Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838 und 1839/Zweiter Theil/I
Gefangennehmung und Freilassung des Erzbischofs von Cuba. — Die Legitimisten in Marseille. — Reise durch Süd-Frankreich. — Maroto’s Töchter. — Don Manuel Valdès. — Biographische Skizzen über Maroto. — Von Bordeaux bis zum Schlosse von Marrac. — Die Schmuggler in den Pyreneen und Zug über die Grenze. — Besuch bei Moreno. — Maroto’s erstes Auftreten. — Ankunft im Königlichen Hoflager zu Elorrio.
[6] [7] Die erste Nachricht, die mir in Paris zukam, war die Arrestation des Erzbischofs von Cuba. Dieser Prälat schien bestimmt, eine große Rolle in allen unseren Angelegenheiten zu spielen, auch ward seine Gefangennehmung von Vielen als ein wahres Unglück betrachtet. Mehrere gemäßigte Personen aus dem Hoflager und Heere hatten dem Erzbischof nach England geschrieben und ihn dringend aufgefordert, sich nach dem Kriegsschauplatze zu begeben, ohne erst königliche Befehle abzuwarten. Seine Gegenwart, sein persönlicher Einfluß auf den König würden genügen, die schädlichen Maßregeln zu neutralisiren und den Eingriffen Schranken zu setzen, die Arias-Teijeiro’s Verwaltung auf eine so traurige und erbärmliche Weise signalisirten. Der Erzbischof gab nach und gelangte glücklich bis Bayonne. Durch die Ungeschicklichkeit [8] seines Guiden ward er eine Viertelstunde von der Stadt von einem Douane-Posten aufgegriffen und nach mehrtägiger Haft in seinem Hôtel zu Bayonne unter Escorte nach Bordeaux, von dort nach Tours geführt, und diese Stadt ihm auf Ehrenwort als Gefängniß angewiesen.
Ich kannte den Erzbischof nicht, und hatte im Hoflager nur selten von ihm gehört, da es in Spanien angenommene Maxime scheint, daß von Machthabern, die abgetreten sind, ebensowohl als von denen, die eintreten könnten, nie gesprochen wird. Niemand will das Ansehen haben, als bedauere er die Vergangenheit oder hoffe Aenderung von der Zukunft. Das Bild, das ich mir sonach von dem Charakter und der Wirksamkeit des Erzbischofs entwarf, konnte nur sehr unvollkommen sein. Doch waren alle spanischen und französischen Carlisten in Frankreich in ihrem Lobe über ihn im vollkommensten Einklange, wie auch in Paris mehrere gewichtige Personen diesem ebenfalls beistimmten. Besonders schien Eines klar hervorzugehen, daß der Erzbischof das Vertrauen und die Achtung nicht nur der befreundeten Höfe, sondern selbst uns feindlicher Regierungen genieße, ja sogar einer [9] hohen, öffentlich uns entgegenstehenden, – doch gewiß im Herzen nicht abgeneigten – Person eine festbegründete Meinung von seiner aufgeklärten, gemäßigten Politik einflöße.
Ich ward aufgefordert an seiner Freilassung zu arbeiten. Einige Briefe, die der Banquier Jauge mir brachte, bestimmten mich es zu thun. Ich begab mich zum Grafen A…, der meine Eröffnungen und Bitten freundlich aufnahm und mit Ludwig Philipp davon zu reden versprach. Tags darauf erhielt ich eine nach den bestehenden Verhältnissen möglichst günstige Antwort, und nach wenigen Stunden befand ich mich auf dem Wege nach Tours. Ueber meinen sechsstündigen Aufenthalt in dieser Stadt und eine Unterredung, die mit allen ihren Details nie aus meinem Gedächtnisse schwinden wird, muß ich mich aller Veröffentlichung enthalten. – Nach einigen Wochen verließ der Erzbischof Tours, mit einem Regierungspaß versehen, der ihm die Reise nach Italien gestattete. Beim Umspannen des Postwagens in Lyon nahm ein Anderer, ihm gleich gekleideter, seine Stelle ein, und der Erzbischof, von einem französischen Legitimisten geführt, ward über Toulouse nach Bayonne in größter [10] Eile gebracht. Unvermuthet traf er in Oñate ein, wo der König sich eben aufhielt. Seine Ankunft war ein Blitzschlag für Arias-Teijeiro und Consorten. Eine radicale Veränderung ward von Allen als unfehlbar angesehen. Da man nun vollends erfuhr, daß der König den Erzbischof sogleich vorgelassen und umarmt habe, daß hierauf eine mehrstündige Audienz ohne Zeugen erfolgt sei, stieg die Spannung auf das Höchste. Umarmung und Audienz haben damals einen großen Anklang, langen Nachhall dieß- und jenseits der Pyreneen bei allen Royalisten gehabt. Doch ist, wie es so oft geschehen, nichts erfolgt. Vielleicht trat der Erzbischof zu hastig auf, entwickelte zu viel Plane, zu große Veränderungen; gewiß ist, daß er den ersten günstigen Moment nicht zu benützen verstand. Die herbste Täuschung erfolgte, als nach mehreren Wochen noch immer Arias-Teijeiro am Ruder war und der Erzbischof ohne offizieller Stellung, mit geschmälertem Ansehen, dem Hoflager gleich so vielen Anderen nachzog. Dieses momentanen Sieges über den Erzbischof ungeachtet, hat mir Arias-Teijeiro meine Mitwirkung an der Freilassung seines politischen Feindes nie vergeben, später indirect [11] vorgeworfen und so lange er sich im Ministerium befand, stets bitter und empfindlich fühlen lassen. Doch auch durch seinen Sturz wurden nicht viel heilsame Veränderungen ins Leben gerufen, und als viel später, zu einer sehr unglücklichen Epoche, der Erzbischof an die Spitze der Geschäfte gestellt wurde, hat auch er seinen Glauben an Maroto bitter gebüßt und bereut. Gewiß betrauert er jetzt das Vertrauen, das er in diesen Mann gesetzt; denn einer Mitschuld – auch nur in Gedanken, in geheimsten Wünschen – spreche ich den Erzbischof aus innerster Ueberzeugung gänzlich frei, obwohl mir recht wohl bewußt ist, daß viele, zum Theil gutgesinnte Personen, ihn gern in das dunkle, verworrene Gewebe mit einflechten möchten, das mit Maroto’s erstem Eintritt in Spanien begann, sich durch die Fusilladen von Estella auch dem Verblendetsten offenbarte und mit dem Verrathe auf den Feldern von Vergara schloß.
Nach kurzem Aufenthalte zu Paris, Salzburg, Wien und Modena, schiffte ich mich am 25. Juni 1838 in Genua ein. Ein ungarischer, unter einem alltäglichen
[12] Namen ausgestellter Paß, mit allen Visas versehen, sollte meinen Eintritt in Frankreich und meine Reise bis Bayonne erleichtern. Als ich in Marseille landete und meine Effecten nach der Douane begleitete, sah ich mich von einigen Personen gefolgt, die sich allmählig mir zu nähern trachteten. Ich hielt sie für Polizei-Agenten und wich ohne Affectation den Unterredungen aus, die sie anzuknüpfen trachteten. Einer von ihnen, ein beleibter Vierziger, zog ein kleines weißes Blümchen aus der Rocktasche, steckte es an sein Knopfloch und fixirte mich dabei bedeutungsvoll. Da auch dieß den erwarteten Effect nicht hervorbrachte, gab er einem vor der Douane bettelnden Greise mit halbgeheimnißvoller Würde einen Franken mit den Worten: priez pour notre jeune Roi, mon brave. Als die Reihe an mir war meine Koffer öffnen zu lassen, sagte er mir, es würde mir wahrscheinlich unangenehm sein, wenn in meinen Sachen gewühlt werde, und ohne meine Antwort abzuwarten, wechselte er mit einem der Zollbeamten einige Worte, worauf mich beide lächelnd ansahen. Es wurden auf meine noch verschlossenen Koffers einige Striche mit Kreide gemacht und ich war abgefertigt, während die schöne
[13] Sängerin Mlle. Falcon, die auf demselben Dampfschiffe mit mir angekommen, noch einige Stunden harren und sich einer gründlichen Durchsuchung ihrer Habe unterwerfen mußte. – Als ich die Douane verließ, kam mein unbekannter Gönner auf mich zu: „Sie müssen in dem Hôtel – – einkehren; hier ist ein Herr, der Sie führen wird.“ Ohne mir selbst Rechenschaft geben zu können, gehorchte ich schweigend und folgte einem wohlgekleideten Manne, der mich am Thore verließ, nachdem er dem Wirthe zugeflüstert: C’est lui. – Ich ward vortrefflich aufgenommen, der Wirth besorgte noch denselben Abend das Visa meines Passes bis Bayonne, obgleich dieß sonst mit viel Schwierigkeiten verknüpft ist und das Bureau bereits geschlossen war. Endlich um die Mystification vollständig zu machen, konnte ich nur mit größter Mühe meine Rechnung erlangen, da der Wirth durchaus kein Geld von mir nehmen wollte, ein in Frankreich gewiß unerhörter Fall, wo die Gastwirthe qui se piquent de royalisme, die Kreide bei ihren politischen Kunden gewöhnlich doppelt zu führen wissen. Noch dieselbe Nacht war ich auf dem Wege nach Montpellier, und erst nach mehreren Monaten habe ich erfahren, daß
[14] ich für eine damals von den südfranzösischen Legitimisten erwartete Person gehalten wurde, die aber nicht eintraf.
