Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Pfingsttag
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Am Pfingsttage.
- 1. Und als der Tag der Pfingsten erfüllet war, waren sie alle einmüthig bei einander. 2. Und es geschah schnell ein Brausen vom Himmel, als eines gewaltigen Windes, und erfüllete das ganze Haus, da sie saßen. 3. Und man sahe an ihnen die Zungen zertheilet, als wären sie feurig. Und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen; 4. Und wurden alle voll des heiligen Geistes, und fiengen an zu predigen mit andern Zungen, nach dem der Geist ihnen gab auszusprechen. 5. Es waren aber Juden zu Jerusalem wohnend, die waren gottesfürchtige Männer, aus allerlei Volk, das unter dem Himmel ist. 6. Da nun diese Stimme geschah, kam die Menge zusammen, und wurden verstürzt; denn es hörete ein jeglicher, daß sie mit seiner Sprache redeten. 7. Sie entsetzten sich aber alle, verwunderten sich und sprachen unter einander: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? 8. Wie hören wir denn ein jeglicher seine Sprache, darinnen wir geboren sind? 9. Parther und Meder und Elamiter, und die wir wohnen in Mesopotamien und in Judäa und Cappadocien, Pontus und Asien, 10. Phrygien und Pamphylien, Egypten, und an den Enden der Libyen bei Cyrene und Ausländer von Rom. 11. Juden und Judengenoßen, Creter und Araber; wir hören sie mit unsern Zungen die großen Thaten Gottes reden. 12. Sie entsetzten sich aber alle, und wurden irre und sprachen einer zu dem andern: was will das werden? 13. Die andern aber hatten es ihren Spott, und sprachen: Sie sind voll süßes Weins.
AEhnlich wie am Himmelfahrtstage gibt uns auch heute nicht das Evangelium, sondern die Epistel die Festgeschichte. Das Evangelium redet von einem immerwährenden Pfingsten, welches der HErr bei den Gläubigen aller Generationen und in ihren Herzen feiern will; die Epistel aber erzählt uns die hauptsächlichste Thatsache jenes berühmten ersten Pfingsttages, der wie ein Anfang und wie eine Grundstufe alles Pfingstens, das bis zur Wiederkunft Christi auf Erden gefeiert werden wird, anzusehen ist. Wir haben in dieser Stunde nichts anders zu thun, als die Epistel des Tages zu betrachten, also die Erinnerung des ersten großen Pfingstfestes zu erneuen.
Unser Text zerfällt vor jedermanns Augen kenntlich in zwei Theile. Der erste erzählt in den vier ersten Versen des Kapitels die große Thatsache der Ausgießung des heiligen Geistes; der andere aber berichtet von dem Eindruck der Thatsache auf die in Jerusalem versammelten Juden, und zwar so, daß der fünfte und sechste Vers den ersten, man möchte sagen nur äußerlichen Eindruck gibt, die übrigen Verse aber vom siebenten bis zum dreizehnten die große, erste, innerliche Bewegung sehen läßt, welche die Ausgießung des heiligen Geistes in den Herzen der Menge hervorrief, die zum Zeugnis großen Werkes zusammengeströmt war.
Betrachten wir nun den ersten Theil unseres Textes zuerst. Der erste Vers des Textes berichtet uns über Zeit und Umstände der Jünger am Tage der Pfingsten. Es liegt etwas feierliches und feierlich vorbereitendes in den Worten des heiligen Schriftstellers, wenn er schreibt: „Und als der Tag der Pfingsten erfüllet ward, waren sie alle einmüthig bei einander.“ Da haben wir eine Zeitangabe, eine Angabe des Ortes und einen Bericht über die Personen, welche zur gemeldeten Zeit beisammen waren. Die Zeit ist also der jüdische Pfingstfeiertag gewesen. Zehn Tage vom Tage der Himmelfahrt an gerechnet hatte also die Wartezeit der Jünger zu Jerusalem gedauert; die Zahl dieser Tage war es, die JEsus in den Worten meinte: „nicht lange nach diesen Tagen,“ und der Pfingsttag jenes Jahres war also die von Gott von allem Anfang her versehene Frist, zu welcher das große Wunder| der Ausgießung Seines Geistes sich ereignen sollte. Was Er von allem Anfang her versehen hat, können wir, nachdem es eingetroffen ist, nimmermehr vergeßen. Der Tag, welchen Er Selbst Seiner Kirche bereitet und zum Geburtstage bestellt hat, bleibt ihr bis ans Ende unaustilgbarer, als jeder leibliche Geburtstag im Gedächtnis. Der Gott, der alle Tage in gleicher Würde geschaffen hat, hat es doch nicht verschmäht, die Tage, an welchen Er der Welt die größten Wohlthaten erzeigte, kund zu machen, und da Er sie kund gemacht hat, so ist es gewis nicht Sein Wille, daß sie von uns unbeachtet bleiben; was Er benennt, will Er unserm Gedächtnis einprägen. Also an diesem kenntlichen, merklichen Tage waren die Jünger beisammen. Das ist die Ortsbezeichnung, die, wenn auch sehr allgemein gehalten, dennoch deutlich genug ist, um für eine Ortsbezeichnung zu gelten. Es ist nicht gesagt, wo sie beisammen waren; wenn sie aber beisammen waren, mußten sie örtlich beisammen sein, und zwar mußte der