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Einsegnungsunterricht 1892/12. Stunde

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« 11. Stunde Hermann von Bezzel
Einsegnungsunterricht 1892
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Zwölfte Stunde. Samstag Abend.

 O HErr, der Du siehest, daß wir vor lauter Schwachheit nicht mögen vor Dir bleiben, verleihe uns Stärke beides an Seele und Leib, daß wir in Deiner Kraft ein neues Leben führen und von Dir gestärkt es zu Deinem Preise vollenden, bis wir dermaleinst bei Dir ewigen Frieden und ewige Heimstätten haben um Deiner ewigen Liebe willen. Amen.

 Wir wollen es uns als bleibende gute Vorbedeutung dienen lassen, daß die letzten Wünsche, die Sie vor Ihrem ernstesten und wichtigsten Tage erhalten, die Wünsche Ihres ewigen Erbarmers sind. Es wird Ihnen morgen viel Gutes und Treues angewünscht werden; aber nichts Besseres und Treueres kann zu Ihnen kommen als das, was Ihr Erbarmer gesagt hat: „Vater, in Bezug auf das, was Du Mir gegeben hast, will Ich, daß, wo ich bin, auch die bei Mir seien, die Du Mir gegeben hast, damit sie Meine Herrlichkeit sehen, die Du Mir gegeben hast.“ Von Vers 24 an verengert sich scheinbar der Gesichtskreis unsers HErrn. Hat Er von V. 19 ab die ganze Welt, sofern sie durch den Dienst Seiner Jünger Ihm erworben und gewonnen wird, umfaßt, so scheint| Er von V. 24 an nur des kleinen Kreises zu gedenken, aber nur scheinbar. Sein Blick verengert sich deshalb, weil Er dem Ziele näher sieht. Er sieht die Seinen einziehen auf dem schmalen Wege durch die enge Pforte. Aber je schmäler der Weg und je enger die Pforte, desto brünstiger, energischer wird Sein Gebet. Es ist nicht mehr das Gebet des Hohenpriesters, sondern des mit königlicher Machtfülle Ausgerüsteten, von diesem „Ich will“ an – im Griechischen lautet das Wort noch stärker – beginnt Seine königliche Herrschaft über die, welche Er durch hohepriesterlichen Dienst Sich erkauft hat. Indem Er sie einziehen sieht durch die Thore, will Er Sein königliches Prärogativ (Vorrecht) an ihnen zur Geltung bringen und sie in königlichem Schmucke Seinem himmlischen Vater vorstellen. „Ich will es, Ich bin fest entschlossen, keines derer verloren gehen zu lassen, so lange es auch nur mit einer Faser seines Seins an Mich sich anschließt.“ Es liegt in diesem „Ich will“ solche Fülle von Trost, daß wir sie auf dieser Welt nicht mehr auskünden können. Unser Blick ist gehemmt; wir wissen nicht, wie Ihr Ergehen sein wird. Sie können die treuesten Wünsche und ernstesten, heißesten Gebete für Sie durch einen einzigen Akt Ihres Willens zunichte machen. Sie haben, wie wir alle, das furchtbare Vorrecht, alle Fürbitten zu durchkreuzen, alle Gebete zu vernichten. Sie können trotz des Diakonissenkleides den breiten Weg gehen, an dem kein Ziel ist. Sie können gezwungen werden, zu leben, wo Sie rufen möchten: „Ihr Berge fallet über uns, und ihr Hügel decket uns.“ Aber so Mark und Bein durchschneidend dies furchtbare Vorrecht ist, so fest ist auch der Trost: „Ich will“, Ich bin fest entschlossen, zu ihnen zu halten, solange sie auch nur mit einem einzigen Hauch Mich meinen, wenn der letzte Schimmer eines Gedankens Mir gehört. Er läßt das arme Seufzen eine Macht sein, welcher Er Seine königliche Macht vermählen will. Wenn wir auch von Ihm irre gehen, wenn’s auch durch viel Verfehlungen und Winkelzüge geht, solange noch ein einziger Gedanke Ihm gehört, ein einziger Schlag unseres Herzens Ihm vermeint ist. Er wird nach den Worten des 1847 † großen Vinet (Genf) „dieses arme letzte, beinahe unhörbare| Seufzen eine Macht sein lassen, vor welcher Seine königliche Macht sich beugen will.“
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 „Daß sie Meine Herrlichkeit sehen, schauend genießen, schauend teilen, darin liegt mehr, als Menschen zu fassen vermögen. Unser HErr Christus will Seine Herrlichkeit mit uns teilen als unser erstgeborner Bruder. Dieses Sehen soll ein tägliches, stündliches Sichvertiefen in Seine Herrlichkeit sein. In dem Schauen Seiner Herrlichkeit liegt unsere Gleiche mit Ihm. Wir werden Ihn Mit den Augen des zum Schauen verklärten Glaubens ansehen, und dieses Ansehen wird unser ewiges Leben sein. Jetzt bleibt noch das Liebesmysterium ein Geheimnis in Wort und Sakrament, weil unser Herz zu arm ist, um es in seiner ganzen Fülle zu erfassen; aber dann werden wir das Geheimnis als unser ureigenstes Sein ansehen. Dann werden wir uns wundern, heilsam wundern, welche Teile des Geheimnisses wir nicht so ausgenützt haben, wie wir sollten, und wiederum, welche Teile Seiner Liebe über uns gewaltet haben. Wir sollen Seine Herrlichkeit sehen, die Herrlichkeit, welche die Macht der Liebe bereitet hat. Mit solchem Trost läßt sich auch das schwerste Leid aufnehmen, des Lebens Bürde tragen, gutes Mutes durch das Leben ziehen. Ein solcher Trost ist uns vonnöten, denn je ernster die Zeit wird und je liebeleerer, desto notwendiger ist es, an dem der Zeit und Welt immanenten Liebesgeheimnis Christi zu erstarken und festzuhalten. Wir sterben, wenn wir nicht lieben, und indem wir lieben, leben wir. Die Welt, indem sie die großen Irrtümer in sich birgt, hat keinen Raum mehr für das große Geheimnis der Liebe, und so wird sich das große Geheimnis der Liebe einfach zurückziehen. Es wird die Zeit nicht allzu fern sein, wo man das Geheimnis Seiner Liebe nur im treuen Herzen bergen kann, und darin wird das Martyrium bestehen, daß man es bergen muß. Diesem Martyrium gehen wir entgegen unweigerlich und gewiß. Wenn Sie es den Weltkindern künden wollen, dann finden Sie nicht bloß kein Verständnis, sondern Mißdeutung. Sie glauben, Verständnis zu finden, und Sie werden es nicht finden, und darin liegt Ihr Leiden. Aber über all diesem Leiden, das nur eine kurze Zeit| währt, und über all dem Mißverständnis der Welt, über all der Verachtung, Schmach und Verkennung steht Sein Wort: „Seid fröhlich und getrost, es wird Euch im Himmel wohl vergolten werden.“ Jedes Leiden, das Sie für das Mysterium Seiner Liebe erdulden, ist ein für Sie wohlverdientes; aber der HErr Christus will dieses Leiden, das wir reichlich verdient haben, doch aus Gnaden als ein Leiden um Seinetwillen auffassen und es belohnen. Wie aus dem Ratschluß ewiger Liebe die Welt entstanden ist, so soll aus den letzten Auswirkungen der der Welt zugewendeten Liebe die Neuvollendung, die endliche Heiligung der Welt ergehen. Wenn der Gedanke der Liebe sich ausgelebt, dargelebt hat, dann zieht Er ihn wieder zurück. – Du ziehst den Gedanken Deiner Liebe an Dich, und mit diesem Gedanken alle, die ihm ihr Leben schulden.

