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Erinnerungen aus meinem Leben/Die ersten Klosterjahre

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aus: Erinnerungen aus meinem Leben
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von: Willibrord Benzler
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[21]
Die ersten Klosterjahre
(1874–1880)

Als ich im Herbste des Jahres 1874 aus den Ferien nach Innsbruck zurückreiste, gedachte ich unterwegs meinen Studienfreund, Cl. Swiersen, zu besuchen. Derselbe war zwei Jahre vorher bei den Benediktinern im Kloster Beuron[1] eingetreten und hatte unter dem Namen Frater Adalbert bereits die Ordensgelübde abgelegt.

Ich nahm den Weg über Speyer, wo ich in der Morgenfrühe den herrlichen Kaiserdom staunend besichtigte; dann ging’s über Offenburg durch den einzig schönen Schwarzwald nach der württembergischen Stadt Tuttlingen. Weiter führte damals die Bahn nicht. So wanderte ich denn des anderen Morgens über Mühlheim und Fridingen, zwei ehemalige freie Reichsstädte, von deren alter Herrlichkeit kaum etwas anderes als die Erinnerung übrig geblieben ist, und stieg, als es eben auf dem Klosterturm elf Uhr schlug, ins Beuroner Tal hinab.

Da lag das friedliche Kloster vor mir in stiller Weltabgeschiedenheit, inmitten einer hochromantischen Natur. Ich ahnte nicht, daß es meine zweite Heimat werden sollte. Es war an einem Samstag, am 26. September.

Eine ehrwürdige, gedeckte Holzbrücke führte mich über die junge Donau. Bald stand ich an der Klosterpforte. Der Pater Gastmeister empfing mich liebevoll und geleitete mich in eine freundliche Zelle. Hier durfte ich meinen Freund Fr. Adalbert, begrüßen, und konnte die folgenden Tage des öftern mit ihm verkehren.

Das Benediktinerleben, wie ich es hier zum ersten Male vor mir sah, war mir etwas ganz Neues und nicht sogleich verständlich; es ließ mich fast gleichgültig und kalt. Und doch trat mir der Gedanke vor die Seele, ob nicht am Ende hier der Ort meiner Ruhe sei, die [22] Stätte, an der ich Gott dienen solle. Ich wollte den Gedanken abweisen; aber es half nichts, ich mußte ihm ins Auge schauen und mich mit ihm auseinandersetzen. Im Gebete erwog ich das für und wider, und mehr und mehr neigte sich die Wagschale zu Gunsten Beurons. Es schien mir, ich könne Gott besser dienen und das Heil meiner Seele sicherer wirken in einem stillen, zurückgezogenen Leben, als in einem Leben, das mehr der äußeren Tätigkeit gewidmet ist. Wohl empfand ich die Verzichtleistung auf den Eintritt in die Gesellschaft Jesu als ein sehr schweres Opfer; allein die Grundsätze des heiligen Ignatius führten mich selber zum Orden des heiligen Vaters Benedikt. So wurde die Überzeugung in mir immer klarer, daß Gott mich in Beuron haben wolle. Ich konnte nicht mehr daran zweifeln. Der Entschluß ward gefaßt, das Opfer gebracht!

Aber war mein Handeln nicht übereilt? Hätte ich die Sache nicht besser überlegen, mich gründlicher prüfen sollen? Schnell war meine Entschließung, doch nicht unüberlegt. Wenn der Wille Gottes sich mit aller erwünschten Klarheit zu erkennen gibt, dann soll man nicht zaudern: »Nescit tarda molimina Spiritus Sancti gratia« (des Heiligen Geistes Gnade kennt keine Mühe und kein Zagen)[2]. Ich habe meinen Entschluß nie zu bereuen gehabt, Gottes Güte hat mein Vertrauen überreich belohnt.

Eine Unterredung mit dem hochwürdigsten Herrn Abte, Dr. Maurus Wolter, bestärkte mich in meinem Vorhaben. Ich traf den Verfasser des großen Psalmenwerkes »Psallite sapienter«[3] bei der Erklärung des Verses: »Et dixi: nunc cœpi, hæc mutatio dexteræ excelsi« (Ich spreche: Jetzt fang ich an; die Änderung kommt von des Allerhöchsten Rechten) Ps. 76, 11. Diese Worte, die mir als ein Wink der göttlichen Vorsehung erschienen, haben mich oft gestärkt und ermuntert. Nachdem in dem sogenannten Skrutinium mein Beruf geprüft worden war, erhielt ich die Aufnahme und am 7. Oktober fand [23] nach der Vesper im Kapitelsaale die eindrucksvolle Feier der Einkleidung und damit die Aufnahme ins Postulat statt[4].

Jetzt galt es, die Probezeit, die dem eigentlichen Noviziatsjahre vorausging, wohl zu benützen, und mich zunächst in den äußeren Formen des neuen Lebens zurechtzufinden, das heißt mich mit den Vorschriften für den Chor, das Refektorium und das übrige gemeinschaftliche Leben vertraut zu machen. Dabei ging mir der [24] Zelator oder Gehilfe des Novizenmeisters an die Hand. Zelator war damals Fr. Ambrosius Kienle, der später durch seine kirchenmusikalischen Schriften sich einen Namen gemacht hat. Er weilt längst nicht mehr unter den Lebenden († 18. Juni 1905); für das Gute, das er mir im Beginn meines Klosterlebens erwiesen hat, bewahre ich ihm ein dankbares Andenken.

Die eigentliche monastische Bildung lag natürlich in der Hand des Novizenmeisters. Ich hatte das Glück, mein Noviziat unter der Leitung eines ganz hervorragenden Mannes zu machen. Es war dies der spätere Primas des Benediktinerordens, P. Hildebrand de Hemptinne. Als Belgier von Geburt sprach er das Deutsche nur unvollkommen, und ich erinnere mich noch lebhaft, wie ich anfangs in den Konferenzen alle Mühe hatte, das Lachen zu unterdrücken, wenn P. Hildebrand mit verblüffender Gelassenheit Fehler im Deutschen machte. Doch das Lachen verging mir bald über dem herrlichen, unvergleichlichen Inhalt seiner Vorträge. In geistreichster Weise erklärte er uns die heilige Regel oder unter­richtete uns über die verschiedensten Lehrgegenstände des geistlichen Lebens. Eine ganz neue Welt eröffnete sich da meinem Geistesblicke. Eine solche Originalität, Wahrheit und Tiefe war mir bisher nicht begegnet.

