Einsegnungsunterricht 1917/7. Stunde
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Es ist etwas Großes, um Sprache, um Wort, um Lehre und zwar schon auf dem natürlichen Gebiet. „Die Sprache,“ hat Luther gesagt, „ist die Scheide, darinnen das Schwert des Geistes steckt.“ Die Sprache ist die Fähigkeit den Gedanken Ausdruck zu geben. Man hat sie das Zepter der Menschheit genannt, nämlich das Abzeichen der ihr verliehenen Herrscherwürde über die irdischen Dinge, die der Mensch erkennen und benennen kann. Und das Wort sodann ist der Ausdruck des Gedankens. Das Wort – was kann es ausrichten? Ein Wort, ob nun im Bösen oder im Guten, wieviel kann es beitragen zur Förderung oder Hinderung einer Sache. Durch Belehrung kann man dann auch andere überzeugen, ihre Kenntnisse erweitern, sie in ihren Anschauungen festigen oder auch sie irreleiten. Ebenso ist Sprache, Wort und Lehre wichtig auf dem Gebiet des geistlichen Lebens. Der Herr Jesus erwartet von seinen Hörern, daß sie seine Sprache verstehen, seine Stimme erkennen. Er hat in sein Wort eine Kraft des ewigen Lebens gelegt durch seinen Geist, sodaß aus seinem Wort der Glaube kommt. Er hat seinen Jüngern aufgetragen zu lehren alle Völker, durch Lehre sie auch zu seinen Jüngern zu machen.
| Wenn aber Gott im Wort zu uns spricht, so dürfen wir auch unsererseits in Worten zu ihm reden. Das ist dann der höchste Gebrauch, den der Mensch von der Gabe der Sprache machen kann, daß er Gott gegenüber sich aussprechen, vor ihm sein Herz ausschütten kann. Das geschieht eben dann, wenn er es wagt das was ihn bewegt und erfüllt, in Worten auch vor Gott zu bringen im Gebet. Das ist das Große, daß die Gottesgemeinschaft eine gegenseitige sein darf. „Nahet euch zu Gott, so nahet er sich zu euch.“ Er redet zu uns in seinem Wort, wir dürfen zu ihm reden im Gebet. Im Gebet übt und pflegt der Einzelne die Gemeinschaft mit Gott und die Uebung und Pflege der Gemeinschaft mit Gott vonseiten der Gemeinde, das ist der Gottesdienst. Wenn das Ergebnis der Reformation der Kirche, wie wir heute früh zu zeigen versuchten, nun wirklich eine Kirche der Reformation geworden ist, so muß dieselbe auch einen Gottesdienst haben und die Möglichkeit dazu ist ihr reichlich geschenkt.Wir sprechen heute
und fassen ins Auge:
- 1. die Entwicklung des gottesdienstlichen Lebens bis zur Reformation,
- 2. die Wesensbestandteile des Gottesdienstes der Kirche der Reformation,
- 3. die Ausgestaltung des Gottesdienstes der Kirche der Reformation.
Die Einfachheit und Freiheit des patriarchalischen Gottesdienstes mußte später dem gesetzlichen Gottesdienst weichen. Da waren die genauesten Vorschriften gegeben über die heiligen Personen – Priester, Leviten –, über die heiligen Handlungen – Reinigungen, Opfer jeder Art –, über die heiligen Orte – die Stiftshütte, späterhin den Tempel –, über die heiligen Zeiten durch die Gesetze über die Feste. Was bisher freiwillig aus dem Herzen hervorbrach, wurde gesetzlich geordnet, ja zum Teil wie ein gesetzliches Joch dem Volke auferlegt. Die Neigung des Volkes zu falschem Gottesdienst beweist, daß dieser Gottesdienst nicht von selbst im Volk erwuchs, sondern ihm als göttliche Forderung auferlegt war. Im Zusammenhang damit gab es einen besonderen Priesterstand und Priesterstamm. Gleichzeitig mit dem Priestertum entsteht auch die Prophetie, der gegeben war in freier Geisteswirkung dem Volk daneben das Wort zu verkündigen, aus dem später die Schrift erwachsen könnte.
