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Eine verlassene Wüstenstadt

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Textdaten
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Autor: Georg Schweinfurth
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Titel: Eine verlassene Wüstenstadt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 650–653
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Archäologische Exkursion zum antiken Steinbruch Mons Claudianus (Gebel Fatireh)
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Eine verlassene Wüstenstadt.

Mittheilungen über römische Steinbrüche in der ostägyptischen Wüste.
Von G. Schweinfurth.


Wem es vergönnt gewesen, fern von der vielbefahrenen Wasserstraße des Nils einen Einblick in die menschenleere Felswüste und in die starren Gebirgswildnisse zu gewinnen, welche sich auf der Ostseite Aegyptens bis an das Rothe Meer erstrecken, den wird die Seltenheit von Bauresten, Inschriften und anderen daselbst erwarteten Ueberbleibseln aus der alten Kulturwelt überraschen. Nur in dem Wüstenstriche, der in gerader Linie zwischen Theben und der nächsten Meeresküste gelegen ist, nur auf dem wahrscheinlich ältesten Wege, der Aegypten mit der Außenwelt in Verbindung setzte und auf welchem auch die erste Einwanderung in das Nilthal geschah, begegnen wir noch heutigen Tages Zeugen jener großartigen Thatkraft, die an der Ueberwindung von Naturhindernissen ihre Freude hatte.

Auf diesem alten Wege, der heutigen Qeneh-Qosseir-Straße, gelangt man, halbwegs zwischen Nil und Rothem Meere, in das Thal von Hamamat, wo zahlreiche Inschriften aus verschiedenen Epochen von den Thaten der alten Könige berichten. Hier waren die Steinbrüche in Betrieb, die bereits unter der elften Dynastie die Tempel des Nordens mit jenem schwarzen, bunten und feinkörnigen Porphyrgestein versahen, aus welchem Statuen, Sarkophage und andere Bildwerke gehauen wurden, die sich unter den alten Trümmern an allen Tempelstätten vorfinden.

Die alten Aegypter müssen vor der Wüste eine Art heiliger Scheu empfunden haben, dieselbe galt ihnen als das Reich des Todes. Noch heute verrathen die Nilthalbewohner eine eigenthümliche Furcht vor den Schrecken jener Einsamkeit und Menschenleere, welche ihre Einbildungskraft zum Sitze aller bösen Geister gestaltet. Die Beduinen spotten häufig über diese Furchtsamkeit der Aegypter. Gespenstergeschichten in unserem Sinne sind zwar den Letzteren fremd, ihnen graut keineswegs vor Gräbern und dunklen Gewölben, aber um keinen Preis wäre Mancher von ihnen zu bewegen, allein die Nacht in einer Felshöhle der Wüste zu verbringen. Die übertriebene Bewunderung und Verehrung, welche man im 4. und 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung den Anachoreten, jenen frommen Männern zollte, die, abgeschieden von aller Welt, in entlegenen Wüstenthälern und, wie man glaubte, unter beständigem Kampfe mit allen Anfechtungen der Dämonenwelt ihr Dasein verbrachten, finden in diesen Vorstellungen der Aegypter ihre Erklärung.