Die Konferenzen unseres P. Novizenmeisters waren mir denn auch eine große Freude, und lebhaft bedauerte ich es, als seine schwächliche Gesundheit ihn nötigte, die Zeit derselben abzukürzen. Kein Wort ließ ich mir entgehen; ich machte Notizen während des Unterrichtes, die ich nachher sorgfältig ins Reine schrieb. So erschloß sich mir mehr und mehr das Verständnis der heiligen Regel, des liturgischen und des monastischen Lebens.

Wenn mir auch das Opfer meines Herzenswunsches noch lange nachging, so fühlte ich doch immer mehr, daß ich in meinem Elemente, am rechten Platze war. Die heilige Geistesfreiheit der Benediktineraszese tat meiner Seele recht wohl. Die Regel des [25] heiligen Benedikt, dies ehrwürdige Gesetzbuch des monastischen Lebens, lernte ich schätzen und lieben; ihre Bestimmungen entsprachen vielfach dem innersten Empfinden meiner Seele. So die Anforderungen, die an den Novizen zu stellen sind: »ob er wahrhaft Gott suche, ob er Eifer habe für den Gottesdienst und für den Gehorsam« (Kap. 58). Letztere Tugend sagte mir besonders zu, schon aus dem eigennützigen Beweggrunde, weil ich ihre Notwendigkeit für mich fühlte, dann aber auch, weil ich im Befehle des Oberen unzweideutig den Willen. Gottes sehen durfte. In dieser Hinsicht bereitete mir also das klösterliche Leben keine Schwierigkeiten, im Gegenteil, es ward mir wert und teuer. Das Wort der heiligen Regel: »Ambulantes alieno judicio et imperio in cœnobiis degentes abbatem sibi præesse desiderant« (sie wandeln nach dem Ermessen und Befehle eines anderen, bleiben im Kloster und haben den Wunsch, unter einem Abte zu stehen) Kap. 5, waren mir aus der Seele gesprochen. Auch die übrigen Obliegenheiten des Ordensstandes waren mir sehr zusagend. Wenn der heilige Benedikt im Kapitel über die Armut (Kap. 33) diese begründet: »Quippe quibus nec corpora sua nec voluntates licet habere in propria voluntate« (es ist den Mönchen nicht erlaubt, über ihren Leib und ihren Willen frei zu verfügen), so hatte ich dafür ein freudiges Verständnis.

Ohne Zweifel hat die göttliche Gnade meine Schwäche wirksam unterstützt und mir den Weg des monastischen Lebens sehr geebnet. Die größten Schwierigkeiten hatte ich mit mir selber, mit den Verwirrungen des eigenen Innern. Doch die liebevolle, verständige Leitung unseres Meisters half immer wieder über diese Hindernisse hinweg.

Auch an äußeren Schwierigkeiten fehlte es nicht; die ungewohnte Lebensweise, die rauhe Jahreszeit machten sich fühlbar und manchmal, wenn ich des Abends in der eisigen Kirche die Altäre besuchte, drängte sich mir das Gebet des heiligen Placidus auf die Lippen: »Domine Jesu Christe, da nobis virtutis constantiam, ut hujus agonis stadium intrepida mente percurrere valeamus« (Herr [26] Jesus Christus, gib uns die Kraft auszuharren, damit wir die Rennbahn dieses Kampfes unerschrockenen Geistes zu durcheilen vermögen). Diese kleinen äußeren Beschwerden waren nicht ohne Nutzen, sie stählten Geist und Körper.

Auch im liturgischen Leben begann ich mich zurechtzufinden. Es erschloß sich mir immer klarer die Erkenntnis, welch reiche geistigen Schätze in ihm verborgen sind. Den Grundsatz der heiligen Regel: »Operi Dei nihil praeponatur« (dem Gottesdienste soll nichts vorgezogen werden) Kap. 43 machte ich mir gerne zu eigen. Die Feier des göttlichen Offiziums im Chore, das tägliche Konventamt und die jeden Tag gesungene Vesper verfehlten ihren wohltuenden Eindruck nicht; unter diesem Einfluße lebte man wie von selber in der Atmosphäre der Kirche und ihres liturgischen Jahres. In der Fastenzeit pflegten die Novizen auch der zweiten Konventmesse, de feria, beizuwohnen. Ich betrachtete während derselben die herrlichen, für diese Tage bestimmten Meßgebete und fand darin reiche Nahrung und großen Trost.

Ein wesentliches Element des liturgischen Lebens ist der kirchliche Choralgesang. Die Leitung desselben lag damals in Beuron in ausgezeichneten Händen. P. Benedikt Sauter, der spätere Abt von Emaus in Prag, war in der Schule Dom Pothiers in Solesmes gebildet und hatte für den Choral ein überaus feines Verständnis; überdies verfügte er über ein klangvolles Organ, so daß er ganz dazu geeignet war, den Chorgesang zu leiten. Er hatte damals schon sein Werk »Choral und Liturgie« (1865) veröffentlicht und damit in weiteren Kreisen das Verständnis für die Liturgie und den offiziellen Gesang geweckt und neu belebt. In Beuron standen wir damals unmittelbar unter seinem frischen, anregenden Einflusse.

Was mich in meiner neuen Heimat besonders wohltuend anmutete, war der dort herrschende Geist eines echten, übernatürlichen Familienlebens. Die klösterliche Genossenschaft bildete der Regel des heiligen Benedikt entsprechend eine wahre Gottesfamilie. Mit Liebe und Verehrung schauten die Mönche zum Abte als zu ihrem [27] Vater auf, und alle umschlang das Band aufrichtiger brüderlicher Liebe. Der Abt leitete mit Weisheit und Milde die ihm anvertraute Gemeinde. Allabendlich versammelte er sie um sich zu einer geistlichen Konferenz. An den Sonn- und Feiertagen wurden aszetische Stoffe oder die betreffenden Festgeheimnisse behandelt; an den Wochentagen kam die heilige Schrift, besonders das Psalmenbuch zur Geltung. Diese Konferenzen trugen nicht wenig bei zur Stärkung der inneren Bande, welche die klösterliche Familie zusammenhielten.

