

 So stehen die Weißagungen der Propheten in der Welt, wie Lichter und Leuchtthürme in finsterer Nacht. Es geht Licht von ihnen aus; allgemeine Wahrheiten werden aus ihnen erkannt, und es ist nützlich, auf dieß Licht in der Nacht zu achten, wenn es schon nicht völlig hell ist, wenn schon es nicht einmal den eigentlichen Sinn der Weißagung selbst erhellt. So haben die Weißagungen der Offenbarung St. Johannis viele Seelen zum ewigen Leben erleuchtet, aber sie selbst sind doch großentheils noch unenthüllt bis auf den heutigen Tag.

 Es wird aber eine Zeit kommen, da wird es Tag werden und die Erfüllung wird erscheinen, und an ihr wird dann das Geheimnis der Weißagung klar werden. Ja es kann geschehen, daß unmittelbar vor der Sonnen Aufgang schon ein Morgenstern kommt, daß unmittelbar vor der Erfüllung Licht über die Erfüllung gegeben wird, die da kommt.

 So wußten die heiligen Apostel von der Kraft und Zukunft JEsu Christi manches durch das Lesen und Hören der alten Weißagungen, die sie in der Propheten Büchern fanden. Als aber der Tag der Erfüllung anbrach und die Kraft und Zukunft des HErrn schon in die Zeit hereingetreten war, da wurde ihnen auch eine Auslegung gegönnt, welche sie sich nimmer zu erwarten getraut hätten. Der HErr nahm sie mit Sich auf den heiligen Berg, verklärte Sich vor ihnen, ließ sie zuhören, als Er mit Mose und Elia von Seinem Ausgang redete, und sie vernahmen zuletzt das Zeugnis des allerhöchsten Vaters von dem Sohne aus der Wolke. Dadurch ward, ihnen das prophetische Wort fester. Sie wußten nun aufs Gewisseste, daß ihr Meister Der war, welcher kommen sollte, und daß sie keines andern warten durften.

 So verklärte ihnen die Auslegung das prophetische Wort, gleichwie sie das prophetische Wort zu Christo gewiesen hatte. Die Geschichte entsprach der Prophezei, und die Prophezei gab der Geschichte ihr volles, göttliches Licht.

 Wir sehen, meine Freunde, St. Petrus hat Recht, wenn er behauptet, nicht klugen Fabeln gefolgt zu sein, sondern dem Zeugnis Gottes und Seiner Propheten. Und was wollen wir nun thun? Haben wir nicht der Propheten Schriften wie die Apostel? Und kennen wir nicht das Zeugnis des Vaters durch die Apostel? Zeugen nicht die Apostel selbst? Wollen wir also nicht dem Zeugnis Gottes und Seiner Heiligen trauen? − Es taget doch, der Morgenstern der Erfüllung ist längst vorhanden. Die Zeit aller Erfüllung vollendet sich immer mehr. Bald wird erscheinen, des wir warten, der Amen heißt, weil alle Gottesverheißungen in Ihm Ja und Amen sind. Wollen wir erst dann glauben, wenn wir Ihn schauen, oder glauben wir jetzt? − Was Deine Propheten geweißagt, Deine Apostel gedeutet und geschaut, was sie, was Dein Vater bezeugt hat von Deiner Kraft und Zukunft, das laß uns faßen und halten und immer lichter erkennen und dadurch selig werden! Amen.


Am Sonntage Septuagesimä.
1. Corinther 9, 24.−10, 15.

 DEn Sinn dieser Epistel möchte ich in die Worte zusammenfaßen: Wenn man gleich in der Gemeinschaft der heiligen Sacramente lebt; so ist man doch des ewigen Heiles verlustig, wofern man sich nicht die Kraft der Sacramente zur Heiligung der Seelen dienen läßt. Man muß nach Heiligung der Seelen jagen, oder es wird uns auch der Empfang der Sacramente zur Verdammnis dienen.

 Zum Beweise dieses zeigt der Apostel mit Fingern auf das Schicksal der Israeliten in der Wüste. Auch sie hatten wunderbare Erweisungen Gottes zu genießen, welche mit den Sacramenten nach Inhalt und Form vieles gemein hatten. Sie reisten unter der Wolkensäule, die (Ps. 105, 39.) wie eine Decke über sie ausgebreitet war, und giengen durch das rothe Meer, wie durch Mauern: sie wurden also durch Wolken und Waßer gerettet unter Mose, wie wir durch das Waßer der Taufe vom ewigen Verderben gerettet werden. Sie aßen die wunderbare Himmelsspeise des Manna und tranken, da sie dürsteten, von| dem Waßer des kühlen Felsens, weil der geistliche Fels Christus mit ihnen gieng. Sie hatten also auch eine wunderbare Speisung und Tränkung, gleichwie auch wir im heiligen Abendmahl wunderbarlich eßen und trinken. Und doch hatte an ihrer vielen Gott kein Wohlgefallen, sondern schlug sie nieder in der Wüste. Starben doch außer Josua und Caleb alle, die von Egypten ausgegangen waren, selbst Mose und Aaron, und keiner sonst betrat den Boden des heiligen Landes. − Unter den größten Wundern und Gnadenerweisungen Gottes kann man also verloren gehen, wenn man sich durch Gottes Gnaden nicht zur Heiligung geleiten läßt. Was den Israeliten geschah, das ist ihnen geschehen „uns zum Fürbilde“. Achten wir, die wir unter den Wundern der Sacramente leben, des schreckenden Exempels und ringen nach Heiligung!

 Vom Eifer in der Heiligung gebraucht der Apostel ein doppeltes Bild, das Bild von der Laufbahn und vom Wettkampf. Bei den Griechen wurden häufig allerlei Spiele gehalten. Was ein jeder konnte, trug er da zur Schau, der Läufer die Behendigkeit seiner Füße, der Starke die Kraft und Gewandtheit seiner Glieder. Und wenn mehrere von gleicher Kraft und Tugend vorhanden waren, so eiferten sie miteinander, ein jeder that sein Bestes und bestellte Kampfrichter urtheilten, welcher von den Kämpfern der vorzüglichste war. So war eine Laufbahn zugerichtet, ein Ziel gesteckt, nach welchem alle liefen, ein Punkt des Auslaufs für alle bestimmt. Wer zuerst zum Ziele gelangte, war Sieger. So kämpften und rangen miteinander die Starken, und wer den andern oder die andern übermochte, wurde gekrönt. − Das waren den Korinthern wohlbekannte Sachen, denn dergleichen Kampfspiele und Wettkämpfe wurden nahe bei ihrer Stadt oftmals gehalten. Darum wendete es der Apostel in dem an sie gerichteten Briefe an.

 Das Leben nennt er eine Laufbahn; den ewigen Gnadenlohn, der auf uns am Eingang des Himmels wartet, nennt er das Kleinod, das dem zuerst Anlangenden vom Ziele winkt. Eifrig, ohne Unterbrechung, geduldig, ausharrend bis zum Ende des Lebens, bis zum Eingang in die Ewigkeit muß in dem Ringen nach Vollendung der sein, der am Ziele Lohn empfangen will. − Und gleichwie der Apostel mit diesem ersten Gleichnis den Eifer und die Ausdauer im Kampf der Heiligung andeutet; so bezeichnet er mit dem zweiten die Enthaltung von alle dem, was zum rechten Kampf nicht taugt. Starke Ringer und Wettkämpfer pflegten sich in Speis und Trank und in der ganzen Lebensart so zu halten, daß es ihrem Vorhaben, einen Wettkampf einzugehen, gemäß war. Sie gaben sich keinen entnervenden oder verweichlichenden Genüssen hin, sie betrachteten das ganze Leben als eine Vorübung zum Kampf. Sie hielten ihren Leib hart, sie mutheten ihm manches zu, sie übten ihn, daß er Schläge und Stöße wohl vertragen konnte. So viel lag ihnen an der vergänglichen Krone, die sie vielleicht erlangten. So darf auch ein Christ im Kampfe des Lebens sein nicht schonen. Will er gekrönt werden, so muß er alles vermeiden, was ihm in seinem Kampfe hindernd in den Weg treten, was ihn matt, lau und untüchtig machen könnte. Eifer der Heiligung ohne Muth zur Entsagung ist nicht zu denken. Der im Guten zunehmen will, muß sich der Welt und ihrer Lust entschlagen. So that der Apostel zum Vorbild der Gemeinde. Sein Geist übte Herrschaft über den Leib und seine Lüste, er betäubte und zähmte ihn, auf daß er nicht andern predigte und selbst verwerflich würde.

 Wir wollen ihm nachfolgen. Unser Eifer, unsre Geduld, unsre Entsagung muß durch den Genuß und die Kraft der heiligen Sacramente gestärkt werden. Aus ihnen, den gnädigen Lebensquellen Gottes, müßen wir die Kräfte nehmen, die uns für unsern Lebenslauf und Kampf tüchtig machen können. So wenden wir sie recht an, so vermeiden wir das Beispiel und Schicksal der in der Wüste niedergeschlagenen Israeliten, so laufen wir nicht aufs Ungewisse, so thun wir nicht Luftstreiche, so gelangen wir gewis zu Lohn und Kron, so dringen wir in Geduld und guten Werken zum ewigen Leben vor! − Wohl uns, wenn wir Treue im guten Kampfe üben. Denn es gilt ja ewige, nicht vergängliche Kronen! Wohl uns, wenn wir uns gesagt sein laßen, was geschrieben steht: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des ewigen Lebens geben!“


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Am Sonntage Sexagesimä.
2. Corinther. 11, 19.−12, 9.

 WEnn ein oberflächlicher Betrachter diese Epistel liest, so wird es ihn bedünken, als habe der Apostel Paulus einmal der Demuth vergeßen und dem alten Menschen auf eine merkwürdige Weise den Zügel schießen laßen. Zwar daß alles wahr sei, was der Apostel von sich selbst sagt, ist gar kein Zweifel. Die Versicherung: „So ich mich rühmen wollte, thäte ich darum nicht thörlich, denn ich wollte die Wahrheit sagen“ wird gewis von jedermann geglaubt. Aber es wird doch ziemlich allgemein angenommen, daß ein Mensch seine Thaten und Leiden um des Guten, um JEsu willen nicht heraussagen könne, ohne eine Sünde des Hochmuths zu begehen. Bekenntnis vollbrachter guter Werke und Hochmuth wird insgemein für unzertrennlich gehalten. Ob also nicht St. Paulus durch das Bekenntnis der Wahrheit von sich selbst gesündigt, des Hochmuths sich schuldig gemacht habe, das ist die Frage. Nun müßen wir freilich zugestehen, daß in Betreff gewöhnlicher, natürlicher Menschen die Besorgnis, sie möchten durch Aufzählung ihrer guten Werke Hochmuths schuldig werden, ganz gegründet ist. Aber mehr braucht auch nicht zugestanden zu werden. Warum soll es eine unmögliche Sache sein, eine löbliche That ohne Hochmuth zu gestehen? Und wenn es für Weltkinder unmöglich wäre, warum sollte es für Gotteskinder unmöglich sein? Sie kennen sich ja; sie wißen, was löbliche Werke sind; sie erkennen, wie wenig das Gute von ihnen stammen kann, wie es alleine zu Gottes Preise dient, wenn Sein Geist trotz ihrer Sündhaftigkeit durch sie etwas Gutes vollbringt; es ist ihnen eine ausgemachte Sache, daß alle ihre guten Werke Gotteswerke sind. Warum sollten sie also Gottes gute Werke verschweigen und zwar unter allen Umständen verschweigen müßen, bloß weil sie durch ihre Hand, nicht durch fremde Hand vollbracht sind, bloß weil sie die Gnade hatten, sie vollbringen zu dürfen, und den Willen, ihre Leibes- und Seelenkräfte dazu hinzugeben? Gute Werke, durch andere vollbracht, soll man anerkennen; warum nicht, was Gott durch uns selbst gethan? Ist es nicht dankbare Anerkennung und Lobpreisung Seiner Gnade und Güte, wenn man, wie St. Paulus, erzählt, was der HErr durch uns vollbracht hat? Und wenn nun gar, wie in St. Pauli Fall, für andere etwas dran liegt, daß Gottes in und durch uns wirkende, sich zu uns bekennende Gnade dargelegt und bekannt werde! Da kann es wohl für einen demüthigen Mann wegen fremder Misdeutung und eigener Liebe zur Stille eine Aufgabe sein zu reden, die er gerne umgienge; es kann Selbstüberwindung kosten, den Mund aufzuthun; aber es kann auch gerade ein Beweis demüthiger Ergebung in alles, was Gott von uns verlangt, sein, wenn man die mögliche Misdeutung nicht achtet, den Mund aufthut und bekennt, was Gott durch uns gethan.