In ähnlicher Weise läßt sich auch die Frage beantworten, weßhalb die alten Aegypter nicht wenigstens direkte Wege von verschiedenen Punkten des Nils zum völkerverbindenden Meere erschlossen. Die dazu erforderlichen Brunnenanlagen, Fangdämme und ähnliche Wasserbauten hätten einen geeigneten Gegenstand für ihre Thatkraft abgeben können. Das geschah aber erst später unter den Ptolemäern bei zunehmender Handelsbewegung auf dem Rothen Meere. Als dann die Römer Herren des Landes geworden waren, begann in allen Richtungen eine Erforschung der [651] Wüste nach Metall- und Mineralschätzen. Neue Gesteinsarten gelangten in der Bildhauerei zur Verwendung; Marmor, Granit und der Schwarze Stein von Aegypten genügten nicht mehr; die wechselnde Geschmacksrichtung der Verfallszeit führte allerlei Versuche mit vielfarbigem Material herbei, und man war bemüht, mittelmäßigen Kunstgegenständen durch Kostbarkeit und Seltenheit der Masse Dasjenige zu ersetzen, was ihnen an wahrem Kunstwerth abging. Um etwas noch nie Dagewesenes und bei seiner schwierigen Beschaffung nur der Allgewalt des römischen Weltherrschers Zugängliches aufzustellen, kam seit Kaiser Claudius der echte rothe Porphyr in Aufnahme, der nur an einem Berge der östlichen Thebaide, tief in der Wüste und über 140 Kilometer in der Luftlinie vom Nil bei Qeneh entfernt, zu haben war. Zu dem Ende wurde am Porphyrberge, dem heutigen Gebel el Duchan, eine große Niederlassung gegründet, wo Tausende von Sklaven, wahrscheinlich Sträflinge oder Staatsgefangene, in den Steinbrüchen gewaltige Blöcke abzusprengen und von den unzugänglichsten Höhen herab nach dem Thale zu schaffen hatten. Auf einer mit Stationshäusern und Brunnenanlagen besetzten Straße wurden alsdann die, wie viele noch heute in den Kirchen und Museen Italiens prangende Schaustücke bezeugen, oft Tausende von Centnern schweren Massen vermittelst Rollen und Karren durch Ochsen fortbewegt, bis sie in der Nähe des heutigen Qeneh den Nil erreicht hatten.

Eine ähnliche Steinbruchsniederlassung wie am Porphyrites, nur in einem noch größeren Maßstabe und allein zur Gewinnung großer Granitblöcke angelegt, unterhielten die Kaiser Trajan und Hadrian am Mons Claudianus, dem heutigen Gebel Fatireh. Die direkte Entfernung desselben zur nächsten Stelle am Nil bei der heutigen Provinzialhauptstadt Qeneh beträgt 120 Kilometer, und der Weg bis dahin führt ohne jede Terrainschwierigkeit auf der ebenen Thalsohle des gleichnamigen Uadis, dessen flache und breite Rinnsale sich späterhin mit denen des großen Uadi Qeneh vereinigen, so daß die beiden alten Steinbruchstraßen vom Porphyrites und Claudianus auf der letzten Strecke zusammenfallen.

Den Porphyrberg habe ich auf meinen zahlreichen Streifzügen durch die ostägyptische Wüste wiederholt besucht, an den Mons Claudianus aber gelangte ich im vergangenen Winter zum ersten Male, und zwar war ich der dritte Besucher, der von seinem Dortsein Kunde gegeben hat. Zweiundsechszig Jahre sind es her, daß Wilkinson, der hochverdiente Erforscher der ägyptischen Kulturgeschichte, diesen Platz entdeckte und auf einer lateinischen Inschrift seinen alten Namen las. Die einzige Beschreibung, die wir bisher besaßen, rührt von ihm her; denn Lepsius, der im Jahre 1845 auf seinem Wege zum Porphyrberge hier durchkam, hat in seinen geistvollen Reisebriefen dieses Besuches keine Erwähnung gethan. Der unvergeßliche Altmeister der deutschen Aegyptologen hat am Berge des Claudius nicht einmal übernachtet, so wird er wohl nur flüchtig die alten Ruinen durchwandert haben. Auch Beduinen kommen nur sehr selten und vereinzelt, wenn sie ihre weidenden Kamele aufsuchen, in diese abgelegenen Thäler.

Das Gestein des Gebel Fatireh ist ausschließlich Granit. Von den nackten, wildzerklüfteten Höhen herab schimmert hier der Felsen, bei der jener Wüste eigenen Lichtfülle, in allen Farbenstufen vom zarten Aschgrau bis zum alpenglühenden Roth. Bräunliche Felsengänge durchsetzen denselben mit breiten Bändern und vermehren die Farbenpracht dieser nackten, zum Ersatz für den fehlenden Pflanzenschmuck in einer gewissermaßen mineralogischen Schönheit prangenden Gebirge. Es ist ein weiß und schwarz gesprenkelter glimmerreicher Granit, den die Römer hier aufgesucht und bearbeitet haben, von ziemlich lockerem Gefüge, so daß man mit einem Hammerschlage große Scherben abzusprengen vermag. Der Granit von Como, wo man riesige Säulen mit kaum größerer Mühe zuhauen sieht, als es anderwärts mit Holzbalken geschieht, schien mir dem vom Berge des Claudius sehr ähnlich zu sein.

