Eine Wanderung nach dem Mummelsee
Oft und viel hatte ich während meines Aufenthalts in Baden von dem räthselhaften, geheimnißvollen See gehört und gelesen, der tief im unwirthlichen Gebirge liege, und zwar mehrere tausend Fuß über der Rheinebene. Schon der wunderliche Name Mummelsee muß Aufmerksamkeit erregen, und ich weiß nicht, war es Verlangen nach dem nie geschauten Anblick eines See’s auf der Höhe des Gebirgs, oder waren es die anziehenden, wundersamen Sagen, die von ihm in der Gegend heimisch sind, was mich immer unwiderstehlich dahin zog. Aber es schien, als wolle mich irgend ein neckischer Kobold von dieser Wanderung abhalten, denn so oft ich einen Tag zum Ausfluge dahin festgesetzt, jedesmal trat wieder ein unvorhergesehenes Hinderniß dazwischen. Endlich, an einem heiteren Morgen des jüngst verflossenen Jahres, trat ich die Wanderung wirklich an. Die Sonne war in ungetrübtem Glanze aufgegangen und versprach einen herrlichen Tag; allenthalben funkelten Gras und Laub im strahlenden Juwelenschimmer des reichlich gefallenen Nachtthaues. Rüstig und aufgeräumt wanderte ich im frischen Morgen dahin, durchzog die Eichenallee mit ihren Schatten, wo mir der stattliche Thurm auf dem Merkuriusberge seinen Morgengruß [104] zuwinkte; begrüßte das stille, einsame Nonnenkloster Lichtenthal, aus dessen Hallen eben der erste Morgengesang der frommen Beterinnen dem jungen Tag entgegen tönte; ich schritt die Häuserreihe des Dorfes hindurch, und hielt meine Schritte nicht eher an, als bis ich die Höhe vor dem Weiler Geroldsau erreicht hatte, wo sich ein reizendes Bild vor meinen Blicken entfaltete. Ein Kranz gewaltiger Berge mit angebauten Vorhügeln umzieht hier einen lieblichen Wiesengrund, durch welchen der Waldbach bald hell und klar, bald schäumend und rauschend im steinigen Bette seine Wellen dahinrollt, während an seinem Ufer die bescheidenen Wohnungen des eben genannten Weilers sich hinreihen. Wie still und friedsam steht dort die kleine Kapelle am Waldessaum, von den mächtigen Schatten der dunkeln Tannen umdüstert! Einen Augenblick weidete ich mich an dieser idyllischen Landschaft, dann setzte ich meine Wanderung fort und hatte bald die letzten Häuser Geroldsau’s hinter mir. Jetzt nahm mich der finstere Tannenwald in seine Schatten auf. Der Weg stieg nun aufwerts, immer dem Ufer des Waldstroms zur Seite, der in der engen Thalschlucht zwischen den Felsen und dem Steingerölle sich durchdrängt. Nicht sehr lange war ich im kühlen Waldesdunkel hingewandert, als mein Ohr ein dumpfes Rauschen vernahm, und nach wenigen Minuten war ich an die Stelle gelangt, wo sich der wilde Waldstrom über einen Felsenabsatz in ein Granitbecken herabstürzt, das er sich im Laufe von Jahrtausenden mühsam ausgehöhlt. Es ist dieß zwar nicht ein großartiger Catarakt, wie der Fellbach bei Tryberg, oder der Reichenbach oder der Staubbach, aber dieser Wassersturz gewährt immerhin in seiner wilden Umgebung einen anziehenden Anblick, und das gewaltige Kreuz auf der Höhe des Felsberges zur Linken schaut gar bedeutungsvoll in das Thal herab. Unweit des Falles erweitert sich das Thal wieder; grüne, reichbewässerte Wiesen mit weidenden Rindern und Ziegen breiten sich im Grunde aus, und rechts steht an dem Eingang einer Thalschlucht eine ärmliche Gebirgswohnung, blos aus rohem Gebälk zusammengefügt. Immer tiefer zog sich der breite, bequeme