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Erinnerungen an die erste Aufführung des „Don Juan“

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Textdaten
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Autor: Richard Robert
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Titel: Erinnerungen an die erste Aufführung des „Don Juan“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 738–739
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Erinnerungen an die erste Aufführung des „Don Juan“.

Vor hundert Jahren, am 29. Oktober 1787, wurde Mozart’s Meisterwerk „Don Juan“ zum ersten Male in Prag aufgeführt. An allen Bühnen wird dieser Gedenktag festlich begangen; auch wir wollen an dieser Stelle desselben gedenken und unseren Lesern einige Erinnerungen mittheilen, welche für Mozart und die Entstehung der „Oper aller Opern“ charakteristisch sind.

Schon an die Ouverture des „Don Giovanni“ knüpft sich ein förmlicher Sagenkreis, denn von Jedem, der die Entstehungsgeschichte dieser Komposition als „Augenzeuge“ erzählt hat – und es giebt solcher „Augenzeugen“ gar viele! – hören wir sie anders darstellen. Nur so viel geht aus all diesen Berichten mit ziemlicher Sicherheit hervor, daß der Tag der Aufführung vor der Thür stand, ohne daß die Ouverture zur Oper geschrieben worden war. Mozart’s Wittwe theilt darüber in der Leipziger „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ vom Jahre 1798 Folgendes mit: „Den vorletzten Tag vor der Aufführung des ‚Don Juan‘ in Prag, als die Generalprobe schon vorbei war, sagte er (Mozart) Abends zu seiner Frau, er wolle in der Nacht die Ouverture schreiben; sie möge ihm Punsch machen und bei ihm bleiben, um ihn munter zu halten. Sie that’s, erzählte ihm Märchen von Aladin’s Lampe, vom Aschenhutterl u. dergl., die ihn zu Thränen lachen machten. Der Punsch aber machte ihn so schläfrig, daß er nickte, wenn sie pausirte, und nur arbeitete, wenn sie erzählte. Da aber diese Anstrengung, die Schläfrigkeit und das öftere Nicken und Zusammenfahren ihm die Arbeit gar zu schwer machten, ermahnte seine Frau ihn, auf dem Kanapee zu schlafen, mit dem Versprechen, ihn nach einer Stunde zu wecken. Er schlief aber so fest, daß sie es nicht übers Herz brachte und ihn erst nach zwei Stunden weckte. Dies war um fünf Uhr; um sieben Uhr war der Kopist bestellt, um sieben Uhr war die Ouverture fertig.“

Recht komisch klingt die weitere Bemerkung Konstanze Mozart’s: „Einige wollen das Nicken und Zusammenfahren in der Musik der Ouverture erkennen,“ welcher Unsinn von Vielen gläubig nachgesprochen wurde. Frau Mozart (die sich später mit dem dänischen Staatsrath Georg N. von Nissen vermählt hat) scheint also wirklich der Ansicht gewesen zu sein, daß ihr unsterblicher Gatte die „Don Juan“-Ouverture in jener Nacht komponirt habe! Dies war jedoch durchaus nicht der Fall; denn Komponiren und Schreiben war bei Mozart meist zweierlei. Er ging gewöhnlich erst dann ans Niederschreiben eines Werkes, wenn er es bereits im Kopfe fertig hatte, wie aus nachstehender Stelle eines Briefes an einen Baron von P. hervorgeht:

„Wenn ich recht für mich bin und guter Dinge, etwa auf Reisen im Wagen oder nach guter Mahlzeit beim Spazieren, und in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann: da kommen mir die Gedanken stromweis und am besten. Woher und wie, das weiß ich nicht, kann auch nichts dazu. Die mir nun gefallen, die behalte ich im Kopfe und summe sie auch wohl vor mich hin, wie mir Andere wenigstens gesagt haben – halt’ ich das nun fest, so kommt nur bald eins nach dem andern bey, wozu so ein Brocken zu brauchen wäre, um eine Pastete daraus zu machen, nach Kontrapunkt, nach Klang der verschiedenen Instrumente et caetera, et caeteara, et caetera! Das erhitzt mir nun die Seele, wenn ich nämlich nicht gestört werde; da wird es immer größer; und ich breite es immer weiter und heller aus; und das Ding wird im Kopfe wahrlich fast fertig, wenn es auch lang ist, so daß ich’s hernach mit einem Blick, gleichsam wie ein schönes Bild oder einen hübschen Menschen im Geiste übersehe, und es auch gar nicht mehr nach einander, wie es hernach kommen muß, in der Einbildung höre, sondern wie gleich alles zusammen. … Was nun so geworden ist, das vergesse ich nicht leicht wieder; und das ist vielleicht die beste Gabe, die mir unser Herrgott geschenkt hat. Wenn ich nun hernach einmal zum Schreiben komme, so nehme ich aus dem Sacke meines Gehirns, was vorher, wie gesagt, hineingesammelt ist. Darum kommt es hernach auch ziemlich schnell aufs Papier, denn es ist, wie gesagt, eigentlich schon fertig und wird auch selten viel anders, als es vorher im Kopfe gewesen ist. Darum kann ich mich auch beym Schreiben stören lassen; und mag um mich herum mancherley vorgehen: ich schreibe doch; kann auch dabey plaudern, nämlich von Hühnern und Gänsen, oder von Gretel und Bärbel u. dergl.“

Und so wird es auch mit der „Don Juan“-Ouverture gewesen sein, einem Stücke, das selbst ein Mozart nicht in wenigen Stunden und im Halbschlafe zu komponiren im Stande gewesen wäre. Daß dieselbe schon längst in seinem Kopfe fertig war, ehe er sich zum Niederschreiben bequemte, zeigt übrigens – falls es überhaupt eines weiteren Beweises, als die Komposition selbst, bedarf – die Mittheilung J. B. Lyser’s im „Mozart-Album“ (1856), nach welcher Mozart zu Duschek gekommen sei und diesem, in Gegenwart des Sängers Bassi (des ersten „Don Juan“-Darstellers) erwähnt habe, daß ihm zu seinem „Don Giovanni“ nicht weniger als drei Ouverturen im Kopfe herum gehen, er sich jedoch für keine entscheiden könne und daher den Rath seiner Freunde sich erbitte. Er spielte den Beiden nun drei verschiedene Ouverturen vor: eine in Es-Dur, die zweite in C-moll (eine freie Fuge, nach Art der Ouverture zur „Zauberflöte“) und die dritte in D. Duschek und Bassi erklärten sich, obwohl von allen dreien entzückt, für die letztere, welche Mozart dann in der Nacht vor der ersten Aufführung auch niederschrieb. Es möge hier erlaubt sein, auf einen ähnlichen Fall hinzuweisen, wo Mozart gleichfalls das Aufschreiben eines im Geiste bereits vollendeten Stückes von einem Tag auf den andern verschob, bis er schließlich keine Zeit mehr dazu hatte und daher seine Klavierstimme, statt zu schreiben, in einem öffentlichen Koncerte, bei dem auch Kaiser Josef anwesend war, gleich aus dem Gedächtnisse spielte. Es geschah dies bei jener Sonate für Klavier und Violine, welche er für die treffliche Violinvirtuosin Regina Strinasacchi komponirte. Der Tag der Akademie, in welcher das Stück aufgeführt werden sollte, nahte heran, und es war noch nicht eine Zeile der Sonate auf dem Papiere. Nur mit Mühe gelang es der Strinasacchi am Abend vor dem Koncert, wenigstens die Violinstimme von Mozart zu erpressen. Sie übte dieselbe am folgenden Morgen allein ein, denn den Komponisten sah sie erst Abends im Koncert, in welchem sie mit ihm (also ohne vorhergehende Probe) die Sonate unter großem Beifalle vortrug. Kaiser Josef, der mit seiner Lorgnette zu bemerken glaubte, daß Mozart keine Noten vor sich habe, ließ ihn zu sich rufen und ihn ersuchen, die Sonate mitzubringen. In der That bestand der Klavierpart, aus welchem Mozart scheinbar gespielt hatte, aus einem bloß mit Taktstrichen versehenen leeren Notenblatte: er hatte also die Klavierstimme gar nicht niedergeschrieben, sondern die Sonate, ohne sie früher anders als mit seinem inneren Ohre gehört zu haben, aus dem Kopfe gespielt.[1]