 Wäre es nie möglich, anders als in Hochmuth von seinen Werken zu reden; so müßte es auch Hochmuth sein, Gutes, vom HErrn Gewirktes in sich zu erkennen. Und wenn das auch unausweichbar Sünde wäre, so würde es am Ende auch nicht wahr sein, daß Gott in Seinen Heiligen etwas Gutes wirkt, da gäbe es am Ende nichts Gutes im Menschen, eitel wäre die Lehre von den guten Werken. Man sieht, wohin es mit der Behauptung, daß es nicht möglich sei, ohne Sünde von sich Gutes sagen, kommen müßte. Gerade das Umgekehrte ist wahr, so gewis es auch ist, daß der immer wache Hochmuth unsers alten Menschen sich an den Ruhm der Werke Gottes hängt. Die Tugend ist kein leerer Name, die guten Werke kein Schein. Wenn Gott in uns wirkt, so sollen wir Ihm danken, also auch das, was Er in uns wirkt, als gut erkennen und uns desselben freuen. Es gibt, so wahr es gute Werke gibt, auch einen unschuldigen und heiligen Preiß deßen, was Gott durch uns gethan, und wohl dem, dem die Gnade verliehen ist, das Böse und Gute in sich zu scheiden und das Gute dankbar zu rühmen. Das ist heilige Kindereinfalt, zu welchem der HErr, der heilige Geist, Seinen Lieblingen verhilft.

 Zwar St. Paulus ist ausgezeichnet vor Tausenden und abermals Tausenden, ausgezeichnet durch Thun und Leiden und Offenbarung. Der HErr hat ihn zu einem Lichte gemacht, das weit in die Lande leuchtet. Je größeres Licht aber, desto größer und finsterer der Schatten. Es mochte deshalb für den heiligen Apostel| die Anfechtung zum Hochmuth nahe liegen. Wahr ists, aber der HErr sah dieß eher als es Menschen sahen und Er sorgt für die Demuth der Seinen mehr, als auch das liebevollste menschliche Herz. Darum hat Er auch schon gesorgt, daß zum Gewicht das Gegengewicht komme. „Auf daß ich mich nicht der hohen Offenbarung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nemlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf daß ich mich nicht überhebe“. So erzählt der Apostel selbst. Und wenn wir nun gleich in die von ihm genannten Plagen keine rechte Einsicht haben, so ist doch keine Ursache, sie anders als wörtlich zu nehmen oder die Worte als übertreibende Beschreibung natürlicher Leiden zu verstehen. So war also allerdings für himmlische Gnaden ein höllisches Gegengewicht vorhanden, und zwar ein solches, welches auf kein Gebet wich, von welchem dem Apostel die Antwort wurde, daß es bleiben sollte, jedoch unbeschadet der Gnade, die in ihm war. Er mußte seinen Pfahl und Satansengel − und die Gnade zusammen behalten.

 Liebe Brüder! Hochmüthig ist jeder bis ans Ende, nur mit dem Unterschied, daß den einen der Hochmuth beherrscht, während er den andern nur anficht. Es ist ein Beweis von Unkenntnis des eigenen Herzens und insgemein des Menschenherzens, wenn man zuweilen mit bedenklicher Miene spricht: „Dieser, jener hat auch noch Hochmuth“. Wer hat ihn denn nicht? Und von wem wäre er vor der Grube gewichen? − Aber so gewis wir die hochmüthige Reizung in uns haben, die uns gerne alle unsre Werke verdärbe und unsre ganze innere Gestalt zu einem abscheulichen Zerrbild deßen machte, was wir sein sollen und wollen; so gewis läßt uns der HErr nicht ohne gnädige Demüthigungen, unter denen wir je länger, je mehr zur wahren Demuth reifen können. Daß nur keiner seine Demüthigungen wegbeten wolle! Die laßt uns ja behalten und dem gnädigen Geber dafür danken, welcher durch sie unsre Vollendung erzielt und unsere Bewahrung vor dem Uebel.


Am Sonntage Estomihi.
1. Corinther 13, 1–13.

 DAs zwölfte Capitel des ersten Briefes an die Korinther handelte von den außerordentlichen Gaben des heiligen Geistes und von den Aemtern, in welchen sich die Gaben erweisen. Am Schluße ermuntert der Apostel seine Leser, nach den besten Gaben zu streben. Er findet also ein demüthiges Streben nach großen Gaben nicht für tadelhaft, wenn es nur in der rechten Absicht und Weise geschieht. Aber eben das Letztere ist die Hauptsache: die rechte Absicht, die rechte Weise des Strebens nach großen Gaben muß vorhanden sein − und beide liegen in dem Worte Liebe ausgesprochen. Darum nennt der Apostel die Liebe den köstlicheren Weg und beginnt in unserm Texte jenes berühmte Lob der Liebe, aus dem es einem ohne alle Anweisung von selbst klar wird, daß ein Mensch in der Liebe die allerhöchste Gabe besitzt, ohne welche alle andern Gaben geringen Werthes sind.

 Wie schön steht dieß Lob der Liebe als Thürhüter an der Schwelle der Passionszeit. Es zeigt mit Fingern auf das große Thema aller Passionstexte, auf die Liebe; denn in Christo, dem Leidenden, tritt uns die vollkommene Liebe entgegen, und von Seinem heiligen Benehmen sind alle Züge und Eigenschaften des Liebesbildes hergenommen, welches uns aus unserm Texte in hellem Glanz entgegenstrahlt. Es zeigt aber auch mit Fingern auf die Frucht aller Passionsbetrachtungen, nemlich durch den Glauben an Ihn, welcher der Liebe Urbild ist, selbst der Liebe voll zu werden, welche Ihn vom Himmel bis zur Erde und von der Krippe bis zum Grabe gedrungen und geleitet hat. Möge uns die ganze Passionszeit hindurch diese Epistel und ihr Inhalt geleiten! Mögen wirs von Tag zu Tage tiefer faßen und erfahren, daß wir im Leiden JEsu das größte Werk und den herrlichsten Sieg der himmlischen Liebe feiern!

 Könnte ich euch nur den Text recht wichtig machen, zu erklären enthält er fast nichts; es sind lauter helle, klare, gemeinverständliche Worte. Jedes einzelne Glied des Textes durchzugehen verbietet mir der Raum. Aber ich blicke über den ganzen Reichtum hin, den er umschließt,| und meinen An- und Ueberblick gebe ich euch wieder.

 Der Apostel sagt von der Liebe 1. Was wir vorübergehend schon erwähnten, daß ohne sie alle Gaben und deren Uebung dem Menschen, der sie hat, nicht nützen, weil er ohne Liebe nichts ist als ein herzlos tönendes Erz; daß 2. erst die Liebe allen Gaben Werth und Seele eingießt, daß sie allein es ist, welche den Menschen und sein Thun von innen nach außen schön und vor seinen Brüdern ehrwürdig macht. − Er sagt ferner 3. daß die Liebe ist eine Mutter, ja ein Inbegriff aller Tugenden, die sich unter dem Namen Demuth und Aufopferung für die Brüder zusammenfaßen laßen. Denn alles, was von v. 4–7 gesagt ist, ist nichts als eine Darlegung aller Tugenden der Liebe, die in sich demüthig ruht und sich opfernd für andere dargibt. Endlich sagt er 4., daß die Liebe vor allen Gottesgaben, selbst vor Glaub und Hoffnung das voraus hat, daß sie in sich selbst unveränderlich eine ist in Zeit und Ewigkeit. Alles hört an den Pforten der Ewigkeit auf oder wird anders, aber sie bleibt. Es ist drum auch das Geschäft und die Uebung der Liebe himmlischer Art und man tritt dadurch in die Gemeinschaft Gottes, Seiner Engel und Auserwählten und aller Seiner Heiligen, die ja alle nichts thun als lieben. Denn Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, − und weil alle Seine Engel, Auserwählten und Heiligen in Gott sind und bleiben, so sind und bleiben sie auch in der Liebe.


 Laßet uns Gott um Liebe bitten! Unsre Vorstellungen von der Liebe laßt uns an unserm Texte prüfen, daß sie geläutert werden. Wenn wir wißen, was rechte Liebe ist, dann wollen wir bitten, daß wir sie empfangen! Der HErr schenke uns Liebe, wie sie Ihm wohlgefällt, nach der Art, wenn auch nicht nach dem Maße der Liebe Christi! Die höchste aller Gaben, heilige Liebe, werde uns nicht versagt hier und in Ewigkeit! Amen.


Am Sonntage Invocavit.
2. Corinther 6, 1–10.
 IN die Zeit der Leiden des hochgelobten Heilands scheinen diese Evangelien und Episteln nicht zu passen. So scheints dem oberflächlichen Betrachter. Aber wie wenn auch diese Texte deutlich von Seinen Leiden predigten! Wenigstens beim heutigen Episteltexte sehe ich meines Heilands Leiden deutlich − im Bilde Seiner Jünger und Diener. Wie Er in dieser Welt war, so waren auch Seine Jünger in dieser Welt. Sie trugen die Leiden ihres Heilands an ihrem Leibe herum, jeder konnte den HErrn an den Dienern erkennen. Ueberlege nur einmal die Worte „Trübsal, Nöthen, Aengsten“ (v. 4.), „Schläge, Gefängnis, Aufruhr, Arbeit, Wachen, Fasten“ (v. 5.), „Ehre und Schande, böse Gerüchte und gute Gerüchte, Verführer und doch wahrhaftig“ (v. 8.), „unbekannt und doch bekannt, sterbend und siehe, lebendig, − gezüchtigt und doch nicht ertödtet“ (v. 9.), „traurig und doch allzeit fröhlich, arm und doch viele reich machend, nichts inne habend und doch alles habend“ (v. 10.)! Erzählen sie etwa nur den Lebens- und Leidensgang der Apostel und nicht vielmehr den des HErrn Selber? Könnte man nicht ein jedes von diesen Worten zu einem Passionstexte wählen? Wahrlich die Leiden der Knechte Christi predigen laut von denen des HErrn! − Auch sind es ja nicht die Leiden allein, die man in Christo sieht. Leiden sieht man auch an andern, auf Erden und in der Hölle. Aber wie Er gelitten hat, das sieht man sonst nicht. Oder ja! Man sieht Copien Seiner „Geduld, Seiner Keuschheit, Seiner Erkenntnis, Seiner Langmuth, Seiner Freundlichkeit, Seines Wesens voll heiligen Geistes, Seiner ungefärbten Liebe“ (v. 4. 6.), Seines ganzen großen, heiligen Kampfes (v. 7.) in den Aposteln. Ja, wie Er in dieser Welt war, so sind auch sie gewesen. In ihnen wiederholten sich Seine Tugenden, wie Seine Leiden. Er litt in ihnen − und sie hatten Seine Gnade nicht vergeblich empfangen (v. 1.) − Doch muß ich dir, geliebter Leser, gestehen, daß ich die Apostel für keine treuen Bilder ihres HErrn erkennen würde, wenn ihnen eins fehlete. Die Mannigfaltigkeit Seiner Leiden und Seiner Tugenden sehen wir an den Aposteln. Mich hungert aber darnach, vor allem andern Seine heilige, durch alle Leiden hindurchgehende,| in der Zahl Seiner Tugenden leuchtende Einfalt an ihnen zu sehen. Von dem Anfang Seines allerheiligsten Lebens bis zur gebenedeiten Stunde Seines Todes hat Er nur eins vor, bleibt Sich Selbst in dem einen vollkommen gleich: − Er will um jeden Preis ein Hirte der verlorenen Schafe, ein König der verlorenen Reiche, ein Priester der abgefallenen Welt, Er will mit einem Worte unser HErr werden. Das wollte Er, das erreichte Er, das ist Er, das bleibt Er, − und darin sehen wir Seine göttliche Einfalt. Und wie Er in allen Leiden und in der Uebung aller Seiner Tugenden nichts anderes, als Sein Reich im Auge behielt; so behielten die Apostel in allen ihren Leiden und Tugenden auch nur Sein Reich im Auge. Der HErr, die Knechte suchen eins − beide in der Weise, die sie haben. Er ist ganz HErr, sie ganz Knechte Seines Reiches. − So sehen wir Ihn in den Jüngern! − Wir sollten Ihn auch in uns erkennen und erkennen laßen, − durch Leiden − mit Kraft nach Seinem Reiche ringen. Wir sollten wohl, aber mehr kann man von uns nicht sagen. Wir haben immerdar Bußtag, wenn wir auf uns schauen!
Am Sonntage Reminiscere.
1. Thessalonicher 4, 1–7.