Wer nie in französischen Diligencen gefahren, dem rathe ich dringend davon ab, wenn es nur deßhalb wäre, um nicht die abgeschmackten Prahlereien und den krassen Unsinn anhören zu müssen, den die stets prävalirenden Musterreiter mit möglichster Insolenz und Stentor-Stimme vorbringen. Ich saß mit meinem Kammerdiener leider im Interieur. In Montpellier occupirten vier dieser Commis-Voyageurs die übrigen Plätze und setzten durch mehrere Stunden meine Geduld auf eine harte Probe, indem sie, sich gegenseitig beständig unterbrechend, in einem Accent, der die Ufer der Garonne und des Gers verrieth, ihre Heldenthaten und galanten Abenteuer sich vorposaunten. Endlich wandte sich einer nach mir: et vous Monsieur, dans quoi faites vous? (Die consacrirte Redensart) worauf ich auf meinen bärtigen, mir gegenüber sitzenden Diener weisend, erwiederte: Mon ami est prévot de salle et je suis maître d’armes, nous allons donner un assaut à Toulouse. Ein langes Schweigen bewies mir den Eindruck, den unser gefährlicher Stand auf [15] meine ruhmredigen Reisegefährten gemacht, und von diesem Augenblicke an wurden sie so bescheiden und höflich als sie vorher unausstehlich gewesen. Keiner lehnte sich mehr auf mich, man klopfte vor meiner Nase keine Pfeife mehr aus und spuckte nicht über mich weg zum Fenster hinaus. Bei Tische wurden mir die Schüsseln zuerst offerirt, statt daß auf dem ersten Halte sie mit Heißhunger und unnachahmlicher Präzision stets die besten Stücke weggefangen hatten. – In Narbonne verließen sie mich und wünschten mir allen Erfolg zu meinem Assaut, das sie zu besuchen sich vornahmen, wogegen ich, ihre Höflichkeit zu erwiedern, ihnen Freibillets anbot. Ein paar Stunden später in Carcassonne war die Diligence mit christinischen Offizieren angefüllt, die mir nicht weniger unleidlich waren, durch die endlosen Lügen, die sie sich über die Carlisten erzählten. Doch dachten sie, ich verstände kein Wort, und ließen sich deshalb nicht stören, so daß ihre Conversation einige für mich nicht unerhebliche Data abgab; unter andern waren sie alle darüber einig, daß, hätten wir am 12. September 1837 Madrid eingenommen, Espartéro und sein Heer tambour battant zu uns übergegangen wären.
[16] In Toulouse suchte ich den carlistischen Commissair Marquis d’H… auf, der mir Maroto’s Ernennung zum Commando des Heeres mittheilte. Seine Ankunft im Hoflager hatte ich bereits in Modena erfahren, doch schien der König über seine Verwendung unschlüssig, als die Niederlage Guérgué’s vor Peñacerrada, worauf der Verlust dieses wichtigen Platzes erfolgte (22. Juni 1838), dieselbe beschleunigte. Mir war Guérgué so zuwider, daß ich jede Veränderung mit Freuden begrüßt hätte, um so mehr die Ernennung eines Generals, der damals die Meinung der Armee beinahe gänzlich für sich hatte. Alle nicht-offiziellen Briefe aus dem Hoflager und Hauptquartier waren hierüber im Einklange, daß Soldaten und Landleute mit Jubel Maroto’s Berufung aufgenommen; er war der Freund der verbannten und abgesetzten, so hochverdienten, so allgemein beliebten Generale. Ihre Kerker würden sich öffnen, die Exile enden, und in neuem Leben und Glauben, in Thatkraft und Hoffnung unsere apathisch und mißmuthig gewordenen Bataillone dem Feinde entgegenmarschiren. – Der Baron de los Valles war mit bedeutenden Subsidien von seiner nordischen Mission [17] zurückgekehrt; endlich – so dachten Alle – werden neue Siege erfochten werden, wird alte Glorie wiederkehren.
Als ich von Toulouse nach Bordeaux kam, führte mich mein Freund, der General-Consul Meyer, zu Maroto’s Töchtern. Sie wohnten auf eine halbe Stunde von der Stadt, in einer kleinen Villa, Allemagne genannt, die Maroto vor einigen Monaten um fünfzigtausend Fr. gekauft und daselbst in aller Ruhe und Zurückgezogenheit den Moment seiner Einberufung abgewartet hatte. Diese zwei Mädchen waren liebliche Geschöpfe; im Peru geboren, zu Granada erzogen, war ihr südlicher Typus unverkennbar; kleine Füße, niedliche Hände, große dunkle Augen und lange seidne Wimpern. Besonders war die jüngere ein zauberisches Wesen, der eine düstere Melancholie, ein schwärmerischer halbvoilirter Blick einen eigenen Reiz verlieh. Sie sprach mit wehmüthiger Begeisterung von ihrem Vater, der sich, nach ihrem Ausdruck, „geopfert habe und fallen würde.“ Wenige Tage vor meinem Besuche in Allemagne hatte dieses achtzehnjährige Mädchen einen für ein Weib gewiß seltenen Beweis von Geistesgegenwart und Muth gegeben. Sie hörte bei Nacht [18] in dem Zimmer neben ihrem Schlafgemach einbrechen, erhob sich ruhig, ohne ihre Schwester zu wecken, ergriff ein Gewehr und schoß durch die halbgeöffnete Thür nach dem Diebe, den sie freilich fehlte, der aber eiligst davonlief.
In Bordeaux traf ich Don Manuel Valdès wieder, der unter dem Namen le beau Valdès im Faubourg St. Germain und als el Valdès de los gatos[1] in ganz Spanien viele zarte, mitunter romantische Erinnerungen zurückgelassen, die bis auf den heutigen Tag fortleben. Er hatte sich in Valladolid Zaratiegui’s Expedition angeschlossen und wäre von nicht unbedeutendem Nutzen gewesen, wenn nicht einige Personen aus der Umgebung des Königs, – ihm aus früheren Zeiten abgeneigt – seine Entfernung [19] bewirkt hätten. Ich sah ihn zuerst vor Aranda, als wir mit Verfolgung der Colonne Lorenzo’s beschäftigt waren. Er war damals Oberstlieutenant im Generalstabe Zaratiegui’s. Seine mitten im Feuer elegante und soignirte Toilette fiel mir sogleich auf und stach gegen unsere zerfetzten und abgetragenen Röcke sehr ab. Valdès kannte Spanien und alle agirenden Personen genau, sein Urtheil war stets treffend, und oft hatte ich Gelegenheit zu bemerken, daß er mit viel Richtigkeit später eingetroffene Ereignisse vorher sagte. Als ich mitten im allgemeinen Enthusiasmus, der alle Royalisten damals bei bloßer Nennung des Namens Maroto’s ergriff, ihn um sein Urtheil über den neuen commandirenden General fragte, äußerte er sich zu meiner großen Verwunderung geringschätzig und mit jener kalten Verachtung (desdeño), die spanischen Physiognomien einen eigenen Ausdruck von Hochmuth verleiht. Bei der ersten Nennung des Namens Maroto’s waren die Worte Ayacucho und Baratéro[2] die ersten Epitheten, die er dem Manne [20] gab, von dem das Wohl und Wehe der königlichen Sache abhing.
Nach vielem Fragen und Drängen um Erklärung dieser damals unerhörten, mir unerklärlichen Worte, [21] machte er mich mit einem alten Spanier bekannt, der lange in Amerika gedient und nicht unbedeutende Posten bekleidet hatte; dieser kannte Maroto genau, und ging in viele Details, meist gemeiner Natur, über ihn ein. Aus seinen Erzählungen, die ich im Wesentlichen notirte und später zu vervollständigen Gelegenheit fand, mag hier Folgendes über den Mann Platz finden, der gewiß nie einen auch noch so anspruchlosen Biographen gefunden hätte, wenn nicht seine, in allen Kriegsgeschichten beispiellose, Verrätherei ihm welthistorische Berühmtheit sicherte, jene Unsterblichkeit verliehe, die den Namen Herostrats durch alle Zeiten getragen hat.