Ort, an dem sie waren, ein ziemlich geräumiger sein, weil ja nicht bloß die Jünger, so viel oder wenige ihrer waren, sondern auch die Menge der Juden Platz haben mußte, welche zusammenströmte. Die Frage, wo in Jerusalem wir diesen Ort zu suchen haben, kann zwar nicht mit voller Sicherheit und Gewisheit beantwortet werden, aber eine Antwort gibt es ja doch. Seit dem Tage der Himmelfahrt hielten sich die Jünger zusammen und zwar, wie uns der 13. Vers des ersten Kapitels berichtet, auf dem Söller eines uns unbekannten Gebäudes, von welchem aus der HErr mit ihnen nachdem Oelberg zum Orte Seiner Auffahrt gegangen zu sein scheint. Es war wohl das Haus eines Bekannten, eines Freundes und Anhängers JEsu, zu welchem sie vom Oelberg zurückkehren und in welchem sie sich nun wohl auch die nun folgenden zehn Tage versammeln konnten. Ob sich aber die Jünger am Tage der Pfingsten an demselbigen Orte versammeln konnten und wollten, wie in den vorausgehenden Tagen, das ist eine andere Frage. Wird sich denn ein Privathaus gefunden haben, in welchem die Menge zusammenströmen konnte, von der im Texte die Rede ist? Dreitausend Menschen ließen sich an jenem Tage taufen; diese dreitausend aber waren nicht einmal die volle Anzahl derer, die versammelt waren, sondern nur die Anzahl derer, die das Wort gerne annahmen. Welches Privathaus, in dem die Jünger JEsu Zutritt hatten, gewährte wohl Raum für auch nur dreitausend Menschen? Man sieht wohl, die festliche Zeit und die Zahl der zusammenströmenden Menschen deuten auf einen größeren Versammlungsort der Kinder Israel, auf den Tempel und auf die Halle Salomonis, auf den größten, zugleich würdigsten Ort für eine solche Zusammenkunft und ein solches Ereignis. An diesem Orte also waren die Jünger, wie St. Lucas spricht, alle zumal einmüthig beisammen. – Die Jünger alle zumal: wie viele mögen das wohl gewesen sein? Haben wir uns bloß die Zwölfe zu denken, welche nach den unserm Texte unmittelbar vorangehenden Berichten durch die Wahl des heiligen Matthias wieder vollständig geworden waren? Schon der nach dem griechischen Worte eine größere Gesammtheit zusammenfaßende Ausdruck „alle zusammen“, kann uns bestimmen, die Frage zu verneinen. Noch mehr aber spricht für eine verneinende Antwort der Zusammenhang mit dem ersten Kapitel überhaupt. Nach dem 13. und 14. Verse des ersten Kapitels waren nicht bloß die heiligen Apostel, sondern auch die heiligen Frauen, insonderheit die Mutter JEsu, Maria, und Seine Brüder wartend und betend versammelt. Bei der Wahl des heiligen Matthias waren sogar 120 Christen, also zehnmal so viel versammelt, als Apostel waren. Da nun der Pfingsttag ein hoher Festtag der Juden war, also die Jünger schon dadurch sich eingeladen fühlen mußten, zahlreich zusammen zu kommen, – da jeder Tag mehr ihre Erwartung und ihr Gebet steigern mußte, weil ein jeder die größere Wahrscheinlichkeit bot, daß an ihm die Verheißung des Vaters erfüllt werden würde – da die ahnenden Seelen der Gläubigen den alttestamentlichen Pfingsttag voraus als einen Tag hoher Erfüllungen ansehen konnten, so werden sie sich gewis in den Vormittagsstunden dieses Tages so zahlreich als möglich zusammengefunden, gewartet und gebetet haben. Wir werden daher schwerlich einen Fehlschluß machen, wenn wir die Schaar der versammelten Jünger mindestens in der Ausdehnung uns denken, die uns das erste Kapitel an die Hand gibt. Von dieser zahlreichen Schaar wird nun gerade wie von den nach der Himmelfahrt versammelten Gläubigen Kapitel 1, 14 bezeugt, daß sie einmüthig versammelt gewesen seien. Zahlreich, zu einer und derselben Zeit, an einem und| demselben Orte, wartend und betend, im Warten und Beten und in der Liebe einmüthig war die bräutliche Versammlung der heiligen Kirche am Pfingsttag. Aeußerlich und innerlich eins waren sie geschickt und würdig geworden, von dem HErrn heimgesucht und einen mächtigen Schritt vorwärts geführt zu werden.Während sie nun in andächtigem Gebete, in tiefer innerer Stille und glühender betender Sehnsucht versammelt waren, geschah plötzlich aus dem Himmel ein Brausen, ein Ton wie eines gewaltigen daherfahrenden Wehens und Windes und erfüllte das ganze Haus, wo sie zusammen saßen. Alles wunderbar! Der Schall wird nicht bloß als von der oberen Gegend, wie man zu sagen pflegt, vom Himmel herkommend, bezeichnet, sondern es heißt, er sei aus dem Himmel gekommen, also aus dem Orte der Offenbarung Gottes, in welchen der Erlöser an Seinem Auffahrtstage eingegangen war. Der Ausdruck erinnert stark an ähnliche Vorgänge, die uns die Offenbarung St. Johannes berichtet. Jedenfalls also geht die Bewegung von Gott und Seinem ewigen Heiligtum aus, der HErr gedenkt an die Seinen, und die hörbare, bald auch sichtbare Offenbarung Seines Andenkens hat die