Eine Wanderung durch die Adelsberger Höhle in Krain
Mein Weg führte mich von den berühmten Quecksilberwerken von Idria in Kärnthen nach dem Karst, dem höhlenreichen Kalksteinplateau Illyriens. Meine Begleiter, ein Sachse und ein Engländer, und ich beschlossen natürlich, die berühmte Adelsberger Grotte nicht zu übergehen.
In Begleitung von drei Führern und drei Andern, welche die Beleuchtung zu besorgen hatten, traten wir unsern Weg nach der Grotte an. Derselbe führt vom Städtchen Adelsberg hinab in das anmuthige Thal der Poik. Nach Verlauf von einer kleinen halben Stunde erreichten wir den Eingang, der eine natürliche Kluft bildet, die durch ein Gitterthor gesperrt wird. Dicht daneben, aber 60 Fuß tiefer, stürzt sich die Poik durch eine andere Spalte in die Höhle.
Ein breiter, mäßig hoher Gang führte uns erst etwas aufwärts, dann aber 13 Stufen abwärts über eine natürliche Brücke, ein Felsengewölbe, das jedenfalls durch die Poik, welche mindestens 100 Fuß darunter hinbraust, ausgewaschen worden ist, zu dem sogenannten Balcon, von welchem man den ersten größeren Theil der Höhle, den Dom, am besten übersieht. Derselbe, 510 Fuß vom Eingange entfernt, ist 154 F. breit und erhebt sich 70 F. über den Standpunkt des Beschauers, während seine Tiefe unter dem Balcon mindestens das Doppelte beträgt. Wunderbar gestaltete Säulen von Kalksinter (Stalagmiten) von Fingerlänge bis zu 50 Fuß im Umfange und 30 Fuß Höhe, bald als kolossale Baumstämme, bald als riesige Spargel oder unförmliche Statuen gestaltet, scheinen das Gewölbe zu stützen, während gleich seltsam geformte Stalaktiten von der Decke herabhängen. An der einen Seite desselben befindet sich ein Denkmal zur Erinnerung an die Anwesenheit des Kaisers Franz I., mit der Inschrift: „Franz I., Kaiser von Oesterreich, der Gerechte, der Gütige, der Weise, stand am 16. Mai 1816 hier, und besah diesen unterirdischen Schauplatz der wirkenden Natur.“
Von da etwas abwärts steigend, standen wir plötzlich an einer dunklen Kluft, aus welcher das Tosen des Wassers herauf schallte, und an deren Rande hin der Weg in die „alte Grotte“ führt. Hier wurde die Fahrt allerdings etwas gefährlich, aber obgleich der Führer uns abrieth, dieselbe zu betreten, so schritt doch unser Engländer muthig voran und wir eben so rüstig hinterdrein. Dies hatte jedoch sehr bald ein Ende; der schlüpfrige Pfad wurde immer schmaler, bis zu einer Breite von 12–15 Zoll. Rechts hatten wir die steile Felsenwand und links einen Abgrund von 50–70 Fuß Tiefe; ein Ausgleiten auf dem schlammigen Boden hätte uns also jedenfalls das Tageslicht nicht wieder erblicken lassen. Als uns aber der Führer gar noch einen Gang von ungefähr 20–25 Zoll Höhe zeigte, durch welchen wir auf allen Vieren im Schlamme hindurchkriechen sollten, so erklärten wir einstimmig, auf die Wunder dieses Theiles der Höhle Verzicht leisten zu wollen; nur der Engländer steckte noch neugierig den Kopf hinein, da ihm aber in demselben Augenblicke ein herabfallender Tropfen die Stearinkerze auslöschte, [701] und er außerdem verdächtige Spuren von Schlammbächen auf seinem weißem Chemisette bemerkte, so zog er es doch vor, uns zu folgen.
Uebrigens ist dieser Zweig der Grotte, nach daselbst vorhandenen Inschriften zu urtheilen, schon frühzeitig bekannt geworden (angeblich hat man die Jahreszahl 1213 darin vorgefunden), aber wahrscheinlich im 18. Jahrhundert des gefährlichen Zuganges wegen nicht mehr besucht worden. In der letzten kleinen Halle war noch vor einigen 20 Jahren ein inkrustirtes Skelett, „das vertropfte Gerippe“, deutlich zu erkennen; gegenwärtig ist keine Spur mehr davon sichtbar.