Weg ins Gebirg, immer höher aufsteigend, und je weiter ich eindrang in die wundersame Bergwelt mit ihren ahnungsvollen Schauern, desto mehr zog sie mich an und ich [105] begann mich ganz heimisch zu fühlen in ihren Waldesschatten. Die Berghänge mit ihren dämmrigen Hallen, getragen von den schlanken Stämmen der düstern Schwarztannen und überwölbt von lichtgrünen Buchenzweigen; die tausend und wieder tausenderlei Stauden, Kräuter, Moose und Flechten mit ihren Blüthen, Beeren, Samen und Früchten, die zwischen und über dem Steingeröll üppig wucherten und nicht selten ein undurchdringliches Gestrüpp bildeten, oder den Boden gleich dem herrlichsten Teppich überzogen; die gewaltigen Granitmassen und das zerklüftete Gestein, die an den Bergwänden hervortraten; die zerrissenen Felsschluchten, von kristallklaren Quellen durchzogen, begrüßten mich traulich, wie einen alten Bekannten, und die ganze Natur umher sprach zu mir und erzählte von Zeiten und Ereignissen, die weit hinausreichen über alle Geschichte. Hier erst ward es mir klar, wie die Sehnsucht nach der Heimath den Sohn des Gebirges im innersten Leben erfassen kann, bis das ungestillte Weh das Herz ihm bricht.
Als ich nach etwas mehr als zweistündiger Wanderung den Grat eines langen Bergrückens erstiegen, lag vor mir auf einer abgeflachten Einsenkung der Berge das einsame Gebirgsdorf Herrenwiese, dessen unbedeutende Feldmark ringsum von waldumkränzten Gebirgsköpfen umzogen wird. Das Dorf ist arm und seine Bewohner erwerben ihren Unterhalt meist durch Holzfällen in den benachbarten Waldungen, während sie ihren Bedarf mit vieler Mühe aus weit entfernten Orten herbeischaffen müssen. In der einzigen, eben nicht sehr einladenden Schenke des Ortes nahm ich kein glänzendes, aber ein nahrhaftes Frühstück zu mir, und schritt dann rüstig weiter.
Von hier führt der Pfad eine Zeit lang fast eben fort, immer zwischen Waldungen hin, an deren Saum der gelbe Enzian blüht und die rothe Preisselbeere allenthalben aus der grünen Bodendecke hervorglänzt. Bei der Hundseck, einer einsamen Waldwohnung, ging es wieder steil den Berg hinan und ich erreichte nicht ohne Anstrengung die Höhe des Hochkopfes, der sich in einem endlos langen Bergrücken südwerts zieht. Diese Höhe ist fast ganz von Bäumen entblößt, und nur das Haidekraut mit seinen rothen Blüthen deckt in üppiger Fülle den Boden, wo allenthalben mächtige Sandsteinblöcke zerstreut [106] liegen, von gewaltigen Fluthen in einer urweltlichen Erdrevolution auf diese Höhen gewälzt. Wie öde und einsam auch Alles umher ist, – eine unvergleichliche, entzückende Fernsicht entschädigt reichlich dafür. Die Perle aller teutschen Gauen, das herrliche Rheinthal, breitet sich vor den Blicken aus in all seiner Pracht und Fülle, mit seinen blühenden Feldern und duftenden Rebhügeln, mit seinen gewerbsamen Städten und reinlichen Dörfern, mit seinen zahllosen Flüssen und Bächen, die alle raschen Laufes dem mächtigen Rheine zueilen, der einen Namen trägt, ruhmreicher wie kein anderer Strom der Erde. Wer zählt all’ die Schlachten auf, die an seinen Ufern geschlagen, wer all’ die Thaten, die hier in Liedern besungen worden? Drüben aber aus dem Dufte der Ferne steigt Erwin’s gewaltiger Riesenbau zum Himmel empor und schaut wehmüthig nach dem ernsten Schwarzwald herüber, den er einst, gleich den Bergen des Wasgau’s, seine Heimath genannt.
