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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Epiphanias 05

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Am fünften Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.

Evang. Matth. 13, 24–30.
24. Er legte ihnen ein ander Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säete. 25. Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säete Unkraut zwischen den Waizen und gieng davon. 26. Da nun das Kraut wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut. 27. Da traten die Knechte zu dem Hausvater und sprachen: HErr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesäet? Woher hat er denn das Unkraut? 28. Er sprach zu ihnen: Das hat der Feind gethan. Da sprachen die Knechte: Willst du denn, daß wir hingehen und es ausgäten? 29. Er sprach: Nein! auf daß ihr nicht zugleich den Waizen mit ausraufet, so ihr das Unkraut ausgätet. 30. Laßet beides mit einander wachsen bis zur Aernte; und um der Aernte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammlet zuvor das Unkraut, und bindet es in Bündlein, daß man es verbrenne; aber den Waizen sammlet mir in meine Scheuren.

 ES ist ein Gedanke aus dem reichen Evangelium des zweiten Adventsonntages, welcher in unserm heutigen Evangelium besonders herausgehoben und zu einem Gegenstande der Belehrungen JEsu und unsrer Betrachtung gemacht wird. Damals erinnerten wir (S. 9), die Welt sei ein unseliges Gemisch von Bösen und Guten, welches nicht eher als am Ende der Tage sich entwirren und in seine Elemente auflösen würde. Heute beschäftigt sich unser Text ganz und gar mit diesem Gemisch und erzählt uns, woher es komme, warum und wie lange es geduldet werde. Laßet uns miteinander zu dem HErrn JEsu in die Schule gehen und die Rede Seines Mundes hören, bewegen und bewahren.