Nicht an letzter Stelle kam der Familiengeist in den gemeinsamen Erholungen mittags und abends zum Ausdruck und fand darin seine Nahrung. Die Unterhaltung war eine gemeinsame, jeder sollte dazu seinen Beitrag liefern; Privatgespräche sollten nicht geführt werden. Den Mittelpunkt der Rekreation bildete naturgemäß unser P. Magister, der, stets heiter, uns die Erholungszeit überaus angenehm zu machen wußte. Er war noch jung, hatte aber schon vieles erfahren und war ein Kenner der Menschen und des Lebens. Kaum den Knabenjahren entwachsen, war er in die päpstliche Armee eingetreten und Zuavenoffizier geworden. Aus seinen Erlebnissen wußte er manches Heitere und Interessante zu erzählen. Er verstand es auch, alle Dinge in geistreicher Weise aufzufassen und zum Gegenstande des Gespräches zu machen. So wurden die mit ihm verbrachten Erholungsstunden ebenso anregend als erfreuend.

Welch zarte Rücksichtsnahme in der Rekreation geübt wurde, sollte ich gleich anfangs erfahren. Ich hatte im Chordienst meine ersten Versuche machen müssen, und es war nicht ohne verschiedene Fehler abgegangen. Ich erwartete es als etwas ganz Selbstverständliches, daß in der Erholung meine Ungeschicklichkeit mit der gebührenden Heiterkeit ins Licht gesetzt würde. Wie war ich aber erstaunt und aufs angenehmste überrascht, als hierüber auch nicht die leiseste Bemerkung gemacht wurde.

Wir waren damals ziemlich zahlreich im Noviziate, über zwanzig, Postulanten, Novizen und junge Professen. Letztere blieben noch zwei Jahre nach der Gelübdeablegung unter der Leitung [28] des Novizenmeisters. Nicht nur Süd- und Norddeutschland waren da vertreten, sondern auch Belgien und die Schweiz. Diese Verschiedenheit des Volkstums störte aber das herzliche Einvernehmen nicht im geringsten, sondern förderte es und machte das Zusammenleben umso interessanter.

Zweimal wöchentlich wurde ein größerer gemeinsamer Spaziergang in die unvergleichlich schöne Umgebung unternommen. Beuron liegt an der oberen Donau in den Hohenzollernschen Landen. Das Tal ist eng und wildromantisch; es bildet gleichsam eine natür­liche Klausur um das Kloster. Zu beiden Seiten des jungen Stromes steigen bewaldete Berghänge steil empor, vielfach von hervorragenden Felsen unterbrochen. Die mannigfaltigsten Wege durchziehen diese Herrlichkeiten der Natur, und unser P. Magister verstand es, sie in reichster Abwechslung uns genießen zu lassen. In der besseren Jahreszeit wurde der Spaziergang manchmal durch Arbeiten im Freien ersetzt, besonders zur Erntezeit, wo es in Feld und Wiese nicht nur für die Novizen, sondern für die ganze Klosterfamilie Beschäftigung gab. Im Noviziat stand die Handarbeit in Ehren und gehörte zu den täglichen Übungen. Wir hätten zwar nicht, wie die alten Mönche, vom Erträgnisse derselben leben können, doch machten wir uns immerhin im Hause und im Garten nützlich.

In der heiligen Fastenzeit fanden die jährlichen Exerzitien der Klostergemeinde statt. Der hochwürdigste Herr Abt hielt in diesem Jahre selber die Vorträge. Sie waren von den Exerzitienvorträgen, wie ich sie bisher gehört hatte, nicht wenig verschieden. War uns früher sozusagen nur das Gerippe der Betrachtungen gegeben worden, das wir selber ausfüllen mußten, so gut es eben ging, so wurden uns jetzt voll ausgearbeitete geistliche Vorträge geboten, so daß wir nachher von den reichen Geistesschätzen genießen und uns aneignen konnten, was uns am meisten zusagte oder am nötigsten war. Für mich waren so die Exerzitien bedeutend leichter und fruchtbarer gemacht.

Noch größeren seelischen Gewinn und geistlichen Trost zog ich aus den Exerzitien nach einer Unterweisung, die uns der P. Novizenmeister [29] bei einer anderen Gelegenheit gab. Da diese Winke auch anderen von Nutzen sein können, so mögen hier die kurzen Aufzeichnungen folgen, die ich während der betreffenden Unterweisung gemacht habe: »In den Exerzitien sollen wir besser erkennen, was wir tun müssen, um vollkommen zu werden, und was wir hierin haben fehlen lassen. Wir sollen neue Kräfte sammeln, um unsere Vorsätze ausführen zu können. Die Exerzitien sind eine Ruhezeit; die geistige Ermüdung soll schwinden, die Seele soll frische Kraft gewinnen. Stellen wir unseren Geist vor Gott. Haben wir Freude an Gott, am heiligen Kreuze. Innige Vereinigung mit Christus. Die Gnade Gottes einsaugen; weinen, hoffen, lieben. Hüten wir uns vor der Gefahr, die Exerzitien zu wissenschaftlich aufzufassen, zu viel zu schreiben, zu viele Worte zu machen: »non in multiloquio« (nicht mit vielen Worten). Alles auf dem Papier, nichts im Herzen! Aufzeichnungen machen ist gut, aber nicht zu viel, nicht wissenschaftlich, sondern: Liebesaffekte, Vorsätze, die man am monatlichen Rekollektionstage wieder durchlesen kann. Ein anderes Hindernis: die Andacht, die Zerknirschung erzwingen wollen. Das ist unnütz und unmöglich. Die Früchte der Exerzitien werden dann geringer sein, weil Anmaßung mitspielt. Knien wir demütig vor dem Kruzifix nieder und halten wir uns ganz ruhig. Die Exerzitien sollen für die Seele eine Erholungszeit sein. Keine Tröstungen suchen, nur Gott. Plagen wir den Geist nicht zu viel…« Es liegt in diesen kurzen Winken eine tiefe Weisheit.

