Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Weihnachtstag 1
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Am ersten Weihnachtstage.
- 11. Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen, 12. Und züchtiget uns, daß wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen, und die weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt, 13. Und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unsers Heilandes JEsu Christi, 14. Der sich selbst für uns gegeben hat, auf daß er uns erlösete von aller Ungerechtigkeit, und reinigte ihm selbst ein Volk zum Eigentum, das fleißig wäre zu guten Werken.
DIe beiden epistolischen Texte des heutigen und morgenden Tages sind von einander dem Hauptinhalte nach sehr verschieden; aber sie haben auch wieder manche zufällige Aehnlichkeit, in Anbetracht welcher ihre unmittelbare Aufeinanderfolge am ersten und zweiten Weihnachtstage sich leuchtend rechtfertigt. Die Epistel des heutigen Tages ist dem Inhalte nach ebensowol wie die des morgenden ein sehr umfangreiches, großes und heiliges Ganzes. In beiden ist von einem Hauptpunkte aus ein Ueberblick über die gesammte, göttliche Thätigkeit zu unserm Heile, und über alle gnädige Absicht Gottes mit uns armen Sündern gegeben. Beide, so reich und groß ihr Inhalt ist, werden von dem heiligen Apostel zur Begründung einer Reihe vorausgehender, einzelner Vermahnungen gebraucht, und können uns zeigen, welch’ hohe Gründe nach Gottes Willen ein jeder Christ für sein einfaches, standesmäßiges Verhalten in seinem Herzen haben soll: die Gründe sind höher als das Verhalten. Endlich beginnen alle beide mit einem Schlagworte, welches, wenn es auch gar nicht von der Weihnachtsgeschichte gebraucht ist, doch so leicht und lieblich darauf bezogen werden kann, daß man sich, namentlich bei der Stellung der Texte an den beiden Tagen und der Gewöhnung von uralter Zeit her, dieser Beziehung auch gar nicht mehr erwehren kann. „Es ist erschienen die erlösende Gnade Gottes allen Menschen,“ beginnt die heutige Epistel. Und die morgende beginnt: „Da aber erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unsres Heilandes.“ Da man nun schon in der frühesten Zeit und noch ehe das Geburtsfest JEsu nach abendländischer Tradition an seinem rechten Geburtstage, dem 25. Dezember, gefeiert wurde, dies Fest ein Fest der Theophanie, d. i. der Gotteserscheinung, oder der Epiphanie, d. i. schlechtweg der Erscheinung zu nennen pflegte; so ist es ganz leicht erklärlich, daß der doppelte Ausdruck: „Es ist erschienen die erlösende Gnade Gottes allen Menschen,“ und: „es erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unsres Heilandes,“ wie unmittelbar aus der sonnenhellen Nacht, die wir heute feiern, genommen, aufgefaßt wurde. Wie gern sagt sich das hoch erfreute Herz: „Die erlösende Gnade, die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unsres Heilandes, die liegt Mensch geworden in der Krippe, in der Höhle von Bethlehem, und das Licht von dieser kleinen Höhle streckt sich in alle Welt hinein.“ Wie schön und weihnachtsmäßig ist auch diese Auffaßung, und auf wie vollkommen richtigen allgemeinen Gedanken beruht sie allerdings! Wie gar nicht braucht sie daher aus der Seele des Menschen verwischt zu werden! Lies du getrost, mein lieber Bruder, die beiden Episteln, in dem lieben und angenehmen Weihnachtssinn.
