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Eine Schilderung Kaiser Joseph’s II. und seines Hofes

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Textdaten
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Autor: Ernst Ludwig Dümmler
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Titel: Eine Schilderung Kaiser Joseph’s II. und seines Hofes
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 11 (1894), S. 165–176.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. B. und Leipzig
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Quelle: Scans auf Commons
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[165] Eine Schilderung Kaiser Joseph’s II. und seines Hofes. Der Verfasser der nachfolgenden Aufzeichnungen, Johann Heinrich Landolt, ein junger Züricher aus guter Familie, besuchte auf einer mehrjährigen Studienreise zuletzt auch Wien, wo er sich vom 14. Juni bis 6. September 1786 aufhielt. Sein nur für seine Familie bestimmtes Tagebuch gibt die Eindrücke dieser Reise getreu wieder und sein Urtheil über Joseph II. und seinen Hof, so wenig wir für dasselbe eintreten oder seine Richtigkeit behaupten wollen, spiegelt immerhin die missgünstige Stimmung mancher Wiener Kreise über diesen grossen Fürsten wider[WS 1], dem es bei seinen Lebzeiten wie nach seinem Tode beschieden war, die entgegengesetztesten Empfindungen hervorzurufen. Einen andern Abschnitt des Tagebuches habe ich übrigens schon veröffentlicht unter dem Titel: „Aus dem Reisetagebuch eines jungen Zürichers“ (Halle 1892)[1].

E. Dümmler.     


Ehe wir aber Wien ganz verlassen, wollen wir noch einen Blik auf diesen Hof werfen, der auf dem Theater der Europäischen Nationen izt eine so wichtige Rolle spielt – und aus den von verschiednen Seiten her gesammelten datis den Charakter der vornehmsten handelnden Personen und die Ressorts, welche oft so sonderbare Erscheinungen hervorbringen, zu entwikeln versuchen.

Joseph II. trat die Regierung mit 300 Millionen Gulden Schulden an. Bald hätte Oesterreich unter einer noch lange fortdauernden Regierung der Theresia nothwendig banquerout werden müssen; denn die Finanzen waren in grosser Unordnung. Das entsezliche Heer von Favoriten, Favoritinnen, samt allen ihren Anhängern, die die Kaiserin umgaben, zogen Pensionen und Geschenke in Menge, und bedachten sich sehr gut. Wer avançiren oder eine Pension erhaschen wollte, durfte nur eine Kammerfrau heirathen, und er war seiner Sache gewiss.

Dieser Schuldenlast war der grösste Sporn zur Aufhebung der Klöster, und andern Reformen und Reduktionen. Dem ungeachtet [166] sind die Schulden noch lange nicht getilgt: denn da die Klöster ihr herannahendes End merkten, so pakten sie bey Seite, lebten voll auf, und machten oft noch Schulden, so dass man bey weitem nicht die Schäze hinter ihnen fand, die man zu finden gehofft hatte. Auch machen die Pensionen, welche man den verabscheideten Klosterleuten geben muss, wenn sie schon an sich sehr gering sind, doch im ganzen eine beträchtliche Summe aus.

In Wien wird viel Lermens mit der dortigen Aufklärung gemacht; allein wenn man der Sache näher auf den Grund kömmt, und gewahr wird, dass das Haupt der Monarchie noch unaufgeklärt genug ist, um das Weihwasser und den Beichtvater unter seinen wesentlichsten Bedürfnissen zu haben, so lässt sich bald urtheilen, wie das ganze beschaffen ist, und auf was für festen Pfeilern es ruht. Zwahr ist nicht zu läugnen, dass der Kaiser guten Willen und Thätigkeit in grossem Maass besize; – aber Klugheit und Standhaftigkeit scheinen der Ausführung seiner Projekten fast immer zu mangeln. – Der Charakter des Kaisers ist ein sonderbares Gemisch von guten und mittelmässigen Eigenschaften; die unter der Direction eines aufgeklärten Verstands und guter Grundsäze gewiss die vortreflichsten Wirkungen hervorbringen könnten. – Seine überwiegenden Neigungen scheinen Ehrbegierde und grosse Sparsamkeit zu seyn. – Sein erster Grundsatz ist, Selbstständig zu seyn, und sich von niemanden beherschen zu lassen. Zufolge dieses Grundsazes hält er sich keine beständige Maitresse, ungeachtet seiner starken Zuneigung fürs schöne Geschlecht; denn er traut seiner eignen Stärke nicht, und fürchtet, eine solche Person möchte leicht eine Uebermacht über ihn gewinnen, und sich Einfluss in die Geschäfte zu verschaffen wissen. Er ändert daher beständig mit seinen Favoritinnen ab, so bald er fühlt, dass sein Attachement für eine Person wächst; und ruinirt seine Gesundheit. Dieser Sorgfalt ungeachtet, behaupten doch Leute, welche die Verbindungen der Dinge näher kennen, dass er in den meisten Fällen geleitet wird, ohne es zu fühlen. Und wirklich ist auch nichts leichter, so bald man seinen Charakter weiss, der immer auffallende und unerwartete Sachen sucht. Wenn seine Hofleute ihm etwas beybringen wollen, so sprechen sie in seiner Gegenwart beyseite zusammen; er frägt sie von was sie reden; sie stellen sich erschroken, und sagen, das Publicum urtheile über den Ausgang dieser oder jener Sache so und so: und dann sind sie sicher, dass er gerade das Gegentheil davon thut. – Zuweilen frägt er auch von freyen Stüken, was die Leute zu diesem oder jenem Geschäft sagen; dann lächelt er, und giebt gerade Befehl das entgegengesezte zu thun. Nur um immer neu, auffallend und Selbstständig zu seyn.

