Einsegnungsunterricht 1912/10. Stunde
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Anfang Lied 552.1. 2.4–8. Psalm 2. |
Kollekte 217, 34. | Schluß Ps. 126. Lied 551, 3. |
Wir reden zum Schluß von Glaube, Liebe und Hoffnung als den innersten Kraftquellen für den Christenstand und Diakonissenberuf. Wir können sagen: Durch die Reformation ist klar geworden, was der Glaube ist, ist klar geworden, in welchem Verhältnis Glaube und Liebe zueinander stehen. Wie ist es nun mit der Hoffnung? Liegt nicht hier ein schwacher Punkt der reformatorischen Entwicklung vor, an welchen eine gewisse Weiterentwicklung wird anknüpfen müssen? Und doch muß von Luther selbst ein Doppeltes gesagt werden. Er hatte eine lebendige Erkenntnis von dem, was das Reich Jesu Christi ist und er gebraucht den Ausdruck „Christi Reich“ mit Vorliebe. Die späteren Theologen unserer Kirche haben vielfach über der gegenwärtigen Kirchengestalt, die sie zu bauen und zu pflegen hatten, den weiteren Begriff des Reiches Gottes vergessen, so daß ihr Blick mehrfach verkürzt gewesen ist und sie zum Beispiel für die Missionsaufgabe der Kirche kein Verständnis hatten. Und Luther spricht auch noch besonders gern und häufig von unseres Herrn Jesu Christi Tag und wir haben von ihm das schöne kurze Gebet um den lieben jüngsten Tag. So war Luthers Blick allerdings auf den Ausgang, die Vollendung der Kirche Christi gerichtet, wenn er auch darin irrte, daß er das Ende viel näher glaubte und daß er seine Botschaft und sein Zeugnis für die letzte Gnadenposaune vor dem jüngsten Tag erachtet hat. Von Glaube, Liebe und Hoffnung haben wir zum Schluß unserer Vorträge geredet. Es sei mir vergönnt, zur weiteren Einleitung des noch Kommenden einen Abschnitt mitzuteilen aus einem Werk eines besonders entschiedenen, hervorragenden Lutheraners, in welchem Luthers Art in seltener Weise lebendig war. Es ist der sel. Harleß, dessen Namen ich schon genannt habe. Harleß wird mit vollem Recht der Erneuerer der lutherischen Theologie nach seiten der wissenschaftlichen Darstellung genannt. Er ist auch ein Erneuerer des lutherischen Kirchentums in der bayerischen Landeskirche gewesen. Es ist ihm gelungen, innerhalb 3 Jahren der kirchlichen Gestaltung unserer Landeskirche einen gewaltigen Schritt vorwärts zu ermöglichen. Freilich fiel er bald nach oben hin in Ungnade und hat durch Jahrzehnte hindurch ohne viel Einfluß auf die kirchlichen Dinge bleiben müssen. – Er spricht sich in seiner Ethik ganz besonders schön aus über das Verhältnis von Glaube, Liebe und Hoffnung. Er sagt dort:
- „Obwohl diese dreifache Wirkung der einen und einheitlichen Wurzel des evangelischen Verheißungswortes entstammt, so ist doch bei dem inneren| Entstehen und Bestehen das eine durch das andere bedingt, hat verschiedene Beziehungen, äußert sich in verschiedenen Formen und Funktionen und hat verschiedene Rückwirkungen auf die eigene Stimmung und das eigene, sei es inneres oder äußeres Selbstverhalten. Wie ich nicht durch Liebe und Hoffnung zum Glauben