Endlich hatte ich das Ende des langgedehnten Bergrückens erreicht, aber ich war gar nicht freudig überrascht, als ich mich jetzt plötzlich durch einen tiefen, breiten Einschnitt des Gebirges von den Hornisgrinden getrennt sah, an deren südöstlichem Abhange das Ziel meiner Wanderung lag. Mißmuthig stieg ich hinab, um auf der andern Seite noch höher wieder hinaufzuklimmen, doch empfand ich es nicht wenig angenehm, als ich wieder auf Waldungen traf und kühle Schatten mich umfingen, denn die Sonne war bereits hoch gestiegen und ihre Strahlen hatten in der baumlosen Oede heiß auf meinem Scheitel gebrannt. Meine Freude sollte indeß nicht lange währen, denn die Schatten wurden bald wieder lichter, der Wald dünner und die Bäume gewannen immer mehr ein schwächlicheres, kränklicheres Aussehen, bis sie zuletzt ganz verschwanden. Endlich änderte sich auch der schöne Teppich von Moos und Haidekraut unter meinen Füßen, und als ich die hohe Gebirgsfläche, welche den Namen Hornisgrinde trägt, erreicht hatte, bedeckte nur erdfahles Sumpfmoos den unfruchtbaren, lockern Torfboden, der nur hier und da einer verkrüppelten Krummholzkiefer die spärliche Nahrung spendet. Oeder, trauriger läßt sich kaum eine Gegend denken als diese, wo selbst die grüne Farbe aus der Vegetation verschwunden ist. An einem gewaltigen Steinhaufen [107] kam ich vorüber, dem man die Gestalt eines Thurmes gegeben, und der bei der Landesvermessung zum Signalpunkt diente; wanderte nun auf eine Gruppe verkümmerter Kiefern zu und stand plötzlich – am Rand eines gewaltigen Bergkessels. Jäh und steil fiel die Kluft mehrere hundert Fuß tief hinab; wild durcheinander geworfene Felsblöcke, zwischen denen mächtige Tannen zum Himmel empor strebten, überdeckten die abschüssigen Hänge, und den ganzen Grund der weiten Schlucht füllte der Mummelsee aus. Mühsam kletterte ich zwischen dem Gestein hinab und erreichte bald das felsige Ufer. Still und unbeweglich wie der acherusische See, schwarz und schauerlich wie das Asphaltgewässer des todten Meeres, lag der Wasserspiegel vor mir. Kein Blick vermag zu ergründen diese schauerliche Tiefe und die Geheimnisse zu erspähen, die sie birgt auf ihrem Grunde. Kein lebendes Wesen beherbergt er in seinem düstern Schooße und kein Ton unterbricht die ewige Stille der Umgebung, als zuweilen das Gekreisch eines Raubvogels.