[167] Sein Verstand ist nicht helle genug, um ihn bey den Religionsreformen, die er macht, die nöthige Vorsicht und Entschlossenheit einzuflössen. – Er scheint sie nicht vorzunehmen, weil er sie für nüzlich oder nöthig hält; sondern bloss weil das Interesse ihn treibt; wo dies nicht wirkt, da geht er auch nicht weiter. Ein geringer Anfall von Krankheit, oder widerwärtige Begegnisse machen den Bigottismus, der in seiner Seele tief eingewurzelt ist, wieder gang rege. Und diess muss nothwendig über kurz oder lang der Geistlichkeit, wenn sie den rechten Zeitpunkt in Acht zu nehmen weiss, wieder gewonnen Spiel geben. Wenigstens alle 3 Wochen Einmal beichtet der Kaiser. Alle betet er kniend; wenn er nicht bemerkt zu seyn glaubt, so besprengt er Nachts sein Bett mit Weyhwasser. – Diess beweist, dass er wirklich bigott ist; und nicht aus blosser Convenienz den öffentlichen Religionszerimonien beywohnt. – Sein Hofprediger, den er sich selbst gewählt hat, ist ein äusserst beschränkter Dominicaner Mönch. – Wenn einst Migazzi stirbt, so wird wahrscheinlich der Bischof Kerez von St. Pölten, wie man fürchtet, Erzbischoff von Wien werden, welcher an blindem Religionseifer und Bigottismus den Migazzi vielleicht noch übertrift.

Der Kaiser fängt mit seiner gewohnten Hize eine Menge Sachen an; vergisst sie aber auch eben so bald; kömmt er aufs neue etwa wieder an diesen Punkt, und findet seine Befehle unausgeführt, oder nicht nach seiner Idee, so giebts Feuer und Flammen, Cassation und Arrest. Allein dann kommen andre Geschäfte wieder dazwischen, er vergisst jenes, und die Sache bleibt im alten. – Nicht selten werden die bessten Pläne verworffen, weil er sie nicht zu beurtheilen versteht.

Soll man das unter die guten oder die schlechten Züge seines Charakters zählen, dass er seiner sterbenden Mutter mit Mund und Hand versprach ihr Testament zu respektiren, und ihren Leuten die gesezten Pensionen zu lassen; und sobald sie die Augen schloss, das Testament übern Haufen warff, und die Pensionen, deren freylich eine artige Summe war, einstrich? – Er liess sich von den Präsidenten aller seiner Dicasterien Verzeichnisse der entbehrlichen Mitglieder eingeben. – Esterhazy – der Chef der Ungarschen Kanzley antwortete, dass in seinem Departement kein überflüssiges Personnage wäre, als allenfalls er selbst und sein Sohn.

