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Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Laetare

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Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
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Am Sonntage Lätare.

Galat. 4, 21–31.
21. Saget mir, die ihr unter dem Gesetz sein wollt, habt ihr das Gesetz nicht gehöret? 22. Denn es stehet geschrieben, daß Abraham zween Söhne hatte, einen von der Magd, den andern von der Freien. 23. Aber der von der Magd war, ist nach dem Fleisch geboren; der aber von der Freien ist durch die Verheißung geboren. 24. Die Worte bedeuten etwas. Denn das sind die zwei Testamente, eins von dem Berge Sinai,| das zur Knechtschaft gebieret, welches ist die Agar. 25. Denn Agar heißt in Arabien der Berg Sinai, und langet bis gen Jerusalem, das zu dieser Zeit ist, und ist dienstbar mit seinen Kindern. 26. Aber das Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie, die ist unser aller Mutter. 27. Denn es stehet geschrieben: Sei fröhlich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierest, und brich hervor, und rufe, die du nicht schwanger bist; denn die Einsame hat viel mehr Kinder, denn die den Mann hat. 28. Wir aber, lieben Brüder, sind Isaak nach der Verheißung Kinder; 29. Aber gleichwie zu der Zeit, der nach dem Fleisch geboren war, verfolgte den, der nach dem Geiste geboren war; also gehet es jetzt auch. 30. Aber was spricht die Schrift? Stoß die Magd hinaus mit ihrem Sohn; denn der Magd Sohn soll nicht erben mit dem Sohne der Freien. 31. So sind wir nun, liebe Brüder, nicht der Magd Kinder, sondern der Freien.

 DAs heutige Evangelium erzählt die Speisung der fünftausend Mann. Mitten in der Fastenzeit liest man von der vergnügten, seligen Speisung, bei welcher der HErr nicht allein selbst Speisemeister war, sondern wie öfter, so wieder einmal Speise und Speisung zu Ehren brachte. Die Alten wußten wohl, daß man mit gesalbtem Angesichte fasten sollte, aber nichts desto weniger war ihrem Leibe das Fasten eine Aufgabe, die sie zwar muthig und freudig übernahmen, über deren allmählich sich vollendende Lösung aber sie auch vergnügt und froh waren. Daher war ihnen der Sonntag Lätare, der auf die Hälfte der Fastenzeit folgt, ein angenehmer Tag, und ihre Freude trat in dem Introitus des Tages stärker hervor, als an den andern Fastensonntagen. War doch die Hälfte der Aufgabe gelöst, schürzte man sich doch desto fröhlicher zur zweiten Hälfte. Da paßt denn auch die Geschichte der Speisung so schön und kaum ist in derselben der sonst so ernste Ton der Fastenevangelien bemerkbar. Nichts stört den freudigen Eindruck, es müßte denn sein, daß der kundgegebene Entschluß der gespeisten Menge, den HErrn zum König zu machen, aus jenem elenden Zustand des damaligen jüdischen Volkes erklärt würde, kraft deßen ihre Seelen, voll Aufruhrgedanken gegen die Römer, voll Begierde nach einem irdischen Weltreich Israel, also auf dem Abweg vom rechten Wege und in derselben Blindheit dahin giengen, die hernach den HErrn der Herrlichkeit gekreuzigt hat. Das Evangelium paßt übrigens aus noch einem Grunde sehr wohl in diese Zeit. Die Geschichte der Speisung fiel nemlich nach dem vierten Verse des sechsten Kapitels Johannis in die Nähe des Osterfestes; wir aber sind auch in die Nähe des Osterfestes gerückt. Dazu erinnert die Geschichte der leiblichen Speisung schon um des Zusammenhangs willen mit den herrlichen Reden, die JEsus nach derselben gehalten hat, stark an das heilige Abendmahl, deßen erste Feier und Einsetzung bekanntlich mit dem Passahfeste der Juden und mit den Leiden unsers HErrn JEsu Christi zusammenfällt.

 So herrlich nun aber das Evangelium in die Zeit paßt, eben so vortrefflich paßt auch die Epistel hinein. Es ist eine recht paulinische Epistel; und wenn man es faßen will, warum die Juden und ein Theil der Judenchristen den heiligen Apostel so sehr haßten, so kann man den Aufschluß aus unserm Texte bekommen. Da klafft der Unterschied zwischen Judentum und Christentum, zwischen dem irdischen, jüdischen Jerusalem der apostolischen Zeit und dem oberen himmlischen Jerusalem, der Mutter von uns allen. Da heißt das Judentum: Hagar und Ismael, die christliche Kirche aber: Sara und Isaak. Alle Verheißungen, die Sara und Isaak gegeben sind, werden dem Christentum zugeeignet, das Judentum aber als Hagar und Ismael ausgetrieben; die christliche Kirche erscheint in ihrem Siege über das Judentum. In der Fastenzeit diese Epistel! Da sieht man, daß die alte christliche Kirche bei ihrem strengen Fasten, das manchen in unsern Tagen wie rein gesetzlich erscheint, dennoch in der Freiheit gieng, nicht judaisiren wollte, daß ihre Passionsfeier im Sack und in der Asche die Frucht ihres freien Willens und Entschlußes gewesen ist, und daß man sich durch die ernste Feier, durch Buße, Mildthätigkeit und Enthaltung nur auf eine würdige Weise für das Osterlammsfest des Neuen Bundes und für den Eingang in eine Freiheit bereiten wollte, von welchem der Auszug aus Egypten und der Einzug in’s heilige Land die gesegneten Vorbilder waren.