Dennoch ist es aber auch eine Pflicht des Auslegers, dich einigermaßen von dieser Auffaßung abzulenken, damit du auf den großen Weihnachtsgedanken| mögest hingelenkt werden, welchen die Kirche bei der Wahl dieses Textes gehabt hat.Schon wenn du liesest: „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen,“ kann dir deine Seele bei stiller und aufmerksamer Betrachtung sagen, daß der Ausdruck „allen Menschen erschienen“ über die Weihnachtsgeschichte hinausgreift. Der erste und größte Prediger der Geburt des HErrn, der Engel über den Feldern von Bethlehem, nennt die heiligste Geburt eine Freude, „die allem Volk wiederfahren wird.“ Allem Volk, sagt er, d. i. dem ganzen Volke, dem ganzen jüdischen Volke, und obwol er von der Freude des einigen Volkes Israel redet, unter welchem der HErr geboren ist, legt er sie doch in die Zukunft. Und wenn nun gar unser Text von einer Gnade redet, die zu des Apostels Zeiten allen Menschen erschienen sein soll, also nicht blos dem Volke Israel, so paßt das wol auf die geistliche Erscheinung, d. i. auf die Predigt, die nach des Apostels mehrfacher Aussage schon zu seinen Zeiten überall hin gedrungen war, nicht aber auf das Licht der kleinen Höhle, in welcher, sich unser angebeteter HErr und Heiland in seiner Geburtsnacht mehr verbarg, als erschien. Und so ist es auch. Wer nur mit einem Blicke die Epistel übersieht, der findet, daß St. Paulus in ihr schon davon redet V. 14, daß sich JEsus Christus für uns „hingegeben habe, daß er uns erlösete.“ Er denkt sich also bereits das ganze irdische Werk JEsu Christi, von der Menschwerdung bis zum Kreuzestode und zur Erlösung, als abgeschloßen, das Knäblein in der Krippe schon vor Gott als das siegreiche Lämmlein, das für uns geschlachtet, ein Löwe Gottes geworden ist, und von welchem die sieben Geister Gottes ihren Schein und ihr Zeugnis allenthalben geben. Er sieht den Schein, der aus der kleinen Höhle drang, der über Zion ausging, bereits die Welt umweben, und die Predigt von dem Siege des Erlösers
Wenn das nicht wäre, weshalb sagte er denn: Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen, und züchtigt uns, oder, im jetzigen Deutsch zu reden, erzieht uns? Sieh den Text an und überzeuge dich, daß von der erziehenden Gnade Gottes die Rede ist, und daß dieses der Hauptinhalt des ganzen Textes ist. Und wenn nicht von einer Erziehung für die Wiederkunft des HErrn die Rede wäre, wozu spräche er denn im 13. Vers, die Gnade erziehe uns, „daß wir warten sollen auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unsers Heilandes JEsu Christi?“ Zu welchem Ende zeigte er dann auch im 14. Vers den Stand der Vollkommenheit, den wir an jenem Tage erreicht haben sollen, indem er uns ein „Volk des Eigentums, das fleißig sei in guten Werken,“ nennt? Es ist wohl nichts gewisser, als daß der Text das Evangelium als die uns für den Tag der Ewigkeit und seine heilige Vollendung erziehende Gnade darstellt, und daß die Kirche, die den Text für heute wählte, diesen Gedanken von einer erziehenden Gnade für sehr paßend und weihnachtsmäßig gefunden haben muß. Ich find’ ihn gleich also. Mag einer sagen, der Gedanke sei nicht so kindlich, wie andere Weihnachtsgedanken: mich irrt das nicht, ich find ihn männlich, herrlich, schön. Er zeigt mir an, was für ein Volk sich alle Jahre am Geburtstag JEsu bei seiner Krippe finden soll, welch Volk seiner würdig ist, nämlich ein Eigentumsvolk, voll Eifer für gute Werke, mächtig fortschreitend von Tag zu Tage durch die erziehende Gnade, die uns erschienen ist. Ja, solch ein Volk soll anbetend beim Gedächtnis der Geburt und der Krippe stehen. Und wenn selbst dieser Weihnachtstext „von der seligen Hoffnung und Erscheinung des großen Gottes und unsers Heilandes Jesu Christi“ spricht; so kann ich auch an Weihnachten die Erinnerung an die Wiederkunft des Menschensohnes nicht bloß vertragen, sondern ich finde, daß die Krippe im Lichte des jüngsten Tages an Lieblichkeit nicht verliert, aber an Majestät gewinnt, während sie mit ihrem lieblichen Troste die Schrecken der letzten Erscheinung lindern und das Auge öffnen kann, zu sehen, daß Der, der kommen wird, kein andrer ist, als der gekommen ist, nemlich Marien Kind, der Friedefürst.