Die Betrachtungsmethode selber war bedeutend einfacher, als ich sie bisher mehr oder weniger gut geübt hatte. Ich gestehe, daß ich froh war, die Rüstung Sauls ablegen und mit Stab und Schleuder, das heißt mit der schlichten Erwägung der geoffenbarten Wahrheit und dem daraus von selber sich ergebenden Vorsatz und Gebet, in den geistlichen Kampf ziehen zu können. An dem Evangelium von der Verklärung des Herrn auf Tabor hat uns P. Magister später einmal die Betrachtung erklärt. Die Notizen, die ich während jener Konferenz niedergeschrieben habe, dürften interessieren. »Assumpsit [30] Jesus Petrum« (Jesus nahm den Petrus) etc.: Aus uns selbst gelangen wir nicht zur Beschauung; Gott muß uns erwählen. Daher sollen wir nie durch ein falsches Verlangen in das Geheimnis der Kontemplation eindringen wollen; das würde Gott nur von uns entfernen. Uns ziemt demütiges Harren. Christus erwählte die Jünger, diese folgten; auch wir müssen Christus folgen, auch wenn er uns auf ein Gebirge führt; treu und mutig müssen wir ausharren. Viele sind berufen, wenige auserwählt, weil nur wenige bereit sind, alles Irdische aufzugeben. »Et transfiguratus est ante eos« (Er wurde vor ihnen verklärt): Auch uns erscheint der Heiland während der Betrachtung in anderer Gestalt, anders wie gewöhnlich im bloßen Glauben; der Glaube bleibt, aber alles wird heller, leuchtender. »Et resplenduit facies ejus« (Da leuchtete sein Antlitz): Im Anfange der Betrachtung muß die Seele in eine große Ruhe eingehen. Die Folge dieser andächtigen Sammlung in der Gegenwart Gottes ist, daß Licht und Klarheit den Geist erfüllen. »Et ecce, Moyses et Elias loquentes cum Jesu« (Siehe, da sprachen Moses und Elias mit Jesus): Die Worte des Neuen oder des Alten Testamentes bilden den Gegenstand unserer Betrachtung; daran erfreuen wir uns umso mehr, je tiefer uns Gott in seine Wahrheit einführt. »Domine, bonum est nos hic esse« (Herr, da ist gut sein): Unser Herz glüht wie das der Jünger auf dem Wege nach Emaus. Aber, wir sollen nicht zu schnell zum Reden übergehen (Domine etc.), sondern abwarten, ob Gott uns noch weiter führen will. »Et ecce, vox de nube dicens« (Siehe, da erscholl eine Stimme aus der Wolke): Auch zu uns wird Gott also sprechen: »Hic est Filius meus dilectus, ipsum audite« (Das ist mein geliebter Sohn, ihn höret): höret und tuet, was ihr vernommen. Die Wirkung jeder guten Betrachtung ist die Besserung des Lebens. »Et ceciderunt in faciem suam« (Sie fielen auf ihr Angesicht nieder): sie beteten Gott an und fürchteten sich sehr. Unser Entschluß muß sein, nicht mehr die falschen Götter unserer Leidenschaften anzubeten, sondern Gott allein. »Et accessit Jesus et tetigit eos« (Da trat Jesus zu ihnen und berührte sie): Auf das Gebet muß die Arbeit folgen. »Levantes oculos neminem [31] viderunt, nisi solum Jesum« (Als sie ihre Augen erhoben, sahen sie niemanden als Jesus allein): Es ist ein großer Schmerz für die Heiligen, vom Tabor der Betrachtung und der Beschauung herabzusteigen; aber wenn wir unter der Führung Jesu zu den gewöhnlichen Beschäftigungen zurückkehren, so werden wir in ihnen Gott mehr lieben, wir werden treuer unsere Pflichten erfüllen. »Nemini dixeritis« (Saget es niemanden): Niemanden sollen wir offenbaren, was Gott an uns tut, nur unserem Seelenführer sollen wir es mitteilen in Einfalt und Wahrheit; einstens am Tage des Gerichtes wird Gott es der ganzen Welt kundtun. Wohl uns, wenn wir seine Gnaden treu benützt, wehe uns, wenn wir sie mißbraucht haben!«

Allerdings, Taborstunden sind selten; doch ein Schimmer des Lichtes und des Glückes jenes heiligen Berges liegt über jeder mit demütigem und frommem Sinne angestellten Betrachtung. So ist mir die einfache, ungezwungene Erwägung der Wahrheiten unseres heiligen Glaubens, dieser Lebens- und Liebesverkehr mit Gott, immer lieber und vertrauter geworden; ich habe reichen Nutzen daraus geschöpft, und wenn einmal die Verhältnisse die Betrachtung unmöglich machten, so empfand ich es stets als einen empfindlichen Mangel.

Die Zeit des Postulates eilte dahin. Nach mehr als sieben Monaten sollte ich ins Noviziat aufgenommen werden. Allein am Vorabende der Einkleidung stellte sich bei mir starkes Blutbrechen ein, so daß die Zeremonie aufgeschoben werden mußte. Die Ungewißheit, in der ich mich nun befand, machte auf mich nicht den geringsten Eindruck. Ich war meines Berufes so sicher, daß ich an der Fortsetzung des begonnenen Lebens ganz und gar nicht zweifelte. Ich wartete in aller Ruhe das Weitere ab, und da der Anfall sich nicht wiederholte, so konnte die Aufnahme ins Noviziat am 1. Juli stattfinden. Mit mir wurde ein belgischer Postulant als Novize eingekleidet, Fr. Robert de Kerchove, der nachmalige Abt des Klosters Regina Cœli in Löwen[5]. Zum monastischen Namenspatron [32] erhielt ich, wie ich es mir im geheimen gewünscht hatte, den heiligen Willibrord; der hochwürdigste Herr Abt legte mir in seiner Ansprache besonders ans Herz, seine Demut nachzuahmen.

