Eine neue Riesenblume
[292] Eine neue Riesenblume. Der italienische Botaniker Odoardo Beccari, welcher jüngst von seinen Forschungsreisen in Ostindien und Neu-Guinea heimgekehrt ist, hat aus Sumatra eine Riesenblume entdeckt, die selbst ihrer 1818 aufgefundenen riesigen Landsmännin, der Rafflesia Arnoldi, die bisher als die kolossalste Blume der Welt galt, die Palme streitig macht. Sie gehört der Familie des in unseren Wäldern vorkommenden Aronstabes, den Aroideen an, und ihre Blüthe kann man sich am besten vorstellen, wenn man sich diejenige unserer bekannten Fensterpflanze, der äthiopischen Calla, in’s Titanenhafte vergrößert denkt. Aus einer Riesenknolle von nahezu anderthalb Metern Umfang wächst ein einziges dreigetheiltes Blatt hervor, dessen dicht weißgefleckter Stiel an der Basis einen Umfang von neunzig Centimeter hat, und welches eine Fläche von fünfzehn Metern im Umfange bedeckt. Die Blüthendüte, welche einen Durchmesser von dreiundachtzig Centimeter besitzt, ist aber nicht weiß und glatt, wie bei der Calla, sondern außen grünlich und innen, namentlich am obern gezähnelten Rande, dunkel purpurroth; sie bildet einen Trichter von siebenzig Centimeter Tiefe, dessen Wandung gefältelt ist. Aus dieser Blüthe erhebt sich der mehr als anderthalb Meter lange Fruchtkolben, der nur an seinem untersten Theile mit den lebhaft rothen Früchten besetzt ist. Die ganze Pflanze ist in allen ihren Theilen so kolossal, daß nach dem Ausgraben der Knolle zwei Mann nöthig waren, um sie von der Stelle zu schaffen.
Die obengenannte Nebenbuhlerin der Wälder Sumatras, welche die Namen ihrer beiden Entdecker, des Gouverneurs Sir Raffles und des Dr. Arnold, trägt, kann bei einem Durchmesser von neunzig Cubikmeter doch nicht mit ihr concurriren weil sie ohne Stengel auf fremden Wurzeln schmarotzt und mehr einem Pilze als einer Blume gleicht, auch ebenso vergänglich ist wie die Pilze; man hat daher auch niemals Versuche gemacht, sie zu cultiviren. Dagegen bemüht sich der Marquis Salviati, die neue Riesenpflanze, welche den Namen Amorphophallus Titanum erhalten hat, in seinen Gewächshäusern bei Florenz aus den mitgebrachten Samen zu ziehen und vielleicht werden wir daher bald das Vergnügen haben, den merkwürdigsten Repräsentanten der Riesenblumen Sumatras in unseren Floratempeln bewundern, zu können und uns dabei freudig zu erinnern, daß die Wunder der Natur immer noch nicht so erforscht sind, um nicht mit neuen Ueberraschungen die Anstrengungen der Reisenden zu lohnen. Erstaunlich bleibt es freilich immer, daß solch ein vegetabilisches Ungetüm sich so lange hat ihren Blicken entziehen können.