So laßt euch nun den Weihnachtsgedanken des Textes gefallen, und erlaubt mir, euch darzulegen, wie beschaffen das Eigentumsvolk Christi sein soll, zu welchem Er uns erziehen will. Licht aber und Friede des heiligen Geistes suche uns bei| dieser Betrachtung, dem zweiten Teile dieses Vortrags, heim.Wenn der heilige Geist uns züchtigt oder zieht, so geschieht es immer durch die übernatürlichen Kräfte, die dem göttlichen Wort einwohnen. Das göttliche Wort naht unserm Geiste in Gedanken, welche an Form andern menschlichen Gedanken völlig ähnlich sind. Aber diese der Form nach menschlichen Gedanken kommen mit einem Segen und einer Kraft von oben, welche gewöhnlichen menschlichen Gedanken nicht beiwohnt, sondern das alleinige Vorrecht derjenigen Gedanken ist, welche der heilige Geist lehrt. Durch diese gütigen Kräfte der zukünftigen Welt gewinnt das Wort des HErrn seine göttlich-menschliche Eigenschaft und die doppelte Wirkung eines lichten, menschlichen Gedankens und einer wunderbaren Offenbarung aus der Höhe. Diese doppelte Eigenschaft und Kraft hat alles Gottes Wort, ob es lehre, ob es strafe, ob es beßere und ermuntere, oder ob es züchtige und erziehe. Also auch die im Worte erziehende Gnade kommt in dieser doppelten Weise zum Menschen und sucht in ihn einzudringen durch die doppelte Gewalt unüberwindlicher Gründe und mächtiger göttlicher Einflüße, so daß es in der That nicht zu verwundern ist, wenn ein Mensch zu einem Gliede göttlichen Eigentumsvolkes erzogen, sondern nur, wenn er nicht erzogen wird, wenn er widerstrebt, wenn er sich der göttlichen Macht erwehrt. Dies aber ist eben das Wunderliche und zugleich schauderhaft Wahre, daß der Mensch zwar sonst nichts kann, aber doch dem Allmächtigen widerstreben, und daß der Allmächtige alles kann, aber sich auch selbst eine Schranke gesetzt und beschloßen hat, den Menschen zu Seinem ewigen Heile zwar zu mahnen, durch die unwiderstehlichen Gründe zu bewegen, und ihm mit himmlischen Kräften zu nahen, aber ihn nicht zu zwingen. Die Welt geht ihre Bahn kraft göttlicher Notwendigkeit, aber der Funke, der winzig kleine Wille eines Menschen, geht seine eigne Bahn, und kann sie selbst dann gehen, wenn ihn die erziehende Hand des HErrn im Himmel auf andre Bahnen lenken will. Da sei gewarnt vor sich selber ein jeder menschlicher Wille, und wer irgend bereits ein Kind des Geistes ist, der bleibe in des Geistes Pfaden und neige sich vor Ihm, so oft er Seine Stimme vernimmt, daß ja nicht das sanfte Sausen vorübergehe, die Seele ungesegnet und sich selbst überlaßen bleibe. Ein Wort ernster Mahnung, ehe ich euch nun das dreifache Werk der erziehenden Gnade Gottes textgemäß weiter beschreibe.
Dies Werk der erziehenden Gnade ist ein dreifaches, in Anbetracht der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Für die Vergangenheit wirkt die erziehende Gnade eine Verleugnung, in der Gegenwart ein neues heiliges Leben, in Anbetracht der Zukunft eine starke rege Hoffnung. Sie entwöhnt, sie gewöhnt, und bereitet für den Tag der Ewigkeit.
Verleugnung ist ihr erstes Werk. Sie züchtigt uns, daß wir „verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste,“ sagt der Apostel. Ein wunderliches Wort, dies Wort verleugnen, nahezu gleichbedeutend mit jenem euch wolbekannten Worte des Taufbundes, mit dem Worte entsagen. Was ich verleugne, das ist entweder mein, oder es wird mir doch zugeschrieben, ich aber will es nicht für mein erkennen. Wem ich entsage, dem könnte ich mich auch ergeben, aber ich ergebe mich nicht, ich kündige Gehorsam und Verbindung auf. Petrus verleugnet JEsum, der doch sein HErr und Meister ist, – und wir entsagen dem Teufel, seinen Werken und Wesen, weil wir seinem Reich entnommen und versetzt werden wollen ins Reich des lieben Sohnes. Ebenso soll auch eine Verleugnung in Kraft der erziehenden Gnade Gottes erfolgen. Was wir vor und außer Christo haben, was uns besitzt und hat, regiert und beherrscht, dem soll von Herzensgrund der Abschied gegeben werden, die Seele soll sich davon frei und los machen.