komme, sondern durch Glauben zu Liebe und Hoffnung, so ist auch glauben etwas anderes als lieben, lieben etwas anderes als hoffen, und hoffen etwas anderes als glauben und lieben. Zum Glauben komme ich, wenn ich durch Wirkung des Gewissens, des Gesetzes und des Evangeliums den Glauben an mich verlerne; zur Liebe nur dann, wenn ich zuvor den Glauben an Gottes Liebe in Christo gewinne und zur Hoffnung nur dadurch, daß ich im Glauben eines Gutes gewiß geworden bin welches hienieden der bleibenden Sehnsucht meiner Liebe wert ist und ihr Gegenstand zu werden die göttliche Bestimmung hat. Und auch die Beziehungen, wie die Formen und Funktionen, in welchen Glaube, Liebe und Hoffnung sich bewegen und ihre aktuelle Existenz haben, sind verschieden. Der Glaube hängt am verheißenden Wort, die Liebe an dem gebenden Gott, die Hoffnung am verheißenen Gut. Der Glaube nimmt und hat, die Liebe gibt, die Hoffnung harrt. Der Glaube macht das Herz fest, die Liebe weich, die Hoffnung weit. Der Glaube hält fest am Empfangenen, die Liebe entäußert sich des Empfangenen, die Hoffnung triumphiert über das Mangelnde. Der Glaube macht uns geschickt zur Herrschaft über diese Welt, die Liebe zum Dienst für diese Welt, die Hoffnung zum Verzicht auf diese Welt. Der Glaube ruht in dem, worin er für diese Zeit volle Genüge hat, die Liebe tut und schafft in dem, worin sie sich nie genug tut, die Hoffnung verliert sich in das, was sie über alle Genüge und Ungenüge dieser Welt hinaushebt. Der Glaube ist die Zuversicht dessen, was man hofft, die Liebe der Erweis davon, was man glaubt. Die Hoffnung die dem Ziel voraneilende Besitzergreifung dessen, was man im Glauben lieben und ersehnen gelernt hat. Der Glaube ist, was er zu sein im Schauen aufhört, die Hoffnung ist, was sie zu sein im Vollbesitz aufhört, Die Liebe ist, was sie zu sein nie aufhört; denn Gott ist die Liebe.“
Nach diesen Vorbemerkungen dürfen wir reden:
Soviel von dem, was die christliche Hoffnung ist. Wir fragen weiter: auf was richtet sich die christliche Hoffnung im einzelnen? Wir sagen zunächst einmal allerdings auf die persönliche Vollendung des einzelnen Christen. Vergegenwärtigen wir uns die Gestalt, welche die christliche Hoffnung in Paulus, dem großen Apostel, gehabt hat. In seinen ältesten Briefen: 1. Thessalonicher 4 und 1. Korinther 15 geht er davon aus, daß er selbst den Tag des Herrn noch miterleben darf. „Wir, die wir leben und überbleiben“ oder „wir werden nicht alle sterben, wir werden aber alle verwandelt werden.“ Späterhin im 2. Korintherbrief hält er sich die doppelte Möglichkeit vor Augen, daß er vor der Erscheinung Christi noch sterben könne, sie vielleicht aber auch noch erlebe, wie er 2. Korinther 5 sagt „er wünsche allerdings nicht entkleidet sondern überkleidet zu werden.“ Philipper 1 drückt er sich ähnlich aus. Da ist ihm schon mehr der Gedanke ans Sterben naheliegend: „Christus ist mir Leben, Sterben ist mir Gewinn.“ und in den letzten Briefen spricht er deutlich von seinem nahe bevorstehenden Abscheiden.