Welchen Zweck konnte es haben, so muß man sich fragen, in dieser entlegenen Wüstenei Tausende von Menschen und Thieren in Bewegung zu setzen, um ein Gestein auszubeuten, das keine besonderen Vorzüge besaß und das sich ebenso gut vor den Thoren von Syene, hart am Nil erlangen ließ? Der zur Fortschaffung der Porphyrmassen beanspruchte Kraftaufwand wird in Anbetracht der Schönheit des Materials und der Einzigkeit seines Vorkommens erklärlich. Wozu aber die Mühewaltung mit dem weit verbreiteten weißen Granit, dessen Blöcke 120 Kilometer weit über Land fortzuschaffen waren?

Der eigentliche Zweck, den diese großartigen Anlagen in der Wüste verfolgt haben können, läßt sich nur unter der Annahme begründen, daß die Präfekten Aegyptens große Scharen von Staatsgefangenen, die sich nach Niederwerfung der häufigen Aufstände in Syrien, in Alexandrien und anderwärts anhäuften, zu beschäftigen hatten und daß der gefährlichere Theil derselben, in den unzugänglichsten Wüsten mit Herbeischaffung von Materialen zu allen möglichen und unmöglichen Bauten betraut, auf solche Art unschädlich gemacht wurde. Die zahlreichen Wächterhäuschen, die auf jedem vorspringenden Punkte und auf jeder Hügelspitze im Umkreise der Steinbrüche zu sehen sind, ebenso die feste Beschaffenheit des Kastells sprechen deutlich von der Sorgfalt, welche die kaiserlichen Befehlshaber auf die Ueberwachung der ihnen anvertrauten gefährlichen Menge zu verwenden hatten. Das Kastell selbst bildet ein nach den vier Himmelsgegenden gerichtetes regelmäßiges Viereck, mißt 70 Meter auf jeder Seite und hat an den Ecken und an den Seiten im Ganzen acht Thürme, die theils halbkreisförmig, theils vierkantig vorspringen. Nur ein Thor führt von der Ostseite ins Innere und ist durch vorspringende Thürme und Mauern eigens geschützt.

Ich vermuthe, daß wohl nirgends in der Welt eine römische Niederlassung in so hohem Grade wohlerhalten auf die Nachwelt gekommen ist, wie die am Mons Claudianus. In Aegypten giebt es noch zahlreiche Burgen dieser Art, deren Mauern stehen geblieben[WS 1] sind, wie beispielsweise bei Abydos, bei Eleuthia, bei Kom-el-ahmar zwischen Esneh und Edfu, in der großen Oase etc., aber nirgends ist uns ein derartiger Einblick in die Einzelheiten der inneren Einrichtung geboten, wie hier. Wäre Pompeji in dieser Verfassung ans Tageslicht gelangt, so hätte man nicht nöthig auf spekulativem Wege Modelle von römischen Wohnhäusern zusammenzusetzen, denn die letzteren würden in Substanz vorliegen. Leider aber waren die Behausungen in einer abgeschiedenen Wüstenfestung höchst ursprünglicher Art und jedes Schmuckes bar, so daß hier wenig zum Verständniß der häuslichen Einrichtungen dargeboten erscheint. Zwar gewahrt man neben gefängnißartigen dunkelen Zellenlöchern geräumige Stuben, in denen zugehauene Säulen die Steinbalkenlagen des Daches tragen, steinerne Wasserbecken und Wannen, Fußgestelle zu Leuchtern, Hausaltäre und dergleichen umherliegen, das waren die Wohnungen der Vornehmen, der militärischen Hauptleute, der Ingenieure und Werkführer bei den Sprengungen („Philosophen“ genannt), der Steinmetzen von Beruf, aber alles ist hier von Stein, rohbehauene Granitplatten und -Balken sind als Thür- und Fenstereinfassung, als Sitze, als Gestelle zusammengethan, Bewurf und eigentliches Mauerwerk findet sich nur an den wenigen Luxusbauten, die sich außerhalb des Kastells vorfinden, nämlich am Tempel, am Wohnhause des Befehlshabers und am Bade. Diese sind der fanatischen Zerstörungswuth der späteren Besucher nicht entgangen und befinden sich daher in ähnlichem Zustande wie derartige Ruinen in anderen Gegenden Aegyptens.

