Etwas von Alpenvereinen
[727] Etwas von Alpenvereinen. Es geht unleugbar ein starker wissenschaftlicher Zug durch unsere Zeit. Auch die „edle Touristerei“ ist eine Wissenschaft geworden. Man werfe nur einen Blick in die zum Theil sehr glänzenden und sehr gelehrten touristischen Publicationen, und man wird sich dieser Wahrheit nicht verschließen können. Ein Hauptverdienst daran haben die „Alpenvereine“, die Sammel- und Pflegstätten des Touristenwesens. Und doch dürfte es eine Menge „Gartenlauben“-Leser geben, welche nie etwas von dem deutsch-österreichischen Alpenvereine gehört haben, der mit seinen 68 Sectionen und 8000 Mitgliedern unzweifelhaft zu den imposantesten Vereinen nicht nur Deutschlands und Oesterreichs, sondern der Welt überhaupt zählt.
Die Entstehungsgeschichte dieses Vereins ist bald berichtet. Sie beginnt mit der Bildung zahlreicher localer Touristenvereine zunächst in Oesterreich und weiterhin durch Deutschland, aus welchen sich, dem Vorgange des 1858 gegründeten Londoner „Alpine Club“ folgend, zunächst 1862 in Wien ein österreichischer, dann 1869 ein deutscher Alpenverein zusammenthat; beide vereinigten sich, einem instinctiven Drange folgend, 1874 zu dem großen „deutsch-österreichischen Alpenvereine“.
Unsere weite Gotteserde hat wenig schönere, reinere und erhebendere Genüsse zu bieten, als den der ewigen herrlichen Natur. Sie vermag den Genießenden bis in das innerste Herz zu beglücken, und der beglückte Mensch ist mittheilsam; er will erzählen, will schildern, will Andere desselben Glückes theilhaftig werden lassen. Darum sind die Touristen so redselig; sie wollen auch die übrige Menschheit zu ihrem Cultus bekehren und ihr dessen ungekannte Genüsse vermitteln. Von allen Seiten lassen sie ihre Batterien gegen die Gleichgültigkeit des Publicums spielen. Sie fassen uns bei unserem wissenschaftlichen Interesse, bei unserem Lerntriebe. Sie erschließen und schildern uns die majestätische Gletscherwelt und erzählen uns von dem Leben und Weben, Drängen und Treiben derselben. Verführerisch malen sie uns die Reize der Alpenflora und wecken unsern botanischen Forschungstrieb; die Geologie, Meteorologie, Länder- und Völkerkunde haben an ihnen eifrige Pioniere, die auch auf den liebenswürdigen Irrgängen des Dialektes und der Dialektdichtung der Volksseele nachspüren. Und wie sie der Cultur die Wege ebnen, ebnen sie diese auch den nachfolgenden Culturträgern selbst. Sie bauen auf gemeinsame Kosten Wege und Unterkunfts- und Schutzhäuser; da ein massives steinernes Gebäude auf schwindelerregender Höhe, dort eine leichte Hütte; sie richten all diese bereits sehr zahlreichen Baulichkeiten zweckmäßig ein, sodaß der Wanderer selbst in den unwirthlichsten Gegenden des Segens der Civilisation nicht entbehrt.
Wenn man die Mitgliederliste der verschiedenen Sectionen des deutsch-österreichischen Alpenvereines durchblättert, bekommt man, wohl oder übel, Respect vor einer Association, in welcher sich, man kann sagen, die Blüthe des deutschen und österreichischen Volkes zusammengefunden hat. Alle Berufsarten und alle Stände sind da vertreten, am stärksten wohl der Stand der gewerbsmäßigen Stubenhocker, der Gelehrten.
Sehen wir uns beispielsweise den Berliner Touristenclub, der auch nur eine Section des Vereins bildet, näher an! Berlin hat bekanntlich von der Nachbarschaft eines Hochgebirges wenig zu leiden, und ein Berliner Tourist hat schon ein gutes Stück Weg zu machen, ehe er sich an der Herrlichkeit der deutschen Alpenwelt erquicken kann. Darum zählt der Club auch nur 96 Mitglieder; unter diesen aber gehören fast alle dem Gelehrten- und Künstlerstande an, und 57 davon haben ihr Doctordiplom in der Tasche. Die stärkste Section wird wohl die Wiener sein mit ihren 1080 Mitgliedern. Der Vorstand der Wiener Section ist der Reichsfinanzminister Freiherr von Hofmann, ihr Schriftführer der Staatsanwalt C. Adamek. Leipzig, das deutsche Klein-Paris, läßt sich auch nicht verspotten: es beherbergt 121 Touristen, welche unter der Leitung des Universitätsprofessors Dr. Pückert wacker mitarbeiten in dem großen deutsche Touristenconcerte.
Fast alle größeren deutschen und österreichischen Städte haben ihren Touristenverein; wir nennen außer den bereits erwähnten: Augsburg mit 116 Mitgliedern, Breslau mit 57, Constanz mit 94, Darmstadt mit 44, Dresden mit 133, Frankfurt am Main mit 205, Graz mit 137, Hamburg mit 85, Heidelberg mit 48, Innsbruck mit 139, Karlsruhe mit 62, Klagenfurt mit 142, Laibach mit 60, Triest mit 107, Landshut mit 81, Linz mit 190, Marburg an der Drau mit 33, Meran mit 91, München mit 650, Nürnberg mit 117, Passau mit 190, Prag mit 156, Regensburg mit 89, Section Rheinbund mit 128, Rosenheim mit 84, Salzburg mit 261, Ischl mit 69, Stuttgart mit 140, Steyer mit 75, Villach mit 59, Bregenz mit 212, Würzburg mit 97 Mitgliedern etc..
