Zum Inhalt springen

Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis 26

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Trinitatis 25 Wilhelm Löhe
Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
Register der Sommerpostille
Trinitatis 27 »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|

Am sechsundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.

2. Thess. 1, 3–10.
3. Wir sollen Gott danken allezeit um euch, lieben Brüder, wie es billig ist. Denn euer Glaube wächset sehr, und die Liebe eines jeglichen unter euch allen nimmt zu gegen einander; 4. Also, daß wir uns euer rühmen unter den Gemeinen Gottes, von eurer Geduld und Glauben, in allen euren Verfolgungen und Trübsalen, die ihr duldet; 5. Welches anzeiget, daß Gott recht richten wird, und ihr würdig werdet zum Reich Gottes, über welchem ihr auch leidet; 6. Nachdem es recht ist bei Gott, zu vergelten Trübsal denen, die euch Trübsal anlegen. 7. Euch aber, die ihr Trübsal leidet, Ruhe mit uns, wenn nun der HErr JEsus wird offenbaret werden vom Himmel, sammt den Engeln Seiner Kraft, 8. Und mit Feuerflammen, Rache zu geben über die, so Gott nicht erkennen, und über die, so nicht gehorsam sind dem Evangelio unsers HErrn JEsu Christi; 9. Welche werden Pein leiden, das ewige Verderben von dem Angesichte des HErrn, und von Seiner herrlichen Macht; 10. Wenn Er kommen wird, daß Er herrlich erscheine mit Seinen Heiligen, und wunderbar mit allen Gläubigen. Denn unser Zeugnis an euch von demselbigen Tage habt ihr geglaubet.

 DEr heutige epistolische Text, genommen aus dem Anfang des zweiten Briefes an die Thessalonicher, hat seinen Schwerpunkt in seinem zweiten Theile, welcher ganz nach dem Gedankengange, den die Kirche am Ende ihres Jahres einhält, von der Wiederkunft Christi handelt. Der erste Theil des Textes, wenn auch der sprachlichen Fügung nach Hauptsache, tritt doch zurück und läßt die Palme dem zweiten. Dieser erste Theil eröffnet nämlich den ganzen Brief und enthält den Dank des Apostels für den geistlichen Zustand der Gemeinde von Thessalonich und für die Erhörung, welche sein im ersten Briefe 3, 12. ausgesprochenes Gebet um ein reiches, überströmendes Maß der Liebe gefunden hatte. Wir, die wir die Gewohnheit haben, die Summe unsrer epistolischen Texte und alle hauptsächlichen Gedanken derselben vor unserem betrachtenden Auge vorübergehen zu laßen, wollen, obwohl durch die Jahreszeit auf das Ende der| heutigen Epistel gespannt, doch auch den ersten Theil derselben nicht völlig übersehen, in ihm die Gegenwart der thessalonichischen Gemeinde, freilich eine nunmehr längst vergangene Gegenwart, und dann erst jene Zukunft betrachten, von der am Schluße des Textes die Rede ist, und die für uns, wie damals für die Thessalonicher, noch ganz in gleicher Weise ein Ziel der Hoffnung und Erwartung ist.

 Der erste Theil unsers Textes dankt also, wie auch die Eingänge anderer paulinischen Briefe. Die Ursache des Dankes aber wird als eine dreifache angegeben: Glaube, Liebe und Geduld, so heißt die dreifache Ursache des Dankes. – Der zweite Brief an die Thessalonicher ist bald nach dem ersten geschrieben. Schon im ersten dankte der Apostel für die dreifache Gabe, die wir nannten; im zweiten spricht er sich in gleichem Sinne dankbar aus, nur daß sein Dank ein erhöhter ist. Die Thessalonicher hatten in der kurzen Zwischenzeit von der hohen Gabe ein viel reicheres Maß empfangen. „Euer Glaube wächst sehr, die Liebe eines jeglichen unter euch allen nimmt zu gegen einander“, ruft St. Paulus. „Wir rühmen uns euer unter den Gemeinen Gottes von eurer Geduld und Glauben.“ In so hohem Tone darf St. Paulus von den Thessalonichern reden. Da es nun also ist, dürfen wir uns auch nicht verwundern, wenn er den Ausdruck braucht: „Wir sollen (oder müßen) Gott danken allezeit um euch, lieben Brüder, wie es billig ist.“ Das Zunehmen aller geistlichen Gaben und Tugenden in der Gemeinde von Thessalonich ist so außerordentlich, daß der Dank zur Pflicht wird, daß es nicht anders, als recht und billig ist, für sie zu danken. Da heißt es eben auch, wie die Kirche in ihren Präfationen singt: „Wahrhaft würdig und recht, billig und heilsam ist es, daß wir Dir HErr, heiliger, allmächtiger Vater überall und allezeit danken.“

