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Erinnerungen aus meinem Leben/Schmerzvolle Trennung

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aus: Erinnerungen aus meinem Leben
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von: Willibrord Benzler
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[201]
Schmerzvolle Trennung

Das Ende des Krieges brachte für Lothringen ganz neue Verhältnisse. Bischof Willibrord, der in allen Vorkommnissen seines Lebens den Willen oder die Zulassung Gottes sah, entschloß sich, so schwer es ihm auch fiel, sich in die neuen Verhältnisse zu fügen. Das Band, das ihn an die Kirche von Metz kettete, hing nicht mit politischen Voraussetzungen zusammen; er hatte ja auch, wie er in seiner Krankheit später sagte, bei seiner Weihe geschworen, seine Diözesanen nie im Stiche zu lassen.

Waren die Kriegsjahre schon schwer gewesen für den Metzer Bischof, so sollten nun Monate kommen, die für ihn noch bitterer wurden. Es war ja klar, daß ein reichsdeutscher Oberhirte in Lothringen nach dem Kriege eine schwierige Stellung hatte. Das bekam der Bischof bald und immer mehr zu fühlen von einer Seite, die jetzt viel, ja alles zu sagen hatte. Es trat nach und nach immer klarer in die Erscheinung, daß von gewisser Seite darauf hingearbeitet wurde, ihn vom Bischofsstuhle des heiligen Klemens zu verdrängen. Der Bischof wußte wohl, daß diese Bestrebungen innerhalb seiner Diözese nur wenig, fast gar keinen Anklang fanden, daß Klerus und Volk ihm vielmehr nach wie vor mit unverbrüchlicher Treue anhingen; aber dennoch schmerzte ihn es, wiewohl er auch diesen Schmerz mit ruhiger Ergebung zu tragen wußte.

Als Bischof Willibrord für den 1. Dezember 1918 in der Kathedrale einen Dankgottesdienst anordnete, aber dabei, wohl mit Rücksicht auf die vielen Reichsdeutschen, die noch im Lande und auch seine Schäflein waren, für die Beendigung des Krieges, nicht direkt für den Sieg der Alliierten danken lassen wollte, erregte das den Unmut des Kommissärs der französischen Republik in Metz, des Préfet Mirman. Dieser schrieb einen Brief an den Bischof und übergab ihn gleichzeitig der Presse zur Veröffentlichung. Der Brief kennzeichnet die Stimmung der leitenden französischen Kreise Bischof Willibrord gegenüber. Er lautet in Übersetzung:

[202]

»Der Kommissär der Republik. Metz, den 28. November 1918.
Herr Bischof!

Ich erhielt eine Einladung zum »Te Deum« des 1. Dezember. Da diese Einladung Ihre Unterschrift trägt, verbietet mir meine Pflicht, ihr zu folgen. Aber da weder bei Ihnen noch bei einem einzigen meiner lothringischen Brüder der geringste Zweifel über die Gründe bestehen soll, die meine Absage verlangen, muß ich Ihnen diese Gründe auseinandersetzen und alsdann diesen Brief veröffentlichen.

Diese Gründe haben keineswegs konfessionellen Charakter. Ich glaube wohl, daß es in »Meurthe & Moselle« nicht einen einzigen Priester oder eine Schwester gibt, denen ich nicht Freund war und bleibe. Ich hoffe ebenso, daß es in diesem einst annektierten Lothringen nicht einen Priester oder eine Schwester mit französischer Gesinnung gibt, mit denen ich nicht bald Freund sein werde.

Was nun die religiösen Feierlichkeiten betrifft, so braucht nur eine größere Anzahl meiner französischen Brüder oder Schwestern in sittlich hochgestimmter Form gemeinsam ihren Schmerz oder ihre Freude bekunden zu wollen, und ich werde schon aus einfachem Mitgefühl mich ihnen beigesellen. Wenn ich also von einem lothringischen Priester zu einer von französischer Gesinnung beseelten Feier eingeladen worden wäre, so hätte ich mich eingefunden.

Der Grund meiner Absage hat andererseits durchaus keinen Charakter persönlicher Gereiztheit gegen Sie. Deutschland hat während dieser vier Kriegsjahre Verbrechen aufgehäuft. Nicht zu reden von den - entsetzlichen! - gegen Laien begangenen, hat es in Belgien wie in Frankreich Tod selbst in die Reihen des Klerus gesät. Der hochwürdigste Bischof von Nancy hat, zitternd vor Schmerz und Zorn, die traurige Liste seiner lothringischen Priester veröffentlicht, die ermordet wurden. Ich selbst habe mehr als einmal, besonders in Gerbéviller, die glorreichen und in meinen Augen durch die Schläge und das Anspeien von Deutschen gleichsam geheiligten Wangen alter lothringischer Priester geküßt. Selbst hier in Metz hatte ich die große Ehre, mehrere Nonnen von französischer Gesinnung mit ehrerbietiger [203] Teilnahme zu begrüßen, edle Frauen, die unter den elendesten Vorwänden von den deutschen Behörden eingekerkert worden waren. Hohe Würdenträger des deutschen Klerus haben alle diese Verbrechen und Schandtaten verherrlicht. »Ich und Gott« hat der Ex-Kaiser verkündet und sie haben es gewagt, zu diesem Sakrileg den Segen zu spenden. Ich habe nicht gehört, daß ein einziger deutscher Bischof, Pastor oder Rabbiner seine Stimme erhoben hätte, um im Namen des Guten gegen das Böse, im Namen der Wahrheit gegen die Lüge, im Namen Gottes selbst gegen die verbrecherische Anmaßung seiner göttlichen Schutzherrschaft zu protestieren ... Ich weiß indes, daß Sie, Herr Bischof, sich im Verborgenen bemüht haben, mehr als einmal verbrecherische Hände zurückzuhalten. Ich weiß auch, daß Sie unter all dem Unrecht, das Sie nicht verhindern konnten, gelitten haben. Wegen dieser Bemühungen und wegen dieser Leiden haben Sie ein Recht auf meine Achtung, von der ich hiermit öffentlich Zeugnis gebe. Es ist mir sogar peinlich, Ihnen durch diese Absage und durch diese notwendigen Erklärungen eine persönliche Unannehmlichkeit zu bereiten; aber unsere Person hat wenig zu sagen gegenüber den großen Rechtsideen, die dieser Krieg aufgestellt hat und die uns beherrschen.