Um das große Publicum für ihre Thätigkeit zu interessiren, veranstalten die verschiedenen Sectionen von Zeit zu Zeit alpine Ausstellungen, und diese pflegen thatsächlich sehenswerth zu sein. Da sind dann vertreten die alpine Flora, Fauna und Geologie, wissenschaftliche Instrumente, Reise-Utenstlien, Ausrüstungsstücke, Reise- und alpine Literatur, Karten, Panoramen, Bilder in allen Techniken, Pläne, Conserven u. dergl. m.
In der Section Algäu-Immenstadt mit Lindau wurde jüngst in der Generalversammlung, gleichsam zur Instruction, das Ideal einer touristischen Ausrüstung durch ein lebendiges Exemplar vordemonstrirt. Ein Vereinsmitglied war vollständig herausstaffirt worden, und es zeigte sich, daß zu einer durchaus vollständigen, zweckmäßigen Gesammtausrüstung nicht weniger als 250 Gegenstände nothwendig seien. Da darf die Reiseapotheke ebenso wenig fehlen, wie die Nähnadel, wie die Kochmaschine, der rationelle Bergstock, Bergschuhe, Eishacke, Steigeisen, Eispickel, Gletscherseil, Feuerzeug, Taschenmesser, Gletscherbrille, Fernrohr, Zeichenmappe; die wissenschaftlichen Instrumente gehören natürlich mit dazu, so Taschenzirkel, Thermometer, Aneroïd (Instrument zur Messung des Luftdruckes), Winkel-, Curven- und Schrittmesser, botanisches, entomologisches und mineralogisches Besteck etc.. Das alles muß möglichst handlich und praktisch gepackt sein, und wer, so ausgerüstet, seine Tour antritt, wird, trotz der allerpraktischsten Packung, eines Führers oder Trägers nicht leicht entrathen können.
Touristenvereine haben auch andere Länder aufzuweisen; zum Theil sind ihre Ziele andere Gebirge, als die im engern Sinne sogenannten „Alpen“. In bunter Reihenfolge seien nur folgende ausländische alpine Verbindungen genannt: „Club alpin français“, „Club alpino Italiano“, „Schweizer Alpenclub“, „Alpine Club“ in London, „Ungarischer Karpathen-Verein“, der „Galizische Tátra-Verein“ etc.. Mit diesen Vereinen unterhält der „deutsch-österreichische Alpenverein“ lebhafte Verbindungen, und außer mit den genannten Vereinen steht er noch im Tauschverkehr mit der „Aardrijkskundig Genootschap“ in Amsterdam, mit der „Gesellschaft für Erdkunde“ in Berlin, mit der „k. k. Geographischen Gesellschaft“ und der „k. k. Geologischen Reichsanstalt“ in Wien, mit der „Sociedad geografica“ in Madrid, mit der „kaiserlichen Geographischen Gesellschaft“ in St. Petersburg etc..
Die alpine Literatur – und wir haben hierbei natürlich lediglich die periodische im Auge, die allein sich halbwegs controlliren läßt – ist eine sehr große. Bisher sind mir bekannt geworden: „Der Alpenfreund“, „Die Alpenpost“, „Alpenzeitung“, „Touristische Blätter“ (mit dem belletristischen Beiblatt „Die Alpencither“), „Der Tourist“, „Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg“, „Jahrbuch des schweizer Alpenclubs“, „Zeitschrift des deutschen und österreichischen Alpenvereins“ (hervorgegangen aus den „Mittheilungen“ desselben Vereins), das „Jahrbuch“ ebendesselben Vereins; zu diesen gesellen sich: „Alpine Journal“, „Bolletino del Club alpino Italiano“, „Bulletin trimestriel du Club alpin français“, „Bulletin de la Section du Sud-Ouest“ (Bordeaux), „Annuaire du Club alpin français“ etc. in schier unabsehbarer Folge.
Wir schließen mit dem Wunsche: möge die fröhliche Wanderlust und der ernste wissenschaftliche Trieb immer so würdige Pflegestätte haben, wie sie jetzt besitzen an den wackeren Sectionen des großen „deutsch-österreichischen Alpenvereins“, dem die Alpenländer einen guten Theil ihres jetzt so erhöhten Touristenverkehrs zu danken haben und der durch seine würdigen literarischen Publicationen, durch seine Wege- und Hüttenbauten und die von ihm bewirkte Organisation und Sicherung des Führerwesens gründlich die Meinung widerlegt, als handelte es sich dabei nur um eine Gesellschaft von Bergsteigern zur Veranstaltung waghalsiger Klettertouren.[1]
- ↑ Nähere Auskunft über die Vereinsbestrebungen giebt der soeben erschienene Rechenschaftsbericht „Der deutsche und österreichische Alpenverein. Ein Blick auf seine Ziele und seine bisherigen Leistungen.“ (Graz, Leuschner und Lubensky.)