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Er ist todt

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Textdaten
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Autor:
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Titel: Er ist todt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 12–13, 19–20
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[12–13] 


Im Trauerhause.
Nach dem hinterlassenen Originalgemälde Eduard Kurzbauer's auf Holz übertragen.

[19] Er ist todt. (Mit Abbildung Seite 12 und 13.) Der Maler unseres Bildes führt uns in ein Trauerhaus. Durch die Thür zur Linken leuchten die Kerzen am Sarge des Todten, und wer von dort heraustritt, hat einen letzten Abschied genommen; zur andern Thür treten die „Leidtragenden“ herein, um die Trauernde zu trösten. Und die Trauernde selbst? Der Künstler hat es dem jungen Weibe in's Gesicht gezeichnet, daß sie ihr Liebstes auf der Welt verloren hat. – Er ist todt, der ihres Lebens Stolz und Stütze war. Weiß es der alte Graukopf, der vor ihr steht, noch immer nicht, hat es ihn keine eigene Erfahrung gelehrt, daß es für solches Wehe kein Trostwort giebt? Wenn auch – die Sitte gebietet ihm, sein Beileid mit Trost zu versüßen, und so sagen denn Alle, Einer um den Andern, die uralten Trostsprüche her, die, so einfach sie lauten, durch den Augenblick, dem sie dienen, auch ihre eigene Weihe empfangen.

Diese Weihe erfüllt den ganzen Raum. Es ist kirchenfeierlich hier. Der Schmerz um den Todten macht das Haus zum Tempel; er behaucht jedes Antlitz, und in jedem prägt er sich anders aus, bei den Greisen, bei den auf der Höhe des Lebens Stehenden und bei dem heranwachsenden Geschlecht; denn Alle sind hier vertreten. Am wenigsten davon berührt sind die Kinder. Und wie nahe im Kreislaufe des Lebens Alter und Kindheit wieder zusammengrenzen, vor uns ist's offenbar – denn: ist den Alten das Herz zu hart geworden für die hinreißende Kraft des Schmerzes, so ist das der Kinder noch nicht dafür geöffnet; ist für jene der Gang durch das Trauerhaus eine Abwechselung im alltäglichen Leben, so erfreuen die glücklichen Kinder auch in der Nähe des Sarges und der Klage sich an Allem, was eben Kinderfreude bietet. Das Kind ist ein starker Feind der Trauer; die junge Frau, welche zur Thür hereintritt als Leidtragende, selbst sie muß die Trauermienen zu freundlichem Lächeln zwingen, weil sie ein Kind begrüßt.

Er muß tief in das menschliche Herz gesehen haben, der Künstler, welcher ein so treues Abbild des Lebens von seiner ernstesten Seite zu schaffen vermochte. Und in der That, es war eine seltene Verbindung von Geist, Herz und Hand bei harmonisch vollendeter Ausbildung derselben in dem einen Manne, und es ist schmerzlich genug, daß leider auch von ihm die Ueberschrift dieses Artikels gilt: Er ist todt!

Eduard Kurzbauer, der Maler unseres Bildes („Vor dem Begräbniß“) hat das vierzigste Lebensjahr nicht erreicht. Am 13. Januar des vorigen Jahres ward er uns durch ein langes, entsetzliches Leiden entrissen. Eine Operation auf Tod und Leben (Absägung des Unter- und Oberkiefers) hatte er noch um anderthalb Jahr überlebt. Wir stehen erschüttert vor jeder jungen, gebrochenen Kraft, wo aber ein Begabter so mühvoll die Staffel erklommen hat, auf welcher sein Glück erst beginnen, Anerkennung und Lohn erst den kaum gebauten Herd festigen und ausschmücken sollten, da ist der Tod eine Grausamkeit, die selbst gegen die Härte der Naturgesetze zu erbittern vermag. Kurzbauer ist ein Wiener, 1840 geboren. Nachdem er die Realschule besucht und sich erst der Lithographie gewidmet, war er 1857 bis 1861 Schüler der Akademie. Ohne festes Ziel und bestimmten Plan, aber deshalb auch ohne Erfolg, versuchte er sich in verschiedenen Richtungen, bis ihm endlich mit seinem Bilde „Die Märchenerzählerin“ ein guter Wurf gelang, der ihm Piloty's Gunst erwarb und 1868 dessen Atelier öffnete. Nach zweijährigen Studien konnte er auf eigenen Füßen stehen, [20] und er bewies dies mit einer seiner gelungensten Schöpfungen „Die ereilten Flüchtlinge“, ein Bild, welches in der Gallerie des k. k. Belvedere Aufnahme fand und durch Sonnenleitner’s Stich in weitesten Kreisen bekannt geworden ist. Der Name E. Kurzbauer’s hatte guten Klang gewonnen, und die Freude am Erfolge machte den Künstler fruchtbar. Eine Reihe Bilder („Der abgewiesene Freier“, „Grundlose Eifersucht“, „Der stürmische Verlobungstag“, „Die Wahlbesprechung“, „Die Weinprobe“, „Die Kartenschlägerin“ etc.) fanden auf den Ausstellungen Beifall und Absatz. Auch sein häusliches Glück wuchs; ein Kinderpärchen schmückte sein bescheidenes Heim. Da kam, 1877, die Krankheit; die schwere Operation in Aussicht, malte er das Bild, das wir heute unseren Lesern vorführen. Ob er damals schon im Geiste seine Gattin als Wittwe vor sich sah? Es gehörte das ganze Gefühl des tiefsten Trennungsschmerzes dazu, um ihn so ergreifend dem Antlitz der Trauernden eingraben zu können. Als Kurzbauer’s letztes großes Werk ist es deshalb vor Allem geeignet, uns die volle Schwere unseres Verlustes würdigen zu lassen. Die unsäglichen Schmerzen vor und nach der Operation hätten jedem Anderen den Pinsel aus der Hand gerissen: Kurzbauer hielt ihn fest; die Sorge um seine Lieben half ihm den körperlichen Schmerz überwinden, um noch das Mögliche für ihre Zukunft schaffen und vollenden zu können. Die Zeichnungen zu Gottfried Keller’s „Romeo und Julie“ entstanden in dieser Zeit, und im Sommer 1878, den er am Starnberger See zubrachte, vollendete er noch mit dem Oelgemälde „Eine Bauerndeputation“ seine letzte Arbeit. Ein klarer Blick für das Charakteristische an Menschen und Situationen, tiefes Verständniß des künstlerisch Verwerthbaren, gesättigte und klare Farbengebung – das sind die Vorzüge, welche der Künstler Kurzbauer für die Offenbarungen seines feinen und bedeutenden Geistes wie seines warmen, liebenswürdig empfindenden Gemüthes zur Verfügung hatte.