Es war ein Fortschritt in der Gottesdienstordnung des Alten Bundes, als durch den König nach dem Herzen Gottes in Jerusalem der Gottesdienst weiter ausgestaltet wurde, erst durch David in der Stiftshütte und dann durch Salomo im Tempel. Was David und Salomo hinzufügten, war besonders der heilige Gesang und die heilige Musik und damit war eine schon weitere Grundlage des neutestamentlichen Gottesdienstes gegeben. Nun da der Gottesdienst in den Mittelpunkt des Volkes gestellt war, konnte der Tempel die Stätte werden, da das Volk zusammen kam und wie freute sich das Volk darüber. „Ich freue mich des, das mir geredet ist“ Ps. 122. Da rühmen sie die schönen Gottesdienste des Herrn, die ihre Seele labten. Freilich diese schöne Ausgestaltung des alttestamentlichen Gottesdienstes, entging auch mancherlei Verderbnis durch Abgötterei und falschen Gottesdienst nicht.
Wieder einen Schritt weiter geht der Gottesdienst in der babylonischen Gefangenschaft. Da war Israel 2 Menschenalter hindurch ohne Tempel, ohne den geordneten Opferdienst des alten Bundes; aber dafür nahm es das Wort, das durch die Propheten geschrieben war, mit hinaus in die babylonische Gefangenschaft und es bildete sich – doch wohl in der babylonischen Gefangenschaft – der Synagogengottesdienst, der darin bestand, daß man sich, wo Juden in größerer Zahl wohnten, am Sabbat zusammenfand zum Lesen des Gesetzes und der Propheten. Ohne besonderes göttliches Gebot, wie von selbst, entstand dieser Synagogen-Gottesdienst, von dem man sagen kann, daß in ihm der alte Bund über sich selbst| und seine gesetzliche Enge hinausstrebte. So hat auch der neutestamentliche Gottesdienst fast mehr an den Synagogengottesdienst als an den Tempelgottesdienst sich angeschlossen, obwohl das Alte Testament dem neutestamentlichen Gottesdienst auch durch den Tempelgottesdienst im Psalmengesang schönes dargereicht und damit den Anfang und die Grundlage eines liturgischen Gottesdienstes gegeben hat. 2. Mose 12, 26 (Wenn eure Kinder werden zu euch sagen: Was habt ihr da für einen Dienst?) findet sich in hebräischer Sprache erstmals das Wort, das im Neuen Testament mit Liturgie (öffentlicher Dienst) wiedergegeben wird vergl. Ap.-G. 13, 2 von der Gemeinde in Antiochien: „Da sie aber dem Herrn dieneten und fasteten“, also heiligen Gottesdienst verrichteten. Im Neuen Testament war nun der wahre Gottesdienst ermöglicht, der Gottesdienst, der im Geist und in der Wahrheit geschah. Im Alten Testament hatte das Gesetzeswort gegolten (2. Mos. 20. 24) „denn an welchem Ort ich meines Namens Gedächtnis stiften werde, da will ich zu dir kommen und dich segnen“. Im Neuen Testament dagegen heißt es Matth. 18, 20 „Wo 2 oder 3 versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“. Das kann der Herr erfüllen durch seinen Geist, der wirksam ist in Wort und Sakrament. Kein Gesetz über den Gottesdienst hat der Herr seiner Gemeinde gegeben; nicht einmal über den Sonntag hat er irgend eine Vorschrift erteilt. Nicht Forderungen, nicht Gesetze wollte er seiner Kirche zurücklassen, Gaben vielmehr ließ er ihr und hat ihr alles geschenkt, was die Gestaltung eines lebendigen Gottesdienstes im Geist und in der Wahrheit ermöglichte. Zu dem, was das Alte Testament bot durch die Psalmen und den Synagogengottesdienst, bei welchem schon für jeden Sabbat 2 Lektionen festgesetzt waren, eine aus dem Gesetz und eine aus den Propheten, läßt der Herr seiner Gemeinde das Große zurück: sein Wort, die heiligen Sakramente, das Schlüsselamt, überhaupt das Amt des Neuen Testaments, Recht und Freiheit des Gebetes und sogar auch ein wörtlich fixiertes Gebet im heiligen Vaterunser. So hat der Herr seiner Gemeinde das zurückgelassen, woraus der Gottesdienst des neuen Bundes sich gestalten konnte unter dem doppelten Gesichtspunkt dessen, was Gott den Seinen gibt in Wort und