 So wie nun das Evangelium auf die Freuden, so deutet die Epistel auf die Freiheit des nahenden Osterfestes, beide Texte auf die königliche Herrlichkeit des Abendmahles und auf die Herrlichkeit der Kinder Gottes, die nicht aus dem Gesetze, sondern| aus der blutigen Seitenwunde ihres einigen Erlösers und aus den Verheißungen kommen, die allein dem Glauben an das theure Blut JEsu Christi zugeeignet werden. Da ist es, wie wenn der heilige Apostel durch das Wort von der Gnade die Christen auf den galiläischen Höhen zusammenbrächte, wie auf Bergen der Freiheit der Gotteskinder, damit sie dortselbst gespeist werden nach dem Evangelio des heutigen Tages, und zwar nicht mit Speise, die vergänglich ist, sondern mit dem Brote, das vom Himmel kommt, und gibt der Welt das Leben. –

 Wir dürfen uns übrigens auch noch eine besondere Stelle unsres Textes fastenmäßig deuten, zumal wenn wir uns wieder an den Grundsatz erinnert haben, daß die Episteln oft dieselbigen Spuren im Leben der Gläubigen aufzeichnen, welche man für’s Leben des HErrn in den Evangelien gefunden hat. Neben dem leidenden HErrn erscheint die leidende Gemeinde. Sehen wir daher im heutigen Evangelium JEsum in der Osternähe, d. i. in der Leidensnähe, so erinnert uns der 29. Vers in unsrer Epistel an die Leiden der Gemeinde Christi, die sie von den Juden auszustehen hatte. „Gleichwie zu jener Zeit, sagt der Apostel, der nach dem Fleisch geboren war, verfolgte den, der nach dem Geist geboren war, also gehet es jetzt auch.“ Hier stehen wir nun auch geradezu bei demjenigen Verse, der uns für den ganzen heutigen epistolischen Text den Gesichtspunkt eröffnet.

 Der ganze Text zeigt das Judentum und Christentum im Kampf und weißagt dem letzteren den Sieg. Kampf mit dem Judentum und Sieg über dasselbe ist das große Thema des Apostels in der heutigen Epistel. Dieses Thema handelt der Apostel in der Weise ab, daß er zuerst den ganzen Gegensatz des Judentums und Christentums und den endlichen Sieg des letzteren in Vorbildern zeigt, dann aber vom 28. Vers an die Anwendung mit eigentlichen Worten macht, nach hergestelltem Verständnis der Vorbilder auf’s neue zu denselben zurückkehrt und der jüdischen Richtung unter den damals lebenden Christen in leicht verständlichen Worten des Alten Testamentes Tod und Ende verkündigt.

 Um nun, meine geliebten Brüder, den göttlichen Text mit der nöthigen menschlichen Erläuterung zu versehen, wollen wir zu allererst den Gegensatz der Juden und Heidenchristen im apostolischen Zeitalter darlegen, dann wollen wir zweitens eine kurze Belehrung über die Vorbilder des Alten Testamentes geben, drittens die vorbildlichen Geschichten, auf welche unser Text Rücksicht nimmt, uns in Erinnerung bringen, und viertens die Deutung der Geschichten auf Kampf und Sieg des Christentums in’s Auge faßen.