Der Aufenthalt in dieser öden Wildniß hat etwas ungemein Ergreifendes, und wer einmal hier gewesen, wird es leicht begreiflich finden, daß sich die Sage so viel mit diesem See beschäftigt und daß schon die Alten ihm den Namen Wundersee gegeben. Ich suchte mir ein Ruheplätzchen am Ufer und fand es neben einem frischen Bergquell, der frisch und klar zwischen dem Gestein herabsprudelte, wo ich mich auf die schwellende Moosdecke niederließ. Gerade mir gegenüber öffnete sich die hohe Bergwand und in dieser Oeffnung drängt sich durch Felsen hindurch der Abfluß des See, der Seebach, und eilt hastig in das Thal hinab, sich mit der Acher zu vereinigen, einem kleinen Bergwasser, da aber oft zum wilden, reißenden Strome anschwillt und verheerend durch die Thäler braußt. Doch meine Blicke hafteten nur auf dem dunkeln Gewässer, dessen Spiegel sich jetzt bisweilen leise zu kräuseln begann, und vor meiner Seele vorüber zogen all die wundersamen Sagen, so ich schon von diesem Bergsee vernommen und wiegten mich in tiefe Träume. So lag ich lange, lange, wie lange weiß ich nicht, aber im Westen sank die Sonne hinab, die Schwingen der Dämmerung flogen über die Erde, und die Schatten der Berge legten sich über den See; der Nachthimmel, mit den ewigen Sternen und [108] dem bleichen Mondesantlitz, spiegelte sich wieder auf der dunkeln Fläche, während das Geläute der Abendglocken sanft verhallend aus den Thälern zu mir herauf klang. Da war es mir plötzlich, als ziehe sich eine Decke von der bisher verschlossenen Wasserschlucht, und die unermeßnen Tiefen erschlößen meinen Augen ihre Geheimnisse. Zauberische Hesperidengärten erblühten in frühlingsherrlicher Wunderpracht auf dem Grunde des schlafenden See’s, wo die bräutliche Myrthe und die duftende Orangenblüthe, mit hellblinkenden Kristallblumen und blutrothen Korallen und tausend andern Blüthen und Blumenkelchen von niegesehener Gestalt und Farbenpracht, sich zu den wundersamsten Gruppen, Lauben und Irrgängen seltsam verwoben. Dazwischen aber auf den gewundenen Wegen vom reinsten Kristallsand wandelten die lieblichen Bewohnerinnen der Wasserwelt: schlanke, ätherische Gestalten, so fein und zart, so hold und entzückend, von solch überirdischer Reizesanmuth, daß sie geschaffen schienen aus dem duftigsten Wellenschaum, durchwebt mit Lilienschnee und Rosenschmelz. Kosend und scherzend schwebten sie zephyrleicht durch die Gebüsche und warfen bisweilen Blicke zu mir empor voll brennender Sehnsucht und wonniger Liebesgluth. Wie schauten sie verlockend aus ihren dunklen Augen zu mir herauf! – da mit Einemmale trübte sich der krystallhelle Wasserspiegel; immer farbloser und verworrener wurden die zauberischen Bilder; wogend und wirbelnd drehten sich die Wasser im tiefen Grunde durcheinander, und Alles verschwamm zu einer wirren chaotischen Masse, aus deren dunklem Kerne jetzt die seltsamsten Mißgestalten sich zu entknäueln begannen. Häßliche Molche, Seedrachen, Wasserschlangen, Skorpionen, Medusen, Mollusken und allerlei eckelhaftes Gewürm kroch wimmelnd in unzähliger Menge wild durcheinander, dazwischen aber empor tauchten mißgestaltete Kobolde, grinsten aus ihren verzerrten Gesichtszügen höhnend mich an, oder hoben drohend ihre zwerghaften Fäuste gegen mich. Dort näherte sich mir eine riesige Seespinne mit ihren scheußlichen Füßen, ätzendes Gift nach mir speiend; da reckte ein gräßlicher Polyp seinen endlosen Arm nach mir aus, den er immer länger und länger dehnte, bis er mich fassen konnte – ich wollte um Hülfe rufen, allein jeder Laut war mir in der Brust festgebannt.
[109] Der Gutenabendgruß eines Forstgesellen aus der Herrenwiese weckte mich aus dem entsetzlichen Traume. Hastig raffte ich mich auf und schickte mich schweigend zum Weiterwandern an. Es war ganz Nacht geworden und am tiefblauen Himmel flammten die hohen Leuchten in ungetrübtem Glanze und streuten ihr silberblühendes Licht durch das Dunkel. Noch einen Blick warf ich auf den wundersamen See, dann folgte ich dem sich mir zum Führer anbietenden Jäger, der eben in das Dickicht des Waldes hinein schritt, wo die Tannenzweige dem Mondeslicht noch hinreichend Durchgang gestatteten, daß wir rasch und ungehindert zwischen den schlanken Baumsäulen hindurchwandern konnten. Noch hatten wir keine weite Strecke zurückgelegt, als wir aus dem tiefen Waldesschatten heraus und ins Freie traten. Hier aber wartete meiner ein überraschender, wahrhaft zauberischer Anblick.