 ES gibt eine Klasse von Menschen, die es übel nimmt, wenn man ihr Sprüche, wie V. 3–5. zu Gemüthe führt, während sie nicht besonders berührt wird, wenn man nach V. 6 sie vermahnt, „nicht zu weit zu greifen; noch den Bruder im Handel zu vervortheilen.“ Sie halten, wie es scheint, den Betrug für ein ehrlicheres Laster, als Hurerei, − die Unschuld rücksichtlich des 7. Gebotes für gemeiner, als die rücksichtlich des sechsten. Und doch ist Ein Gesetzgeber, der beide Gesetze gegeben, und Ein Geist, der zu beiderlei Unschuld vermahnt, und es ist offenbar, daß vor Gott von beiderlei Sünden eine ist, wie die andere. − Und wenn es nun nur so wäre, daß die Hurerei und Unreinigkeit sich weniger als die Betrügerei auf Erden fände, oder daß sie sich wenigstens in der besagten, nach ihrer Meinung privilegirten Klasse weniger fände. Aber auch das ist nicht so! Es ist nur die Heuchelei schuldbewußter Herzen, welche sich eher im 7., als im 6. Gebote vermahnen laßen zu müßen glauben! Ihrem Gewißen scheint geholfen, wenn sie nur nein sagen und gleich unhöflichen Leuten beim Besuch von Gästen ihr Daheimsein verläugnen können. Gerade dieß Pochen der mittleren und zum Theil höheren Stände auf Unschuld des Leibes verräth einen verzweifelten Schaden! Und gerade die demüthige Beugung vor beiden Gesetzen und der Seufzer der Anerkennung bei beiden ist ein Zeichen nicht allein verlorener Söhne, sondern auch reinerer, aufrichtigerer Herzen. Nur so weit du deine Unreinigkeit erkennst, hast du dem Lichte der Reinigung Raum vergönnt. Die Jungfrau, welche in der zartesten Schönheit des Leibes ehrwürdig vor den Augen der Menschheit steht, ist unrein, wenn sie ihr unreines Herz nicht erkennt. Der Jüngling, der im ritterlichsten Schmucke ehrbarer Werke ins Weite strebt, ist eine wurmfräßige Frucht, wenn er sich nicht gesagt sein läßt, was V. 3–5 steht. Es ist ja einerlei Vater aller Menschen und in allen lebt der alte Adam − und ist in keinem der neue Adam geboren, der nicht des alten anerkanntes, eingestandenes Kind ist. Es ist kein Heiliger zur Heiligung berufen, sondern alle Berufenen sind unheilig. Und wer die Berufung hört, der hört sie nur, weil er sich am falschen Ort erkennt, − denn Berufung fordert einen Wechsel des Aufenthalts. Wer wird aber wechseln, wenn er zufrieden ist mit dem Ort, wo er ist? – – Leugne nicht! Lerne dich schämen! Entfliehe der Schaam nicht durch Lügen! Du bist keine Lilie der Unschuld und wirst keine, wenn du nicht wie die Rose erröthest in Erkenntnis deiner Sünde. Du bist verlorener, als verloren − denn du bist ohne den Retter aller Sünder, ohne Christus, wenn du nicht aller Gebote Anwendbarkeit auf dich erkennst. − Nun sinne, mein Leser! Gott aber mache dich rein!


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Am Sonntage Okuli.
Epheser 5, 1–9.

 AUch diese Epistel, gleich der vorigen, warnt in einem Athem vor Sünden gegen das sechste und siebente Gebot. Es scheint eine innere Verwandtschaft zwischen den zwei Geboten und zwischen den Sünden gegen beide vorhanden zu sein. Jeden Falls verbieten beide die Berührung irdischen Kothes und arger Gemeinheit. Es läßt sich auch nichts Häßlicheres denken, als ein Geiziger, der wollüstig, und ein Wollüstling, der geizig ist. Denke dir ein solches Bild − und dann denke dir gegenüber dem Bilde schmutzigster Eigenheit das Bild der Liebe, das Bild Deßen, „der uns hat geliebet und Sich Selbst dargegeben für uns zur Gabe und Opfer, Gott zu einem süßen Geruch!“ Welch ein Gegensatz! Der Ort, wo diese Gegensätze zusammenkommen und bestehen, ist gewis für beide keine bleibende Stadt. Es ist unmöglich, daß im Reiche Christi und Gottes solche Gegensätze sein und bleiben können. Da, wo Geiz und Wollust sich vereinigen, wird die reine, heilige, aufopfernde Liebe des Sohnes Gottes nicht erkannt, nicht geglaubt, nicht gepriesen: da dient alles, auch Zunge und Lippen, dem Kothgötzen − durch schandbare Worte, Narrentheidinge und unziemlichen Scherz. Da hingegen, wo Christus in Seiner uneigennützigen, schmerzenreichen Liebe erkannt, geschaut und angebetet wird, werden die Seelen „böser Lust Gestank ohne“, voll Reinigkeit, voll Lust am Heiligen und Ewigen, süßen Geruches voll vor Gott. − − Der Mensch hat von Natur eine Stimme, welche in ihm für Reinigkeit und Unschuld spricht. Diese natürliche Stimme ist unaustilgbar, wie das Gewißen, mit dem sie auf das Innigste zusammenhängt. Es gibt drum keinen solchen Grad von Verlorenheit und Sicherheit, bei welchem man ohne alle inwendige Unruhe dem Fleische und Geize fröhnen könnte. Darum wird auch keiner die Vermahnung zur Heiligung vernehmen, ohne daß in der Tiefe seiner Seele ein bekräftigendes Ja und Amen ertönte. Wir fühlen uns alle dem Heiligen verwandt, wer und wie wir sonst auch seien. So wird denn auch das heilige Beispiel JEsu, Seine Aufopferung und Hingebung in unsre Strafen, allezeit Beifall finden, und wenn wir zu Seiner Nachfolge aufgefordert werden, so verlangt niemand eine Begründung dieser Aufforderung: jeder erkennt sie ohne das an. Auch der eitelste Spötter verspottet nicht im Ernste eine apostolische Vermahnung zur Heiligkeit, wie die Ephes. 5, 9. − Wir sind dem Heiligen so verwandt! Wie unbegreiflich ist es drum, daß wir dem Bösen so sehr anhangen und so tief in seine Banden verwirrt sind! − O Du, HErr JEsu, starker Held, der Du die Bande unseres Todes zerrißen hast, hilf auch uns, die wir Dich anrufen, daß wir die erworbene Freiheit ergreifen und Dir ewig dienen und seien „Lichter im HErrn!“


Am Sonntage Lätare.
Galater 4, 21–31.
 ICh glaube Eine, heilige, christliche Kirche, die Gemeinde der Heiligen.“ So bekennst du, geliebter Leser! Vergiß nicht, daß das Wörtlein „Eine“ mit großem E geschrieben ist, damit du es mit Nachdruck sprechest und erinnert werdest, daß nur Eine Kirche sei, sonst keine, − nur eine Versammlung der Heiligen, sonst keine. Vor deinem Auge ist die Versammlung der Heiligen nicht Eine, denn ihre Glieder sind im Himmel, aber auch auf Erden, und du theilst deshalb die Kirche in die triumphirende und in die streitende, in die Kirche der Bürger und in die Kirche der Pilger. Dazu siehst du nicht einmal die Pilger Gottes auf Einem Haufen, denn sie sind in allen Christenlanden, ja auch in allen Confessionen zerstreut, und wandeln in solcher Dunkelheit der Heimath zu, daß kaum einer seinen Nachbar erkennt, geschweige mehr. Vor dem Auge des Leibes ist drum die Christenheit eine im Himmel und auf Erden zerstreute, verborgene Menge. Dagegen vor Gott ist der ganze Haufe Einer, ER kennt die Seinen, Sein Auge übersieht| sie, Sein Ohr faßt alle ihre Seufzer, Gebete und Lobpreisungen als Eine große Harmonie von Millionen Stimmen auf. Für dich ist die Kirche ein Glaubensartikel, für Ihn und vor Seinen Augen ist sie auf das Innigste vereinigt, Ein Leib, Ein Geist. − Sie gleicht einem Baume, der unzählige einzelne Theile hat. Faße das Gleichnis ins Auge, geliebter Leser, und sage mir: wo ist dieses Baumes Wurzel, aus welcher der ganze Baum Saft und Leben zieht? Alle Bäume wurzeln in einem Boden. Wo ist der Boden, in welchem der Baum der heiligen Kirche wurzelt? Seine Wurzeln sind im Himmel und seine Zweige sind auf Erden. Die Wurzeln sind im himmlischen Jerusalem, die Zweige sind hier, wo man wallet. Die triumphirende Kirche in der unbegreiflichen Herrlichkeit des ewigen Lebens ist es, welche den Kern der ganzen Kirche ausmacht, die da ist ein Licht der Welt. Alle zerstreuten Christen auf Erden sind Strahlen des Lichtes, von denen man eben so gut sagen kann: sie gehen von dem Lichte aus, als sie kehren zum Lichte und zum Heerde des Lichtes heim. − Ja, wir gehen von dem Lichte des ewigen, himmlischen Jerusalems aus. Die Stadt Gottes ist unser aller Mutter, so viele wir sind, die wir glauben. Von ihr haben wir das Leben, zu ihr eilt unser Leben. Wer gibt uns Flügel des Lichtes, daß wir heimkommen? Wir sind zwar schon in diesem Leben gekommen zum Berge Zion und zu seiner Stadt, denn zu den Lebendigen ist jenes „ihr“ Hebr. 12, 22–24. gesagt. Aber wir sind noch am Fuße des Berges und den Gipfel des Berges und die Stadt darauf sehen wir nicht. Je mehr wir aufwärts und empor zu ihm steigen, desto mehr sehen wir, wie alle Bergansteigenden nur das nächste Stückchen Weges. Wir wißen nicht, wie nahe wir dem Gipfel sind, bis wir vor den Thoren der Stadt stehen, die des Gipfels Krone ist! − Ach, wer stellt uns hin vor diese Thore? Wer thut uns auf? HErr, die Lasten des Gesetzes nimm von unserem Fuß! Die Flügel, den Drang, den Geist des Evangeliums verleih uns − und vielen Tausenden, und laß der, die da einsam heißt auf Erden, Kinder geboren werden, schön und zahlreich, wie der Thau ist, wenn er vom Morgenroth auf die Erde fällt!
Am Sonntage Judica.
Hebräer 9, 11–15.
 FReund! hast du keine Sünde gethan, die obwohl sie längst begangen ist, deinem Gewißen doch immer neu und unvergeßlich ist? Die dir einfällt, so oft der Pfarrer von der Sünde predigt und oftmals in einsamen Stunden, wenn dir niemand predigt? Die du nicht in Abrede stellen kannst, die du bekennen mußt? Deren du dich aber im Innersten deiner Seele schämst? − Sei aufrichtig! Hast du keine solchen Sünden auf dir liegen? Wenn du mit ja antworten mußt, so hast du zur heutigen Epistel den Boden gefunden, von welchem ihr Verständnis emporkeimen muß, denn du kennst etliche von den „todten Werken, von welchen dein Gewißen gereinigt werden muß.“ (V. 14.) Du kennst den Schmutz deiner Seele − und hast zugleich in dir ein herzliches Sehnen nach Reinigung von ihm! − − Aber wie wird die Reinigung kommen? Den Schmutz erkennst du und sehnst dich, seiner los zu werden, aber Reinigung, Reinigung ist schwer! Wenn dir einer beweisen könnte, daß die Erinnerung an deine alten, unvergeßlichen Sünden ein Wahn sei, daß du sie nie begangen habest, daß dich in der Angst deiner Sünden nur ein ängstigender Traum verfolge, − dem würdest du danken, so lange du leben würdest. Denn du würdest dich gereinigt sehen, da du vorher in deinem Auge so schmutzig warst. Aber siehst du, es gibt keinen, der dir jenen Beweis liefern könnte; es ist kein Traum, daß du so gesündigt hast, und es ist nicht die Angst eines Traumes, was dich quält, sondern eine rechte gewaltige Angst deiner Werke, deiner Sünden! − Wenn einer aufstände, der ein Waßer hätte, welches aus der Tiefe des Gewißens die Mißethat auswaschen könnte, durch welches alles Gedächtnis der Sünde ausgetilgt werden könnte aus dem Herzen des Sünders: wie meinst du, wäre dir der willkommen? Mir wär ers nicht. Das heiß ich keine Reinigung meines Gewißens, wenn ich meine Sünden vergeße, während mich doch meine Sünde nicht verläßt, sondern| vor Gottes Augen mit mir geht, wohin ich gehe, mit mir lebt und mit mir nicht stirbt, sondern mich vor Gottes Thron begleitet, um dort wie ein Löwe auf mich loszugehen und vor Seinem Angesichte mich zu erwürgen! Aber das wenn einer machen könnte, daß ich meine Sünden nicht zu vergeßen brauchte, daß ich an sie denken dürfte, ohne sie fürchten zu müßen! daß ich bei der Wahrheit meiner Selbsterkenntnis bleiben dürfte, ohne daß sie mich umbrächte, ohne daß ich an ihr stürbe! Dahin wenn es einer brächte, daß ich beim Gedächtnis meiner Sünde stille sein und auf den Frieden und die Gnade Gottes hoffen könnte und dürfte! Den wollte ich loben, ich wollte ihm anhangen, ja ich würde ihn anbeten! Denn ich schwör darauf: das kann keiner, als einer, welcher der Anbetung würdig ist. − − Verzeihe, lieber Leser, daß ich mit dir scherzte, als wüßte ich Ihn nicht, den ich anbete! daß ich Ihn vor deinem Auge von ferne umkreiste, da ich ja beßer und ohne Weiteres zu Seinen Füßen gefallen wäre und gerufen hätte: „Mein HErr und mein Gott!“ − Kennst du Den nicht, auf den das tägliche Morgen- und Abendopfer Israels und alle Opfer aller Völker geweißagt haben, von welchem alle Priester, die jemals geopfert haben, nur schwache Bilder sind? Kennst du Den nicht, „der Sich Selbst ohne allen Wandel durch den heiligen Geist Gott geopfert hat?“ Sich für dich, zur Versöhnung deiner Seele mit Gott, zur Reinigung deines Gewißens von todten Werken Gott geopfert hat? Was sagt dein Herz, wenn du Sein gedenkst? Wenn ER für dich betet im Himmel, wird es im Himmel Friede mit dir! Kommt nicht auch in dein Herz Friede und Ruhe, wenn du Sein gedenkst? Friede, tiefer Friede − tiefer Friede und das Bewußtsein einer unbegreiflichen Reinigung ist mein in Christo JEsu! − Darum bete ich an und will anbeten ewiglich! Ja, ich will anbeten ewiglich, wenn ich Dich schauen werde in Deiner Hütte und in Dir meine Reinigung und Heiligung, meinen ewigen Glanz, und unverwelkliche Herrlichkeit!
Am Sonntage Palmarum.
Philipper 2, 5–11.