Ein ziemlich enger Gang durch Stalagmiten führte uns vom Dom in die 1818 entdeckte Kaiser Ferdinands-Grotte. Am Eingange derselben ist ein Denkmal zur Erinnerung an die Anwesenheit des Kaisers Ferdinand, damals noch Kronprinz, aufgestellt.
Die durchschnittliche Höhe dieses Theils der Höhle beträgt 10 bis 20 Fuß, und nur an einigen Stellen erhebt sie sich bis zu 30 Fuß. Je weiter man aber in ihr fortschreitet, desto schöner und zahlreicher werden die Bildungen von Kalksinter. Ich will den Leser nicht durch eine ausführliche Beschreibung der schönen Tropfsteinformen, der Säulen, Vorhänge, Halskrausen, Fransen, versteinerten Wasserfälle, Taufbecken, Meereswogen, Netze etc. ermüden, wie sie am Ende in allen Tropfsteinhöhlen vorkommen, Viele Bildungen zeigen allerdings eine frappante Aehnlichkeit mit Gegenständen aus dem häuslichen und öffentlichen Leben, der Thierwelt, berühmten Statuen etc. Vielen hat aber das Volk auch Namen beigelegt, wo wirklich nur eine ausschweifende Phantasie eine entfernte Aehnlichkeit mit der Wirklichkeit herausfinden kann, wie z. B. beim Nordlicht, Mondschein, der Portion Gefrornes, dem Bilde, Stockhause, der Dorfkirche etc.
285 Klafter vom Eingange entfernt erweitert sich die Grotte zu einem 42 Fuß hohen, 150 Fuß langen und 90 Fuß breiten Gewölbe, dem sogenannten Tanz- oder Turniersaale, in welchem alljährlich zum Pfingstmontage das berühmte Grottenfest gefeiert wird. 5–600 Fremde und ebenso viele Einheimische besuchen an diesem Tage die Grotte, welche vom Eingange bis hinter zum Calvarienberge glänzend erleuchtet ist. Im Tanzsaale selbst ist ein Musikchor aufgestellt, welches die Ballreigen aufspielt. Jedenfalls hat dieses Local vor allen andern den Vorzug einer angenehmen Kühle. Weiße Atlasschuhe dürfen die Damen allerdings nicht tragen, da es sich doch ereignen kann, daß sie bei dem zierlichsten Pas in die Lage kommen können, geologische Untersuchungen über die Tiefe irgend eines Schlammtümpels zu machen.
Vom Tanzsaal, zwischen den Stalagmiten, dem heiligen Antonius von Padua und der Marienzeller Mutter Gottes hindurchgehend, gelangten wir in einen niedrigen Gang, aus welchem plötzlich tief unten herauf ein dumpfes Läuten unser Ohr traf. Der eigenthümlich zitternd wehmüthige Glockenton, der mir aus weiter Ferne herzukommen schien, das unaufhörliche monotone Geräusch der von der Decke auf die Stalagmiten fallenden Wassertropfen und das ferne Rauschen der Poik: Alles das zusammen gab eine Musik, durch welche ich unwillkürlich an die alte Sage vom versunkenen Julin erinnert wurde, dessen Kirchenglocken zu Zeiten noch wie ein Grabgeläute aus dem Meere herauftönen. Die wehmüthig feierliche Stimmung, in welche wir plötzlich versetzt worden waren, machte aber ebenso schnell einer humoristischen Laune Platz, [702] als wir, um eine Ecke herumkommend, am Ende des Ganges vier der vorangegangenen Führer erblickten, die, mit gewaltigen Holzscheiten bewaffnet, unbarmherzig einige der höchsten Stalagmiten bearbeiteten, durch deren Erzitterung jenes eigenthümliche Läuten hervorgebracht wurde.
