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Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis 09

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Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
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Trinitatis 10 »
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Am neunten Sonntage nach Trinitatis.

1. Cor. 10, 6–13.
6. Das ist aber uns zum Vorbilde geschehen, daß wir uns nicht gelüsten laßen des Bösen, gleichwie jene gelüstet hat. 7. Werdet auch nicht Abgöttische, gleichwie jener etliche wurden; als geschrieben stehet: Das Volk setzte sich nieder zu eßen und zu trinken, und stand auf zu spielen. 8. Auch laßet uns nicht Hurerei treiben, wie etliche unter jenen Hurerei trieben, und fielen auf Einen Tag drei und zwanzig tausend. 8. Laßet uns aber auch Christum nicht versuchen, wie etliche von jenen Ihn versuchten, und wurden von den Schlangen umgebracht. 10. Murret auch nicht, gleichwie jener etliche murreten, und wurden umgebracht durch den Verderber. 11. Solches alles widerfuhr ihnen zum Vorbilde; es ist aber geschrieben uns zur Warnung, auf welche das Ende der Welt kommen ist. 12. Darum, wer sich läßet dünken, er stehe, mag wohl zusehen, daß er nicht falle. 13. Es hat euch noch keine, denn menschliche Versuchung betreten; aber Gott ist getreu, der euch nicht läßet versuchen über euer Vermögen, sondern machet, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß ihrs könnet ertragen.

 VOn dem ungerechten Haushalter redet das Evangelium, die Epistel aber legt uns eine Offenbarung über menschliche Versuchungen vor. Der Haushalter ist ein in der Versuchung Gefallener, der Versuchte ist ein Haushalter, der auf die Probe gestellt wird und in Gefahr ist, zu fallen. Ein Fall, eine Sünde – und die Versuchung: wer kann leugnen, daß zwischen beiden nur ein Schritt ist, daß beide im innigsten Zusammenhang stehen? Darum ist es Weisheit, an dem Tage, an welchem man von dem Fall und der Sünde des Haushalters redet, auch von der Versuchung zu lesen. Es wird sich aus diesen wenigen Sätzen die Beiordnung der Epistel zum Evangelium rechtfertigen. – Desto unaufhaltsamer folgen wir dem Winke und Rufe der Epistel, die Offenbarung von den Versuchungen ins Auge zu faßen, welche sie in sich hält.

 Ehe wir aber hineingehen in die Gänge und Wege des gewaltigen ernsten Textes, faßen wir einen Leitfaden in die Hand und übersehen den Inhalt. Es ist zu allgemein geredet, wenn ich sage: die Epistel gibt eine Offenbarung über Versuchungen, sondern ich muß sagen: Sie gibt eine Offenbarung über die Versuchungen der letzten Zeit. Auch damit habe ich noch nicht den ganzen Inhalt zusammengefaßt; denn der Text gibt nicht bloß Nachricht von den genannten Versuchungen, sondern er zeigt auch deren Absicht, die Absicht der Nachricht und Offenbarung, und gewährt für die erkannte schwere Noth der Versuchung einen reichen und mächtigen| Trost. Damit hoffe ich nun aber allerdings eine Uebersicht des Inhalts und in derselben einen Leitfaden zur Betrachtung des Textes gegeben zu haben. – Leite nun der HErr, der heilige Geist selbst, unser Nachdenken und fördere unser inwendiges Licht durch neuen Zufluß heiligen Oeles.

 Es sind fünf Versuchungen, welche uns unser Text benennt: erstens die Gaumenlust, zweitens die Versuchung zur Abgötterei, drittens die Versuchung zur Hurerei, viertens zur Herausforderung und Versuchung Gottes, und endlich fünftens zum Murren gegen den HErrn.