 IN göttlicher Gestalt“ hättest Du hereinprangen können, Immanuel, in unser Jammerthal, wenn Du gewollt hättest. Wie die Sonne aus ihrem Gezelte leuchtend geht, hättest Du aus Deiner gebenedeiten Mutter Leib kommen können im Lichte und in der Weise des Menschen, der Jehova ist. Dann hätten die Berge frohlockt und die Hügel gehüpft, − die Bäume würden Dir schön geblüht und mit Händen geklappt, − das Meer würde Dir gebraust − und alle Kreaturen Dir gedient, zu Deinen Füßen sich freudenvoll gefügt haben.

 Aber Du hast nicht also gewollt! Du kamst nicht wie ein Held mit prangender Beute, Deine Herrlichkeit strahlte nicht von Dir. Du begehrtest nicht, Dich lüstete nicht nach der Kniebeugung der Erde. Du hattest des Himmels Anbetung empfangen; da Dich der Vater in die Welt einführte, haben Dich alle Engel mit Liedern gepriesen; − was konnte Deine Seele am Lobgesang des unerlösten Sünders für Gefallen tragen? Du hattest Größeres vor. Du „äußertest Dich Selbst“, legtest Deine Herrlichkeit auf der Schwelle der sichtbaren Welt nieder, wurdest uns in allen Dingen gleich (nur nicht in Sünde) − und nahmst Knechtsgestalt an. Gott − ein Knecht − aller Knechte − der Knechte der Sünde! Der Gesetzgeber zeigt den Ernst des Gesetzes, indem er die Strafen des Gesetzes selber duldet, und unaussprechliche Liebe, indem er die Schuldigen frei läßt um seiner Strafen willen! Der Richter der Welt zeigt den Ernst Seines Gerichtes an Sich Selbst, auf daß Er die nicht richten müßte, die dem Gerichte zugesprochen waren. Wie ER Knecht ist! Wie ER dient! Sieh Ihm nach, Sündenkind, von Seinem Eintritt in Jerusalem bis zu Seinem Todesgang, bis zu Seinem Tod am Kreuze! Wo ist eine Knechtsgestalt, wie Er? Ich weiß keine − und wer eine weiß außer Seiner, ich elender Sünder und mit mir meines gleichen zahllose Schaaren werden ihn verdammen an jenem Tage! Denn es gibt keine Knechtsgestalt, wie Seine! Ich rufe Pilatum, den ungerechtesten aller Richter, auf um Zeugnis, ob ich irre! Er wird mich in der Hölle nicht Lügen strafen und alle unzähligen Schaaren der Hölle nicht! Nein, es gibt keinen, wie ER war, darum gibts keinen, wie ER ist! ER ist erniedrigt wie keiner und erhöht wie| keiner. Sein Name ist über alle Namen. Vor Ihm liegt Himmel, Erd und Hölle auf den Knieen − und alle, auch alle, die sich widersprechen, bekennen einmüthig, daß ER der HErr sei zur Ehre Gottes, des Vaters! – – Alles betet an, alles betet, alles lobt Ihn! Ich darf nicht fehlen. Wehe mir, wenn ich fehlte! Ich fehle nicht. HErr JEsu, heilige Knechtsgestalt, hochgebenedeiter König, nimm mich an, laß mich ewig zu Dir beten! Amen.
Am grünen Donnerstage.
1. Corinther 11, 23–32.

 ICh habe es von dem HErrn empfangen, das ich euch gegeben habe,“ spricht St. Paulus zum Eingang seiner Belehrung über das heilige Abendmahl. Zu Lebzeiten Christi auf Erden war Paulus noch ein ungläubiger Pharisäer; erst als der HErr gen Himmel erhöht war, wurde aus Saulo Paulus, ein auserwählt Rüstzeug des HErrn. Da, nach seiner wunderbaren Bekehrung, empfieng er Belehrungen von Christo. Nicht andere belehrten ihn, sondern weil er selbst ein Lehrer aller Heiden werden sollte, so bedurfte er einer göttlichen und unumstößlichen Zuversicht und Gewisheit der Lehre, und der HErr nahm ihn daher in Seine eigene unmittelbare Schule. Alles, was die andern Jünger während der drei Jahre des Erdenwandels JEsu, was sie in den vierzig Tagen nach Seiner Auferstehung, was sie an Pfingsten und nach Pfingsten vom heiligen Geiste gelernt hatten, lernte Paulus aus wunderbaren, unmittelbaren Mittheilungen Christi, des erhöhten Königs und Heilandes. Kein Wunder, daß er alle seine Mitapostel einholte und ihnen an Weisheit gleich ward. In solche Schule ist außer Paulo kein Mensch gegangen. Selbst der erste aller Apostel, St. Petrus, rühmt deshalb seines Mitapostels hohe Weisheit.

 In den himmlischen Belehrungen, die er von Christo bekam, empfieng er auch Mittheilungen über das heilige Mahl. Also war das heilige Abendmahl Christo auch nach Seiner Auffahrt, in Seiner Herrlichkeit eine wichtige Sache, Seine verklärten Lippen sprachen davon und zwar ganz so, wie Er auf Erden gesprochen hatte. Also war seine Einsetzung in der Nacht, da Er verrathen ward, recht und bestätigt auch im Himmel. Also will Er auch jetzt noch, − denn Er bleibt Sich, nachdem Er aufgefahren, ewig gleich, − Er will jetzt noch, daß Seine letzte Stiftung von allen den Seinigen geehrt und im Segen gebraucht werde. Er achtet darauf und Seine Augen schauen auf die Communicanten, die zu Seinem Tische kommen.

 Desto mehr laßt uns der Belehrung achten, die der HErr vom Himmel Seinem Apostel gab. Das betrachtende Auge in den Text gerichtet, geliebte Brüder! Was lesen wir? Es sei mit kurzen Sätzen ausgesprochen, und ihr sollt am Texte prüfen, ob sichs also hält.

 Was der HErr in der Nacht gesagt hat, da Er verrathen ward, das sagt Er auch nach Seiner Auffahrt dem heiligen Paulus: Das ist Mein Leib − das ist der Kelch des neuen Testamentes in Meinem Blute! Was Er hier, was Er vom Himmel, was Er Selbst, was Er durch Seine Apostel gesprochen hat, das kann niemand umstoßen, und wer es verneint und leugnet, richtet und schadet nur sich selbst. ES handelt sich nicht von einer Lehre, sondern von einer allerhöchsten Gabe JEsu. Nicht was du vom Abendmahle meinst, sondern was du im Abendmahle bekommst, ist die Frage. Und die Antwort ist klar. Sie ist dir gegeben. Kann dirs gleichgiltig sein, wenn jemand nein sagt, wo JEsus ja sagt?

 Das heilige Mahl gibt dir Seinen geopferten Leib und Sein für dich vergoßenes Blut. Also ist es ein Zeugnis, daß Er gestorben ist, ein Denkmal Seines Todes, das Er Sich Selbst gesetzt hat, das alle Dinge dieser Erde überdauern und bleiben wird, bis daß Er kommt. Wenn sich alles vereinigen würde, den Versöhnungstod zu leugnen, das heilige Mahl könnte niemand abschaffen. Der HErr verbürgt ihm eine Dauer bis ans Ende. So wird auch die Kunde und Predigt Seines Todes nicht aussterben, und alle die den Leib und Blut des HErrn genießen, werden, selbst wenn sie es nicht denken sollten, Zeugnis von des HErrn heilsamen Leiden und Sterben geben.

 Dem hohen Mahle gebührt ein würdiges Nahen. Wer nicht desselben würdig sich bereitet und naht, der unterscheidet die Speisen dieses Mahles, Leib und Blut,| nicht von denen anderer Mahlzeiten, der versündigt sich und wird schuldig an ihnen, der ißet und trinket ihm selbst ein göttliches Gericht, und Schwachheit und Krankheit und Tod vor der Zeit kommen über ihn. Ich sage es nicht von mir selbst, es sind apostolische Worte, euer Auge liest, euer Finger deutet auf sie. Es ist ein Mahl der Gnaden, ein über jede andere Mahlzeit erhabenes Mahl. Aber das Mahl hat seine Warnungen, seine Schauer um sich her. Es wird nicht umsonst misbraucht; der König in Zion rächet Seine Stiftung an den Verächtern und Er kennt sie alle.

 Darum ist eine Prüfung allen denen geboten, welche zu Gottes Tisch gehen wollen. Es kommt alles drauf an, daß sie des Abendmahles würdig sich nahen, daß sie die himmlische Gabe in ihrem Wesen und in ihrer Eigenschaft als Bestätigung und Denkmal des Todes JEsu, daß sie den Tod des HErrn Selbst und Seine Segnungen erkennen und verkündigen, daß sie ihren eigenen Unwerth, dagegen des Mahles Werth und Gnade, die Herrlichkeit der Stiftung Christi faßen. Die Prüfung vor dem Mahle soll ein Gericht, ein Selbstgericht sein, das dem Sünder Gottes Gericht erspart oder doch erträglich macht. − Wie leichtsinnig nimmst du’s vielleicht mit deiner Prüfung vor dem Abendmahle! Vielleicht fragst du kaum, was das Mahl sei, wozu es diene, wie unwerth du desselben, wie begnadigt du also seist, wenn du es dennoch empfängst. − Gehst du heute zum Mahle, so prüfe dich. Nimm guten Rath an und prüfe dich. Oder bist du schon gegangen, vielleicht leichtsinnig, so prüfe und richte dich nachträglich, auf daß du Buße thust und wenn auch vom HErrn zeitlich gerichtet und bestraft, doch nicht in ewige Verdammnis kommst.


