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Enthüllungen zur Konitzer Mordaffaire

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Gustav George
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Titel: Enthüllungen zur Konitzer Mordaffaire
Untertitel: Auf Grund eigener Ermittlungen und Beobachtungen
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1903
Verlag: Georg Koenig
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Erscheinungsort: Berlin
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Originalherkunft:
Quelle: Scan des Exemplars der Universitätsbibliothek Bonn auf commons
Kurzbeschreibung: In der Konitzer Mordaffäre 1900/02 eskalierten die aus dem Mittelalter tradierten Ritualmordbeschuldigungen gegen Juden zu Pogromen.
Siehe auch Judaica
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  • Der Autor Gustav George hat das zweite Kapitel seines Textes „Die Konitzer Mordaffaire“ genannt. Er hat dieses Kapitel in systematische Abschnitte gegliedert, diesen aber keine Überschriften zugeordnet. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden diese aus dem Kontext gebildet.

Inhalt

Vorwort

|[3] Den Schlußakt des Konitzer[1] Dramas nannte der Verleger Bruhn[2] in seiner Vertheidigungsrede den kürzlich vor den Berliner Gerichten gegen ihn zu Ende geführten sensationellen Beleidigungsprozeß. Er hat zweifellos Recht mit seiner Behauptung, wenigstens insofern Recht, als mit diesem Prozeß endlich die von Anbeginn der Affaire an von antisemitischer Seite aus so hartnäckig gegen die unglückliche Familie Levy erhobenen wahnwitzigen Beschuldigungen gewissermaßen zum Abschluß gekommen sind. Damit ist aber nach Ansicht vieler Leute, und zwar nicht blos von Antisemiten, überhaupt die ganze Konitzer Mordaffaire zum Abschluß gekommen. Denn man wird schwerlich fehl gehen in der Annahme, daß das Gros der deutschen Zeitungsleser die Konitzer Mordaffaire zuletzt nur noch unter dem Gesichtswinkel gesehen und beurtheilt hat: „Ist die Familie Levy wirklich an der Ermordung des jungen Winter betheiligt oder nicht?“

Alle die bisher auf den Hintergrund dieser traurigen Affaire erwachsenen Monstreprozesse, die Meineidsprozesse Speisiger, Maßloff, Moritz Levy etc. haben sich ja im Grunde nur um den Versuch einer Beantwortung dieser Frage gedreht, und auch die in dem letzten Sensationsprozeß gegen die „Staatsbürger-Zeitung“ mit so großer Ausdauer erörterte und ventilirte Frage: „Haben sich die mit der Untersuchung betrauten Beamten grobe Fehler und Verstöße gegen die Elementarregeln der kriminellen Praxis zu Schulden kommen lassen?“ ist doch nur von diesem Gesichtspunkt aus gestellt und beantwortet worden.

Die Episode Levy bildet aber in Wahrheit nur ein Bruchstück aus dem großen Konitzer Mord-Drama. Will man sich über das Letztere wirklich ein leidlich klares, einigermaßen zutreffendes Urtheil bilden, dann muß man auch die Uebrigen, in dieser traurigen Affaire zu Tage getretenen Momente einer sorgfältigen, unbefangenen Prüfung unterziehen. Diesem Zweck zu dienen, ist die vorliegende kleine Schrift in erster Linie bestimmt. Auf Grund meiner eigenen, unmittelbar nach der Mordthat längere Zeit an Ort und Stelle von mir angestellten Ermittelungen, sowie der dabei gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen über die im Vordergrund der Konitzer Ereignisse stehenden Persönlichkeiten will ich versuchen, auch dem Fernestehenden ein klares, anschauliches Bild der vielumstrittenen Konitzer Vorgänge zu entwerfen.

|[4] Ich habe nicht die Absicht, die Zahl der über dieses Thema bereits vorhandenen Streitschriften durch die Publizirung meiner eigenen Wahrnehmungen um eine neue zu vermehren; ich habe aber auch nicht die Absicht, den Leser ausschließlich mit der trockenen chronologischen Aneinanderreihung der Ereignisse zu langweilen. Die Konitzer Mord-Affaire fordert an sehr vielen Stellen thatsächlich die Kritik heraus, und ich werde von dem Recht, sie anzuwenden, überall Gebrauch machen, wo ich das im Interesse der Sache für angebracht halte. Aber es ist lediglich streng sachliche Kritik, die ich übe, konfessionelle oder Partei-Rücksichten kommen dabei nicht zum Wort.

Die Veröffentlichung der nachstehenden Aufzeichnungen war schon früher geplant, ist aber bisher mit Rücksicht auf den Gang der immer noch nicht endgiltig abgeschlossenen Untersuchung unterblieben. Jetzt kommen meiner Ansicht nach derartige Bedenken nicht mehr in Frage, und so übergebe ich denn hiermit die kleine Schrift der Oeffentlichkeit in der stillen Hoffnung, daß, wenn sie auch selbstverständlich zur Klärung der nun leider einmal rettungslos verfahrenen Konitzer Mord-Affaire nicht mehr viel beitragen kann, sie doch für die Beurtheilung und Behandlung der nächsten Ritualmord-Affaire einige nützliche Fingerzeige geben kann. Denn Herr Bruhn mag ein noch so schlechter Prophet sein, darin hat er zweifellos Recht; daß wir wahrscheinlich in einigen Jahren in irgend einem anderen deutschen Erdenwinkel genau dasselbe Ereigniß sich werden abspielen sehen, wie eben jetzt in Konitz. Nicht Aufklärung der Massen, nicht zunehmende Bildung, sondern lediglich die völlige zweifelsfreie Aufklärung eines der einmal als Ritualmord angesprochenen Verbrechen ist meiner Ansicht nach das rechte Mittel, dem zähen Glauben des Volkes an der Ritualmordlegende[3] am besten den Garaus machen.

Die genaue Kenntniß des bei früheren Affairen dieses Schlages amtlich und privater Seits gemachten Fehler, ist aber jedenfalls das sicherste Mittel, ein solches Ziel endlich einmal zu erreichen. Sehr zu wünschen wäre es ja, wenn man sich amtlicherseits endlich dazu entschließen würde, eine aktenmäßige, authentische Darstellung jedes einzelnen der drei letzten deutschen Ritualmorde[4] zu geben. Denn auch die bestgemeinte Darstellung eines Privat-Rechercheurs wird immer nur – wie nun einmal in der Beziehung die Verhältnisse in Deutschland liegen – einer solchen ins Riesenmächtige gewachsenen Kriminal-Affaire gegenüber ein Nothbehelf sein.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. [Siehe den Artikel zu Konitz in Wikipedia]
  2. [siehe den Artikel Wilhelm Bruhn in Wikipedia]
  3. [Siehe den Artikel Ritualmordlegende in Wikipedia]
  4. [Der Autor meint die Ritualmordvorwürfe von Skurz (1885), Xanten (1891) und Konitz. Wikipedia-Artikel: Xantener Ritualmordvowurf]