Betritt man durch den hohen mit gewaltigen Granitbalken überdeckten Thoreingang das Innere des Kastells, so öffnet sich eine enge Hauptstraße, auf welche zu beiden Seiten je drei noch schmälere Parallelgassen folgen. Ein großer Theil der Mauern ist eingestürzt, wo die als Mörtel verwandte Lehmmasse durch gelegentliche Regengüsse längst weggespült wurde und in Folge davon die Bruchsteine ihren Halt verloren. Zahlreiche Häuser sind jedoch unverändert und besitzen noch ihre aus umfangreichen Platten und langen Balken von Granit gebildeten Decken. Sie waren heute noch wohlbewohnbar. Angehäufter Ziegenmist beweist in der That, daß vorübergehend hier Beduinen ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben. Freie Plätze giebt es im Innern des Kastells nicht, eine Wohnung lehnt sich dicht an die andere, und wahrscheinlich waren selbst die Gassen dazwischen zum Schutze gegen die Sonne überdeckt.

Vor dem Thore stößt an die Mauern des Kastells zunächst eine große Amtsstube mit an den Wänden umherlaufenden Steinbänken, nicht unähnlich einem heutigen „Diwan“ (Amtsstube). Dann folgen zwei von Mauern eingeschlossene vierkantige Räume, die je 20 Meter breit und 50 Meter lang mit der Längsseite auf einander stoßen und neben dem Kastell gegen die Thalmitte zu Front machen.

[652] Der nördliche Raum hat im Inneren zwei lange Reihen Steinbänke, es waren die Futtertröge für das Zugvieh, der südliche Raum enthält in fünf Reihen aufgestellte aus Bruchsteinen geschichtete Pfeiler, welche offenbar ein aus Stroh und Palmblättern gebildetes Schattendach trugen. Hier wurden die Zugthiere untergebracht, von denen zwischen den Steinpfeilern der Decke je eine Reihe Platz fand. Es war hier Raum für 250 Ochsen vorhanden. Kamele bedurften keiner Stallungen, und die Kornspeicher pflegen in Aegypten aus einfachen Mauereinfriedigungen zu bestehen, innerhalb welcher das Getreide zu hohen Haufen aufgeworfen wird.

Am Ostende des Viehhofs gewahrt man eine tiefe Grube ohne Mauerreste, die wahrscheinlich zur Aufnahme des bei gelegentlichen Regengüssen auf der Thalsohle zusammenfließenden Wassers diente. Die eigentliche Wasserstation lag in einer südlichen Seitenschlucht, ein Kilometer vom Kastell entfernt, in höherer Lage, so daß eine Röhrenleitung wohl zu diesem herunterführen konnte.

Alle diese Wasserwerke vermochten indeß für die Bedürfnisse einer so großen Niederlassung, in welcher sich die Vornehmen noch obendrein den Luxus von Bädern gestatten konnten, allein nicht auszureichen. Jedenfalls waren beständig Hunderte von Kamelen auf den Beinen, die Tagereisen weit, vom Nil oder von den natürlichen Cisternen der Gebirge das Wasser in größeren Mengen herbeitrugen.

Eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges bietet der Tempel, welcher auf einer Felsanhöhe dicht unter dem Fuße der nördlichen Thalwand errichtet war. Von der Nordwestecke des Kastells führt an dem Wohnhause des Befehlshabers vorbei eine breite Rampe hinauf, die in eine Treppe mit 20 Stufen ausläuft. Letztere führt zu einer Plattform, auf der die Trümmer eines Altarsteins liegen, dessen Inschrift besagt, daß der Präfekt (Eparch) Sulpicius Simius ihn im 12. Jahre des Trajan (110 n. Chr.) errichten ließ.[1] Auf der Plattform folgt eine unvollendete Vorhalle. Der vollendete Theil des Tempelbaues besteht aus einem zweikammerigen festen Mauerwerk mit eigenthümlichen Nischen, Thür- und Fensteröffnungen.

