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Eine wichtige chemische Entdeckung

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Textdaten
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Autor: Heinrich Schwarz
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Titel: Eine wichtige chemische Entdeckung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Synthese und Verwendung von Salicylsäure
siehe auch die Antwort auf diesen Beitrag von Friedrich von Heyden
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[123] Eine wichtige chemische Entdeckung. „Im Vaterlande gilt der Prophet nichts“, so dachte ich, als die „Gartenlaube“ noch immer nichts über eine der wichtigsten chemischen Entdeckungen der Neuzeit brachte, die doch gerade in dem berühmten Leipziger Universitätslaboratorium und von dessen als einer der ausgezeichnetsten Chemiker anerkanntem Leiter, Professor Kolbe, gemacht worden ist. Sie verdient aber, wegen ihrer Wichtigkeit für Hauswirthschaft, für die Volksernährung und Hygiene ein ausgebreitetes Bekanntwerden, wie es gerade die „Gartenlaube“ gewährt, im ausgezeichneten Grade. Es ist mit einem Worte die künstliche Darstellung der Salicylsäure. Wohl mancher Chemiker, der in technischen Journalen die lakonische Anzeige der Fabrik von Fr. von Heyden in Dresden „Salicylsäure, hundert Gran drei Reichsmark“, las, mag sich im Anfange den Kopf zerbrochen haben, einmal darüber, wie man diesen seltenen Stoff zu einem so billigen Preise darstellen – dann wozu man selbst diese billige Salicylsäure wohl im Großen verwerthen könnte.

Das Wintergreenöl, aus welchem man diese Säure sonst herstellte, ist zu theuer, um daraus so billige Salicylsäure zu gewinnen. Dann erhielt man sie auch aus Carbolsäure, indem man metallisches Natrium darin auflöste und unter Erhitzen trockene Kohlensäure einleitete. Da war wieder das Natrium zu theuer. Kolbe’s Entdeckung besteht nun darin, daß er einfach an die Stelle des Natrium das billige Aetznatron setzt, die Verbindung der Carbolsäure damit zur staubigen Trockene bringt und nun das bis auf circa 180° Celsius erhitzte Pulver in einem Strome trockener Kohlensäure erhitzt. Zwar wird dadurch ein Theil der Carbolsäure frei gemacht, die aber nicht verloren geht und in reinster Form wieder gewonnen wird; ein anderer Theil geht aber mit der Kohlensäure und dem Natron eine Verbindung ein, die eben nichts anderes als salicylsaures Natron ist, und nach dem Auslösen im Wasser und Sättigen mit Salzsäure die Salicylsäure in kleinen, hellgelblichen im Wasser schwer löslichen Krystallen niederfallen läßt, die blos abfiltrirt und getrocknet zu werden brauchen, um in den Handel gebracht zu werden.

Sie hat keinen Geruch, einen schwach süßlich-säuerlichen Geschmack, ist nicht ätzend, nicht giftig und kann in ziemlich großen Mengen vom Menschen genossen werden, ohne lästige Erscheinungen hervorzurufen. Ihre Haupteigenschaft, durch welche sie eben die enorme wirthschaftliche Bedeutung erhielt, ist die Giftigkeit für niedere Organismen, durch welche bekanntlich Fäulniß und Gährung hervorgerufen werden. Sie theilt dieselbe mit der bekannten Carbolsäure, aus der sie entstanden ist – aber ohne eine einzige der üblen Wirkungen derselben zu besitzen. Die Carbolsäure riecht sehr übel. Sie wirkt ätzend auf die Haut, reizend auf Wunden, ist, in einigermaßen größerer Menge genossen, auch für höhere Organismen ein gefährliches Gift. Man nahm bisher diese üblen Nebeneigenschaften mit in den Kauf, weil man eben kein besseres fäulnißwidriges Mittel kannte. Das ist aber die enorme Tragweite der Entdeckung der Salicylsäure, daß sie noch besser und in noch kleineren Quantitäten vor Fäulniß schützt, als die Carbolsäure, daß sie daneben aber vollkommen harmlos ist.