Rings im Kreis umzogen die gewaltigen, finstern Bergriesen den Horizont und reckten ihre Häupter tief hinein in des Mondes milden Schein; zwischen den düstern Baumgruppen an den Gebirgshängen traten riesige Felsmassen heller hervor, oder einzelne Steingiganten ragten wie Nachtgespenster aus dem Boden; aus den Schluchten und Klüften aber stiegen die alten Berggeister auf und zogen als seltsame Neugestalten über die Wipfel der Bäume hin, während glänzende Thauperlen wie Elfen auf grünem Laub und duftenden Blumenkelchen schaukelnd sich wiegten. Und über die ganze Landschaft hatte sich ein leichter, feiner Nebel gebreitet, der sich mit dem halben Mondeslichte zu einem duftig durchsichtigen Nebelschleier verwob und dem Bilde jene feenhafte Färbung verlieh, die uns die Brust mit unbegriffener Ahnung erfüllt und unaussprechlicher Sehnsucht. Nur ungern schied ich von dieser Stelle und von dem zauberhaften Gemälde, das sich hier zeigte, aber mein Führer drängte; so gehorchte ich seiner Mahnung, und wir folgten dem Pfade abwerts, der sich zwischen Felsstücken und Gesträuch hinab zieht. Endlich hatten wir den Thalgrund erreicht, wo der Weg fortan längs der rauschenden Acher hinführt.
„Dort liegt der Bosenstein!“ – sprach jetzt mein Führer, indem er nach einem dunkeln Hügel links hinzeigte, dessen ungewöhnliche Gestalt wohl von dem dort befindlichen Gemäuer [110] herrühren mochte, das aber von Bäumen und Gesträuch so überwachsen war, daß man es beim Mondenlicht kaum zu unterscheiden vermochte. Das Geschlecht der Herren von Bosenstein ist sehr alt und war einst reichbegütert und mächtig. Im Jahre 1773 starb der Letzte dieses Geschlechts mit Hinterlassung von sieben Töchtern, nachdem er die Burg wieder an sich gebracht, die fast dritthalb hundert Jahre in fremden Händen gewesen. Mein Führer erzählte mir viel von dem großen Umfange der Burg und den Gütern, die einst dazu gehört, und knüpfte daran die bekannte Sage von der eingemauerten Burgfrau von Bosenstein im Gottschläg.[1] Der gute Mann war nun einmal im Zuge, und nun folgte eine Geschichte der andern. Das Meiste davon war mir schon bekannt; Anderes war theils neu erfunden, theils äußerst fade. Die anziehendste von den mir noch unbekannten Sagen war folgende:
„In der Legelsau, einer reizenden Seitenwindung des Kapplerthales, wohnte einst ein Förster der Herren von Bosenstein mit seiner Hausfrau und seinem einzigen Sohne, einem stattlichen Burschen von zwanzig Jahren. Frisch und kerngesund an Leib und Seele und dabei blühend in kräftiger Jugendfülle, war der junge Berwin die Freude und der Stolz seiner Eltern, und schon ging er dem betagten Vater in seinen beschwerlichen Berufsgeschäften kräftig an die Hand, war ein rastloser, unermüdlicher Jäger und ein Schütze, der seines Gleichen suchte von nah und fern, und Keinen fürchteten die Wildschützen der Umgegend mehr, als ihn. Aufgewachsen unter den Bäumen des Waldes, gab es für ihn keinen schönern Aufenthalt, als in der lieben freien Gotteswelt und im grünen Schatten von Berg und Thal, wo die schlanken Tannen und breitästigen Buchen ihm lauter alte Bekannte waren. Vom frühen Morgen an schweifte Berwin über Höhen und Schluchten und kehrte meist erst am späten Abend zum heimathlichen Herde zurück, worüber ihm manch freundlich-ernste Zurechtweisung von der Mutter zu Theil ward. Doch war der junge Waidmann deßhalb nichts weniger als ein Menschenfeind, und häufig fand er sich an Sonn- und Festtagen in der Schenke zu Seebach ein, wo er [111] sich mit den jungen Burschen des Thals belustigte, und auf der Kirchweihe oder sonst bei ländlichen Festen, war er der schmuckeste und flinkeste Tänzer; manches Mädchenauge blickte verstohlen nach dem schönen Jägersmann und mancher Seufzer stahl sich aus zarter Brust, wenn er den Tanzplatz wieder verließ. Aber die schönen Dirnen galten ihm alle gleich; er scherzte und tanzte mit allen und keine konnte sich eines Vorzuges in seinem Herzen rühmen.