Still und friedlich floß das Leben im Noviziate dahin. Doch draußen im Lande erschallte bereits der Kriegsruf des Kulturkampfes. Die Klöster sollten seine ersten Opfer werden. Das Gesetz vom 31. Mai 1875 schloß alle geistlichen Orden und ordensähnlichen Kongregationen der katholischen Kirche vom Gebiete der preußischen Monarchie aus und verfügte die Auflösung der bestehenden Niederlassungen binnen sechs Monaten.

Fürstin Katharina von Hohenzollern[6], die Gründerin des Klosters Beuron, bot alles auf, um ihre Stiftung zu retten. Vergebens. Nachdem jede Aussicht, auf Erhaltung des Klosters geschwunden war, wandte sich Abt Maurus nach Oesterreich, um dort eine Zufluchtstätte zu finden. Zu Budapest wurde er von Kaiser Franz Josef I. in Audienz empfangen. Die Aufnahme war sehr freundlich, doch hatte der Kaiser ernste Bedenken, wohl politischer Natur. Gleichwohl erhielt Abt Maurus bald darauf eine günstige Entscheidung. Das ministerielle Schreiben, das nach einiger Zeit eintraf, genehmigte eine Niederlassung der Beuroner Benediktiner in dem Servitenkloster zu Volders bei Hall in Tirol. Erst nach Jahren erfuhr Abt Maurus, daß der Kaiser nicht nur eine Niederlassung in Volders, sondern auch eine solche in Maria-Plain bei Salzburg gestattet hatte. Ministerielle Willkür hatte uns aber von diesem schönen Wallfahrtsorte ausgeschlossen.

Die erste Adventswoche wurde zur Übersiedlung der Klosterfamilie nach Volders festgesetzt. In Beuron hatte inzwischen das klösterliche Leben seinen gewohnten Fortgang genommen. Wir Novizen lebten sorglos dahin. Die Übersiedlung wurde in Ruhe vorbereitet; sie war für mich eine Anordnung des Gehorsams wie jede andere, und erschien mir als etwas Selbstverständliches.

[33] Rührend war die Abschiedsfeier. Nach dem Konventamt besuchte die Klostergemeinde die Altäre der Abteikirche; bei jedem wurde eine entsprechende Antiphon mit Oration gesungen. Vor dem Gnadenbilde der lieben Schmerzensmutter hieß es: »Gedenke, o Jungfrau, Gottesmutter, daß du vor dem Angesicht des Herrn standest, um gut für uns zu sprechen und seinen Zorn von uns abzuwenden«[7].

Dann bestiegen wir den Wagen, der uns bei Schneewetter nach Sigmaringen brachte. Des Abends langten wir in Ulm an. Von dort ging es des anderen Tags über München nach Hall in Tirol und zum Kloster des heiligen Karl an der Volderer Brücke. Es war am Samstag vor dem zweiten Adventsonntag.

Das ziemlich geräumige Kloster gehörte den Serviten, war aber nur von zwei Patres bewohnt. Es bot hinreichend Platz für die neuen Ankömmlinge; doch befand es sich teilweise in schlechtem Zustande. Am Nötigen hat es uns dort nie gefehlt, wenn auch die Anfänge einer gewissen Romantik nicht entbehrten. So fanden wir auf dem Noviziate ein mächtiges, altes Tischgestell, aber ohne Platte. Dieser unhaltbare Zustand konnte natürlich nicht lange dauern. Bald schloß sich die gähnende Leere, und ein langes Sitzbrett ersetzte die mangelnden Stühle. Doch dieser bescheidene Komfort beeinträchtigte unsere gute Stimmung nicht im Mindesten. Mir – und ich glaube bei den andern war es gerade so – kam alles als ganz natürlich und selbstverständlich vor.

Auch in der Kirche richteten wir uns ein, so gut es gehen wollte. Die Kirche ist durch ihre Gemälde berühmt; sie wurde von dem Tiroler Arzte Guarinoni († 1654) erbaut, der einst Edelknabe am Hofe des heiligen Karl Borromäus gewesen war und dem der Heilige gesagt haben soll, er werde ihm dereinst eine Kirche errichten.

Die braven Leute der Nachbarschaft waren dem Kloster sehr zugetan und machten sich nach guter Tiroler Art gerne die Gelegenheit zu Nutzen, recht vielen heiligen Messen beizuwohnen.

[34] Der Winter war streng; die Kirche, unmittelbar am Inn gelegen, sehr kalt. Aber was verschlug’s? Die Herzen erfroren mit nichten!

Natürlich sahen wir uns auch in der lieben Gottesnatur um, und da mußten wir der Vorsehung wirklich dankbar sein, daß sie uns mitten in solche Herrlichkeiten geführt hatte. Auf den wöchentlichen Spaziergängen in die nächste Umgebung hatten wir Gelegenheit, die Wunder der Alpenwelt anzustaunen. Bisweilen wurden die Gänge wohl auch weiter ausgedehnt, ins romantisch gelegene Volderbad, oder zum Speckbacher Haus in Gnadenwald oder auch zum seligen Anderl nach Rinn, wo im Kirchlein die Reliquien des heiligen Kindes verehrt werden. Die ragenden Alpen sprachen uns immer wieder von der Macht des Schöpfers, Kirchlein und Kreuz wiesen uns höher hinauf. Die Inschrift am Fuße eines Kreuzbildes gab diesem doppelten Gedankenfluge sinnigen Ausdruck: »In dem Tempel der Natur – siehst du des großen Gottes Spur; – doch willst du ihn noch größer seh’n, – dann bleib bei seinem Kreuze steh’n.«

Auf die Größe Gottes in der Erlösung der Menschheit wies uns beständig das liturgische Leben hin mit all den Festen, welche die Wunder der göttlichen Liebe und Huld feiern. Der Novizenmeister ließ es sich angelegen sein, uns immer mehr das Verständnis des liturgischen Jahres sowohl im allgemeinen, als auch in seinen großen Gedenktagen zu erschließen.