Ich kann Ihrer Einladung nicht folgen, weil sie mit dem Namen eines deutschen Bischofs unterzeichnet ist und somit der Feier vom 1. Dezember einen Charakter gibt, den ich nicht gelten lassen kann. Was soll dies von Ihnen angeordnete »Te Deum« feiern? Ich habe soviel Achtung vor Ihnen, daß ich nicht denke, es solle die Niederlage und Kapitulation Deutschlands feiern; aber das ist es gerade, worüber wir andern, sowohl als Franzosen wie als Menschen, uns freuen. Sie werden also einfach das Ende des Krieges und seiner Schrecken feiern. Damit kann man unserem Gewissen aber nicht genugtun. So schwer der Krieg für Frankreich und seine Verbündeten gewesen ist, sie waren zu jedem Opfer fest entschlossen, um ihn fortzusetzen bis zum endlichen Siege des Rechts. Wir freuen uns über das Ende unserer Prüfungen nur, weil das Verbrechen niedergeschlagen ist und das Recht obsiegt. - Demnach könnte ich mich nicht zu einer solchen [204] Feier mit einem Deutschen vereinigen, wenn er auch, wie Sie, Herr Bischof, zu der so kleinen Zahl derer gehörte, die ein Franzose grüßen kann und denen gegenüber es mich keine Überwindung kostet, meine hohe Achtung zu entbieten.Mirman.«

Dieses Schreiben rief in weiten Kreisen der Diözese tiefe Entrüstung hervor. Aus den vielen Briefen[1], die dem Bischof das bezeugten, folge hier ein Auszug in Übersetzung: »Der Brief des Herrn Mirman, den ich gestern in der Zeitung las, hat mich schmerzlich bewegt und mit Rücksicht auf die hohe Bewunderung, die Ehrfurcht und die tiefe Dankbarkeit, die ich für Sie im Herzen trage, gestatte ich mir, Euer bischöflichen Gnaden zu sagen, wie sehr ich das verurteile. Alle Gläubigen Ihrer Diözese sind voll Dankbarkeit und wissen wohl, was der Krieg uns Lothringern entrissen hätte ohne die Festigkeit, die Güte, die übernatürliche Auffassung, die Sie uns gegenüber immer bekundet haben. Unser ganzes Leben wird nicht lange genug sein, um Ihnen in Wort und Tat das zu bezeugen«.

Solche Zeichen kindlicher Ergebenheit taten dem vielgeprüften Herzen des Bischofs wohl und waren ihm ein Trost. Er konnte sich auch in die Freude und Begeisterung hineindenken, die bei den alteingesessenen Lothringern über den Wandel der Dinge herrschte. In der ruhigen, objektiven Art, mit der er den jeweiligen Verhältnissen sich anpaßte, in seinem Bestreben, als Bischof allen ohne Unterschied der Nationalität alles zu werden, nahm er, wie er im Eingange des Fastenhirtenbriefes 1919 sagte, an der Freude der Lothringer darüber, daß ihre Heimat dem alten Vaterlande zurückgegeben werde, »aufrichtig teil«. Man hat dem Bischof diese Äußerung sehr verübelt. Gewiß hat er damit sein nationales Empfinden als Deutscher nicht verleugnen wollen. In diesen Worten spricht nur der Oberhirte der Metzer Diözese[2], der sich eins fühlte mit seinen Gläubigen und Freud und Leid mit ihnen teilte. [205] Wie sehr stach diese seine friedliebende Gesinnung ab von der überschäumenden Art, mit der von mancher Seite, auch in Lothringen, der nationalen Begeisterung Ausdruck verliehen wurde! Dabei wurden die Grenzen der christlichen Liebe manchmal sehr weit überschritten und förmlich Haß und Unfrieden gesät. So war zum Beispiel am 19. November 1918 in der gemeinsamen, französischen Ausgabe der drei Zeitungen Messin, Lorrain und Courrier Nr. 2 zu lesen[3]: »Ja, sie haben den Waffenstillstand unterzeichnet! Sie haben nicht mehr die Scham, sich noch zu verteidigen, um den Rest von Ehre zu retten, der ihnen geblieben sein könnte. Das kommt daher, wie ich gerne glaube, weil sie weder Kraft noch Hilfsmittel haben. Aber welch ein Sturz! Nachdem sie sich als Herren der Welt gebärdet, nachdem sie heuchlerisch verkündet und wiederholt hatten, daß ihr »alter Gott« mit ihnen wäre, während sie doch frech alle Gesetze der Menschlichkeit verletzten, lassen sie nun so die Waffen aus der Hand fallen und nehmen die härtesten Bedingungen für jetzt und die Zukunft an. O, wahrhaftig, das übertrifft alles, was man erwarten konnte! Das ist mehr als man sagen könnte. Das ist die Gerechtigkeit, die die Völker straft schon in dieser Welt, denn sie haben nicht die Ewigkeit.

