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Eine wahre Scene aus dem jetzigen polnischen Kriege

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Schmid
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Titel: Eine wahre Scene aus dem jetzigen polnischen Kriege
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 208
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[208] Eine wahre Scene aus dem jetzigen polnischen Kriege. Eines Tages im Monat September vorigen Jahren, Morgens, als der Tag graute, hörte der mit der Patrouille an der polnischen Grenze sich bewegende Unterofficier Wilhelm Fischer vom 12. ostpreußischen Uhlanen-Regiment das Nothgeschrei weiblicher Stimmen auf jenseitigem Gebiet. Er ließ die Patrouille auf der Grenze halten und sprengte allein dem nahen Walde zu, in welchem er fünf Russen erblickte, die zwei junge Damen aufhängen wollten. Er gab ihnen, den Russen, zu verstehen, daß er den Befehl habe, Verbrechen an der Grenze zu verhindern, mithin sie auffordere, die beiden Damen in Freiheit zu lassen. Sie opponirten sich, Fischer rief sein Commando herbei, ließ die Pistolen aufnehmen und forderte die Russen nochmals auf, die beiden Damen freizugeben. Zehn Uhlanen mit fertig gemachter Schußwaffe wirkten, und Fischer nahm die Damen in Empfang, die er vom nächsten Dorfe ab zu Wagen nach der Garnisonsstadt Willenberg bringen ließ. Sie erholten sich unterwegs von ihrem Schrecken und theilten dann Fischer mit, daß ihre Eltern mehrere Güter in Polen besäßen, welche die Russen in Sequestration genommen, weil ihre beiden Brüder sich den Insurgenten angeschlossen hätten. Um ihr Leben auf preußisches Gebiet zu retten, hätten sie mit ihren Eltern am Abend vorher die Flucht ergriffen, wären aber von Russen verfolgt und von ihren Eltern getrennt worden. In der Nacht wäre es ihnen gelungen, sich im Dickicht des Waldes zu verbergen, des Morgens bei Tagesanbruch hätten jedoch die Russen, ihre Spur verfolgend, sie ergriffen und, da sie ihre Angriffe muthig abgeschlagen, die Absicht gehabt, sie aufzuhängen. Als sie die weiteren Vorbereitungen dazu gemacht, hätte ihr Nothgeschrei ihre Retter herbeigeführt. Fischer meldete den Vorfall seinem Rittmeister, der ihm auftrug, die Damen in der Stadt Willenberg unterzubringen.

Am andern Morgen traf Fischer auf seinem Patrouillegange ein bejahrten Ehepaar höheren Standes, die Frau die Hände ringend und das Unglück ihrer Kinder beweinend. Ohne Paß und sonstige Legitimation mußten sie Fischer bis nach seiner Garnison Willenberg folgen und sich dort dem Rittmeister vorstellen, der Fischer befahl, auch sie unterzubringen. Im Glauben, sie würden wie in Polen nach dem Gefängniß abgeführt, folgten sie ängstlich bis in die Dachstube eines Gasthofs, wo die früher sicher geborgenen beiden Damen mit Freudengeschrei auf ihre Eltern losstürzten, die Mutter sich aber erst später nach einer Ohnmacht erholte, die sie befallen hatte. Eine Scene der Freude und Rührung, wie sie nur selten vorkommen kann, wurde Fischer bei der gegenseitigen Erkennung sichtbar. Der Vater ergriff den Letzteren beim Arme, und indem er ihm für die Rettung seiner beiden 19 und 21 Jahre alten Töchter dankte, sagte er, da seine jüngere Tochter noch nicht Braut sei, so solle sie ihm gehören. Die Verlobung folgte nach, und die flüchtige Familie, Namens Reich, hält sich zur Zeit noch in Willenberg und dort so lange auf, bis die durch die Vermittelung des preußischen Gouvernements bei der russischen Regierung behufs Rückgabe der Güter gethanen Schritte Erfolg haben werden.

Schmid, Premier-Lieutenant.