Neben den Unterweisungen des Noviziates war es auch die Privatlektüre, die uns im geistlichen Leben förderte. Ich erinnere mich mit Dankbarkeit an die Lesung zweier bekannter Schriften des heiligen Alphons, die mich damals erbauten. Es war »Die wahre Braut Christi«, diese treffliche, praktische und warmherzige Einführung in die Pflichten des Ordensstandes und die »Übung der Liebe zu Jesus Christus«, ein schlichter, tief empfundener Kommentar zum Kapitel (13.) über die Liebe aus dem ersten Korintherbriefe. Später führte mich das herrliche Buch von Scheeben-Nierenberg »Die Herrlichkeiten der göttlichen Gnade« ein in die Betrachtung des übernatürlichen Wirkens Gottes in unseren Seelen.

[35] So ging das Noviziatsjahr allmählich zu Ende. An meinem Berufe hegte ich nicht den mindesten Zweifel; die heiligen Ordensgelübde abzulegen, war mein einziger Wunsch. Doch sollte meine Geduld nochmals auf die Probe gestellt werden. Die belgische Gründung zu Maredsous in der Diözese Namur war inzwischen herangewachsen; das neue, großartige Abteigebäude, eine Stiftung der edlen Familie Desclée in Tournai, konnte bezogen werden, und nun sollte die Klostergründung ihre Vollendung erhalten durch die Erhebung zur Abtei und die Weihe ihres ersten Abtes. Der Bruder unseres hochwürdigsten Abtes, Plazidus Wolter, eröffnete die Reihe der Äbte von Maredsous, und mein Mitnoviz Fr. Robert de Kerchove durfte als erster Profeß seine Gelübde in die Hände des neuen Abtes ablegen. Diese wichtigen Angelegenheiten hielten Abt Maurus in Belgien zurück; erst im August kehrte er zu uns heim. Der 15. dieses Monates, das Hochfest der lieben Gottesmutter, war der Tag meiner Gelübdeablegung.

Es war ein Tag ungetrübter Freude. Von Herzen weihte ich mich dem Herrn, der mich so gnädig, so liebevoll geführt hatte. Mein Bruder war aus Westfalen herbeigeeilt, um meine Freude zu teilen.

Einige Wochen später, am Schutzengelfeste, wenn ich nicht irre, empfing ich aus der Hand des hochwürdigsten Abtes die niederen Weihen. P. Magister hatte mir zur Vorbereitung darauf den Gedanken gegeben: Im Alten Bunde hatte Gott den Stamm Levi und die Familie Aarons zum Dienste des Altares erwählt; im Neuen Bunde ist es nicht ein Stamm, eine Familie, die Gott ein für allemal erwählt, sondern er beruft jeden einzelnen in besonderer Weise, den er fürs Priesteramt ausersehen hat.

Noch im selben Monate sollte ich in München die Subdiakonats- und die Diakonatsweihe empfangen. Doch zuvor mußte meine Militärangelegenheit ins reine gebracht werden. Ich hatte mich an die preußische Regierung gewendet mit der Bitte, aus dem Staatsverbande entlassen zu werden. Dieses Gesuch war gewiß [36] gerechtfertigt, da ja die Maigesetze die Ordensleute aus Preußen vertrieben hatten. Allein es wurde ihm nicht stattgegeben, »weil ich mich im militärpflichtigen Alter befinde und die beabsichtigte Auswanderung zu der Annahme berechtige, daß ich lediglich auswandere, um mich dem Dienste im Heere oder in der Flotte zu entziehen«[8]. Bei der Musterung wurde ich zunächst zurückgestellt, bei einer späteren Stellung aber für untauglich erklärt.

Nachdem ich bei dem damaligen Generalvikar in München, Dr. Rampf, nachmaligem Bischof von Passau, ein gelindes Examen bestanden hatte, erteilte mir Erzbischof Gregorius von Scherr († 24. Oktober 1877) in seiner Hauskapelle die beiden ersten höheren Weihen. Der hochwürdigste Herr, selber Benediktiner und früher Abt von Metten, bewies mir so viel herablassende Güte, daß ich darob tief gerührt ward, und sich mir der Gedanke aufdrängte: Wie gut, o Gott, mußt du selber sein, wenn deine Stellvertreter schon so gütig sind!

Um dieselbe Zeit forderte der Herr von mir ein überaus schweres Opfer. Unser geliebter Novizenmeister, P. Hildebrand de Hemptinne, war für eine Klostergründung in England, zu Erdington[9] bei Birmingham, ausersehen und mußte uns noch im selben Monat (September 1876) verlassen.

Das war das erste, große Kreuz, das mir im Ordensleben begegnete. Ich verdankte P. Hildebrand so viel; mit mütterlicher Sorge hatte er sich meiner angenommen, mir geholfen in allen Schwierigkeiten; er verstand mich vollkommen und kannte alle Bedürfnisse meiner Seele. Doch das Opfer mußte gebracht werden, mochte es noch so schwer sein; lange, lange fühlte ich es, aber es war mir zum Heile. Wie der Heiland den Jüngern seine sichtbare [37] Gegenwart entzog, um ihnen reichlicher die Gnaden seines Geistes zu spenden, so mußte auch ich etwas Ähnliches erfahren. »Es ist gut für euch, daß ich gehe.« Der Herr wollte mich lehren, mich nicht auf einen Menschen, und wäre es auch der beste, zu stützen, sondern auf ihn allein. In diesem Sinne ist mir das schmerzliche Opfer heilsam geworden. Ich mußte übrigens Gott herzlich dankbar sein, daß er mir für den Beginn des monastischen Lebens einen so ausgezeichneten Führer gegeben hatte.

Selbstverständlich bewahrte ich P. Hildebrand zeitlebens die größte Dankbarkeit; schuldete ich ihm doch so viel! Er hatte uns eingeführt in die »Schule des göttlichen Dienstes«, die der heilige Benedikt durch seine Regel errichtet hat; er hatte uns begeistert für das monastische Leben und uns dessen Verständnis in so überraschender Weise zu erschließen gewußt; er hatte uns Hochschätzung und Liebe für das liturgische Gebet gelehrt; er hatte uns angeleitet zu einem inneren Leben und hatte uns im Gehorsam gegen den Abt und gegen die heilige Kirche den festesten Halt gegeben fürs ganze Leben.