 Alle fünf Versuchungen werden an Beispielen der alttestamentlichen Zeit nachgewiesen. Die Kinder Israel in ihrer Wüstenfahrt sind es, deren Verhalten und Ergehen dem heiligen Apostel bei Darlegung aller Versuchungen den Spiegel liefert. – Als die Kinder Israel eine Zeit lang in der Wüste gewesen waren und an dem Saume des rothen Meeres dem Sinai zuwanderten, vermißten sie nach einander bald dies, bald jenes, was sie während ihres Lebens in Aegypten gehabt und gar nicht geachtet hatten. Auf dem ganzen langen und langjährigen Wanderzuge kam ihnen dieselbe Erinnerung immer aufs Neue und erweckte ihnen eine ungöttliche, fleischliche Sehnsucht rückwärts, nach Aegypten hin. Ihre Füße wanderten vorwärts, ihr Herz gieng rückwärts zum Lande, wo sie im Ofen des Elends gewesen waren, daß sie schrieen, wo es aber auch manches gab, was die Wüste nicht hatte, – was sie nicht brauchten, leicht entbehren konnten, aber, weil sie’s einmal gehabt hatten, nun immer wiederkauten in der Erinnerung und auf’s Neue begehrten. So hatten sie in Aegypten Fleischspeise genug gehabt – und in der Wüste gab es kein Fleisch, wenn sie nicht ihre Heerden aufzehren wollten, – und das wollten sie doch nicht. Da gab ihnen nun Gott ein Mal und öfter Vögel; die Winde mußten sie vom Meere hertragen in dichten Schaaren, daß man sie ohne Mühe fangen konnte. Diese Vögel, welche in Luthers Uebersetzung Wachteln heißen, wurden nun verzehrt – unmäßig, und was die Folge war, wie sich die Unmäßigkeit bestrafte und das Volk seine böse Lust büßen mußte, das ist bekannt. Auf dies Beispiel weist der Apostel hin und ermahnt: „Laßt uns nicht gelüsten des Bösen, wie jene gelüstet hat.

 Das Volk war am Sinai. Bereits waren die Offenbarungen vorüber, welche die Gesetzgebung auf Sinai begleitet hatten. Die Wolke des HErrn lag noch, aber schweigend, auf dem Gipfel des Berges; Mose war bei Gott im Dunkel und empfieng alle Belehrung, welche er als Gottes Mund und Prophet an das Volk bringen sollte, um demselben jene einzige, wunderbare Verfaßung zu geben, welche Staat und Kirche, das bürgerliche und kirchliche oder geistliche Leben im alten Bunde regeln sollte. Wer sollte es denken, daß vierzig Tage hinreichen würden, Gottes furchtbare Offenbarung vom Sinai in Vergeßenheit zu bringen, und dem Volke in Moses Abwesenheit Langeweile zu machen? Dennoch geschah es. Das Volk hatte Zeit, sich an Aegypten zu erinnern, und siehe da, die Götzendienste der Heiden und die fleischliche Pracht ihrer Götzenfeste ward ihnen so anziehend, daß sie ein unwiderstehliches Verlangen nach Abgötterei und Götzendienst bekamen. Wer weiß, wie viele unter ihnen, angereizt vom Satan, auf den Gedanken kamen, man müße allerdings den großen Gott nicht vergeßen, Deßen Wolke der Gegenwart auf dem Berge thronte; aber man müße von den Aegyptern lernen, Ihm Dienst und Ehre erweisen. Gott unterwies auf dem Berge Mosen und gab ihm Vorschrift zum wahren Gottesdienst: da mußte der Teufel, Gottes Feind und Affe, zum Götzendienst reizen. Aaron war nicht ganz abgeneigt; er war froh, der bösen Lust auf eine Weise zu willfahren, die einigermaßen vertheidigt werden zu können schien. Er verband die Lehre vom wahren Gott mit dem Götzendienst, und wir wißen, was für ein Teufelsdienst da unten am Sinai losgieng bei dem goldenen Kalbe, und wie das Volk sich setzte, zu eßen und zu trinken beim Opfermahle, und dann aufstand zu spielen, d. i. zu tanzen und zu springen um das Bild her, das sie sich gemacht hatten. „Werdet nicht Abgötter, wie manche unter ihnen, warnt St. Paulus, von denen geschrieben steht: es setzte sich das Volk, zu eßen und zu trinken und standen auf zu spielen.