Gegen Leute, die von ihm unabhängig sind, ist er äusserst höflich und herablassend; so dass seine Gegenwart das schlimme, was man von ihm weiss, wirklich für den Augenblik vergessen macht. Nicht selten stösst man auf Handlungen, die entweder Folge seiner unüberlegten Hize sind, oder zum Beweis dienen, dass er unter dem Schein von Milde und Gutmüthigkeit grausam seye:

[168] Der unglükliche Szekely verbat sich die Stelle eines Zahlmeisters der Ungarschen Garde, weil er diess Geschäft nicht verstand, und sint vielen Jahren von seinem Vorgänger keine Rechnung mehr abgelegt war; ja nicht einmal da – als er die Casse von demselben übernahm, – ward die geringste Untersuchung weder vorgenohmen noch verlangt. – Mit einmal zeigt der unglükliche Mann selbst dem Kaiser ein beträchtliches Deficit von 90 000 fl. an. – Der Kriegsrath muss die Sache untersuchen, und verurtheilt den Szekeli zu 8jährigem Festungsarrest (nicht weil er als schuldig überwiesen war, sondern bloss weil das Deficit unter seiner Administration sich gezeigt hatte). Diese Straffe ist von gar zu langer Dauer für den alten Greisen, sprach der sanfte Kaiser, er kann sie nicht ausdauern, und veränderte sie in 4jährigen Festungsarrest, und 3 Tage hinter einander (jedesmal 2 Stunden) auf der Schandbühne zu stehen. – So ward die Zeit des Arrests verkürzt, aber die Schande für ihn und seine Familie vermehrt, und er dem Gespött des Pöbels ausgesezt, und aufs stärkste gedemüthigt.

Ein Mensch, den sein Gewissen folterte, weil er einem andern unrecht gethan zu haben glaubte, wollte sich die Gurgel abschneiden, das Federmesser brach, man überraschte ihn, und er ward auf allerhöchsten Befehl ohne Umstände ins Tollhaus unter die Narren geführt, damit er nicht von seiner Melancholie geheilt, sondern vollkommen rasend werden soll.

Zuweilen macht der Kaiser Efforts von Herzhaftigkeit, die der Welt die Augen blenden, und sie glauben machen, er besize diese Eigenschaft in vollem Maass. Im Grund aber ists nicht Herzhaftigkeit, sondern bloss Grosshanserey; er bravirt die Gefahren, weil er glaubt, dass er als Kaiser alles durchzusezen im Stand seye. Da das erste Kloster in Wien aufgehoben ward, ritt er den Tag einige mal durch die ganze Stadt, und zeigte sich überall. – Seine Reise nach Rom beweist, dass er – oder seine Rathgeber, – das Volk von dieser Statt kannten, welches jeden lieb und werth hat, der brav Geld links und rechts verschenkt; und dass sie ihm helfen würden den Pabst aus der Stadt jagen (der dort kein so fürchterliches Thier ist, wie in dem entfernten Deutschland) wenn nur der nervus rerum im Ueberfluss vorhanden ist; und diese Maxime des Geldausspendens befolgte der Kaiser treulich, um das Volk für sich einzunehmen.

In Russland bewürkte Joseph durch Austheilung einiger Millionen an den gehörigen Orten die grosse Revolution, wodurch Repnin zurükberuffen, und das ganze Ministerium geändert ward.

Der Gang der Holländschen Affaire war ganz seine eigne Idee. Kauniz versprach ihm das Projekt weit sichrer und vollständiger auszuführen, [169] aber in etwas längerer Zeit. Dies ward verworffen, denn der Kaiser sieht nur darauf, dass die Geschäfte geschwind gemacht werden; ob sie dann gut und zwekmässig ausfallen, das kömmt wenig in Betrachtung. – Bey der Drohung, dass der erste Schuss der Holländer auf das Schiff, das die Schelde hinunter gieng, für eine Kriegserklärung aufgenohmen werden sollte, machte ihm Kauniz den Einwurf: aber wenn sie nun schiessen, was wollen Euer Majestät dann machen? „Ah! ils ne tireront pas!“ antwortete der Kaiser lächelnd. – „Mais supposons pour un moment qu’ils tireront, qu’est ce qu’il y aura à faire?“ – Mit ernsthafterm Thon erwiederte der Kaiser: „Je dis, qu’ils ne tireront pas!“ – und damit war die Berathung zu Ende. – Auf erhaltene Nachricht, dass die Holländer wirklich geschossen hätten, schrieb Kauniz, wie bekannt, dem Kaiser folgendes lakonische Billet: „Sire! – on a tiré. – Kauniz Riettberg“. – Diese unvermuthete Wendung der Geschichte brachte den Kaiser ganz und gar aus der Fassung; er verlor den Kopf, lieff zum Kauniz, und sagte, nun wolle er auf der Stelle nach Versailles reisen, um den dortigen Hof in sein Interesse zu ziehen. Kauniz machte ihm Vorstellungen gegen diesen übereilten Entschluss, wodurch er seine Blösse der ganzen vernünftigen Welt deutlich zeigen würde; und diese, fügte er bey, werde eine solche Reise als den pendant der Reise des Pabsts nach Wien ansehen. – Dieser gute Einfall machte den Kaiser stuzig, seine Ehrbegierde ward wieder wach, und er liess sein Projekt fahren. – Die Kriegsrüstungen, die er bey diesem holländschen Handel machte, kosteten ihn grosse Summen; nur allein bey dem Verkauff des Magazins, das er bey Heilbronn angelegt hatte, verlor er 4 Millionen.

