Einsegnungsunterricht 1912/7. Stunde
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Anfang: Lied 26, 3–8. Psalm 27. |
Kollekte Hausb. II. 162, 7. | Schluß: Ps. 116. Lied 352. 7. 8. 15 |
Von den Gnadenmitteln hatten wir zu allererst zu sprechen, wenn wir die Gnaden- und Kraftquellen für das Christenleben uns vor Augen stellen wollten. Die Gnadenmittel, die der Herr Seiner Kirche für ihr Leben in der Welt gegeben hat, das sind „die Brünnlein Gottes,“ von denen es im Psalm heißt, daß sie Wassers die Fülle haben, wie auch geredet wird von der „Stadt Gottes mit ihren Brünnlein.“ Hier ist der Strom, den Ezechiel im Geiste schaute ausgehend vom Tempel. Ja, wir dürfen uns auch zurückerinnern an die vier Ströme, die vom Paradiese ausgegangen sind nach den vier Örtern der Erde.
Zu den Gnadenmitteln pflegten manche Väter in etwas zu bestreitender Auffassung auch das Gebet zu rechnen und Löhe unterscheidet in seinem 1. Teil des Haus- Schul- und Kirchenbuches auch die Gnadenmittel nach dem Gesichtspunkt, daß es eine Geberhand gibt: nämlich Wort und Sakrament- und eine Nehmerhand, das ist das Gebet. Jedenfalls ist das Gebet eine Gnaden- und Kraftquelle ohne Gleichen.
Wir sprechen heute:
So dürfen wir weiter fortfahren: Erst im neuen Testament tritt uns das Gebet entgegen als teures Kindesrecht. Jesus gebraucht den Vaternamen ebenso von Sich: „Mein Vater“, wie in Beziehung auf die Seinen so gerne: „Euer Vater im Himmel weiß etc.“ Zum Gebet legt Er ihnen diesen Namen selbst in den Mund im heiligen „Vater unser“. Er bringt dies Kindesrecht in engste Verbindung mit seinem eigenen Werk, indem Er vom Gebet in seinem Namen spricht Joh. 14 und 15. Weil Er uns wieder zu Kindern Gottes gemacht, weil Er den Menschen den freien Zugang zum Vater eröffnet hat, so kann und darf in Seinem Namen, im festesten Vertrauen auf Ihn Gott als Vater angerufen werden. Indem Er den Seinigen den heiligen heiligen Geist verheißt, der in ihrem Herzen wohnen und wirken soll, so hat Er ihnen damit auch ermöglicht, fortan im Geist und in der Wahrheit zum Vater zu beten. Das haben auch die Seinigen, das haben die Apostel wohl erkannt: Denken wir an Römer 8[:] „Weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes, durch welchen wir rufen: „Abba, lieber Vater,“ oder Epheser 3: „Ich beuge meine Knie gegen den Vater unseres Herrn Jesu Christi, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden.“ Das ist nun das Neue: Das Gebet ein Kindesrecht. Einzelne der im hl. Vaterunser vorkommenden Bitten sind auch vorher schon in ähnlicher Weise ausgedrückt gewesen, wie etwa die Bitte: „Dein Reich komme.“ Aber völlig neu ist der Vatername, der an der Spitze des hl. Vaterunsers steht. Wohl hat man in der neueren Zeit behaupten wollen, die Juden hätten auch schon den Vaternamen um jene Zeit gebraucht; aber es ist vielmehr so: Die Juden ließen sich doch auch einigermaßen unbewußt vom Christentum beeinflussen und infolge dieses Einflusses findet der Vatername sich allerdings bei ihnen später auch. Vorher aber fand er sich in Wahrheit nicht. So haben wir das Gebet überblickt nach seiner geschichtlichen Entwicklung innerhalb der Menschheit und reden nun weiter vom Gebet nach seinem wahren Wesen.