 Aehnlich gieng es später. Wie da am Sinai der Götzendienst zur erwünschten Fleischesfreude, so| gab hernach die Fleischesfreude Anlaß zur Abgötterei. Die Moabiter und Midianiter luden auf Bileams Rath die Kinder Israel zu ihren Festen. Da gab es eine Begegnung. Die Söhne und Töchter Gottes machten Gemeinschaft mit den Kindern Moabs und Midians. Aus war es mit der Sonderung Israel von der Welt, als Sinnenfreuden lehrten über die Zäune springen, die da schieden. Die man hätte fliehen sollen, an die hieng man sich, und Israel hurte mit den Moabitern und Midianitern. Die leibliche Hurerei führte zur geistlichen, aus der sie eigentlich schon hervorgegangen war, wie aus einem höllischen Versteck. Da geschah denn, was Bileam gewollt: der Zorn des eifrigen Bräutigams und Mannes kam über die erwählten Kinder; es fielen an Einem Tage 21,000. „Laßt uns nicht huren, wie manche unter ihnen hurten,“ ruft Paulus.

 Drei Beispiele der bösen Lust haben wir gehabt. Nun aber folgen zwei entsprechende Beispiele der Verdroßenheit. Wer immer etwas anderes begehrt, als Gott der HErr darbeut, der kann ja an dem wirklich Dargebotenen keine Lust und Freude mehr haben. Anderes will er, Gottes Gaben mag er nicht; er tritt sie mit Füßen. So gieng’s Israel. Manna hatten sie. Das war eine Speise, die nicht mit Unrecht Engelspeise genannt wurde; es könnte einen an vollen Tafeln der Könige dieser Welt nach diesem Manna hungern. Aber – sie hatten die nunmehr entwendete Speise im Ueberschwang; sie bekamen Ekel dran; sie nannten Gottes gesundes Himmelsbrot „eine lose Speise“. Damit forderten sie den HErrn heraus und versuchten Ihn, dem elenden Volke statt Gnade Schläge zu geben. Gottes Gaben schelten, merkt wohl, das fordert Gott heraus. Wer voller Ekel ist, wenn Gott den Tisch deckt, und sehnsüchtig nach den Fleischtöpfen Aegyptens schaut, dem wird Er Seine Gabe nicht auf den Rücken werfen; sondern Er wird ihm zahlen, wie ers verdient. „Laßt uns Christum nicht versuchen, wie manche unter ihnen, unter dem Volke Israel, Ihn versuchten und durch Schlangen umkamen,“ so warnt der Apostel. Gott gibt denen keine Schlange, die um Brot bitten, aber die Sein Brot nicht mögen, denen gibt Er feurige, tödtende Schlangen.

 Die zweite von den Versuchungen der Verdroßenheit, die fünfte im Ganzen, bezieht sich nicht auf dargebotene Gaben Gottes, sondern auf göttliche Führungen und Gebote. Da stand Israel im zweiten Jahre nach seinem Auszug aus Aegyptenland bei Kades, vor den Pforten des ihm gelobten Landes. Das Heer des HErrn sollte ausgehen, das Land einzunehmen. Aber da erschrack die Menge vor der Aufgabe. Das Volk fügte sich nicht unter das göttliche Gebot, glaubte nicht an die mächtige Durchhilfe Gottes, verzagte wie an der eigenen Kraft, so im Bewußtsein vieler Sünden an der Treue und Güte des HErrn, und wurde aus Unglauben in die Sünde des Murrens hingerißen. Der eigene Wille war zugleich trotzig und verzagt. Nichts wagte er gegen die Canaaniter, die bereits von Gott verworfen und daher vor der Schlacht schon besiegt waren, – alles gegen den allmächtigen, unüberwindlichen Gott, den nichts mehr beleidigt als Unglaube und Mistrauen, der daher auch die Murrenden sogleich und 38 Jahre lang heimsuchte und keinen in das werthe Land kommen ließ, der sich geweigert hatte, es auf dem Wege und in der Weise zu betreten, welche Gott befohlen hatte. „Murret nicht, sagt daher Paulus, wie von jenen manche murrten und durch den Verderber umkamen.