Von der Glocke an führt der Weg durch eine wahre Allee von Stalagmiten hindurch 144 Fuß lang über einen 2 Fuß hohen Damm, welcher angelegt wurde, weil nach anhaltendem Regen sich hier Wassertümpel bilden, bis zu dem Grabe, einem der schönsten und größten Tropfsteingebilde. Links davon öffnet sich die neue Franz Joseph’s- und Elisabethsgrotte. Schon früher war hier ein Seitengang bekannt, der aber in 18 Klaftern Entfernung vom Kalksteinfelsen geschlossen wurde. In derselben Richtung verläuft jenseits vom Fuße des Loiblberges ein Grottenzweig, und die Zwischenwand, welche beide Räume trennt, wurde nur auf 2½ Klaftern veranschlagt, daher man schon vor Jahren einen Durchschlag versuchte. Vor dem Besuche des Kaisers Franz Joseph und der Kaiserin Elisabeth, deren Namen dieser Grottenzweig jetzt trägt, am 11. März 1857, wurde dieser Durchschlag durch die 6 Klafter dicke Felswand auch ausgeführt.
Waren wir bisher überrascht worden durch die Seltsamkeit der Formen und ihre gewaltige Ausdehnung, so gesellte sich zu den früheren jetzt ein neuer Reiz, der der blendenden Weiße und theilweise auch schönen bunten Färbung der Stalagmiten. Die ersten Theile der Höhle sind von den häufigen Besuchen mit Pechfackeln schon sehr geschwärzt, was bei dieser, da sie vorher weniger besucht wurde, nicht der Fall ist.
Mehrmals bemerkte ich in diesem Theile gewaltige, über einander aufgehäufte Felsblöcke, jedenfalls die Spuren eines bedeutenden Einsturzes. Die geringe Kalksinterbildung auf ihnen bewies, daß derselbe vor nicht zu langer Zeit erfolgt sein konnte, obgleich die Führer uns versicherten, daß seit Menschengedenken nie etwas Derartiges vorgekommen sei. Am Ausgange der Franz-Josephsgrotte erweiterte sich dieselbe zu einer bedeutenden Höhlung, und wir standen plötzlich am Fuße des nicht unbedeutenden unterirdischen Berges Loibl, dessen Spitze ein 5 Fuß hoher röthlicher Stalagmit, der Kapuziner oder Eremit, ziert.
Von hier an wurde unsere Wanderung etwas beschwerlicher, den aufrechten Gang mußten wir häufig mit einer sehr gebückten Haltung vertauschen und der Weg, der bis dahin immer ziemlich rein, oft ganz trocken gewesen war, wurde naß und schlammig. Wie uns der Führer versicherte, ist derselbe häufig, wenigstens der hintere Theil, bei dem Hochwasser der Poik, deren unterirdischer Lauf hier nahe vorbeiführen muß, vollständig überschwemmt.
Schon auf dem Loibl hatte ein eigenthümliches Plätschern, ganz verschieden von dem monotonen Klange des gewöhnlichen Tropfenfalls, unsere Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Wir waren nicht lange gegangen, so standen wir vor der Ursache desselben, dem Tropfbrunnen, einem etwa 6 Fuß über die Grundfläche der Höhle, die hier mit Wasser bedeckt ist, aufsteigenden abgestumpften Kegel, der aber ein Becken von 1 Fuß im Durchmesser hat, in welches von der 60 Fuß hohen Decke ein dünner Wasserstrahl ununterbrochen herabfällt. Das Wasser fließt aus dem Becken des im langsamen Anwachsen begriffenen Kegels in ein Bassin am Boden herab. Dicht daneben hat man eine der großartigsten Ansichten dieses kolossalen unterirdischen Baues. Ein hervorspringendes Plateau ist nämlich gelegentlich der Anwesenheit des Kaisers Franz Joseph und der Kaiserin Elisabeth 1857 zu einem Belvedere umgestaltet worden, welches eine wahre Musterkarte der mannichfachen Tropfsteinbildungen der Grotte darstellt. Sind sämmtliche Räume gut beleuchtet, so hat man von hier aus einen wahrhaft zauberischen Anblick der verschiedenen Etagen dieses Grottentheils. – Eine Viertelstunde hinter dem Belvedere gelangt man zu einem kleineren Tropfbrunnen, hinter dem sich dieser Arm der Höhle in die letzten zwei Aeste theilt. Der eine führt links durch eine enge, mit weißen und braunen Stalaktiten ausgestattete Kluft zu einem fensterartigen Loche, durch welches man in den sogenannten See schaut, einen ungefähr 60 Fuß im Durchmesser haltenden Trichter, der bei mittlerem Wasserstande eine Tiefe von 30 Fuß hat, nach anhaltendem Regen aber auch überläuft.