Absicht, den versammelten Gläubigen die sichere Gewisheit zu geben, daß alles, was nun geschehen sollte, nach Gottes Willen und göttlich sei. Eine Bahn wird gebrochen vom Himmel zur Erde, zum Versammlungsort der Kirche, eine Verbindung zwischen jenseits und diesseits wird geschloßen. – Wunderbar ist der Ausgangspunkt des Getöns, wunderbar die Beschreibung desselben. Es ist, als wenn sich von der obersten Region der Welt ein Wehen, ein Hauch des göttlichen Mundes aufmachte und herabführe; es ist etwas gewaltsames und unwiderstehliches in dem Wehen und in dem Schall, und das gewaltige Wehen hält seine Bahn ein, wie die Strömung des Windes. Wie der Wind daher fährt, so fährt dies göttliche Hauchen und Wehen einher, hält seine Bahn ein, ja strebt nach einem Zielpunkt, nach dem Versammlungsorte der Gläubigen. Das gewaltige Wehen ergießt sich in dies Haus hinein und füllt das ganze Haus. Also im Hause wehet es und schallt es, und die Versammelten wißen, daß sie aus dem Himmel angeweht sind, und daß im Schalle eine Stimme ist aus der höchsten Höhe. Sonst hält kein Wind so schmale Bahn ein, daß er sich nur auf ein einziges Haus könnte stürzen, der Winde Bahnen sind breiter. Sonst hat kein Wind ein Haus zum Ziele, um in demselben zu verhallen und zu versiegen. Das ist nun eben Gottes Wehen, Gottes Schall, und dieser Schall, dies Wehen sucht nicht die Welt auf, sondern die Jünger, die den HErrn lieb haben und Sein Wort halten; zu denen kommt der Unbegreifliche und Allerhöchste im zugleich frischen und glühenden Hauche, um bei ihnen Wohnung zu machen. Ich will es nicht versuchen, zu beschreiben oder auch nur anzudeuten, wie es den versammelten Gläubigen bei diesem gewaltigen Wunder zu Muthe gewesen sein muß, wie sie die Erfüllung der Verheißung des Vaters ergriffen, erregt und erhoben haben muß. Was nachher geschah und was man aus Petri Munde hört, gibt redenden Beweis, daß die Regung und Bewegung der Seelen eine durchaus wohlthätige, stärkende, klärende und selige gewesen sein muß. Doch haben wir ja diese Bewegung nicht bloß dem brausenden Winde zuzuschreiben, sondern der nächste Vers zeigt uns den Fortgang des Ereignisses so mächtig und gewaltig, daß wir erst betrachten und beschauen müßen, was geschieht, ehe wir vom Eindruck reden können.
Dieser nächste Vers heißt nach Martin Luthers Uebersetzung also: „Und man sahe an ihnen die Zungen zertheilet, als wären sie feurig. Und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen.“ Nach dieser Uebersetzung hätte man die Zungen der Jünger gesehen und zwar zertheilt und feurig, und er, das wäre dann doch offenbar der heilige Geist, hätte sich auf einen jeglichen von ihnen gesetzt. Wir dürfen nun aber nicht leugnen, daß es bei Uebersetzung dieses Verses gerade so gegangen ist, wie bei vielen andern: in der Uebersetzung liegt bereits Luthers Auslegung. Wörtlich übersetzt heißt der Vers: „Und es erschienen ihnen zertheilte Zungen wie von Feuer, und er (oder es) setzte sich auf jeglichen einzelnen unter ihnen.“ Statt daß also an ihnen die Zungen feurig geworden wären, hätten sie selbst zertheilte feurige Zungen gesehen; Zungen wären ihnen erschienen und er, oder es, je nachdem man in dem nicht völlig deutlichen Ausdruck den Geist denkt, oder die feurige Erscheinung, in der er sich offenbarte, setzte sich, also sichtbar, auf jeden einzelnen. Wenn nun gleich diese wörtliche Uebersetzung nicht völlig mit Luthers Uebersetzung| übereinstimmt, so findet man in der letzteren doch nichts, was der richtigen Deutung des Textes im Allgemeinen widerspräche. Kann man sich auch nicht denken, wie man die eignen Zungen der Gläubigen, welche doch hinter dem Zaun der Zähne liegen, beim Reden hätte feurig und zertheilt sollen sehen können; ist es weitaus das einfachere und leichtere, sich erscheinende, feurige, getheilte Zungen zu denken, welche sich auf die Häupter der einzelnen Jünger niederließen, so ist doch in beiden Fällen von Feuer, von Zungen, von Zertheilung der Zungen die Rede und vom Niederlaßen auf die Häupter der Einzelnen. Feuer aber ist wie der Wind ein Symbol des heiligen Geistes, und wenn man beim Winde mehr an die eilende Bewegung des Geistes vom Himmel zur Erde und über die Erde hin denkt, so erinnert das Feuer mehr an Licht und Wärme, an die den Widerstand zerstörende, die Welt mit Leben füllende Wirkung des Geistes Gottes. Die Zungengestalt deutet darauf hin, daß der heilige Geist durch Zungen alles wirken wolle, was mit Wind und Feuer angedeutet ist. Die Theilung der Zungen offenbart, daß er sich der Zungen aller Völker bedienen wolle, und wenn sich der Geist Gottes sichtbar, also in seinem Symbole, der feurigen Zunge, auf die Jünger niederließ, so deutete das an, daß er seine Wirksamkeit zuerst bei ihnen und durch sie, durch