Wir unterscheiden zunächst Gottes Wort und Gebet, die so eng zusammengehören. Im Worte redet Gott mit uns und wir sollen sprechen: „Rede, Herr, denn Dein Knecht höret.“ Betend dagegen sprechen wir mit Gott und unsere Meinung und unser Sinn dabei sei: „Laß Dir wohlgefallen die Rede meines Mundes und das Gespräch meines Herzens vor Dir, Herr, mein Hort und mein Erlöser“. Das Gebet ist also seinem wahren Wesen nach nichts anderes als das Gespräch des Herzens mit Gott in kindlichem Geiste.| Das Gebet muß ein Gespräch sein. Das Gebet ist nicht etwa ein bloßes Sich versenken in Gott im Sinn der verkehrten Mystik, sondern vielmehr ein Reden mit Gott; es muß in Worte gefaßt sein. Das Gespräch des Herzens mit Gott in kindlichem Geist, in Jesu Namen, bezeichnet das wahre Wesen des Gebets.Geschieht das Gebet wirklich in Jesu Namen, so ist es andächtig; denn wer in Jesu Namen betet, der sucht Gott, sucht die Gemeinschaft mit Ihm und erhebt damit Herz und Gedanken über die Sichtbarkeit. Das Gebet in Jesu Namen ist demütig; denn wer im Namen Jesu betet, ist sich dessen wohl bewußt, daß wir nicht wert sind, vor Gott zu treten, daß unsere eigene Gerechtigkeit nur ist wie ein beflecktes Kleid. Das Gebet in Jesu Namen ist gläubig, weil wir uns auf den fest verlassen, der uns dies teure Kindesrecht gab und von dem wir wissen, daß Er uns selbst beim Vater vertritt, uns den Zugang beim Vater allezeit offenhält. Das Gebet in Jesu Namen ist auch anhaltend nach Jesu eigenem Vorbild; denn Er hat uns selbst das Vorbild anhaltenden eifrigsten Gebetes gegeben. Er hat Seine Jünger Kenntnis davon nehmen lassen, daß Er mehr wie eine Nacht im Gebet verbrachte. Er hat Seine Jünger und uns durch sie gewürdigt, Kenntnis zu nehmen von den Gebeten, die Er an den Vater richtete. Denken wir an das höchste Gebet, das es überhaupt gibt und geben kann, das hohepriesterliche Gebet, von dem Melanchthon sagt: Majestätischeres, Gewaltigeres ist nie im Himmel und auf Erden gehört worden als dies Gebet des Sohnes vor Seinem Hingang zum Vater.“ Das ist das Gebet nach seinem wahren Wesen.
Wir sprechen vom Gebet nach seinem Inhalt. Wenn wir im Namen Jesu beten, dann wird auch unser Gebet in Jesu Sinn und Geist vermeint sein. So sagt Johannes im 1. Brief im 5. Kapitel: „So wir bitten nach Seinem Willen, so höret er uns.“ Wer in Jesu Namen betet, kann nur nach Seinem Sinn und Willen beten. All unser Gebet wird dann immer die Richtung auf das Eine, was not ist, haben, nämlich die Richtung auf unsere Seligkeit und auf den großen, alles zusammenfassenden Zweck der Erscheinung des Reiches Gottes. Wenn wir in Jesu Namen beten, dann werden wir vor allem beten um geistliche Gaben. Wir werden um leibliche, irdische Gaben nur insoweit beten als dieselben uns nützlich und förderlich, mindestens nicht hinderlich sind in Beziehung auf die Seligkeit, in Beziehung auf das Heil unserer Seele. Wir werden dann, wenn wir in Jesu Namen beten, auch nicht nur für uns allein beten, sondern auch für andere, insbesondere die teuer Miterlösten nie und nimmer vergessen können. Besonders wird dann unser Gebet sich auf die Heiligung des göttlichen Namens, der in Jesu uns offenbar geworden ist, auf das Kommen Seines Reiches und die Erfüllung Seines Gnadenwillens beziehen. Wie ist uns das im hlg. Vaterunser so herrlich vor Augen geführt, daß in den 3 ersten Bitten nicht das Wort „unser“ vorkommt, sondern| das große „Dein“; Dein Name, Dein Reich, Dein Wille. Erst dann kommt eine Bitte für uns, und zwar um Zeitliches. Wir dürfen doch Dem, dem wir das Höchste vortragen, daß Sein Gnadenwille geschehen möge im Himmel und Erden, auch unsere geringen irdischen Angelegenheiten vortragen. Sie sind ihm nicht zu klein, aber freilich vor allem sollen wir für uns um geistliche Gaben, um Abwendung dessen, was dem Heil unserer Seele im Wege stehen könnte, bitten. So sind wir im hlg. Vaterunser gelehrt worden. 