 Es ist eine bekannte Sache, daß sehr frühe in der apostolischen Kirche ein Zwiespalt über die Art und Weise entstand, wie die Heiden sollten selig und des Verdienstes JEsu Christi theilhaftig werden. Alle waren einig, daß alle Heiden, alle Völker an Christo JEsu und Seinem Heile Theil bekommen sollten. Ob aber dazu der pure Glaube an Christum hinreiche, oder ob die Heiden, die selig werden wollten, zuvor Juden werden und das alttestamentliche Gesetz erfüllen müßten, das war die Frage. Die Pharisäer unter den Christen vertheidigten das letztere; dagegen aber hatte Gott dem heiligen Petrus und dem heiligen Jacobus, vielen Jüngern unter den Juden in Cyrene, der großen neuentstandenen Gemeinde zu Antiochien in Syrien, endlich dem heiligen Barnabas und Paulus, Licht und Ueberzeugung gegeben, daß die Heiden ohne des Gesetzes Werke, ohne Beschneidung, Ceremonien und eignes Verdienst, allein durch den Glauben an unsern HErrn JEsum Christum könnten und sollten selig werden. Die erste Kirchenversammlung, von den Aposteln selbst zu Jerusalem im Jahre 45 gehalten, entschied sich zwar ganz für die freiere Richtung Pauli und der Heidenchristen, und man hätte denken sollen, daß mit dieser Entscheidung für immer allen alles klar geworden wäre. Allein dem war nicht so. Die apostolische Einmüthigkeit konnte in vielen Gliedern der judenchristlichen Gemeinden den Sieg über die angestammte jüdische Anmaßung nicht gewinnen. Je größer und erstaunlicher die Erfolge des heiligen Paulus unter den Heiden waren, je mehr Heiden auf seinen Ruf herzu kamen, um allein aus Glauben selig zu werden, desto unruhiger wurden die gesetzeseifrigen Judenchristen, und sie hielten es am Ende für ein Gott wohlgefälliges Werk, ihre Sendlinge in alle heidenchristlichen Gemeinden Pauli eindringen und die Gläubigen| auffordern zu laßen, den ihrer Meinung nach sicherern, ja allein richtigen Weg zu gehen, sich nachträglich auch noch beschneiden und zur Erfüllung des jüdischen Gesetzes verpflichten zu laßen. Die Sache war für Paulum und seine Gemeinden keine Kleinigkeit. Hatten diese Judenchristen Recht, so hatte Paulus die Heidengemeinden sämmtlich irre geleitet, so waren die, die seines Glaubens lebten und starben, verloren, so war Christus nicht der einige Grund des Heils, so hatte er das Heil der Menschheit nicht vollbracht, sondern die Menschen mußten durch Gesetzeswerke dazu mitwirken, auf zweierlei Gründen beruhte dann das ewige Heil; dazu hatten die Apostel zu Jerusalem falsch entschieden, ein ungeheures Aergernis gegeben, und die bereits zahlreichen ja fast zahllosen Heidenchristen waren von den Aposteln selbst auf eine furchtbare Weise betrogen. Die Ruhe, die Freude, die Seligkeit der Heidenchristen stand auf dem Spiel, und es war in der That kein Wunder, sondern es ist leicht zu erklären, ja ganz und gar zu billigen, wenn der Apostel in seinem Briefe an die Galater und an andern Orten mit aller Macht gegen diese blinden Ruhestörer, diese bösen Arbeiter, die er billig nicht eine Beschneidung, sondern eine Zerschneidung heißt, ankämpfte und seine von Gott gesegnete, reiche, heilige Arbeit unter den Heiden in Schutz nahm. Alle Heiden müßen ihm dafür danken, auch alle Judenchristen sollten ihn dafür gelobt und gepriesen haben. Aber so leicht gelang ihm sein Sieg nicht. Er wurde nach Rom geschleppt, und schrieb von dort aus seine Briefe. Der heilige Petrus, 2. Petr. 3, 15. 16 zollte seinen Briefen Anerkennung; Johannes trat nach seinem Weggang aus dem Morgenlande selbst in seine Wirksamkeit in Kleinasien ein. Jerusalem und der Tempel sank im Jahr 70 in Staub und Asche, und das alttestamentlich gesetzliche Wesen verlor damit allen Halt und Mittelpunkt. Dennoch aber klammerten sich noch lange hin viele Judenchristen an die pharisäische Meinung der Friedensstörer Pauli an, und es bedurfte mehr als einmal der gewaltigen Hand des allmächtigen Gottes, um die verkehrte judenchristliche Richtung zu vernichten und Paulo, dem Lehrer aller Heiden und seiner Weisheit die allgemeine Anerkennung zu verschaffen, die ihm geworden ist. – Irren wir nicht in der einfachen Auffaßung der prophetischen und apostolischen Schriften nach ihrem Wortlaute, so kommt noch einmal eine Zeit des Heiles und der Bekehrung für die Juden, und es wird in der alten Heimat Christi und Seiner Kirche, im heiligen, gelobten Lande, eine große leuchtende Gemeinde von Judenchristen entstehen. Diese Gemeinde wird ein Mittelpunkt aller Christen werden, und ihr Licht wird die ganze Kirche erleuchten, aber unpaulinisch wird sie nicht sein. Nicht die untergegangene judenchristliche Richtung wird sie wieder auf den Leuchter bringen, nicht einen doppelten Grund des Heiles legen, sondern ihr Licht wird allein aus den offenen Wunden JEsu quellen und Juden und Heiden in der einmüthigen Erkenntnis gründen, daß wir ohne des Gesetzes Werke allein aus Glauben selig werden.
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 Auch in die galatischen Gemeinden des heiligen Paulus waren die bösen Arbeiter eingedrungen, wie wir das bereits aus früheren Vorträgen wißen. Daher schreibt auch St. Paulus an die Galater den mächtigen, mit Recht hochberühmten Brief, aus welchem unser Text genommen ist, und wendet sich nun in diesem selber mit den Worten an die Galater: „Sagt mir, die ihr unter dem Gesetze sein wollt, hört ihr das Gesetz nicht?“ Aus diesen Worten Pauli sieht man, daß die judenchristlichen Sendlinge in den galatischen Gemeinden nicht ohne Glück gearbeitet hatten; man sieht es aus dem ganzen Briefe, man sieht es aus dem einundzwanzigsten Verse des vierten Kapitels. Redet doch der Apostel die Galater als solche an, „die unter dem Gesetz sein wollen“; das könnte er nicht, wenn die Verführer nicht Eingang gefunden hätten. Da war es also noth zu schreiben, zu lehren und zu wehren. St. Paulus schlägt im übrigen Briefe mancherlei Wege ein, um seine verführten und gefährdeten Schüler zurecht zu bringen, in unserm Texte aber versucht er, die Gesetzeslustigen durch das Gesetz selbst auf den rechten Weg des Heiles zurück zu bringen. „Hört ihr das Gesetz nicht“, fragt er, und meint damit allerdings nicht die Satzungen und die zehen Gebote, sondern das Gesetzbuch, die Bücher Mose, die heilige Thorah, die nicht blos die Satzungen, sondern auch die Geschichten des alten Bundes enthält. Denn eine Geschichte will er gebrauchen und anwenden, die Geschichte Sara’s und Hagar’s, Isaaks und Ismaels. Man könnte hier wohl sagen, es sei das Wort „Gesetz“ in Einem Verse nach doppeltem Sinne gebraucht, weil der Apostel| ganz offenbar zuerst von den Geboten und Satzungen, dann aber vom Gesetzbuch redet, also einmal den Theil des Buches, dann aber wieder das ganze Buch unter dem Worte „Gesetz“ begreift. Allein St. Paulus hat dazu das offenbarste und anerkannteste Recht. Auch keiner von den falschen Lehrern wird ihn bei diesem doppelten Gebrauch getadelt, und ihm denselben zum Vorwurf gemacht haben. Jedermann mußte zugestehen, daß die Gebote und Satzungen der fünf Bücher Mosis das große Ansehn bei den Juden nur als Theil des ganzen Buches genießen konnten, in welchem sie zu finden waren. Nicht hatte das Ganze sein Ansehen vom Theil, das Buch nicht von den Satzungen, sondern der Theil vom Ganzen, die Satzungen vom Buche. Daher konnte sich der Apostel allerdings mit vollem Rechte auf das Buch berufen, wenn ein Theil desselben misverstanden wurde, und die richtige Erkenntnis einer Stelle des göttlichen Wortes zur Bestrafung und Verbeßerung einer misverstandenen andern Stelle anwenden. Es kann ja die Schrift nicht gebrochen werden, sich auch nicht selbst widersprechen, sondern ein Theil muß mit dem andern, das Ganze mit allen Theilen im innigsten Einklang stehen.