Rafael Maroto ward um das Jahr 1785 zu Lorca, einem kleinen Orte im Königreiche Murcia, geboren. Bei geringer Herkunft – sein Vater war Douanier – entbehrte er auch aller Erziehung. Als 1808 der Krieg mit Frankreich ausbrach, ließ er sich [22] bei einem im Königreiche Valencia gebildeten Freicorps anwerben. Nach drei Jahren erhielt er von der Regierungsjunta dieser Provinz ein Lieutenants-Patent. Zu dieser Zeit soll er in Burgos eine Uhr gestohlen haben. Einige behaupten, es sei im Pallaste des Erzbischofs geschehen, während er mit dem übrigen Offizier-Corps dem Prälaten einen Besuch abstattete, Andere erzählen es wäre in seinem Quartier gewesen. Der Ort scheint mir ziemlich gleichgültig, so viel ist jedoch gewiß, daß dieser Uhrdiebstahl sehr bekannt und in ganz Spanien allgemein verbreitet war. Ich selbst habe später einen Offizier gesprochen, der zur Zeit des Diebstahls in Burgos diente und sich sehr wohl desselben erinnerte. Die Sache kam nach wenigen Tagen heraus, und Maroto hatte nur der großen Unordnung, die damals in allen Branchen herrschte, zu danken, daß er mit Cassirung davon kam. Die Provinzial-Regierungsjunten, von der Regentschaft zu Cadiz beinahe gänzlich unabhängig, verliehen damals selbstständig Grade und theilten Patente aus; so konnte auch Maroto nach einiger Zeit in einer andern Provinz wieder Anstellung erlangen. Der fortwährende Krieg hob ihn schnell und 1814 war er bereits Oberstlieutenant.
[23] Die spanische Regierung gab gewöhnlich jedem Offizier, der nach Amerika versetzt ward, einen Grad mehr, der vom Tage an galt, als er amerikanischen Boden betrat. Nach Beendigung des französischen Krieges lief die spanische Domination auf dem amerikanischen Continente bekanntlich große Gefahr, da die insurgirten Creolen, die sich in allen Theilen erhoben, mächtig zunahmen und bedeutende Fortschritte zu machen begannen. So geschah es, daß auf sein Ansuchen Maroto den Befehl des Regiments Talavera mit Obersten-Charakter erhielt. Am 10. Mai 1815 landete er in Chili mit 400 Mann, welche die sogenannte erste Expedition bildeten. Die zweite, aus 480 Mann bestehend, folgte unter dem Obersten Ballesteros. Allen Nachrichten zufolge hat Maroto keinen sehr thätigen Antheil an den Gefechten genommen, die damals so häufig und mit geringen Kräften in allen Präsidentschaften gegen die zahlreichen Insurgenten geliefert wurden. Nach kurzer Zeit ward er vom Commando seines Regiments entfernt und dem in Peru commandirenden General Don Joaquin de la Pezuela untergeordnet, der ihn später zum interimistischen Chef seines Generalstabs ernannte. Doch [24] auch diese mehr nominelle Stelle verlor er nach zwei Monaten, da er in seinem Hause eine Hazardspielbank etablirt hatte. Der Aufsicht des Vizekönigs von Peru, Marquis de la Concordia, übergeben, durfte er die Stadt nicht verlassen, in der er ohne aller Beschäftigung sich aufhielt. Endlich ward seinen dringenden Bitten nachgegeben und er zur Disposition des Generals Laserna gestellt, der ihm die Präsidentschaft des Districts von Charcas anvertraute. Ueber diese Periode des Wirkens Maroto’s steht in einer spanischen Klageschrift, die über ihn erschien: „Hier (in Charcas) gab er die ersten Beweise der Grausamkeit (ferocidad) seines Charakters, wie er auch bei der unglücklichen Schlacht von Chacabuco Beweise seiner Feigheit gegeben hatte. An diesem Tage ward durch seine Schuld beinahe das ganze Königreich Chili verloren. Während seiner Präsidentschaft schwand die letzte Hoffnung einer Aussöhnung der Eingebornen mit dem Mutterstaate, durch die Erpressungen, Diebereien (robos) und schändlichen Mordthaten (asesinatos escandalosos), die er während seiner ephemeren Regierung selbst verübte oder doch wenigstens duldete.“
[25] Was mir diesen letzten Satz glaublich erscheinen läßt, ist, daß mir andererseits später erzählt wurde, er habe einen ihm persönlich verhaßten Offizier, den Oberstlieutenant Don Casimir Hoyos, unter unglaublichen Martern hinrichten lassen. – Endlich erklärten die meisten seiner Kriegsgefährten, nicht mehr länger mit ihm dienen zu können, und man sah sich genöthigt, ihm sein Commando in so wenig ehrenhaften Ausdrücken abzunehmen, daß kein einziger Offizier mit ihm länger umgehen wollte. Er kehrte nach Spanien zurück und reichte Ferdinand VII. eine Anklage gegen viele seiner Cameraden ein, unter andern gegen die Generale Laserna, Canterac, Valdes, Carrátala und die Bataillons-Chefs Lahera, Espartéro und Villalobos. Zur Belohnung seiner Denunciation erhielt er das Commando von Asturien, das ihm jedoch schon nach einigen Monaten abgenommen werden mußte, da die Einwohner unaufhörlich den Hof um Befreiung von diesem Menschen bestürmten. Er zog sich nach Valladolid und später nach Madrid zurück, wo einige in der Nähe des Königs befindliche, ihm geneigte Personen, die sich seiner als williges Instrument bedienten, [26] den Befehl der Provinz Toledo für ihn erwirkten. Doch auch hier machte er sich, vieler schlechter Streiche halber, bald verhaßt. Eine Anklage wegen Veruntreuung namhafter, Privatleuten seiner Provinz gehöriger, Summen hatte seine Absetzung zur Folge. Auch ward ihm durch mehrere Monate sein Gehalt vorenthalten, zur Entschädigung der von ihm beeinträchtigten Personen. Doch wurde durch mächtige Protection der deßhalb anhängige Prozeß niedergeschlagen, dessen Acten im Archiv des General-Capitanats Neucastilien noch befindlich sein sollen.
Seitdem von allen Geschäften zurückgezogen, erscheint Maroto’s Name zum ersten Male wieder Ende 1833 als in eine royalistische Verschwörung verwickelt. Gefänglich eingezogen, ward er jedoch bald wieder in Freiheit gesetzt, während seine Mitverschworenen auf acht bis zehn Jahre Galeeren verurtheilt wurden. Ich habe mehrere Leute gekannt, welche die feste Ueberzeugung hegten, daß Maroto seine Freilassung durch Verrätherei an seinen Mitverschworenen und wahre oder falsche Angaben ihrer Namen und Plane erlangt habe. In den Papieren seines Advocaten, des Licenciaten Gomez Acevo zu Sevilla [27] sollen sich merkwürdige Actenstücke zur Beweisführung des Gesagten befinden.