Der rechte Arm zieht sich steil in eine obere Etage der Höhle hinauf, welche von einem gewaltigen Pfeiler getragen wird. Hinter demselben öffnet sich eine große Halle mit zahlreichen, weißen Stalagmiten und einem wahren braun und weiß gefärbten Krystallboden, welche zu dem Tartarus führt, einer ausgedehnten, gewaltigen Doline von wenigstens 60 Fuß Tiefe, die aus zwei Abtheilungen besteht, welche durch einen schmalen Grat getrennt sind.
Denselben Weg wieder zurückgehend, gelangten wir bei dem Loibl und der Büste von St. Stephan vorbei zu dem schönsten Punkte der Adelsberger und wohl aller Krainer Höhlen, zu dem sogenannten Calvarienberge. Während wir den See und den Tartarus besucht hatten, waren fünf der Führer vorausgeeilt, um diesen wundersamen Bau in die herrlichste Beleuchtung zu setzen.
Aus einer engen Kluft heraustretend, erhob sich vor uns plötzlich in einem hohen Dome in drei steilen Absätzen ein 192 Fuß hoher Berg, dessen Abhänge mit Tausenden der herrlichsten bis 30 Fuß hohen Stalagmiten bedeckt waren, denen eben so viele Stalaktiten ihre Arme von oben entgegenstreckten. Von blendendem Weiß, gelblich, röthlich glänzend starren sie in den wunderbarsten Formen und Gruppirungen in die Höhe, wie eine in den seltsamsten Bewegungen plötzlich erstarrte, versteinerte Menschenmasse. Nimmt man noch die Wirkung des Lichtes hinzu, welches sich tausendfach in den kleinen Krystallen und Wassertropfen bricht, mit denen alles überzogen ist, so hat man ein Bild vor sich, wie es sich kaum die ausschweifende Phantasie eines Märchendichters seltsamer und herrlicher denken kann. Die Führer nennen einen Theil davon, seiner vielen schlanken und schönen Säulen wegen, den Mailänder Dom. Ich habe denselben gesehen und bewundert, wie wenige Meisterwerke, aber man thut dem Calvarienberge wahrlich keine Ehre an, wenn man dieses prachtvolle Werk einer Jahrtausende schaffenden Kraft nach einem menschlichen Bauwerke benennt.
Nahe am Gipfel befindet sich ein gewaltiger Felsblock, die Arche Noah. Von dieser wendeten wir uns zu einer dreieckigen Anhöhe, die gegen die rechte Seitenwand der Höhle ansteigt und mit weißen Stalagmiten besät ist, die von dem braunen Boden und Hintergrunde malerisch abstechen. Das Volk hat sie den großen Altar genannt, weil es in der Unzahl Säulen, die alle den Berg hinaufzuwandern scheinen, den Zug des Volkes auf Golgatha erblicken wollte. Dahinter geht es steil hinab in noch weit ausgedehnte Klüfte und Gänge, die aber bis jetzt noch nicht gangbar gemacht worden sind. Wir gingen daher auf die andere Seite des Calvarienberges durch die Pforte und die Säulenallee, eine quer über den Weg gestellte Säulenreihe, bis zum Eingange der Erzherzog Johanns-Grotte, deren Tropfsteinbildungen am wenigsten beschädigt und am reinsten erhalten sind.
Unter den vielen schönen Gebilden, welche den Theil der Höhle von hier bis zum Grabe zieren, wie die Cypressen, das rothe Meer, der Beichtstuhl u. v. A., lenkte namentlich eins unsere Aufmerksamkeit auf sich, welches auch allgemein als das anmuthigste aller Tropfsteinhöhlen bekannt ist, der mit Recht berühmte Vorhang. Nur vier Linien dick ragt diese wunderbare Stalaktitenmasse 1½ bis 3 Fuß aus der Wand hervor, von welcher sie in einer Länge von 9 Fuß in dem schönsten Faltenwurfe herabhängt. Die Grundfarbe ist blendendes Weiß, aber das ganze Gebilde hat eine 4 Zoll breite braune und rothgestreifte Einfassung und einen wellenförmig gezogenen Rand. Halten die Führer die Lichter hinter demselben empor, so daß der Vorhang ganz transparent erscheint, so gewährt das Ganze ein reizendes Schauspiel.