Am 20. September hielt P. Hildebrand seine Abschiedskonferenz. In ihr führte er etwa folgendes aus: »Es soll diese Konferenz eine Zusammenfassung alles dessen sein, was ich Ihnen bisher gesagt habe. Die Vollkommenheit besteht in der Ähnlichkeit mit Christus, dem Gekreuzigten. Von Jesus Christus heißt es in der Heiligen Schrift: »Dilectus meus candidus et rubicundus« (Mein Geliebter ist weiß und rot) Hohesl. 5, 10, – »candidus« (weiß) durch seine Unschuld: Auch wir müssen weiß, unschuldig werden; dafür ist uns die Buße und Abtötung nötig. »Rubicundus« (rot), durch seine glühende Liebe, die ihn antrieb, seinen letzten Blutstropfen für uns zu verspritzen: Auch wir müssen rot werden, glühend von Liebe zu unserem göttlichen Erlöser. Diese unsere Liebe muß sich zeigen und bewähren im Leiden, wie Jesus selbst uns seine Liebe ganz besonders bewiesen hat durch sein bitteres Leiden«.

»Um zu diesem Ziele zu gelangen, will ich Ihnen zwei Wege [38] angeben, die Ihnen allerdings schon wohl bekannt sind. Jesus im allerheiligsten Sakramente, Jesus im Obern. Das sind die Wege, die Sie zur Ähnlichkeit mit ihm führen werden.«

»Ego sum via« (Ich bin der Weg): Jesus im allerheiligsten Sakra­mente. Empfangen Sie die heilige Kommunion mit der rechten Vorbereitung und mit Inbrunst; schätzen Sie das Lob, das die heilige Kirche dem göttlichen Sakramente im heiligen Offizium täglich darbringt, über alles hoch und erkennen Sie stets in ihm die Hauptbeschäftigung Ihres Lebens.«

»Jesus im Obern. Halten Sie sich stets an Ihren Obern, der Gottes Stelle für Sie vertritt; lassen Sie sich vollkommen von ihm leiten. Schauen Sie nicht auf die Person des Obern, sondern auf den, dessen Stellvertreter er ist, der durch den Obern zu Ihnen spricht, durch den Obern Sie zur Heiligkeit führen will. Halten Sie in dieser Hinsicht stets das Auge des Glaubens offen.«

»Wenn Sie sich an diesen beiden Grundpfeilern des Mönchtums mit Entschiedenheit und Treue halten, wenn Sie an Jesus in der heiligen Eucharistie und an Jesus im Obern sich enge anschließen, so mögen Sie alle anderen Lehren und Unterweisungen, die ich Ihnen gegeben habe, vergessen, diese sind dann sozusagen überflüssig. Jesus wird sein Licht und seine Gnade mehren in Ihrer Seele und sie immer mehr nach seinem Vorbilde umgestalten.«

Bald nachher wurde ich dem Zelator der Novizen als Gehilfe beigegeben, bis ich später dieses Amt allein übernehmen mußte. Auch der Zeremoniar erhielt in mir einen Helfer, mit dem er viel Geduld und Nachsicht üben mußte. Ich hatte nicht viel Geschick für die Zeremonien; umso nützlicher war es mir, daß ich jahrelang in besonderer Weise mich mit ihnen beschäftigen mußte.

Vor allem galt es für mich, die theologischen Studien, die durch die Noviziatszeit unterbrochen worden waren, wieder aufzunehmen. Da machte ich eine seltsame Erfahrung. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen, ein neues Licht war mir aufgegangen; ich erfaßte alles viel besser als früher und gewann eine viel klarere Einsicht [39] in die Fragen der theologischen Wissenschaft. Der Geist war ohne Zweifel reifer geworden; aber auch die Art und Weise, wie das Studium im Kloster betrieben wurde, erleichterte das Verständnis gar sehr.

Professor der Dogmatik war damals P. Benedikt Sauter, zugleich Prior des Klosters, ein hochbegabter Mann, der es verstand, uns in gründlicher und geistreicher Weise in die Theologie einzuführen. Das familiäre Verhältnis, das zwischen Lehrer und Schüler bestand, erleichterte die geistige Arbeit nicht wenig; sobald etwas nicht recht verstanden wurde, genügte eine Frage, um zur Klarheit zu gelangen. Ich gestehe, daß diese Weise des theologischen Studiums mir ungleich nützlicher war, als jene, die auf den Universitäten in Übung ist.

P. Benedikt begnügte sich nicht damit, uns das Verständnis unseres dogmatischen Handbuches zu vermitteln, er vertiefte den Unterricht durch Herbeiziehung ausführlicher Werke und besonders der tiefen und geistvollen Dogmatik von Scheeben. So wurde mir das Studium der Theologie überaus lieb und anziehend.

Ferien kannten wir damals im Kloster noch nicht; wenn es aber hie und da vorkam, daß die Dogmatikstunde ausfallen mußte, so war mir das immer ein kleines Opfer. Die Erinnerung an jene Zeit des theologischen Studiums gehört zu den angenehmsten meines Lebens.

Da ich das Bedürfnis fühlte, meine philosophischen Kenntnisse zu vervollständigen, so gestatteten mir die Obern, auch die Vorlesungen der Philosophie zu hören. Diese hielt in ganz vorzüglicher Weise mein früherer Mitschüler, P. Adalbert Swiersen. Wie oft habe ich die Klarheit und Gründlichkeit seiner Darlegungen bewundert! Wenn er zur Vertiefung des Vorgetragenen die philosophischen Werke des heiligen Thomas herbeizog, so war das ein wahrer Hochgenuß. Ganz gehoben, ja begeistert verließ ich nicht selten den Unterricht, um von da mich zum Konventamte zu begeben und meines Amtes als Zeremoniar zu walten.

So waren diese Jahre für mich reich gesegnet; ich gewann das regste Interesse für die theologischen Studien und zog daraus reiche Anregung für das geistliche Leben.

[40] Im Monat August 1877 erwarteten wir den Besuch des Herrn Weihbischofs Baudri von Köln († 29. Juni 1893), dessen Neffe, P. Bruno Baudri, unserer Kongregation angehörte. Der hochwürdigste Herr sollte Fr. Ambrosius Kienle und mir die heilige Priesterweihe erteilen. Da ich aber einer Altersdispens von nicht ganz zwei Monaten bedurfte, so war die Möglichkeit meiner Weihe noch nicht sicher. Doch am Vorabend des Weihetages traf die Dispens ein und so empfingen wir beide am Feste des heiligen Augustin die Priesterweihe.