Doch wenden wir uns wieder zur „Don Juan“-Ouverture. Nachdem Mozart die Partitur derselben in der Nacht vom 28. auf den 29. Oktober zu Papier gebracht – eine Arbeit, die schon in rein mechanischer Hinsicht ganz erstaunlich ist, denn die „mit auffallend flüchtigen Zügen, aber fast ohne alle Aenderungen“[2] geschriebene Originalpartitur umfaßt gegen 300 Seiten (!) – wurde sie am nächsten Morgen zum Kopisten geschickt, der es nur mit knapper Noth zuwege brachte, bis zum Abend die Orchesterstimmen auszuschreiben. Dieselben kamen, noch feucht, auf die Pulte, und die Ouverture mußte natürlich von dem Orchester vom Blatt gespielt werden. Die enthusiasmirten Musiker nahmen sich tüchtig zusammen, so daß Mozart während der auf die Ouverture folgenden Introduktion zu dem ihm zunächst sitzenden Orchestermitgliede sagte: „Es sind zwar viele Noten unter die Pulte gefallen, aber die Ouverture ist doch recht gut von statten gegangen.“ (Nach der Erzählung Laitl’s, der bei der ersten „Don Juan“-Aufführung die Flöte geblasen: „… aber brav gespielt habt’s doch.“)

Eine recht drollige Episode spielte sich auch bei einer der ersten Opernproben ab. Die Worte des Komthurs in der Kirchhofsscene wurden ursprünglich bloß von Posaunen begleitet; mit der mangelhaften Ausführung dieser Stelle nicht zufrieden, klopfte Mozart mehrmals ab und begab sich endlich zu den Pulten der Posaunisten, um ihnen zu erklären, wie er sie eigentlich vorgetragen wünsche.

„Das kann man so nicht blasen und von Ihnen werde ich es auch nicht lernen!“ rief einer dieser posaunirenden Herren ärgerlich aus.

„Gott bewahre mich, daß ich Sie die Posaune lehren wollte,“ erwiederte lächelnd der Komponist; „geben Sie nur die Stimmen her, ich will sie ändern.“

Und das that er auch, indem er die Stelle für die Posaunen erleichterte und je zwei Oboen, Klarinetten und Fagotte hinzusetzte.

Bei einer anderen Probe gab er wieder einen Beweis seines phänomenalen Tongedächtnisses, indem er zum Finale des zweiten Aktes die Trompeten- und Paukenstimmen – ohne die Partitur vor sich zu haben – niederschrieb und sie den betreffenden Orchestermitgliedern mit der Weisung gab: „Ich bitte Sie, meine Herren, bei dieser Stelle besonders aufmerksam zu sein; denn es werden entweder vier Takte zu viel oder zu wenig [739] sein.“ Wirklich ergab sich hier, wie vorausgesagt, eine Differenz von vier Takten.

Teresina Bondini, die erste Zerline, zeigte sich im ersten Finale etwas zimperlich und war nicht dazu zu bringen, den verhängnißvollen Aufschrei ordentlich auszustoßen. Nach mehreren Versuchen, die sich als vergeblich erwiesen, hörte man sie endlich in natürlichster Weise erschrocken aufschreien: Mozart war nämlich auf die Bühne gegangen und hatte die Bondini im richtigen Momente plötzlich um die Hüften gepackt. „So ist’s recht,“ rief er ihr lachend zu, „so muß man aufschreien!“

In Prag war der Erfolg des „Don Giovanni“ ein ganz außerordentlicher, in Wien aber, woselbst die Oper am 7. Mai 1788 zum ersten Male gegeben wurde, ein ziemlich geringer. Trotz aller Zusätze und Aenderungen wollte das Werk anfangs nicht recht gefallen. „Die Oper ist göttlich,“ sagte Kaiser Josef zu Da Ponte, Mozart’s Librettisten, „vielleicht noch schöner als ‚Figaro‘; aber das ist keine Speise für die Zähne meiner Wiener.“ Als Da Ponte diesen Ausspruch des Monarchen Mozart mittheilte, bemerkte Letzterer schlagfertig: „Lassen wir ihnen Zeit zu kauen.“