 Die Knechte des guten Säemanns treten gemäß unserm Evangelio zu ihm und befragen sich über die Menge des Unkrautes auf seinem Waizenfelde. So lautet das Gleichnis. Und die Auslegung dazu gibt der HErr selbst V. 36–43. in unserm Textcapitel. „Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reiches. Das Unkraut sind die Kinder der Bosheit.“ Also auf dem Acker der Welt stehen und leben untereinander „Kinder des Reiches und Kinder der Bosheit.“ So sagt der HErr, und wer sieht es nicht, daß Sein Wort völlig wahr ist? Wie Er Selbst unter Seinen zwölf Boten einen Judas, ein Kind der Bosheit hatte; so finden sich in jeder Gemeinschaft außer dem Waizen, den Frommen und Kindern Gottes, Kinder der Bosheit und Unkraut genug. Und wäre nur die Zahl der Bösen unter den Guten immer dieselbe wie bei den Jüngern Christi, wäre doch immer nur ein Zwölftel der ganzen Anzahl böses Unkraut? Aber so ist es nicht! Das Unkraut wuchert im Reiche Gottes, wie auf andern Aeckern, und kommt an Menge hie und da dem Waizen gleich, ja übertrifft ihn. Sehen wir nur um uns in der nächsten Nähe! Besuchen wir die Einwohner dieser Pfarrei von Haus zu Haus, wecken wir in uns die Erinnerungen an alles auf,| was wir in einer Reihe von Jahren an allen und jeden wahrgenommen; bei wie vielen wird sich uns die Wahrscheinlichkeit, daß sie Kinder der Bosheit seien, zwingend und unausweichlich aufdringen! Und heben wir unsre Augen auf und schauen in weiteren Kreißen umher, − oder, wenn wir Lust haben, gehen wir hinaus von Land zu Land, von Volk zu Volk, durchziehen wir die ganze Erde: es wird sich der Acker der Welt überall ähnlich, ja gleich sein, Christi Wort und Gleichnis vom unkrautvollen Waizenacker wird allenthalben paßen. Ach, wenn man − vorausgesetzt, daß man nicht selbst Unkraut der Welt ist! − wenn man anfängt, zu prüfen und zu fragen! Welch ein Jammer, welch „ein Grauen vor denen, die Gott schuf,“ überfällt zuweilen die Seele! Wie ist die Welt voll Bosheit, also daß man Aug und Acht schärfen muß, um die Kinder des Reiches zu entdecken und herauszufinden! Weltkenntnis ist eine traurige Sache: es sind der Bösen gar zu viele − und die wenigen Guten wohnen unter ihnen so spärlich und gefährlich! An manchen Orten zumal ist es ein reines Wunder, daß sie nur nicht erstickt werden vom Unkraut. Bei der Betrachtung des großen Ackers, auf dem die Menschheit grünet, reifet, Früchte trägt, ist daher manchem aller Glaube an ein beßeres Geschlecht erloschen, mancher hat gar verzagen und die Hoffnung wegwerfen wollen; − und wenn sich vollends die Abgründe des eigenen Herzens und Lebens aufthaten, wenn man sich selbst dem Unkraut so ähnlich fand, daß man den Muth verlor, sich in Christo JEsu für gerettet und erneut zu erkennen und zu bekennen: ach, was für ein unaussprechliches, tödtlich-dumpfes Weh bemächtigte sich dann der armen, gejagten Seele! − Eine solche Mischgestalt der Welt, meine Brüder, wäre ein unerträglicher Anblick für uns, wenn wir nicht durch eine völligere Erkenntnis der Wahrheit doch getröstet und beruhigt würden. Die völligere Wahrheit laßt uns nun betrachten − und sie begegne uns unserm Evangelio gemäß in der Antwort auf die schon erwähnten Fragen: Woher − warum − wie lange? Woher diese Mischgestalt? Warum wird sie geduldet? Wie lange wird sie geduldet?
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 Woher die Mischgestalt der Welt? Das ist die erste Frage, bei welcher vielleicht mancher unter euch gleich Eingangs eine Gegenfrage zu thun Lust hätte. Ist, so könnte man nemlich sagen, ist die Antwort auf die gethane Frage nach dem Ursprung der Mischgestalt der Welt, sie falle nun aus, wie sie will, geeignet, eine Beruhigung zu geben? Kann sie trösten? Ein tödlich Kranker liegt vor uns auf dem Lager; die Seinigen quälen sich herauszubringen, woher die Krankheit kam: hilfts ihnen, hilfts dem Kranken, auch wenn sie auf den Grund kommen und die richtige Antwort finden? − Auf diese Gegenfrage können wir ruhig erwiedern: Nein, an und für sich ist dem Kranken und den Seinigen damit noch gar nichts geholfen, und es ist in der That oft eine eben so unleidliche, als vergebliche Qual, solche Untersuchungen anzustellen oder anzuhören. Manchmal jedoch werfen auch verständige Aerzte dergleichen Fragen auf und laßen sich von deren Beantwortung in ihrem ganzen Heilverfahren leiten. Und zuweilen liegt in der sicheren Kunde von des Uebels Ursach eine bestimmte Weisung, ob fröhliche Lebenshoffnung, ob thränenreiche, schmerzliche Ergebung in Gottes Wege Statt haben müße. So ist es auch bei unserer Frage über den Ursprung der Mischgestalt der Welt. Denke dir nur einen Augenblick, die Antwort wäre: der Ursprung ist Gott, Er hat sie angeordnet und es ist Sein unabänderlicher Wille, daß die Welt gemischt, ein Theil böse und ein Theil gut sei. Wäre damit nicht alle Hoffnung von vorn herein abgeschnitten und aller Trost genommen? Wer kann denn wider Gott und wider Seine unabänderlichen Bestimmungen? Nun aber lautet die Antwort ganz anders: „Des Menschen Sohn ists, der da guten Samen säet. Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reichs. Das Unkraut sind die Kinder der Bosheit. Der Feind, der sie säet, ist der Teufel.“ Also haben die Kinder der Bosheit nicht einerlei Recht in der Welt mit den Kindern des Reiches. Also ist die Welt in Christi Gewalt, Sein Acker, − nur die Seinigen besitzen den Acker und haben Recht auf ihn, die Bösen haben kein Anrecht an ihn, so wenig als das Unkraut an irgend einen Acker, aus dem es sich breit gemacht hat. Die Bösen sind vom Satan und werden nur geduldet, wie das Unkraut auf dem Acker geduldet wird, und der HErr des Ackers hat an ihrer Saat kein Theil, an ihrem Dasein kein Wohlgefallen, zur Zeit nur Geduld mit ihnen, und was Er mit ihnen thun wird, das wird sich zeigen. − Und was also die Beantwortung unserer eigentlichen Frage angeht; so können wir auf Grund der Reden des HErrn ruhig| sagen: „Die Mischgestalt ist nicht von dem HErrn, sondern vom Teufel; nicht der HErr, der Teufel hat sie beabsichtigt und bewirkt.“ Und in dieser Antwort liegt denn allerdings schon große Hoffnung. Denn was nicht vom HErrn, was Seinem Willen zuwider ist, das hat kein Bleiben, das wird untergehen, so wie der Odem seines Mundes ausgeht und das Urtheil des Todes gesprochen wird.