 So vollkommenes Recht nun aber auch der Apostel hat, eine Stelle des göttlichen Buches zur Bestrafung und Correktion der falschen Auslegung einer andern anzuwenden; so ungemein und absonderlich ist dennoch der Weg, welchen er einschlägt. Er nimmt seinen Gegenbeweis gegen die Gesetzesanwendung seiner Gegner nicht aus den jedermann klaren Worten Mosis, sondern aus dem heimlichen Sinn einer Stelle, den ohne besondere Offenbarung Gottes niemand finden konnte. Er beweist aus den Vorbildern des Alten Testamentes gegen einen falsch gesetzlichen Grundsatz der Judenchristen. Wir könnten und dürften so nicht beweisen; wenn wir auch den typischen Sinn einer Schriftstelle fänden, so würden wir doch ohne besondere Offenbarung oder Schriftgründe unserer Deutung nicht sicher sein, wir könnten keinen Beweis aus derselben führen. Der Apostel kann, was wir weder können noch dürfen; er kann aus Typen und Vorbildern beweisen vermöge des HErrn, des Geistes, der in ihm ist; wir können ihm fröhlich nachtreten, ohne je selbstständig einen Weg der typischen Beweisführung einzuschlagen.

 Hiebei, meine lieben Brüder, wird es sich nun wohl schicken, ein weniges von den Vorbildern des Alten Testamentes zu reden. Gott sind alle Seine Werke bewußt, vom Anfang der Welt her. Er weiß was Er thun will bis an’s Ende, und weil Er dies weiß, so hat Er es Seinen Heiligen von Anfang der Welt her mitgetheilt, und auf mancherlei Weise voraus gesagt und voraus angedeutet, was da kommen soll. Wenn am Ende alle Wege Gottes abgeschloßen sind, werden Gottes weißagende Worte und Zeichen zu glänzenden Beweisen, daß Gott die Welt nach Plan regiert und alles auf vorbedachten Wegen zu dem vorbedachten Ziele geführt hat. Da wird alsdann der Ruhm und Preis Seiner Wahrhaftigkeit und Treue groß sein, und Sein Name wird genannt werden „Amen“; es werden alle Gottesverheißungen Ja sein in Christo und Amen in Ihm. Der HErr hat aber, wie gesagt, nicht blos in Worten geweißagt, sondern auch in Vorbildern. Der große Immanuel, der da kommen sollte, dazu Sein Reich und deßen Ergehen sind wie Berge gewesen, die aus der Ewigkeit her, bevor sie selbst gesehen wurden, ihre Schattenriße in die Welt herein fallen ließen. So wunderbar das ist, so wahr ist es doch. Bei der Sintfluth, beim Durchgang durch das rothe Meer hatte der Geist des HErrn Seine Gedanken bereits an die Taufe, die JEsus Christus so lange nachher einsetzen sollte; die Arche war Ihm selbst ein Bild der Kirche. Hier sind Aehnlichkeiten, die man findet, sobald sie einem gesagt sind, auf die aber ohne besondere göttliche Leitung und Offenbarung kein menschlicher Verstand gekommen sein würde. Solcher Vorbilder gibt es viele, und wahrscheinlich viel mehr, als wir denken. Es ist, wie wenn eine Zeit auf die andere deuten, und alle mit einander auf das Ende und die Herrlichkeit des ewigen Lebens hinweisen sollten. Die heimliche Weisheit Gottes kann sich durch den Geist des HErrn je länger je mehr klar und offenbar darlegen, und das Ende wird uns vielleicht Dinge enthüllen, über die wir theils freuden-, theils schreckenvoll staunen werden. Bis uns aber alles klar werden wird, glauben wir eine mannichfaltig vorhandene vorbedeutende Weisheit Gottes; aus Furcht aber unsre Einfälle und Gedanken für Gottes Wort und Weisheit zu nehmen, und unsere arme Seele zu täuschen, nehmen wir keine typische Deutung einer Schriftstelle an, sie sei denn| von dem göttlichen Worte selbst gelehrt, oder doch veranlaßt.

 St. Paulus, ein Meister in typischer Schriftauslegung, wie kaum ein anderer, kann uns nachdem Maße des Geistes und der Gabe, die er hatte, Glaubwürdiges aus dem Bereiche der typischen Schriftauslegung an die Hand geben; auf ihn horchen, ihm glauben wir und halten alles für Vorbild und vorbildliche Weißagung, was er dafür hält; bescheiden in eigener Erkenntnis, hangen wir vertrauensvoll an seinem Mund und Lichte, und laßen uns besonders und mit Freuden gefallen, was sein Mund in unserm Texte an heimlicher typologischer Weisheit offenbart. Fröhlich über jedes Vorbild, lustig zur Zusammenstellung aller apostolischen Stellen, in welchen Typen gedeutet werden, gehen wir nun an unsre heutige Aufgabe, spüren und schauen, was uns der HErr von Sara und Hagar, Isaak und Ismael in unserm Texte Typisches lehrt.