ihre Zungen beginnen wollte. Nachdem wir uns diesen Vers zurechtgelegt haben, wiederholen wir billig: Wie mag der Schall, der vom Himmel kam, und dazu die himmlische Erscheinung die Jünger ergriffen haben! Kaum aber können wir uns diesem Gedanken hingeben, kaum ist es auch nöthig, da uns ja der folgende Vers auf die in dem Ausruf verborgene Frage eine Antwort gibt, welche unser Denken und Ahnen übersteigt. Es ist ja auch für eine natürliche Wirkung des Wunders, für eine bloß psychische Ergriffenheit fast kein Raum gelaßen, da uns der nächste Vers von einer schnellen unaufhaltsamen, übernatürlichen Wirkung berichtet, und uns leuchtend in die Augen springt, daß in den Geistern und Herzen der Jünger alles das vollzogen wurde, was die den Seinen vergönnte göttliche Offenbarung andeutete. Der vierte Vers spricht im engsten Zusammenhang mit dem dritten: „Und sie wurden alle zumal heiligen Geistes voll und fiengen an mit andern Zungen zu reden, je nachdem der heilige Geist ihnen gab auszusprechen.“ Da haben wir also eine mächtige Wirkung des heiligen Geistes in den Gläubigen und aus ihnen. Sie wurden nicht bloß leere Instrumente des Geistes, wie etwa die Posaune vom Hauch des Menschen durchweht wird, ohne daß derselbe in ihr bleibt, sondern sie selbst, ihre Geister und Seelen, wurden innerlich angethan, der göttlichen Wirkung voll, und aus der Fülle und dem Reichtum des Innern heraus redeten die Zungen. Das Licht erleuchtete sie und gab ihnen selbst alle seine Wirkung, dann erst drang es aus ihnen hervor. Der zertheilten Zungen Gewalt zeigte sich in dem Sprechen von mancherlei Sprachen, welche sie zuvor nie gelernt hatten, und der heilige Geist gab einem jeden von ihnen bedeutungsvoll seine besondere Sprache zu reden. Dies Zungenreden ist allerdings im Grunde kein anderes, als das, von welchem der heilige Paulus in seinen Briefen spricht. Es ist ein Zungenreden, ob ich mit Menschen- oder mit Engelzungen rede, ob jemand da ist, der mich versteht oder nicht, ob ich selbst in meiner Schwachheit vermag, dem eilenden Flug des Geistes und dem fremden Worte zu folgen, oder nicht. Hier aber in unsrem Kapitel hat das Zungenreden eine andere Absicht als z. B. 1 Cor. 12 und 13. Hier wird mit fremden Zungen geredet, damit die herbeieilenden, allen Zungen und Sprachen angehörigen Zuhörer merken sollen, daß die großen Thaten Gottes in ihren und allen Zungen und Sprachen verkündet und alle Völker der Ehre Gottes voll werden sollen. Im Corintherbriefe aber wird durch das Zungenreden nur mehr angedeutet, wie die menschliche Fähigkeit durch den göttlichen Geist erweitert, erhoben, zu einem Verständnis und einer Gemeinschaft aller Völker und ihrer Sprachen erzogen werden sollen. Dabei dürfen wir uns auch schwerlich denken, daß die Glieder der heiligen Pfingstgemeinde die Fähigkeit bekommen hätten, ständig und für immer in mancherlei Sprachen zu reden, so daß etwa ein jedes, zu welchem Volk es auch gekommen wäre, sich begabt gefühlt hätte, mit deßen Sprache zu reden. Davon sagt uns die Schrift und das Altertum nichts; es ist und bleibt das Zungenreden auch für die apostolische Zeit etwas Außerordentliches, vorübergehend, in den Stunden der Andacht und besonderen Heimsuchungen Erscheinendes, und selbst den Aposteln blieb nach dem Zeugnis des Altertums im fremden Lande und unter dem fremden Volke nichts| übrig, als durch Dolmetscher Gottes Wort zu reden, woran man ohnehin in jener Zeit sehr gewöhnt war.Das also ist die Verheißung des Vaters. Der Geist, der je und je in der Welt gewesen, kommt auf eine besondere Weise, den Sinnen vernehmlich, mit mächtiger, gewaltiger Wirkung in die Seelen der Jünger, aus denen er dann eben so gewaltig und mächtig wirkt auf andere. Nicht etwas neues wird den Jüngern gegeben, nicht etwas anderes, als sie aus dem Munde JEsu und aus Seinem Herzen schon empfangen hatten, nicht ein anderer Heilsweg, nicht andere Heilsmittel und Gnadenmittel werden offenbart. Der Geist bleibt auf der Straße JEsu, Sein Werk setzt er fort. Was JEsus gesäet hat, das laßen die Frühlingskräfte des heiligen Geistes aus der Erde, aus der verborgenen Tiefe der Herzen hervorsproßen. Zu Leben und Kraft, zu mächtiger Befriedigung der Seele, zu Licht und Flamme wird alles, was JEsus gesagt, gethan, gelitten, durch den Geist des HErrn gebracht. Ein göttliches Wesen ist es, das alles in allem wirket, ein Werk ist es, das alle Personen der allerheiligsten Dreieinigkeit einigt, dennoch aber wie in dem einigen göttlichen Wesen die drei Personen geschieden sind, so wirkt eine jede an dem gemeinsamen Werke in heiliger Besonderheit. Von Ihm und durch Ihn und zu Ihm ist jede Wirkung, und wo sie sich erweiset, da werden die Seelen zum dreieinigen Gott gezogen, Seine Tempel und Seine Werkstätten.