 Freilich, daß also ein Theil der Menschen Teufelssaat ist, daß die Kinder der Bosheit dem Fürsten der Finsternis zugesprochen werden, und das von dem untrüglichen Munde Gottes selber, von dem liebevollsten Munde Deßen, der Gott und Mensch ist, der mit den Menschen fühlt und mit göttlichem Erbarmen sich zum Sünder neigt: das ist schrecklich und sollte uns erschüttern bis in die tiefsten Gründe unsrer Seele, uns von den Lagern und Ruhestätten altgewohnter Sünden mit Macht aufschrecken und uns mit Muth und Kraft beseelen, die Feßeln zu zersprengen, in denen uns etwa die Obrigkeit der Finsternis noch hält. Aber so schrecklich auch diese Reden Christi vom Teufel und seiner Gewalt sind, so haben wir doch nicht Ursache, ihrethalben andere Seiner Worte zu vergeßen, durch welche unsern Schrecken und dem Gebiete des Wortes, welches wir heute lasen, Grenzen angewiesen werden. Steht denn in einem Worte alles? Ist ein Wort der Bibel die ganze Bibel und kann man um eines Wortes willen, das der HErr gesprochen, alle andern, die in gleich liebevoller und weiser Absicht gesagt sind, ungehört und unbeachtet bei Seite laßen? Die Bösen sind eine Saat des Teufels, aber waltet denn über ihnen eine unabänderliche Verfügung des Allerhöchsten, daß sie böse bleiben müßen? Kann Gott alles, nur nicht des Satans Werk zerstören? Wir sind ja von Natur alle Kinder des Zorns − und wenn die Guten für die Welt eine Aussaat Christi sind, gesäet um gute Frucht zu bringen, so hat Er sie eben, ehe Er sie säete, gut gemacht, und jene heiligen und herrlichen Worte von der Wiedergeburt des Menschen, von deren Möglichkeit und Wirklichkeit, werden deshalb durch das heutige Gleichnis nicht umgestoßen oder Lügen gestraft, sondern man muß beide im harmonischen Zusammenklang verstehen. Ist aber das wahr, daß der HErr einen Theil der Menschen gut gemacht hat, so kann ein Gleiches auch bei dem andern Theil geschehen, weil ja Gott will, daß allen Menschen geholfen werde; − und wenn nicht alle gut werden, wenn die Mischung bleibt, so liegt das nicht an einem unabänderlichen Gotteswillen, sondern am Widerstand der Creatur und an der freiwilligen Hingebung des Menschen in die Sklavenketten des Bösewichts, der ein König des Zwiespalts und ein Ursächer ist, daß die Menschheit nicht einig und gut, sondern selbst mitten unter den Jüngern des HErrn Abfall und ein Judas erfunden wird.