Ich war am Ziele meiner Wünsche und tief ergriffen von dem Gedanken, daß ich nun jeden Tag das Glück haben sollte, den Hei­land in meinen Händen zu tragen. Mein inniges Gebet zu Gott war, er möge nicht zulassen, daß ich mich jemals unwürdig dem Altare nahe. Am Feste der heiligen Schutzengel fanden die Primizen statt; P. Ambrosius sang das Hochamt, während ich zu gleicher Zeit eine stille heilige Messe las.

Ich durfte auch weiterhin den geliebten Studien obliegen und in gewohnter Weise das klösterliche Leben fortsetzen. Ab und zu wurden wir in die benachbarten Pfarreien berufen, um bei besonderen Gelegenheiten, z. B. bei Begräbnissen, daselbst das heilige Meßopfer zu feiern. Im Noviziate hatte ich später wöchentlich in zwei Stunden das Brevier zu erklären, ein Unterricht, der mir selber am meisten zu gute kam.

Die Wogen des Kulturkampfes, die um diese Zeit in unserem Vaterlande so hoch gingen, schlugen kaum an unser einsames Gestade; zumal im Noviziate lebten wir im tiefsten Frieden. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß wir an den großen Ereignissen nicht lebendigen Anteil genommen hätten. So erinnere ich mich noch, welch tiefen, schmerzvollen Eindruck die Nachricht vom Tode des Bischofs von Ketteler († 13. Juli 1877) auf mich machte; ich empfand so etwas wie Elisäus, als ihm sein Vater Elias genommen wurde, und hätte mit ihm ausrufen mögen: »Pater mi, currus Israël, et auriga ejus« (Mein Vater, der Wagen Israels und sein Lenker) 4 Kön. 2, 12.


  1. Über das Kloster Beuron vgl. Zingeler, Geschichte des (Augustiner-) Klosters B. (1890). O. Wolff, Beuron, 4. Aufl. 1904. B. im Donautal (Führer) 9. Aufl. 1921.
  2. Hl. Ambrosius, Kommentar zu Luk. 2. Buch, n. 19.
  3. Psallite sapienter. Psallieret weise! Erklärung der Psalmen im Geiste des betrachtenden Gebets und der Liturgie, dem Klerus und Volk gewidmet. 5 Bände, 3. Aufl. 1904–1907.
  4. An seine Schwester schrieb er damals folgenden Brief:
    »Du wirst gewiß schon lange auf einen Brief von mir gewartet haben, da schon mehrere Wochen vergangen sind, daß ich Deinen lieben Brief erhalten habe. Du glaubtest, derselbe würde mich bereits in Innsbruck antreffen, doch darin hast Du Dich getäuscht; denn selbst jetzt bin ich noch nicht in Innsbruck. Doch höre jetzt das Nähere. Ich reiste am 24. September von Hemer ab, um wieder nach Innsbruck zurückzukehren. Ich beabsichtigte noch unterwegs einen Freund von mir zu besuchen, der in Beuron bei Sigmaringen Benediktiner ist und früher auch in Innsbruck studiert hat. Am 26. September kam ich im Benediktinerkloster St. Martin zu Beuron an und wurde von den guten Ordensleuten sehr freundlich aufgenommen. Ich beabsichtigte, in einigen Tagen meine Reise nach Innsbruck fortzusetzen; doch der Mensch denkt und Gott lenkt. Der liebe Gott hat mir eine große, sehr große Gnade zugedacht, die ich nicht im geringsten verdient habe. Nachdem ich mich einige Tage in dem genannten Kloster aufgehalten hatte, erkannte ich, daß mich der liebe Gott dahin geführt hatte, und daß es sein heiliger Wille sei, daß ich ihm im Orden des heiligen Benedikt die­nen solle. Ich habe dem Rufe der Gnade Folge geleistet und bin hier geblieben. Es wird Dir das vielleicht etwas unerwartet gekommen sein und Dir schmerzlich sein … O wenn Du wüßtest, wie armselig es in der Welt ist, wie zahlreich die Gefahren daselbst sind, wie alle Freuden der Welt so eitel und nichtig sind, nur Verdruß und Gewissensbisse im Herzen zurücklassen, Du würdest mir aus vol­lem Herzen Glück wünschen, daß der liebe Gott in seiner Güte dieser elenden, trügerischen Welt mich entrissen und mich eine sichere Ruhestätte hat finden lassen. Liebe Schwester, jetzt wirst Du den Sinn dieser Worte noch nicht verstehen, denn Du hast die Welt noch nicht kennen gelernt; doch wenn Du älter wirst, wirst Du auch die Erfahrung machen und dem gottseligen Thomas von Kempen recht geben, wenn er in der »Nachfolge Christi« schreibt: Alles ist Eitelkeit (nichtig) außer Gott lieben und ihm allein dienen … Glaube nun nicht, daß ich Deiner vergessen werde, o nein, ich denke recht oft, jeden Tag an Dich und bete für Dich, damit wir uns einst im Himmel gewiß wiedersehen, wo es keine Trennung mehr gibt … Nun, liebe Schwester, lebe wohl, vergiß Deines Bruders nicht, sondern bete recht fleißig für mich …«
  5. Nunmehr Präses der 1920 infolge Lostrennung von der Beuroner Kongregation gebildeten belgischen Kongregation.
  6. Vgl. K. Th. Zingeler, Katharina, Fürstin von Hohenzollern (1912).­
  7. Offertorium vom Feste der sieben Schmerzen Mariä.
  8. So lautete ein Erlaß der königlichen Regierung zu Arnsberg vom 12. Februar 1876.
  9. Dieses Kloster wurde 1899 zur Abtei erhoben, nach dem Weltkriege (1922) aber aufgehoben. Die deutschen Patres siedelten mit ihrem Abte nach der alten Benediktinerabtei Weingarten in Württemberg über.