Nachdem wir nun gesehen haben, was sich an Pfingsten ereignet hat, so können wir die Wirkung betrachten, welche dies Ereignis auf andere hervorgebracht hat. Wir haben eine äußerliche und eine innerliche Wirkung unterschieden. Von der ersten redet der Text voran. Es war damals in Jerusalem Festzeit; die Stadt war angefüllt mit Festgästen. Der HErr hatte vorgesehen, daß von allem Volk unter dem Himmel, von allen Gegenden der Erde Juden herbei gekommen und zum Pfingstfeste anwesend waren, und zwar Männer, welchen der heilige Geist Lob geben, sie gottesfürchtig oder empfänglich für die himmlische Wahrheit nennen konnte. Diese große Festversammlung war nach dem Willen Gottes der Grund und Boden, aus welchem der Garten Seiner Kirche wachsen sollte, der zweite und weitere Kreis, auf welchen von dem ersten Kreise, der ursprünglichen Pfingstgemeinde, die beseligende Wirkung sich zunächst verbreiten sollte. Wußten diese Menschen auch nicht, zu welcher Absicht sie der HErr in Jerusalem zusammengeführt hatte, so hielt sie dennoch der HErr im Himmel bereit zu dem seligen Zwecke, den Er Sich ihrethalben von Anbeginn gesteckt hatte. Als Sein Geist unter dem Schall und Getön des gewaltigen Windes vom Himmel herniederfuhr, da hätte Er leicht machen können, daß dieser Schall von niemanden als von der bräutlich harrenden Gemeinde JEsu bemerkt und vernommen worden wäre. Er that es aber nicht, sondern das Wehen und der Schall wurde allgemein gehört, dazu auch Ziel und Richtung von allen bemerkt, zu welchem und in welcher der brausende Ton dahin eilte; der Tempel, die Halle Salomonis, der Theil, in welchem die Jünger versammelt waren, wurde für alle kenntlich bezeichnet, so daß aus dem ganzen Tempel und aus der ganzen Stadt alles zur ersten Kirche, zu den ersten feierlichen Gebeten und Lobpreisungen Gottes, zu der ersten Predigt strömte. Der HErr hatte den ersten Gottesdienst des neuen Testamentes mit einem himmlischen Glockentone eingeläutet, und wer in Jerusalem eines guten Willens war, der folgte seinem Rufe und seinem Zuge. Räumlich begibt sich alles zu den Aposteln, was sich geistlich mit ihnen vereinigen soll, und wenn auch auf den Ruf des himmlischen Getönes leiblich mehr zusammenströmen, als geistlich versammelt werden, so gibt es doch keine Gemeinde Christi und keinen Zuwachs für dieselbe, welcher nicht aus der Schaar der Berufenen emporwüchse. Wie strömts zur Halle Salomonis aus den Vorhöfen des Tempels, aus den Thälern und Höhen und Straßen der heiligen Stadt: lauter Berufene, alle an der Hand Gottes und JEsu und Seines Geistes. Sind etwa viele Neugierige unter diesen allen gewesen? Möglich, aber der Neugierige hat mehr Hoffnung als der Träge, aus der Neugier wird so oft heilige Wißbegier und aus dem unlauterlichen Beginnen des Menschenkindes wird oftmals durch die Hand des lebendigen Gottes etwas lauteres und reines. Bist du lauter und rein, daß du andere richtest? Wenn aber nicht, was richtest du einen fremden Knecht, dem du in allen Stücken gleich bist, wenn dir auch gleich ohne all dein Verdienst und Würdigkeit durch die unaussprechliche Gnade und Langmuth Gottes mehr Gabe geworden ist. –
Doch aber laßt uns vorwärts schreiten und nach| der äußerlichen die innerliche Wirkung des hohen Ereignisses beschauen, welches den Pfingsttag kennzeichnet. Diese innerliche Wirkung schloß sich eng an die äußere an, wie uns das der sechste und die folgenden Verse des Textes lehren. Die zusammengeströmte Menge drängte sich in den Versammlungsort der gesegneten Gemeinde Christi, lautlos, wie es scheint, und in tiefer Stille, denn sie vernahmen ja die Reden der Heiligen, und zwar welch großes Wunder, ein jeder hörte sie mit seiner Sprache reden. Wenn man dies im sechsten Verse liest, kann man auf den Gedanken kommen, das Wunder sei mehr im Ohr der Hörer, als an der Zunge der Redenden geschehen. Jeder hörte sie ja mit seiner Sprache reden. Allein diese augenblickliche Täuschung verschwindet auf der Stelle, sowie man sich erinnert, daß im vierten Verse die Worte stehen: „Sie fiengen an mit anderen Zungen zu reden.