Reizend ist die Antwort, die Rossini in einer Gesellschaft auf die Frage gab, welche von seinen eigenen Opern ihm die liebste sei: „Eh bien, c’est Don Giovanni“. Viardot (dessen Frau, Pauline Viardot-Garcia, so glücklich ist, im Besitze der Mozart’schen Originalpartitur zu sein, deren Ausstellung im Foyer der Großen Oper in Paris gelegentlich des Jubiläums beschlossen wurde) erzählt auch in der „Illustration“ vom Jahre 1855, daß Rossini, der eine ganz besondere Vorliebe für den „Don Juan“ hegte, ihn mit den Worten besucht habe: „Ich will niederknieen vor dieser heiligen Reliquie.“ Im Geburtslande Rossini’s dauerte es jedoch recht lange, bis das Mozart’sche Meisterwerk das richtige Verständniß und die ihm gebührende Verehrung fand; ja heute noch ist der Kreis Jener, welche die Bedeutung „Don Giovanni’s“ zu würdigen verstehen, ein sehr geringer. Würde man es für möglich halten, daß in einer Stadt des angeblichen „Landes der Musik“, in Florenz, im Jahre 1857 des Heils die Oper – ausgepfiffen und für „veraltete hyperboreische Musik“ erklärt wurde?! …

Nach der ersten Aufführung des „Don Juan“ in Deutschland gab es übrigens gleichfalls Stimmen, auch „kritische“, welche sich mehr oder weniger gegen die Mozart’sche Oper wendeten. Es wird gewiß zur Erheiterung unserer Leser beitragen, wenn ich diese „Don Juan“-Reminiscenzen mit einem Citate aus der Kritik über die erste Aufführung der „Oper aller Opern“ in Berlin (20. Dec. 1790) schließe, die sich in der „Chronik von Berlin“ (IX, S. 132 ff.)[WS 1] befindet. Dieser weise Kritikaster predigt Mozart zum Schlusse seiner Besprechung folgendes: „… aber theatralische Musik kennt keine andere Regel, keinen anderen Prüfungsrichter als das Herz; ob und wie sie darauf wirkt, bestimmt alsdann allen Werth derselben. Nicht Kunst in Ueberladung der Instrumente, sondern das Herz, Empfindung und Leidenschaften muß der Tonkünstler sprechen lassen; dann schreibt er groß, dann kommt sein Name auf die Nachwelt und ein immer grünender Lorbeer blüht ihm im Tempel der Unsterblichkeit. Gretry, Monsigny und Philidor werden davon Beweise sein. Mozart wollte bei seinem ‚Don Juan‘ etwas Außerordentliches, unnachahmlich Großes schreiben; so viel ist gewiß, das Außerordentliche ist da, aber nicht das unnachahmlich Große! Grille, Laune, Stolz, aber nicht das Herz war ‚Don Juan’s‘ Schöpfer, und wir wünschen lieber in einem Oratorium oder sonst einer feierlichen Kirchenmusik die hohen Möglichkeiten der Tonkunst von ihm zu bewundern erhalten zu haben, als in seinem ‚Don Juan‘, dessen Ausgang so ziemlich analog ist mit einer Schilderung des jüngsten Gerichts, wo wie Seifenblasen die Gräber aufspringen, Berge platzen und der Würgengel des Herrn mit der Schrecktrompete zum Aufbruch bläst. Bei alledem (!) hat diese Oper der Direktion gute Einnahmen geschafft, und die Galerie, die Logen und das Parquet werden in der Folge nicht leer sein; denn (sic!) ein geharnischter Geist und feuerspeiende Furien sind ein sehr starker Magnet. Ach, Verstand der Abderiten!“

„Ach, Verstand der Abderiten!“ rufen sicherlich auch unsere Leser aus und klappen mit uns die „Chronik von Berlin“ zu. Rich. Robert.     



  1. Diese Anekdote findet sich zuerst in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“, Bd. I, ferner bei Rochlitz („Für Freunde der Tonkunst“) und in der 1828 erschienenen Mozart-Biographie von Nissen.
  2. Otto Jahn in seinem „Mozart“ IV, S. 301, Anmerk. 46.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Chronic von Berlin oder Berlinsche Merkwürdigkeiten. Herausgegeben von Tlantlaquatlapatli. 9. Bändchen, 201. Stück (5. Februar 1791) SLUB Dresden