Deutschland, Deutschland, jetzt liegst du zu Boden in einem Elend und einer Demütigung, für die es keine Worte gibt. Jetzt erinnere dich des Elsaß und Lothringens, jener kleinen Provinzen, die Frankreich dir als Lösegeld auslieferte: in deinem Dünkel und in deiner Härte hast du sie zermalmt. Jetzt ist die Stunde der Rache und der Wiedergutmachung für sie gekommen. Wir sehen dich ohne Mitleid zu Grunde gehen. Du bist nicht des leisesten Mitgefühls würdig. Unsere vergangenen Leiden und unsere gegenwärtigen Freuden, sie können nur der Gerechtigkeit zujauchzen, die dich zermalmt. Deutschland, wasche dich im Blute deiner Toten und wenn das Blut deiner Soldaten nicht genügt, so nimm das deiner jetzigen Revolution hinzu; denn du sollst wissen, daß, um den Schmutz [206] dieses Krieges von deiner Stirne zu waschen, es so viel Blutes bedürfte als Fluten im Meere sind ...«

Wie schmerzte den Oberhirten eine solche maßlose Äußerung. Er sah und fühlte es am eigenen Herzen, wie viel die eingewanderten Deutschen, soweit sie nicht, oft in den dürftigsten Verhältnissen, ausgewiesen wurden, damals zu leiden hatten. Deshalb ließ er im Januar 1919 ein eigenes kurzes deutsches Hirtenschreiben für sie von den Kanzeln verlesen. Er mahnte sie darin, in den jüngsten Vorgängen im öffentlichen Leben auch Fügungen der göttlichen Vorsehung zu erblicken, ohne deren Willen kein Haar vom Haupte falle. Sie sollten im Geiste des Glaubens annehmen, was über sie gekommen, ja sich freuen, wenn sie an Christi Schmach ein wenig teilnehmen dürfen. Sie möchten sich durch gar nichts im katholischen Glauben erschüttern lassen. »Seid überzeugt, daß ich Eure Leiden tief mitfühle ... Leider ist es mir nicht möglich, all Euren Bedürfnissen abzuhelfen, aber, was ich habe, teile ich gerne mit Euch. Seid versichert, daß keine Bitte, deren Erfüllung in meiner Macht steht, von mir unberücksichtigt bleiben wird. Mein Gebet für Euch steigt täglich zum Herrn empor und erfleht Euch Gottes besonderen Schutz ...«

In einem eigenen Schreiben empfahl er hierauf den Priestern, sich dieser Deutschen mit Liebe anzunehmen, da manche in diesen schwierigen Verhältnissen im Glauben wankend geworden seien; die Priester sollten auch die Gläubigen ermuntern, daß sie ihnen brüderliche Unterstützung zukommen lassen, damit die Liebe Christi alle mehr und mehr verbinde.

Die nationalen Gegensätze durch christliche Liebe auszugleichen, dieser Gedanke beschäftigte Bischof Willibrord damals sehr stark. Er dachte sogar längere Zeit daran, im Jahre 1919 in einem eigenen Hirtenschreiben alle Diözesanen zu dieser Art von christlicher Liebe zu ermahnen und arbeitete diesen Hirtenbrief auch wirklich aus; doch wurde er auf Wunsch nicht veröffentlicht.

[207] Dieser in Aussicht genommene Hirtenbrief ist ein so klares Zeugnis des abgeklärten Geistes der Liebe, in dem Bischof Willibrord damals seines hohenpriesterlichen Amtes waltete, daß wir nicht umhin können, hier die Hauptgedanken desselben wiederzugeben.

Der Bischof sagt zunächst, der Krieg sei zwar vorüber, aber ein anderer Krieg sei nun heraufbeschworen. Satan »schürt Haß und Feindschaft unter den Menschen, wohl wissend, daß eine Seele ihm gehört, die sich von solchen Gesinnungen einnehmen und leiten läßt. Zeigt sich nicht auch bei uns die betrübende Erscheinung haßerfüllter Abneigung und unchristlicher Zwietracht? Niemand kann vor dieser offenkundigen Tatsache seine Augen verschließen. Ich gestehe, daß diese Wahrnehmung meine Seele mit tiefstem Schmerze und mit banger Furcht erfüllt. Sehe ich doch das heiligste Gebot Gottes, das Gebot der Liebe, schmählich mißachtet und dadurch die Seelen der größten Gefahr ausgesetzt. Da ich aber Euch alle von Herzen liebe, und da ich die Verantwortung für Eure unsterblichen Seelen trage, so ist es meine heilige Pflicht, meine väterlich mahnende Stimme zu erheben und Euch vor dem Abgrunde des Verderbens zu warnen, in den Haß und Feindschaft stürzen.«

Dann betont der Bischof, daß der göttliche Heiland dieses Gebot der Gottes- und Nächstenliebe als sein Gebot bezeichnet hat und als ein neues Gebot. »Wie wird aber dieses Testament unseres Heilandes jetzt in der Welt erfüllt, wie sein heiligstes Gebot beobachtet? Muß nicht tiefster Schmerz uns erfassen, wenn wir sehen, wie die durch Christi kostbares Blut erkauften, zu derselben Seligkeit berufenen Menschen sich hassen und verfolgen, und wie gottvergessene Hetzer diesen Haß zur Siedehitze steigern? Welches Verdammungsurteil würde diese irregegangene Menschheit aus dem Munde des ewigen Richters vernehmen müssen, wenn sie fortführe, also sein höchstes Gesetz zu verachten? ... Mir will scheinen, als ob eine ansteckende geistige Krankheit die Gemüter befallen und vergiftet habe. Möge dieselbe recht bald weichen und wieder den Gesinnungen wahrer Nächstenliebe Platz machen. Die katholischen Zeitungen [208] haben hier eine große, heilige Pflicht zu erfüllen. Sie müssen das Öl christlicher Liebe über die aufgeregten Wogen der Leidenschaft gießen und so dieselben wieder sänftigen und plätten.... Und wenn auch jemand Unrecht getan hätte, schweres Unrecht, so müßt Ihr als Christen ihm verzeihen; andernfalls würde Gott Euch Eure Schuld nicht vergeben.... Noch viel weniger dürfen wir unseren Unwillen an Unschuldigen auslassen für das Unrecht, das uns andere zugefügt haben.... Der Christ rächt sich nicht, er verzeiht nach dem Beispiele seines Erlösers, der selbst für seine Henker betete.... Übet die Liebe im Werke gegen jeden Notleidenden, gegen jeden, der der Hilfe bedarf. Wenn Ihr könnt, so verschafft Arbeit und Verdienst denen, die ihren Lebensunterhalt auf ehrliche Weise gewinnen wollen. Verabscheut aus ganzer Seele das unchristliche Verfahren, das man Boykott nennt. Verkümmert niemanden die Wohltaten des allgemeinen Verkehrslebens; bei Kauf und Verkauf erklärt niemanden in Verruf«....