Maroto, dem Sevilla als Aufenthaltsort angewiesen worden, gab vor, einer epidemischen Krankheit halber, sich nicht in diese Stadt verfügen zu können, worauf er nach Granada geschickt ward. Bald entfloh er nach Valencia, wo mehrere Royalisten, die ihn nicht näher kannten und als ein Opfer der Revolution ansahen, ihn verbargen. Morella hatte sich zu dieser Zeit für den König erklärt, und die carlistische aus Tortosa geflüchtete Junta dort ihren Sitz. Einzelne Banden fingen bereits an sich in Aragon zu bilden, und die Nothwendigkeit einer Vereinigung um einen tüchtigen Chef ward schon damals dringend gefühlt. Die Junta in Morella und die Royalisten in Valencia baten sonach Maroto den Befehl zu übernehmen, und brachten das von ihm zur Ordnung seiner Angelegenheiten begehrte Geld zusammen. Doch zog sie Maroto lange herum, nahm das Geld und reiste heimlich damit nach Gibraltar, von wo er bald nach Portugal ging und seine Dienste Carl V. anbot, der sich damals in Coimbra befand. Der König hatte jedem, der sich in Portugal an ihn schloß, einen [28] Grad mehr zugesagt. Keiner der höheren Offiziere wollte von dieser Vergünstigung Gebrauch machen, und jeder zog vor, auf Schlachtfeldern eine Belohnung zu erlangen, die hier für die Ausübung einer heiligen Pflicht geboten wurde. Maroto, zuletzt Maréchal de camp unter Ferdinand VII., nahm es jedoch an und wurde General-Lieutenant. Seit seiner Ankunft in Portugal war er in beständigem Zwiste mit den Rathgebern des Königs, dem Bischofe von Leon, den Generalen Moreno und Romagosa, dem Intendanten Negrete, und Anderen, an deren Treue nicht gezweifelt werden konnte, wenn sie gleich, besonders später, vom redlichsten Willen beseelt, oft Mißgriffe thaten. Doch waren zu jener Zeit alle diese Männer noch unter sich eins, und nur Maroto der Einzige, der Zwietracht in die Umgebung des Königs säete, so daß viele Feinde Maroto’s ihn schon damals als den ersten Urheber unserer unglücklichen Intriguen ansahen und so weit gingen, zu behaupten, er sei im Einverständnisse mit dem Feinde und habe den Auftrag Haß und Mißtrauen unter die Anhänger des Königs auszustreuen. Ich kenne sogar einige Personen, die schon in Portugal fest überzeugt waren, [29] Maroto habe den König in Almeida dem feindlichen General Rodil ausliefern wollen. – Ich will Maroto’s Verrath, der an sich schon schändlich genug ist, nicht in so weite Verzweigungen ausdehnen, traue übrigens seinem Charakter weder Stärke noch Consequenz genug zu, um durch lange Jahre denselben Plan, trotz so vieler Unterbrechungen, unausgesetzt fortzuspinnen und durchzuführen. Maroto war in Portugal Carlist, und so guter Carlist, als es bei seinem venalen und niedern Charakter ihm möglich war, aus dem Grunde, weil er von der Carlistischen Sache am meisten Würden und Gewinn für sich erwartete.
Als der König nach England ging, begleitete ihn Maroto und traf einige Zeit nach Sr. Majestät auf dem Kriegsschauplatze ein. Zum General-Commandanten von Biscaya ernannt, werden über die Zeit seines Commandos allerlei minder erhebliche unlautere Handlungen erzählt, die es mir überflüssig erscheint, hier zu berichten. Nach der Affaire von Arrigorriaga (11. September 1835), wo er den commandirenden General Moreno mit vierzehn Bataillons im Stiche ließ, verlor er seinen Posten. Um seine [30] Fähigkeiten als Organisateur einigermaßen zu benutzen – da er stets großen Einfluß auf die Soldaten ausübte, ihnen imponirte – vielleicht auch bloß um ihn zu entfernen, ward er nach Catalonien geschickt. Ueber diese traurige Episode seines Lebens werde ich Gelegenheit haben, im Verlaufe dieser Erinnerungen mit mehr Détails zu sprechen, wenn ich auf eine Zeit komme, wo ich längere Zeit in diesem Lande diente. Nur so viel mag hier erwähnt werden, daß er nach kurzer Zeit, geschlagen und flüchtig, nach Frankreich zurückkehrte, wo er bis zum Augenblicke blieb, als der König ihn nach Spanien berief. Ueber die Mittel, die in Anwendung gesetzt wurden, um den König – der persönlich stets den größten Widerwillen gegen Maroto hegte – hiezu zu bewegen, über die Personen, die hiebei mitwirkten, verbieten mir vielfache Rücksichten eine nähere Aufklärung. Mein Buch soll keine Anklageschrift sein, am wenigsten wohlgesinnter, zum Theil verdienter Anhänger und treuer Diener des Königs, die ihre Verblendung und ihren Irrthum gewiß ihr Leben lang tief betrauern, blutig beweinen werden.
Was ich hier über Maroto niedergeschrieben, wurde mir größtentheils während meines mehrtägigen [31] Aufenthalts in Bordeaux bekannt. Doch maß ich den meisten dieser Anschuldigungen nur wenig Glauben bei; so viel Gemeinheiten, Schurkenstreiche, feige Handlungen schienen mir bei dem Manne unglaublich, dem der König den Triumph seiner Sache, Krone und Heer anvertraut, der uns zu Sieg und Ehre führen sollte. Je ungeheurer die Anklagen, desto schwieriger schien mir die Stellung des Mannes, dem so schauderhafte Verläumdungen nachgeredet wurden, die ich alle mit dem alten Dicton entschuldigte: il n’y a que les âmes molles qui n’ont pas d’ennemis. Er hatte Feinde und Neider, das schien mir klar, mehr anzunehmen, hätte ich für frevelhaft gehalten.
Mit diesen Ideen verließ ich Bordeaux. Ohne Vorbereitungen die Straße einzuschlagen, die ich vor wenigen Monaten in Gesellschaft eines Polizei-Agenten befahren, schien mir unklug, um so mehr als auf allen Gensdarmerie-Stationen Brigadiers an den Wagen getreten waren, mein Signalement zu nehmen. Glücklicher Weise war damals im südlichen Frankreich das Spediren der Carlisten durch beide Linien (die eine längst der Garonne und die andere längst der Pyreneen) so methodisch organisirt, daß eine solche [32] Reise sich auf gewöhnliche Vorsichtsmaßregeln und die Geldfrage reducirte. Ein vertrauter Diligence-Conducteur ward berufen und meine Tour bis Bayonne mit ihm accordirt. Ich bezahlte die drei Banquett-Plätze auf der Impériale der Diligence, 150 Fr. Contrebandegeld dem Conducteur und saß am 4. Juli Morgens auf meinem luftigen Sitze. In Langon und Bazas, wo Gensdarmen die Pässe abfordern, mußte ich zwischen die Kisten und Koffer der Vache kriechen; der Conducteur wölbte sie über mir, legte ein paar leere Säcke, Mäntel und sonstigen Plunder über das Ganze, und so wartete ich ruhig das Ende der Untersuchung ab. Ein Gensdarme stieg auf die Impériale, hob die Decke der Vache und sagte, indem er mit einer Stange nach den mich schützenden Kisten und Mänteln stieß: „Il n’y a personne ici, j’espère.“ Endlich rollte der Wagen auf dem schlechten Pflaster weg, die Gefahr war vorbei und ich konnte mein unbequemes Versteck verlassen. Mehr Schwierigkeiten gab es jedoch in Mont de Marsan und Dax, wo Reisende ausstiegen, deren Gepäcke abgeladen, somit das künstliche Gebäude zerstört werden mußte, das mich verbarg. Doch hatte mein Conducteur diesem allen vorgebeugt, [33] und eine Viertelstunde von beiden Orten erwarteten mich Guiden, die in weitem Umkreise um die erste Stadt und durch die winkeligen Gassen der zweiten mich an sichere Orte brachten, wo ich des vorbeifahrenden Wagens harrte. So kam ich endlich auf die Höhen von St. Esprit, die Bayonne dominiren. Hier wartete abermals ein Guide und führte mich auf Barken über den Adour und die Nive, hart an den Fortificationen von Bayonne vorbei. Nach einer Stunde, bei eintretender Dämmerung, hielten wir vor der Hinterthür eines einzelnen Hauses. Eine große Ruine, von Pappeln und Kastanien umgeben, überragte stolz das ärmliche Gebäude. Diese Ruine, noch vor zwei Decennien ein stattlicher Pallast, war das historisch berühmte Schloß von Marrac, wo Napoleon von zwei Königen die Abdication ihrer Krone für seinen Bruder Joseph erzwungen. Die Zeit dieser ephemeren Herrlichkeit war vorbei, und keine Spur der Anwesenheit des gewaltigen Herrschers dem Schlosse von Marrac geblieben. Durch die leeren Fensteröffnungen langgestreckter Mauern blickten Baumzweige, melancholisch vom Winde bewegt, und der über dem Meere eben aufsteigende Mond gab dieser neuen, und doch [34] so geschichtlichen Ruine ein eigenes gespensterhaftes Aussehen. Eine leichte Brise trug aus dem Badeorte Biaritz Fragmente einer lebhaften Musik zu uns, die sich mit dem zu- und abnehmenden Rauschen des Meeres vermählten, oft schwanden, dann wieder stärker uns zukamen. Unwillkührlich gaukelten fantastische Bilder meinem Geiste vor, und während ein kalter Schauer mich ergriff, entschlüpften meinen Lippen einige grauenhafte Stellen der Djins:
J’écoute,
Tout fuit.
On doute,
La nuit,
Tout passe.
L’espace
Efface
Le bruit.