Obgleich die baulichen Einrichtungen dieser Niederlassung auf einen weit größeren Maßstab im Betriebe der Arbeiten schließen lassen, als es am Porphyrberge der Fall war, so scheint doch die Annahme gerechtfertigt, daß die Werke am Mons Claudianus nur während der Regierung der genannten zwei Kaiser in Thätigkeit waren und dann für immer liegen gelassen worden sind. Der Porphyrites zeigt ein weit entwickeltes Netz von geebneten Wegen und aufgemauerten Rampen, die zur Fortschaffung der Blöcke an allen Berggehängen in Zickzackwindungen ansteigen. Man scheint am Berge des Claudius hauptsächlich große Säulenschäfte und Kapitäle gebrochen zu haben. Die größten Stücke derselben finden sich theils dicht am Kastell, theils auf den Höhen in Nordost von demselben, wohin eine breite Rampe mit an den Abgründen hochaufgemauerter Grundlage hinaufführt.

In einem kleinen Nebenthal, das unterhalb der Niederlassung von Osten her aus den Bergen herabsteigt, liegen auf einer in der Thalsohle errichteten Rampe vier Säulen von sechs bis neun Meter Länge aufgestapelt, gleichsam zum Aufladen auf Karren bereit. Der massigste Monolith, den diese Steinbrüche noch aufzuweisen haben, ist eine Säule von 18 Meter Länge und 2,6 Meter Durchmesser. Sie liegt geborsten am Ursprunge des soeben erwähnten Säulenthals. Auf jeder Seite sieht man an der roh zugehauenen Masse eine wulstartige Anschwellung, entsprechend den Zapfen an den Seiten einer Kanone. In diesem Wulst sind zwei tiefe Löcher angebracht, zur Aufnahme der bei der Fortschaffung in Anwendung kommenden Klammern. Durch eine derartige Einrichtung wurde die Masse des Säulenschafts vor Verletzung geschont. Zu demselben Zwecke waren alle Säulen mit einem verdickten Ende versehen. Zu welchem Tempelbau diese Säulen bestimmt waren, ist unbekannt, jedenfalls handelte es sich um ein Werk erster Größe. Wie in den Granitsteinbrüchen am Felsberg und bei Assuan wurden auch hier vorzüglich isolirte Blöcke in Angriff genommen, da diese mehr Gewähr gegen die Gefahr unerwarteter Risse boten. Das Absprengen geschah durch lange Reihen ausgemeißelter Löcher, in welche Holzkeile von 11 Centimeter Länge und 7 Centimeter Dicke trocken eingetrieben wurden, um später befeuchtet zu werden. Ueberall, wo die langen Zickzacklinien der Keillöcherreihen die mühsame Arbeit der Steinmetzen verrathen, liegen Kohlenreste und Eisenschlacken umher. Hier wurden die Meißel und Steinhauerwerkzeuge umgeschmiedet, geschärft und gehärtet. Die großen Rohblöcke (schlechtweg „marmor“ genannt), die bereits freigelegt waren, wurden zur leichteren Fortbewegung zunächst auf Füße von kleinen Steinen gesetzt. Dann wurden sie mit fortlaufenden römischen Nummern und der Chiffre des Werkführers (Philosophen) versehen, z. B. P D XLVI. Einem Jeden war wahrscheinlich eine bestimmte Zahl fertigzustellender Blöcke zugewiesen, vielleicht auch entsprach eine gewisse Zahl dem abzubüßenden Strafmaße des Staatsgefangenen.

Die zu den Steinbrüchen hinaufführenden Rampen und Wege waren, meist in Abständen von acht bis zehn Meter auf beiden Seiten, mit zwei Meter hohen kompakten Steinhaufen von halbtonnenförmiger Gestalt besetzt. In Ermangelung von Felsen mußten diese Steinhaufen als Stützpunkte zur Befestigung der Flaschenzüge, Krähne und anderer „ingenia artis“ dienen, wenn die abgesprengten Massen thalwärts fortbewegt wurden. Diese Einrichtung hat sich in anderen Steinbrüchen aus der Römerzeit bisher nicht nachweisen lassen.

