Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Neujahrstag
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Am Neujahrstage, als am Beschneidungsfeste des HErrn.
- 23. Ehe denn aber der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahret und verschloßen auf den Glauben, der da sollte geoffenbaret werden. 24. Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christum, daß wir durch den Glauben gerecht würden. 25. Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister. 26. Denn ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christo JEsu. 27. Denn wie viele euer getauft sind, die haben Christum angezogen. 28. Hie ist kein Jude noch Grieche, hie ist kein Knecht noch Freier, hie ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal Einer in Christo JEsu. 29. Seid ihr aber Christi; so seid ihr ja Abrahams Samen, und nach der Verheißung Erben.
SChon im Eingang der Predigt vom letzten Sonntage ist auf die Verwandtschaft des heutigen epistolischen Textes mit dem des bereits genannten Sonntags aufmerksam gemacht worden. Beide haben im Ganzen und Großen einerlei Fortschritt des Gedankens. In beiden handelt der erste Teil von dem Zustande der Unmündigkeit, der zweite von der Aufhebung der Unmündigkeit und der dritte von der Kindschaft.| Und doch sind beide von einander sehr verschieden. Während der vorige Text die Zeit der Unmündigkeit als eine Zeit des Ausschlusses von dem väterlichen Erbe behandelte, erscheint sie in dem heutigen Texte mehr als eine Zeit der Erziehung und Vorbereitung für die Mündigkeit, als für eine höhere Lebensstufe. Während am vorigen Sonntage im zweiten Teil mehr die Erlösung hervortrat, tritt in dem heutigen Text und deßen zweitem Teile mehr die Rechtfertigung hervor als Pförtnerin zur Kindschaft. Und während in der letzten Epistel die Kindschaft selbst als ein Besitz des Geistes der Kindschaft und des göttlichen Erbes behandelt ist, sehen wir heute neben dem Erbe, welches auch in diesem Texte das letzte Wort ist, die Gemeinschaft der Gläubigen hervortreten oder den mystischen, geheimnisvollen Leib des HErrn JEsus, welchem ein jeder in Christo JEsu gerechtfertigte Mensch eingefügt und eingeleibt wird. Diese Verschiedenheiten haben wir in unsrem diesmaligen Vortrag besonders in’s Auge zu faßen, und ihr habt hiemit die Ankündigung des Inhaltes dieses Vortrags vernommen.
Dieses Verhältnis des einzelnen Mündels, das Leben unter dem Hofmeister ist es, woran der 24. Vers unsers Textes erinnert, wenn er sagt: „Das Gesetz ist unser Zuchtmeister gewesen, auf Christum,“ Christus und das Leben unter ihm ist die Hoffnung, mit welcher sich die Heiligen Gottes unter dem Gesetz trösten. Das Gesetz selber mit seinen vielerlei, in alle auch die einzelnen Lebensverhältnisse verzweigten Satzungen und Mahnungen, von welchen Apostelg. 15, 10 sogar der heilige Petrus bezeugt, daß es ein Joch war, welches weder die alten Väter noch die Apostel tragen konnten, ist der unermüdliche Hofmeister, der gar nichts anders thut, als was er soll, wenn er ohne Unterlaß mahnt und krittelt und hofmeistert, und den Menschen mit sich und seiner ganzen Lage unzufrieden macht. Es soll ja auch kein Mündel mit seiner Lage zufrieden sein, der Tag der Lossprechung und des Eintritts in die christliche Freiheit soll ihm ein ersehnter Freudentag sein und einen neuen Lebensabschnitt bringen.
Ausgedehnt auf viele Mündel erscheint nun dies Verhältnis im 23. Vers des Kapitels, in welchem der Apostel sagt: „Wir wurden unter dem Gesetz verwahrt und verschloßen auf den Glauben“, oder: „Wir wurden dem Gesetze zur Verwahrung überliefert und waren unter ihm miteinander eingeschloßen für eine zukünftige beßere Zeit, in welcher die Verheißung erfüllt, die Erfüllung im Glauben ergriffen wird und ein seliger Zustand der Freiheit eintritt.“ Da sieht man den Zuchtmeister des Einzelnen wie einen Sklavenwärter, der einen Haufen Sklaven zu bewahren, zu verschließen und so lange gefangen zu halten hat, bis Einer kommt und die armen Sklaven kauft und frei läßt. Es ist das für jeden Einzelnen ganz derselbe Zustand, wie der des Mündels unter dem Pädagogos, nur daß einerseits die große Zahl der Menschen von gleichem Loose, andrerseits aber die Hoffnung auf beßere Tage bestimmter hervorgehoben wird.
