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Erziehung im Hause

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Erziehung im Hause
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 140–141
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Erziehung im Hause.[1]
Nr. 3. Vater und Mutter.

Mag auch die Erziehung überwiegend der Mutter zugewiesen sein, selten finden wir eine Mutter, welche allein im Stande wäre, ein günstiges Ziel zu erreichen, der Vater muß sie unterstützen. Ebenso wenig werden wir anders, als ausnahmsweise, Fälle entdecken, in denen der Vater allein erwünschte Erziehungsresultate erreicht. Der Vater allein, der Mann, erzieht wohl leichter den Knaben zum Manne, die Mutter allein, das Weib, besser das Mädchen zum Weibe. Knaben ohne männliche Erziehung werden in der Regel Flegel oder Weichlinge. Mädchen, ohne weibliche Erziehung, fehlt meistens die echte Weiblichkeit. Allein, nur unter der Einwirkung von Vater und Mutter, welche sich in ihren Extremen mildern, ihre Lücken ergänzen, ihre Fehlgriffe verwischen, vermag die häusliche Erziehung ihre süßesten und segensreichsten Früchte zu reifen. Glücklich darum auch in dieser Weise die Kinder, denen Vater und Mutter zur Seite geblieben, bis sich die Erfahrung gereift und der Charakter geklärt!

Die gemeinsame Erziehung der Eltern vermag das höchste Ziel zu erreichen. Warum muß sie es nicht? – Warum sprechen die täglichen Erfahrungen unsern Angaben Hohn? – Warum tönt uns jeden Tag das bedeutungsvolle Wort „ungezogen“ entgegen, und bilden „Ungezogenheiten“ stets die überwiegende Menge dessen, was uns die Jugend zeigt? – Auf diese Einwürfe gibt es mehr als eine Antwort, allein ich will für diesmal nur eine geben. Zuvor nur noch die Frage: „Gibt es denn keine Beispiele von guter häuslicher Erziehung?“ – Es wäre Frevel, solches zu behaupten; allein in vielen Fällen sieht man nur deren Resultate, nicht, wie man es angestellt, sie zu erzielen.

Greifen wir jetzt in das Leben hinein, um die Wirksamkeit der Eltern auf ihre Kinder in ihren beiden größten Gegensätzen uns zu vergegenwärtigen!

Der Mann und die Jungfrau lernen sich kennen, nicht blos im Salon, nicht im blendenden Ballputz allein, nicht einseitig noch oberflächlich; auch im Kreise der stillen, häuslichen Wirksamkeit, im bescheidenen Hausgewande, alles prunkenden und täuschenden Flitters baar. Sie lernen sich hochschätzen mit ihren Vorzügen, ohne gegen die entdeckten Schwachheiten blind zu sein, und aus dieser gegenseitigen Hochachtung entspringt jene goldechte Liebe, welche allein ein dauerndes eheliches Glück verbürgt. Eine solche glückliche Ehe und das Familienleben, welches in ihrem Schooße ruht, ist allein der Garten, in welchem eine gute Erziehung gedeihen kann. – Das Wort des Pfarrers am Trauungsaltare: „Ihr müßt eure Kinder erziehen!“ verhallt nicht im Taumel des ersten Glücks, mahnt sie vielmehr seiner Zeit an ihre Pflicht, und doch nicht als Pflicht, als ein angenehmes Vorrecht, als eine Quelle neuen Glücks betrachten sie die Erziehung ihrer Kinder, und ist es denn nicht der edelste und schönste Acker, dessen aussprießende Keime, wie deren allmähliche Entfaltung und endliche Reife uns Augenblicke und Stunden seligen Genusses gewähren, wenn wir die Mühe und Sorgen des Gärtners nicht scheuen? – Darum genügt es ihnen nicht, wie tausend Andern, auf’s Gerathewohl in die Erziehung hineinzupfuschen, in dem guten Glauben, so, wie es Jeder mache, sei es eben am besten. Sie begreifen, daß, wenn schon jeder Gärtner, Landmann, Handwerker erst lernen muß, bevor er seine Sache versteht, es wahrhaftig wohl Roth thue, sich auch über die Erziehung zu belehren. So greifen sie denn gemeinsam zu den Werken, welche Belehrung bieten, erholen von gediegenen und erfahrenen Leuten sich praktische Rathschläge, und auf diese Weise befestigen sich in ihnen vernünftige und bewährte Grundsätze der Erziehung. In traulich ernsten Gesprächen werden diese Grundsätze, das Ziel ihres Strebens und der Weg, auf welchem sie dieses erreichen wollen, ihnen gemeinsam. Nur, wenn Vater und Mutter ein und dasselbe wollen und auf ein und dieselbe Weise, wenn beide stets nur wie aus einem Munde sprechen, erwächst im Bewußtsein der Kinder jener wahre Respect vor den Eltern, der, entfernt von Furcht, den liebenden Gehorsam und das sichere Vertrauen gegen die Eltern gebiert.