Nun wissen wir längst schon, was der Herr andeutete, als Er Luk. 21, 4 von den Zeiten der Heiden spricht, die erfüllt sein müßten und was der Apostel Paulus Römer 11 auch andeutet, daß erst die Fülle der Heiden eingegangen sein muß ins Reich Gottes, ehe Israel als Volk den Eingang ins Reich gewinnen könnte. Wir wissen, daß eine längere Zwischenzeit zwischen dem ersten und zweiten Kommen des Herrn liegt. Paulus, der in kurzer Zeit den Weltkreis, das römische Reich, mit dem Evangelium von Christo hat erfüllen können, hat sich allerdings den Gang der Dinge rascher gedacht. Wir wissen, daß es lange Zeiträume geworden sind. Es ist die Zeit, in welcher die Kirche Gottes auf Erden erwächst, während das erhöhte Haupt im Himmel thront und so muß sich die christliche Hoffnung freilich auf die persönliche Vollendung des einzelnen Christen richten, auf das selige Sterben, auf den Heimgang. Dafür bietet uns die Schrift vollsten Trost durch Jesu eigene Worte an den Schächer am Kreuz in dem großen „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein“; denn der Schächer hatte in großartigem Glauben gebeten: „Herr, gedenke an mich, wenn du kommst in deinem Reich.“ Der Apostel Paulus gibt uns 2. Korinther 5 einen herrlichen Trost für das Abscheiden. „Wenn das irdische Haus dieser leiblichen Hütte zerbrochen wird, haben wir einen Bau von Gott erbauet, ein Haus nicht mit Menschenhänden gemacht, das ewig ist, im Himmel“ oder „der Herr wird mich erlösen von allem Übel und aushelfen zu Seinem himmlischen Reich.“ So spricht auch Petrus in großer Ruhe und Freudigkeit davon, daß „er seine Hütte bald ablegen wird.“ Und die Offenbarung zeigt uns die große Schar aus allen Völkern und Geschlechtern, die mit weißen| Kleidern angetan, Palmen tragen, also schon den Sieg erlangt haben durch seliges Sterben und ruft tröstend zu: „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Sie werden ruhen von ihrer Arbeit.“ Das war schon im Alten Testament gleichsam vorgebildet dadurch, daß Henoch in die Herrlichkeit erhöht wurde und daß Elias durfte emporgehoben werden in die höhere Welt, wie auf lichtumflossenem Wagen, von den Engeln geleitet. Das meint auch das hohe Lied unserer Kirche, das wir zum Anfang gesungen haben, nämlich die Seligkeit, die den Einzelnen bevorsteht durch ein Abscheiden im Glauben und Bekenntnis des Sohnes Gottes. Herrliche Hoffnung, die wir haben, daß wenn dieser Leib zu Staub wird, wenn unser Leben hinsinkt in den Tod, unsere Seele bei Jesus ist in der Ruhe, die vorhanden ist dem Volke Gottes. Und doch ist das noch nicht die ganze und volle Christenhoffnung; denn der Apostel sagt Römer 8 „Wir warten auf unseres Leibes Erlösung.“ Er meint nicht die Erlösung vom Leib, sondern die Erlösung des Leibes selber. Sagt er doch im Philipperbrief deutlich, daß „Gott unsern nichtigen Leib, diesen Leib der Nichtigkeit verklären wird, daß er ähnlich werde dem verklärten Leibe Christi, dem Leibe seiner Herrlichkeit, nach der Wirkung, damit Er kann auch alle Dinge sich untertänig machen.“Gewiß, die Seelen der Gläubigen sind geborgen bei Jesu, in seiner Gemeinschaft, nicht etwa im Seelenschlaf, sondern in freudigem wachen Zustand, im Besitz der Gemeinschaft mit Christo und den heiligen Engeln und den vollendeten Gerechten. Die volle Seligkeit ist das aber noch nicht; denn der Leib fehlt, der der Seele Wohnstatt und das Werkzeug seiner Betätigung ist. Wir erwarten eine Verklärung des Leibes und sie ist uns verbürgt durch Christi Auferstehung und kommt mit Seiner Erscheinung, mit Seiner Wiederkunft in Herrlichkeit. So ist der eigentliche Gegenstand der Christenhoffnung die Wiederkunft Jesu Christi. Er wird freilich zum Gericht über seine Feinde, aber für die Seinen zur Erlösung kommen, wie Er ihnen zuruft: „Hebet eure Häupter auf, darum, daß sich euere Erlösung naht.“ Er wird dann Sein Reich in Herrlichkeit aufrichten, seine Auserwählten sammeln von den vier Winden und allen Zeiten der Erde. Und eine Verklärung der Welt, der ganzen Kreatur ist uns verheißen; denn wir warten eines neuen Himmels und einer neuen Erde. Das ist die eigentliche Christenhoffnung, das ist die Krone des christlichen Glaubensbekenntnisses: „Ich warte auf eine Auferstehung der Toten und ein Leben der zukünftigen Welt.“ Über das Einzelne haben wir nicht völlige Klarheit, sollen aber danach streben.