 Kehren wir jedoch zurück zu unserm Texte und deßen Betrachtung und beantworten uns die zweite Frage: „Warum wird die Mischgestalt der Welt so lange geduldet?“ − Daß sie nicht immer werde geduldet werden, ergibt sich doch, wie bereits angedeutet, schon aus der Gewisheit, daß sie von Gott nicht stammt, daß sie Gott nicht gefällt, daß der Acker der Welt Sein ist, daß Er in und über demselben walten kann und dermaleins auch walten wird nach Seinem Wohlgefallen. Aber warum verzieht denn Scheidung und Gericht so lange? Den Heiligen Gottes wird es so trüb ums Herz, wenn sie all den Jammer sehen, welcher aus dieser Mischung folgt; warum verträgt denn der Heilige, warum der Erbarmungsvolle, der ewiglich herrschet, die Ungerechtigkeit der Kinder Bosheit und die Noth der Kinder des Reiches so lange? Es unterliegt doch oftmals der Fromme so himmelschreiend seinem bösen Nachbar, und der Gottlose siegt oft so vollständig und seine Macht drückt so empörend aufs Herz des beßeren Mannes, daß man in Versuchung kommt, mit den Donnerskindern Zebedäi nach Feuer vom Himmel zu rufen. Oft sieht man solches Siegen und Unterliegen nicht bloß im Lebenslaufe einzelner, oft betrifft es Geschlechter und Völker − und der gewaltige Eindruck wird dadurch nur noch verstärkt, die Frage „warum“ desto tiefer ins Herz gedrückt, um desto höher und sehnlicher zu Gott aufzusteigen. Also warum, warum verträgt der HErr diese abscheuliche Mischgestalt der Welt so lange, warum wird des unseligen Wirrwarrs so lange kein Ende? Möge uns diese Frage gelöst, oder beßer zu reden, diese Anfechtung abgenommen und uns Licht gegeben werden können, wo uns die Dunkelheit so sehr beunruhigt und fast zum Aergernis wird!

 Es gäbe der Antworten manche, welche man geben könnte. Man könnte tröstend mit dem HErrn sprechen: „Laßet das Unkraut mit dem Waizen wachsen bis zur| Aernte.“ Denn es liegt in den Worten ein Trost. Der HErr sagt ja nicht: „Laßet den Waizen bis zur Aernte von dem Unkraut gehindert und im Wachsen aufgehalten, oder gar ertödet werden,“ sondern: „Laßet beides miteinander wachsen!“ Also wird der Waizen durch das Unkraut doch nicht überwältigt, nicht getödet, sondern er kann mit dem Unkraut wachsen, fortwachsen, er stirbt nicht aus, sondern was der Menschensohn gesäet hat, bleibt. „Alle Pflanzen, die Mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, werden ausgereutet werden,“ spricht der HErr − aber Seinem Waizen spricht Er Leben und Gedeihen mitten unter schwerem Unglück zu. − Und man könnte nun, vom Gleichnis ein wenig ablenkend, aber dennoch den Hauptgedanken desselben im Auge, fortfahren und sagen: Es blieben in Canaan Philister übrig, nachdem das Land von den Kindern Israel eingenommen war, so daß die Einwohnerschaft des Landes als ein Gemisch erschien, wie man es auf dem Acker der Welt sieht. Warum hat der HErr das zugegeben? Damit Sein Israel eine kräftige Ursache zur Wachsamkeit hätte und nie vergäße, daß einst andere Völker im Lande wohnten, daß es den Sieg über diese nur durch Gnade gewonnen, daß ihm, wenn es den Völkern gleich würde an Bosheit, dasselbe Loos bestimmt werden könnte; damit es gegen Gott dankbar, gegen die Völker streitbar bliebe und sein Verlangen nach vollkommener Freiheit desto größer würde. So bleiben allenthalben auf dem Plan der Welt die Frommen unter Bösen, damit auch sie lernen, wie ganz von Gottes Gnaden sie leben und gedeihen, damit sie nicht vergeßen, wie häßlich das Böse ist, sondern gegen dasselbe streiten, Gott fröhlich für Seine gnädige Unterstützung danken und allezeit wachen und beten um das Ende der mühseligen Zeit, um den Anfang der ewigen Herrlichkeit. Es dient also den Frommen der Aufenthalt im Haufen der Bösen zur Vollendung, − den Gottlosen aber wird durch Hinausschiebung des Gerichtes Frist gegeben und heilsame Schonung bewiesen. Der Geist des HErrn geht im Wort aus in alle Lande und beruft und lädt und nöthigt die Menschen und wandelt sie, so viele ihrer versehen sind, um zu Kindern Gottes, mehrt den Waizen aus dem Unkraut und beweist so an den Bösen, wie auch an den Frommen, was St. Petrus sagt, daß „die Geduld des HErrn unsre Seligkeit ist“.