Obgleich sonst wenig poetisch gestimmt, ergriff mich dieser Moment lebhaft, und lang würde ich vielleicht meinen Träumereien nachgehangen haben, wenn das wüthende Bellen des Hofhundes vor dem kleinen Hause mich nicht zum prosaischen Leben zurückgerufen hätte. Mein Guide rief ihn jedoch leise beim Namen, worauf der gehorsame Wächter, freundlich wedelnd, sich uns in [35] aller Stille näherte. Auf einen Pfiff öffnete sich das Pförtchen und wir schlichen in eine dunkle Kammer. In einem anstoßenden Gemache hörten wir viele Stimmen lärmen und Gläser klirren. Ich wollte fragen, doch drückte mein Guide mir die Hand vor den Mund, und so stiegen wir schweigend eine enge Treppe hinauf. Oben angelangt, war die erste Sorge meines Begleiters, dicke eichene Läden vor die Fenster zu schließen, dann machte er Licht und ich sah mich in einem kleinen, bürgerlich bequem eingerichteten Zimmer. Als ich nun einige Erklärung dieses geheimnißvollen Treibens wünschte, rückte er einen Tisch und nahm von der Diele einen Korkstöpsel, der für Uneingeweihte vollkommen dem Astknoten eines Brettes glich. Ich drückte mein Auge auf die kleine Oeffnung und konnte unmittelbar unter meinen Füßen eine Trinkstube sehen, in der ein Dutzend Gensdarmen und Douaniers um eine Anzahl halbleerer Flaschen saßen. „Hier sucht man uns am wenigsten,“ setzte er selbstgefällig hinzu, „denn wir sind im Estaminet, das von diesen Leuten (er wies auf die untern Gäste) am häufigsten besucht wird.“ Ich hatte gegen diese Logik nichts einzuwenden, und fand mich um so leichter in mein Schicksal, als nach wenigen [36] Minuten die Wirthin – eine junge aufgeweckte Bayonneserin – eintrat, uns ein recht gutes Abendessen und vortrefflichen Wein von Jurançon vorsetzte, von dem seit Heinrich IV. Kindheit berühmt gewordenen Bearner Gewächs.
Den nächsten Tag blieb ich in der einsamen Klause, die schon damals mich sehr langweilte, und in der ich ungefähr ein Jahr später mehrere Wochen, der grenzenlosesten Langenweile Preis gegeben, zubringen sollte. Das konnte ich freilich damals nicht ahnen, und doch war mir dieses Haus förmlich unheimlich, so daß ich froh war, als Abends ein Guide kam mich abzuholen. Ich zog baskische Bauern-Tracht an, der ähnlich, die ich bei meinem ersten Eintritt nach Spanien von Sare aus getragen, und so wanderten wir laut singend und lärmend auf der Chaussée fort, bis Saint Jean de Luz, wo wir spät Nachts anlangten. In der Wohnung eines Vertrauten sollte einige Zeit der Ruhe gegönnt und dann aufgebrochen werden; doch kam nach kurzer Frist ein ausgeschickter Späher zurück und berichtete, daß meine Anwesenheit verrathen worden, denn sämmtliche Posten wären verdoppelt; die Brücke von Ciboure – über die ich sollte – sei [37] besetzt und alle Gensdarmen und Douaniers in Alarm. Man vermuthe mich innerhalb Saint Jean de Luz oder doch auf dem Wege hin, denn der Ort sei cernirt und die Straße nach Bayonne bewacht. Ein Uebergang diese Nacht war unmöglich, er mußte verschoben werden. Dieß verdroß mich doppelt, da Gründe – die nur für mich von persönlichem Interesse sind – es mir nothwendig machten, mit Vermeidung unserer Grenzlinie bis ins Hoflager zu dringen, ohne daß das Ministerium hievon Kenntniß habe, ehe ich angelangt. Doch mußte ich mich in das Unvermeidliche fügen und den nächsten Tag in Saint Jean de Luz zubringen. Es war eben ein Zahltag Muñagorris, des bekannten Abenteurers, der unter dem Banner „Paz y fueros“ alle unsere Deserteurs und Sträflinge längst der spanischen Grenze, unter französischem und englischem Schutze, versammelt hatte. Diese Leute sahen sehr elegant aus, wurden gut bezahlt und waren meist gediente Soldaten; doch konnte man auf den ersten Blick sehen, daß das ganze Unternehmen keine ernsten Folgen haben würde. Aller Subordinationsgeist war aus den Soldaten gewichen, und die Offiziere taugten gar nichts. Hinter den Gardinen meines [38] Fensters versteckt, betrachtete ich die auf dem Platze herumspazierenden Muñagorristen, die Morgens ganz militairisch und stolz einherschritten, doch Abends sämmtlich betrunken waren. Als es dunkel ward, verließ ich mein Versteck. Am Strande, in einer durch den Sand gebildeten Vertiefung, harrten zwei Contrebandiers meiner Ankunft. Wir schritten am Meere durch eine Stunde fort, dann bogen wir links ein, und drückten uns zwischen Felder und Weinberge, längst den Furchen und Rainen; sorgfältig ward jeder Weg, jeder gebahnte Fußsteig vermieden oder übersprungen, um keine Spuren zurückzulassen. Endlich kamen wir auf zehn Schritte von einem Douaniers-Posten; er dominirte den einzigen Paß, durch den wir mußten, wenn nicht ein mehrstündiger Umweg gemacht werden sollte. Wir krochen auf Händen und Füßen unter Dornen und Gesträuch durch den Paß, und konnten über unsern Köpfen die Douaniers plaudern hören. In einem einzelnen Gehöfte, einem Contrebandier gehörig, ward einige Augenblicke Halt gemacht. Ich erfrischte mich mit einem langen Schluck Aepfelwein (Cidre), der in diesen Gegenden klar und vortrefflich, nichts mit dem abscheulichen trüben Getränke dieses [39] Namens gemein hat, das in der Nähe von Frankfurt a. M. üblich ist.
Gegen Mitternacht brachen wir auf; der Contrebandier, bei dem wir ausgeruht hatten, wollte mich durchaus mit seinem Knechte bis an die Grenze begleiten, angeblich, da diese Strecke gefährlich sei und meine zwei Guiden nicht genügen würden, einen etwaigen Strauß mit den Douaniers zu bestehen; doch mag sein Hauptgrund in der Aussicht eines sichern Gewinns einiger Doublonen gelegen haben. Da er nicht abzuweisen war und meinen Guiden sein Anerbieten sehr zu gefallen schien, mußte ich einwilligen. Meine zwei neuen Begleiter ergriffen ihre schweren, mit Eisen beschlagenen, Knotenstöcke und machten ein paar große Wolfshunde von der Kette los, die spürend und spähend vor uns her liefen. Diese Hunde trifft man bei allen Contrebandiers längs der Pyreneen an; sie sind ihren Herren vom größten Nutzen, kennen alle Stege, tragen oft Ballen Waare, und wissen Schleichhändler von Zollwächtern genau zu unterscheiden. Wenn sie beladen sind, schleichen sie sich hinter den Zollbaraken so leise durch, daß das aufmerksamste Auge sie nicht gewahrt, während ihr frei und unbepackt einhergehender Herr, [40] den Douanen gleichsam zum Trotz, an deren Hütten singend und pfeifend vorbeigeht. Zuweilen verwundet, wissen sie doch in größter Schnelligkeit zu entfliehen oder in Felsenrisse sich zu verbergen, und nie verrathet ein Klageton ihren Schlupfwinkel. Es ist beinahe beispiellos, daß einer dieser Hunde erwischt worden wäre, und wie oft haben sie wichtige Correspondenzen, werthvolle Dinge getragen. Werden sie hingegen als Spürhunde vorausgeschickt, dann ändert sich ihre Rolle. Der in den Gebüschen lauernde Douanier wird von ihnen aufgespürt und durch einen eigenen Laut dem Herrn signalisirt; begegnen sie einer starken Patrouille, so fallen sie in einen winselnden Klageton; glauben sie jedoch ihren Herrn entdeckt, ist die Gefahr flagrant, dann nimmt ihr Bellen einen wüthenden Charakter an. Ich habe viel und lange unter diesem in Europa einzigen Schmuggler-Volke gelebt, viele Züge mit ihnen mitgemacht und Gelegenheit gehabt, ihr wildes Handwerk in allen seinen Phasen genau kennen zu lernen, spreche daher aus eigener, guter Erfahrung. Ich habe viele dieser Hunde gesehen, und kann versichern, daß ich bis jetzt keinen Begriff einer so vollkommenen Abrichtung gehabt; die tanzenden Affen, [41] sprechenden Papageien, aus Flaschen trinkenden Elephanten und kartenspielenden Pudel sind ganz stupide Bestien im Vergleiche zu den Wolfshunden der Contrebandiers längs den Pyreneen.