 Gerechter Vater“ – gerecht nennt JEsus Christus deshalb Seinen himmlischen Vater, weil Er trotz aller Winkelzüge, welche die menschliche Sünde hineinwirft, den geraden Weg geht. Nicht die strafende Gerechtigkeit, sondern die Liebesgerechtigkeit ist gemeint. „Es ist der Liebeszorn, der alles wegbrennt, was nicht lauter Sein ist, und dann, wenn aller Zorn verschwunden ist, aufleuchtet als die helle Sonne der Gerechtigkeit.“ (Luther) „Gerechter Vater,“ Du in geradem Wege das Heil der Welt ausführender Vater, Dich kennt die Welt nicht, aber Ich kenne Dich. Das ist ein Trost für die ganze streitende Kirche und Gottesgemeinde auf Erden. Es geht trotz aller Sündentiefen, trotz aller scheinbaren Rückdrängung Seines Liebesgedankens vorwärts. Es schreitet Seine Liebe unaufhaltsam durch die Zeiten, ungestört durch alles menschliche Wirrnis. „Die ganze Welt ist ein Schau- und Ringplatz Seiner Liebe.“ (Bengel). Die Welt erkennt Ihn nicht in ihrem Halbdunkel. Die Welt stirbt an ihrer Entlarvung. Die Jünger haben Ihn in Seiner Lichtsgestalt gesehen. So sieht unser HErr trotz alles Bangens in Seinem festen beharrlichen Liebeswillen die endliche Erlösung aller derer, die sich erlösen lassen wollen.