 Jedoch sind diese Gründe nicht in allen Fällen hinlänglich uns zu trösten. Es wird doch viel Waizen unterdrückt durch das dichte Unkraut, welches sich umher drängt, − und der Sieg des Bösen ist oft, wie bereits bemerkt, zu himmelschreiend, als daß man viel hoffen könnte. Das Reich wird gewaltig gehindert, die Kräfte und Wirkungen der Gnadenmittel zurückgestoßen, hie und da erhebt sich freches Unkraut, das jeder umwandelnden Kraft des Gotteswortes trotzt, und es gibt sich zuweilen das Böse mit einer solchen Härtigkeit kund, daß man die gütigen Kräfte des göttlichen Wortes, die segnen wollten, in Fluch verkehrt sieht. Es fallen Fromme durch Verführer in Sünden und die Hölle jauchzt, − es werden Leuchter umgestoßen, Gemeinden des HErrn in Belialsrotten verwandelt, statt Buße und Beßerung kommt Verhärtung, statt Bewährung Abfall − und die Geduld des HErrn scheint umsonst. Da bedarf es dann einer andern Antwort, wenn man sich zufrieden geben soll, − und die sollen wir nun vernehmen.

 Als die Knechte im Gleichnis die Unkrautsaat gewahr wurden, welche sie ihrem HErrn nicht zutrauen konnten, traten sie zu ihm und sprachen: „HErr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesäet, woher hat er denn das Unkraut?“ Er sprach zu ihnen: „Das hat der Feind gethan.“ Da sprachen die Knechte: „Willst du denn, daß wir hingehen und es ausgäten?“ Er sprach: „Nein, auf daß ihr nicht zugleich den Waizen mitausraufet, so ihr das Unkraut ausgätet. Laßet beides mit einander wachsen bis zur Aernte.“ − Wenden wir das an, wie es angewendet werden soll, so liegt darin nicht bloß ein Gedanke, sondern zwei. Der eine Gedanke ist: „Ihr sollt das Unkraut nicht ausgäten.“ Der zweite ist: „Auch ich selbst will es nicht ausgäten bis zu der Aernte Zeit“; denn indem den Knechten befohlen wird, es bis zur Zeit der Aernte stehen zu laßen, ist zugleich angezeigt, daß vor der Aernte überhaupt keine Vertilgung des Unkrauts Statt haben soll.

 Hiemit ist den Knechten die einfache Warnung gegeben, den Gerichten des HErrn vorgreifen zu wollen, und ausgesprochen, daß auch der HErr weder mittelbar noch unmittelbar eingreifen wolle vor der Zeit. Er verweist also alle über den Mischlingszustand der Welt Angefochtenen auf den ergebungsvollen Glauben an Sein Thun und spricht ihnen mit deutlichem Ausdruck Seinen vielleicht manchem unwillkommenen, aber| am Ende heilsamsten Entschluß aus, „im Dunkeln wohnen“ zu wollen bis zum großen Tage, an dem Er Recht behalten wird und rein bleiben gegen alle, die lieber Seine heiligen Wege meistern, als trotz alles scheinbaren Widerspruchs an Seine Gerechtigkeit und Gnade glauben wollen. Ob diese Antwort denen genug sein wird, welche über die Folgen des traurigen Gemisches von Gutem und Bösem klagen, das sich auf Erden findet? Ob sie nicht sprechen werden: „Dunkel war uns die Sache schon zuvor, und es liegt keine Beruhigung darin, daß du uns aus dem Texte nachweisest, daß sie wirklich dunkel sei!?“ Möglich, daß diese Einwendung gemacht wird. Dagegen aber ist doch zu bemerken, daß es ein großer Gewinn und eine tiefe Beruhigung der Seelen ist, bei dem Blick in eine Dunkelheit zu wißen, Gott wohne im Dunkel, wolle drin wohnen und verbiete jeglichen Versuch, es aufzuhellen. Und wenn nun vollends die Dunkelheit von der Art ist, daß ihr Gott Selbst die Schrecken nimmt, daß Er sie als eine Dunkelheit der Gnaden verkündigt: wie dann? Ist dann nicht alles geschehen, was zur Beruhigung dient? Ich denke, ja. Nun ist aber die Dunkelheit, die über dem Mischlingszustande der Welt ruht, ausdrücklich als eine solche bezeichnet, die in der Gnade ihren Grund hat. Indem der HErr den Knechten das Ausgäten deshalb verbietet, weil sie Waizen mit dem Unkraut ausraufen könnten, ist nicht bloß Seine Sorgfalt für den Waizen ausgesprochen, sondern auch gesagt, daß des Waizens mehr sei, als die Knechte erkennen, − daß manches für Unkraut gehalten werden könnte, was Waizen ist, − daß mancher Waizenstock vom Unkraut umschlungen sein und beim Ausgäten mit ausgerauft werden könnte, daß dann die menschliche Blindheit und das menschliche Ungeschick ein zu unbarmherziges Gericht ausüben würde, − daß der HErr von vielem Unkraut noch Umwandlung zu Waizen und für vielen Waizen, der durch Unkraut zu ersticken scheine, unter Seiner Segenshand noch Rettung hoffe. Ist nun nicht aus diesen Worten Christi offenbar, daß die Dunkelheit, welche über dem Gemisch der Welt liegt, doch nichts anders ist, als Liebe und daß der HErr voll Gnade ist? Wenn nun gleich die jammervollen Folgen des Mischzustandes der Welt zum Himmel schreien; so ruft doch vom Himmel eine göttliche Stimme der Barmherzigkeit die Zagenden zur Geduld und verheißt ihnen die volleste Befriedigung am Ende. Fügen wir uns drein, faßen wir uns im Glauben, legen wir uns vertrauensvoll an des HErrn Brust und mit uns die ganze Welt, laßen wir uns zu keinem Gedanken an Menschenhilfe bewegen, heben wir nie die Hand gen Himmel, um Feuer und Blitze zu empfangen, laßen wir Gott alleine walten: Er wird es alles versehen, und wird für alles, auch für das Trost gewähren, wofür der Trost unmöglich scheint.