1. Tim 2. V. 1 scheint der Apostel eine etwas andere Einteilung vom Gebet nach seinem Inhalt zu geben. Bittgebet, Fürbitte, Danksagung. Er will sagen: Unser Gebet darf durchaus Bitte und Anliegen sein; denn nicht Fürbitten, sondern Anliegen bedeutet das betr. Wort. Er will beifügen, wenn unser Gebet Bitte und Anliegen enthalten darf, so muß der Dank immer damit verbunden sein. Obwohl hier Fürbitte allerdings nicht gemeint ist, so ist sie doch in Bitten und Anliegen eingeschlossen, denn er will, daß, Bitte, Gebet, Anliegen und Danksagung dargebracht werden für alle Menschen, auch für die Könige und für die damals heidnische Obrigkeit. So ergibt sich uns als inhaltlicher Unterschied das Gebet für uns selbst und das Gebet für andere, zunächst das Gebet für solche, mit denen wir in irgend einer Beziehung stehen, dann das Gebet für alle Menschen und gewiß als höchstes das Gebet für Christi Reich.Was uns selbst anlangt, wird immer Luthers Einteilung in der Auslegung des 2. Gebotes richtig und vollständig bleiben, wo er erst die Anrufung nennt, d. i. die Bitte, die an Gott in der Not gerichtet wird, weil es meist eben die Not ist, die den Menschen zum Beten bringt; aber nicht nur anrufen sollen wir, sondern überhaupt Gott bitten, weil wir allezeit geistliche und leibliche Dinge von Ihm zu erflehen haben. Weiter nicht nur bitten sollen wir, sondern auch danken für die empfangenen Wohltaten Gott preisen und schließlich das Loben, das höchste, soll nicht fehlen; wir dürfen Ihn preisen, weil Er Selbst so herrlich und groß ist. Das wird in der Schrift Anbetung im höchsten Sinn genannt, wenn wir betend nicht mehr an uns denken, sondern nur Gottes Größe und Herrlichkeit vor Augen haben. Soviel über das Gebet nach seinem Inhalt.
Nun sprechen wir von des Gebetes Erhörung. Daß die Heilige Schrift die Gebetserhörung statuiert, ist zweifellos, das kann wahrlich keiner Unsicherheit unterliegen. „Du erhörest Gebet, darum kommt alles Fleisch zu Dir“, heißt es im Psalm 65, und im Neuen Testament haben wir das Wort: „Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan.“ Darin liegt eine Steigerung. Das Nächste, Einfachste ist Erbitten dessen was man braucht. Mehr Kraft erfordert das Suchen dessen was fehlt, nötig, weil man nicht sofort Erhörung findet. Und nun vollends anklopfen heißt mit Macht sich bemerklich machen, es bedeutet eigentlich an die Türe stoßen. Man bringt seine Bitten eindringend und eindringlich| vor Gott und es wird schließlich erhört. Der Herr nimmt die in der Bergpredigt gegebene Zusage noch einmal auf, wo Er vom Gebet in Seinem Namen spricht, wo Er also das Gebet nach seinem innersten Wesen als Gebet der Gottesgemeinschaft uns enthüllt. „Bisher habt ihr nicht gebeten in Meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei.“Die Gebetserhörung ist geradezu selbstverständlich für die biblische und christliche Gottes- und Weltanschauung. Gebetserhörung vollzieht sich schon dadurch, daß Gott seine allgemeinen Gnadenverheißungen für das äußere und innere Leben als Antwort auf das Gebet – Er will gebeten sein – den Einzelnen zuwendet. Aber es fragt sich, ob auch ein ganz direkt durch menschliche Bitte veranlaßtes göttliches Tun angenommen werden dürfe. Hierüber sei einiges angedeutet.