 Diese Versuchungen waren nun Versuchungen, nicht Gottes, denn der ist kein Versucher zum Bösen, sondern des Satans, der bösen Welt umher und des bösen Fleisches der Kinder Israel, und sie nannte ich oben Versuchungen der letzten Zeit. Was für ein Recht habe ich zu dieser Benennung? Ich hoffe, volles Recht. Der Beweis davon liegt im 11. Verse unsers Textcapitels. „Alle diese Dinge, sagt St. Paulus, sind jenen begegnet als Typen oder weißagende Vorbilder, aufgeschrieben aber zu unsrer Zurechtweisung, auf welche die Enden der Aeonen, der Weltzeiten gekommen sind.“ Wenn also die Versuchungen Typen oder weißagende Vorbilder sind, so hat man ihnen doch nicht genug und das volle Recht gethan, wenn man sie als einfache geschichtliche Vorgänge nimmt, als vergangene Begebenheiten: Vorbilder deuten auf Urbilder, Weißagungen auf Erfüllungen. Und wenn man nun nach den Zeiten forscht, in welchen diese Vorbilder und Weißagungen erfüllt werden sollen; so kann man sich doch nicht täuschen, wenn man sagt, die Erfüllung| sei in unsern, d. i. in den christlichen, den neutestamentlichen Zeiten zu suchen. Es heißt ja ausdrücklich, sie seien geschrieben zu unserer Unterweisung oder vielmehr Zurechtweisung, zur Unterweisung der Menschen, mit deren Lebenszeit die Enden aller Aeonen oder Weltzeiten zusammengetroffen seien. Man könnte höchstens die Frage aufwerfen, ob denn wir nach achtzehnhundert Jahren uns mit den Zeitgenoßen des Apostels Paulus zusammenrechnen, uns mit jenen für Zeitgenoßen halten und das Uns des Textes demnach auch auf uns jetztlebende Christen beziehen dürfen. Allein da eine kleine Ueberlegung jedermann überweisen kann, daß die ganze Zeit von Christo bis jetzt die letzte heißt, daß wir entweder Zeitgenoßen der Apostel sein oder hinter dem Ende der Weltperioden leben müßten, was doch ein Unsinn wäre; so fällt alles Bedenken weg, und wir müßen, als wäre der erste Brief an die Corinther an uns geschrieben, die angeführten Worte des Textes auf uns, auf die letzte Zeit beziehen, zu welcher auch wir gehören. Ist aber der Text zu unserer Zurechtweisung geschrieben, so werden wir wohl in Gefahr sein, die alttestamentlichen Typen nicht auf uns anzuwenden, und die Versuchungen nicht zu erkennen, in welchen wir schweben. Es wird uns durch die göttliche Offenbarung Licht gegeben werden sollen und Augensalbe, einzusehen, daß wir am Ende der Aeonen in der Nähe der größten Gefahren und Versuchungen leben.
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 Zwar werden wir nun gewis nicht irre gehen, wenn wir die Versuchungen, von denen die Rede ist, in ihrer furchtbarsten Gestalt und in ihrem größten Maße uns in den Tagen des persönlich hervortretenden Antichristus hereinbrechend denken. Es geht bei dieser, wie bei vielen andern Stellen der heiligen Apostel: sie ist gar nicht völlig erkannt, wenn sie nicht in Beziehung auf die Enden der Zeit, also genau genommen auf die Zeit des Antichristus gesetzt werden. Es wäre vielleicht auch nichts weniger schwierig als die Aufgabe, aus den Zeugnissen der Propheten und der Offenbarung St. Johannis nachzuweisen, daß zur Zeit des Antichristus die angeführten Versuchungen im höchsten Schwange gehen werden. Die ganze Geschichte Israels in Egypten, in der Wüste und bei seinem Einzug ins heilige Land ist typisch und voll einzelner Typen, welche der Geist des Neuen Testamentes auf das große erwartete Ende der allerletzten Zeit deutet. Dennoch aber haben wir die Versuchungen unserer Textesstelle auch auf uns zu deuten. Ist noch kein persönlicher Antichristus da, so sind doch, mit St. Johannis zu reden, viele Antichristen vorhanden und ein großer allgemeiner Abfall, des Antichristus nächstes Vorzeichen und offene Pforte, bereitet sich allenthalben immer mehr. Man darf nur seine Augen aufmachen, um zu sehen, daß wir alle Tage von dem Boten aufgeschreckt werden könnten, der uns das Emporkommen einer greulichen abfälligen Weltmacht und des Antichristus meldete. Wir werden drum wohl und weise thun, wenn wir die fünf Typen der letzten großen Versuchungen uns ins Gedächtnis schreiben und in den Spiegel der schauerlichen Alttestamentlichen Geschichten fleißig sehen, die uns zur Zurechtweisung unsers leicht verirrten Sinnes aufgeschrieben sind. Die elende Gaumenlust und das Vergnügen am fleischlichen Behagen, – die Einladung zu den hurerischen Freuden der Welt, – der Ekel an Gottes allerhöchsten Gütern, selbst am Brote, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben, – und der Unmuth über unsre Führung im Leben und Sterben, über die unmisdeutbaren, göttlichen Weisungen und Befehle ist so gemein, so großartig, so schauerlich, nicht bloß im Leben der Einzelnen, sondern auch der Völker nachzuweisen, daß ich eigentlich nicht einmal euch die kleine Mühe wegnehmen mag, das aufzufinden. Aber nicht bloß das, sondern auch die Versuchung zu der unter uns unglaublichsten Sünde, zur Abgötterei, liegt nahe. Neben der Selbstsucht unserer Tage geht unverhüllt eine schamlose Menschenvergötterung einher, die nach dem Zeugnis der Weißagung ihren Gipfelpunkt in der abgöttischen Verehrung eines Menschen, des Antichristus, finden wird. Seht nur hin auf die abgöttische Verehrung, welche das deutsche Volk einigen abfälligen Schriftstellern, z. B. einem Göthe und Schiller etc. darbringt, – hört, was man allenthalben von diesen todten Verderbern vieler Tausende sagt, und beantwortet dann die Frage, ob das nicht wahre elende Abgötterei der Welt ist, gegen welche die übertriebene Verehrung der heiligen Märtyrer von Seiten der römischen oder griechischen Kirche eitel Heiligtum genannt werden könnte. Wiewohl ja der Cultus, zu deutsch die Verehrung und Anbetung dieser Schriftsteller| nur Beispiele sind, denen noch andere, ja unzählige, an jedem Orte andere zur Seite gestellt worden sind. – Und in diese Versuchungen hineingezogen zu werden, sind alle in Gefahr, die da leben. Die Israeliten lebten nicht bloß, sie starben und fielen trotz aller Wunder Gottes in den Versuchungen, wie der Anfang unsers Textcapitels aufmerksam macht. Ebenso fallen gegenwärtig Hunderte und Tausende trotz der wunderbaren Sacramente in den gleichen Versuchungen und fehlen trotz Mose und den Propheten, trotz JEsu und Seiner Apostel, des einigen Weges zum ewigen Leben.