 Bei diesem alles Dankes werthen Zustande der Thessalonicher ist Eines hervorstechend, nämlich daß die Thessalonicher besonders wegen ihrer „Geduld in allen Verfolgungen und Trübsalen“ gerühmt werden, besonders dadurch zu Lob und Dank des Apostels Anlaß geben. Die Thessalonicher wuchsen an allen Tugenden unter großen Hindernissen, trugen Christo das Kreuz nach, litten hinter Ihm, dem Herzog der heiligen Bekenner, her, wurden Sein und Seines Kreuzweges nicht müde. Ihre Geduld und ihr Glaube streckten sich einem ernsten, männlichen Wesen entgegen und erstarkten in dem Maße, in welchem ihnen eine gestrenge Uebung nach der andern auferlegt und zugemuthet wurde. Wenn die Leidenshitze vom Himmel fällt, verdorrt manches Kraut, weil es nicht Saft hat, nicht tiefe Wurzeln schlagen konnte; aber die Thessalonicher waren glücklicher gepflanzt, an Waßerbächen, und je brennender die Hitze herunter fiel, desto tiefer griffen sie nach dem Zufluße des guten Landes, in dem sie standen, und zogen aus den offenen Brunnen der Wunden JEsu neue Kraft. Allerdings eine seltene Treue, ein seltener Glaube, eine seltene Geduld, – ein seltenes Beispiel, welches gerade in den Thessalonichern uns vorleuchtet, die wir bei wenigen und kleinen Leiden dennoch oftmals so ungeduldig werden und ein Leben für bedauernswerth und unglücklich zu halten pflegen, welches mit Kreuz und Leiden gesegnet ist.