Ueberhaupt zeigen verschiedne Anekdoten, dass der Kaiser im Grund poltron ist; und seine Herzhaftigkeit nur von Ueberlegung und Vorsaz herkommt, oder dann unüberlegte Tollkühnheit ist.

Da er im letzten Bayerschen Krieg der anrükenden Preussischen Armee entgegen gieng, und seine ganze Infanterie noch weit zurük war, wollte er bloss mit der bey sich habenden Cavallerie auf ein feindliches Corps losgehen, von dem sie ohne Fehl sogleich wäre in Stüken gehauen worden. Alle seine bessten Offiziers stellten ihm die Unvorsichtigkeit dieses Unternehmens vor, und mussten ihn fast fussfällig bitten, davon abzulassen, ehe er es aufgab[2].

[170] Ein andermal, da er mit geringer Begleitung aufs Recognosciren ausritt, und man ihm plözlich meldete, dass eine Escadron feindlicher Husaren in der Nähe herumschwärmte, verlor er die Gegenwart des Geistes vollkommen, fieng an zu zittern, und war nicht mehr im Stand sein Pferd selbst zu leiten, so dass man es ihm führen musste, um ihn wegzubringen.

Mit dem General Nostiz ritt er einst spaziren; sie kamen an einen tiefen und breiten Graben. – Nostiz sagte, es wäre wol besser einen Umweg zu nehmen, als über diesen Graben zu sezen, weil er gar zu breit seye. Ey was! rieff der Kaiser, – pfui! ein General der Cavallerie! schämt er sich nicht, dass er sich ein Bedenken macht, über so einen Graben zu sezen! – Kaum hatte der Kaiser diess gesagt, so sprengt Nostiz hinüber; jener bezeugt keine Lust ihm zu folgen, und Nostiz kömmt durch einen Umweg wieder zu ihm. Warum hat er dann anfangs so lange gezaudert? fragte der Kaiser. Es war mir gar nicht für meine Haut bange, versezte Nostiz; es war mir blos um Ewr. Majestät!

Die Furchtsamkeit verleitet oft den Kaiser plözlich einen Verdacht auf Leute zu werffen, die nicht den geringsten Grad davon verdienen. Einen armen Offizier, der einst einer Angelegenheit wegen Audienz bey ihm verlangte, warf er plözlich zur Thüre hinaus, rief seine Leute zusammen, und befahl ihn auf der Stelle zu durchsuchen, denn er glaubte er trüge Waffen bey sich um ihn zu ermorden. Da man nicht das geringste bey ihm finden konnte, so sagte ihm der Kaiser voll Unruhe, er möchte ihm verzeihen, er hätte sich geirrt.

Um genau zu wissen was in allen seinen Staaten vorgeht, hält er sich eine Menge herrlich bezahlter Spionen, die ihn so viel kosten, als ein Corps von 15 000 Soldaten.

Die neuerliche Reform des Freymaurer-Ordens kam daher, weil der Kaiser sich nicht wollte in den Orden aufnehmen lassen, aus Furcht beherrscht zu werden, er fürchtete eine Gesellschaft, die er nicht kannte, also zerstöhrte er sie.

Durch die Aufhebung der Leibeigenschaft hat er in der Liebe des Volks nicht so viel gewonnen, als er durch seine strengen Einrichtungen verliert.

Letztes Frühjahr ward er Nachts, da er aus dem Theater von Wien nach Laxenburg zurükfuhr, und niemand als seinen Kutscher hinten auf stehen hatte, von 4 Kerls angehalten; er gab sich zu erkennen, [171] und rieth ihnen dass sie sich entfernen sollten, allein darum bekümmerten sie sich wenig, er musste sein Geld und Uhr hergeben, und dann liessen sie ihn in Frieden weiters ziehen. Höchstwahrscheinlich waren diess beurlaubte Soldaten.

Die Politik und das Interesse des Kaiserlichen Hofs bringt es mit sich, dass derselbe unaufhörlich neue Edelleuthe macht; Joseph allein soll schon während seiner Regierung an 1000 Familien in den Adelstand erhoben haben. Er will, dass sein Adel Militairdienste nehmen soll, daher avançirt kein Unadlicher leicht in der Armee.