In diesem Geiste selbstloser, alle umfassender Liebe suchte Bischof Willibrord in jenen aufgeregten Zeiten die Herzen zu versöhnen. Freilich fand er in diesem Bestreben bei manchen kein Verständnis, ja es wurde ihm in der Kammer zu Paris der Vorwurf gemacht, er sei der aktivste Förderer des Deutschtums. Der Oberhirte fühlte zu seinem Schmerze immer besser, daß für ihn unter diesen Verhältnissen auf die Länge der Zeit in Metz kein fruchtbringendes Wirken möglich sein werde.

So ist es zu erklären, daß er am 12. Januar 1919 dem heiligen Stuhl sein bischöfliches Amt aus freien Stücken zur Verfügung stellte. Er schrieb damals an den Heiligen Vater: »Im Jahre 1901 habe ich auf den Wunsch Papst Leos XIII. hochseligen Andenkens die Leitung der Diözese Metz übernommen. Jetzt, da die Verhältnisse andere geworden sind, verlangt es vielleicht der größere Nutzen der Kirche, daß die Verwaltung meiner Diözese einem anderen Hirten übertragen werde. Wenn dem so sein sollte, so lege ich bereitwillig das mir anvertraute Amt in die Hände Eurer [209] Heiligkeit zurück.« Am 31. Januar antwortete ihm der Kardinalstaatssekretär; »Der Heilige Vater hat den Brief erhalten, den Eure Bischöflichen Gnaden an Ihn am 12. d. M. gerichtet haben. Eure Bischöflichen Gnaden glauben, daß es nach den letzten Ereignissen vielleicht für den größeren Vorteil der Seelen angezeigt sei, die Diözese Metz einem anderen Hirten anzuvertrauen, und erklären sich bereit, sich zurückzuziehen, wenn der Heilige Vater auch dieser Ansicht sei. Seine Heiligkeit würdigt vollauf die edlen Gesinnungen, die Ihren Brief eingegeben haben, wird aber Ihre Abdankung erst dann annehmen, wenn die Umstände sie notwendig machen werden.«

Aus dieser Antwort konnte der Bischof schließen, welche Opfer die Zukunft von ihm fordern werde. Er ging diesen Opfern mit aller Ruhe entgegen. Deshalb hatte er schon am 27. Januar 1919 dem heiligen Stuhle diejenigen unter seinen Priestern bezeichnet, die er für geeignet hielt, statt seiner den Hirtenstab zu führen. Im gleichen Schreiben empfahl er in ausführlicher Begründung dem heiligen Stuhle, im Hinblick auf die gegenwärtigen schwierigen Verhältnisse in der Diözese einen Einheimischen zu seinem Nachfolger zu bestellen, der mit der Lage vertraut und auch der deutschen Sprache mächtig sei.

Nun hatte Bischof Willibrord das schwere Opfer der Trennung schon zur Hälfte gebracht. Inzwischen wirkte er weiter im Geiste der Versöhnung. So sprach er auf der Versammlung der Erzpriester am 23. April unter anderem auch davon, daß der wahre, so sehnsüchtig erwartete Friede sich nur auf Christus aufbauen könne und daß es Aufgabe der Priester sei, den Frieden Christi in die Herzen der Menschen zu tragen.

Als er so sprach, wußte er noch nicht, was inzwischen in Paris vor sich gegangen war. In diesen Tagen war eine Verfügung der französischen Regierung erschienen, durch die Generalvikar Pelt zum Bischof von Metz ernannt wurde. Weder Rom noch die bischöfliche Kurie waren vorher davon verständigt worden. [210] Es war für Bischof Willibrord wie ein derber Schlag ins Gesicht; er blieb aber vollkommen ruhig. Er wußte, Gott reichte ihm den bitteren Leidenskelch. Als er am 28. April aus den Zeitungen davon Kenntnis erhielt, schrieb er sofort eine Erklärung an die Metzer Zeitungen: »Um Legendenbildungen vorzubeugen, um die Würde des bischöflichen Amtes zu wahren, vor allem aber, um meine geliebten Diözesanen davon zu überzeugen, daß nur höhere Rücksichten mich bestimmen, die Diözese zu verlassen, glaube ich Ihnen folgende Mitteilungen machen zu sollen. Am 12. Januar dieses Jahres schrieb ich an den Heiligen Vater ... (s. oben S. 208). Der Heilige Vater antwortete am 31. Januar ... (s. oben S. 209). Das ist die Sachlage am heutigen Tage, den 28. April. Vielleicht ist inzwischen die Notwendigkeit, von welcher der Heilige Vater spricht, bereits eingetreten. Einer solchen Notwendigkeit, beziehungsweise der durch dieselbe veranlaßten Entscheidung des Heiligen Vaters mich zu unterwerfen, bin ich natürlich gerne bereit. † Willibrord.«

Diese Erklärung kam nicht zur Veröffentlichung, da dem Bischof davon abgeraten wurde. Die französische Regierung betrachtete von nun an Bischof Willibrord nicht mehr als Oberhirten von Metz. Generalvikar Pelt erklärte aber seinem Bischof, für ihn habe sich nichts geändert, er bleibe nach wie vor sein Generalvikar. Auch Rom anerkannte die Ernennung nicht, wie der Kardinalstaatssekretär am 25. April an den Bischof schrieb. Der Bischof dankte am 3. Mai dem heiligen Stuhle für diese Mitteilung und fügte noch hinzu, auch sein Generalvikar Msgr. Pelt habe keine Ahnung gehabt von dieser Ernennung. Seine eigene Lage sei infolge dieser Ernennung noch viel schwieriger geworden. Er sei nach wie vor bereit, sich zurückzuziehen, wenn der Heilige Vater den Zeitpunkt für gekommen erachte.