 In den ersten Tagen des Evangeliums trat das Heidentum zu demselben wenig in Gegensatz, ja auch das Judentum wenig. Der Heide war geneigt, alle Religionen gelten zu laßen, was sie konnten und wurde ein Gegner der christlichen Religion erst dann, als er ihren Anspruch, die allein wahre zu sein, an die Stelle aller zu treten, erkannte. Diese Erkenntnis aber kam den Heiden in der apostolischen Zeit, wie es scheint, seltener; späterhin drängte sie sich ihnen immer mehr auf und wirkte dann die sogenannten zehen großen Verfolgungen der römischen Kaiser. Auch die Juden waren geneigt, das Christentum als eine jüdische Richtung gelten zu laßen. So lange der Tempel stand und auch die Christen sich zum Tempel hielten, konnte es ja kommen, daß Jakobus, der Gerechte, der vom Altertum hochgefeierte erste Bischof von Jerusalem, ein Verwandter JEsu, auch bei den Juden hohe Anerkennung fand. Aber die paulinische Richtung, die – schon in den Tagen des Erzmärtyrers Stephanus, des eigentlichen Vorläufers Pauli, deßen Geist und Erbe auf Paulum übergieng – den Fall und das Ende des jüdischen Tempels und alles Judentums weißagte, die dem Gesetze keinen Theil an dem ewigen Heile des Menschen laßen wollte; allein aus Gnaden, allein durch JEsum, allein durch Glauben selig werden lehrte, –| diese Richtung rief den Widerstand der Juden hervor und ward in Stephano und seit Stephano die Erzmärtyrin und blutende Zeugin des wahren Christentums. Diese Richtung kam denn auch, wie wir Apostelgeschichte 17. lesen können, in und mit Paulo nach Thessalonich. Schnell entwickelte sich da der Gegensatz der Juden, je entschiedener die dort sich bildende Gemeinde auf die Seite Pauli trat; die Juden von Thessalonich wurden eifrige Feinde Pauli; sie waren nicht zufrieden, in dieser Stadt zu widerstehen, sie giengen weiter, folgten Paulo auf dem Fuße, suchten in Beröa hinderlich zu werden, – und wurden auch später ohne Zweifel die Ursächer aller der Leiden, welche immer aufs neue über die edle Gemeinde von Thessalonich selbst kamen. Die Gemeinde bestand aus Juden, aus Griechen, und unter den letzteren befanden sich auch viele vornehmere Frauen. Ueberlegt man diese Zusammensetzung der Gemeinde, so kann man nicht anders als vermuthen, es möchte bei dem Einen Glauben und der großen gegenseitigen Liebe eine überaus schöne Mannigfaltigkeit der Beziehungen sich ergeben haben, und wer da wollte, der könnte nach Weise unserer Tage durch Auffaßung und Ausmalung der irdischen Lebensbeziehungen, wie sie in Thessalonich waren, ein Lebensbild christlichen Gemeindewesens entwerfen, das alle Christen anziehen müßte. Wir würden es hiebei freilich niemals dahin bringen, so lebendige Farben für das Bild zu finden, wie das Bild hatte, welches St. Paulo in seiner Gemeinde von Thessalonich durch die genaue Kenntnis, die er besaß, vor Augen stand. Doch aber könnten wir auf diesem Wege ein Wort faßen lernen, das der Grundtext enthält, welches sehr stark und kräftig von dem Glauben und der Geduld der Thessalonicher Zeugnis gibt, im deutschen aber nicht leicht übersetzt werden kann und in der lutherischen Uebersetzung auch wirklich ziemlich verwischt ist. Nachdem nämlich der Apostel Vers 4. Geduld und Glauben der Thessalonicher in ihren schweren Leiden gepriesen hat, nennt er im Anfang des 5. Verses diese Geduld „einen Beweis, oder ein Voranzeichen des kommenden gerechten Gerichtes Gottes.“ Luther faßte den Sinn in die Worte: „welches – nämlich das geduldige Verhalten der treuen Gemeinde – anzeigt, daß Gott recht richten wird.“ So unverantwortlich war also die Begegnung der Juden, so abscheulich ihre Bosheit gegen die Christen, so glänzend aber dagegen das Verhalten der gläubigen und geduldigen Thessalonicher, daß man darin einen Beweis finden konnte, daß Gott rächen und richten müße. So etwas, wie das Auftreten der thessalonichischen Feinde Christi konnte nach Pauli Meinung nicht ungestraft bleiben; nach seinem Urtheil lag darin eine himmelschreiende, mächtige Herausforderung der göttlichen Gerechtigkeit. Daraus ergibt sich ein apostolischer Grundsatz für ähnliche Fälle, der nämlich, daß kein Frommer um seiner Frömmigkeit willen leidet, ohne daß Gottes Auge wacht und Sein Griffel die Thatsache ins Schuldregister der Welt einzeichnet. Große Leiden der Heiligen deuten dem Apostel geradezu auf nahende große Gerichte Gottes und sollen von denen, die da leiden, als Beweise und Voranzeichen derselben gefaßt werden.  Wir stehen hier auf der Schwelle des ersten und zweiten Theiles unsers Textes. Laßet uns auf dieser Schwelle ein wenig stehen bleiben, sie und ihre herrliche Uebergangspforte beschauen. Leiden, um JEsu Christi und Seiner Wahrheit willen geduldig ertragen, sind also der Beweis, das sichere Voranzeichen vorhandener göttlicher Gerichte. Dieser Gedanke ist die Schwelle der beiden Theile unsers Textes. Der allgemeine Gedanke ist aber V. 5–7., ja, wenn man will, vom 5. Verse an in der ganzen noch übrigen Epistel ausgeführt. – Wir sind alle Sünder, vor unserer Bekehrung, nach unserer Bekehrung. Kommen Leiden über uns, welche ganz offenbar als Leiden um Christi willen aufgefaßt werden müßen, weil sie um Christi willen von der Welt uns auferlegt werden: so finden wir uns selten von ihnen so bewegt, wie dort die Apostel, welche fröhlich waren, um Christi willen Schmach zu leiden; meistens spürt der Christ, wenn er auch um Christi willen leidet, eine Heimsuchung der göttlichen Gerechtigkeit, eine Strafe für seine Sünde. Vertieft er sich nun nicht allein in diesen Gedanken, läßt er auch dem andern, daß er um Christi willen leide, – seine Leiden also Ehre und ein Grund der Freude sind, – sein Recht; so kann er nicht gescholten werden, denn auch das Gefühl der Bestrafung ist richtig. Es liegt das in einer Stelle St. Petri (1. Petr. 4, 17 ff.) ausdrücklich ausgesprochen. Wir lesen dort: „Die Zeit ist da, daß anfange das Gericht an dem Hause| Gottes. So aber zuerst an uns, was will es für ein Ende werden mit denen, die dem Evangelio Gottes nicht glauben?