Was ist aber das? Gottlosigkeit oder das ungöttliche Wesen, wie Luther übersetzt und weltliche Lüste. Unter ungöttlichem Wesen oder Gottlosigkeit ist nichts anderes verstanden, als der Abfall von Gott, die Abgötterei und Zauberei, also eben das, was im Taufbund mit dem Ausdruck „Werke des Teufels“ bezeichnet ist. Ebenso liegt in dem Ausdruck „weltliche Lüste“ nicht etwa eine Einteilung der Lüste verborgen, so daß jemand weltliche Lüste und auch andre haben könnte. Jene Lust, von der geschrieben steht: „des Herzens Lust stehet zu deinem Namen,“ ist kaum dem allgemeinen Begriff nach mit den Lüsten zusammen zu reimen, von denen hier die Rede ist. Die Mehrzahl des Wortes Lust, die| Lüste haben in der heiligen Schrift immer eine schlimme Bedeutung, selbst wenn das Beiwort weltlich nicht dabei steht. Weltliche Lüste aber sind die Lüste, wie sie die Welt von Anbeginn gehabt hat gegenüber der Freude am HErrn, welche Patriarchen und Propheten hatten. Gemeint ist im Grunde nichts anderes, als was im Taufbund „Pomp“, Wesen oder vielmehr Unwesen des Teufels heißt. Die elende Welt hat anstatt der Andacht zu Gott Dämonendienst und Abgötterei, und an der Stelle der reinen Freuden des Paradieses den Sinnenrausch der Lüste, Augenlust, Fleischeslust, hoffärtiges Leben, die Lust der Rache, die Lust der Herrschsucht, der Unterdrückungssucht, der Habsucht, und wie alle die rauschigen Mütter der verschiedenen Lüste dieser gottentfremdeten und gottfeindlichen Welt heißen. Was ist die Geschichte der heidnischen Völker vor Christo, was treibt die Nationen? Man braucht ihnen nichts abzuleugnen, was sie haben, keinen Ueberrest der edlen Abkunft, die sie alle haben; man kann auch alles anerkennen, was sie in Kraft natürlicher Gabe und ihres Gewißens gethan. Im Ganzen aber ist die Geschichte der Heiden nichts anderes, als ein mannigfaltig gestalteter Beweis ihres gottlosen Wesens und der Lüste, die sie trieben. Diese beiden großen Factoren aller heidnischen Verderbnis sind wie die Teufel, die, wenn sie vom Menschen ausgetrieben sind, nicht ferne von ihm weggehen, immer wieder kommen und den Einlaß in ihr altes Haus begehren. Sie sind nicht ferne von einem jeglichen Menschenkind, machen sich immer wieder geltend, und wer nicht Acht gibt und sie nicht immer aufs Neue verleugnet, abweist und ihnen entsagt, der kann immer aufs Neue wieder von ihren Stricken umgarnt und mit ihren Greueln beschmutzt werden, wie denn auch wirklich die große Mehrzahl derer, die sich Christen nennen, am Ende wieder dahinfallen wird in die grauenvolle Abgötterei, Zauberei und in alle Lüste des antichristischen Reiches. Daher muß auch das Eigentumsvolk des HErrn, das da heißt ein Eiferer in guten Werken, bis an’s Ende der Tage in der Verleugnung bleiben, und jede Seele, die nicht verloren gehen soll, zu einer immerwährenden Verleugnung des alten heidnischen Wesens erzogen werden. Wer nicht verleugnet, der wird nicht bekennen, und wer um die Krippe oder auf Golgatha, oder am Tage, da kommen wird, des wir warten, in rechtem Bekenntnis stehen will, der vergeße nicht, daß zum Bekenntnis Christi die Verleugnung alles“ vor-, und außer-christlichen Wesens gehört, zum hellen Ja das grimme Nein, und zur Freude am HErrn HErrn ein gewaltiger Haß des Bösen. Je älter du wirst an Jahren, desto jünger und kräftiger sollst du werden in Haß und Liebe, und wenn du in der Hand der erziehenden Gnade etwas Rechtes geworden sein wirst, so wird von dir eine doppelte Flamme ausgehen, immer brennendere Verleugnung des Bösen niederwärts, aufwärts aber, zum Dreieinigen und seinem Christus die Flamme der treuen Andacht, die in alle Ewigkeit lodern soll.Hier schließt sich nun das Wort St. Pauli von der Erziehung für die Zukunft an, und zwar auf das allerengste, wie man sich schon aus den sprachlichen Formen des Grundtextes überzeugen kann. Denn es heißt, „die Gnade zieht uns, auf daß wir gottselig leben in der gegenwärtigen Welt, in Erwartung der seligen Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unsres Heilandes JEsu Christi.