Klerus und Volk der Diözese Metz waren durch das schroffe Vorgehen der französischen Regierung peinlich berührt, viele empfanden mit dem Bischof die schwere Beleidigung. Das kam auch in der katholischen Presse zum Ausdruck. Fast ein Vierteljahr lang mußte Bischof Willibrord in diesem unhaltbaren Zustand ausharren.

[211] Endlich kam die Erlösung für ihn. Unter dem 10. Juli schrieb ihm Kardinal Gasparri, der Heilige Vater halte jetzt den Augenblick für gekommen, den Verzicht auf den bischöflichen Stuhl von Metz anzunehmen, den er am 12. Januar freiwillig angeboten habe. Die Änderung der politischen Verhältnisse infolge der Unterzeichnung des Friedens und dessen Gutheißung durch die deutsche Nationalversammlung lassen das nun angemessen erscheinen. Der Heilige Vater spende ihm das wohlverdiente Lob für seinen apostolischen Eifer in der Verwaltung der Diözese und seine Anhänglichkeit an den heiligen Stuhl.

Am 1. August ernannte der Heilige Vater Generalvikar Pelt zum Nachfolger von Bischof Willibrord. Die entsprechende Bulle wurde am 19. August ausgefertigt.

Inzwischen hatte sich in der Diözese die Kunde verbreitet, daß der geliebte Oberhirte Metz bald verlassen werde. Es drängte viele Diözesanen, noch ein letztesmal den Segen des teuren Vaters zu bekommen und ihn noch einmal zu sehen. Die Gelegenheit dazu bot die Muttergottesprozession am 15. August, an der der Bischof mit dem Domkapitel teilnahm. Als der Oberhirte nach der glanzvollen Prozession durch die dichtgedrängte Menge zu seinem Palais zurückkehrte, bezeigten viele Tausende treuer Metzer ihrem geistlichen Vater zum letztenmal ihre Verehrung und Dankbarkeit.

Der Abschied von seiner Bischofsstadt war dem Oberhirten nicht leicht. Er war während der achtzehn Jahre so innig mit seiner Diözese verwachsen, daß die Loslösung große Opfer kostete. Auch für viele Diözesanen, insbesondere für den größten Teil des Klerus war diese Trennung schwer. Die Herzen waren eben in Liebe und Verehrung zu sehr miteinander verbunden.

Diese Anhänglichkeit kam in vielen Abschiedsbriefen rührend schön zum Ausdruck. Es seien hier zwei solcher Briefe auszugsweise in Übersetzung mitgeteilt.

[212] Ein Laie, ein einheimischer Lothringer, schreibt:

... »Jetzt, da die für mich und viele andere so schmerzvolle Stunde der Trennung geschlagen hat, muß ich, koste es, was es wolle, ihnen die Gefühle offenbaren, die mich so tief bewegen.

Monseigneur, die Erinnerung an das, was Ihr Leben hier in Metz gewesen ist, beklemmt mein Herz so, daß ich weinen muß.

O, wie oft sind Sie von den unbedeutendsten Menschen beleidigt worden, weil diese keinen Glauben hatten, und Sie schwiegen statt aller Antwort: Jesus aber schwieg.

Das ist es, warum Ihr Andenken, Monseigneur, bei uns, die wir gelernt haben, Sie zu achten und herzlich zu lieben, nie verschwinden wird. Sie sind und bleiben immer der große Bischof von Metz. - Sie gehen; aber für uns bleiben Sie. Das Bild Ihrer milden Persönlichkeit wird oftmals in unserer Erinnerung aufsteigen, und dann werden sich unsere Hände falten, frömmer als sonst, unser Gebet wird heißer sein und mit Tränen werden wir von Gott erflehen, daß Er Ihnen jene Freude seiner Heiligen gebe, die nicht von dieser Welt ist, der Welt, die trotz des Völkerbundes noch so wenig katholisch ist.

Aber bevor Sie uns verlassen, Monseigneur, wage ich sie demütig zu bitten, mich zu segnen: mein ganzes Leben, meine Eltern, die Stadt Metz, und vor allem unsere schöne Kathedrale, die mir in Zukunft doppelt teuer sein wird, weil ich dort, so oft mein Herz mich dorthin treibt, Ihren so tröstlichen Schatten wiederfinden werde, der mich zum Gebet einladet: Pax vobis! So möge es sein allezeit! ...« 

Ein Priester schrieb:

»... Seit langer Zeit hatten wir gelernt, Sie von Tag zu Tag mehr zu verehren. Wir liebten es, in Ihrer erhabenen Person das treue Ebenbild des göttlichen Hirten zu sehen. Sie waren stets voll Güte und Sorgfalt uns gegenüber; aber man kann ohne Rückhalt sagen, daß Sie es noch in weit reicherem Maße während des schrecklichen Krieges waren. Mit der Festigkeit und Würde eines Apostels und bis zur Selbstvergessenheit haben Sie diejenigen Ihrer Priester beschützt, die man verfolgte. Für uns alle sind Sie in den schwierigsten [213] Augenblicken von einer Hingebung und Zartheit gewesen, die uns bis in den Grund der Seele gerührt hat und die wir Ihnen nie vergessen können. Und jetzt, da Sie in der Lage sind, sich nach jenen traurigen Tagen in der Pflege der Ihrigen ein wenig zu erholen, da bringen Sie eben dadurch Gott um unsertwillen ein neues und größeres Opfer als alle früheren, weil Sie sich, nach dem Beispiel des Meisters, sehnen, uns zu lieben bis zum Ende. Es kostet dem Herzen des guten Hirten Überwindung, sich von einer Herde zu trennen, die er geliebt hat, und der er sein ganzes Leben weihen wollte. Wir verstehen Ihren Schmerz und wir teilen ihn. Der Schmerz, den wir empfinden, ist nicht weniger groß; denn wir stehen am Vorabend des Verlustes des besten Lehrers und eines zärtlich geliebten Vaters. O wie gern würden wir, Monseigneur, in unserer Trauer sagen, wie der Jünger zu Jesus: ,Bleibe bei uns, o Herr!' Wenn wir, von jeder Kundgebung absehend, uns schweigend verhalten, so geschieht es einzig, um Ihnen nicht zu mißfallen und um Sie in Ihrer Hingebung in Gottes Willen und in Ihrer wunderbaren Ergebung nachzuahmen. Aber, was auch kommen mag, nichts kann unsere Herzen hindern, Ihnen in Dankbarkeit, Ehrfurcht und Liebe für immer verbunden zu bleiben. Aus der Ferne, wie in der Nähe werden wir fortfahren, das Gedächtnis desjenigen zu segnen, der für uns in aller Wahrheit und unter allen Verhältnissen das Muster eines Oberhirten war. - Wollen Eure Bischöflichen Gnaden auch unser gedenken und noch oft, wie ehemals den Segen des Himmels auf uns herabrufen, den wir mehr als je benötigen. Wenn wir Ihnen zuweilen Kummer bereitet haben, so bedauern wir es lebhaft und versprechen vor Gott, künftig getreuer zu sein, um aus dem erhabenen Beispiel und den guten Lehren, die Sie uns vom ersten Tag an gegeben, Nutzen zu ziehen....«

Der Bischof erhielt ganze Sammelschreiben von Priestern, die bei Gelegenheit ihrer Kantonsversammlungen ihrem Oberhirten mit bewegten Worten dankbar Lebewohl sagten. In diesen Schreiben kehrt immer wieder die Versicherung, wie große Verdienste sich [214] Bischof Willibrord um seine Diözese erworben habe durch seine liebeglühenden Synodalansprachen, seine praktischen Hirtenbriefe, seine Festigkeit in der Verteidigung der konfessionellen Kirchhöfe und Schulen, sein eifervolles Auftreten gegen die schlechte Presse und die gemischten Ehen und durch seinen mutigen Kampf für das Recht der Predigt in französischer Sprache.

Derartige Kundgebungen erleichterten dem Bischof das harte Opfer der Trennung. Auch der Heilige Vater suchte ihm Trost zu bereiten. Deshalb ließ er ihm am 31. Juli durch den Sekretär der Konsistorialkongregation, Kardinal de Lai, seine Ernennung zum Titularerzbischof von Attalia mitteilen. Das entsprechende große Pergamentdokument wurde am 12. August ausgestellt, erreichte aber den damit Geehrten erst im Oktober in Maria-Laach.

Nun rückte die Zeit des Abschiedes näher und näher. Von einem Teile seines Klerus verabschiedete sich Bischof Willibrord mit einer inhaltsreichen Ansprache[4] am Schlusse der Priesterexerzitien, am 22. August. Er knüpfte dabei an den Ritus der Priesterweihe an und hinterließ den Priestern darin gleichsam sein Testament. Am Schlusse fügte er hinzu: »Die zahlreichen Zeichen der Liebe und innigen Anhänglichkeit, die mir der Klerus in diesen letzten Zeiten gegeben hat, sind nicht bloß für mich ein großer Trost gewesen, sie haben auch den Klerus selbst sehr geehrt. Ich kann nur mit König David sprechen: 'Gott Israels, erhalte für immer diesen Geist in ihrem Herzen'.[5] Ja, solange diese Gesinnungen der Ehrfurcht und des Gehorsams gegen ihren Bischof die Herzen aller unserer Priester erfüllen, können wir sicher sein, daß Gott die Diözese auf besondere Weise segnen wird ... Beten Sie für mich, wie ich für Sie beten werde und für die ganze liebe Diözese. Und nun 'empfehle ich Euch Gott und seinem gnadenreichen Worte, ihm, der da imstande ist zu erbauen und ein Erbteil zu geben seinen Geheiligten'. Amen.«[6]

[215] Der eigentliche Abschiedstag war Mittwoch, der 27. August. Da zeigte sich noch einmal, wie beliebt Bischof Willibrord war.

Zuerst erschienen die Oberinnen der Klöster, um ihrem Oberhirten ein letztes Lebewohl zu sagen und für alles zu danken, was er ihnen in den langen Jahren seiner bischöflichen Wirksamkeit gewesen. Der Abschied fiel allen sehr schwer. Alle waren so bewegt, daß der Bischof vor Rührung kaum sprechen konnte.

Tief ergreifend war der Abschied des Klerus des Bistums. Als Bischof Willibrord nach der Ansprache des neu ernannten Bischofs zu reden anfing, übermannte der Trennungsschmerz viele Priester, sie begannen zu schluchzen. Der Bischof sprach[7]: »Meine hochwürdigen Herrn! Sie begreifen meine Rührung in diesem Augenblicke des Abschiedes. Vor achtzehn Jahren haben Sie mich aufgenommen mit einem Vertrauen und einer Liebe, die ganz übernatürlich und eingegeben war von dem Geiste des Glaubens und des Gehorsams gegen den Heiligen Vater, der mich zu Ihnen sandte. Während der Jahre meiner bischöflichen Amtsführung haben diese Gesinnungen immer noch zugenommen und waren stets ein Trost für mich. Heute bin ich so glücklich zu sehen, wie Sie auch im Augenblicke der Trennung diese Gesinnung gegen mich hegen. Ich danke Ihnen ganz besonders für das rührende Andenken[8], das Sie mir überlassen wollen. Die heiligen Bischöfe von Metz und die übrigen Heiligen des Landes werden mich in meine Einsamkeit begleiten und mich immer an die geliebte Metzer Diözese erinnern. Ich werde sie jeden Tag anrufen und sie bitten, daß sie segnen und beschützen mögen das verehrte Domkapitel, die Hirten der Pfarreien, alle Priester und alle Gläubigen der Pfarreien. Von ganzem Herzen segne ich Sie und empfehle mich in Ihre heiligen Gebete.«

Die Tränen, mit denen die Priester diese Worte des scheidenden Bischofs begleiteten, waren der beste Beweis dafür, wie sehr Bischof Willibrord die Liebe und das Vertrauen seines Klerus besaß.