“ Also es ist ein allgemeines Gericht Gottes vorhanden. Den Anfang davon macht aber der HErr mit Seinen Liebsten, Seinem Hause, Seinen Kindern. Sind diese gestraft, so geht er zu den Feinden über. Die Kinder straft er in der Zeit der streitenden Kirche, für sie heißt es: „die Zeit ist da, daß wir gestraft werden“. Da beugt man sich dann selbst unter die Leiden, die man um Christi willen leidet, mit der doppelten Ueberzeugung, daß die Leiden Christo und uns Ehre sind und daß wir zugleich eine gestrenge Ahndung unserer Sünden empfangen. Diese doppelte Ueberzeugung soll und muß sogar vorhanden sein, keine allein gibt unsrer Seele die rechte Verfaßung: gehoben durch die Ehre, für Christum und Sein Wort zu leiden, gedemüthigt durch die Ueberzeugung, daß eine ernste Ahndung unsrer Sünde dem Leiden beigemischt ist, – gehoben und gedemüthigt, groß und klein zugleich, gehen wir dahin, und unser Herz wird gerade so am meisten vorbereitet für die Auffaßung der hohen Lehre, daß sich alles herrlich wenden und unser Gericht hinausgehen werde zum Siege. Das Gericht über uns wird endlich ein Sieg für uns werden, denn die Ahndung unsrer Sünde ist zeitlich und nimmt ein Ende, wir werden gereinigt aus ihr hervorgehen; die Feinde Christi aber werden unterliegen und gestraft werden. Dieser Doppelgedanke unsers Sieges und des Unterliegens unsrer Feinde liegt nun auf der von mir sogenannten Schwelle zwischen Anfang und Ende unserer Epistel. Ihr leidet, sagt St. Paulus, das ist ein Anzeichen, ein Vorzeichen, „daß Gott recht richten wird, – und ihr würdig werdet zum Reiche Gottes, über welchem ihr euch leidet, – nachdem es recht ist bei Gott, zu vergelten Trübsal denen, die euch Trübsal anlegen, euch aber, die ihr Trübsal leidet, Ruhe mit uns, wenn nun der HErr JEsus wird geoffenbart werden vom Himmel.“ – Große Lehre von der Gerechtigkeit des HErrn! Es ist dem Christen so leicht, von der Gerechtigkeit Gottes abzusehen und ihre Verherrlichung nicht zu begehren, weil er ja rein aus Gnaden und Barmherzigkeit lebt. So barmherzig ist Gott gegen uns, daß die Gerechtigkeit in unsern Augen zurücktritt. Und doch ist dieses Zurücktreten der Gerechtigkeit, dies alleinige Bedenken und Betrachten der Gnade ein Zeichen unvollkommener Auffaßung der Wege Gottes. Von dem Kreuze auf Golgatha bis zu den Feuerzeichen des jüngsten Tages ist das Christentum und seine Geschichte eine Vereinigung der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Scheinen sich beide zu widersprechen, wißen wir sie nicht zu vereinigen: Gott wußte und weiß es, und Sein großes Lob im Leben und in der Geschichte der Welt wie der Kirche heißt: „Gerecht und barmherzig ist der HErr“. Darum schreien auch die Seelen der heiligen Märtyrer unter dem Altare um Gerechtigkeit und Rache, als um die Vollendung der Geschichte, und wer unter uns irgend nach Vollkommenheit trachtet, muß lernen, sich in Barmherzigkeit hüllen und um Gerechtigkeit beten. Bei solchem Sinne versteht man dann auch Texte, wie den heutigen, welcher den Thessalonichern wie zum Trost in ihren Leiden die schrecklichen Gerichte Gottes über die Welt verheißt. Der schwächliche Christ weiß nicht, wie er das vereinigen soll, was St. Paulus zusammenfüget: Qual der Verdammten, ewiges Verderben – und Ruhe, Erquickung der Heiligen. Lazarus gegenüber der offenen Hölle scheint gar keine Ruhe haben und finden zu können. Seine gerechte Ruhe und die gerechte Strafe des Reichen scheinen sich zu widersprechen, die Ruhe gestört zu werden durch die Aussicht auf fremde Qual. Das scheint aber nur, – es scheint nur dem schwächlichen Sinn und Gefühl jetziger Christen so. Da Gott gerecht ist, gerecht im Gnadenlohne (so barmherzig Er dabei ist), gerecht in der Strafe; so faßen Apostel beiderlei Gerechtigkeit – und wer ihnen nachwandelt, der sehnt sich wenigstens, den Gegensatz des Gerichts und der Barmherzigkeit, des Lohnes und der Strafe zu ertragen, und mit den heiligen Märtyrern unter dem Altare um Rache beten zu können, während doch Liebe und Friede und Erquickung die Tiefe des Geistes bewegt. – Laßet uns nun die Schwelle der Gerechtigkeit verlaßen und zum Schluß noch die Wiederkunft Christi und ihren furchtbaren Ernst betrachten, wie er im Texte vorliegt. Der HErr und Sein Geist verleihe uns, auf diese Weise würdig des Kirchenjahres Ende mit dem Gedächtnis des Endes der Zeit zu begehen.
.
 Es ist eine majestätische Erscheinung, welche| uns am Ende unsers Textes entgegentritt. So wie manchmal, wenn Wetter Gottes gehen, sich der Donner prachtvoll rollend wie in einem Hintergrunde verliert, so ist es, wie wenn umgekehrt, in wachsender Kraft und Macht aus der Ferne der Zukunft ein voraneilender Donner Deßen, der kommen wird, unser Ohr erreichte und uns vorbereiten wollte auf das Ereignis ohne Gleichen, auf das Ende. Das Jahr geht zu Ende. Die Erquickung der frommen Kämpfer, die Rache des HErrn über die, welche dem Evangelio nicht gehorchen, ist, wie zur Wahl, aber auch zur ernsten Mahnung recht zu wählen, vor unser Auge getreten, – und ein Dank apostolischer Lippen für allen Glauben, alle Liebe, alle Geduld der Heiligen bis an’s Ende ertönt wie zum Jahres-, ja zum Weltlaufs-Abschluß. Aller Lohn und alle Strafe des HErrn geht vor Ihm her – unter dem Danke der Apostel, – und dann kommt ER Selbst, hehr und heilig, groß und mächtig. „Sehet gen Aufgang“, rief in der alten griechischen Kirche der Diaconus vor dem Sacramente, ehe der HErr kam, Seine sacramentliche Gegenwart zu erzeigen. Bei einem Texte aber, wie unser heutiger, muß man gleichfalls rufen: „Sehet gen Aufgang“, denn es erscheint im Worte, – wer weiß, wie bald in Wirklichkeit, – die Offenbarung JEsu Christi. Dann werden Ihn schauen, die in Ihn gestochen haben, und sie werden Ihn klagen, wie ein einiges Kind.