Eines Tages kam Berwin von den Höhen der Hornisgrinde herab; es war ein heißer Tag und der Durst trieb ihn zu der frischen, klaren Bergquelle, die unweit des Mummelsee’s im Schatten grünen Gebüsches entspringt und nach wenigen Schritten ihr Wasser mit dem des See’s vermischt. Er labte sich weidlich an der hellen, sprudelnden Quelle, und die Heimlichkeit des Orts verlockte ihn, auf dem blühenden Haidekraut sich niederzulassen, wo auch alsbald ein leiser Schlummer seine Augen umfing. Lange dauerte dieser indeß nicht; er erwachte bald wieder und richtete sich auf; aber wer beschreibt sein Staunen, als er, sich gerade gegenüber, am jenseitigen Ufer eine Mädchengestalt sitzen sah, von solch zauberhafter Schönheit, wie noch in keinem Traume, geschweige denn in der Wirklichkeit ein Frauenbild ihm erschienen war. Das war kein irdisches Wesen! Auf Erden reiften nicht solche Himmelsreize! Des blendendsten Schnee’s Schimmer mußte verglimmen vor der Weiße dieses herrlich geformten Lilienantlitzes, und die Rosen von Pästum erbleichen vor dem zarten Hauch ihrer Wangen. In diesem Gesicht voll unnennbarer Anmuth lag ein ganzer Himmel unendlicher Seligkeit, und diese taubenmilden, klugen Augen drangen unwiderstehlicher als die feurigsten Blicke in des jungen Jägers Seele, dort eine Flamme weckend, die nur mit seines Athems letztem Hauche verlöschen sollte. Ein süßer Schauer durchbebte ihn bis ins innerste Mark und unwillkürliche Seufzer entstiegen seiner beklommenen Brust. Mit dem Binden eines Straußes von Haideblumen beschäftigt, war dies holde Frauenbild bisher in sorgloser Unbefangenheit im Ufergrase gesessen; bei dem ungewöhnlichen Ton aber schaute sie auf und als sie die Gestalt des Jägers erblickte, sprang sie rasch empor und stürzte sich kopfüber in die Fluthen des See’s, dessen über ihr zusammenschlagende [112] Wasser sie alsbald Berwin’s Blicken entzogen. – Mit sich hinab in die Tiefe nahm sie die Ruhe seines Lebens. Mit Staunen, ja mit Entsetzen starrte sein Blick nach der Stelle hin, wo das holde Kind verschwunden war, schweifte von dort nach dem Platze, wo sie gesessen, und sah etwas schimmern im grünen Gestrüpp. Er eilte hin und fand dort den Schleier des reizenden Wunderkindes, den sie vor Eile vergessen und der von so feinem Gewebe war, daß er sich leicht in einer Hand verbergen ließ. Berwin drückte den glücklichen Fund an sein Herz, an seine Lippen und barg ihn zuletzt an seinem Busen. Er weilte noch lang am Ufer des See’s, immer hoffend, die Erscheinung werde noch einmal zurückkehren, um das Vergessene zu holen. Aber vergebens! Als endlich die Sonne hinabgesunken und Mond und Sterne am dunkelnden Himmel heraufzogen, trat er den Rückweg an und erreichte halb träumend das Forsthaus, wo er sich alsbald unter dem Vorwand von Ermüdung auf seine Kammer begab.
