Elmire und Selinde
Mit ihren Kränzen in den Haaren,
Erschienen einst vor Charons Kahn
Zwo Jungfern in den besten Jahren,
Und wollten eilends überfahren.
Sah seine Schönen freundlich an:
Ihr Kinder, kommt ihr gar zu Paaren?
Was hat euch denn die Oberwelt gethan?
Vor kurzem kam ein hübscher Jüngling an;
War dieses etwan dein Galan?
Ich möcht es bald aus deinen Augen lesen.
Und du dort, lächelndes Gesicht,
Nicht wahr, ihr seyd verliebt gewesen?
Mein Herr, was will er mit der Liebe?
Fiel ihm Elmire hitzig ein.
Kann man denn ohne diese Triebe
Kein schön und glücklich Mädchen seyn?
Ich kann es ihm durch einen Eid versichern,
Daß ich, bey meinem hohen Stand,
Dank seys der Tugend und den Büchern!
Die Liebe nicht gewünscht, noch weniger gekannt.
Da ich die Liebe stets verschmäht:
Verschon er mich mit solchen Fragen,
Wovon vielleicht Selinde mehr versteht.
Mein Schäfer war, wie man in unsrer Sprache spricht,
Mein größter Wunsch, und ich sein Glück, und sein Gedicht.
Ich gab ihm oft Gelegenheit zum Küssen,
Und that, als wollte michs verdriessen;
Ich zürnte, wenn er zärtlich redte,
Und hätte doch geweint, wenn er geschwiegen hätte.
Ich schalt ihn, daß er mir von nichts als Liebe schrieb,
Und meinen Reiz in Liedern übertrieb;
Ich ließ mich oft von ihm nachläßig überschleichen,
Und floh geschwind, und ließ im Weichen
Geschickt ihm Zeit, mich zu erreichen.
So hab ich unschuldsvoll, bis mich der Tod ereilt,
Gut, fieng der Fährmann an, gleich wird sichs offenbaren,
Wer unter euch den Kranz mit Ehren trägt.
So bald ich meinen Kahn bewegt:
So wird er der, die nicht mit Recht ihn trägt,
Kommt, Kinder, kommt, damit wir sehn!
Den Augenblick riß ihn Elmire von den Haaren;
Allein Selinde ließ ihn stehn.