 Woher wird kommen die Offenbarung unsers HErrn? „Vom Himmel her,“ antwortet der Text. Wohin der Edle über Land gegangen, daher kommt Er. Von der Erde gieng Er, zur Erde kommt Er wieder. Die Erde verließ Er, um für sie den Himmel zu erobern; zur Erde kommt Er, auf daß Er sie für den Himmel einnehme, und sie wie einst zur Perle des Himmels, zum Wohnsitz Seiner ewigen Majestät mache. Es ist eine Heimfahrt JEsu, wenn Er kommen wird; Er will die Erde, die eine Weile um der Sünde willen Seiner Füße Schemel war, wieder zu Seinem Haus und Stuhle machen. Muß Er auch Seines Vaters Haus, wie einst den Tempel, furchtbar reinigen: Er wird Sich helfen und dann bei den Seinen wohnen. Zum Himmel schauen wir bis zur verheißenen Zeit des Endes; dann aber werden wir mit JEsu die Erde lieben und uns mit dem ganzen Himmel zur Liebe der Erde bekehren.

 Kommt Er allein, wenn Er kommen wird oder in Begleitung? Und wenn, – wer kommt mit Ihm? „Er kommt mit den Engeln Seiner Kraft.“ Seine Engel bekommen zu thun, wenn Er kommt. Sie heißen und sind nicht umsonst Engel Seiner Kraft. Da ergeht die Stimme Michaels, des Erzengels, da hört man den Ton der Posaune, wunderbar tönt es, – und der Streit, die Schlacht, welche geschlagen wird, ist, ha! wie gewaltig. Es ist hier nicht von bildlichen Redensarten zu schwatzen; nein, das alles wird mit unwiderstehlicher Wirklichkeit hereinbrechen in die Welt. Wie wird sie beben, wenn die königlichen Heere kommen und ihr Getöne die Lüfte füllt!