Dieß hatte ich auch diese Nacht zu erfahren Gelegenheit, denn kaum eine Viertelstunde vom Hause des Contrebandiers entfernt, schlug einer seiner Hunde an. Wir hielten still, – nach wenigen Secunden derselbe Laut. „Es sind ihrer wenige, vielleicht nur Zwei; vorwärts!“ sagte der Eine ruhig und wir gingen weiter. Gleich darauf begegneten wir zwei Douaniers; meine vier Begleiter schwangen die Stöcke sausend über ihren Köpfen und wir schritten auf sie los. Man begrüßte sich gegenseitig und zog unangefochten weiter. Auch war es das Klügste, was die Douaniers thun konnten, da es sonst blutige Köpfe gegeben hätte. Kaum waren wir jedoch hinter dem nächsten Gebüsch, so rannten wir aus Leibeskräften in gerader Richtung vorwärts. In geringer Entfernung brannte ein kleines Licht; es war wieder eine Zollbarake; schon wollten wir ausweichen, als ein gellender Pfiff hinter uns ertönte. Wir waren signalisirt und konnten nicht mehr seitwärts. Hier mußte [42] List gebraucht werden. Zwei meiner Begleiter gingen auf die Barake los, zogen ihre Cigarren hervor und begehrten von den Douaniers Feuer. Während sie in eifrigem Gespräche begriffen waren, drückten wir uns um die Hinterwand und kletterten an einer steilen Lehne herab. Nach einer halben Stunde eiligen Marsches kamen wir an einen reißenden Gießbach; die Beinkleider wurden aufgeschürzt, die Sandalen von den Füßen genommen und auf das andere Ufer gewatet. Da ergriff Dominik, der Guiden Chef, meine Hand, riß mich einige Schritte mit sich fort bis zu zwei, auf einem kleinen Bergkegel eingerammten, Steinpfeilern. Da es zu dunkel war, um etwas unterscheiden zu können, zog er aus seinem Hemde eine Blendlaterne hervor, machte Licht und zeigte mir auf dem einen der Pfeiler en relief die drei königlichen Lilien von Frankreich, auf dem andern den Löwen von Leon und die Thürme von Castilien. Es war die Grenze. Zugleich streckte er mir die offene Hand entgegen und sagte barsch und kurz: „Le prix, s’il vous plaît!“ Ich zahlte die bedungenen 300 Franken, da mit den Schwierigkeiten, der Wichtigkeit der Person, der Douane und Gendarmerie gegebenen Signalemens [43] und andern Umständen, von den primitiven 100 Franken die Preise bis zu oft bedeutender Höhe stiegen.[3] Einer meiner Guiden führte mich weiter, die Andern drei verloren sich gleich, nachdem ich eine Retribution von 50 Franken dem letzten Contrebandier für seine und seiner Hunde Begleitung geben mußte, und so gelangte ich nach einer halben Stunde zu einer einsamen Sennhütte, Borda de Alcabeheria, mitten in einer wilden, engen Gebirgsschlucht, wo ich mich todmüde auf einen mit Maisstroh gefüllten Sack warf und sogleich in tiefen Schlaf verfiel.
Nach mehreren Stunden weckte mich lautes Schreien und Zanken vor meinen Fenstern. Es war hell am Tage; ich sprang auf und sah Dominik, der mit meinen Pferden und Effecten aus Sare angelangt, mit fünf Soldaten in lebhaftem Streit begriffen war, [44] und, mit Hülfe seiner Leute, sie ins Haus zu dringen verhinderte. Diesem ein Ende zu machen, ging ich hinab, ohne mir erst Zeit zum Ankleiden zu geben; auch schien meine Gegenwart zu genügen den Frieden wieder herzustellen. Es waren ein Unteroffizier mit vier Soldaten vom 5. Bataillon von Navarra, derselben Truppe, die wenige Wochen zuvor unter dem Feldgeschrei: „Tod den Ojalateros,“ sich in Estella empört und allerlei Excessen hingegeben hatte. Seither auf die französische Grenze versetzt, cantonirte dieß Bataillon in Lesaca. Durch einen Hirten benachrichtigt, daß ein Fremder in der Borda angekommen sei, waren die verhaßten Ojalateros wieder ihr erster Gedanke, und sie nahmen sich nichts geringeres vor, als mich gebunden nach Lesaca abzuführen. Uebrigens war mit diesen Leuten nicht zu scherzen, da einige Tage zuvor die Obersten Toledo und Mariano Aznarez, in einer ähnlichen Borda überfallen, nur durch ein halbes Wunder einer gleichen Behandlung entgingen. Ich hatte jedoch das Glück von diesem Bataillon gekannt, und wie es schien, bei demselben in gutem Andenken geblieben zu sein, denn kaum hatten sie mich erblickt, als sie mit dem [45] Ruf: „Pero es el – –“ auf mich zukamen und mir ihre Dienste anboten. Ich hütete mich wohl selbe zurückzuweisen, und nahm sie als Escorte bis Tolosa an, indem ich, vor meinem Abritte aus der Borda, ein paar Worte an den Bataillons-Commandanten schrieb, ihn hievon in Kenntniß[WS 1] zu setzen. Ich ritt noch zwei Stunden und brachte die Nacht in einem einsamen, großen Gebäude zu, dem Eisenhammer von Articuza, den Domherren des berühmten Klosters Roncevaux (spanisch: Ronces Valles) gehörig, in dessen Schluchten, welthistorischen Andenkens, Roland den Tod gefunden, und noch heute, wie am Rhein, so in ganz Spanien, ein Volksheld aller Märchen und Romanzen, überall besungen wird. Wie Roland, unseres genialen Uhland jugendlicher Held, den Riesen in den Ardennen bezwungen und von Rolandseck nach Nonnenwerth, zu der Dame seines Herzens, herabgeschaut haben soll, so werden auf hunderte von Meilen, in den Hesperiden nicht weniger galante und wunderbare Ereignisse zu seinem Lobe besungen. An der Grenze von Valencia und Castilien liegen ungeheure Felsenblöcke, mitten in fruchtbaren Ebenen, auf ziemliche Entfernung von [46] den Gebirgen; die hat, nach dem Glauben und den Liedern des Volkes, der große Roland in seinem Zorne (el gran Orlando furioso) mit dem Fuße, von Bergesspitze in die Thäler, geschleudert. Auch sieht man einen, wie von Menschenhand, durchsprengten Felsen; den spaltete Orlando, alter Sage zu Folge, mit seinem Schwerte, für sich und die Seinen einen Paß zu öffnen. Wie er in Italien besungen ward, braucht wohl Niemand zu erwähnen. Doch zurück, vom großen Roland mit den zwei Schwertern, zum Eisenhammer seiner Domherren. Ich verließ ihn am nächsten Morgen und war Abends in Tolosa.