 Schon in dem bereits Gesagten ist die Grenze der Geduld Gottes angegeben. Gott wird sich nicht immer gedulden, sondern Seine Geduld, die noch kein Ende hat, wird doch ihr Ende finden am Tage des Gerichtes. Davon spricht der letzte Theil des Gleichnisses im Texte: „Um der Aernte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammlet zuvor das Unkraut und bindet es in Bündlein, daß man es verbrenne, aber den Waizen sammlet mir in meine Scheuern.“ Und die Erklärung dieser Worte ist uns in unserm Textcapitel selbst aufbewahrt. Denn so spricht der HErr V. 39–42: „Die Aernte ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel. Gleichwie man nun das Unkraut ausgätet und mit Feuer verbrennt; so wirds auch am Ende dieser Welt gehen. Des Menschen Sohn wird Seine Engel senden, und sie werden sammeln aus Seinem Reiche alle Aergernisse und die da Unrecht thun, und werden sie in den Feuerofen werfen, da wird sein Heulen und Zähnklappen. Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich!“

 Was das Gleichnis in verhüllter Weise sagt, das predigt die Auslegung auf das Zuversichtlichste, die Wahrheit nemlich: der Mischlingszustand hört auf; er überdauert die Zeit und Grenzen dieser Welt nicht; in jener Welt ist, was Gott nicht gesäet, von Seiner Saat und Aernte geschieden. − Und nicht bloß diese einfache Wahrheit liegt in Christi Worten. Zur Bestätigung derselben wird der Verlauf erzählt, in welchem die Scheidung des Gemisches erfolgen soll. Achtet dieses Verlaufes, meine Freunde! Erst werden alle Aergernisse und die da Unrecht thun, wie Unkraut aus der Erde ausgezogen, in Bündlein gesammelt und in den Feuerofen geworfen, − dann leuchten die Gerechten wie die Sonne in ihres Vaters Reich. Die Erzählung sagt nicht, daß die Gerechten wie Waizen von| der Erde abgeschnitten, in Gottes Scheuer eingeheimst und dann das Unkraut mit dem Boden, auf dem es gewachsen, dem Feuer übergeben werde. Wenn es so lautete, so würde man den Gedanken faßen können: also ist die Erde nicht des HErrn, sondern des Teufels Acker gewesen und sie hat drum einerlei Theil mit den Kindern der Bosheit und ihrem Fürsten, dem Teufel; also hatten die Kinder der Bosheit einen siegreichen Anspruch an die Erde, und sie ist verflucht wie jene selbst. Nun aber das Unkraut ausgegätet wird, erkennt man, daß es mit Unrecht auf dem Acker stand, − und da es in den Feuerofen geworfen und erst hernach die Erde mit Feuer verbrannt wird, so ist klar, daß es ein anderes Feuer ist, welches die Widerwärtigen empfängt, und ein anderes, welches die Erde verzehren wird. Was die Widerwärtigen verzehrt, ist ein ewiges, unsterbliches Feuer der Hölle; was die Erde verzehrt, ist ein zeitliches, vergängliches Feuer, das nur Raum macht für den Aufbau einer neuen Erde. Die Erde, wie sie annoch steht, ist also nicht ein verfluchter Acker Gottes, sondern eine Creatur, die sich sehnt nach der Offenbarung der Kinder Gottes, weil auch sie dann frei werden wird vom Dienst des vergänglichen Wesens, zu dienen dem lebendigen Gott.