 Daher haben wir es mit anbetendem Danke zu erkennen, wenn uns die Versuchungen unsrer Zeit offenbart werden und uns zur göttlichen Offenbarung die Absicht derselben vorgelegt wird. Diese göttliche Absicht haben wir im Vorübergehen bereits zum Theile genannt. Sie besteht in unserer Zurechtweisung. Unterweisung reicht in der That nicht hin, um das griechische Wort darzulegen, welches vielmehr das bedeutet, was wir in der Volkssprache mit dem Ausdruck sagen wollen: „den Sinn oder den Kopf zurecht richten“. Dieser Ausdruck schließt, wie der griechische, einen Tadel ein, den nemlich, daß wir den rechten Sinn, das rechte Verständnis verloren haben. Und in der That, für was verliert der Mensch leichter Sinn und Verständnis, als für seine häufigsten, größten Gefahren? Eine Gefahr, die uns im Leben selten begegnet, wird eher bemerkt, als eine, die mit unsern Verhältnissen so verwandt und verwachsen ist, daß sie sich alle Stunden wieder ergibt und ihren verderbenden Blick erhebt. So ist es mit den großen Versuchungen der letzten Zeit. Wenn sie so dastehen, auf dem Papier der Bibel, ja, da sieht man’s wohl, daß es Gefahren sind. Aber – erkennst du sie auch in ihren zeitgemäßen Gestalten? Soll ich mich, wie oben, da ich von Göthe und Schiller redete, damit befaßen, dir zu sagen, wie eine jede der vier andern Versuchungen jetzt aussieht? Dann wird es gehen, wie bei den zwei vergötterten, abfälligen Schriftstellern; du selbst, oder dein nächster Freund wird anfangen, Grenzen zu zeigen, zu widersprechen, zu entschuldigen, zu rechtfertigen, zu loben was zu tadeln ist, dem Bösen andere Namen zu geben, gute statt böse, unschuldige statt anschuldigender – und bald wird die Hülle über dem Greuel des Jahrzehends und Jahrhunderts liegen, daß man keine Versuchung mehr sieht da, wo sie ist, sondern sie ganz wo anders sucht, wo sie dann vielleicht nicht ist. Da ist denn nöthig, daß man die Typen und Weißagungen ansieht, die uns zur Zurechtweisung geschrieben sind. „Dein Wort macht die Albernen weise“, steht geschrieben – und wie die Sonne den Nebel verscheucht, so kann, wer sich nicht verhärtet, auch die Erfahrung machen, wie Gottes Wort die Lüge zertheilt und die Wahrheit, also auch die wahren Versuchungen der Zeit enthüllt. An den Redlichen wird Gottes heilige Absicht bei Offenbarung der Versuchungen in ihrer ersten Hälfte nicht unerreicht bleiben.