Voll Vertrauens gegen einander gehen Vater und Mutter sicheren Schrittes vorwärts auf der betretenen Bahn. Es ergreift sie kein Zagen und Schwanken, welches die Kinder als Schwachheit gegen sich auslegen und leicht benutzen. Sie haben keine Ursache, Maßregeln des Anderen zu mißbilligen oder zu widerrufen, viel weniger noch einander Vorwürfe zu machen. Jeder hat vollständig den Respect, den beide genießen, mithin wird keiner von ihnen in Versuchung kommen, den Andern zur Unterstützung seiner Autorität, oder zur Ergänzung des eigenen Verfahrens durch Executionen und dergleichen herbeizurufen. – Die Ergebnisse ihrer Beobachtungen bei den Kindern theilen sie sich sorgsam mit, die auf dem Gebiete der seelischen Entwickelung gleich genau, ja noch genauer, als die Erscheinungen in ihrem Körperleben. Sie führen dadurch gegenseitige Belehrung und Verständigung im Einzelnen herbei, welche sie vor Fehlgriffen zu behüten geeignet ist. Durch eine solche fortgehende Anregung und sich ausbildende Erweiterung des Gesichtskreises mittelst neuer Erfahrungen wird das Interesse für die Idee der Erziehung stets lebendig erhalten, dergestalt, daß selbst Täuschungen bitterer Art dasselbe nicht abzustumpfen im Stande sind.

So gehen Vater und Mutter Hand in Hand, so allein können sie ihre väterliche und mütterliche Einwirkung zur vollen Geltung bringen. Niemand kann sehnlicher, als ich, wünschen, daß in allen Familien Vater und Mutter so aufrichtig, vertrauend und sorgsam Hand in Hand gehen möchten!

Was hindert sie daran?

Wenn den Neuvermählten erst nach den Rosentagen, Wochen oder Monden die Augen aufgehen, nachdem ein flüchtiger Reiz oder allerlei äußere Convenienzen und Rücksichten den unauflöslichen Knoten geschürzt, von welchem der Dichter singt: „Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang!“ wo sollte denn da, in der Nüchternheit der Enttäuschung nach dem Rausche der Vergötterung, Gemüth, Frieden, Lust und Muth herkommen, sich wahren Ernstes der Erziehung der Kinder zu widmen! Nicht zu gedenken dessen, was [141] Leichtsinn, Unwissenheit, Gewohnheit und Beispiel anrichten. Das häusliche Glück wird eine Chimäre, die Familie ein förmlicher Höflichkeitscirkel, das Haus ein Kriegsschauplatz, auf welchem Mißtrauen das Scepter führt, Eifersucht die Kammerzofe spielt, Intriguen die Schauspieler sind und Parteien in Worten und Thaten um die Oberherrschaft oder den Vortheil ringen. Die Kleinen werden nicht berücksichtigt, man meint, die verständen das noch nicht. Aber sie reifen schnell und ergreifen Partei.

Der Ungemüthlichkeit eines solchen Lebens sucht sich Jeder möglichst auf seine Weise zu entziehen, und sich in anderer Umgebung zu entschädigen. Jetzt erziehe nur, Vater! – Du triffst vielleicht vernünftige, weise Anordnungen, aber Deine Macht reicht nicht aus, ihnen immer Folge zu verschaffen. Eine feindliche Macht steht Dir entgegen in dem Einflusse der Mutter, tief eingesenkt in das Herz Deiner Kinder. Deine Consequenz wird Härte, welche sie in ihrer Weise wieder gut macht. Deine Strafen werden Barbarei, welche Dir Aerger, Kämpfe, Sorgen bereitet und Dir die Herzen der Deinen, wenn möglich, noch mehr entfremdet. Deine Ermahnungen werden unleidliche, übertriebene Sermone, welchen Keiner Werth beimißt. Deine wohlmeinenden Maßregeln werden gemißdeutet. Dein strafender Blick verschafft ihnen einen zärtlichen Kuß der Mutter, Dein Scheltwort ein Geschenk an Naschwerk, Dein Versuch, zu züchtigen, führt eine thätliche Auflehnung gegen Dein Recht herbei, als willkommnen, schlau benutzten Port gegen den Sturm Deines Zorns; die vollzogene Züchtigung eine Fluth von Thränen und Anklagen, und Du darfst sicher darauf rechnen, daß man sich so oder anders gegen Dich wappnet. Höre auf, Unglücklicher, wenn es Dir nicht gelingt, Deine Gattin, die Mutter Deiner Kinder zu versöhnen, und sie mit Liebe und Ernst zur Vernunft zu bringen! Wenn es Dir irgend Deine Lage erlaubt, thue Deine Kinder weit, weit von Dir! Es ist ein großes Opfer, sie in fremden Händen zu wissen, des Vaters und der Mutter beraubt, allein in der Ferne erhält sich sicher ihre kindliche Liebe ungetrübter, als in solchem Hause, und sie finden an fremden Leuten bessere Eltern wieder, als sie daheim zurücklassen.