 O Du Gott aller Gnade, der Du uns alle Sünden verzeihst, verzeihe uns, bitten wir, unsere Abendmahlssünden vor allen andern, daß wir nicht durch das Gnadenmittel, das uns retten soll, verloren gehen! Amen.


Am Charfreitage.
(Wird die Leidensgeschichte aus den Evangelien gelesen.)

Am Ostersonntage.
1. Corinther 5, 6–8.
I.
 WEnn ER nicht erstanden wäre, sondern in des Todes Banden geblieben, was wäre dann, meine Seele? Eine Frage, wie ich keine mehr thun kann. Gott Lob, eine eitle Frage! Denn was dann wäre, das ist nicht: denn Er ist erstanden. Halleluja! − Aber antworte mir doch, meine Seele! Und wenn dir schaurig und wunderlich zu Muthe wird bei dieser Frage, so antworte mir dennoch. Denn es ist ja nicht, was du antworten mußt. Denn ER ist erstanden! Halleluja! − Wenn ER nicht erstanden wäre, dann wäre Er noch in Josephs Grab und begraben, wäre all mein Heil und meine Freude. Wenn ER nicht erstanden wäre, wüßt ich ja nicht, ob ER wäre „unser Osterlamm, Christus, für uns geopfert!“ Ich wüßte nicht, ob Gott Sein Opfer angenommen hätte, ob ich durch Sein Blut vom Engel des ewigen Todes, der durch das Aegypten dieser Welt geht, werde verschont werden. Nur in der Auferstehung liegt die Bürgschaft für Seinen Opfertod, − ohne Seine Auferstehung fehlte mir die Bürgschaft, ich wäre noch in meinen Sünden und mein Glaube wäre eitel. Dann gäbe es keine Osterfreude, keinen Osterfrieden, keine Osterhoffnung. Ohne Ostern? Möchtest du ohne Ostern leben? Und eine Ewigkeit ohne Ostern, wenn es auch eine gebe, was wäre sie! Ach! Es ist so gar Alles am Osterlamm und an Ostern gelegen für Zeit und Ewigkeit! − Gott Lob! Er ist erstanden! Gottes Lamm, das der Welt Sünde trug, hat überwunden, die Sünde, den Tod verschlungen ewiglich! Es ist übrig blieben! Es ist über dem Ruin der| Feinde stehen geblieben! Es hat geduldet wie ein Lamm und überwunden wie ein Löwe − und siehe, Es ist erstanden! − Bosheit und Schalkheit, wie wenig stimmen sie zu der Lauterkeit und Wahrheit unsers Gotteslammes, dessen Leben nach dem Tode zu Seinem Leben vor dem Tode stimmt, wie Erfüllung zur Weißagung, wie die That zum vereidigten Wort. Wie Du süße Lauterkeit und Wahrheit mir bewiesen hast, so will ich sie Dir auch beweisen! Siehe, wie ich gerne Wort halten möchte, wie Du Wort gehalten hast! Siehe, wie ich traure, daß ich untreu und unbeständig bin! Ich möchte Ostern halten, möchte Halleluja singen mit meinem Munde, mit meinem Leben! O HErr, barmherziger Heiland, hilf mir, daß ich Dir gleich lauter und wahrhaftig sei!
Am Ostersonntage.
1. Corinther 5, 6−8.
II.

 VOr dem Osterlammseßen mußten alle Israeliten alles, was sich irgendwo in ihren Häusern an Sauerteig fand, zusammensuchen und ausfegen. Dann erst durften sie Osterlamm eßen. An diesen Gebrauch schließt der Apostel die ganze Ermahnung an, welche sich in unserer Epistel findet. − Unser Osterlamm, Christus, ist schon geschlachtet. Die ganze Zeit, seitdem es geschlachtet, seitdem kund geworden ist, daß Gott das Opfer angenommen, seitdem das Osterlamm vom Tode wiedergekehrt ist, − ist nichts anders als eine Osterlammsmahlzeit. Zu geistlicher Nießung im Glauben, zu leiblicher im Sacramente wird die ganze Welt und jeder Einzelne geladen. Alle sollen, dürfen kommen und eßen, die Armen und die Reichen, die Weisen und die Unweisen. Das Leben aller Geladenen und Gekommenen bis zum Tode ist nichts als Osterlammsgenuß, immer neue Bereitung dazu und immer neuer Genuß, − Ostern im schönsten Sinn des Wortes. − Aber wir haben Sauerteig. In dem eigenen Leben und im Leben der Gemeine findet sich Sauerteig. Im eigenen Leben ist nach der Deutung, welche der Apostel gibt, der Sauerteig falsche Lehre und Sünde, Bosheit und Schalkheit. Im Leben der Gemeinde ist Sauerteig Beispiel groben Sündenlebens, Aergernis, wie z. B. in der corinthischen Gemeinde das Sündenleben und Aergernis des argen Blutschänders. Das Leben hat seinen Sonderzweck für den Einzelnen und seinen gemeinsamen Kirchenzweck. Jener besteht in der Reinigung von falscher Lehre und Sünde, dieser in der Reinigung der Gemeinde von allem Aergernis. Beiderlei Zweck soll erreicht werden. Darum sagt der Apostel: „Feget den alten Sauerteig aus.“ − Dem Sauerteig gegenüber steht Süsteig − und was darunter begriffen ist, sagt der Apostel selbst, nemlich Lauterkeit und Wahrheit. Es ganz mit Christo meinen, in der Lehre und im Leben, im eigenen Leben und so viel an uns liegt, im Leben der Gemeinde keine Schalkheit, keine Bosheit dulden, sich ganz dem HErrn ergeben und gehorsam beweisen, weder für sich, noch für die Gemeinde eine Ausnahme zulaßen, von ganzem Herzen Seiner Lehre und Seinen Geboten anhangen, das ist Süsteig der Lauterkeit und Wahrheit. Den sucht Gott bei uns, und Sein Apostel befiehlt, daß wir Ostern halten, im Genuß der Segnungen unsers Osterlamms also leben sollen, daß des Sauerteigs immer weniger, dagegen Lauterkeit und Wahrheit immer größer und mächtiger werde. Denn was hälfe es dem Menschen, wenn er in des Osterlamms Gemeinschaft stände und im Guten nicht zunähme? nicht reiner, nicht lauterer, nicht wahrer würde? Seine Verdammnis würde sich nur mehren, und ganz mit Recht.

 Darum befiehlt der Apostel es genau zu nehmen mit der Ausrottung des bösen Sauerteigs, keinen Leichtsinn in diesem Stücke zuzulaßen. „Ein wenig Sauerteig, ruft er, versäuert den ganzen Teig.“ Eine falsche Lehre übt trübenden Einfluß auf die andern alle: nichts ist so klein in der Lehre, das nicht seine große Folge hätte. Eine Sünde, die man geschont hat, reißt in tausend Sünden und macht der Sünden voll. Ein Aergernis, das in der Gemeine geduldet wird, verursacht, daß Unkraut allenthalben aufschießt. Wehe, wenn man das Böse duldet, wenn man leise gegen sich und seine Brüder in Sachen der Lehre und des Wandels ist. Heilige Strenge befiehlt| der Apostel, und keiner, der wahre Liebe in der Brust trägt, kann und darf sagen, daß heilige Strenge der Liebe widerstreite. Die Kirche hatte in den ersten Zeiten, wo sie am strengsten war, den größten Ruhm der Liebe, und in den Zeiten, wo sie zuchtlos geworden ist, ist ihr mit der Liebe fast alles Verständnis für Liebe verloren gegangen.

 „Euer Ruhm ist nicht fein,“ ruft Paulus den laxen Corinthern zu. Was würde er zu uns sagen? zu unsrer lieblosen Laxheit? − Ach, wir müßen uns schämen! − Zu einem österlichen Leben werden wir ermuntert. Ist der HErr auferstanden, genießen wir die Frucht Seiner Auferstehung, ist unser Leben eine immer vollere Theilnahme an unserm Osterlamm; so wollen wirs beweisen! Ist einer durch die Sünde gestorben, Christus, so seien wir alle für die Sünde gestorben. Ist einer zu einem sündenlosen Leben auferstanden, so müßen auch wir, nachdem wir versöhnt sind, leben wie Brüder des Auferstandenen, denen alles daran gelegen ist, an ihrem Theil der Auferstehung der Gerechten entgegen zu kommen! Es helfe uns dazu der HErr und die Kraft Seiner Auferstehung! Amen.


Am zweiten Ostertage.
Apostelgeschichte 10, 34–41.

 DIe heutige Epistel und die vom zweiten Pfingsttage hängen genau zusammen; sie sind alle beide aus der Geschichte der Bekehrung des Hauptmanns Cornelius und seiner Hausgenoßen genommen. Und zwar werden uns weniger die Vorbereitungen, als das Ende der Geschichte, nemlich die Predigt Petri und deren Wirkungen und Folgen vorgelegt. Die heutige Epistel ist ganz und gar nichts anders, als ein Stück der Predigt Petri; die des zweiten Pfingsttags gibt das letzte Stück von Petri Predigt und dazu, was uns von den Wirkungen und Folgen derselben aufgezeichnet ist.

 Bei der heutigen Epistel wollen wir uns drei Fragen beantworten: Was haben die Apostel gepredigt? Wie haben sie es gepredigt? Wem haben sie gepredigt?

 Die Antwort auf die erste Frage wird sich zwar erst mit der Epistel des zweiten Pfingsttags völlig erledigen. Doch gibt uns die heutige den größten und besten Theil der Antwort. Die Apostel haben den Heiden und Juden zu allererst die Geschichte JEsu Christi erzählt. Damit legten sie den Grund. Besonders aber pflegten sie die Auferstehung des HErrn hervorzuheben. Sie ist so ganz der Brennpunkt ihrer Reden von JEsu, daß sie gerne sich selbst Zeugen der Auferstehung und den wesentlichen Inhalt ihrer apostolischen Botschaft oftmals ein Zeugnis von der Auferstehung nennen. − Es ist also die apostolische Verkündigung zunächst ein geschichtlicher Vortrag gewesen. Biblische Geschichte, Geschichte JEsu war die Grundlage, auf welche die heiligen Apostel das ganze Gebäude der heilsamen Erkenntnis gründeten. Und so muß es jetzt noch sein. Unser ganzes Heil beruht auf Thaten Gottes in Christo JEsu, auf dem Fortgang der Geschichte des Leidens, Sterbens und der Verherrlichung Christi. Wollen wir deshalb die Unwißenden zu Christo führen, seien es Kinder, seien es erwachsene Heiden oder andere Ungläubige, so theilen wir ihnen die Geschichte JEsu mit, und damit haben wir jedenfalls die Hauptsache gethan.

 Und wie haben die Apostel diese ihre Predigt abgelegt? Jeden Falls so, daß sie ihren Zuhörern genauen Bericht gaben. Unsre Evangelien, insonderheit die drei ersten, sind wohl nichts anderes als die Summe der Mittheilungen, welche die Apostel ihren Schülern zu machen pflegten. An ihnen können wir sehen, wie eingehend und reichlich ihre Erzählungen aus der Geschichte JEsu waren. Wir sehen es jedoch auch schon aus unsrer Epistel. Sie ist ein Meisterstück eines zusammenfaßenden und doch genauen Vortrags der Geschichte JEsu. − Je genauer und eingehender ein geschichtlicher Vortrag ist, desto fester prägt er sich der Seele ein. Je allgemeiner er gehalten ist, desto leichter entschwindet er dem Gedächtnis wieder. Wer für die Dauer arbeiten will, der folge deshalb den Aposteln nach und lehre die biblische Geschichte in allen den Theilen, die er seinen Schülern mitzutheilen für gut findet, genau und umständlich.