[216] Als nachher eine Abordnung der katholischen Männervereine mit dem verdienten Maire Prevel zum Abschied erschien, dankte der Bischof in französischer Sprache mit folgenden Worten: »Ich bin ganz gerührt von Ihrem Schritte und von den Gesinnungen, die Sie mir eben zum Ausdruck gebracht haben. Es ist wahr, ich liebte diese Diözese und ich habe mich ihr mit Leib und Seele geweiht. Gerne hätte ich meine Tage in Ihrer Mitte beschlossen, allein die Vorsehung hat es anders bestimmt. Ich bete ihre Ratschlüsse an und bleibe deshalb nicht weniger innig mit Geist und Herz verbunden mit dieser so gottesfürchtigen Diözese, die mir soviel Trost bereitet hat. Und Ihnen, meine Herrn, die Sie die Elite der Katholiken dieser Stadt sind, danke ich ganz besonders für die Erbauung, die für mich Ihre Überzeugung und Ihr so christliches Leben gewesen ist. Ich segne Sie, Sie und Ihre Familien und in Ihrer Person alle Gläubigen der Diözese und bitte um frommes Gedenken in Ihren Gebeten.«

Diese Ansprachen lassen erkennen, daß Bischof Willibrord innerlich das Opfer der Trennung vollkommen gebracht hatte. Kein Wort der Klage, geschweige denn der Bitterkeit kam über seine Lippen.

Am Nachmittag des gleichen Tages verabschiedete sich der Oberhirte im Priesterseminar von den Priestern, die am zweiten Kurs der Priesterexerzitien teilnahmen. Dabei schilderte Erzpriester Dupont aus Saarburg in herrlichen Abschiedsworten das segensreiche Wirken des scheidenden Bischofs.

Hier mögen auch einige Worte aus dem Artikel im »Lorrain« eine Stelle finden, mit dem Ehrendomherr Collin den Abschied Bischof Willibrords feierte: »... sein hoher Wert als Priester und Bischof, sein herzlicher Charakter als Mensch, seine Unparteilichkeit, seine tiefgehende Frömmigkeit, seine Güte haben ihm rasch die Sympathie und das Vertrauen aller seiner Diözesanen erworben; er bedurfte, wenn ich mich so ausdrücken darf, nur seiner, um sein Volk zu gewinnen, und das ist ihm vollständig gelungen ... Seine Diözesanen haben ihn sehr bald verstanden, geschätzt, geliebt. Sie haben es [217] empfunden, daß er Lothringer wurde, daß er nur Bischof war ... Darum hing das Volk ihm an, wünschte das Volk, daß er geehrt und geachtet bei uns bliebe ...«

Seelenruhe und Seelengröße atmet der letzte Hirtenbrief, den er zum Abschied an seine Diözesanen richtete. So konnte nur ein Mann reden, der alle selbstischen, ungeordneten Regungen in seinem Innern sich ganz unterworfen hatte und sich einzig und allein von treubesorgter Hirtenliebe leiten ließ. Der Hirtenbrief lautet:

»Geliebte Diözesanen! Seitdem Papst Leo XIII. hochseligen Andenkens Uns die Leitung der Diözese Metz anvertraut hat, sind beinahe achtzehn Jahre verflossen. Während dieser Zeit haben Wir Freud und Leid mit Euch geteilt, zumal die Prüfungen des langen, schrecklichen Krieges. Unsere Absicht war es, das bischöfliche Amt auch weiterhin unter Euch zu verwalten, solange der Herr Uns die nötige Kraft dazu schenken würde. Indes haben die inzwischen eingetretenen Ereignisse Uns veranlaßt, dem Heiligen Vater Unser bischöfliches Amt zur Verfügung zu stellen, wenn er glaube, die Verwaltung der Diözese einem anderen Hirten anvertrauen zu müssen. Der Heilige Vater hat nun die Entscheidung getroffen, Unsern Rücktritt genehmigt und der Diözese Metz einen neuen Oberhirten gegeben. In dieser Entscheidung erkennen Wir den unzweifelhaften Ausdruck des göttlichen Willens, dem Wir Uns bereitwillig unterwerfen. Ein besonderer Trost ist es für Uns, zu wissen, daß der Heilige Vater in Unserem bisherigen Generalvikar, Msgr. Pelt, Uns einen so ausgezeichneten und würdigen Nachfolger gegeben hat. Er ist der rechte Mann, die Diözese unter den neuen Verhältnissen zu leiten und Euch alle den Weg zum Himmel zu führen.

Geliebte Diözesanen! Es ist Uns ein Herzensbedürfnis, bevor Wir von Euch scheiden, Euch allen recht innig zu danken. Gott lohne Euch die Anhänglichkeit und Folgsamkeit, die Ihr Uns alle diese Jahre hindurch bewiesen habt! Ganz besonders danken Wir der hochwürdigen Geistlichkeit, bei der Wir von Anfang an so viele [218] treue Ergebenheit und Liebe gefunden haben. Wir danken den hochwürdigen Herren für die Uns bereitwilligst gewährte Unterstützung im heiligen Amte, für allen in der Seelsorge bewiesenen Eifer. Das Andenken an so viele treue Mitbrüder in Christo wird Uns unvergeßlich sein.

Wir danken Unsern ausgezeichneten Ordensgenossenschaften, den hochwürdigen Patres, die so hingebend Unsere Geistlichen unterstützen, und den ehrwürdigen Schwestern, deren segensreiche Wirksamkeit über alles Lob erhaben ist, deren frommes Gebet Uns stets Stütze und Trost war.