 Geben Sie einen Menschen nie eher auf, als bis| Sie merken, sein HErr giebt ihn auf. Wir wissen nicht, was im tiefsten Schacht seines Herzens sein HErr an ihm thut. Wir haben nichts anderes zu thun an allen Kranken- und Sterbebetten, als zu hoffen, Ihm zuzutrauen, der von der Gerechtigkeit Seines Vaters alles Mögliche erwartet. Wollen wir kurzsichtige Menschen weitsichtiger sein als Er? Wollen wir Seines Reichtums Fülle verkürzen? Wollen wir Ohnmächtige, die allein durch Seine Macht Existenzberechtigung genommen haben, andern die Existenzberechtigung absprechen? Ich weiß nicht, ob das ein Liebesgedanke GOttes ist, den Er uns als Prüfung verordnet hat, daß Er diejenigen, die uns durch Familienbande zunächst stehen, oft weit ab von Sich sein läßt. Vielleicht geschieht das um des Wortes willen: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn Mich, der ist Mein nicht wert.“ Vielleicht will Er, daß, ehe unsere Liebe erstarkt ist, Ihm gegenüber, alle irdische Liebe in den Hintergrund treten soll. Wenn Er aber des gewahr wird, daß unsere Liebe zu Ihm klarer, fester, mehr mit unserem Sein verbunden ist, dann wird Er uns auch das schenken, daß wir alle die Unseren losbitten und einst sagen können: „Siehe, hier bin ich und alle, die Du mir gegeben hast.“ Woher kommts, daß auch manchmal Freundschaft bestehen kann zwischen solchen, die dem HErrn nahe stehen und solchen, die Ihm nicht nahe sind? Es sieht vermessen aus, und ist doch wahr: Wir dürfen Sein hohepriesterliches Gebet stützen. Wir sollen fürbittend uns Ihm beigesellen. Laßt uns aufsehen auf den Anfänger des betenden Glaubens, laßt uns mit Freudigkeit hinantreten zu dem Gnadenstuhl und denken an Den, der vor uns und für uns gebetet hat, damit wir mit Ihm beten dürfen. – „Ich habe ihnen Deinen Namen kund gethan. Ich will ihnen kund thun,“ Ich will ihnen Meinen Namen vertraut machen, noch weit vertrauter als es bislang der Fall gewesen. Er will auch Ihnen Seinen Namen so vertraut machen, daß Sie sagen können: „Wenn gar kein Ein’ger mehr auf Erden, dessen Treue du darfst trauen, alsdann will Er Dein Treuster werden, und zu deinem Besten schau’n.“ Er will Ihnen Seinen Namen jeden Tag so klar und vertraut machen, daß Sie in allen| Ihren Anliegen nur Seinen Namen zu hören brauchen, um Heilung zu finden, daß Sie nur Sein Antlitz anschauen dürfen, um zu genesen. Es ist Ihnen ein großes Werk anvertraut. Sie sollen den Aermsten und Elendesten einen Begriff geben von Seiner Liebe.

„So soll man Christum salben, wenn Er nun liegt darnieder.
So soll man freundlich pflegen Ihn und Sein kranke Glieder.“