Schon während wir das Gleichnis erläuterten, haben wir den Sinn desselben einfließen laßen. Es ist nichts anders damit angedeutet, als die Zeit der Erwartung Christi, während welcher Gott der HErr den Juden Sein reiches, mannigfaltiges und wunderbares Gesetz gegeben hat, damit sie sich in demselben üben, ihre Ohnmacht kennen lernen und je mehr und mehr für eine Zeit reifen sollten, in welcher man abstehen würde von dem gesetzlichen Treiben und eigenen Werken und seines Glaubens froh, gerecht und heilig werden. Diese Zeit des alten Testamentes ist nun allerdings vorüber. Niemand dringt mehr auf Erfüllung des mosaischen Gesetzes und Beobachtung seiner Satzungen; sogar der Jude kann im Grunde nicht mehr darauf dringen, weil das Gesetz außerhalb Palästinas und ohne die dortigen Lebensbedingungen und den Tempel gar nicht gehalten werden kann. Würde man aber deshalb, weil die Zeit der Vormundschaft der Welt nach Gottes Willen geschloßen ist, der Meinung sein, daß man nun gar nicht mehr von einem ähnlichen Zustande reden könne, so würde man sich eben damit keinem unbedeutenden Irrtum hingeben. Gott hat allerdings bereits die Zeit der Vormundschaft geschloßen, der Pädagogos oder das Gesetz soll die armen Menschenkinder nicht mehr für Christum aufbewahren, denn Christus selbst ist ja da, und die neue Zeit ist herein gebrochen. Allein wenn auch nach Gottes Willen die Zeit der Gesetzlichkeit vorüber sein soll, so hält doch oft der Mensch selbst sich auf dem Wege zum Ziele auf und verharrt aus eigner Wahl in einem Zustande, der ihm ebenso wenig von Gott auferlegt, als ihm selbst angenehm ist. Es kann ja kommen, daß einem Gefangenen die Erlaubnis gegeben ist, in die Freiheit zu gehen, daß ein Sklave nach seines Herrn Willen frei gelaßen werden kann und soll, daß aber der Gefangene den Kerker und der Sklave die Sklaverei nicht laßen will, und durch eignen Entschluß dasjenige festzuhalten streben, wozu sie keine Nötigung mehr haben. Man sieht ja das im Großen bei dem Volke der Juden, und wer etwas Entsprechendes bei den Christen suchen wollte, Würde nicht lange vergeblich| suchen, weil es ja einen Zustand der Gesetzlichkeit gibt, in welchem der Mensch, vermöge der falschen Deutung, die er dem Sittengesetze gibt, innerlich dem Juden ähnlich wird, der sich noch nach 1800 Jahren mit Satzungen abmüht, die ihre Bedeutung längst verloren haben. Wenn es nun auch keineswegs so ist, daß jetzt noch ein jeder auf dem Wege zum Heil notwendig eine Periode der Gesetzlichkeit durchmachen muß, und es gar wol sein kann, daß einer, der zur Erkenntnis kommt, schnell in die evangelische Freiheit und Seligkeit hineintritt; so kommt doch die Gesetzlichkeit sehr häufig vor, namentlich in unsrer Zeit, die noch so sehr an den Nachklängen des Pietismus leidet, und in welcher daher oft gerade die redlichsten Seelen von gesetzlicher Schwachheit und irrendem Gewißen schwer angefochten werden. Man macht zu wenig Fortschritte im Guten, – es scheint, als gehe man rückwärts, statt vorwärts, man entdeckt immer eine neue Sünde im vergangenen Leben oder in der Tiefe der Seele; anstatt daß es einem je länger, je woler würde, wird man seiner selbst und der quälenden Sündennoth immer müder, und weil alle Anstrengung, die man macht, und alle Mühe, die man sich gibt, doch nicht dahin führen, daß man mit sich selbst zufrieden sein könnte; so wird die Anfechtung immer größer und eine immer wachsende Angst legt sich über die arme Seele. Da scheint man umsonst zu leben und zu Christo nicht zu gehören, man sieht in sich selbst nichts als Heuchelei und Gleißnerei und wagt es nicht mehr, sich Gott in Christo JEsu zu nahen. Anfangs, da man in Sachen des ewigen Heiles begann