Ueber die fäulnißhindernden Wirkungen der Salicylsäure liegen von Kolbe, von Heyden und Anderen die ausgiebigsten Versuche vor. Bier, mit einer Spur Salicylsäure versetzt, wird in offenen Schalen und im Sommer zwar schal, aber nicht sauer. Zuckerlösung, mit Hefe versetzt, hört nach dem Zusatz der Säure zu gähren auf. Milch wird nicht sauer; eingemachtes Obst, Gemüse, Gurken beschlagen nicht. Fleisch, damit übergossen, fault nicht. Selbst als Dr. von Heyden, wie er mir mittheilte, im heißen Herbste des vorigen Jahres sechs Stück Rebhühner erhielt, die sich durch eine Irrung der Eisenbahnverwaltung über vierzehn Tage auf der Eisenbahn herumgetrieben hatten und natürlich den höchsten Hautgout entwickelten, gelang es durch Abwaschen mit Salicylsäurelösung, die Thierchen noch ganz schmackhaft für die Bratpfanne herzurichten. Wenn man nun bedenkt, welche Massen Fleisch in überseeischen Ländern verloren gehen, während unsere Arbeiter und selbst unsere Mittelclassen das Fleisch sich in immer geringeren Quantitäten zumessen müssen; wenn man ferner erwägt, welche nutzlose und schädliche Thierquälerei auch in Europa durch den Transport lebenden Viehs begangen wird, welche unnütze Transportkosten dadurch erwachsen; wenn man endlich auch die lästige Aufbewahrung [124] von Fleisch, Wild, Geflügel, Fischen mittelst Eis in unseren Städten in Betracht zieht – welcher enorme Vortheil muß dadurch erwachsen, daß man frisches Fleisch durch wenige Gramm Salicylsäure auf Wochen und Monate hinaus fast unverändert bewahren kann! Ein einfaches Einlegen und Abwaschen mit frischem Wasser genügt, um das Conservirungsmittel zu entfernen; bliebe selbst etwas daran haften, so übt es weder auf den Geschmack der Nahrung, noch auf die Gesundheit einen schädlichen Einfluß aus.

Noch wichtiger fast sind die Experimente in sanitärer Beziehung, besonders bei Operationen. Hofrath Thiersch in Leipzig berichtet von einer Amputation des Oberschenkels, die vorgenommen wurde, indem man die ganze Operationsstelle in einen Nebel von staubförmig vertheilter Salicylsäurelösung eingehüllt hielt, und später auch die Verbandcompressen mit einer solchen Lösung fortwährend anfeuchtete. Der Amputirte wurde durch sechs Tage lang in Ruhe gelassen, ohne daß man den Verband nachsah oder wechselte. Es trat nicht der mindeste Schmerz noch das geringste Fieber ein, und nach diesen sechs Tagen zeigte sich die Wunde bis auf einige oberflächliche Hautstellen schön vernarbt. Denke man sich die enorme Wohlthat auf Schlachtfeldern und in Spitälern!

Auch Versuche, die Salicylsäure bei inneren Blutfäulnißkrankheiten, Typhus, Cholera etc. anzuwenden, scheinen Erfolg zu versprechen.

In Amerika stellt man mittelst Salicylsäure und Glycerin schon Mundgurgelwasser gegen riechenden Athem etc. als Patentmedicinen dar. Sie werden über den Spahn bezahlt werden, aber, was man sonst von solchen Mitteln nicht immer sagen kann, wirksam sein, falls sie nur Salicylsäure enthalten.

Vor Allem möchte ich unseren Hausfrauen für ihre Speisekammern, im Sommer und zur Einmachezeit, die Salicylsäure nochmals auf das Dringendste empfehlen.
Prof. H. Schwarz in Graz.