(Paulus Gerhardt.)
 Die Narde Seiner anbetenden Nachfolge fließt aus irdischem Gefäß heraus. Was wollen wir darüber klagen, wenn diese Gefäße zerbrechen? Freuen wir uns, weil Seine Kraft in dieser Schwachheit sich vollendet, weil der Inhalt das schwache arme Gefäß sprengt. „Sie hat gethan, was sie konnte.“ Können Sie Ihm dienen? Diese ernste Frage legt Er Ihnen aus dem Munde Seines Knechtes noch einmal vor: „Könnt ihr Mir dienen in der selbstverleugnenden Liebe, die Ich euch gelehrt, ohne Anerkennung der Welt, trotz der Verkennung, trotz des Tadels und der Schmach, auch unter Leiden, unter bleibenden Trübungen und Störungen eures irdischen Wohlbefindens?“ Könnt Ihr das, dann sage ich zu Euch: „So spricht unser HErr und Heiland: Ihr habt ein gutes Werk an Mir gethan, denn ihr habt gethan, was ihr konntet.“ Er wird nicht auf Ihre individuelle Begabung, sondern auf Ihre Treue sehen. Der HErr wolle das Auge derer, die über Sie gesetzt sind, so schärfen, daß sie nur die selbstvergessene Treue ansehen. Wen der HErr liebt, dessen Richter auch auf Erden erleuchtet Er, daß sie Seine Wege sehen. Er wolle auch unsere Augen, die Augen Ihres Mutterhauses, das sorgend und bangend, aber auch hoffend und glaubend auf Sie blickt, erleuchten, daß es nur die Treue beurteile. Ja, die Treue schenkt der HErr, Er ist der Treue. Er wirds auch am morgenden Tage Ihnen schenken, wenn die Fürbitte vieler treuer Menschen Sie umgiebt, daß Sie die Kraft der vereinten Gebete erfahren an Leib und Seele. Sie aber sollen uns als Gegengabe die reinste vorurteilslose Fürbitte zuwenden. Wir bedürfen sie, wir rechnen auf sie, wenn wir nicht alles mit Ihnen besonders ungeschickt und verkehrt machen| sollen. Wir bedürfen sie, wenn wir nicht andern predigen und selbst verwerflich werden sollen, wenn wir für Ihre Seelen sorgen und nicht unsere Seelen verkümmern sollen; denn diese Gefahr liegt sehr nahe. Wir begehren keinen andern Dank als den der täglichen und ungetrübten Fürbitte, daß der HErr uns in Seiner Nachfolge wolle erhalten, in der einfachen, klaren und wahren Nachfolge, in der Demut Seines Dienens, aber auch in der Kraft Seines Handelns.

 Das letzte Ziel all der Wege der Seinen ist: „Daß die Liebe, damit Du Mich liebest, sei in ihnen und Ich in ihnen.“ Die alles gebende Liebe des himmlischen Vaters soll auch auf uns ruhen. Wir sind reich und hochbegnadigt, Sie sind reich und hochbegnadigt dadurch, daß der HErr Sie geliebet hat bis auf diese Stunde, daß alle Ihre Wege, so verschiedenartig und verzweigt sie waren, morgen zusammenlaufen, daß Sie unter Seinem Kreuze das Bekenntnis ablegen können: „Du hast mich geführet wunderlich, aber sehr seliglich.“ Hören Sie nicht auf, in Ihrem Leben und Leiden, in Ihrem Dienen und Ruhen, in Ihrem Wirken und ganzen Wesen den Dank Ihm zu zahlen für die treue Führung, die Er Ihnen hat zu teil werden lassen. Dann wird auch die letzte und ernsteste Stunde, wenn das Auge bricht, Sie in das Bekenntnis betten: „Liebe, Dir ergeb ich mich, Dein zu bleiben ewiglich.“ Der treue HErr, der Seinen Gang und Wort und den Dienst Seines Knechtes bis auf diese Stunde hat gnädig und ohne Verdienst gelingen lassen, der Ihre Schwachheit bisher sehr barmherzig und fürbittend getragen, der trage Sie auch weiter, gebe Ihnen, vergebe Ihnen, helfe Ihnen durch und aus und uns auch, daß wir Ihn alleine schauen, Ihm allein zu Füßen sinken und sprechen: „Nun hast Du mich ganz erlöset, Du treuer GOtt!“

 So sei denn dies mein letzter Wunsch für Sie: „HErr, schenke ihnen das Beste, was Du geben kannst, ein Deiner Gnade fest gewisses Herz, schenke ihnen den Tod unter dem Zeichen, das die Welt überwunden hat, den Tod unter Deinem Kreuze. Amen.

|  „Ich will den HErrn loben allezeit, Sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.“

 Ewiger barmherziger Hoherpriester, Dir sei zu treuen Händen heute und allezeit befohlen, was diese Deine Dienerinnen an Treue des Dankes Dir schulden. Segne ihre Schwachheit aus der Fülle Deiner Stärke, hilf ihnen in Kampf und Ringen aus der Fülle Deines Sieges. Führe alle wunderlich, wie Du es vorhast, aber so, daß sie noch im Scheiden Deinen Namen preisen. Sei über ihnen und uns hochgelobet in Ewigkeit. Ja, HErr Christe, schenke ihnen, schenke uns, schenke der Welt Deinen Frieden. Amen.

JEsus, den wir jetzt mit Loben
Und mit Psalmen hoch erhoben,
JEsus hat aus Gnaden droben
Friedensstätten uns bestellt.

Amen.



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