 Der Erzvater Abraham war bekanntlich vermählt an Sarai, späterhin von Gott genannt „Sara“. Neben Sara hatte Abraham auf eigenes Zureden seines Weibes die ägyptische Sklavin Hagar zum Kebsweib genommen. Die letztere Vermählung beruht auf einem Irrtum. Sara dachte sich als möglich, daß die Verheißung der Nachkommenschaft, welche Gott dem Abraham gegeben, auf dem Wege dieser zweiten Vermählung Abrahams mit einem Kebsweibe hinaus gehen sollte, da ja die Kinder, welche ihrem Herrn von ihrer Sklavin geboren würden, auch ihre Kinder genannt werden konnten. Hagar gebar auch einen Sohn, nemlich den Ismael, der kräftig und vielversprechend heran wuchs und von seinem Vater Abraham geliebt wurde. Aber Gottes Gedanken stimmten nicht mit Sara’s Weibergedanken zusammen; Er hatte nicht gemeint, daß die Kinder, die Abraham von Hagar auf natürlichem Wege erzielen würde, Träger der göttlichen Verheißungen werden sollten, die auf Abraham ruhten; er wollte im Gegentheil der Greisin Sara auf Wunderwegen verleihen, wider alles Ansehen der Menschen und wider alle natürliche Möglichkeit Mutter zu werden. Zur Zeit, da er’s beschloßen hatte, vollführte Er auch Seinen Rath, und Sara genaß im höchsten Alter eines Sohnes, der Isaak oder Freudenkind genannt wurde, nicht bloß weil er die Freude der hochbetagten Eltern war, sondern hauptsächlich, weil sich an ihn alle Verheißungen Gottes und alle fröhlichen Hoffnungen des menschlichen Geschlechtes anschloßen. Als nun Isaak neben Ismael heranwuchs, wurde dieser ein Spötter, und Sara drang darauf, daß er mit seiner Mutter Hagar das Haus verlaßen müßte. Abraham, der auch seinem Sohne Ismael mit väterlichen Treuen zugethan war, wollte auf Sara’s Verlangen nicht eingehen; da er aber eine göttliche Weisung bekam, seinem Weibe zu gehorchen, so beugte er sich, und trieb die Sklavin mit ihrem Sohne aus. Der HErr segnete nun zwar auch Ismael, daß er groß und reich und Vater eines unzähligen Samens wurde, aber Seine Verheißungen der besten Art, Sein größter Segen ruhte dennoch auf Isaak, durch welchen Abraham und Sara Stammeltern des heiligen Bundesvolkes, eines Samens wurden, der glänzend und zahlreich auf Erden sein sollte und wurde, wie am Himmel die Sterne.