 Und wem haben die Apostel diese Mittheilungen gemacht? Anfangs allerdings nur den Juden, aber| seit der Bekehrung des Cornelius auch den Heiden. Anfangs hatten sie geglaubt, Gott habe nur die Person der Juden angesehen und nur Juden seien Ihm angenehm. Dann aber lernten sie ein Neues und Beßeres, nemlich daß Gott die Person nicht ansehe, daß Er aus allerlei Volk und Völkern diejenigen zu dem Heile Seines Sohnes JEsu Christi berufen wolle, welche nach dem Maße ihres Lichtes Ihn fürchten und recht thun. Zwar heißt es also auch hier: „Wer da hat, dem wird gegeben;“ denn Cornelius hatte und benutzte einiges Licht, das er aus der alttestamentlichen Religion Israels genommen hatte, darum wird ihm mehr zu Theil. Aber auf Volk und Völkerunterschiede kommt es nicht mehr an. Es sollen aus allerlei Volk diejenigen herzugeführt werden, welche Gott versehen hat. Darum gehen ja auch, seitdem Petrus bei Gelegenheit der Geschichte Cornelii von Gott belehrt ist, die Boten zu Juden und Heiden und machen sie mit der Geschichte JEsu bekannt. Ihn müßen sie alle kennen lernen und Seiner Auferstehung Botschaft, Seine Siegsgeschichte muß allen Creaturen kund werden, auf daß ja unter allen Völkern kein erlösungsbedürftiges Herz verloren gehe. Dafür sei dem HErrn ewiger Dank!
Am Sonntage Quasimodogeniti.
1. Johannis 5, 4–10.

 WEr ist Der, der da kommt mit Waßer und Blut, nicht mit Waßer allein, sondern mit Waßer und Blut? Aus Seiner Seitenwunde quillets und strömt es, Waßer und Blut, nicht Waßer allein, sondern Waßer und Blut. Unter den Gemeinden wandelt Er mit Waßer und Blut, mit dem gnadenreichen Waßer des Lebens und mit dem Blut der Besprengung. Und von Seinem Munde geht aus ein Wort voll Geist und Leben und gibt Zeugnis unserm Geiste wunderbar. Wer ist Der, von dem im Worte, im Waßer, im Blute ein unvergängliches Zeugnis aufgerichtet ist für diese Welt? Von dem im Himmel ein dreieiniges, ewiges Zeugnis lebt? Dem ein auserwähltes Volk, durch das Zeugnis des Himmels und der Erde versammelt, anbetend zu Füßen liegt? − Er ist Derselbe, der am Kreuze gehangen, im Grabe gelegen und von dem Tode erstanden ist, der Sohn Gottes, unser HErr JEsus Christus. „Ich habe die Welt überwunden,“ sprach Er vor Seinem letzten Kampfe. Er hat sie auch überwunden. Ehre und Preis, Kraft und Stärke, Reich und Herrlichkeit ist Sein. Er ist ein König aller Könige, ein HErr aller HErren. Und Seine Leute, die Ihn nicht sehen, und Ihn doch sehen, weil sie an Ihn glauben, sind wie Er, Herren, Ueberwinder dieser argen Welt. Wir habens mit Augen gesehen und alle Welt hat es gesehen und die Jahrhunderte bezeugen es, daß die die Welt überwunden haben, welche an Ihn glaubten! Sie haben ihr Blut vergoßen und sind schmählich gestorben, aber hernach sind sie Meister geworden ihrer Widerwärtigen. Ihr Geist, ihr Glaube, ihr Wort, ihre Lehre hat gesiegt, hat Völker und große Könige überwunden und Recht behalten über alle Sprüche und Räthsel der Weisen! − Er und Seine Leute überwinden die Welt! − HErr ich bin Dein, ich in Dir, Du in mir. Laß mich die Welt überwinden und mit den zwölf Boten Deiner Herrlichkeit, mit allen Deinen heiligen Märtyrern Dir ewig danken, daß Deine Leute sind Dir gleich Ueberwinder aller ihrer Feinde.


Am Sonntage Misericordias Domini.
1. Petri 2, 21–25.
 DAzu seid ihr berufen,“ beginnt die heutige Epistel und weist damit auf die dem Texte vorangehenden Verse. Und diese Verse, wovon reden sie? „Das ist Gnade, so jemand um des Gewißens willen zu Gott das Uebel verträgt und leidet das Unrecht.“ Das ist der Sinn der vorausgehenden Verse, − zu leiden also das Unrecht, zu vertragen das Uebel um des Gewißens willen zu Gott, dazu sind alle berufen,| die in dieser Welt eine kleine Zeit zu leben haben. Und in diesem Berufe haben wir Christum zum Vorbild und auf dem ganzen Weg zum ewigen Heile haben wir Seine Fußstapfen eingedrückt, Fußstapfen des unschuldigen Leidens zum Heile anderer, Fußstapfen des guten Hirten, welchem alle, die vom Irrtum ihrer Wege zu Ihm bekehrt sind, nachfolgen sollen. − Ja und Amen dem ganzen Inhalt dieser Epistel und den mit ihr zusammenhängenden Versen! So wahr wir Seine Schaafe sind, so gewis ziemt uns, das Uebel zu vertragen und zu leiden das Unrecht! Aber ich protestire gegen jede Verwechselung des Uebels und Unrechtes, das dir von fremder Quelle zufließt, mit dem Uebel und Unrecht, welches du selbst thun könntest. Leiden sollst du Uebel und Unrecht aber thun sollst du keines, − und wenn man ein Uebel oder Unrecht nicht leiden kann, ohne Uebel und Unrecht zu thun, so soll man sich auch gegen das Leiden wehren. Du bist ein Knecht, unterthan deinem Herrn: er belegt dich mit Streichen und Schlägen, er mishandelt dich, er verspottet und verspeit dich um der Wahrheit willen: das ist alles Gnade, da bist du in Christi Fußstapfen. Hat der HErr das von den Knechten erlitten, warum sollte ein Knecht das von seinem Herrn nicht erdulden? Aber wenn du nun die Streiche nicht allein erduldest, sondern auch des bösen Herrn bösen Sinn annimmst, wenn du durch Streiche dich zum Bösen zwingen läßest: ist etwa das auch nach Christi Beispiel? Wo hat Christus mehr gethan, als gelitten das Unrecht? Wo hat Er Seine Peiniger dafür gerechtfertigt? Er hat zu dem, der Ihn schlug um der Wahrheit willen, gesagt: „Habe Ich Unrecht, so beweise es; habe Ich aber recht geredet was schlägst du Mich?“ Er hat Sich schlagen laßen und für die, welche Ihn schlugen, als für Uebelthäter gebeten. So hat Er Sanftmuth und Gerechtigkeit zugleich geübt, wider die Sünde geeifert und doch die Sünde getragen. Siehe zu, folge Ihm nach! Bei dem Bekenntnis der Wahrheit verharre, dieweil du lebst, in Lieb und Leid, in guten und bösen Tagen. Lobt man dich drum, so bedenke, daß ein Mann durch den Mund des Lobers bewährt wird. Schilt man dich, schlägt man dich; so leide, dazu bist du berufen; aber bleib auch am Bekenntnis, sonst trifft dich jener fürchterliche Fluch des Sanftmüthigen: „Wer Mich verleugnet vor den Menschen, denn will Ich auch verleugnen vor Meinem himmlischen Vater!“ − Es ist nicht böse Zeit, wo man Gelegenheit hat, zu thun, wie hier gelehrt ist. Mit Seufzen opfert man nicht, man soll mit Freuden geben − und wenn du Gott deinen Gehorsam unter Anfechtung und Verfolgung leisten sollst, so gehört das auch in den Spruch: „Freuet euch in dem HErrn allewege!“ Fröhliche, freudige Helden im guten, siegreichen, hoffnungsvollen Kampfe der Leiden sucht Gottes Auge!
Am Sonntage Jubilate.
1. Petri 2, 11–20.

 FRemdlinge zeichnen sich überall durch ihre Sitten aus. Pilgrime sind Fremdlinge, die ihre Heimath in einem heiligen Lande haben, nach welchem sie verlangen und sich sehnen, in welches sie heimziehen wollen. Sind wir nun Fremdlinge in dieser Welt, so werden dieser Welt Sitten nicht die unsrigen sein; sind wir Pilgrime, so werden wir die Sitten des heiligen Landes haben, in welchem unsre Wohnung ist. Heilige Sitten werden Gottes Fremdlinge und Pilgrime nach der heiligen Stadt auszeichnen. Gottes Pilgrime leben in dieser Welt also, daß man ihre Heimath an ihrem Wandel erkennen kann. Es kostet ihnen keine Mühe, also zu wandeln, sondern es ist ihnen eine innige Freude, in der Fremde die heimathliche Sprache zu sprechen, die heimathliche Sitte zu üben. So kostet Gottes Pilgrime das heilige Leben in der Fremde keine Mühe, sondern der Geist in ihnen, der Geist der Heimath, treibt sie, des Vaterlands eingedenk zu sein, eingedenk des Vaterlands zu leben.

 Zu dem guten Wandel aller Fremdlinge gehört Achtung vor den Gesetzen und Ordnungen der Fremde, so weit dieselbe sich mit der Liebe zum Vaterland vereinigen läßt. So gehört es auch zum guten Wandel eines Pilgrims Gottes, die Obersten dieser Welt zu ehren und unterthänig zu sein, auch wo man ihnen auferlegt, was hart und unbillig ist. Gottes Pilger| murren nicht, auch wenn sie wunderlichen Ordnungen der Menschen zu genügen haben. Zur Zeit, da die römischen Kaiser die Christen am meisten verfolgten, waren diese bereits so zahlreich geworden, daß des Kaisers Heere voll von Christen waren. Wenn sie die Waffen gegen den Kaiser gekehrt hätten, würde dieser wohl gemerkt haben, daß die Kirche Gottes auch so eine große Macht auf Erden, daß die Pilgrime auch in der Fremde Herren werden könnten. Aber die Christen wußten unsre heutige Epistel, und so sehr ergriffen sie den Sinn der Demuth, so ganz erkannten sie ihre Pilgerpflichten, daß es kein Beispiel gibt, daß die Christen einmal ihre Waffen gegen den Kaiser gekehrt hätten. Sie waren zufrieden, daß sie eine heilige Heimath und ein gewisses Recht an sie hatten; heimwärts gieng ihr Sinn, die Beschwerden und Mühseligkeiten der Reise trugen sie geduldig, stille, fröhlich, und vergaßen nie, daß „Ehret den König“ auch zu Gunsten der verfolgenden Kaiser und „Thut Ehre jedermann“ auch zu Gunsten der Heiden gesagt war, von denen sie zu Marter und Tod geschleppt wurden. Ihre Leiden waren ihnen zu köstlich, als daß sie nicht diejenigen hätten lieben und für die beten sollen, durch deren Hände sie ihnen zukamen. Sie erkannten die Thränen heißer Schmerzen für Perlen, die ihnen Gott darreichte, für eitel Gnade, die aus dem Herzen des himmlischen Vaters quoll. Die Geduld der Heiligen war groß. Darum hat aber auch Gott am Ende den Sanftmüthigen das Erdreich, seinen Christen die Macht über den Weltkreis beschieden − und seit die Welt steht, ist nie ein Triumph errungen worden, wie der der christlichen Religion über das Heidentum, der Fremdlinge über die Sitte der Welt. − Ach, die Gottseligkeit hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens. Alle Sorge könnte schweigen, wenn wir nur heilige Pilgrime nach der ewigen Heimath wären! Aber leider, nachdem die Pilger Herren worden sind, haben sie vielfach die Liebe zur Heimath und damit die Sitte der Heimath verloren − und es ist alles so anders!
Am Sonntage Cantate.
Jacobi 1, 16–21.
 IRret nicht, lieben Brüder!“ vermahnt der heilige Apostel, und der Irrtum, vor welchem er warnt, ist kein anderer, als der, Gotte die Versuchung, also etwas Uebles zuzutrauen. Nachdrücklich setzt er hinzu: „Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsternis“, bei welchem also auch keine Veränderung der Gaben ist, daß Er etwa heute lichte, vollkommene, gute Gaben, morgen aber finstere, unvollkommene, böse Dinge gäbe. − Man sollte denken, vor dem Irrtum brauche man nicht so sehr zu warnen, die Wahrheit brauche man nicht so ernstlich zu versichern. Kommt es denn so oft vor, daß der Wahn, von Gott komme Böses, das Herz des Menschen beschleicht? Der Glückliche beantwortet diese Frage mit „nein“; aber frage den, welcher inwendig und auswendig auf nächtlichen Wegen geführt wurde, der es an sich erfahren hat, was es heißt, arm werden, schwach werden, einsam werden. − Wenn das hochmüthige Herz die unerbittlich wohlthuende, unwiderstehlich gütige, aber dem menschlichen Willen widerstrebende Hand Gottes empfindet; da regt sich gar oft im Inwendigen etwas, davor man erschrecken sollte, und eine kreischende Stimme, die abscheulich ist, spricht: „Segne Gott und stirb!“ Glücklich ist der Mensch in solcher Versuchung nicht, unglücklich, sehr unglücklich ist er, und er weiß es und sehnt sich, von der Last seines Mistrauens frei zu werden. In solchen Fällen ist eine scharfe Warnung: „Irre dich nicht!“ eine Freudenbotschaft und der Spruch: „Alle gute Gabe etc.“ klingt wie ein Lobgesang, wie er denn wahrhaftig auch ein Lobgesang ist. Ein Mensch, der gezeugt ist durchs Wort der Wahrheit nach dem gründlich guten Willen Gottes, hat zwar den Beruf, ein Erstling der Creatur Gottes zu sein, ist auch ein Erstling; aber der Versuchung entgeht er nicht, weder ist er unangreiflich, noch ist er vollkommen. Der Eva im Paradies versucht hat, die doch ein Erstling der Creatur Gottes mit eben so viel Recht, als irgend ein Wiedergeborener nachfolgender Zeiten heißen konnte, wagt sich auch an andere Gotteskinder und sucht immer noch Gott an seine Stelle, sich an Gottes Stelle| zu versetzen, sich zum Engel des Rathes, den HErrn HErrn zum Versucher zu machen: − Drum wohl dem, der seine Seele in seiner Hand trägt, den Mund schließt, das Herz vor dem Zorne verschließt, dagegen aber die Ohren öffnet fürs Wort der Wahrheit und das Herz vor deßen Kräften nicht verschließt! Versuch es nur mit dem heiligen Worte! Es ist kein bloßer bedeutungsvoller Schall, es ist eine Gotteskraft, die da selig macht. Höre nur und laß nicht ab, so wirst du Gottes Gaben aus dem Wort empfangen und das Wunder inne werden, daß überall Gottes Hände und reiche Gaben sind, wo Sein heiliges Wort des Evangeliums erschallt! − HErr, laß uns hören Dein Wort und erkennen Deine Stimme! Rede mit uns, daß wirs verstehen, und sei nicht ferne von uns mit Deinem Troste, wenn uns angst und bange wird um unsre Seele, weil uns Deine Pfeile treffen.
Am Sonntage Rogate.
Jacobi 1, 22–27.