Es ist bekannt, dass der Kaiser gerne sieht, wenn die Leute, die er zu Gesicht bekömmt, viel Gesichtsfarbe haben, und die, welchen sie mangelt, sich schminken. Nicht nur Frauenzimmer, sondern junge Herrn in Menge – sogar Offiziers – schminken sich in Wien. Hier wäre ein Ramin gut plaçirt; wie würde der mit den schönwangigten Hrn. Offiziers umspringen, da er nicht einmal weiss seidne Strümpfe an ihnen leiden wollte!

Eine gewisse Dose von Wiz kann man dem Kaiser nicht absprechen, aber zuweilen plaçirt er seine Bons mots so übel, dass sie ihn verächtlich machen, und die Leute gegen ihn aufbringen müssen; besonders wenn er als Regent zu seinen Unterthanen spricht, und sich solche Ausdrüke erlaubt. Bey der Reformation der ungarschen dicasterien schaffte er mit Recht das verderbliche Herkommen ab, dass gewisse Gerichtsstellen sich unabänderlich von Vater auf Sohn forterbten, ohne dass jemand daran denken durfte die Talente des Nachfolgers zu untersuchen und befahl dass inskönftige bloss persönliche Verdienste und Geschiklichkeit, und nie mehr die Verwandtschaft auf die Besezung solcher Stellen Einfluss haben sollte. Der ungarsche Adel, der sich bisher in seinem Besiz sicher geglaubt, und also nichts gelernt hatte, sezte sich gegen diese Verordnung, und verlangte bey dem alten Herkommen geschüzt, und in die Stellen wieder eingesezt zu werden. Der Kaiser gab ihnen ihre Bittschrift zurük, nachdem er aussen darauf geschrieben hatte: was soll man mit Leuten anfangen, die den ganzen Tag nur deremdediren? (deremdede, der Teufel hat dich erschaffen, ist der gewöhnliche Schwuhr der rohen Ungarn). Dies Bonmot machte gleichsam die ganze Nation verächtlich, und brachte sie im höchsten Grad gegen den Kaiser auf; sie werden es ihm auch gewiss nicht so bald vergessen. –

Im vorigen harten Winter, da der Kaiser einst aus seinem Billardzimmer in einen andern Theil des Pallasts hinhüpfte, ward er im Hof von einem armen Weib um ein Almosen angefleht, welches ihm klagte, dass sie es bald vor Kälte nicht mehr aushalten könne und kein Geld habe sich Holz zu kaufen. Wenn sie friert, so spiel sie nur Billard, [172] war die höhnische Antwort des grossen Monarchen, womit er sie im vorbeylauffen begnadigte.

Weit besser angebracht war jenes bonmot, womit er den grossen Sonnenfels zurecht wies. Dieser Mann, den seine Einbildung unter den ersten Rang der grossen Geister erhebt, war missvergnügt, dass der Kaiser ihn noch nicht zum Ritter des Stephansordens gemacht hatte, welcher Leuten aus allen Ständen, die sich auf irgend eine Art um den Staat verdient gemacht haben, ertheilt wird. Er überreichte also dem Kaiser ein sehr volumineuses Memorial, worinn er alle seine manigfaltigen Verdienste, welche er um das Polizeywesen und verschiedne andre wichtige Einrichtungen und Anstalten sich erworben habe, aufs ausführlichste in longum et latum detaillirte; und zu verstehen gab, dass die Aufnahme in jenen Orden die geringste Vergeltung seye, die er von der Gerechtigkeitsliebe des Kaisers für seine Mühe und Fleiss erwarte (ungeachtet es ganz gegen die Regel ist, dass jemand um diesen Orden ansucht, sondern der Hof giebt ihn immer ex motu proprio denen, die er für würdig befindt, allein der grosse Sonnenfels glaubte hier Ausnahme machen zu können). Der Kaiser gab ihm seine Bittschrift zurük, auf die er aussenher geschrieben hatte: Icarus Icarias nomine fecit aquas! Und nun wird Sonnenfels wahrscheinlich auf diesen Orden für immer Verzicht thun müssen.