 Das sind die Geschichten, welche der heiligt Paulus nunmehr auf eine typische Weise auslegt, von denen er im 24. Verse des Textes nach Luthers Uebersetzung sagt: „sie bedeuten etwas“. Die Mutter Sara bedeutet ihm das himmlische Jerusalem, die Heimat und Mutterstadt aller Auserwählten, den Sammelplatz aller wahren, geistigen Israeliten, mögen sie leiblich von Abraham stammen oder nicht. Die Mutter Hagar hingegen bedeutet ihm das Jerusalem seiner Zeit, den stolzen Sammelpunkt aller derer, die dem Judentum in ungöttlicher Weise anhiengen. Wie sich Hagar, als sie mütterliche Hoffnungen von Abraham hegte, gegen die kinderlose Sara erhob, so erhoben sich auch die Kinder Jerusalems, das auf Erden war, die Juden vornemlich gegen die Heidenchristen, die ihnen gering schienen, die sie nicht als Erben ansahen, die sie im Gegentheil seit den Tagen Stephani des Hellenisten, des Vorgängers Pauli, blutig verfolgten. Dagegen aber erscheint Sara, die unfruchtbare, wie als Vorbild des himmlischen Jerusalems, so auch als Vorbild der heidenchristlichen Richtung innerhalb des Christentums. Diese auch nach Wunsch und Meinung der Judenchristen unfruchtbare Richtung hatte dennoch Aussicht auf eine Nachkommenschaft, welche die Judenchristen an Zahl ganz ungleich übertreffen sollte. Hagar, nach St. Paulo der Name für Sinai, den Berg des Gesetzes in Arabien, paßt ganz zum Vorbild wie der Juden so| auch der judenchristlichen Richtung innerhalb der Kirche, eben wegen des gemeinschaftlichen Namens mit dem Berge des Gesetzes; denn auch die Judenchristen, deren Heerlager bei den Juden in dem irdischen Jerusalem war, hiengen ja jüdisch mit dem Sinai zusammen, weil mit dem Gesetze, das auch sie auf eine ungöttliche, dem HErrn und Seinen Wegen völlig widerstreitende Weise theils länger festhalten, theils weiter ausdehnen wollten, als sich gebührte. Der Sinai und sein Gesetz sollte nach Meinung dieser Leute Hort und Heil der Juden und aller Völker sein und bleiben und immer mehr werden. Ebendamit zeigten sich diese Judenchristen den Juden und ihrem Vorbild Ismael ähnlich. Der war ja auch auf fleischliche, dem göttlichen Willen widerstreitende Weise geboren, ein Abrahamskind ohne Zweifel, aber doch durchaus nicht der Erbe der göttlichen Verheißung. So wollten die Judenchristen, Pauli Gegner, die Gotteskindschaft auch von eigenen, menschlichen Wegen, vom Halten des Gesetzes, und zwar gerade rücksichtlich seiner äußerlichen und gottesdienstlichen Satzungen abhängig machen. Nur wer diesen fleischlichen Weg gieng, der sollte als echtes Kind dem Gotte aufgedrungen werden, der doch Seine Kindschaft gar nicht mehr von den alttestamentlichen Satzungen abhängig machte. Gegenüber dieser durch Ismael mitvorbedeuteten judenchristlichen Schaar standen nun die Heidenchristen, als deren Vorbild Isaak erscheint. Isaak war ein Kind der Verheißung, von seiner Mutter wider alle natürlichen Gesetze im hohen Alter empfangen und geboren, in seiner Empfängnis und Geburt ein Wunder. An ihm zeigt sich die Macht der göttlichen Güte und Barmherzigkeit, während die Ohnmacht der menschlichen, alten Eltern so klar und offenbar dargelegt ist. So wie nun er nicht durch den Willen des Mannes oder Weibes, sondern durch göttliche Gnadenmacht in’s Dasein und in’s Leben gerufen ist, so sind auch die Heidenchristen Gottes Kinder nicht durch menschliche Bemühungen, nicht durch des Gesetzes Werke, sondern allein aus Gnaden, allein durch Christus, allein dqurch den heiligen Geist und die Taufe, allein aus Glauben. Sie sind der Verheißung Kinder: denn ehe es ein Gesetz gegeben hatte, ehe der Sinai bebte und rauchte, ehe Sich der HErr auf ihm in der Wolke zur Gesetzgebung gelagert hatte, ja von Anfang der Welt her und der Sünde, war es Beschluß und Wille des HErrn, die Menschen aus keinem andern Grunde als aus Gnaden, durch keinen andern Mittler als durch JEsum, durch kein anderes Mittel als durch die Taufe, durch keine andre menschliche Hand als durch den Glauben, der aber ja selbst wieder von Gott im Menschen erschaffen und alles eigenen Verdienstes baar ist, zu retten und selig zu machen. Die Judenchristen sind ganz Eines Looses mit den Juden. Sie stehen und fallen mit ihnen. Sie erscheinen daher in unserem Texte von den Juden ungetrennt, mit ihnen in einer Nähe und der engsten Verbindung, zunächst hier als Kinder der Sklavin Hagar, als Sklavenkinder, selbst als Sklaven. Die Heidenchristen hingegen erscheinen im ganzen Texte als die einzig wahren Christen; Heidenchrist und Christ ist wie Eine Person und Ein Name. Sie sind die Kinder der freien Mutter Sara, die freien Leute, die Herrenkinder, selbst die Herren. Das Gesetz also erscheint als Zwang, das Evangelium als Freiheit, wie denn allerdings derjenige, welcher durchs Gesetz selig werden soll, immer in Angst und sklavischem Sinn dahin gehen muß und niemals weiß, ob er dem HErrn genug gethan hat, ja oftmals sicher das Gegentheil weiß, und dann in sklavischer Furcht und Zagen vergehen muß. Dagegen ist allerdings frei und ein Freiherr derjenige, für welchen Christus der HErr alles vollbringt, was zur Seligkeit nöthig ist, und ihn mit Seinem Leiden und Thun aus der unerträglichen Sorge um sein ewiges Heil in den tiefen Frieden des ewigen Gewinnes versetzt. –