ernster gesinnt zu werden, wagte man es allenfalls und hatte dabei selige Stunden. Was soll man aber nun machen, nachdem man ein alter Christ, und dabei je länger, je unruhiger geworden ist und gar nichts in sich spürt, als Erkenntnis der Sünde und Gottes Zorn, wie er aus dem Gesetze fließt? In diesem Zustand, meine Freunde, ist man allerdings ein armer Jude geworden und in Gefahr, der Anfechtung eigner Gerechtigkeit zu erliegen. Der Satan betrügt einen um den Frieden Gottes durch die immer neue Qual, die er im Herzen des Menschen erregt, der das Beßere will. Das Auge schließt sich immer mehr für die Sonne der Gnade, die am Himmel leuchtet, und eine tiefe Nacht und Traurigkeit umgibt das arme, müde Herz. Aus der Anfechtung fließen tiefe Leiden, welche sich namentlich bei gewissen krankhaften Anlagen des Körpers zu Gemüthskrankheiten, ja bis zum Wahnsinn steigern können. Die Lage eines solchen Herzens ist bedauernswerther, als die des Juden, denn der wartet doch noch auf eine beßere Zeit, die ihm sein Messias bringen soll, während der gesetzliche Christ nicht mehr wartet und nicht mehr hofft, sondern verzweifelt und sein Leiden für unheilbar, sich selbst für unrettbar hält. Da helfen dann keine Trostgründe, die Seele versinkt in der Wollust ihrer Schmerzen, ist mistrauisch gegen jede dargebotene milde Hand, und hält für wahr nur das Wort desjenigen Menschen, der alle Hoffnung abschneidet und das gewisse Ziel den armen Geängsteten in den Flammen der Hölle suchen heißt. – Diese Zustände sind so schrecklich und kommen so oft vor, daß sie auch manchen unter euch bekannt sind, und daß ich gar nicht überrascht sein würde, wenn der oder jener unter euch die Bemerkung machen wollte, daß meine Beschreibung lange nicht an die Wahrheit reicht und die Leiden der Anfechtung weit größer und quälender seien. Aber auch das wäre nichts anders, als die Gesetzlichkeit und ihre schlimme Art, vermöge welcher das Auge an die Nacht und das Ohr dermaßen an das Grausige gewöhnt ist, daß man von einem gnädigen Jahr des HErrn und von einem Troste Israels nichts wißen will. So geplagten Menschen kann man gewis keine beßere Arznei reichen, als die, welche im zweiten Teil unsres Textes gegeben ist, die an andern Stellen der heiligen Schrift noch glänzender dargelegt ist, immerhin aber auch aus unsrem Texte licht und klar genug quillt, um ein armes Herz zu heilen.Das Wort „rechtfertigen“ ist eine Scheidewand zwischen der römischen und der lutherischen Kirche. Die römische Kirche übersetzt das griechische Wort wie ihre lateinische Uebersetzung, mit „gerecht machen“ und schreibt also dem Glauben eine den Menschen durchdringende, heiligende Kraft zu, vermöge welcher in ihm die sittliche Aenderung vor sich geht, welche wir Heiligung zu nennen pflegen. Die protestantischen Kirchen dagegen erkennen das Wort „rechtfertigen“ als ein gerichtliches an und verstehen darunter nichts anderes, als los und frei sprechen oder für gerecht erklären. In diesem Sinne aufgefaßt, hat das Wort mit der innern, sittlichen Veränderung des Menschen zunächst nichts zu thun, so wenig der protestantische Christ auch leugnet, daß der Glaube ein schäftig, mächtig Ding sei, welches den Menschen ändert. Es ist nun von dieser Aenderung im Worte nicht die Rede, sondern allein von einem richterlichen Urteil. Auf welche Seite, ob auf die römische oder die protestantische man zu treten habe, kann dem nicht lange verborgen sein, der allein die heilige Schrift zu Rathe zieht. Das Wort „rechtfertigen“ ist nach dem Sinne des heiligen Paulus jedenfalls ein gerichtliches Wort und steht der Anschuldigung und Anklage des Gesetzes und Gewißens gegenüber; wer sich davon überzeugen will, der lese nur einfach die Briefe Pauli. Nicht überall, nicht bei allen Aposteln und in allen Briefen sind die Worte „gerecht, Gerechtigkeit und rechtfertigen“ in gleicher Weise gebraucht. Auch in den Evangelien und in dem Munde JEsu sind die Worte „gerecht“ und „Gerechtigkeit“ nicht immer so gebraucht, daß man nur einfach den paulinischen Sinn unterlegen und immer für gerecht oder Gerechtigkeit sagen dürfte „gerecht aus Glauben,“ „Gerechtigkeit des Glaubens.