“ Diese deutliche Stelle gibt dem weniger deutlichen sechsten Verse Licht und Maß. Halten wir nun aber demgemäß fest, daß die Menge der Hörer die verschiedenen Sprachen vernahmen, weil sie in dieser Verschiedenheit gesprochen wurden, so werden wir uns den Vorgang nicht so denken dürfen, als hätten die versammelten Jünger Christi allezumal gleichzeitig und zwar in verschiedenen Sprachen geredet. Wäre es so gewesen, so hätten wir damit ein Bild der Unordnung und Verworrenheit, statt daß mit diesem Ereignisse alle Verwirrung der Verhältnisse dieser Welt sich in eine heilige Einigkeit aufzulösen beginnen. Wenn der heilige Paulus in seinen Briefen an die Corinther Gott einen Gott der Ordnung nennt und will, daß alles herrlich und ordentlich zugehen solle; wenn er befiehlt, daß nicht mehrere Zungenredende oder Propheten gleichzeitig sprechen sollen, so ordnet er damit an, was und wie es der Geist der Ordnung am ersten Tage der Pfingsten gewislich auch geordnet und gewirkt hat. Es wurde von den heiligen Jüngern in vielerlei Sprachen geredet, daher ohne Zweifel keiner der Redner sehr lang reden konnte. Wenn jeder seine Sprache hören sollte, so mußten sich die Redenden mit großer Behendigkeit und in einer Ordnung ablösen; ohne Behendigkeit und Ordnung, bei Stocken und gleichzeitigem Reden würde niemand Klares und Deutliches, niemand seinen eigenen Dialekt vernommen haben. Ein jeder Redner redete in Einer Sprache, je nachdem ihm der Geist gab auszusprechen; einer redete nach dem andern; eine große Mannigfaltigkeit der Reden entwickelte sich. Aber alle stimmten dem Inhalte nach harmonisch zusammen und besprachen ein einziges Thema, die großen Thaten Gottes, die in der letzten Zeit geschehen waren. Da war denn das Erstaunen der Zuhörer ein steigendes, wie so ein heiliger Redner nach dem andern in einer andern Sprache redete und ein Hörer nach dem andern seine heimathliche Sprache hörte. Um diesen Juden aus aller Welt verständlich zu werden, hätten am Ende die heiligen Redner vielleicht nur jüdisch reden dürfen; aber es galt ja nicht, die versammelte Judenschaft zu überzeugen, daß der Geist ihre Sprache führen wollte, sondern es sollte ja im Gegentheil die Offenbarung gegeben werden, daß die großen Thaten Gottes unter allen Völkern, in allen Sprachen erschallen sollten. Darum mußten die aus allen Gegenden zusammengekommenen jüdischen Männer nicht die Sprache ihrer palästinensischen Heimath, sondern aller Welt Sprachen hören, und die Einigkeit des Geistes mußte in der Mannigfaltigkeit der Zungen desto glänzender hervortreten. Als nun die Versammelten diese Einheit und Mannigfaltigkeit inne wurden, geriethen sie wie außer sich und verwunderten sich hoch. Es wurde kund, daß diejenigen, die da redeten, Galiläer waren, also aus einem Volke, dem man außer seinem eigenen kenntlichen Dialekte keinen andern Dialekt, geschweige eine andere Sprache der Welt zutraute. Dennoch aber hörten sie diese ungelehrten Leute in allen Dialekten und Sprachen der Welt reden, in allen Sprachen Europas, Asias und Afrikas, wie sie von Semiten, Hamiten und Japhetiten gesprochen wurden. Die Rede, die aus dem Munde der Zuhörer aufgezeichnet ist, gibt ein Verzeichnis aller der Länder und Völker, deren Sprache durch einen heiligen Redner vertreten war. Dieses Verzeichnis hält einen bestimmten Gang ein, und wer sich die Mühe geben wollte, nachzuforschen, welche Sprachen in diesen bezeichneten Landen und unter diesen Völkern zu jener Zeit gesprochen worden seien, der würde die größte Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit finden. Es wäre wohl möglich, daß gerade in diesem Kranze von Ländern und Völkern und Sprachen, welche angeführt werden, eine besondere Absicht Gottes verborgen läge und daß sich so Land an Land und Sprache an Sprache recht bedeutsam angereiht fände. Für uns aber reicht es| hin, das Erstaunen der hörenden Schaar zu deuten und die Bemerkung zu machen, daß man sich bei Anführung der Völker und Sprachen geistiger Weise auf demselben Gebiete befindet, von welchem und auf welchem sich die alte babylonische Sprachverwirrung verbreitete. Jene Völker hatten nicht allein mancherlei