Eine Perle des Harzwaldes
Von drüben herüber, von droben herab,
Dort jenseits des Baches vom Hügel
Blickt stattlich ein Schloß auf das Dörfchen im Thal.
Die Mauern wie Silber, die Dächer wie Stahl,
Die Fenster wie brennende Spiegel!
Bürger.
Auch über der Gebirgswelt des Harzes, wie über so mancher Gegend unsers deutschen Vaterlandes, liegt der Zauber einer Vorzeit, die den farbenfrischen Bildern der Natur überall unauslöschliche Fußstapfen aufgedrückt hat. Aus dem eintönigen Sausen uralter Tannen und Eichen, in deren Dunkel die Paläste der Kaiser begraben liegen, spricht hier der Geist der Geschichte von großen Tagen der Vergangenheit; und wer Ohr und Herz dafür hat, der wird, wenn er auf den Waldwegen dahinwandelt, mit dem Dichter vernehmen, wie „dem Wurzelknorren entrieselt uralt heiliger Sagenquell“. Am Harz war es, vor allem, wo die deutschen Kronenträger, die Heinriche und Ottonen, in blutigen Schlachten und hartnäckigen Belagerungen um die Befestigung ihrer Macht rangen, wo sie, von den Mühsalen des Thrones ausruhend, die Sorgen der Regierung von sich warfen und in den freien Bergen mit der klaffenden Meute und hellem Hörnerklang Lust suchten im frischen fröhlichen Waidwerke.
In jene Zeit reicht auch die Wurzel der Geschichte einer Stadt zurück, welche man wohl als die „Perle des Harzwaldes“ bezeichnen mag; wir meinen Blankenburg mit seiner herrlichen Umgebung. Es läßt sich kaum ein anmuthigeres Landschaftsbild denken, als das der Blankenburg, wie sie, halb umgürtet von
[525][526] grünen Waldbergen, in der blendenden Weiße, welche ihr den Namen verliehen, weit in das Thal hinausleuchtet, eine Lilie im grünen Blätterkranze. Das freundliche Städtchen breitet sich am Fuße des Schloßberges, und zum Theil terrassenartig an diesem emporsteigend, aus, dicht umkränzt von seinen berühmten Kirschbaumplantagen und eingeschlossen von reichbewaldeten Bergzügen, aus denen der durch seine reizende Fernsicht bekannte „Ziegenkopf“ und der romantische „Regenstein“ oder Reinstein mit seiner Burgruine emporragen.
Schloß Blankenburg, jetzt periodisch, und namentlich zur Jagdzeit, Residenz des Herzogs von Braunschweig, war fast fünf Jahrhunderte lang Sitz der Grafen von Reinstein und Blankenburg, eines alten Geschlechtes, das namentlich im Mittelalter in Macht und Ansehen stand, aber auch zeitweilig der Schrecken der umliegenden Städte war, deren zunehmender Reichthum den gewappneten Herren ein Dorn im Auge wurde und sie zu Raub und Plünderung in’s Thal hinunter lockte. Zu den berüchtigtsten Raubrittern unter den Herren von Reinstein gehört Graf Albrecht; nachdem er lange Zeit die Gegend unsicher gemacht hatte, fingen ihn die Bürger von Quedlinburg am St. Kilianstage 1336 und führten ihn im Triumph nach der Stadt. Dort saß der wilde Herr volle achtzehn Monate gefangen, und zwar nicht in ritterlicher Haft, sondern in einem großen Kasten von Eichenholz, so niedrig, daß er nicht aufrecht darin stehen konnte, bis er endlich, am 20. März 1338, Tags zuvor da er geköpft werden sollte, sich den harten Bedingungen betreffs seiner Freilassung fügte. Noch jetzt zeigt man jenen Kasten zu Quedlinburg, in welchem der Stolz des Reinsteiner Herrn gebrochen wurde. Der letzte Sproß dieses alten Dynastengeschlechtes war Graf Johann Ernst; mit ihm, einem vierthalbjährigen Knaben, erlosch der Stamm am 4. Juli 1599, und jetzt, nach abermals dritthalbhundert Jahren, erinnert an diese einst berühmten Harzgrafen außer den Namen nichts mehr, als ihre mit Moder gefüllte, halbverfallene Gruft in der Pfarrkirche zu Blankenburg.
Nach dem Tode des letzten Reinsteiners nahm Herzog Heinrich Julius von Braunschweig die Grafschaft als erledigtes Lehn in Besitz, aber schon dem Sohne desselben, Friedrich Ulrich, ging sie wieder verloren, indem Kaiser Ferdinand der Zweite seinen Generalissimus Wallenstein gegen Zahlung von 50,000 Gulden damit belehnte. Dieser trat sie gegen Wiedererstattung jener Summe an den Grafen Merode ab, aus dessen Besitze sie dann an den kaiserlichen Obristen Grafen Tettenbach überging, bis sie endlich, ausgeplündert durch diese drei fremden Herren und verwüstet durch die Stürme des Dreißigjährigen Krieges, im Jahre 1671 dem Hause Braunschweig zurückgegeben wurde.