 Und eben so wird es mit der zweiten Hälfte der göttlichen Absicht gehen. Die erste Hälfte ist in dem Worte Zurechtweisung ausgesprochen, die zweite aber finden wir in dem 12. Verse. Die Typen sind, sagt Paulus, zu unsrer Zurechtweisung aufgeschrieben, auf daß, „wer sich dünken läßet, zu stehen, zusehe, daß er nicht falle“. Freilich! Was hilfts, den Abgrund sehen, wenn man doch hineinstürzt, – die Falle bemerken, wenn man sich doch fangen läßt, – die Versuchung als Versuchung zu erkennen, wenn man ihr nicht ausweicht oder in ihr nicht obsiegt? Wahrheit zur Rettung, zur Seligkeit, zur Heiligung will der HErr. Er führt nicht bloß zu Seinen Pforten, sondern bis an Sein Herz und in Seinen Schooß. Die zweite Hälfte der Absicht muß vornemlich erreicht werden; sie kann es ohne die erste Hälfte nicht; aber wird sie trotz der ersten nicht erreicht, so wächst nur unsre Schuld, unsre Verdammnis, unsre ewige Strafe. – Also auf die zweite Hälfte laßt uns sehen.

 „Wer sich dünken läßet, er stehe“ – wer ist der? Läßt sich jemand dünken, er stehe, wenn er liegt? Es kommt wohl auch vor; aber davon redet der Apostel nicht, sonst würde er nicht den dünkelhaften Menschen zur Vorsicht ermuntern, daß er nicht falle. Da würde er zum Aufstehen ermahnen. Es ist daher allerdings von Leuten die Rede, die stehen, – die es aber wißen, denen ihr Stehen zum Dünkel und Hochmuth gereicht. Solcher Menschen aber sind viele, mehr als es zugeben, mehr als es wißen; ihrer sind viel, so daß die Ausnahme klein wird, daß ich gerne statt viele „alle“ sage, statt „ihr“ vielmehr „wir“, auf daß sich recht viele von uns prüfen und der Versuchung entrinnen, welche im Dunkeln sähet und bei Nacht und Nebel wie ein Dieb hereinbricht.