Der Leser wird aus der Beschreibung des römischen Kastells mit dem Tempel dahinter, zur Linken auf unserm Bilde, den Viehhof erkennen. Der höchste Berg auf der rechten Seite ist der gegen 2000 Meter Meereshöhe erreichende Gebel Fatireh. Zum Verständniß des Lesers habe ich auch mit Fleiß eine Steinbruchstraße, besetzt mit den halbtonnennförmigen Steinhaufen, der großen Säule von 18 Meter Länge und einem auf Füße gestellten Rohblock, in den Vordergrund der linken Seite gebracht, während in Wirklichkeit diese Gegenstände auf die gegenüberliegende Thalwand im Nordwesten vom Kastell hingehören.

Die beigegebene Ansicht ist von einem auf der Südseite der römischen Niederlassung gelegenen Standorte, am Abhange der das Thal um 100 bis 200 Meter überragenden Hügel aufgenommen. Dem Auge des Beschauers bietet sich hier ein für die Granitregion der östlichen Wüste sehr charakteristisches Bergpanorama dar. Einem erstarrten Strome gleich zieht sich zu seinen Füßen die macadamartig ebene Thalsohle mit ihrem feinen hellleuchtenden Gerölle im Bogen durch die bald in Gestalt breiter Kegel und Kuppen, bald als dachförmige Rücken auftretenden Vorhügel hin; im Hintergrunde sieht man die Einmündungsstelle in das Hauptthal. Obgleich hier und dort durch eigenthümlich gestaltete höhere Einzelberge unterbrochen, verschmelzen doch alle die Vorhügel, wenn man von den Hauptbergen auf sie herabzublicken Gelegenheit findet, in ein endloses Gewirre, zu einem förmlichen Hügelbrei, und die Erdoberfläche erscheint wie eine Reliefkarte mit ihren zahllos verzweigten Thalsenkungen, Runzeln und Furchen. Dieses Gewirre weit überragend starren in stolzem Aufbau aus Tausenden und abertausenden von Zacken und Kegeln gebildet die großen Massen des Centralstocks in die Lüfte, es sind die Wirbelglieder des eigentlichen Gebirgsrückgrats. Wie aus dem Häusermeer einer großen Stadt die gothischen Dome, so überragen hier diese Götterburgen die kleineren Schöpfungen der Geotechnik, die menschlichen Verhältnissen näher liegen. Unsere europäische Gebirge bieten nur selten Beispiele einer derartig ausgeprägten Gebirgsaristokratie.

Alles strahlt hier wider und glüht in der Lichtfülle der ägyptischen Sonne. Die in einander geschobenen mannigfaltigen Bergumrisse, die mit ihren lang ausgezogenen Linien bei uns in Europa sich durch ebenso viele Farbentöne perspektivisch gliedern und sich in blauen und violetten Abstufungen von einander abheben würden, flimmern hier in einem unbestimmten Gemenge, nur die auffälligsten Gestalten, einige spitze Kegel und Zacken, selten einmal ein beschatteter Steilabsturz, unterbrechen diese Einförmigkeit, und Kontouren, die durch kilometerweite Abstände von einander geschieden sind, fließen in eins zusammen, als gehörten sie zu ein und derselben Bergwand. Ganz anders freilich gestaltet sich das Bild, sobald während der Wintermonate Wolken den Himmel überziehen; da treten plötzlich Tausende bisher versteckter Gestalten hervor und schwanken unstät im beständigen Wechsel der Schatten durch das kaleidoskopartig wogende Hügelmeer.


  1. Die zum Architrav bestimmt gewesenen Steinbalken, die Wilkinson beschreibt, habe ich nicht auffinden können. Die darauf befindliche Inschrift soll sich auf das zweite Regierungsjahr des Hadrian (119 n. Chr.) bezogen haben.

[653]

Ansicht der römischen Niederlassung am Mons Claudianus (Gebel Fatireh) in der ostägyptischen Wüste.
Nach der Natur gezeichnet von Prof. G. Schweinfurth.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: geglieben.