Mein erster Gang war zu Moreno, der zurückgezogen von allen Geschäften in einem der wohnlichsten Häuser dieser Stadt lebte. Ich frug nach dem Infanten, doch der war in den Bädern von Cestona und, soviel ich hörte, auch mit den Veränderungen wenig zufrieden. Moreno war somit der Einzige, an den ich mich wenden konnte, über die letzten Ereignisse einigen Aufschluß zu erhalten, obwohl ich vielleicht von diesem General, Marotos’s größten Antagonisten, kein sehr unparteiisches Urtheil erwarten durfte. Ich fand Moreno in Pantoffeln und einem abgetragenen [47] Uniform-Oberrock, der die Stelle des Schlafrocks vertrat, in einen weiten Armsessel gelehnt. Er sah sehr bleich und eingefallen aus, und war während meiner dreimonatlichen Abwesenheit um mehrere Jahre älter geworden, obgleich er affectirte heiter und sorglos zu erscheinen. Nach den ersten Begrüßungen wies er das vor ihm aufgeschlagene Buch: „Es ist Tacitus,“ hub er an „er sagt, daß ein Bürgerkrieg, der lange dauert, ein Beweis der Unfähigkeit beider Parteien ist.“ Ich unterdrückte bestmöglichst die Verwunderung, die mir dieser Ausspruch im Munde des Feldherrn ablockte, der zweimal unser Heer befehligt, und frug ihn, ob er glaube, daß Maroto bald eine Schlacht liefern werde. „Este imbecil, que hay de batirse,“ war die ganze Antwort. Ein weiteres Urtheil zu verlangen, schien mir, nach dieser etwas derben Aeußerung überflüssig. Nach einer langen Pause fing er an, die verschiedenen Agenten des Königs im Auslande durchzugehen, lobte den Marquis de Labradór, tadelte den Grafen Alcudia sehr scharf, sprach ihm allen gesunden Menschenverstand ab, und sagte es wäre der blutgierigste Mensch den er kenne, indem er als Schlußbemerkung zusetzte: „wenn der könnte, er würde mich hängen [48] lassen;“ sprach von Negri, erinnerte mich an sein ganz richtiges Urtheil über diesen General bei Ausgang seiner Expedition; sagte, die Schuld läge darin, daß Negri nicht zu marschiren verstehe und setzte hinzu, der Krieg würde mit den Füßen geführt, das berühmte Wort des Marschalls von Sachsen gebrauchend. So kam er allmählig auf die jetzigen Verhältnisse zurück: „Es wird Ihres Bleibens hier nicht sein,“ schloß er, „Maroto und Arias, die zwei einzigen Machthaber, liegen sich in den Haaren; sie sind zwei Mühlsteinen zu vergleichen, wer zwischen sie geräth, wird aufgerieben.“ Während er, heftig auf- und abgehend, conversirte, brachte sein Adjutant Azencio ein Schreiben. Moreno durchflog es schnell und wandte sich zu mir: „Ich habe Ihren Mann, – der Graf de España ist in Berga angekommen. España und ich, wir können uns nicht leiden, aber unter dem müssen Sie dienen. Hier versäumen Sie nichts, denn ohne mich marschirt der König doch nicht nach Madrid, und komme ich einst wieder auf’s Tapet, so wissen Sie, daß ich Sie rufe.“ Ich verbeugte mich schweigend und nahm bald Abschied. Ohne diesen Worten viel Gewicht beizulegen, wurde ich doch [49] darüber nachdenkend. Sie trugen nicht wenig zu späteren Entschlüssen bei, die ich nie bereut habe.
Als ich Moreno’s Wohnung verließ, waren auf dem Platze Gruppen von Offizieren und Soldaten versammelt, die sich Maroto’s zweite Proklamation an das Heer vorlasen. Sie war vom 7. Juli und aus seinem Hauptquartier Estella datirt. Mit Begeisterung hörten die alten Krieger Zumalacarregui’s die glänzenden Worte, in denen er ihnen die Siege des großen Feldherrn ins Gedächtniß rief. Asarta, Muru, Alsasua, Gulina, Artazu, die Felsen von San Fausto, die Ebenen von Vitoria, die Brücke von Arquijas, Descarga; bei Nennung jedes dieser glorreichen Tage unterbrach lauter Jubel die Vorleser. Maroto rief sie zum Kampfe auf Leben und Tod und schloß mit den ritterlichen Worten: „Fliehend zu sterben, ist ein feiger und schmachvoller Tod, und wenn Einer unter Euch Furcht hat, so entferne er sich aus den Reihen, ehe er den Feind gesehen.“ Ein stürmischer Applaus erfolgte; Jeder wollte nochmals lesen, jene Sprache wieder hören, die sie seit Zumalacarregui’s Tode nicht mehr vernommen. Maroto hatte es meisterhaft verstanden, das Heer zu electrisiren, das liegt außer [50] allem Zweifel. Wie durch Zauberschlag hat er den alten, kriegerischen Geist der Basken und Navarresen geweckt, jene Akkorde zu treffen gewußt, die in ihren Seelen Anklang fanden. Als ich nach dreimonatlicher Abwesenheit die Armee wieder sah, mußte ich um so mehr über diese gänzliche Umwandlung staunen, als ich keinen der Uebergangsmomente selbst erfahren. Ich hatte eine physisch und moralisch herabgekommene Truppe verlassen, die, in apathischem Zustande, nur Unglücksfälle von ihren Obern zu erwarten schien; und nun, nachdem Maroto kaum wenige Wochen das Commando führte, schien, ohne einem einzigen Treffen, ohne irgend einer entscheidenden Maßregel, ein neues Lebensprinzip Alle zu durchzucken.
Die Ankunft bedeutender Subsidien aus dem Norden, welche vielleicht nur zufälliger Weise mit der Maroto’s genau zusammentraf, mag allerdings nicht wenig zu dieser Popularität beigetragen haben, die er bei den Soldaten und dem Volke, vom ersten Tage an, genoß. Denn Erstere erhielten von nun an ihre ganze Löhnung, was seit Anfang des Krieges nie geschehen war, wo meist nur Drittel (tercios) und in unsern brillantesten Zeiten höchstens halber Gehalt (quincenas) [51] ausbezahlt worden. Zugleich hörten die außerordentlichen Geldsteuern auf, was ihn bei den Landleuten nicht wenig beliebt machte, obschon die großen Victualien-Lieferungen und regelmäßigen, an die Provinzial-Deputationen zu entrichtenden, Abgaben stets fortdauerten. Was aber Maroto, bei Soldaten und Subalternen, im hellsten Lichte wahrer Unpartheilichkeit erscheinen ließ, was die Hoffnung begründete, eine radicale Aenderung aller Mißbräuche, alles Unwesens durch ihn zu erreichen, alle Intriguen aufhören zu sehen, die so lange den Triumph unserer Waffen hingehalten, – war sein strenges, schneidend kaltes, derbzurechtweisendes Wesen mit Generalen und Stabsoffizieren in Gegenwart der Truppe, und sein beständig spöttisches und tadelndes Hindeuten auf die Mängel und Fehler seiner Vorgänger, denen er nun bald abhelfen würde. Viele haben hierin eine Vorarbeit zu seiner spätern Verrätherei gesehen; ich traue mir diesen Scharfblick nicht zu, und glaube dieses Verfahren genügend in der Eitelkeit Maroto’s und in der fast allgemeinen Abneigung jedes Nachfolgers, sei es nun auf dem Throne, im Heere oder im Cabinet, gegen die Handlungen seines Vorgängers erklärt. Daß [52] er aber kein Freund jener Generale war, die bei seinem Abgang von der königlichen Armee meist Subaltern- oder höchstens Stabsoffiziere, während er unthätig in Frankreich sich abhärmte, fortwährend Lorbeern, Grade und Auszeichnungen, vielleicht zum Theil auch Vermögen erworben hatten, ist bei seinem neidischen und selbstsüchtigen Charakter sehr begreiflich; um so mehr als diese Generale sich nicht immer vor ihm sehr zurückhielten, oft indirect ihn verletzende Saiten berührten. Hievon kann man Beispiele in Herrn von Rahdens Buche sehen,[4] obwohl er über diesen Punkt anderer Meinung ist, Maroto für einen prämeditirten Verräther hält, und die Ueberzeugung hegt, er habe seine Plane lange vorher vorbereitet und ganz fertig nach Spanien mitgebracht. Ich habe schon einmal geglaubt darauf hindeuten zu müssen, daß ich dieser Ansicht nicht beipflichten kann, ohne Maroto deßhalb für minder schuldig zu halten. Aber aus vielen Gründen, die ich zum Theil im Verlaufe dieser Erinnerungen zu [53] entwickeln trachten werde, zum Theil jedoch nicht der Oeffentlichkeit übergeben darf, halte ich Maroto für eine dupe Espartéro’s und des Marschalls Soult. Ganz andere Hoffnungen und Vorschläge wurden ihm gemacht, ganz andern Planen gab er zuerst seine Beistimmung; doch ein banales Sprichwort sagt, daß wer dem Teufel nur den kleinen Finger hinreicht, ihm bald die ganze Hand geben muß. So erging es Maroto. Nachdem er, eigenmächtig und unrechtmäßig, Propositionen vom Auslande Gehör geschenkt, die allerdings weit ehrenvoller klangen, als was kurz darauf geboten wurde, nachdem er diese Eröffnungen [54] vor dem Könige geheim gehalten, konnte er nicht mehr zurück. Er war in den Händen Espartéro’s, ohne die geringste Garantie zu haben, und von diesem beständig überlistet, schwand mit hinreißender Schnelligkeit eine Concession nach der andern, so daß endlich Maroto sich in der Alternative sah, vom Könige vor ein Kriegsgericht gestellt und mit allen jenen, die er getäuscht hatte, fusillirt zu werden, oder zum Feinde überzugehen. Maroto hat Letzteres gewählt, gewiß das frevelhafteste und schmachvollste. Ein Ausweg blieb ihm noch, ein verzweifeltes Treffen zu wagen und sichern Tod zu suchen, doch das wäre für einen Mann wie Maroto zu ritterlich gewesen.