|  Dünkel blendet. Darum ruft Paulus: „Wer sich dünken läßt, er stehe“, wem sein Stehen zum Hochmuth gereicht, der „sehe zu“, der mache die Augen auf, weit auf, – er wehre sich gegen Nacht und Nebel, gegen Band und Binde, gegen Glas und Brille, er sehe zu. Es ist ein Auge im Menschen, welches leicht zu blenden ist, – das ist wahr. Aber es kann auch wach gerufen werden durch Gottes Wort. Hier ist eine Blindheit, die Gott nicht will, die geheilt werden kann, die schnell weicht, wenn Christus vorübergeht, Sein Wort erschallen läßt, und wenn zumal der blinde Bertimäus ruft: „HErr, daß ich sehen möge“. Da fallen die Schuppen, da sieht man die Wege, die Steine, die Gefahren –“ da weicht die Gefahr.

 Er sehe zu, daß er nicht falle. Sehen, daß man nicht falle, was ist das? Rücksicht – oder Vorsicht? Das ist Vorsicht, obschon auch zuweilen einmal Rücksicht hilft. Summa: Vorsicht will der HErr. In der letzten Zeit, bei ihren großen, vielen Gefahren und Versuchungen, bei so viel Blendwerk des Teufels ist Vorsicht, ein heiliger, vorsichtiger, wacher, kluger Wandel nöthig; den Aufrichtigen läßt es Gott gelingen; aber Seine heiligen Aufrichtigen sind vorsichtig. Aufrecht, vorsichtig – so geht man am Ende der Aeonen dem Teufel aus den Klauen, dem frommen HErrn entgegen. Und das will ER Selbst, der HErr, – deshalb zeigt Er die Versuchungen und dazu die belehrenden Typen und Vorbilder; Er will zu sich die armen Versuchten retten – darum ruft Er mit den Stimmen Seiner Apostel in die Welt hinein. Auf die Ohren, Brüder, daß sich die Augen öffnen und der Fuß vom Fehltritt, der ganze Mensch vom Fall bewahrt bleibe und vor dem Abfall und vor der Verdammnis!

 Da stehen wir, aufgeschreckt vom Rufe Gottes zur Vorsicht, vor den Abgründen der Zeit. Ach, wir erkennen es zuweilen, daß wir in Versuchungen gehen und daß wie Luft die Anfechtung um uns her schauert. Da scheuen und schauern und beben und weinen und wünschen wir, aufgelöst, daheim, geborgen zu sein. Die große Sehnsucht will uns statt muthig traurig machen. Schwert, Helm und Panzer lasten, und – wir sollen kämpfen. Vorsicht erwacht, Muth entschläft. Da bedürfen wir Ermuthigung und Trost. Hast Du keinen, Menschenhüter? Gib mir Ermuthigung und Trost, daß ich mich faße und vorsichtig nicht bebe und ermatte, sondern wieder stark werde und kämpfe! So spricht die Seele – und der Text antwortet, bringt Erhörung – und den Versuchten der letzten Zeit Trost. Der ganze 13. Vers, des Textes ist Trostes voll.

 Trost muß man kurz und faßlich haben. Man muß sich an ihm halten und ihn gut merken können. Drum wohlan: Mein schöner letzter Textesvers enthülle seinen süßen Reichtum und gebe mir ihn in die Hand für mich und euch. – Wie ist der Trost? – Dreifach ist er. Die ihr in Versuchungen wandelt und es wißet und fühlet, höret den dreifachen Trost: Eure Schwachheit ist berücksichtigt:es hat euch noch keine als menschliche Versuchung betroffen“, sagt St. Paul. Menschliche, d. i. der menschlichen Schwachheit angemeßene, oder doch mit Rücksicht auf die Gefahren menschlicher Schwachheit zugelaßene.

 Zweitens: Die euch geschenkten Kräfte des heiligen Geistes und deren Maß sind nicht vergeßen.Gott ist getreu, der euch nicht wird laßen versucht werden über euer Vermögen“. O süße Worte! „Vermögen“: von Natur vermagst du nichts, darum ist von Vermögen die Rede, welches dir Gott beigelegt hat. „Er legt uns eine Last auf, aber Er hilft uns auch“.