Schnellen Schrittes wanderten wir von hier aus, durch die lange Wanderung müde und hungrig geworden, dem Eingange zu. Der Führer konnte sich jedoch nicht versagen, uns erst noch in die Tiefe des großen Doms hinabzuführen. Gegen 100 Stufen hinabsteigend gelangten wir zu der 84 Fuß langen hölzernen Brücke über die Poik und von hier aus stellte sich uns die imposante Größe des Doms erst recht dar. Das Wasser, welches hier nur 4 bis 5 Fuß unter uns hinwegrauschte, war höchstens eine Elle tief. Aufwärts gegen Tag bildet es aber sehr tiefe Tümpel und ist ohne Kahn nicht zu passiren. Abwärts kann man längere Strecken waten, nach Verlauf einer Viertelstunde jedoch senkt sich die Decke so tief auf den Wasserspiegel, daß man mit dem Kahne nicht darunter hinwegfahren kann. Erst zwei Tage nachher, nachdem auf der Oberfläche heftige Regengüsse gefallen sind, fängt der Fluß an zu schwellen, so lange Zeit braucht das Wasser, um durch das poröse Kalkgestein durchzusickern, und dann kommt es häufig vor, daß die untere Brücke vollständig überschwemmt, wohl gar abgerissen wird.
Als wir das Freie erreichten, bemerkten wir zu unserem großen Erstaunen, daß es vollständige Nacht war. Unwillkürlich zogen [703] wir Alle zu gleicher Zeit unsere Uhren; es war die zwölfte Stunde, wir waren also über fünf Stunden im Unterirdischen gewesen, eine Zeit, die wir, wenn wir sie hätten schätzen sollen, kaum auf den dritten Theil angegeben hätten, so sehr waren unsere Sinne gefangen genommen worden von dem Wunderbaren und Seltsamen, was sich beständig vor unserem Auge enthüllte. Ueber uns tobte ein furchtbares Gewitter, aber das Rollen des Donners, welches hier tausendfach wiederhallte, war nicht zu uns gedrungen. Da der Regen in Strömen herabgoß, so beschloß ich, mich von meinen Reisegefährten trennend, welche mit dem Nachtzuge nach Triest fuhren, in Adelsberg zu übernachten, um am nächsten Morgen noch einige der nahegelegenen Höhlen zu besuchen.
Unter den Ruinen des Adelsberger Schlosses vorbeigehend, wanderten wir anderen Tages über den Berg, dessen Inneres wir gestern besucht hatten, und traten nach Kurzem in den bewaldeten Theil des Karsts ein. Auch hier ist die Bodennatur dieselbe; rechts und links bemerkt man Dolinen, über deren Scheiderücken der Weg hinwegführt. Eine derselben, welche bewachsen war, hinabsteigend, befanden wir uns vor einer steilen, schwarzgrauen Felswand, an deren Fuße sich die niedrige Mündung der sogenannten schwarzen oder Magdalenen-Grotte öffnet. Der Weg in dieselbe ist lange nicht so bequem, als der in die Adelsberger Grotte, auch ist die Temperatur bedeutend niedriger, als in jener. Ziemlich steil über Gerölle und Felsblöcke hinabsteigend gelangten wir zuerst in den von mächtigen Pfeilern getragenen Dom, dessen Tropfsteinbildungen jedoch sehr beschädigt und vom Rauche geschwärzt sind, da die Führer nur Spähne zur Beleuchtung verwenden.