Ebenso wenig wird die Mutter in ihrer Erziehung ausrichten, wenn der Vater ihr hindernd in den Weg tritt. – Sie wünscht sehnlich, sich mit ihm zu verständigen, allein er hat dafür weder Herz noch Sinn. Der Unverstand verwirft ihre Bitte mit rohem Spott. – Sie strebt nach Sittlichkeit, nach Anstand, Bescheidenheit und Ordnung in Worten und Benehmen, da stürzt oft eine leichtsinnig scherzende oder spottende Bemerkung des Vaters das mühsam Aufgerichtete schonungslos zusammen. Der Vater scheut sich oft nicht, in Gegenwart der Kinder die Erziehung der Mutter scharf zu tadeln, ja, sie auf hunderterlei Weise merken zu lassen, wie wenig er sie achtet. Sie hat mit Worten, welche dem liebenden Mutterherzen heiß entquollen, versucht, den Grund für Wahrheit in ihnen zu befestigen. Der Vater weiß nichts davon. „In der Welt ist nichts als Lüge und Bosheit,“ ruft er in Gegenwart der Kinder, denen die Welt so lange als thunlich ein Paradies bleiben sollte; und da finden die Kinder es sehr natürlich, so mit der lügnerischen Welt fortzulügen, und der Mutter Worte sind in ihren Augen selbst nur – Lüge – mindestens nicht glaubhaft. Wie oft heißt es im Herzen des Kindes – und ich hörte es mehr als einmal auch von Kindeslippen –: „Du Vater oder Mutter taugst selbst nichts! – „Du verstehst das nicht!“ – „Das muß ich besser wissen!“ u. s. f. – Wie oft habe ich schon – und keineswegs allein unter den niedrigsten Volksclassen – sogar Schimpf- oder Spottworte im Munde selbst jüngerer Kinder gefunden und diese traurigen Erscheinungen werden nur dadurch möglich, daß die Eltern oft unabsichtlich und in Unwissenheit gegenseitig ihre Autorität untergraben, und Jeder einzeln zertrümmert, was der Andere gegründet.

Erziehen kann nur derjenige, der in freiem Besitze voller Autorität dem Zöglinge gegenübersteht. Jede Schwachheit, welche der Zögling entdeckt, reizt ihn zu Uebertretungen. Wer wird nun gerade hierin besser von Natur und Verhältnissen unterstützt, als die Eltern? – Vom ersten Augenblicke seines Bewußtseins an muß sich dem Kinde das Gefühl der Abhängigkeit einprägen, – und wie leicht, wie natürlich bildet sich in ihm die Ehrfurcht, die Liebe und Dankbarkeit aus! – O, gewiß bedarf es da starker Mittel, um den Bau auf solchem Grunde zu ruiniren! – Wer deshalb sehen will, der erblicke an den zahlreichen Ruinen mißlungener Erziehungsmühen die Gewalt des häuslichen Unfriedens, den Einfluß widersprechenden Verfahrens von Vater und Mutter, die Nothwendigkeit, daß Eltern den Kindern gegenüber nicht Zwei, sondern nur Eins sind.

Eine Antwort habe ich versprochen auf die Fragen am Anfange dieses Artikels, sie heißt: Der Grund der Ungezogenheit kann in der Uneinigkeit liegen zwischen Vater und Mutter. – Der süße Name „Vater! Mutter!“, der mindestens zu Anfange wohl jedes Elternherz entzückt, ist gewiß ein inhaltschwerer Mahnruf an ernste Pflichten und Sorgen!



  1. Siehe die Artikel in Nr. 4 und 30. (1858).