“ Es wird also auf das engste verbunden gottseliges Leben und Erwartung der seligen Hoffnung, wie wenn eins ohne das andere nicht sein könnte, wie wenn man nicht gottselig leben könnte, ohne eine brünstige Sehnsucht und ein Verlangen nach der seligen Hoffnung der Kirche zu bekommen. Das ist ja auch in der That so. Der Christ weiß, was sein Gott vorhat für das Ende dieser Weltperiode, es ist ihm offenbart und an das Ziel der Zeit wie ein winkender Kampfpreis, wie ein heiliges Kleinod gestellt; was aber sein Gott ihm offenbart und darreicht, das muß in ihm ein Hoffen, ein Sehnen und Verlangen, ein Streben und Ergreifen wirken. Und das alles liegt auch in dem Worte St. Pauli, das Luther mit dem Worte „Warten“ übersetzt hat. Da ist keine Rede von einem faulen, trägen Zuwarten, bei welchem einem die Zeit nicht zu lang wird, wobei man sich auch mit andern Dingen zerstreuen kann. Das Warten, zu welchem wir erzogen werden, entspricht dem Gegenstand, auf den man wartet, wie es ja auch beim Warten auf andere Dinge der Fall zu sein pflegt. Je Größeres man erwartet, desto reger und mächtiger ist die Erwartung selber. Nun läßt sich der Gegenstand unsrer Erwartung gar nicht herrlicher und schöner beschreiben, als mit den apostolischen Worten: „selige Hoffnung und Erscheinung unsres großen Gottes und Heilandes JEsu Christi.“ Bei dieser Darstellung denkt man an keine Feinde, keinen Antichristus, kein Blutvergießen, keine Hölle, auch an keine Veränderungen des Himmels und der Erde, keinen Weltbrand und Weltuntergang. Sie erweckt keine Schrecken, kein Entsetzen, sie verbindet mit der Hoffnung das Beiwort „selig“ und nennt den erscheinenden Gott JEsus Christus auch unsern Heiland. Sie läßt also durch alles, was man fürchten kann, die Frühlingsdüfte des ewigen Lebens und mitten in den furchtbaren Erweisungen der Allmacht JEsu Christi zugleich auch die durchbohrte, gnadenreiche Hand des guten Hirten schauen, der nun seine Schafe zu den frischen Waßern und grünen Auen einer ewigen Erquickung führt und sammelt. Selige Hoffnung, Erscheinung unsres großen Gottes und Heilandes, wie thust du so wohl dem müden, thränenreichen Geschlecht der Streiter und Pilger nach dem ewigen Zion, wie kannst du die Geduld stärken, die Jammerthränen trocknen, alles Leid in Sehnsucht, Verlangen und Streben verwandeln und uns so ergreifen und anziehen, daß wir auffahren wie die Adler, daß wir laufen und nicht müde werden, bis wir haben, was wir hoffen. Es geht oft so schwer, meine Lieben, mit dem Verleugnen und dem neuen Leben; es sollte nicht schwer gehen, aber es geht doch oft so schwer; die Hände werden laß, die Kniee straucheln, der Geist ermüdet. Wir sänken hin wie ein Blümlein von der Hitze, aber was hilft, was rettet, was stärkt uns? Es ist die Hoffnung der großen Herrlichkeit des Endes dieser Zeit und des Anfangs der ewigen Tage. Und diese herzstärkende Kraft der Hoffnung, dieser Mut, diese Freudigkeit werden um so größer, je mehr wir die Hoffnung selber kennen lernen, je mehr sich unser Herz an sie gewöhnt, und für sie erzogen wird. Es liegt daher so sehr viel an dieser Gewöhnung und Erziehung.
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Das sei auch euer Leben. Die Mühe, welche der HErr, euer Gott, durch Wort und Sakrament an euch wendet, sei reich gesegnet für euer Herz. Jede Feier von der Weihnachts- bis zur Pfingstfeier bring euch eine Stufe weiter, fördere euch von einer Klarheit zu der andern. Und wenn die Welt die Blüten wird abschütteln und leer werden der Baum des irdischen Lebens, wie ein öder abgeleerter Weihnachtsbaum, der HErr aber selbst den Seinen ein Baum des ewigen Lebens sein und ihnen die Früchte des Paradieses wird zu eßen geben, dann fehle von uns Keiner, sondern Er selber helfe uns, daß wir fertig mit dieser Welt, züchtig, gerecht und gottselig der seligen Hoffnung, dem großen Gott und Heiland entgegenlaufen mit ausgestreckten Armen und brünstigem Verlangen. Amen.
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