Am andern Morgen frisch gestärkt erwacht, däuchte ihm die ganze Begebenheit nur ein schöner Frühlingstraum. Als er aber auf dem Sitze neben seinem Lager den Schleier der Seejungfrau erblickte, da ward wieder Alles deutlich und lebendig vor seiner Seele, und die Sehnsucht nach dem süßen Wunderkinde lockte ihn unwiderstehlich abermals nach dem See. Und Tag für Tag trieb es ihn fortan nach dem verhängnißvollen Gewässer, stets in banger Hoffnung dort harrend, ob die holde Jungfrau sich nicht wieder zeigen werde. Doch sie kam nicht wieder. Aber diese Täuschung, das ungestillte Sehnen und der Schmerz der Liebe zehrten an seinem Herzblut, und der tiefe Seelengram bleichte seine Wangen.
Mit unendlichem Kummer sahen die betagten Eltern, wie der einzige geliebte Sohn in der Blüthe seiner Jahre dem Grabe zuwankte, wie er täglich bleicher und stiller ward, wie nichts mehr auf Erden ihn zu erfreuen vermochte. Wohl war die arme Mutter in ihrem Jammer oft in ihn gedrungen, ihr zu sagen, was so schwer ihn bedrücke, aber nur ausweichende Worte waren seine Antwort.
In dem benachbarten Dorfe Seebach wohnte damals ein herrschaftlicher Beiförster, der bei Berwin’s Vater einst die Jägerei [113] erlernt und als Waidgesell lang in dessen Dienst gestanden hatte. Eckhart, so hieß er, war nicht nur im Forsthause, sondern auch in der ganzen Umgegend, seines biedern, freundlichen Wesens wegen gern gesehen, und mit besonderer Liebe hing von frühester Jugend an Berwin an ihm, der ihn mit den Waffen umzugehen lehrte und ihm den ersten Unterricht in dem edlen Waidwerk ertheilte. Und auch jetzt noch, nachdem Eckhart schon Jahre lang den herrschaftlichen Dienst angetreten, genoß er der alten Liebe und erfreute sich des unumschränkten Vertrauens der Familie des Forsthauses in der Legelsau. An ihn wandte sich die betrübte Mutter, und der Biedere versprach, sein Möglichstes zu thun, um dem Leid, das am Herzen des Jünglings nagte, auf die Spur zu kommen, oder ihn selbst zum Geständniß zu bringen.
In Kurzem gelang es ihm auch, auszukundschaften, daß Berwin tagtäglich den Mummelsee besuche; er beobachtete ihn, wie er Stunden lang am Ufer in tiefen Gedanken saß, öfters aus tiefster Brust aufseufzte und dann und wann etwas Weißes aus dem Busen zog, das er an sein Herz drückte und an seine Lippen. Er wußte nun es einzurichten, daß er eines Tages, wie zufällig, im Gebirge mit ihm zusammentraf. Sie begannen ein gleichgültiges Gespräch, während dessen sie sich im kühlen Waldesschatten auf schwellender Moosdecke niederließen. Eckhart rückte seinem Ziele näher, und seinem treuherzigen, eindringlichen Zureden vermochte der offene Berwin nicht lange zu widerstehen. Er gestand seine glühende, hoffnungslose Liebe zu der reizenden Wasserjungfrau und zeigte sogar den Schleier vor, den er am Ufer gefunden.