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 Aus dem allen geht hervor, wie vortrefflich der Charakter der vorbildlichen Personen dem Apostel dienen muß, Judenchristentum und Heidenchristentum einander gegenüber zu stellen. Ebenso dient aber auch das Verhalten und Schicksal der vorbildlichen Personen gegen einander vortrefflich dazu, das Verhalten und endliche Loos der Juden und Judenchristen so wie andererseits der Heidenchristen darzustellen. Ismael ist ein Spötter, ein Verfolger. Wen aber verspottet, wen verfolgt er? Wen anders als seinen Bruder Isaak. Was aber ist an dem zu verspotten? Ohne Zweifel seine wunderbare Geburt, der Vorzug, welchen er bei den Eltern als Sohn der Herrin, als Erbe des großen, reichen Herrn, des Vaters genießt. Es ist ein unverdienter Segen, ein Vorzug, der auf Isaak ruht; der bescheidene, stille| Knabe rühmt sich deßen nicht einmal, gibt keinen Anlaß zum Spott, reizt nicht zur Verfolgung; aber er hat eben den Segen, es ist eben doch sichtlich, daß er ihn hat, und in dieser Thatsache liegt am Ende Anlaß und Reiz genug, zu verfolgen und böse zu sein, wenn irgend wo ein neidisch Herz und Auge lacht; da gibt es denn auch Spott, Hohn und Verfolgung des Kleineren durch den Großen. Der hehre Vater merkt es vielleicht nicht oder schlägt es nicht hoch an, aber Sara merkt es, und sie verträgt es nicht, weil sie ihren Sohn im Lichte der Verheißung und nach all dem Vorrecht ansieht, das ihm der gnädige und barmherzige Gott von Mutterleibe an beizulegen beschloßen hat. Darum eifert sie wider den Spötter, ihren Sklaven, und will ihn sammt seiner Mutter, an und in der sie sich so sehr geirrt hat, nicht blos freigelaßen, sondern ausgetrieben haben. Abraham aber muß ihr durch Gottes selbsteignen Beistand gehorchen. Ismael geht in die Wüste, Isaak bleibt in seines Vaters Hütten. – Gerade so ist es mit den Juden- und Heidenchristen. Da wird ohne Zuthun des Gesetzes wunderbarer Weise zu Antiochia eine zahlreiche Gemeinde von Heidenchristen wie Thau aus der Morgenröthe geboren; kein Petrus, kein Jakobus hätte sich ohne besondere göttliche Offenbarung in so etwas gefunden, aber es ist eben so, der Geist Gottes fällt auf die bekehrten Heiden wie auf die bekehrten Juden am Pfingstfest; der laut redende und unwidersprechliche Beweis ist da, daß nach Gottes Willen auch die Heiden sollen eingeleibt werden in die Kirche Gottes, und das ohne alle Werke allein aus Glauben. Das verträgt der Judenchrist Ismael so wenig als der gemeine Jude. Da gibt es Groll und Haß, Spott, Hohn und Verfolgung, je mehr Isaak heranwächst; der vom Fleisch geborene Sohn Abrahams verfolgt den vom Geiste geborenen. Allein so wenig Ismael gegen Isaak Sieger blieb, so wenig bleibt es der Judenchrist gegen den Heidenchristen. Es wandelt sich die Zeit; bald fällt Jerusalem und der Tempel in Staub, dann hat das Judentum sammt dem Judenchristentum Mittelpunkt und Halt verloren. Der Römer fegt das Land, zerstreut die Judenschaft; was im Jahre 70 Vespasianus und Titus nicht vollbringen, das bringt nach noch einmal siebenzig Jahren Kaiser Aelius Hadrianus zu Ende. Dem Judentum, sowie dem Judenchristentum wird alles genommen, alle Hoffnung, jeder Standpunkt. Nichts bleibt übrig, als für den Juden die Verhärtung, für den Judenchristen Bekehrung zu Paulo oder Aussterben. Sara mahnt, die Oberstadt Jerusalem betet, der HErr ist mit ihr im Bunde, der falsche Ismael geht in die Wüste, wo er stirbt; dagegen Isaak, der aus Gnaden frei geborene, das Heidenchristentum, deßen großer Förderer und Pfleger St. Paulus war, bleibt in des Vaters Hütten, setzt sich sogar in Jerusalem und im heiligen Lande, wird groß und zahlreich in allen Landen, und der Heiden selige Zeit nimmt ihren Verlauf. Es ist ja am Tage, meine lieben Brüder, und die Geschichte beweist es ja, daß es gerade so, nicht anders geschehen ist: der Heidenchrist ist allenthalben Erbe, der Judenchrist geht mit dem Juden in die Wüste, in die Zerstreuung, in’s Verderben.
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 Wenn in der Welt etwas zusammenpaßt, so ist es die Geschichte Isaaks und des Heidenchristentums, die Geschichte Ismaels und des Judenchristentums. Wenn St. Paulus diese Geschichten nach menschlicher Weisheit gewählt und sie mit der Herrlichkeit seiner Deutung angefüllt hätte, so würde man rühmen und preisen müßen, wie gut das Gleichnis gefunden, wie paßend alles ausgelegt sei. Aber würde denn irgend ein Judenchrist dadurch geheilt werden, irgend einer eine andere Ueberzeugung deshalb bekommen, weil der heilige Paulus so witzig und klug wäre in Auffindung von Aehnlichkeiten? Wer wird durch Aehnlichkeiten bezwungen? Würde sich St. Paulus, ein solcher Mann, auch nur die Möglichkeit gedacht haben, die Galater, denen er so viele andere Gründe zur Widerlegung seiner Gegner geschrieben hat, durch dergleichen menschliche Meinungen von ihrem Irrtum abzubringen? Eine solche Hoffnung konnte er nur haben, wenn ihn die Zuversicht beherrschte, in jener Deutung eine göttliche Offenbarung über den geheimen Sinn der alten Geschichten von Isaak und Ismael zu veröffentlichen. Wenn seine Seele von der Deutung als einer göttlichen durchdrungen ist, dann mag er es auch wagen, von andern die Anerkennung zu fordern, dann müßen auch andere seine Zuversicht inne werden und die Beweiskraft seiner Reden erkennen; dann kann er hoffen, mit diesem Beweise durchzudringen, je mehr seine ganze übrige Amtsführung und sein gesammtes Leben Vertrauen erheischt und Ehrerbietung| vor dem Manne fordert, der hier das Wort führt. Es kommt also bei unserm Texte alles darauf hinaus, daß wir die Rede des heiligen Paulus als Gottes eigene Rede, und die geschichtlichen Personen, von denen die Sprache ist, als von Gott berufene Vorbilder und Ideenträger künftiger Zeiten ansehen.
