Zum Inhalt springen

Eine geschichtliche Parallele

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Eine geschichtliche Parallele
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 535
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[535] Eine geschichtliche Parallele. Man hat die Geisteskrankheit des Königs Ludwig II. von Bayern mit mancherlei ähnlichen Fällen aus der Regentengeschichte aller Zeiten verglichen; man hat dabei auch den Wahnsinn der römischen Cäsaren mit herangezogen, und in der That, wenn die Blutbefehle, die der ursprünglich so genial angelegte, bedauernswerthe Fürst in letzter Lebenszeit gegeben, ausgeführt worden wären, so würde diese Aehnlichleit noch weit mehr in die Augen gefallen sein. Doch der Kulturstand der Zeit ist eben ein anderer, und blinde Werkzeuge, wie es die Römer Nero’s waren, würde heut zu Tage kein irrsinniger Fürst finden, der in seinen dunklen Stunden ausschweifenden Despotenlaunen huldigte. Neuerdings hat Professor Stieve in einem Münchener Blatte auf einen deutschen Kaiser hingewiesen, dessen geistiger Zustand mit dem des verstorbenen Königs von Bayern eine auffallende Verwandtschaft hatte, auf Kaiser Rudolf II. In der That, vergleicht man, was auch der große Historiker Leopold Ranke in seiner „Deutschen Geschichte“ über diesen Kaiser sagt, mit den genaueren Mittheilungen Stieve’s, so glaubt man fast, eine geschichtliche Doublette vor Augen zu haben; denn fast alle einzelnen Erscheinungen der Geisteskrankheit decken sich in wunderbarer Weise. Es ist ja bekannt, daß die Lehrer der Seelenheilkunde die Krankheiten in bestimmte Rubriken gebracht haben, und daß es ebenso schwer ist, auf dem Gebiete des Wahnsinns originell zu sein, wie auf dem der schöpferischen Kunst; gleichwohl wird eine so augenscheinliche Wiederkehr derselben Aeußerungen der Seelenstörung zu den größten Seltenheiten gehören. Kaiser Rudolf stattete seine Gemächer mit unerhörter Pracht aus; Scepter, Krone und Reichsapfel ließ er für eine Million Gulden, eine damals ganz ungeheure Summe, anfertigen, und mit dem prachtvollen Schlitten des Königs Ludwig mochte jener Tisch wetteifern, dessen Platte eine aus Edelsteinen zusammengesetzte Landschaft zeigte. Er hatte Verständniß und Neignng für die bildenden Künste. Seine Abneignng gegen eine Heirath war unüberwindlich: man wünschte seine Vermählung mit seiner Kousine Isabelle; so oft aber die Hochzeit anberaumt werden sollte, verlangte er Aufschub. Zwanzig Jahre gingen darüber hin; dann heirathete Isabelle Rudolf’s Bruder Albrecht. Dies Ereigniß brachte den Irrsinn des Kaisers zu vollem Ausbruch. „Die Krankheit Kaiser Rudolf’s,“ sagt Stieve, „offenbarte sich in Menschenscheu, in stets regem Mißtrauen, welches nur ausnahmsweise für kürzere oder längere Fristen ebenso maßlosem Vertrauen Platz machte, in überaus reizbarer Eifersucht auf sein Ansehen und übertriebener Vorstellung von der Erhabenheit seiner Würde, in Trübsinn und angstvoller Erregung und beständiger Furcht, durch Mörder sein Leben oder durch einen seiner Brüder seine Krone zu verlieren. In einer Ständeversammlung zu erscheinen konnte Rudolf nur noch ein einziges Mal durch Androhung von Gewalt gezwungen werden. Höchst selten fuhr er aus, und dann fast ausnahmslos in der Nacht. In der Regel erging er sich nur in den Gärten und Baulichkeiten des Schlosses auf dem Hradschin, und dann durfte ihm Niemand begegnen. Wohnte er Schaustellungen an, so mußte dafür gesorgt werden, daß ihn Niemand sehen konnte. Seine Mahlzeiten nahm er immer allein ein, und die ihn Bedienenden durften dabei kein Wort sprechen.“ Ranke berichtet, daß die Kammerdiener zu den wichtigsten und einflußreichsten Männern gehörten, die Bestallungen für Civil und Militär vermittelten und noch mehr die Gnadenbeweise; daß sich ohne ihr Fürwort Niemand dem Kaiser nähern, geschweige etwas bei ihm erreichen konnte; er spricht von den Ausbrüchen seiner mit Jähzorn gemischten Melancholie, welche die Erzherzöge als „gefährliche Intervalle“ bezeichneten. Dann mißhandelte der Kaiser seine Diener mit den Fäusten und warf ihnen Teller und Tafelgeschirr an den Kopf. Auch mit Selbstmordgedanken trug er sich und versuchte öfter Hand an sich zu legen.

Sollte man nicht glauben, daß die Weltgeschichte sich bisweilen der Kopirtinte bedient und ganze Blätter aus ihren Annalen mit unverwandelten Schriftzügen wiederholt? Das Königsschloß Hradschin an den Ufern der Moldau und die Burg Hohenschwangau in den Alpen erzählen wortgetreu dieselbe Kunde von der traurigen Geistesumnachtung vereinsamter Herrscher. †