Gott regiert die Welt, wie Er sie erschaffen hat und wie Er sie erhält. Obwohl Er die Welt durch die von Ihm gegebene Naturordnung erhält und regiert ist Er doch nicht an sie gebunden, Er kann eingreifen, etwas tun und wirken ohne die gewöhnlichen Mittelursachen. Die Gebetserhörung kann sich nun bewegen innerhalb der göttlichen Weltregierung und Erhaltung der Dinge, das ist das Gewöhnliche. Unsere Väter rechnen mit zur göttlichen Vorsehung, den sogen. Concursus, das ist Seine Mitwirkung, daß Er einwirkt auf Entschlüsse und Handlungen der Menschen und sie stellt die eigentliche Leitung der Dinge dar. Dieselbe betätigt sich, wie von unsern Vätern mit Recht erkannt wurde, in folgenden einzelnen Momenten: der Zulassung auch von bösen Handlungen, der Verhinderung von bösen Handlungen wenn Gott es will, Lenkung dessen, was der Mensch tut nach irgend einer Seite hin, so daß das, was vom Menschen böse gemeint war, von Gott so gerichtet wird, daß es doch zum Guten ausschlägt, wie Joseph sich ausdrückte: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen“ (1. Mose 50, V. 20); ferner Zielsetzung, insoferne Gott jeden Augenblick sprechen kann: „Bis hieher und nicht weiter.“ Durch dieses Einwirken auf das Tun der Menschen vollziehen sich viele merkbaren Gebetserhörungen. Herrliche Beispiele sind uns bekannt, wie zu derselbigen Stunde, da die Not am größten war, die Hilfe eintrat durch menschliche Mittelursachen, aber doch durch Gottes sichtliche Leitung. Das ist die Gebetserhörung, die noch innerhalb der gottgesetzten Weltordnung sich vollzieht. Bewundernswert ist, wie Gott alles herrlich regiert, aber es ist noch nicht ein Wunder im vollen Sinn, es ist noch nicht ein Durchbrechen der Naturordnung. Aber Gott kann in vollem Sinn auch wunderbar Gebete erhören. Die Wunder, welche Zeichen genannt werden, stehen alle im Zusammenhang mit dem Erlösungswerk, mit seiner Vorbereitung im alten Testament und der Ausführung desselben im Neuen Testament durch Christum und die Apostel: das sind also die Wunder der heiligen Schrift. Aber obgleich diese eigentlichen Wunder und Zeichen nur im Zusammenhang mit dem Erlösungswerk und dessen Vollendung| geschahen und darum in der gegenwärtigen Zwischenzeit, in der wir leben, nicht hervortreten, so müßte es geradezu für eine Schwäche des Glaubens erklärt werden, wenn ein Christ zweifeln wollte, daß Gott jederzeit auch auf wirklich wunderbarem Wege helfen kann. Einzelne Erfahrungen sind auch nach dieser Seite hin wiederholt von gläubigen Christen gemacht worden. Wenn von einem gläubigen Geistlichen berichtet wurde, daß im Winter auf einer nächtlichen Schlittenfahrt, wo der Weg verloren war, in der Nähe eines tiefen Abgrunds ein lautes „Halt“ erscholl, von dem niemand wußte, woher es kam, so ist das eine Unterbrechung des Naturzusammenhangs, ein Eingreifen Gottes. Es geschieht das durch der Engel Dienst und wenn wir glauben, daß Gott durch Seine Engel uns beschützt, so kann es uns auch nicht zweifelhaft sein, daß auch auf direkte wunderbare Weise durch der Engel Hilfe und Beistand Erhörung sich vollzieht. Man hat darum mit Recht gesagt: Gebetserhörung ist ein durch unser Gebet verursachtes Tun Gottes.Wir reden nun weiter vom Gebet in der Mannigfaltigkeit seiner Betätigung.