“ Dieses große Wort, welches den Christen in seiner Gott-Wohlgefälligkeit bezeichnet, gleicht einer herrlichen Gestalt, die, von verschiedenen Augen angesehen, verschieden erscheint, während sie selber doch in allen Erscheinungen eine und dieselbe ist und bleibt. Jeder Apostel braucht das Wort, ein jeder in seiner Weise, aber alle verschiedenen apostolischen Auffaßungen laufen zum Ruhm und Preise der einen Gerechtigkeit zusammen. Keiner widerspricht dem andern, die Aussprüche aller harmoniren, und wer alle zusammenstellt, die Verschiedenheit und Einheit zusammenfaßen kann, der erst gewinnt den Vollgenuß, der vor Irrtum bewahrt und in allen einzelnen Stellen das rechte Verständnis anbahnt. Das aber ist gewis, daß die protestantischen Kirchen das Wort St. Pauli richtig auffaßen, wenn sie sagen: rechtfertigen heißt „den Sünder für gerecht erklären“; gerecht ist der Sünder, den Gott aus Gnaden um seines Glaubens willen für gerecht erklärt; Gerechtigkeit aber ist der Zustand eines Menschen, den Gott gerecht erklärt hat, es ist der Zustand des Glaubens, der gegenüber den Anklagen des Gesetzes auf die großen Thaten Gottes zur Erlösung der Menschheit, auf die Gnade in Christo JEsu vertraut.
Denken wir uns einen Israeliten, der sich sein Leben lang bemüht hat, den Forderungen des göttlichen Gesetzes nachzukommen, oder auch einen andern Menschen, der so recht gewißenhaft dem Ziele der Heiligung nachjagt. Beide werden, je mehr sie sein wollen, wie sie sein sollen, desto ängstlicher sein, desto unruhiger, und über dem ewigen Mislingen ihrer ernsten Absicht und bei der täglichen Erfahrung ihrer Schwachheit und Bosheit wird sich in ihnen ein Sklavensinn ausbilden, ähnlich dem des Schulknaben, der unter der Ruthe steht, aber ganz das Gegenteil von jenem| fröhlichen, freudigen Sinn, den man mit dem Worte Kindschaft bezeichnet. Ob man den Menschen außerhalb oder innerhalb des Gesetzes sich denkt, ja sogar außerhalb oder innerhalb der Gnade, immer wird man zugestehen müßen, daß er nie in dieser Welt die Gerechtigkeit erlangen kann, welche mit Heiligkeit gleichbedeutend ist. Wer kann die Forderungen seines Gewißens zufrieden stellen? Kann ich aber mir selbst nicht genügen, wie soll ich Gott genügen? Finde ich an mir nichts als Flecken und Mängel, wenn ich mich mit dem finstern Laternenlicht meines Gewißens anleuchte: wie soll mirs gehen, wenn mich die Sonne des göttlichen Auges anscheint, und Er mich vor Gericht zieht? Ein Prediger muß Heiligung predigen und Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit entflammen; ein Christ muß nachjagen der Heiligung, ohne welche niemand den HErrn sehen kann, auch muß er gute Werke wirken, die ihm nachfolgen vor Gottes Angesicht. Aber wie man den Menschen zum Kindessinn, zur Freiheit und Freude der Kinder Gottes auf dem Wege heiliger Werke führen soll, oder wie einer auf diesem Wege sich selbst Ruhe, Freudigkeit und Zuversicht erarbeiten könne: das verstehe ich nicht. Ich weiß es wol, daß jede wol vollbrachte Aufgabe und jedes gelungene Werk den Menschen erfreuen, und daß ein gut Gewißen in Mitte der Menschen, ja unter Räubern und Mördern ein sanftes Ruhekißen sein kann. Aber wenn ich auch einmal etwas recht gemacht habe und darüber