 Die Gerechten werden am Ende nicht von den Bösen geschieden werden, sondern die Bösen von den Gerechten; denn nicht haben sich diese in das Recht jener, sondern jene in das Recht dieser eingedrängt, und es muß gezeigt werden, wer das Recht und wer das Unrecht hatte auf dem Acker der Welt. Die Bösen werden vor den Gerechten von der Erde genommen; denn die Gerechten sollen Zeugen werden der gerechten und vollkommenen Scheidung, welche die Engel Gottes nach ihrer heiligen Weisheit vornehmen werden. Die Frommen sollen auf dieser Welt noch alleine stehen in ihrem vollen Rechte an den Acker, auf dem sie gewachsen sind. Sie sollen ihre Lust sehen an ihren Feinden und des Sieges froh werden, den ihnen Gott verleiht. Wenn ich sage: „Sie sollen ihre Lust sehen an ihren Feinden“; so weiß ich wohl, was sich bei einer solchen Aeußerung in den Herzen mancher unter euch für misbilligende Gedanken erheben werden, als hätte ich den Menschen, die Gottes Waizen heißen und in Seinen ewigen Scheuern ruhen sollen, eine sündliche Schadenfreude zugeschrieben. Allein, das kam mir nicht zu Sinn! Wenn die Aernte der Erde gekommen ist und die Summe aller Dinge, auch aller Sünde gezogen wird; dann erstirbt in Gottes Heiligen jede Sünde, und von dem Leben jenes Tages gilt ohne Zweifel, was vom Tode geschrieben; dann ist man gerechtfertigt von jeder Sünde. Aber eben drum wird man so ganz in Gottes Willen und in Gottes Freude leben, daß man sich auch Seiner Gerichte freuen wird: denn dann beginnt Gott zu werden Alles in Allem. Die Heiligen Gottes werden dann nicht bloß gesiegt haben über alles Unkraut der Welt, sondern sie werden auch Triumphe feiern − und es wird von allen Lippen der Auserwählten das wonnevollste, anbetendste Dreimalheilig erklingen. Gott wird gerechtfertigt sein in allen Seinen Wegen; auf alle Seine Wege hienieden wird ein vereintes Licht der Heiligkeit und Barmherzigkeit fallen, und wir werden erkennen, wie groß unsre Schwachheit war, als wir über die jammervollen Folgen des Mischzustandes der Welt so manchmal klagten, als es fast den Anschein hatte, als müßten wir um Gottes Gerechtigkeit sorgen und Ihn, den frommen HErrn, vor Fehlern warnen.

 Dann werden aber auch „die Gerechten − und gebe Gott, wir unter ihnen! − leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich.“ So wie das Unkraut entfernt und seinem ewigen Loose übergeben sein wird, werden die Gerechten aufleuchten wie die Sonne. Sie wird kein ewiger Feuerofen aufnehmen, sondern im irdischen Feuerofen der Trübsal und Anfechtung gereinigt und lauter geworden, werden sie selber wie ewige Lampen, ja wie Sonnen zu Gottes Ehren leuchten in Seinem weiten Hause. „Sie werden leuchten“; heißt das: „sie werden selig sein“, oder: „sie werden heilig sein“? Ich achte, es ist keine Trennung mehr anzunehmen. Sie sind in ihres Vaters Reich − und also selig und heilig vereint: alle Seligen sind heilig, wie alle Heiligen selig sind. Wie die Sonne aufleuchtet und hervor kommt in ihrer Pracht, so werden sie dann ihren ewigen Tag der Ehren beginnen, feiernd, selig, herrlich!