Wir haben hier zu unterscheiden das Einzelgebet und gemeinsames Gebet. Dieses begegnet uns von Anfang an in der Menschheitsgeschichte, wie wir wissen, erstmals bei Enos. Gemeinsames Gebet findet statt in der Kirche, im engsten Kreis des Hauses, in sonstiger Gemeinschaft. Dieses gemeinsame Gebet meint der Herr nicht, wenn Er Matth. 6 davon spricht, daß man nicht vor der Öffentlichkeit beten soll. Er will dort nur dem Mißbrauch derer entgegentreten,| die wie die Pharisäer absichtlich beteten um von den Leuten gesehen zu werden. Hat doch der Herr selbst vor den Jüngern gebetet und Seine Jünger damit zum Gebet ermuntert. Er will Ehre haben in der Gemeinde, die Sein eigen ist und so will Er auch das gemeinsame Gebet der Seinigen. Er hat auch gesagt, daß Gott das Gebet der Seinigen erhören wird, wenn sie ohne Unterlaß zu Ihm rufen, Er wird sie erretten in einer Kürze. Es gibt gemeinsames Gebet in der Kirche und sonstiger Gemeinschaft, aber allerdings bleibt entschieden das wichtigste das Gebet des Einzelnen im Kämmerlein. Hier kann in der verschiedensten Weise gebetet werden. Man kann ein fremdes Gebet vor Gott bringen oder ein eigenes. Es ist ein übler Ausdruck, wenn man diesen Unterschied bezeichnet mit Formel- und Herzensgebet. Das fremde Gebet muß nie eine Formel sein, und das freie Gebet ist durchaus nicht ohne weiteres und an sich schon als rechtes Herzensgebet zu bezeichnen. Es kann auch ein sogenanntes freies Gebet ein Plappern sein nach Art der Heiden. Freies oder angeeignetes Gebet, es hat jedes sein Recht. Wir dürfen uns für die Berechtigung des Gebrauches fremder Gebete auf Christi eigenes Beispiel berufen, der am Kreuz in dem mittleren und letzten Seiner Worte aus dem Alten Testament die Gebetsworte nahm, mit denen Er in der ernsten Stunde hindurch gedrungen ist zum Sieg. In höchster Not wird der Mensch immer nach irgendeinem Gebetswort, nach einem Lied, Psalm oder Schriftwort greifen, das er vorher sich eingeprägt hat. Es muß überhaupt der Rat gegeben werden: so sehr das Gebet ein eigenes, freies Gebet sein muß, wenn es sich um unsere eigenen Anliegen, um den inneren Stand unserer Seele handelt, so muß doch, wenn es uns schwer fällt, frei aus dem Herzen unsere Gebete zu gestalten, nach einem Buchgebet gegriffen werden und man wird sich immer aus den Gebeten der Kirche Gebetsgedanken aneignen dürfen. Man kann auswendig gelernte Gebete beten oder ein Buch gebrauchen, es kommt nur immer darauf an, daß man die Gebetsgedanken wirklich erfaßt und sie als seine Bitten, sein Lob, seine Anbetung vor Gott bringt. Man kann frei aus dem Herzen beten und wir wollen, was das freie Gebet anlangt, nicht zu ängstlich sein, auch unter Umständen frei in der Gemeinschaft beten, aber anderseits wollen wir ja nicht in den Fehler fallen, mit den freien Gebeten sich hören zu lassen, wie es in den Gemeinschaftskreisen sich uns darstellt, wo die Reihe um gebetet wird, so daß man sich bemühen muß, neue Gebetsgedanken hervorzusuchen. Das ist eine große Gefahr.Im übrigen ist der Schwesternberuf nichts anderes als eine sonderliche Gestalt des Christenberufes überhaupt. Nur solange wir beten, sind wir in wirklicher Gemeinschaft mit Gott. Das Gebet hat man das Atemholen der gläubigen Seele genannt. Ach wie träge und lässig sind wir in diesem so herrlichen Geschäfte. Wie haben wir immer Ursache mit den Jüngern zum Herrn zu rufen: „Herr, lehre uns beten,“ aber noch mehr wollen wir zu Ihm sagen mit den Worten des 138. Psalms:
„Wenn ich dich anrufe, so erhöre mich und gib meiner Seele große Kraft.“
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