 Und wenn um den HErrn her und von Ihm und Seinem Auge weithin Feuerflammen wehen, (denn Er kommt, wie wir Vers 8 lesen, in flammendem Feuer, im Feuer der Flamme, in feurigen Flammen): wer wird Seinem Feuer, Seinen Flammen widerstehen? Wer wird den Feuerflammen Seines Auges widerstehen können? Wer wird sich nicht schon bei Seinem Nahen überwunden fühlen? Was wird dann der Allmächtige für einen Aufenthalt finden? Er wird mehr richten, als siegen, Sein Sieg wird Gericht sein. Vor Ihm welkt die Welt selbst, wie ihr Muth, – vor Ihm, Seinen Engeln, Seinem Feuer fällt hin die Macht des Teufels und seiner Engel, wie im Garten die Häscher. Zumal wenn nun ausgeht Sein Wort und vernommen wird Sein Gericht, und kund wird von Seinen Lippen die Rechtfertigung Seiner Wege und die Offenbarung aller Bosheit des widerwärtigen Reiches.

 Was aber wird sein das Gericht Seines Mundes? Daß „Rache komme über die, welche Gott nicht kennen, und dem Evangelio unsers HErrn JEsu Christi nicht gehorchen,“ Rache im Feuer, das um Ihn her ist, und welches Seine Feinde ergreifen wird. Dies Feuer wird nicht verlöschen und in ihm werden brennen, aber nie ersterben, die von ihm erfaßt werden. Denn die Strafe, welche über die Gottlosen kommen wird, wird „ewiges Verderben sein, fern vom Angesichte des HErrn und von der Herrlichkeit Seiner Macht.“ Ferne sein vom Angesichte Gottes, was ist| schon das für eine Strafe, – Seine Herrlichkeit nicht schauen dürfen, ihrem Glanze entrückt sein, was für ein Jammer, – und nun bei einer solchen Entbehrung, der Entziehung eines ewigen Glückes noch eine besondere Strafe, ewiges Verderben, empfinden müßen, – untergehen müßen und doch nicht sterben können, sondern im Schmerze des Untergangs verbleiben müßen: ach, wer kann das beschreiben, was für ein Unglück wird damit bezeichnet! Es hat kein Auge gesehen, es ist in keines Menschen Herz gekommen, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben: – und gewis, was ER denen bereitet hat, die ER von Seinem Angesichte und dem Lichte Seiner Herrlichkeit verstößt, das ist auch in kein Herz, in keinen menschlichen Gedanken gekommen; das ist uns allen verborgen. Wenn gleich unser Herz durch die Sünde für Leid und Schmerz empfänglich und empfindlich ist weit mehr als für Lust und Glück, so kann man vielleicht doch sagen, daß wir für die ewige Freude noch mehr Vorgefühl und Ahnung haben, als für die Höllenqual. Also nicht verstandenes, ungeahntes Wehe und Leid wird kommen über die, welche Gott nicht kennen und Seinem Evangelium sich nicht ergaben. Das wird der eine Theil des göttlichen Gerichtes sein.

