Erzählung der Mutter
Erzählung der Mutter.[1]
Ach, liebe Frau, der Augen Licht
Ist sicher hohe Himmelsgabe,
Jedoch die höchste ist es nicht;
Es sind acht Jahre, seit ich habe
Ich hatte, daß ich blind, vergessen.
Denn seht, sobald der Abend kam,
Ich einen raschen Schritt vernahm –
Ich kannte ihn von Weitem schon –
Zu mir mit liebem Gruße schnell,
Und o, dann ward es um mich hell,
Als sähe ich des Himmels Licht;
Ich fühlte meine Blindheit nicht,
Der trauten, treuen Stimme Klang.
Ich saß und harrte Tag für Tag
Getrost auf jener Stunde Schlag
Und dachte oft an einen Baum,
Geschaut vor manchem langen Jahr;
Der stand in einem engen Raum,
Den man mit Häusern ganz umbaute
Daß nicht hinein die Sonne schaute,
Blieb offen an der Abendseite,
Durch die, wenn sie zur Neige ging,
Ihr Strahl den alten Baum umfing;
Der schien dann neu sich zu beleben,
Hernieder hingen, farblos ganz,
Erschienen nun in grünem Glanz.
Oft stand ich damals in dem Raum
Und schaute sinnend auf den Baum –
Und harrte auf der Stunde Schlag,
Wo auch zu mir kam meine Sonne,
Zu bringen Wärme mir und Wonne.
Da kam der Krieg – und Kampfeslust
Er freute sich auf diesen Krieg
Und träumte hoch von Ruhm und Sieg,
Ich glaub’, er hätt’ nicht mit gemußt,
Wenn meine Lage man gewußt,
Ich hab’ ihn gar nicht drum befragt
Und ihn zu stören nicht gewagt,
Ich ließ ihn ziehen ohne Klagen.
Mir war das Herz von Weh so voll,
„Als Sieger kehr’ ich bald zurück,
O Mutter, denk’ an solches Glück!“
Ich fühlte seiner Küsse Flammen,
Ich nahm all’ meine Kraft zusammen,
Da sank ich nieder. Die Gewalt,
Womit ich selber mich bezwang,
War nun zu End’. So lag ich lang’
Und langsam bin ich aufgewacht
Und wieder saß ich Tag für Tag,
Und kam der Abendstunde Schlag,
Dann hob ich leis mein Haupt empor – –
Es horcht’ auf seinen Schritt mein Ohr;
Ich dennoch wieder lauschen mußte.
Und wieder dacht’ ich an den Baum
In jenem engen, dunkeln Raum,
Dem schien ja auch nicht jeden Abend
Mit Wolken war ja oft bedeckt
Der Himmel und die Sonn’ versteckt,
Dann kam sie später doppelt labend
Dem Baum, wenn wieder hell der Abend.
Zu mindern meine Angst und Qual:
Es kam ein Brief, von ihm geschrieben
– Der Bote hat ihn mir gelesen –
Mein Sohn war in der Schlacht gewesen
Da bin ich in die Kirch gewankt,
Von einer Nachbarsfrau geleitet,
Und habe innig Gott gedankt,
Daß er mir diese Freud’ bereitet.
Da – wieder neigte sich ein Tag
Und nah war jener Stunde Schlag –
Vernahm ich eines Mannes Gang.
Der Mann blieb an der Thüre stehen,
Doch öffnet er sie endlich leise
Und leise, leise tritt er ein.
Befremdlich war des Mannes Weise –
Was will er wohl, wer mag er sein?
Hab’ leis ich, wer er sei, gefragt,
Jedoch kein Wort bringt er hervor,
Ein Schluchzen trifft mein lauschend Ohr.
Ein Mann, der weint?! Ich saß erstarrt
Da hör’ ich draußen Viele kommen,
Die scheinen etwas herzutragen,
Und wie, wenn Weiber, Kinder klagen,
Hab’ ein Getöse ich vernommen.
Geheimnißvoll mit Schlurfen, Schleichen –
Und mein Erstarren will nicht weichen;
Ich kann nicht sprechen, kann nicht beten,
Ich sitze, wie von Bann umfangen,
Da hör’ ich wunderbarer Weise
Wie Kindeslallen einen Ton.
„Lieb’ Mutter!“ tönt es leise, leise –
Allmächt’ger Gott! Das war mein Sohn!
Als schaute ich’s im lichten Tag,
War nun mir Alles, Alles klar:
Es war mein Sohn, o Gott! er war
Verwundet, sterbend. O, und hier
Cam’raden hatten ihn gebracht,
Und der zuerst erschien so sacht,
Der wollt’ mir bringen den Bericht,
Und konnt’s vor Schmerz und Rührung nicht.
Und meinen Arm ergriff ein Mann,
Der führte stumm mich zu dem Sohn.
Ich kniete an des Lagers Rand,
Fand seinen Mund und seine Hand,
„Lieb’ Mutter“ leise, leise; schwach
Und schwer ging schon sein Athem, – ach!
Nun ging’s zum Ende gar geschwind.
Ich glaube fest, das treue Kind
So lange noch bei Seit’ zu stehen.
Bis das Ersehnte ihm gelungen.
Die blinde Mutter noch zu sehen.
Und um so mehr nun ging’s in Eile:
Es zuckt die Hand ihm in der meinen,
Die ringsum stehn, die schluchzen, weinen,
Ich nicht; ich mußte stark erscheinen,
Fest mußt’ ich seine Hand umfassen,
Jetzt stockt der schwache Athem wieder
Und länger, kommt dann schwächer wieder,
Wird schwächer, schwächer – leiser – – still.
– – – – – – – – –
Ach, liebe Frau, ich kann nicht sagen,
Ich lag wohl lange krank darnieder,
Ach, mir zum Leid genas ich wieder.
Als zum Bewußtsein ich erwacht,
Da war und blieb es um mich Nacht,
Nun wußt’ ich, daß ich arm und blind.
- ↑ Episode aus einem noch ungedruckten größeren Gedicht: „Des Helden Weib“. D. Red.