Mehr als die Tropfsteine zog mich jedoch hier ein Wasserbecken an, welches den Beweis liefert, wie das organische Leben sich überall den besonderen Umständen gemäß entwickelt. Der blinde oder vielleicht blos lichtscheue, seltsame Olm, ein bleichrothes, salamanderartiges Amphibium von fast durchscheinendem Körperbau bewohnt diese Höhlenbäche. Er wird ungefähr 1 Fuß lang, fingersdick und ist mit 4 ganz kleinen, vorn drei-, hinten zweizehigen Füßchen versehen. Der Rumpf ist cylindrisch, der Kopf etwas dick und abgeplattet und die verkümmerten Augen liegen unter der durchsichtigen Haut verborgen. Am Halse befinden sich jederseits zwei blutrothe Kiemenbüschel und seine zarte, weißrothe Haut gleicht nach Consigliachi’s Ausdruck der des Halses eines schönen Weibes. Jeder Lichtstrahl versetzt das Thier anfangs in heftige Zuckungen und färbt seine Haut dunkler, man kann es jedoch allmählich daran gewöhnen, und dann wird es olivengrün. Der Olm ist aber nicht der einzige blinde Bewohner dieser unterirdischen Räume; ein krebsartiges Thier, die Pherusa alba, unserer Kellerassel ähnlich, und ein blinder Käfer theilen seine Einsamkeit. Sie lehren uns recht deutlich kennen, daß die Entwickelung und der Bau jedes Wesens nur die natürliche Folge seiner Lebensweise und seiner Heimath sei. Die Natur gibt nichts mehr, als das Wesen bedarf, um seine Aufgabe zu lösen und somit schön und vollkommen zu sein. Auch aus früheren Erdperioden finden sich in dieser, wie in der Adelsberger Höhle Reste von Thieren, namentlich treten die Knochen des Höhlenbären ziemlich häufig auf.
Warum aber zeigt gerade dieser Theil der Alpen eine so auffällige Zerklüftung mit unterirdischen Höhlen und Flußbetten? Wir finden die Beantwortung dieser Frage in der Beschaffenheit des Bodens, welcher, der Kalksteinformation angehörend, anfangs jedenfalls weich, ein Niederschlag früherer Meere war und später durch Austrocknung sich zusammenzog, wobei er Riffe und Spalten zurückließ, welche das Wasser nach und nach zu unterirdischen Höhlen und Becken bildete. So nahmen Bäche und Flüsse, wie z. B. die Poik, einen unterirdischen Verlauf. Diese verliert sich unter dem Eingange der Adelsberger Grotte unter der Erde, stürzt nach 3000 Klaftern unterirdischen Verlaufs aus der Planina-Höhle heraus und führt nach ihrer Vereinigung mit den Mühlthalgewässern den Namen Unz. Im Thale von Ober-Planina beginnt aber schon eine Reihe von Sauglöchern, durch welche ein bedeutender Theil des Wassers sich in die Tiefe verliert. Eine Viertelstunde hinter dem Dorfe Jacobowitz verschwindet der letzte Rest des Flusses. Derselbe legt nun weitere 5000 Klaftern unter der Erde zurück und kommt erst bei Oberlaibach unter dem Namen Laibach wieder zu Tage; Poik, Unz, Laibach sind also drei verschiedene Namen eines und desselben Flusses.
Die Zeit, welche erforderlich war, um diese meilenweiten Höhlen mit ihren hohen Domen auszuwaschen, muß jede menschliche Vorstellung von Zeit weit übersteigen. Es handelt sich hier nicht um Jahrtausende, sondern man muß nach Millionen von Jahren zählen, wenn wir überhaupt an die Geschichte der Natur den kleinlichen Maßstab von Jahren anlegen wollen, der nur für unser kurzes Dasein genügt. Wie lange diese unterirdischen Bauten schon in ihrer Pracht dastehen, läßt sich annähernd wenigstens aus der Bildung der Stalaktiten und Stalagmiten berechnen, welche noch jetzt ununterbrochen vor sich geht. Wenn irgendwo, so finden wir in ihnen die mächtigsten Zeugen der Macht des Kleinen. Tropfen um Tropfen träufelt das Wasser mit dem aufgelösten Kalk von der Decke herab auf den Boden, um hier durch Verdunstung zu erstarren. Wie viel Tropfen mochten zu jener mächtigen Säule von 50 Fuß Umfang und 30 Fuß Höhe, wie viel Zeit dazu gehört haben, sie zu bilden? Das ist es eben, was so mächtig zum Herzen des Menschen spricht und ihn mit namenlosem Schauer vor dem stillen Wirken der Natur erfüllt, daß nicht das Großartige und Ungeheure der Kräfte und Mittel an sich es ist, was dieses wunderbare Werk schuf, sondern einzig und allein der ungeheure, unmeßbare Zeitraum, innerhalb dessen sie wirkten und an der Gestaltung der Erdoberfläche thätig waren.