Sprache, sondern auch mancherlei verschiedenen Sinn, und sie verstanden einander nicht bloß deshalb nicht, weil sie anders redeten, sondern auch deshalb, weil sie anders gesinnt waren und zu denken pflegten. Nun aber begann eine Einigung, und wenn auch nicht alle Völker zu einerlei Sprache und Rede gerufen und geführt werden sollten, so begann doch das Evangelium wie Ein heiliger Same der Einigkeit und Einheit in allen Sprachen niedergelegt, allen Sprachen einerlei Sinn gegeben und damit die hauptsächlichste Bedingung zur Einigkeit hergestellt zu werden. Es begann ein Werk der Vereinigung, das seit dem nicht mehr geruht hat. Ein Evangelium wird allen Völkern gepredigt, alle Völker zu Einer Kirche gerufen und die Willigen unter ihnen gesammelt, in der Verwirrung der Welt ein heiliges, seliges, zum Genuße der tiefsten Einigkeit berechtigtes und begabtes Reich aufgerichtet. Ein Vorspiel, ein Pfand und Angeld des ewigen Reiches Gottes wird gestiftet, ist seitdem gestiftet, wächst und verbreitet sich trotz aller Hindernisse und trotz alledem, was man dagegen sagen mag, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, von Jahrhundert zu Jahrhundert und bis der HErr wiederkommt, fort. Ueberlegen wir das, so wird die innere Wirkung des Pfingstfestes sich bis auf uns erstrecken, Staunen und Verwunderung über die größte und gewaltigste That Gottes wird auch uns ergreifen.Staunen und Verwunderung, das war die Wirkung der unverstandenen That des HErrn auf die Menge der Zuhörer. Zu erklären aber wußten sie sich die Sache nicht. Einer sprach zum andern: was will das werden? Etliche griffen in der Verlegenheit, sich die Sache zu deuten, zu einer Aeußerung, die wir vielleicht geneigt wären, rein als ungeziemend, ja als abgeschmackt zu verwerfen, wenn nicht der heilige Apostel Petrus sie in allem Ernste beantwortet und ihr eben damit einen höheren Werth beigemeßen hätte. Sie deuteten die süße Entzückung der Jünger mit Absehen von alle dem, was damit nicht erledigt sein konnte, als eine Wirkung des süßen Weines, obwohl sie sich selber sagen konnten, was ihnen hernach Petrus sagte, daß die Tageszeit für einen Weinrausch noch zu früh war. – Hier, meine lieben Brüder, schließt unser heutiger Text. Gerade da bricht er ab, wo die Erklärung des heiligen Petrus beginnt in das verlegene Erstaunen der hörenden Menge Licht zu bringen. Die Kirche, deren Kinder ja vorne herein nicht in der Verlegenheit jener Menge sind, da sie von Jugend auf die erste Rede Petri gelesen und gelernt haben, hat unbedenklich die eigentliche große Gottesthat dieses Tages zur Lection verordnen und hoffen können, daß durch den Anfang die ganze Geschichte und der ganze Verlauf des Tages in die Erinnerung gerufen werden würde. Ja, es konnte ihr am Ende weniger an der allbekannten Erklärung der Thatsache liegen, als an dem Erstaunen und der Verwunderung, welche beide uns armen Leuten durch die Bekanntschaft mit der Sache von Jugend auf abzugehen und zu verschwinden pflegen. Es geht hier wieder, wie der große Kirchenvater Augustinus sagt und wir schon öfter bemerkten: Gottes Werke werden dadurch gemein, daß man sie immer hat oder sieht. Es ist auch gar keine Frage, meine lieben Brüder, daß man uns am Pfingsttage nichts Beschämenderes sagen kann, als daß wir über Gottes große That nicht einmal mehr erstaunen, noch uns verwundern, und daß uns bei unserer großen Kühle, ja Kälte kaum etwas mehr zu wünschen sein dürfte, als das heilsame Erstaunen und die Verwunderung, deren die Pfingstgeschichte so würdig ist, und die sie in der That auch jetzt noch ganz leicht erzeugen könnte. Auch wenn wir gelesen haben, was St. Petrus zur Erklärung der Geschichte sagt, bleibt doch noch alles so völlig Wunder, daß man sich auch heutiges Tages verwundern sollte, und alles ragt so weit über menschliches Maß und Verständnis hinaus, daß einem die eigene Kleinheit und Geringheit gar wohl zum Bewußtsein kommen könnte. Wir müßen die Bewunderung eben erst wieder lernen; was der Natur der Sache nach unmittelbarer Eindruck sein sollte, so oft wir den heutigen Text lesen, das wird unter unseren Umständen eine Art von Kunstprodukt, der Erfolg einer richtigen und zweckmäßig angestellten Betrachtung. –