Sakrament und was die Gemeinde ihm wieder darbringt in Lob und Bitte. Das eine sind die sakramentalen oder Gnade darbietenden, das andere die sakrifiziellen oder Opfer darstellenden Bestandteile des Gottesdienstes. Und es zeigt sich ferner der Unterschied, daß das Amt des Wortes sein Werk übt und doch auch die ganze Gemeinde beim Gottesdienst soll tätig sein; dann wieder die freie Bezeugung des Heils durch des Geistes Wirkung und doch wieder die gebundene Form, durch das, was der Herr selbst in klaren, bestimmten Worten seiner Gemeinde dargeboten hat. Eine Vorstellung vom Gottesdienst der apostolischen| Zeit können wir uns am ersten aus 1. Kor. 14 und Apg. 20, 7ff. machen. Ordnung, heilige Ordnung soll herrschen. Es soll alles wohlanständig und der Ordnung gemäß zugehen, sagt Paulus. Diese Ordnung handhabten die Aeltesten der Gemeinde; aber jeder den der Geist erfüllte und trieb konnte das Wort ergreifen zu Weissagung, Lehre, Mahnung, Gebet. Auch Gesang wird Epheser 5 als Bestandteil des Gottesdienstes ausdrücklich genannt. Dort sind neben den Psalmen, unter denen doch wohl die alttestamentlichen Psalmen zu verstehen sind, Hymnen und Oden aufgeführt oder wie Luther übersetzt: geistliche, liebliche Lieder. Hymnen sind Festgesänge, Oden schwungvolle Lieder und Gedichte. – Anfänglich waren die Gläubigen täglich beisammen teils im Tempel, teils im engeren Raum, später findet der eigentliche Gottesdienst am Sonntag statt. Die erste Erwähnung in der Schrift findet sich 1. Kor. 16, 2, Apg. 20, 7; erstes außerbiblisches Zeugnis ist der Brief des Plinius an den Kaiser Trajan, aus dem wir hören, daß am Sonntag schon früh vor Sonnenaufgang, dann des Abends nach Sonnenuntergang die Christen sich gottesdienstlich versammelten, da der Tag für sie damals noch nicht frei von der Arbeit sein konnte. Sonntäglich auch beging die Gemeinde Christi die Feier des heiligen Mahles im Anschluß an eine Agape, ein Liebesmahl, an welchem die Gemeinde wie eine große Familie, wie Gottes Volk und Hausgesinde sich zusammenfand. Lange konnte der christliche Gottesdienst in dieser Freiheit und Eigenartigkeit nicht bleiben. An die Stelle der Ergüsse geisterfüllter Männer mußte die studierte Rede mit Notwendigkeit treten. Der abendliche Gottesdienst mußte aufgegeben werden, teils wegen der damit verknüpften Gefahren und Mißstände teils auf Grund eines kaiserlichen Ediktes, welches geheime Versammlungen verbot. Justin der Märtyrer, † 166, gibt uns einen kurzen Bericht über den Gottesdienst seiner Zeit, der die Gestalt trug, wie ihn die Reformation wieder einzuführen bestrebt war. Er hatte 2 Teile, die missa catechumenorum und die missa fidelium. Der 1. Teil war Predigt- und öffentlicher Gottesdienst, an dem auch Heiden, Katechumenen und die in Kirchenzucht Befindlichen teilnehmen konnten. Der 2. Teil war die Abendmahlsfeier, bei welcher die Genannten den Gottesdienst verlassen mußten. Die Versammlung ist entlassen, „concio missa est“ rief an dieser Stelle der Diakon. Daher behielten die beiden Doppelteile des Gottesdienstes die Benennung Messe. Bestimmte Ordnungen wurden schon sehr frühe festgesetzt. Wir besitzen noch die sogen. apostolischen Konstitutionen, die in der jetzigen Form zwar erst dem 4. und 5. Jahrhundert angehörig sind, von denen aber manche Bestandteile bis ins 2. Jahrhundert zurückreichen. Da finden wir schon eine Fülle gottesdienstlicher Ordnungen. – Die Predigt wurde fleißig geübt. Der hervorragendste Prediger des Morgenlandes war der Bischof Johannes| Chrysostomus in Konstantinopel † 407, ein Mann, der mit Ernst die Sünde strafte auch gegenüber dem kaiserlichen Hof, weshalb er in der Verbannung starb. Nebenbei gesagt erfahren wir aus seinen Predigten, daß damals die häßliche Sitte bestand, die so recht den Griechen gleichsieht, daß die Zuhörer an besonders schönen Stellen