Dass dieser Mann nicht vieles zur Aufklärung und Verfeinerung des Geschmaks in Wien beygetragen habe, wird niemand läugnen. Allein die übergrosse Idee, die er von sich selbst hat, macht ihn vielen Leuten von schwachem Magen unerträglich, und verleitet ihn zu vielen Thorheiten. Vor einigen Jahren ward eine Academie gestiftet, worinn er sich zum Präsidenten aufwarf. Der Hauptinnhalt seiner ersten Eröffnungsrede war, dass er auf die Jesuiten schimpfte, und sie Spizbuben und schlechte Leute nannte; ungeachtet die grösste Anzal der Mitglieder ehemals in diesem Orden gestanden hatten. In einer der nächsten Versammlungen, da schon alle Mitglieder versammelt waren, schikte er einen Botten sie möchten ein wenig warten, er würde bald kommen. Diess liess man sich gefallen, und wartete den halben Abend, bis endlich ein andrer Botte die Nachricht brachte, der Hr. v. Sonnenfels wäre im Konzert (wo eben eine berühmte Sängerin sich hören liess) er könne sich unmöglich von da losmachen, und die Versammlung solle bis auf das nächste mal aufgeschoben seyn. Also mussten die Hh. academici wieder wegspaziren wie sie gekommen waren. Diese und ähnliche Streiche, die in kurzer Zeit auf einander folgten, machten dass die Mitglieder nach und nach ausblieben, und endlich die ganze Academie wieder in ihr voriges Nichts zurüksank.

[173] Der ganze hohe Adel, der den Kaiser umgiebt, ist sehr dumm und begränzt. Vorzüglich zeichnet sich der Fürst Palm durch seinen Reichthum, Aufwand, und Prachtstolz aus; so wie von Seite des Kopfs durch Stupidität. Seine Erhebung in den Fürstenstand, sein Kammerherrnschlüssel, Geheimderathstitel und Hoforden haben ihn 1 ½ Million gekostet. Solche Narren mag der Kaiser wol leiden, die ihm für Titel und Bänderchen so viel bezahlen. Alles was Palm ist und hat verdankt er seinem Geld (ohne welches er folglich die elendste Kreatur wäre). Sogar seine izige Frau soll er ihrem vorigen Mann ordentlich abgekauft haben.

Die debauche ist unter den hiesigen Grossen so stark im Trieb als an andern Orten. Der alte Fürst Baar, ein alter debauché, hatte einst einen Eremiten bey sich zur Tafel. Man kam auf die Hülflosigkeit und Traurigkeit dieses einsamen Lebens zu sprechen; und jemand fragte den Einsiedler, ob er dann nie keinen Trieb zu andern Menschen spühre, ob er nie keine Anfechtungen des Fleisches habe? Ja freylich, zuweilen wol, antwortete der Eremit mit Achselzuken, aber durch Fasten und Beten gelingt es mir immer sie zu unterdrüken. Ach mein lieber Mann! versezte der alte Baar, könnt ich ihm seine Anfechtungen abkaufen, wie gern wollt ich sie ihm bezalen! und wie glüklich wären wir beyde!

Nun ein Blik aufs Ministerium:

Kauniz, als erster Staatsminister, soll 60 000 fl. Revenues vom Kaiser haben. Zu den Zeiten der verstorbnen Kaiserin war sein Credit am Hof und auswärts unermesslich und izt noch ist ers auswärts im gleichen Grad; man betrachtete ihn als den Vater des Oesterreichschen Hauses. In Wien fängt er an zu sinken. Der Kaiser frägt ihn nicht mehr über alles um Rath; zwahr geht es oft um desswillen nicht desto besser. Seine Petitmaitrey und äusserst übertriebne Pünktlichkeit und Genauigkeit, die natürlich mit dem höhern Alter noch zunehmen, machen ihn bey vielen Leuten lächerlich. Er bildet sich ein einer der schönsten Männer zu seyn, und dass alles was er thut ihm wol anstehe, dass niemand so gut zu Pferd size, niemand so gut Billard spiele, u. s. w. wie er. Wenn er sich Relationen vorlesen lässt, so spazirt er gewöhnlich mit einem Federnwisch in der Hand im Zimmer herum, und wischt den Staub von den Wänden. Bis gegen Mittag bleibt er im Bett ligen, und braucht dann 2 Stunden zu seinem Toilet, da er so übertrieben pünktlich und eigensinnig in seinem Anzug ist. Wenn eine Falte am Kleid oder ein Häärchen an der Perüke unrecht ligt, so ist das Stoff genug, dass der Bediente, der sich darinn verfehlte, in Ungnad fallen und seinen Plaz verlieren kann. Einer seiner Bedienten (ein Schneider [174] von Profession) hat hauptsächlich die Aufsicht über die Schlafhauben; und muss allemal an derjenigen, welche der Fürst trägt, das Band aufnähen, und es Morgens wieder abnehmen. Ist der Anzug in Ordnung so macht der Fürst seine Geschäfte, bringt dann eine kleine Stunde auf der Reitbahn zu um sich Bewegung zu machen, und speist nach 6 Uhr zu Mittag. Die Tischgesellschaft bringt den Abend bey ihm zu, und er spielt gewöhnlich Billard. Um 10 Uhr zieht er sich zurük, und dann muss Pezl kommen, und bis gegen oder nach Mitternacht ihm aus den interessantsten neuen Werken der deutschen Litteratur vorlesen. In seinen Geschäften so wenig als in seinen Erholungen lässt er sich durch gar nichts stören, daher wenn er in diesen letztern begriffen ist, oft die wichtigsten Sachen warten müssen, bis es ihm sich schikt sie auszufertigen; und nicht selten müssen daher Depeches von grossem Belang durch Extracouriers der Post nachgeschikt werden. Einem seiner Leute, der ihn einst am Billard daran erinnerte, einige Sachen von Wichtigkeit zu beendigen, weil die Post abgehe, sagte er: willst du mich lehren, was ich zu thun habe? und schikte ihn auf der Stelle fort. Die Gemählde-Gallerie, die er sich gesammelt hat, besteht meistens aus Geschenken; denn viel Geld ausgeben ist seine Sache nicht. Von einem armen Maler liess er einst sein Portrait zu Pferde machen; der Künstler wartete lange auf ein honorarium, endlich wagte er es sich melden zu lassen, um die Generosität des Fürsten anzuflehen; ein paar male ward er abgewiesen, unter dem Vorwand dass es izt die unrechte Zeit seye ihn anzumelden. Endlich da er zum 3ten mal erschien, schikte ihm der Fürst 6 Ducaten heraus, und damit musste der arme Schelm sich zufrieden geben, ob er gleich dadurch kaum seine Farben bezahlt bekam. Fast alle fremden Gesandten behandelt er ziemlich en Bagatelle. Ein neuangekommener spanischer Gesandter, der ihm seine erste Visite machen wollte, ward abgewiesen unter dem Vorwand der Fürst wäre nicht zu Hause. Am folgenden Tag da er sich wieder einfand, und eben dieselbe Antwort bekam, sagte er dem Portier: Dites à vôtre maitre, que j’ai été içi pour la seconde fois, sans avoir l’honneur de le voir; et que je l’attend demain à la même heure chez moi. Dies entschlossne Compliment hatte die Wirkung, dass der Fürst sich ordentlich am folgenden Tag beym Gesandten einfand. – Abends in Gesellschaft kam er einst mit ein paar vornehmen Herrn auf eine neue Kutsche zu sprechen, die er unlängst sich hatte machen lassen, und auf ein schönes Reitpferd, das er sich kürzlich angeschaft hatte. Der eine von ihnen äusserte viel Verlangen die Kutsche zu sehen, und der andre wünschte das Reitpferd zu sehen. Kauniz beschied beyde auf eine bestimmte Stunde des folgenden Tags zu sich, [175] und versprach ihnen beydes zu zeigen; das Reitpferd, sagte er, könnten sie auf der Manege sehen, wo er selbst reiten werde. Sie kamen zur gesezten Zeit, man meldete sie an, und liess sie über 2 Stunden lang unten warten; endlich erschien Kauniz am Fenster, und befahl seinen Leuten den Wagen herauszuholen, und das Pferd vorzuführen. Sodann fragte er die unten stehenden beyden Herrn, ob sie nun zufrieden wären, empfahl sich ihnen, und machte das Fenster wieder zu.

Der erste Sohn des Fürsten Kauniz ist ein unfähiger Mensch; der 2te, der als Gesandter in Spanien starb, war ein sehr guter Kopf.

Collowrad, der Kanzler, ist ein notorisch beschränkter, kurzsichtiger Mann.

Colloredo, ViceKanzler, hat Verstand und Einsichten, aber sehr wenig äusserliches. Er erhielt seine Stelle unter Theresia, weil er eine Favoritin von ihr heirathete, aber auch izt weiss er sich gut zu souteniren.

Die wichtigsten Geschäftsmänner bey den verschiednen Departements sind folgende:

Hr. v. Spielmann, geheimer Referender, ein geschikter Publizist, arbeitet in auswärtigen Geschäften (gleichsam der wienerische Dohm). Baron Lederer, Hofrath des Niederländschen Departements und Ritter des Stephanordens. General Lascy, hat die neue Militair-oeconomie eingerichtet, ein Werk über die Manoeuvres der Cavallerie geschrieben; und arbeitet auch in auswärtigen Geschäften, da er das ganze Zutrauen des Kaisers besizt. Graf Sinzendorf, Oberappellations Präsident. Graf Zinzendorf, Rechnungs Kammerpräsident, und zugleich Präsident der Steuer-Regulirungs Hoff-Commission. Unter ihm sind in eben dieser Commission: Egers, Referent im Staatsrath.

