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Eine heitere Staatseinrichtung

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Eine heitere Staatseinrichtung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 54
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[54] Eine heitere Staatseinrichtung. Aegypten – erzählt Wilhelm Gentz[WS 1] in seinen soeben in Berlin erschienenen interessanten Briefen aus Aegypten und Nubien[WS 2] – Aegypten ist das Land, in dem, wenn man keine Geduld besitzt, man dieselbe erlernen kann. Die Gelegenheiten mangeln nicht, wo dieselbe auf die Probe gestellt wird. Was man bei uns an einem Tage abmachen kann, dazu gebraucht man hier ihrer acht. Von Worthalten ist keine Rede; alles Falschheit, Lüge, Interesse, Betrug; eine Demoralisation im höchsten Grade. In der europäischen Türkei[WS 3] existirt wenigstens ein Schatten von Gerechtigkeit, hier davon nicht einmal die Spur. – Um ein Beispiel anzuführen, will ich von den Spitzbuben reden.

Auch heute noch bilden, wie im alten Aegypten, Spitzbubenbanden einen integrirenden Theil des Staatsorganismus; ihre von der Regierung autorisirten Scheiks (Chefs) verpflichten sich nur, nichts, was dem Staate gehört, zu stehlen, oder, wenn etwas gestohlen wird, es zurückzugeben. Einer der jetzigen Chefs, ein hagerer, langer Kerl, mit großem Kopf, noch größeren Augen, langen Armen, starrem nüchternen Blick, schmalen Lippen, denen selten ein Wort zu entreißen ist, verdankt folgender Geschichte sein Glück, an die Spitze gestellt zu sein. –

Wenn ein Spitzbube in die Innung tritt, sucht er seine Geschicklichkeit durch eine kühne That zu bezeugen. Dieser nun drang Nachts in’s Palais Mehemet Ali’s und zwar trotz aller Wachen und Eunuchen bis in das Schlafzimmer, und nahm den Rosenkranz und Dolch des Fürsten vom Betttisch; da aber Mehemet Ali nicht schlief und ganz wenig die Augen öffnete, zog der Spitzhube, der dies sogleich bemerkte, den Dolch aus seinem Heft und hielt ihn eine Viertelstunde schwebend über seinem Kopf, während welcher Zeit er wahrscheinlich nachdachte, ob er den Mord begehen sollte oder nicht. Mehemet Ali that, als ob er schliefe; der Spitzbube entfernte sich und schickte ihm folgenden Tages den gestohlenen Dolch und Rosenkranz zurück, wie dies immer geschieht, wenn das Entwendete des Pascha’s oder der Regierung Eigenthum ist. Der Kriegsminister drang darauf, den Dieb hinrichten zu lassen; der Pascha meinte aber, daß so seltene Talente erhalten werden müßten, gab ihm eine jährliche Pension und machte ihn zum Chef der ganzen Innung.

Wenn Jemandem etwas gestohlen und dies zurück gewünscht wird, so wendet man sich an den Chef, giebt Ihm eine angemessene Belohnung, und man ist sicher, dasselbe zurück zu erhalten. Gewöhnlich thut dies die Regierung; den Spitzbuben bekommt man aber nie. Die Spitzbuben theilen ihre Beute unter sich, den Chefs und den Regierungsbeamten. Will man eine Reise machen, und vor Ueberfällen sich sichern, dann läßt man sich einen Firman[WS 4] geben, den man theuer bezahlt, weil einen Theil davon die Regierung, einen andern aber die Innung nimmt: dann ist man sicher, daß man respektirt wird. – Bei den alten Aegyptern war dieselbe Sitte; auch bei den Spaniern fanden sich ähnliche Gebräuche.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Karl Wilhelm Gentz (1822-1890), deutscher Maler (Quelle: Wikipedia)
  2. „Briefe einer Reise nach Ägypten und Nubien 1850/1851“, Berlin 1853
  3. Vorlage: In Europa (Korrektur gemäß Heft 6, Seite 66)
  4. Erlass, Dekret, Vollmacht oder Verordnung eines Souveräns in islamischen Ländern (Quelle: Wikipedia)