in Beifallsrufe ausbrachen, die einmal Chrysostomus sich verbittet. Die hervorragendsten Prediger des Abendlandes waren Ambrosius, Bischof von Mailand † 397 und Augustin, Bischof von Hipporegius † 430. Doch trat allmählich die Predigt immer mehr zurück, je mehr die liturgische Ordnung einseitig ausgebildet wurde. Mit der fortschreitenden Verweltlichung der Kirche entstand auch für den Gottesdienst die Gefahr der Veräußerlichung. So vollzog sich die weitere Ausbildung des Gottesdienstes in den Klöstern, in die anfangs diejenigen sich flüchteten, die von dem beginnenden Verderben der Kirche sich freihalten wollten. Viele der schönsten Bestandteile der mittelalterlichen Liturgie wie die Horen, die Tagesgottesdienste, über die man sich aus dem Eingang unserer Gottesdienstordnung näher unterrichten kann, sind ursprünglich Betstunden der Klostergeistlichkeit gewesen.Im Morgenland, also in der griechischen Kirche, ist die herrliche Liturgie, die sie besitzt, sozusagen versteinert, nämlich so veräußerlicht, daß nur Chor und Geistlichkeit diese Liturgie gewissermaßen aufführt, während die Gemeinde ganz unbeteiligt bleibt, ja vielfach nicht einmal die Sprache versteht, da z. B. in Rußland die Gottesdienste nicht in russischer sondern in altslavonischer Sprache gehalten werden, die Predigt aber ganz fehlt. – Im Abendland wird mehr und mehr die Vorherrschaft der Messe bemerklich, die das Morgenland auch kennt und ihren Irrtum teilt, sie aber doch nicht in dem Maß in den Mittelpunkt gestellt hat wie die römische. Dadurch wurde zwar dem Gottesdienst eine reiche Liturgie gesichert und erhalten, aber von der Wahrheit stark abgewichen, da eine Anbetung dessen im Mittelpunkt steht, was, von dem falschen Opfergedanken gar nicht zu reden, der Herr nicht zur Anbetung sondern nur zum Empfang, zum Essen und Trinken und zur Stärkung des Glaubens seiner Gemeinde verordnet hat. Hier war es die Aufgabe der Reformation reinigend und erneuernd einzugreifen, nicht abzuschaffen, wie die reformierte Kirche tat, sondern zu reformieren, auf das Ursprüngliche zurückzugehen und doch zugleich weiter zu führen.
Wir reden nun
von den Wesensbestandteilen des Gottesdienstes der Kirche der Reformation.
In der mittelalterlichen Kirche war das Gesetz durchweg wieder herrschend geworden und alles Aeußere im Gottesdienst war gesetzlich| geregelt, bis auf die Einheit der Sprache, da die Messe überall lateinisch abgehalten wird und bis auf die einzelnen Bewegungen der Hand, die der Priester zu vollbringen hat und die genau bestimmt sind. Die Reformation schaffte das Meßopfer ab und die Abschaffung des Meßopfers bezeichnete in vielen Städten die Einführung der Reformation. Oefters unterbrach die Gemeinde durch den Gesang evangelischer Lieder, besonders des Liedes: „Es ist das Heil uns kommen her“, die päpstliche Messe. Aber Aufgabe der Reformation war es nun dafür Besseres, Richtigeres der Gemeinde zu bieten. Von des Gesetzes Joch hat die Reformation die Kirche befreit und sie hat nicht ein neues gesetzliches Joch auflegen wollen. So haben wir auch von der Reformation zu sagen, daß sie der Gemeinde des Herrn neue Gaben dargebracht hat, die Wesensbestandteile des Gottesdienstes sein konnten.Wir könnten neben den Liedern noch die Gebete der Reformation nennen, von denen wir Luther selbst eine Anzahl tiefer und doch einfacher Gebete zu danken haben. Der Anfang der Gebetbücher unserer Kirche geht auch auf die Reformationszeit zurück. Nur Festgebete hatte man damals noch nicht; es sollte anfänglich immer das Sonntagsgebet gebraucht werden. Das sind die Elemente, die Grundbestandteile des evangelischen Gottesdienstes, welche die Kirche der Reformation von Gott geschenkt erhielt und die sie dann den Christen darbot. Es handelte sich nun darum aus diesen Elementen den Gottesdienst richtig auszugestalten.