natürlich vergnügter bin, als im umgekehrten Falle, so ist das doch nicht der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, und nicht die Freude des heiligen Geistes, sondern nur ein natürliches Vorbild oder ein Abglanz davon, der mir wie ein papierener Heiligenschein verraucht und vergeht, sowie ich vor Gottes Angesicht trete. Und wenn ich auch vor Menschen und gegen Menschen gut Gewißen und die Freudigkeit eines jungen Löwen hätte; wenn ich auch mit David meinen Feinden gegenüber beten könnte: „Vergilt mir nach der Reinigkeit meiner Hände;“ ja wenn ich selbst eine hohe Stufe der Vollendung durch die Gnade Gottes erreicht hätte, und mir die Liebe zuschreiben könnte, die des Gesetzes Erfüllung ist: es wäre doch alles miteinander nicht hinreichend, vor Gott zu stehen, vor welchem niemand ein gut Gewißen hat, vor welchem die Himmel nicht rein sind und seine Boten nicht ohne Tadel. Kurz, wenn ich Ruhe haben und mir der Sklavensinn vergehen soll, so nützt mir keine eigene Gerechtigkeit, und ich werde nimmermehr den Sinn eines Kindes Gottes und die Freudigkeit eines Menschen erlangen, der aus der Vormundschaft und in die Rechte der Kindschaft tritt, es sei denn, daß mich Gott rechtfertige und mir ein gnädiges Urteil der Vergebung meiner Sünden und in Christo JEsu Frieden und das Recht zuspricht, mich als sein Kind zu fühlen. Nur die Offenbarung der göttlichen Begnadigung, die Versicherung der Vergebung der Sünden und die Zurechnung der Gerechtigkeit unsres HErrn JEsus Christus kann meine Seele vor Gott stillen, mich im Leben und Sterben froh und freudig machen. So gewis es daher ist, daß uns Christus JEsus versöhnt und erlöst hat, und mir alles bereitet hat, was ich bedarf, so gewis ist es doch auch, daß niemand in die Schätze und den Reichtum der Erlösung und Versöhnung eintritt, außer durch die Rechtfertigung, und daß allein diese die Pforte unsrer Freiheit und der alleinige Grund unsrer Ruhe vor Gott ist. Der Augenblick, in dem wir von diesem Grunde weichen, stößt uns wieder in Unruhe und Unfrieden hinein; wir finden weder im Leben noch im Sterben einen andern Weg des Friedens und der Freudigkeit zu Gott, als den der Rechtfertigung. Daher sagt auch der heilige Paulus, das Gesetz sei unser Zuchtmeister gewesen, damit wir die Rechtfertigung aus dem Glauben empfiengen; wenn der Glaube an JEsum Christum und an die Rechtfertigung da sei, dann sei man nicht mehr unter der Pein des Zuchtmeisters; durch den Glauben würden alle Gottes-Kinder, und es kommt also auf gar nichts an, als darauf, daß man Glauben faße und die Rechtfertigung empfange. – Fragst du nun, wie und wo soll ich die Rechtfertigung empfangen, den Freispruch und das gnädige Urteil meines Gottes hören, so ist die Antwort leicht. Wozu hat denn der HErr im Himmel der Kirche Seine Taufe, Sein Wort der Absolution, Sein Abendmahl gegeben, wenn nicht zu dem Ende, daß Er ein Zeugnis seines gnädigen Willens gegen uns auf Erden gebe, und uns durch Geist, Waßer und Blut, also in dreifacher, wunderlieblich verschiedener Weise Eins bestätige, daß wir Seine Kinder und Er unser gnädiger Vater sei, der mit uns um unsrer Sünden willen nicht mehr rechten wolle, sondern Gnade für Recht| ergehen laße. Der HErr hat gesorgt, daß uns Sein gnädiges Urteil auf mancherlei Weise zukomme, weil wir täglich viel sündigen, eitel Strafe verdienen, und tagtäglich die wiederkehrende Sünde und Sündenlust unsre Ruhe, unsren Kindessinn und unsre Freude zerstören will. Der immer neuen Störung gegenüber steht das immer neue göttliche Zeugnis von der Gnade Gottes. In unsrem Texte ist insonderheit die Taufe als Zeugnis der Rechtfertigung hervorgehoben, und zwar mit einem solchen Glanze, daß