 KAnn man denn ein Hörer des Wortes sein, ohne ein Thäter zu werden? Geht denn nicht durchs Ohr Licht und Kraft des Wortes ins Herz, und kann denn das geschehen, ohne daß man einen Trieb in sich empfindet, dem Wort gemäß zu handeln? Das Ohr, das Herz, die Hand, der Fuß − es sind doch Theile eines und desselben Menschen − und das Ganze, der Mensch, ist doch nicht von so unbegränzter Weite, daß das Wort des Allmächtigen es nicht, wie ein Sauerteig, durchdringen könnte. Da ist ein Teich; wirf einen Stein hinein, so ziehen sich Wellenkreiße durch die ganze Waßerfläche. Da ist eine Kirche − sprich ein Wort, und sein Schall erfüllt ja doch den ganzen Raum. Und das Wort Gottes sollte nicht des ganzen Menschen Meister werden? − Es ist ein Wunder des Allmächtigen, daß Er Seinem Worte Schranken gesetzt hat, über die es nicht geht. Es ist Sein wunderbarer Wille, daß Sein Wort alles überwinde, aber nicht den boshaften Widerstand des menschlichen Willens. Denn so wenig der menschliche Wille etwas zu seiner Seligkeit thun kann, so viel kann er zu seiner Verdammnis thun. Er muß aufhören, zur Verdammnis zu wirken, wenn Gottes Wort zur Seligkeit wirken soll. Aufhören, dem Wort zu widerstreben, und das Wort hören, als eine interessante Sache, und es immer wieder hören; das ists, was von dem Menschen zu erwarten ist. Du wirst nicht lange aus bloßer Neugier hören, so wird aus der Neugier Wißbegier werden, und daraus wird Erkenntnis fließen. Nur Eins stehe dir also fest: „Ich will hören“ − das Uebrige wirkt das Wort. Der Hörer, der nicht zum Thäter wird, hat nicht gehört, wie er hätte hören können, darum ist er kein Thäter geworden. Sieh mit einem Blicke in den Spiegel, so bekommst du ein leicht verlierbares Bild deiner selbst; beschaue dich aber öfter und mit Weile, forschend ohne Vorurtheil, so wirst du deine Züge kennen lernen und deines Leibes Spiegelbild wird treulich in den treuen, inwendigen Spiegel deines Gedächtnisses fallen. So ists mit dem Worte, mit dem Gesetze der Freiheit, mit dem heiligen Evangelium. Wenn du nur einmal, ohne Fleiß und Treue, hörst, so wirst du von der Schönheit JEsu, der dich statt deiner aus dem Spiegel anblickt, nicht gefeßelt werden: fremd, unbehältlich wird dir Seine stellvertretende Liebe und Heiligkeit sein. Aber höre recht, oft, fleißig; was gilts, je länger, je lieber, je ehrwürdiger, je anbetungswürdiger wird dir JEsu Bild werden. Es wird dich feßeln, es wird dich mit Lieb erfüllen, und die Liebe wird dich mit Kraft erfüllen, und die Kraft wird dich nicht ruhen laßen: du wirst thun und immer mehr thun, je länger du Ihn im Evangelio beschaust und Seine Züge erkennst. − Es steht also allerdings bei dir, was du werden willst, ob ein vergeßlicher Hörer, oder ein Thäter des Worts. Ich bleibe aber bei dem Satze: Kein Thäter, der nicht ein rechter Hörer wäre. Erst ein Hörer, dann ein Thäter! Rechte Hörer, rechte Thäter!


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Am Himmelfahrtstage.
Apostelgeschichte 1, 1–11.

 WAs ist uns die Himmelfahrt, was lernen wir aus ihr? Das sei die Frage, die wir uns beantworten wollen. Ich denke aber an keine erschöpfende Antwort, sondern es ist mir genug, wenn nur das, was ich sage, richtig und wahr ist. Meine Antwort aber ist einfach diese:

 1. Die Himmelfahrt ist ein Beweis, daß es ein ewiges und herrliches Reich Christi gibt. Die Jünger fragten auf ihrem letzten Gang, den sie mit JEsu nach Bethanien giengen, ob das Reich nun werde aufgerichtet werden. Darauf sagt der HErr nicht, daß es ein solch Reich nicht gebe, sondern nur, daß den Jüngern nicht zustehe, des Reiches Zeit und Stunde zu wißen. Indes stand Er Selbst bereits da, der König des Reiches, bereit, aufzusteigen zum ewigen Throne, und Sein eigner Mund versicherte, daß Ihm bereits alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben war. Er und Seine Auffahrt, der König und Sein Gang zum Throne sind Beweis genug, daß es ein solches Reich gibt, wie die Jünger hofften, ja ein Reich, welches an Herrlichkeit alle Gedanken der Jünger weit übertraf.

 2. Ferner ist die Himmelfahrt ein Beweis, daß es für dieß Reich bereits einen Ort gibt, an welchem es bereits begonnen hat, den Himmel. Des HErrn Auffahrt gen Himmel ist nicht eitles Spiegelfechten. So gewis der HErr leiblich, sichtbar auffuhr, so gewis ist Seine Auffahrt eine wahre Bewegung von unten nach oben und droben, im Himmel, ist das Ziel, wo Sein Leib zu ewiger Ehre und Ruhe kommt. Ist der Himmel kein Ort, was will denn eine leibliche Auffahrt? Was ist denn die leibliche Erscheinung Christi vor den Augen Pauli, die doch so körperhaft und wesenhaft gewesen, daß Pauli Augen erblindeten? Wo wäre denn der Leib des HErrn nach der Auffahrt gewesen, nur z. B. bis zur Erscheinung bei Damascus, wenn er nicht im Himmel, wenn der Himmel kein Ort, sondern ein Zustand wäre, der mit Raum und Zeit in keiner Verbindung stände?

 3. Die Himmelfahrt ist uns drittens ein Beweis, daß auch unser Leib durch die Gnade Christi ein Anrecht auf das ewige Reich und auf den Himmel hat. Christi Leib, der auffuhr, ist ein wahrer Leib gewesen, der Leib der Auferstehung, von dem Er Selbst sagte, daß er Fleisch und Bein habe. Dieser verklärte, aber wahrhaftige Leib fuhr auf gen Himmel, zum ewigen Ort der Ehre. Zwar ist nun zwischen uns und Christo ein großer Unterschied. Seine Menschheit nimmt in der Verklärung Theil an allen Eigenschaften Gottes, kann allenthalben sein und ist ganz ein Tempel der Fülle Gottes, wie das die lutherische Kirche richtig bekennt und lehrt. Dagegen wird unser Leib von all den Folgen der persönlichen Vereinigung der Menschheit mit der Gottheit keine haben. Aber doch wird er auferstehen, nach der Auferstehung ein wahrhaftiger Leib sein, durch die Luft dem kommenden Christo sich zugesellen und mit Ihm eingehen in den Himmel. − Du bist von der Erde und zur Erde sollst du werden, spricht des HErrn Mund in Gerechtigkeit. Aber derselbe spricht auch in Gnade und Wahrheit: „Ich will euch auferwecken am jüngsten Tage.“ Die Gnade und Barmherzigkeit rühmt sich wider das Gericht − und wenn wir unsre Himmelfahrt halten werden, da wird die Gnade unsers HErrn JEsu vor allen Creaturen glänzend offenbar werden.

 4. Die Himmelfahrt des HErrn geschah also: daß ihr unmittelbar des HErrn Befehl vorangieng, allen Menschen das Evangelium zu predigen, und damit ist sie uns ein Beweis, daß alle Menschen an dem ewigen Reiche und am Himmel Antheil haben sollen. Denn wozu wird das Evangelium gepredigt, wenn nicht um die Menschen zum Himmel zu bereiten? Aus dem Evangelium kommt der Glaube, aus dem Glauben das ewige Leben. Alle hören das Evangelium, weil alle glauben und alle selig werden sollen. Sollen sie aber alle selig werden, so sollen sie es nicht bloß der Seele, sondern auch dem Leibe nach werden, so soll zwar die Seele voran, aber hernach in der Auferstehung auch der Leib zum Himmel sich erheben. Das ist die Meinung JEsu, daß alle Ihm nachkommen und bei Ihm bleiben sollen, bis Er die neue Erde gebaut haben und auf sie die ewige Gottesstadt mit allen ihren Bewohnern herabkommen wird.

|  5. Die Himmelfahrt ist mit dem Befehle verbunden, allen Völkern das Evangelium zu predigen, und zu dieser Predigt wird den Aposteln der Geist des HErrn verheißen. Also sollen zwar alle Menschen am Reiche Theil haben, aber es soll niemand durch eigene Bereitung zu demselben gefördert werden, sondern durch Gottes dargereichte Gnadenmittel, durch Sein hörbar Wort, durch das sichtbare Wort des Sacraments, durch das heilige Amt, und durch Den Selbst, der in allen Gnadenmitteln wirkt, durch den heiligen Geist. Es ist also und bleibt unsre Erhebung zu dem ewigen Reiche eine pur lautere Gnadengabe unsers Gottes.

 6. Als der HErr den Augen Seiner Jünger entnommen war, kamen Engel und predigten von Seiner sichtbaren Wiederkunft. Damit deuteten sie auf die Zeit hin, wo das Reich hereinbrechen würde vom Himmel in die sichtbare Welt. Damit gaben sie zwar keine Zeit und Stunde an für das Reich des HErrn, aber so gewisse und genaue Merkmale und Umstände für die Offenbarung Seines Reiches, daß eben damit der Glaube an alles das, was die Himmelfahrt des HErrn ist und verheißt, mächtig gestärkt wird. Es ist uns nun für unsere eigene Himmelfahrt, für unsers Leibes Theilnahme eine deutliche Frist gegeben. Wir hoffen und warten auf die Wiederkunft des HErrn − und die Himmelfahrt des HErrn und der Engel Verheißung ist für unsere Seelen ein Pfand unserer Hoffnung für des Leibes ewige Herrlichkeit.