Von der Ausgestaltung des Gottesdienstes der Kirche der Reformation haben wir noch zu reden, nur daß wir gleich bedauernd sagen müssen, daß die Ausgestaltung dem Anfang, der die Hauptbestandteile bot, nicht ganz entsprochen hat. Es steht auch die Gottesdienstordnung unter dem Wechsel der Zeit und hat an der menschlichen Unvollkommenheit teil. Zu einer einheitlichen Gestalt der Gottesdienstordnung konnte es bei dem ganzen Gang der Reformationswerkes nicht kommen und sollte es auch nach Gottes Willen nicht.
Erst wurden gelegentlich einzelne Ordnungen für gottesdienstliche Handlungen dargeboten und erst in den 30er Jahren des Reformationsjahrhunderts, nach dem Religionsfrieden zu Nürnberg von 1532, folgten die ausführlichen Kirchenordnungen, wie die schon erwähnte Brandenburg-Nürnbergische, von Brenz verfaßt. Neben ihm ist Bugenhagen Verfasser vieler evangelischer Kirchenordnungen, wodurch er sich ein ansehnliches Verdienst erworben hat. Das erste, was Luther herausgab als Gottesdienstordnung ist das Taufbüchlein. Es lag ihm viel daran, daß die Taufe nicht so leichtsinnig und sinnlos vollzogen werde. Davon, daß bei der Taufe so andachtslos verfahren wurde, kommt, wie er sagt, nicht zum geringen Teil das Verderben der Kirche her; denn, wenn auch die Gültigkeit der Taufe nicht auf der Andacht der Teilnehmer beruht, sondern auf dem Wort der Stiftung Jesu Christi, so ist es doch keine Frage, daß, wenn es mechanisch hergeht, die Wertschätzung heruntergedrückt wird. In der ersten Ausgabe des Taufbüchleins sind noch mancherlei Zeremonien beibehalten, die er in der 2. Ausgabe getilgt hat. Ein sehr schönes Gebet von der Bedeutung des Wassers ist offenbar von Luther selbst, da es sich nirgends anders vorher nachweisen läßt. – Merkwürdig bleibt, daß in Luthers Taufbüchlein die Einsetzungsworte der Taufe nicht vollständig zur Verlesung kommen. Nach| Ordnung und Form unserer Landeskirche sind sie dem Eingang vorangestellt. Daß Luther sie nicht besonders anführte, ist nicht Vergeßlichkeit von ihm, wie manche meinten; er hat es vielmehr so angesehen, daß das Wort, das zum Element hinzutreten muß, die Taufformel, das Austeilungswort sei: „Ich taufe dich im Namen des dreieinigen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“, wie er auch beim heiligen Abendmahl als dies Wort nicht die Konsekration, sondern die Spendeformel ansah und die Konsekration nicht besonders wertete, obwohl er sie stehen ließ und auch schon in der deutschen Messe hat. Dagegen behielt Luther die Abrenunziation, die feierliche Absage, in der heiligen Taufe bei und wer Luthers Taufbüchlein hochhält, wird diese für das christliche Leben so wichtige Entsagung nicht fallen lassen, nachdem sie leider in unserer Landeskirche im Gebrauch gewaltig zurückgeht. Aber Luther behielt auch den Exorzismus bei der Taufe bei, der oft fälschlich, manchmal auch böswillig, mit der Abrenunziation verwechselt wird. Exorzismus ist die feierliche Teufelaustreibung: „Ich beschwöre dich, unreiner Geist, daß du ausfahrest von diesem Diener Jesu Christi“. In der alten Kirche war sie früh gebräuchlich und ist bei Heidentaufen sehr wohl verständlich, da man annehmen darf, daß