Aus der Ungarschen Kanzley zugegeben sind: die Hofräthe Hadrowitsch, und Horwitsch. Von der Böhmischen Kanzley: Hofrath Hahn, und Hofrath Braun, zwey Favoriten.

Graf Bergen ist Präsident der Polizey, und Baron Weber, Secretaire derselben.

Hofrath Müller, Referent der Vorlanden.

Van Swieten, Studienpräsident, erster Bibliothecaire, und Commandeur des Stephanordens.

Birkenstok, Hofrath, und Censor der Politischen Schriften.

Rosalino, Censor im Theologischen Fach.

Retzer, Censor des belles lettres.

Graf Hazfeld, Minister, und Staatsrath.

Graf Cobenzl, Vicekanzler.

Gresel, Präsident der geistlichen Sachen.

Markelick, Hofrath und Favorit.

[176] Baron Kees, Directeur bey der Geseze-Compilations-Commission.

v. Reiter, arbeitet im hieraldischen Fach.

Baron Reischach, Staatsrath (Bruder des holländschen Gesandten).

Jenisch, Hofrath in orientalischen Geschäften.

Haineke, Hofrath und Favorit.

Karschniz, Gubernialrath von Mähren, und Administrator der geistlichen Güter, wohnt in Brünn.

Holzmeister, der zweyte Kameraladministrator von Oesterreich.

Von Deldono, ehemaliger Kammerdiener, und Tresorier der Privatkasse des Kaisers, Ritter des Stephanordens.

Graf Rosenberg, Intendant des Theaters.

Sobeck, Concipist in der böhmischen Kanzley u. a. m.

[Anhang.]

Das Städtchen Wels mit dem was zunächst drum herum noch dazu gehört, hat an 14 000 Menschen; unter 450 Häusern sind 65 Wirthshäuser, da Linz deren nur 32 hat. Die Passage aus Salzburg und Bayern durch den hiesigen Ort nach Oesterreich ist sehr beträchtlich und lässt viel Geld hier. 2 arme Klöster in der Stadt sind aufgehoben. Es hat hier eine kleine Gemeinde von Protestanten, die alle Bauern sind, darunter aber viele ansehnliches Vermögen besizen. Schon vor der den Protestanten gestatteten freyen Religionsübung lebten sie hier im Stillen; nun haben sie einen Betsaal und einen Pfarrer. In der ersten Freude über die erhaltne Freyheit waren sie sehr freygäbig gegen ihren Seelsorger, und beschenkten ihn reichlich. Allein da derselbe nun ein vernünftiges Religionssystem unter ihnen einführen will, so hat er ihre Zuneigung fast ganz verlohren. Denn die Bauern, die verschiedne Menschenalter durch ohne Lehrer und Führer gelebt hatten, fielen nach und nach auf allerhand sonderbare und abgeschmakte Ideen, jeder nach seiner Art und Fassungskraft; und diesen wollen sie nun nicht mehr entsagen, aller Mühe ungeachtet, die ihr Pfarrer sich giebt sie davon abzubringen. Dieser ist daher in einer sehr unangenehmen Lage, da er seine Pflicht erstatten, und doch das Zutrauen seiner Pfarrkinder, und den dadurch oft zu stiftenden Nuzen nicht gerne verlieren will.

(Freytags 8. Sept. 1786.)

Anmerkungen

  1. Vgl. Bibliogr. ’93, 1017.
  2. An einer andern Stelle heisst es: „Der Kaiser giebt sich mit kommandiren gar nicht ab, sondern postirt sich gewöhnlich auf den Flügel zwischen die beyden Corps, und sieht da ruhig zu, mit seiner Suite von 2 Polnischen Gardisten und einigen Offiziers; und dennoch will er in seinem äusserlichen ganz auffallend den Friedrich von Preussen nachahmen, er sizt mit vorgebücktem Kopf auf seinem Pferd, mit tief in die Stirne gedrüktem Hut, und hält den Zaum gerade so wie Friedrich. Allein das Feuer und der Beobachtungsgeist desselben fehlt ihm ganz und folglich bleiben auch seine Soldaten kalt“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: wieder