uns aller Zweifel vergehen kann. Ganz offenbar liegen in der Rechtfertigung zwei göttliche Handlungen vereinigt, nemlich Vergebung der Sünden und Zurechnung der Gerechtigkeit des HErrn JEsus. Sind uns die Sünden vergeben, so sind wir straffrei, aber den Ruhm, den wir vor Gott haben sollten, haben wir damit doch noch nicht. Ist uns aber die Gerechtigkeit JEsu Christi zugerechnet, so haben wir auch diesen Ruhm, und es fehlt uns dann nichts, um als Gottes Kinder von Gott und all den Seinen behandelt zu werden. Diese Zurechnung der Gerechtigkeit JEsu Christi erscheint nun aber in dem Verse unsres Textes im schönsten Glanze, in welchem es heißt: „Alle, die ihr auf Christum getauft seid, habt Christum angezogen.“ Was heißt das anders, als ihr seid von Christo bedeckt, wie von einem Kleide, in Ihn eingehüllt und strahlet von Seinem Glanze, so daß man nicht mehr euch sieht, sondern Ihn, und ihr nicht mehr behandelt werden könnt nach euerm Werthe, sondern nach dem Werthe Deßen, der euch deckt. Wahrlich, lieber als durch dies Gleichnis könnte uns die Taufe durch nichts gemacht werden, und herrlicher als auf diese Weise könnte die Gerechtigkeit Christi, die wir an uns tragen, nicht geschildert werden. Da ist es freilich aus mit aller Hofmeisterei, wenn man Christum an uns hofmeistern müßte, und da muß freilich selbst das göttliche Gesetz vor uns verstummen, weil Christus von uns wiederscheint. Da sind wir freilich Gottes Kinder, wenn der Eingeborne uns gegeben und zugerechnet ist, und kein Zweifel kann mehr sein, daß wir in der Freiheit stehen, wenn Gott selbst die Glorie des ewigen Königs uns beigelegt hat. Da können wir Ruhe und Friede haben, in allen Fällen des Lebens und Sterbens, aber auch merken und verstehen, daß das unterscheidende Merkmal des Volkes Gottes und der Vorzug, vor welchem alle andern Vorzüge erblaßen, die Rechtfertigung ist, die dem Glauben beigelegt wird.* | * | |||
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JEsus, das ist der Name, in welchem sich alle Kniee beugen, und mit welchem alle Zungen ihren HErrn bekennen sollen zur Ehre Gottes des Vaters. JEsus und Alles! In Christo JEsu liegen verborgen alle Schätze Gottes. Wer an den glaubt der hat alles was er bedürfen kann, ja mehr als er verstehen kann. JEsus, da ist mit zwei Silben ausgesprochen, was der Himmel in sich hält, und was die Kirche auf Erden zusammenhält. Am Namenstage JEsu find ich in diesem Namen alles, meine Rechtfertigung, den Glanz meiner Taufe, meine Absolution, die Herrlichkeit des Altarsakramentes. Alles heißt JEsus, und mit den zwei Silben spreche ich alles in allem aus. JEsus, das ist des Himmels Zier, der Beherrscher der Erde, das Haupt der Kirche und ihr Erlöser.
Ich habe euch heute allerlei Inhalt des Textes vor Augen und Ohren gebracht, euch auch die Rechtfertigung gepriesen, am wenigsten habe ich vom Glauben gesagt, obwol ich weiß und innerlich überzeugt bin, daß wir gerechtfertigt werden, allein aus Glauben, und daß das Wort rechtfertigen im Paulinischen Sinne, ohne das Wörtchen allein gar nicht verstanden werden kann. Es lebt und stirbt mit dem Wörtchen allein. Dennoch habe ich vom Glauben und Unglauben so wenig geredet. Am Namenstag JEsu ist es, wie wenn sich das glauben von selber gäbe; des Namens Ton und Deutung fordert und weckt den Glauben, und in einer christlichen Gemeine, vor deren Ohren man liest: „Nun aber ist der Glaube kommen,“ muß man den Glauben nicht blos predigen, sondern voraussetzen können, denn der ist unsers Lebens Element. Todeswort und Todesschall ist alles, was gesagt ist, ohne Glauben.
- ↑ Per evangelica dicta deleantur nostra delicta.
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