die im Heidentum Herangewachsenen vielfach mit Werk und Wesen des Argen verquickt sind, ja sich ihm als Wohnstatt und Werkzeug ergeben haben. Aber freilich hat schon zur Reformationszeit ein Teil, die mehr von der Schweiz her beeinflußten Männer, den Exorzismus abgelehnt und unsere Kirche hat ihn allmählich fallen lassen und gewiß nicht mit Unrecht. Denn unsere Täuflinge sind Christenkinder, von denen man nicht annehmen kann, daß sie, die durch Gebet dem Herrn schon zuvor empfohlen sind, vom bösen Geist besessen seien. Etwas anderes ist die Abrenunziation, die Absage gegenüber dem Feinde Gottes, die wir nicht fallen lassen wollen. – 1526 folgte das wichtige Büchlein die deutsche Messe, ein Versuch einer deutschen Gottesdienstordnung im Anschluß an die römische Messe, also an das geschichtlich Gewordene. Luther hat hier die Abendmahlsfeier so einfach wie möglich mit schöner Vermahnung, auch mit einer Paraphrase (Umschreibung) des Vaterunsers ausgestaltet.Eine einheitliche Form des Hauptgottesdienstes ist, wie wir sagten, in der Kirche der Reformation nicht zustande gekommen. Es war besonders sehr verschieden die Stellung des Sündenbekenntnisses im Gottesdienst. In den meisten Kirchen Norddeutschlands hat heute noch das Sündenbekenntnis seine Stellung nach der Predigt vor dem allgemeinen Kirchengebet. Wenn man das Sündenbekenntnis nach der Predigt die Stelle der allgemeinen Beichte vor der Abendmahlsfeier vertreten ließe, so wäre diese Stellung zu rechtfertigen. Für den gewöhnlichen Hauptgottesdienst, der ohne Abendmahlsfeier gehalten wird, wird sich diese Stellung nicht rechtfertigen lassen. Es ist Löhes Verdienst und Werk, das Sündenbekenntnis an den Anfang gestellt zu haben. So ist es in der römischen Messe und in einzelnen wenigen reformatorischen Kirchenordnungen, wie der des Andreas Döber am Spital (der Heiliggeistkirche) in Nürnberg 1525. Diesem Vorgang folgend hat Löhe die uns bekannte Stellung des Sündenbekenntnisses gleich am Anfang des Gottesdienstes vorgezogen und es ist das der schönste Gedanke für den Gottesdienst. Das erste, was die Gemeinde tut, wenn sie sich zusammenfindet im Namen des Herrn, das ist, daß sie sich reinigt von ihrer Sünde um als heilige Gemeinde Gottes ihren Dienst vollbringen zu können.
Das Singen der Kollekte hat Luther eine Zeitlang unterlassen. Später fiel es auf, daß er mit einem Male die Kollekte wieder sang. So ist das Singen der Kollekte auch geblieben. Etwas zu viel wurde bei der Liturgie gesungen, nach Luthers Deutscher Messe wurde auch das Evangelium und die Epistel gesungen, ebenso das ganze nizänische Glaubensbekenntnis. Luther hat das letztere wie schon gesagt, in ein Lied umgedichtet und so ist in den meisten lutherischen Kirchen das Sprechen des Glaubensbekenntnisses abgekommen. Es ist wieder Löhes Verdienst, daß das Sprechen empfohlen und in Gebrauch gekommen ist, überhaupt ein größerer Gebrauch vom Sprechen in der Liturgie gemacht wird. Ganz wollte Luther das Sprechen nicht ausschließen. Auf die Litanei, die korrigierte lateinische Litanei, hat er viel Gewicht gelegt und dann die deutsche Litanei, die nicht ganz gleich ist, selbständig ausgearbeitet.