 Drittens: Nichts währt ewig, als die Gnade; die Versuchung bekommt einen Ausgang, daß mans ertragen kann. „Er läßt euch, tröstet der getröstete Paulus, Er läßt euch nicht über Vermögen versucht werden, – sondern Er wird schaffen zugleich mit der Versuchung auch den Ausgang, daß ihr’s könnet ertragen.“ Ja, Amen. Da sieht man den Antichrist und die grauenvollen letzten – und alle Versuchungen – und den Ausgang, den Christus schafft, wenn Er kommen wird, den Antichrist zu vertilgen, und vorher in allen unsern geringeren Versuchungen.

 Ist das Tröstung oder nicht? Faß es, so hast du, was du brauchst. Theil dir den letzten Vers in die genannten drei Theile – so ist der Text selbst Predigt, kenntliche, merkliche, mächtige, tröstliche Predigt, und ich denke, ich brauche dann nur noch Eins zuzusetzen, damit der Trost voll sei.

|  Gott versucht nicht zum Bösen. Die offenbarten Versuchungen der letzten Zeit sind lauter Versuchungen zum Bösen. Wie kommt es denn, daß in den letzten tröstlichsten Worten des Textes in die Versuchung Gott eingemengt wird. Ist denn Gott auch in der Versuchung? Nur menschliche Versuchung wird zugelaßen – wer wirkt es, wer nimmt Rücksicht auf die große Schwachheit der Natur, welche oft den Vorrath der Gnadenkräfte zu überwältigen droht? Das muß doch Gott sein! – Er – wird nicht laßen – uns versucht werden – über Vermögen: wer denn? Gott, unser Gott! – Er wird schaffen oder machen mit der Versuchung den Ausgang, daß ihr’s ertragen könnet, – „Er wird schaffen, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß ihr es könnet ertragen“, mit Luthers schön umschreibenden Worten zu reden. Macht Er denn, schafft Er denn Selbst die Versuchung, weil es heißt: Er schafft mit der Versuchung den Ausgang? Gewis nicht, die Versuchung schafft Er nicht; aber zugleich mit der Versuchung, so wie sie eintritt, sieht und bereitet Er vorher den glücklichen Ausgang. Die Versuchung geben andere; aber ER schafft ihr das Maß, daß wir nicht von Schwachheit überwogen, von Gnadenkräften verlaßen, dahinfallen. Er mäßigt, wie die Kirche singt: „Du kannst maßen, daß mirs nicht bringt Gefähr; ich weiß Du wirst’s nicht laßen.“ Er fängt also keine Versuchung an, aber Er mäßigt, mittelt, endet. – Er führt hinein und heraus, und es ist also richtig: Gott ist in der Versuchung.

 Wohlan, ist Er dabei, so heißt es: „Nur frisch hinein, es wird so tief nicht sein, das rothe Meer“. Es ist nur ein Drohen der Wellen, sie stürzen nicht. Die Winde wehen entgegen, aber sie halten nicht auf; widrige Winde fördern hier, der Wind vom Osten führt gen Osten, – zum Ufer hinüber, wo Sicherheit und ewige Ruhe ist. Dann ist verloren des Teufels und der Welt Mühe; aber wie wird dann alle Mühe mit süßem Frieden belohnt! „Wie gut wird sichs doch nach der Arbeit ruhn, wie wohl wirds thun!“ O kleine Mühe der Versuchten, o großer Friede der Bewährten! Tröstliche Aussicht der armen Pilgrime und Kämpfer, denen Apostel und große, göttliche Lehrer zurufen: „Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche der HErr denen verheißen hat, die Ihn lieben.“ Jacob 1, 12.

 So, meine Brüder, schließ ich diesen Vortrag, – dies arme Echo eines großen Textes, eines Wortes aus der Höhe!

 Ehre sei dem Vater der Barmherzigkeit, dem Gott, alles Trostes, dem Vater und dem Sohne und dem heiligen Geiste, wie es war im Anfang und jetzt und immerdar sein wird von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.




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