Besonders dankbar sind wir auch Unsern katholischen Lehrern und Lehrerinnen, die um die christliche Erziehung der Kinder sich so verdient gemacht haben. Wir können nur wünschen, daß ihr einmütiges Zusammenarbeiten mit der Geistlichkeit auch fernerhin von Gott reich gesegnet sei.

Geliebte Diözesanen! Das katholische Lothringen ist von alters her seinem heiligen Glauben treu ergeben gewesen. O bewahret diesen kostbarsten Schatz, den Eure Vorfahren Euch überliefert haben, und vererbt ihn ungeschmälert auf Eure Kinder und Kindeskinder. Tretet mutvoll ein für die Verteidigung Eurer religiösen Einrichtungen, wenn dieselben jemals bedroht werden sollten; vor allem gestattet niemals, daß die Schulen, in denen Eure Kinder erzogen werden, ihren katholischen Charakter verlieren. Traget Sorge, Eure Kinder in christlicher Gottesfurcht zu erziehen; gewöhnt sie frühzeitig an Fleiß und Selbstüberwindung und haltet sie an zur eifrigen Erfüllung ihrer religiösen Pflichten. Kommt auch selber gewissenhaft Euren Pflichten als katholische Christen nach. Haltet hoch die Reinheit der Sitten und lasset Euch durch die so verderbliche Vergnügungssucht nicht verführen. Seid treu vereint mit Euren Seelsorgern; ehret und liebet sie als Diener Christi und Stellvertreter Gottes und seid ihnen um Gottes willen gerne gehorsam.

Mögen in unsrem lieben Lothringen Sittenreinheit und echtes christliches Tugendleben stets blühen und immer schöner sich entfalten. [219] Damit Gott diese Unsere Wünsche erhöre, so werden Wir fortfahren für Euch zu beten und besonders beim heiligen Opfer Euch dem Herrn zu empfehlen. Seid auch Unser eingedenk in Euren Gebeten. So wollen wir uns gegenseitig unterstützen und einander helfen auf dem Wege zum Himmel. Dort werden wir uns Wiedersehen, um ewig vereint Gott zu lieben und zu loben.

Und nun erheben Wir zum letztenmal Unsere Hände und segnen Euch alle von Grund des Herzens im Namen des † Vaters und des † Sohnes und des Heiligen † Geistes. Amen.«

Diese ergreifenden Abschiedsworte machten tiefen Eindruck. Sie ließen das Bild des allgeliebten, seeleneifrigen Oberhirten wie in verklärendem Lichte erstrahlen. Ein Pfarrer schrieb später dem Bischof: »Aller Augen war tränenfeucht, als ich Euer Gnaden letztes Hirtenwort verlas und Hochderselben in Liebe gedachte.« Es wird das wohl nicht die einzige Gemeinde gewesen sein, der es beim Verlesen dieses Hirtenbriefes so erging.

Kurz vor der Abreise traf den Bischof noch eine große Verdemütigung, die er aber wie alle anderen Bitterkeiten in heiliger Seelenruhe über sich ergehen ließ. Am 23. August wurde ihm ein Erlaß zugestellt, wie ihn die anderen Deutschen erhielten, die freiwillig in ihr altes Vaterland zurückkehren wollten. Darnach hatte sich der Bischof am 27. August zu einer festgesetzten Stunde in einem bestimmten Saale des Bahnhofes einzufinden; er durfte nur ein genau bestimmtes Gewicht Handgepäck bei sich haben und eine bestimmte Summe deutschen Geldes. Dann sollte er den bekannten Weg über die Kehler Brücke nehmen. Am gleichen Tage noch machte der Generalkommissär Millerand, der eben nach Metz gekommen war, diese Verfügung rückgängig; Bischof Willibrord konnte nun abreisen, wann und wohin er wollte.

Der Tag der Abreise war vom Bischof auf Freitag, den 29. August, festgesetzt. Eine kleine Schar treuer Freunde hatte sich mit Bischof Pelt und dem Domkapitel zum Abschied am Bahnhof eingefunden. [220] Die Behörden hatten Bischof Willibrord einen Wagen erster Klasse zur Verfügung gestellt. Auch war ein eigener Vertreter der Zivil- wie der Militärbehörde erschienen.

Der Bischof segnete alle und umarmte seine Priester. Alle weinten tief bewegt, nur der Bischof blieb fest. Er hatte das Opfer der Trennung voll und ganz gebracht. Er schied ohne Bitterkeit, mit dem Bewußtsein, Gottes Willen erfüllt zu haben und jetzt wieder zu erfüllen.

Als der Zug aus der letzten Halle des Bahnhofs hinausfuhr, stand der Bischof am Fenster seines Wagens. Da fiel sein Blick auf ein altes Mütterlein, das tränenfeuchten Auges nach seinem scheidenden, vielgeliebten Bischof ausschaute. Als es den Bischof erblickte, fiel es auf die Knie nieder. Der Bischof machte ein großes Kreuz über das Mütterlein. Ihm ward die Ehre und das Glück zuteil, den letzten Segen des Bischofs zu empfangen.

Auf demselben Wege, auf dem er einst im Extrazuge seiner Bischofsstadt entgegengefahren war, verließ er nun Metz und seine Diözese. Welch ein Unterschied zwischen damals und jetzt!


  1. Daß die katholische Presse des Landes nicht zu dem Briefe Stellung nahm, lag in den Verhältnissen begründet.
  2. Vgl. die Zeitschrift »Der Fels« 16 (1921) 312f.
  3. In Übersetzung geboten.
  4. Abgedruckt im französischen Original in der »Revue ecclésiastique de Metz« 26 (1919), 275–284.
  5. 1 Chron. 29, 18.
  6. Apg. 20, 32.
  7. Die Ansprache wird hier in Übersetzung geboten.
  8. Es war ein Reliquiar mit Reliquien der heiligen Bischöfe von Metz.