 Von dem Unkraut wird gesagt, daß es in Bündlein gebunden werden soll; von dem Waizen wird es nicht gesagt. Man könnte daraus den Schluß auf eine sehr große Zahl von Unkraut und auf eine bei weitem geringere Anzahl von Waizen machen. Und richtig wird, wie andere Stellen der heiligen Schrift beweisen, der Gedanke sein, auch wenn er kein richtiger| Schluß aus unserem Texte wäre. Dennoch aber wird auch von dem Waizen der Ausdruck „sammeln“ gebraucht, und auch für ihn gibt es ewige „Scheuern“, so daß man dennoch daraus auf eine reiche Versammlung von Heiligen an jenem großen Tage schließen darf und muß. Wenn sie nun alle leuchten werden: wem werden sie dann leuchten als einander, und wem wird dann an ihnen allen die Herrlichkeit Gottes offenbar werden, wenn ein jeder an dem andern, jeder an allen, alle an jedem die Offenbarung der richtenden und scheidenden Gnade und Wahrheit Gottes erkennen wird? Sie werden alle zu Gottes Ehren leuchten, aber auch alle einander zur Freude, in Liebe und aus Liebe und zur Offenbarung der Liebe. Das Haus Gottes wird von Sonnen erleuchtet sein ohne Zahl und die Gemeine der Heiligen − was für ein Strom des Lichtes und unaussprechlichsten Lebens um den Stuhl Gottes her wird sie sein!

 Und dann wird zwar Wechsel und Mannigfaltigkeit von ungeahnter Art den Himmel füllen; aber es wird kein Wechsel mehr sein zwischen Licht und Finsternis, keine Störung, keine Ungleichartigkeit, nichts was an ein Zusammensein von Waizen und Unkraut mehr erinnern könnte; sondern aus dem Gemisch des irdischen Lebens wird, wie aus dem Chaos der Schöpfung, der ewige Tag hervorgegangen sein und ferne von ihm wird die Finsternis und ihr Feuerofen und ihr Heulen und ihr Zähneklappen sein. Es wird geschieden sein ewiglich, was Gott nicht zusammengefügt hat, die Gemeinschaft der Heiligen und der Haufe der Verfluchten.


 „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ So schließt der HErr Seine Auslegung des Gleichnißes. Habt ihr Ohren, so höret, wie sichs am Ende scheidet, − und weil ihr wißet, daß der HErr die ewige Scheidung hinausgeschoben hat, auf daß Seine Geduld unsre Seligkeit werde; so bedenket zu dieser eurer Zeit, was zu eurem Frieden am großen Scheidungstage dienen wird. Es kann sein, daß noch viele Geschlechter zu Grabe gehen, bis der Tag erscheint; aber vergeßt nicht, daß vor dem Tode für einen jeden die Saat ist, die seis Wohl, seis Wehe für ewig trägt. Die Spanne Zeit entscheidet deine Ewigkeit. Drum scheide dich einstweilen selbst von allem Bösen und trachte vor allen Dingen nach dem Reiche Gottes und Seiner Gerechtigkeit und nach der Beständigkeit bis zum Tode, auf daß du angeschrieben und angezeichnet seiest unter denen, die von heiligen Engeln gesammelt werden in die ewigen Scheuern. Und wenn einer unter uns ist, des Name „Aergernis“ ist, oder der „Unrecht thut“, der stehe ab von dem bisherigen Lebensweg und eile, kehre ein zu den Kräften seiner Taufe und des Wortes Gottes und laße aus sich eine Aehre Gottes bereiten, die wie die Sonne leuchte in des Vaters Reich!

 HErr JEsu Christe, gedenke unser in Deinem Reiche! Amen.




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