 Das laßt uns überlegen und fröhlich warten − und beten laßt uns: „Komm bald, HErr JEsu!“


Am Sonntage Exaudi.
1. Petri 4, 8–11
 ES ist alles zu Deiner Ehre geschaffen, mein Gott, und darum ist alle Creatur schuldig, Dir Ehre und Preis zu geben, und wer Dir das nicht gibt, ist ein Dornstrauch, der keine Frucht trägt Dem, der ihn schuf und mit Sonnenschein und Regen begnadigt hat. Alle Creaturen sind Dir zu Ehren geschaffen − und all ihr Leben und Wesen soll diesen Beruf der Lobpreisung Gottes vollenden. Was an und in mir ist, lobe den HErrn meinen Gott! Meine Seele lobe den HErrn, der sie erlöset und ihr ewiges Leben erworben und schon hier zugetheilt hat: denn ich bin selig in Dir, o HErr! Mein Leib preise den HErrn, der ihn legen wird in des Todes Staub und aus dem Staube in unverweslicher Herrlichkeit hervorführen am ersehnten Tage der Erlösung unsers Leibes. Alle meine Glieder sollen zu Gottes Preise dienen; vor allem soll meine Zunge lobsagen Gott dem HErrn − und daß es recht geschehe, sollen eitel Worte Gottes und aus Gottes Wort geborene Worte von meinen Lippen kommen. Ja, was ich rede, das will ich reden als Gottes Wort! Und alles, was ich habe, das diene Deiner Ehre: ich habe nichts, als eitel Gaben Gottes; die bringe ich Dir wieder und Du sollst mich leiten und lenken, daß ich alle nach Deinem Sinn und Willen, also zu Deiner Ehre anwende. Daß alles von Dir kommt, ist nur halbe Ehre Gottes, es muß auch alles wieder auf von Dir gebahnten Wegen zu Dir kommen, wie die Strahlen von der Sonne ausgehen und wieder zu ihr heimgehen. Ich bin es nicht werth, daß Du mir Gaben gibst, alle Deine Gaben sind nur mancherlei Gnaden Deiner Hand − und zum Haushalter und Verwalter Deiner Gnaden hast Du mich in dieser Welt bestellt. Gib mir, o HErr, Willen, Weisheit und Kraft, mit dem Deinen zu thun, was Dir gefällt, laß mich in allem meinem Thun immerdar opfern. Wenn ich den Brüdern mit den mir vertrauten Gaben diene, bin ich ein Priester Gottes; denn das ist Deine Ehre, wenn ich meine Brüder liebe. Wenn ich Deinen Heiligen die Füße wasche und Deine Pilgrime ohne Murmeln aufnehme, das ist schöner und lieblicher, als wenn ich Opfer schmücke, und der Kelch der Gastfreundschaft, wenn ich ihn bekränze, ist lieblicher vor Dir, als Trankopfer. Wenn ich die Mängel der Deinigen mit Liebe decke um Deinetwillen und dem sündigen Bruder seine Sünden dadurch offenbare, daß ich sie vor den Leuten verhülle, das ist ein Preis des großen Opfers, durch welches unsre Missethat vor Dir bedeckt ist. Und wenn ich aller Begierden müßig gehe und mäßig und nüchtern lebe und meine Lust im Gebete finde, das| ist, als stände ich selbst als ein reines Opfer vor Dir und wäre vom Feuer entzündet, das vom Himmel fiel. Ach mein Gott, so zu leben, − das verleihe mir: dann bin ich ganz Dein und Du hast mich ganz mit dem Meinen, dann bin ich ganz arm, aber auch ganz reich, denn ich habe alles gegeben und Dich und in Dir alles wieder empfangen. Ich Dein − Du mein! HErr, welch ein wunderbares Geheimnis unsers Lebens, welch eine der Welt verborgene Herrlichkeit und Süßigkeit! Mein sei, mein sei diese Herrlichkeit, diese Süßigkeit!
Am Pfingstsonntage.
Apostelgeschichte 2, 1–13.

 ES ist ein so einfaches Buch, das Buch der Apostelgeschichte, dachte ich einmal. Und ein anderes Mal dachte ich: wenn ich über dieß Buch predigen sollte, so wüßte ich nicht, was zuzusetzen wäre, wenn der Text gelesen. Und da ich einmal sagen hörte: „wenn man so predigte wie Petrus an Pfingsten, so würde mit einer solchen Predigt niemand zufrieden gestellt sein und gestrenge Censoren würden die letzte Note darunter zeichnen;“ − als ich das sagen hörte, da sagte ichs nach und habe es oft gesagt. Aber großer Gott, vergib mir meine Sünde! Meine Augen waren gehalten, daß ich nicht sehen konnte, was für ein Paradies dieß Buch enthält und was für Leute unter den Bäumen wandeln, was für Worte in dem Haine schallen. Ja, einfach ists − aber was für eine wunderbare Einfalt ist es, wenn der Geist des HErrn HErrn vor unsern Augen und Ohren die Apostel in alle Wahrheit, in alle Kraft, in alle Geduld und zur ewigen Herrlichkeit leitet. Ich dachte, ich könne nicht predigen, nichts zum Texte sagen: ja, es kann kommen, daß ich nichts zum Texte sage, weil mir die Wahl weh thut unter dem Reichtum der unaussprechlichen Fülle. Ich sehe, ich sehe, ich schaue, ich staune über den Frühling der Kirche − und ich schwör darauf, daß mir gegenwärtig kein Buch der Schrift außer den Psalmen so von Pfingstthau und Gottes Segen trieft, als die Geschichte der Apostel. Und die Predigten im Buch sammt der ersten Pfingstpredigt? Ich habe mich unterstanden, sie Meisterstücke der Beredtsamkeit zu nennen, unnachahmliche, nie erreichbare, gegen welche Goldmunds (Chrysostomus), Augustinus Reden und Luthers Macht und Donner doch nur eitel apocryphisches, geringes Geschwätz und kindliches Lallen sind. Diese Prediger stehen auf Bergen, von denen man vor und hinter sich zwei Testamente und den offenen Himmel über sich sieht! Sie waren die ersten auf den Scheidebergen: welche Blicke, welch Zusammenfallen des Fernen, Nahen, Ewigen, welch ein Zusammenstellen göttlicher Thaten, welche Lichter! Wer hat je in einer Zeit gelebt, wie sie, so Unerwartetes, so Ueberzeugendes, so Ueberwältigendes, wie sie gesagt, und so gesagt − in Worten voll Majestät, voll übermenschlicher Würde und Kraft! Hier ist des Vaters Geist! Den merk ich im einzelnen Vers, wie im Zusammenhang und Zusammenlaut der Verse! Kurz, hier, in dem Buch ist immer Pfingsten, und die morgenländische Kirche, die oft gewußt hat, was sich schickt, liest drum dieß Buch in den fünfzig Pfingsttagen von Ostern bis zum Tage des heiligen Geistes! − Es ist mir begreiflich, daß der Apostel Reden Entsetzen, Verwunderung, Irrwerden, Spotten etc. erregen konnten (V. 7–13.). Aber das faße ich nicht mehr, daß einen das Pfingstbuch, die Apostelgeschichte, kalt und unberührt laßen kann. − Das macht, es ist alles so verständlich dem Wortlaut nach, und wer die Verständlichkeit des göttlichen Worts den Römischen recht deutlich zeigen will, der nehme die Apostelgeschichte zum Exempel. Aber zum Verständnis fehlt eben die Erkenntnis , die von oben kommt, das Echo vom Himmel und Licht und Feuer aus dem Heiligtum. Drum gibts auch so wenig Gutes, das man über die Apostelgeschichte lesen könnte. HErr, öffne mir die Augen, daß ich sehe die Wunder an Deinem Gesetze!


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Am zweiten Pfingsttage.
Apostelgeschichte 10, 42–48.

 WAs haben die Apostel gepredigt? So haben wir bei der Epistel des zweiten Ostertags gefragt. Und heute, wo wir die Fortsetzung jener Epistel lesen, fragen wir noch einmal so, um die Antwort zu Ende zu bringen. An Ostern sagten wir: Der Anfang aller apostolischen Predigt ist Geschichte JEsu. Und heute setzen wir dazu: Sie wiesen aber auch auf die Wiederkunft JEsu und auf das Gericht, welches zu halten Er von dem ewigen Vater berufen ist. Die Vergangenheit JEsu, Seine Gegenwart, Seine Zukunft, alles was zur Erkenntnis Seiner Person und Ehre gehörte, wurde von ihnen jedem Anfänger im Christentume je nach seiner Gabe mitgetheilt. Und sowohl die Geschichte, als die Zukunft JEsu wiesen sie dann in den Propheten nach und zeigten, wie alle Propheten von Ihm zeugen. Und wenn sie das alles gesagt und bezeugt hatten, dann wiesen sie auf die Kraft und Macht des HErrn JEsu und auf die Wirkung ihrer Predigt, Glauben zu wirken und Vergebung der Sünde in die Herzen zu bringen. Und auch das wiesen sie weiter als Erfüllung prophetischer Aussagen nach. Die Geschichte JEsu, die Zukunft JEsu, die Weißagung aller Propheten von Ihm, der Glaube, die Vergebung der Sünden − das also sind, wenn wirs gemäß unserm Texte zusammenfaßen, die Hauptstücke der apostolischen Predigt unter den Heiden, wie unter den Juden. Denn auch den Heiden wurde Christus als Der bewährt, welcher nach Gottes Rath und Seines Mundes Vorausbestimmung kommen sollte. Auch den Heiden wurde die Prophezei vorgelegt, auf daß sie vor der Geschichte desto mehr Achtung hätten, je mehr sie dieselbe als ein Werk der göttlichen Vorsehung erkannten.

 Wenn sie nun diese Predigt erschallen ließen, da waren sie nicht allein, sondern der HErr war mit ihnen, wirkte durch sie den Glauben und bekräftigte das Wort durch mitfolgende Zeichen. So war es in unserer Epistel. Cornelius und die Seinigen fielen der Predigt Petri bei, nahmen sie auf als Gottes Wort, was sie auch war, und fanden durch Kraft derselben ihr Herz voll Licht und Zuversicht. Und neben diesen innern Wirkungen gab es alsbald begleitende, bekräftigende Zeichen und Wunder. Cornelius und die Seinigen, weder beschnitten, noch getauft, fiengen an mit andern Zungen zu reden, wie die Apostel selbst am Pfingsttage, und Petrus und seine Begleiter priesen verwunderungsvoll den HErrn, der nicht Person ansieht, sondern auch den Heiden Buße zum Leben und die außerordentlichen Gaben Seines Geistes schenkt. − So war auf eine augenfällige und auffallende Weise bewiesen, was seitdem immer mehr anerkannt und in volle Erfahrung gebracht wurde, daß Gottes neutestamentliches Pfingsten allen Menschen vermeint sei und daß der Auftrag Christi, allen Völkern das Evangelium zu predigen, nicht anders gemeint war, als er lautete, daß er wörtlich vollzogen werden mußte und daß er nicht so gedeutet werden durfte, als müßten alle Völker Juden werden und durch den Umweg der Beschneidung zu ihrem Heil und Heiland kommen.

 So wie nun Petrus sah, daß den Heiden die außerordentlichen Gaben des Geistes gegeben wurden, zweifelte er auch nicht, daß ihnen die ordentlichen gegeben werden müßten und ließ sie taufen. Er hätte einen umgekehrten Schluß ziehen und sagen können: Weil diese Heiden die außerordentlichen Gaben besitzen, brauchen sie die ordentlichen nicht. Aber so schließt der Mann nicht, der im Lichte des Geistes wandelt, und sein Beispiel lehrt auch uns, wie hoch wir die ordentlichen Gnadengaben zu schätzen haben. Keine außerordentliche Gabe macht die ordentliche überflüßig; denn jene macht herrlich, diese aber macht selig − und selig sein ist nöthiger als herrlich sein.

 Wer glaubt und getauft wird, soll selig werden. Wohlan! Glaube ist bei Cornelius; so darf die Taufe nicht fehlen. Der Glauben gibt, gibt auch die Taufe. Der eins befiehlt, befiehlt das andere. Drum werde Ihm unter allen Umständen und in allen Fällen gehorsam. Glaube und Taufe mögen allezeit als nothwendig erkannt werden!





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