Weiter muß noch hervorgehoben werden, daß die Privatbeichte von den Vätern unserer Kirche beibehalten und nicht abgeschafft werden wollte; das steht in der Augsburger Konfession mit klaren Worten. Daß man sie ausschließlich und halbzwangsweise brauchte, insoferne jeder zur Privatbeichte gehen mußte, so| oft er zum Sakramente ging, das war wohl ein Mißgriff. Die Reformatoren hatten es sich mehrfach überlegt. Sie wollten sie beibehalten aus erziehlichen Gründen um des Volkes und der Jugend willen in der Erkenntnis, daß die Kirche nur so in erziehlicher Weise kräftig einwirken kann. Abgeschafft wurde sie erst durch den Nationalismus und am spätesten in den fränkischen Ländern, in Berlin schon 100 Jahre früher als in Ansbach, in Ansbach 1790 und in Nürnberg noch etliche Jahre später, in Nürnberg freilich mit der Wirkung, daß die Kommunikantenzahl sofort um die Hälfte zurückging.Zu einer einheitlichen Verfassung ist unsere Kirche nicht gelangt und nicht zu einer einheitlichen Gottesdienstordnung. Es soll Freiheit im Gottesdienst walten, nur keine Freiheit, die zur Willkür wird. Eine von Gott zusammengeführte Landeskirche müßte eine gewisse Einheitlichkeit sich bewahren, doch sei auch Freiheit gestattet. Das Liturgische des Gottesdienstes in reicherem Maße wieder zu verwenden, den Psalmengesang wieder einzuführen, hat sich Löhe besonders zum Ziele gesetzt; durchführbar hat sich diese Ordnung nur in Diakonissenhäusern und in den separierten Gemeinden erwiesen; das Gros der Landeskirchen hat sich dafür nicht sehr verständnisvoll gezeigt bis auf diesen Tag. Es bleibt Löhe’s großes Verdienst die Gottesdienste unseres Hauses herrlich ausgestaltet zu haben. Mit der Privatbeichte verhält es sich ähnlich, ebenso mit dem häufigeren Empfang des Sakramentes. Wollen wir uns freuen, daß wir in unserem Hause ein so reiches gottesdienstliches Leben besitzen; möchte es recht geschätzt und gebraucht werden!
Ich kann sagen: Ein Segen einer besseren liturgischen Ordnung ist vor allem die reichere Darbietung des Wortes Gottes. Wie wird das Wort Gottes in die Herzen gesungen durch den Psalmengesang, viel mehr angeeignet, als wenn man sie liest. Und zu wieviel Lektionen gibt unsere liturgische Ordnung Raum. Unterweisung der Gemeinde im Gebetsleben ist weiter ein wichtiger Segen der liturgischen Ordnung. Die Möglichkeit der Beteiligung der Gemeinde selber am Gottesdienst durch Sprechen, das ist recht eigentlich der Grundgedanke der Liturgie. Das ist nicht katholisch, sondern evangelisch. Es ist merkwürdig, daß die katholische Kirche im Gegensatz zu ihrem Amtsbegriff der Gemeinde ziemlich viel Beteiligung am Gottesdienste zuläßt; das ist ein Rest des Guten, das sie besitzt. Besonders der Gedanke der Vereinigung zur Anbetung wird zur Darstellung gebracht. Dann dürfen wir doch auch sagen: je mehr die Gemeinde im Gottesdienst sich zusammenfindet durch reichen Gebrauch von Gottes Wort, durch Gesang und Gebet, desto mehr können die Gottesdienste werden, was sie doch eigentlich sein sollten – Vorbilder der Gottesdienste dort im obern Heiligtum. Dort wird alles, was hier unvollkommen ist, vollendet sein, das,| was verschieden ist, einheitlich sich gestaltet haben. Da wird die Gemeinschaft Gottes mit der Gemeinde sich auch äußerlich darstellen.Wollen wir mit dem Worte schließen aus einem alten halb deutschen halb lateinischen Kirchenlied „Nun singet und seid froh.“ Da heißt es am Schluß der beiden letzten Verse jedesmal: „Eia, wärn wir da!“
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