| Die Betrachtung ist mit dem Texte zu Ende. Ehe wir nun aus einander gehen, fragen wir uns noch: was ist denn also Pfingsten? Die Antwort, welche wir geben, möge sich an euer aller Herzen und Verständnis bewähren. Pfingsten ist nicht der Anfang der Wirkung des heiligen Geistes in dieser Welt, denn der Geist Gottes war und wirkte von Anfang her unter den Menschenkindern. Pfingsten ist auch nicht das Fest der Wiedergeburt der Jünger; sie standen längst schon in der Wiedergeburt und Gnade. Pfingsten ist aber allerdings der Anfang einer neuen Art von Wirkung des Geistes Gottes und eines zuvor ungewohnten Maßes seiner Ausgießung über die Menschenkinder. Der Geist Gottes ergießt sich vom oberen Jerusalem nach Zion, nicht um von da aus, wie in den Tagen des alten Bundes, ein einziges Volk heimzusuchen, sondern um mit Heilserkenntnis alle Völker zu überfluthen. Was JEsus im heiligen Lande erworben und gewonnen, das soll nunmehr durch die übernatürliche Wirkung des heiligen Geistes ein Gemeingut aller Völker und Menschen werden. Pfingsten ist der Anfang der aus allen Völkern zu sammelnden Kirche Gottes auf Erden, der Geburtstag des Israels neuen Bundes, des auserwählten Volkes. Für die Jünger aber war das Fest der Pfingsten ein mächtiger Fortschritt ihres inneren Lebens nach Erkenntnis, Wollen und Empfinden. Jetzt erst erkannten sie JEsum, sintemal Er den Geist über sie ausgoß; jetzt erst erkannten sie Seine heilige Absicht, weil ihnen nun der Gedanke der Kirche lebendig und thatsächlich ins Leben trat. Jetzt begannen sie die scharfe Scheidung zwischen Welt und Kirche zu begreifen, den geistlichen Reichtum zu erfaßen, den ihnen JEsus Christus erworben hatte, selig und fröhlich in allen Seinen Werken zu sein. Jetzt erst begriffen sie ihren eignen neuen apostolischen Beruf, jetzt erst giengen sie mit allen ihren Kräften in den Willen ihres JEsus ein. Was sie bei JEsu gelernt, das trat jetzt ins Leben; was Er gesagt hatte, das erfüllte sich nun. Die Schule war aus; sie selber wurden nun Lehrer der Völker und der ganzen Welt, und die erste Gemeinde der Mittelpunkt, der Anschlußpunkt aller andern, der Anfang und Grund des ganzen Gebäudes und Tempels des lebendigen Gottes.
Was am ersten Pfingsttage begonnen hat, dauert jetzt noch an und währt bis ans Ende. Noch weht, wenn auch nicht unter Begleitung von Sinnbildern, derselbe Hauch der ewigen Liebe vom Himmel; noch flammen, wenn auch nicht mehr mit sichtbaren Feuerzeichen, die Zungen, die die Welt entzünden. Man hört in allen Sprachen die großen Thaten Gottes preisen; das Wort der Apostel ist lebendig in allen Landen; die Schaar der Zuhörer, die Zahl der Gläubigen wächst und nimmt zu. Das Werk kann niemand hindern, die Arbeit darf nicht ruhn; unaufhaltsam baut der heilige Geist den Tempel des Vaters und des Sohnes; immer ist Pfingsten. Auch unsere Lebenszeit ist ein Theil der großen Pfingstzeit der Welt: wenn nur an uns nicht das Rauschen spurlos vorüber geht, die Flamme des heiligen Geistes nur auch unsere Häupter und Seelen heimsucht! Wenn nur auch wir, nachdem wir in der Taufe wiedergeboren sind, den Aposteln ähnlich, in unserm geringeren Maße wachsen und zunehmen und fortschreiten von Licht zu Licht, von Kraft zu Kraft! Wenn nur unser Leben recht pfingstmäßig und frühlingsmäßig wird! – Meine Augen sehen zu den Bergen, von welchen die Hilfe kommt. Keine Pfingstsehnsucht bleibt unerhört, von dorther kommt Antwort. Wer eines redlichen Herzens ist, wer betend zum Himmel schaut, dem antwortet gewis der HErr der Herrlichkeit. Wer Ihn lieb hat und Seine Worte hält, zu dem kommt Er und macht Wohnung. – Ich kleines Steinlein für Deinen Tempel, ich armes Glied für Deinen Leib, ich schwache Rebe für den Weinstock, ich armer Erlöster, ich Dein sündiges Eigentum, – so viel, so sehr aus der Tiefe, so hoch in die Höhe ich rufen kann, rufe ich, flehe ich, bete ich um mein Pfingsten, zu Deiner Ehre, o HErr, und zur Förderung Deines Eigentums, meiner Seele. Amen.
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