Das bisher über die christliche Hoffnung gesagte entnehmen wir den Aussprüchen Christi selber und den Worten der heiligen Apostel. Aber nun ist der Christenheit im letzten Buch der Bibel ein Buch der Hoffnung gegeben in „der Offenbarung St. Johannis.“ So hoch wir Luther stellen, er hat geirrt, wenn er die Offenbarung nicht für apostolisch erklärt hat. Er deutete sie kirchengeschichtlich,| als ob die Ereignisse der Kirchengeschichte darin vorausgesagt sein sollten, was allerdings nicht stimmen kann. Die Offenbarung soll auch nicht zeitgeschichtlich gedeutet werden, als ob sie nur den damals lebenden Christen habe Trost bringen sollen in den Christenverfolgungen. Endgeschichtlich will sie aufgefaßt sein, den Ausgang der Dinge will der erhöhte Herr in diesem Gesicht Seiner Gemeinde zum Trost und zur Stärkung vor Augen führen. Allerdings beginnt die Offenbarung mit der Kirche der Gegenwart. Die sieben Sendschreiben an die Gemeinden Asiens sind Mahnungen und Tröstungen, gegeben der Kirche Gottes aller Zeiten für die Ausgestaltung ihres Lebens. Aber sie sind nur der Anfang des Buchs, nun folgen erst die Gesichte von der Endzeit, von dem letzten Kampf und Strauß. Sie zeigen wie im Bilde die Herrschaft Gottes über die Welt, das Testament Gottes, das versiegelte Buch, Seine Verfügung über den Gang der Weltgeschichte, die nur durchs Lamm gelöst werden kann, weil nur durch Christus der Heilsratschluß offenbar geworden ist, nur durch Christus die Geschichte ihrem Ausgang entgegen geführt werden kann. Es wird gezeigt der Gang des Reiches Gottes durch die Welt, sein Siegesgang und wie alle Weltereignisse, Kriege, Pestilenz, Teuerung nur dem Reich Christi dienen müssen. Bei der fortschreitenden Lösung der Siegel tritt der Ausgang vor Augen und jedes folgende Gesicht führt weiter zum Ende hin; greift zwar oft wieder zurück, aber beschreibt je länger, je ausführlicher, was das Ende eigentlich ausmacht. Besonders bedeutsam sind die Gesichte über das Verhältnis der Weltmacht zur Kirche Christi. Die Weltstadt wird uns gezeigt, der Sitz des antichristlichen Reiches, an der das Gericht seinen Anfang nimmt. Man kann sagen, wenn man darauf verzichtet, das Einzelne ausdeuten zu wollen, ist das Verständnis dieses Buches nicht so schwer. Nur große Schwierigkeit liegt im 20. Kapitel, in der Voraussagung eines tausendjährigen Herrschens Christi mit den Seinigen, was freilich in der verschiedensten Weise aufgefaßt worden ist. Wir werden sagen müssen: Der diesseitigen Weltzeit kann dies Herrschen nicht angehören, sondern der kommenden Zeit, eine Vorstufe der vollkommenen Herrlichkeit soll es offenbar sein. Schwierig ist die Frage, wie sich das Leben der Menschen gestalten wird und wie weit eine teilweise Verklärung der Erde denkbar ist. Aber wenn auch hier große Schwierigkeiten vorliegen, wie herrlich sind die folgenden, die letzten Gesichte, die uns die Gottesstadt zeigen in ihrer Vollendung, das Wohnen Gottes auf Erden unter Seinem Volk.
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