Die Jägersleute stehen eben nicht im Rufe besonderer Frömmigkeit; doch Eckhart besaß einen frommen Sinn und ein gläubiges Gemüth, und in der ganzen Erzählung seines jungen Freundes sah er nur eine höllische Verblendung, den Jüngling ins Verderben zu locken. Er suchte ihn darum mit aller Kraft seiner einfachen, natürlichen Beredtsamkeit zu überzeugen, daß dies verführerische Gebild aus dem Wundersee nichts anders sey, als ein finsterer Geist des Abgrunds, den der Böse heraufgesendet, seine Seele zu verderben. So lang er das Lügenbild in seinem Herzen trage, habe die Hölle Theil an ihm; und dieß werde [114] nicht aus seinen Gedanken schwinden, so lang er den unseligen Schleier nicht von sich werfe, dessen Zauberkraft ihn zugleich unfehlbar in seiner Verblendung dem Grabe zuführen müsse. Berwin wurde nachdenkend; er erinnerte sich mancher unheimlichen Erzählung von den Bewohnern des Mummelsee’s, und sein Kleinmuth erwachte, so daß es zuletzt dem Drängen Eckhart’s gelang, daß er diesem sogar den Schleier übergab, wiewohl nur mit widerstrebendem Herzen. Bald darauf trennten sie sich, denn es war schon spät geworden.
Eckhart war nicht wenig erfreut über das Gelingen seines Auftrags. Aber noch war das Werk nicht ganz vollbracht; noch blieb ihm ein wichtiger Schritt übrig, um seinen jungen Freund aus den Schlingen des Bösen und seiner Diener zu befreien, wie der Glaube jener Zeit wähnte. Und kaum graute in der andern Frühe der Morgen, als er sich auf den Weg nach den Hornisgrinden machte; am See angekommen, wand er den Schleier um einen schweren Stein und schleuderte ihn so weit in das Wasser, als er vermochte, dann stieg er die Höhe des Berges vollends hinan, den etwaigen Erfolg dort abzuwarten.
In Berwin’s Augen kam in der Nacht, welche der Unterredung mit Eckhart folgte, kein Schlaf. Er konnte den Gedanken nicht los werden, daß er mit dem Schleier das ganze Glück seines Lebens aus den Händen gegeben und Eckhart ihn getäuscht habe; denn lebendiger, reizender als je, stand jetzt das Bild der Wasserjungfrau vor seiner Seele und unbezwinglich ward die Sehnsucht nach ihr. Er wälzte sich ruhelos auf seinem Lager, und kaum dämmerte der erste Schein im Osten, so trat er schon den Weg an nach dem See, wohin es ihn so unaufhaltsam zog. Träumend schritt er dort am Ufer hin; da sieht er Etwas in der Mitte des Wassers schwimmen; er sieht genauer hin, und, täuscht ihn nicht Alles, so ist es der verhängnißvolle Schleier, den er zu seinem großen Leid aus den Händen gegeben. Ja, so war es; er trügte sich nicht. Ein rüstiger Schwimmer, besinnt er sich nicht lange, und stürzt sich jählings in den See. Jetzt ist er dem schwimmenden Gewebe nahe, schon streckt er die Hände darnach aus, – da beginnt er unaufhaltsam zu sinken, tiefer und immer tiefer, bis die schwarzen Gewässer über ihm zusammen schlagen und ihn bergen in ihrer bodenlosen [115] Tiefe. – Nie ward er wieder gesehen. Hatte ein Krampf ihn erfaßt und im tiefsten Grunde des See’s sein Grab finden lassen, oder haben die Nixen ihn hinabgezogen in ihr schirmendes Reich – Niemand weiß es zu sagen. Eckhart kam zu spät von der Höhe des Berges herab ihm nach, um ihn noch retten zu können, und ihm blieb nur die traurige Pflicht, den alten Aeltern die schreckliche Kunde von dem unglücklichen Ende ihres Sohnes zu bringen.“
Mein Führer hatte kaum diese Geschichte geendet, als wir vor der ersehnten Herberge im Städtchen Kappel-Rodeck anlangten, wo mich Labe und Ruhe die Mühseligkeiten des etwas beschwerlichen Weges bald vergessen ließen.
- ↑ Siehe S. 72 dieses Bandes.