 Und der andere Theil? Prachtvoll liegt es zu Tage in den letzten Worten unsers Textes: „ER kommt, verherrlicht zu werden in Seinen Heiligen und bewundert zu werden in allen Seinen Gläubigen an jenem Tage.“ Wenn also der Teufel und die Welt in ewiges Verderben gehen und der HErr an ihnen verherrlicht wird; so wird Er in Seinen Gläubigen verherrlicht und in ihnen und allen Gläubigen bewundert. Ich kann bei einer solchen Verherrlichung und Bewunderung nicht an eine unsichtbare Verherrlichung und Bewunderung denken; es muß eine Herrlichkeit sein, die in den Heiligen Wohnung nimmt, und nach außen erkannt wird, – und eine Bewunderung, welche in und unter den Gläubigen aufgerichtet wird, aber um sich greift, Engel und Teufel, Himmel und Hölle ergreift. Ich kann es nicht auslegen, wie das sein wird, wie der HErr am Ende Seine armen Heiligen und Gläubigen vollenden wird; ich kann davon nicht zeugen noch reden, wie ich von dem ewigen Verderben kein Zeuge sein kann. Die Ewigkeit wird die Zeugen stellen; die es erfahren, werden es wißen; wir aber, die wir das alles im Worte wie im Räthsel und dunkeln Spiegel sehen, die wir es nur aus der Weißagung und Drohung erkennen, wir stehen vor den lichten, wie vor den dunkeln Pforten der Ewigkeit bedenklich und schauernd: denn wir sind es, für welche dies alles kommt, und für welche das Eine kommen kann, aber auch das Andere.

 Was für eine Aussicht auf die Zukunft bietet uns der Text! Selige Thessalonicher, denen Erquickung und Ruhe, Verherrlichung und Bewunderung des HErrn geweißagt ist! O unglückselige, o bedauernswerthe Menschen, denen Strafe und ewiges Verderben fern von dem Angesichte des HErrn gedroht ist! Glücklich aber wir, wenn uns noch Zeit und Frist gegönnt, Kraft, Trieb und Gedeihen geschenkt wird, zu vermeiden der Feinde Loos und zu finden das Loos der seligen Thessalonicher, unter denen „Pauli Zeugnis Glauben fand“.

 Wenn ich nach aller der menschlichen Wiederholung der Worte Pauli von der Zukunft Christi, nach all meinem bewundernden Hinken neben dem göttlichen Zeugnis her, am Ende meinen Finger bedeutsam auf eine Stelle des Textes legen und sie wiederholen darf und soll, meine Brüder; so erwähle ich mir die Worte des 8. Verses, die ich absichtlich bisher nicht betonte: „ER kommt im Flammenfeuer, das da Rache üben wird an denen, die Gott nicht kennen, und an denen, die nicht gehorsam sind dem Evangelium unseres HErrn JEsu Christi.“ Also Gott nicht kennen, da man Ihn aus Seinem Worte kennen lernen konnte, und nicht an- und aufnehmen, nicht gehorsamlich ergreifen das süße Evangelium, es nicht in sich wirken und walten laßen, das ist Ursache genug, um Gottes ewige Strafe und Rache auf sich zu lenken! O Gott und HErr, wie viele sind also in Gefahr, ohne es zu bedenken, oder gar, ohne es zu wißen! Bedenke doch, wer Ohren hat zu hören, was zu seinem Frieden dient, – und wer nicht bedenken will, sondern die Jahre eines nach dem andern verträumt, den wecke sein Nachbar, den laße man nicht gehen. Jeder arbeite an sich, jeder am andern: Alles strebe nach Benützung der Lebenszeit und schaffe seine Seligkeit. Gott erkennen, dem Evangelium gehorchen –| das werde erstes Ziel des Lebens für alle, die es nicht erreichten bis zu dieser Stunde. Wer aber Gotteserkenntnis hat und dem Evangelium gehorsam ist, der bete und ringe den Thessalonichern nach, daß sein Glaube reichlich wachse, seine Liebe sich mehre, seine Geduld sich bewähre, – er mache Beruf und Erwählung fest, damit auch er Erquickung, Verherrlichung und Bewunderung des HErrn finde und erfahre.

 In dieser letzten bösen Zeit wirke Gott, der HErr, in uns allen der Thessalonicher große Gnade, schenke uns ihre große, selige Zukunft und bewahre uns vor den Schrecken Seiner Zukunft! Amen.




« Trinitatis 25 Wilhelm Löhe
Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
Trinitatis 27 »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).