 Brüder, man sagt so gerne, die Episteln der Sonn- und Festtage seien meist aus den zweiten Theilen der apostolischen Briefe genommen, und enthalten für gewöhnlich nichts anderes, als eitel Vermahnungen zu einem christlichen Leben; die Grundlehren der christlichen Kirche, namentlich die der Rechtfertigung allein aus Glauben, käme nicht vor. Daß alles das, so wie es gesagt zu werden pflegt, nicht wahr ist, könnte man leicht beweisen. Noch haben wir erst das Viertel eines Kirchenjahres hinter uns, und wie manche Texte giengen geradezu entweder auf die Lehre von der Rechtfertigung oder auf Lehren, welche es ohne diese gar nicht geben würde, welche ohne sie gar nicht bestehen könnten. Wenn einer aber ein starkes Beispiel davon haben will, so darf er ja nur ganz einfach in den heutigen epistolischen Text sehen. Die Männer und Zeiten, von welchen die Textwahl stammt, hatten in der That noch kein Interesse, die Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben zu leugnen oder zu verdunkeln, wenn es auch ihre besondere Gabe nicht gewesen ist, so davon zu reden, wie es als besondere Gnadengabe dem Manne Luther verliehen ward. Man darf dabei auch nicht vergeßen, daß die Lectionen für eine Kirche ausgesucht wurden, die bereits christlich war und welcher man daher auch die Gnade der Rechtfertigung zuschrieb, von der man glaubte hoffen zu können, daß sie in dieser Lehre und Gnade fest geworden sei. Da war denn der Fortschritt zur Heiligung zu thun, und zu diesem Fortschritt insonderheit zu ermahnen. Indes stimme ich dennoch vollkommen mit den Verächtern der alten Textwahl in dem Einen zusammen, daß man von Rechtfertigung und Gerechtigkeit des Glaubens nicht oft genug lesen und reden kann. Es kann uns gar nicht oft genug gesagt werden, wie vieles und großes für uns auf die Lehre von der Rechtfertigung und auf die Frucht derselben, die Rechtfertigung selbst ankommt. Wir können Lehre und Sache nicht einen Augenblick entbehren, nicht während unseres Lebens, am allerwenigsten aber, wenn wir sterben, nicht wenn wir bei Bewußtsein sind, und nicht wenn wir in Sinnlosigkeit und Befangenheit der Seele dahin sinken müßen, ohne uns helfen zu können. Es ist niemand selig, als dem Gott seine Missethat nicht zurechnet, und den er aus Gnaden von seinen Sünden und der Irrfahrt seines Lebens frei spricht; es kann uns daher allerdings der große Trost der Heidenchristen, die Seligkeit aus Gnaden allein, nicht oft und hoch genug angepriesen, gepredigt und dargelegt werden. Dazu kommt es noch, daß in der That nichts leichter vergeßen wird, und nichts schneller in Dunkelheit zurück fällt, als gerade diese Lehre. Ehe man sich’s versieht, hat einem der Satan den Trost der Rechtfertigung genommen und einem dafür wieder die Angst und sklavische Pein der eigenen Gerechtigkeit gegeben, durch welche nicht allein aller Friede Gottes unmöglich, sondern auch alle Kraft zur Heiligung genommen wird. Wer heilig werden soll, der bedarf vor allen Dingen einen Frieden, der höher ist als alle Vernunft, und die unzerstörbare Ruhe in den Wunden JEsu, welche die Verzweiflung verhindert, Muth und Streben aufrecht erhält, wenn man den Weg zur Heiligung nicht anders als durch Straucheln, Fallen und Auferstehen wandeln kann. Es mag dabei ganz wohl zuzugeben sein, daß mancher Mensch die Ruhe und den Frieden der Rechtfertigung besaß und besitzt, ohne sich richtig und in der lichten Weise der lutherischen Kirche über sie ausdrücken zu können. Es ist etwas anderes gerechtfertigt sein und von der Rechtfertigung nachdem Lichte und Maße Martin Luther’s reden. Wenn man diesen Unterschied nicht machen würde, was für ein Urtheil müßte man über viele Menschen vor Luther haben, die das Kennzeichen der Kinder Gottes tragen und doch so vielfach unrichtig und unklar von der Rechtfertigung geredet oder geschrieben haben? Ihre Liebe, ihre Andacht, ihre Hingebung an JEsum Christum, ihr hoher Friede im Leben und Sterben verwehrt uns das Verwerfungsurtheil, während wir ihnen doch nicht nachreden und nachschreiben dürfen. Gewis würden sie den Frieden und die Liebe, die von ihnen strahlt, gar nicht gehabt haben, wenn sie Gott in Seinem Heiligtume nicht gerechtfertigt hätte, wenn die Gnade der Rechtfertigung nicht in still verborgenem| Glanze ihre Seele erfüllt hätte. Je reiner das Herz, desto gewißer besitzt es die Gerechtigkeit des Glaubens. Aber allerdings auch, je offener, je sehender das Auge, desto klarer erkennt es seinen Schatz. Desgleichen je lichter, weiser, je wohlwollender, je liebreicher der Mensch, der Seelenhirte, desto mehr erklärt, bewährt, preist und predigt er den geliebten Brüdern die theure Lehre St. Pauli, den Trost der Heidenchristen, die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt und dem Glauben zugerechnet wird. Wer könnte, wer wollte auch von dieser laßen? Ich Heidenchrist, ich Prediger für Heidenchristen kann es nicht und will es nimmermehr. Mein gut Gewißen ist ein sanftes Ruhekißen im Leben und Sterben; aber mein Gewißen ist nicht das Bewußtsein meiner Werke, sondern die Gewisheit, daß mir das Blut JEsu Christi des Sohnes Gottes meine Seele gereinigt hat von allen todten Werken. Zu demselben guten Gewißen berufe, ermahne, locke und lade ich auch euch, ihr Heidenchristen, und verspreche euch Heil und Frieden, Freude und Stärke von demselben Blute Christi und der Erkenntnis der Gerechtigkeit, die alle unsre Väter selig gemacht hat, so viele ihrer selig geworden sind. Davon reden wir so Gott will noch mehr, wenn wir die Epistel des nächsten Sonntags mit einander betrachten. Diese Woche aber laßt uns fröhlich dahin gehen und dem HErrn dafür ohne Unterlaß danken, daß wir Isaak nach Kinder der Verheißung geworden sind. Amen.




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