Ich bin in diesen letzten Worten unwillkührlich den Ereignissen vorangeeilt, und habe in eine Epoche eingegriffen, auf die ich später mit mehr Detail zurückkommen werde. Demungeachtet kann ich, so wenig als irgend ein Anderer, die Prätension haben, den Faden zu diesem grauenhaften Labyrinthe von Infamien zu finden und den Schleier zu lüften, der diese Episode der spanischen Geschichte verhüllt. Espartéro und Maroto können es; großentheils der Marschall Soult, gewiß auch Linage, Espartéro’s Vertrauter; [55] doch wer Alles am besten und bis in die geheimsten Fäden kennen muß, ist der französische Bataillons-Commandant Bertrand Duffeau-Pouillac, Maroto’s Privat-Secretair; der, denke ich, wird sich aber aller Veröffentlichung enthalten. Was Andere schreiben, sind nur mehr oder minder begründete Vermuthungen und individuelle Ansichten.
Am 11. Juli Morgens verließ ich Tolosa, das noch, wie drei Monate früher, der Sammelplatz aller gefallenen Dignitarien war. Seit Ankunft Maroto’s hatten sie jedoch mehr Wichtigkeit erlangt und versammelten sich alle Abende beim Ex-Minister Erro, wo über die wichtigsten Staatsangelegenheiten mit ganz unspanischer Ungebundenheit abgeurtheilt wurde. Erro gab den Ton an, dieser Staatsmann, der bei dem regsten Eifer und eminenten Eigenschaften sich während seiner ganzen Geschäftsführung durch eine Reihe von unpractischen Maßregeln und unglücklichen Einfällen auszeichnet hatte. Demungeachtet war er gewiß der einzige Diplomat auf dem Kriegsschauplatze,
[56] oder doch wenigstens der Einzige, der einen höhern Diplomaten vorstellen konnte.
Mit Freuden vernahm ich die Freilassung des Generals Eguia. Dieser würdige, alte Mann war vierzehn Monate ohne aller Verbindung gehalten worden, ohne ein einziges Verhör erlangen zu können. Zuletzt soll sein Verstand darunter gelitten haben. So wird erzählt, daß, wenn er, durch die Fenstergitter seines Gefängnisses, des öden Bergschlosses Monjardin, Offiziere in den, zu seinen Füßen liegenden, Thälern marschiren sah, er ihnen zurief: „Offizier, hören Sie mich! wissen Sie warum der alte General Eguia in Monjardin gefangen sitzt? – ich weiß es auch nicht, und ich bin der General Eguia.“
Vor meinem Abritte aus Tolosa besuchten mich Urbiztondo (der ehemalige General-Commandant von Catalonien), Alvarez de Toledo, Sohn des Herzogs von Ynfantado, der von seiner italienischen Mission eben zurückgekehrt war, und Oberst Bessières, Sohn des 1823 fusillirten Royalistischen Generals. Auch sie waren mit Arias-Teijeiro und Guérgué unzufrieden und in voller Freude über Maroto’s Ernennung. Sie gehörten, [57] besonders die beiden Ersten, zu den brillantesten, gebildetsten Offizieren des königlichen Heeres, waren dem Könige nach Portugal gefolgt, hatten ihrer Treue und Hingebung wegen sich großen Verfolgungen ausgesetzt; wurden später gefangen und nach Puerto Rico abgeführt, von wo entwischt, sie bis dahin stets mit der größten Auszeichnung gedient. Ich selbst hatte sie in mehreren Affairen gesehen, und für Bessières, nach der Schlacht von Huesca, das Ferdinands-Kreuz von Villarreal verlangt, der es, beiläufig gesagt, nur mit Widerwillen zugestand. Ich hatte viel Neigung für diese drei Offiziere, die, als ich sie an diesem Morgen zuletzt sah, über die Ernennung Maroto’s alle erduldeten Unbilden vergessen zu haben schienen. Sie sprachen mit glühender Begeisterung und großer Hingebung von der königlichen Sache, der sie sich mit Leib und Leben wieder weihen wollten. Was ich am ersten erwartet hätte, wäre den Tod des Einen oder des Andern von ihnen auf einem Schlachtfelde zu vernehmen. Sie sind seither alle Drei mit Maroto übergegangen und haben den Vertrag von Vergara unterzeichnet.
Spät Nachts traf ich in Elorrio ein, wo der [58] König damals Hoflager hielt. Ich stieg vor dem Hause Arias-Teijeiro’s ab, der allein in seinem Cabinet arbeitete. Als ich ihn verließ war es schon heller Morgen geworden. Diese fünfstündige Unterredung werde ich nie vergessen, doch gehört sie nicht vor das Forum der Oeffentlichkeit. So viel scheint mir jedoch gewiß, und mag hier gesagt werden, daß, wäre ich vor dem Pallaste des Königs, statt vor Arias-Teijeiros’s Hause, abgestiegen und hätte durch meinen Freund, den Dienstkämmerer José Villavicencio, noch dieselbe Nacht Eintritt ins königliche Cabinet erlangt, Vieles Anders gekommen, seither Unabwendbares vielleicht abgewendet worden wäre. Acht Tage darauf schrieb ich aus Urdax an Herrn von Cotta nach Stuttgart: Maroto est le dernier médecin qui guérit, ou le fossoyeur qui enterre.
- ↑ Valdès, seiner klassischen Schönheit wegen in den schönen Hesperiden berühmt, stand einst bei einer hohen Frau in großer Gunst. Als nun jemand einmal ihre prächtige Angora-Katze lobte, erwiederte sie: „Ja, es ist der Valdès unter den Katzen“ (el Valdès de los gatos). Dieser Beiname, unter dem ihn jeder Spanier und besonders jede Spanierin kennen, ist ihm seither geblieben.
- ↑ Ayacucho ist bekanntlich der Spottname Jenen beigelegt, die im spanischen Amerika dienend, durch Unterzeichnung [20] des schmählichen Traktats von Ayacucho das feste Land der Krone aufgaben. Das Wort Baratéro hat viele Bedeutungen; dem Wortlaut nach bezeichnet es Kartenmischer und Würfelwerfer; doch hat es im Mund des Volks noch einen besondern Sinn und begreift eine Klasse von Menschen, die in jedem Regiment anzutreffen waren. Sie führten stets Karten und Würfel bei sich, und wenn Soldaten spielen wollten, so zwangen sie sie gegen eine vom Gewinner zu entrichtende Retribution sich ihres Vorraths zu bedienen. Auf Weigerung erfolgte stets Streit und eine Herausforderung, die früher mit dem Degen, in den letztern Zeiten mit dem langen Messer, Cuchillo, ausgefochten wurde. Die Baratéros waren meist bekannte Spadassins, die über den Ausgang ihrer Händel ziemlich ruhig sein konnten. Einige haben sich im letzten Kriege zu bedeutenden Posten emporgeschwungen. Ihr Métier war durch die Ordonanz beider Heere streng verpönt, doch nicht auszurotten. Ich habe Mehrere, besonders in den catalonischen Guerillas gesehen, wo sie um so gefährlicher waren, als dort jeder Soldat das Cuchillo als Nationalwaffe führt. Bei aller durchgreifenden [21] Strenge des Grafen de España scheiterte seine Macht am Cuchillo; er konnte es nicht abschaffen, und mußte sich darauf beschränken das Einhauen oder Sägen der Klinge (dentelar) zu verbieten, das jede Heilung unmöglich macht.
- ↑ So hatte Maroto, wenige Wochen vor mir 1000 Franken bezahlt. Für den Uebergang der Königin (Prinzessin von Beyra, zweite Gemahlin Carl V.), des Prinzen von Asturien, einer Hofdame und ihres Führers, des Grafen Robert Custine, wurden im October desselben Jahres 20,000 Franken vorher deponirt und nach glücklicher Vollendung des Zuges entrichtet.
- ↑ Herr von Rahden erzählt (S. 179), daß während einer Revue, die bei Estella im Juli 1838 statt fand, der General Fr. Garcia neben dem Könige ritt, letzterem [53] von den Siegen Zumalacarregui’s sprach, „sein eigenes Verdienst und das seiner Navarresen herauszuheben und zugleich an Maroto sich zu reiben, immer lauter den Satz wiederholend: „Ja damals wurde der Feind mit dem Bajonnet, nicht mit der Feder geschlagen,“ ohne Zweifel auf den, wenige Tage zuvor bekannt gewordenen, Aufruf Maroto’s an die Truppen anspielend. Dieß weckte den Leu aus seinen Träumen, und bei einem wüthenden Seitenblick erschien es mir (Rahden sc.), als ob das Opfer bereits dem Henker verfallen wäre.“ – Garcia war bekanntlich einer der am 16. Februar 1839 zu Estella fusillirten Generale.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Kennntniß