Nach einer geraumen Zeit trauriger Verödung kam dann für das Schloß eine glänzende Periode, als Herzog Anton Ulrich im Jahre 1690 die Grafschaft seinem jüngsten Sohne Ludwig Rudolph als Apanage überwiesen hatte. Der Herzog war, namentlich in seinen jüngeren Jahren, ein lebenslustiger Herr, und Blankenburg sah nun vierzig Jahre lang ein nach dem Muster von Versailles geregeltes Hofleben; aus jener Zeit stammen die meisten Reminiscenzen, welche den das Schloß besuchenden Fremden gezeigt werden. Feste und Lustbarkeiten aller Art drängten einander, bald waren es Maskeraden, sogenannte „Wirthschaften“, bei denen der Herzog und seine Gemahlin im Bauerncostüm als Wirth und Wirthin, der Hof aber als Gäste erschienen, bald theatralische Vorstellungen im Schlosse, oder zur Sommerzeit Götterbankete, Ballspiele, Scheibenschießen etc. auf den grünen Parquets des großen Wildparkes, oder Jagden auf den berühmten Wildbahnen der nahen Wälder, welche den Adel des Landes und auswärtige Fürsten auf dem Harzschlosse versammelten.
Unter diesen Gästen treffen wir auch die schöne Favorite August’s des Starken, Marie Aurora Königsmark, die, obgleich damals schon Pröpstin des nahegelegenen alten Reichsstiftes Quedlinburg, doch, von den Weltfreuden verlockt, ihr stilles Kloster verließ, um in den Götterfesten als keusche Diana mitzuwirken. Einen besondern Reiz erhielt der Blankenburger Hof durch die drei ebensowohl durch Schönheit wie durch hohe Geistesbildung ausgezeichneten Töchter des Herzogs, von denen zwei durch ihre Vermählung Kaiserkronen zu tragen bestimmt waren. Damals hallte in den Sälen des Blankenburger Schlosses der gemessene Schritt der spanischen Granden und der schleichende Gang der Jesuiten, dann wieder der schwere Tritt des mächtigen Beherrschers aller Reußen, Peter’s des Großen; sie alle kamen als Brautwerber.
Die älteste Tochter des Herzogs, Elisabeth Christine, ward die Gemahlin Kaiser Karl’s des Sechsten, des letzten Habsburgers – eine Verbindung, die um so weniger die freie Wahl der siebenzehnjährigen schönen Elisabeth war, als derselben ihr Uebertritt zur römisch-katholischen Kirche vorangehen mußte. Sie that diesen Schritt, der in Braunschweig viel Aufsehen und Unruhe verursachte, mit bitterem Herzleid und Gewissensangst, welche auch dadurch nicht gemildert wurde, daß ihr hochbetagter Großvater, Herzog Anton Ulrich, sich zu demselben Schritte entschloß. Der Eintritt Elisabeth’s, der Mutter der großen Maria Theresia, in das deutsche Kaiserhaus brachte schon 1707 für ihren Vater die Ehre, daß Joseph der Erste die Grafschaft Blankenburg zum Reichsfürstenthum erhob.
Die zweite Tochter, Charlotte, ward 1711 die Gemahlin des Großfürsten Alexei Petrowitsch, Sohnes Peter’s des Großen; auch sie hat den Glauben wechseln und zur griechischen Kirche übertreten müssen. Der Czar hatte gehofft, die sanfte Schönheit Charlottens werde den wilden Sinn Alexei’s bändigen; dieser Versuch aber wurde erfolglos mit einem Menschenleben bezahlt: die Großfürstin ward ein Opfer der Rohheit ihres Gemahls. Die Aussicht, einst den Thron aller Reußen zu besteigen, konnte der unglücklichen Tochter Ludwig Rudolph’s, die mit unendlicher Sehnsucht der auf dem väterlichen Schlosse verlebten Jugendtage und der Stille des Harzwaldes gedachte, keinen Trost im Unglück gewähren. „Laßt mich in Frieden sterben,“ waren ihre letzten Worte, „denn das Leben liegt schwer auf mir.“ Charlottens trauriges Geschick und früher Tod haben bekanntlich jene abenteuerlichen Erzählungen veranlaßt, wie sie namentlich durch Heinrich Zschokke’s Novelle „Die Prinzessin von Wolfenbüttel“ bekannt geworden sind; historisch sind sie ganz haltlos und bedürfen keiner Widerlegung. Die öffentlich von der Welt als „Providence Gottes“ gepriesenen, von den Hofpoeten besungenen, von den der Politik und der Ehre des Hauses geopferten Töchtern Ludwig Rudolph’s aber mit tausend Thränen besiegelten Vermählungen gaben nur neue Veranlassungen zu noch glänzenderen Festen; der eitle Prunk war derselbe, mochte sich der Hof zur Feier der Geburt eines kaiserlichen Enkels oder um den mit Kerzen erleuchteten Trauerkatafalk versammeln, welchen man nach dem Tode der Großfürstin in der Schloßkirche aufgerichtet hatte. Es war eben die Zeit, wo sich der innere Jammer unter Schminke und Schönheitspflästerchen barg und der Schmerz durch italienische Opernmusik und Feuerwerksgeprassel getilgt wurde.
Den besseren Theil hatte die jüngste Tochter des Herzogs, Antoinette Amalia, erwählt, indem sie, zufrieden mit einem bescheideneren Loose, ihrem Vetter, dem Herzog Ferdinand Albrecht von Braunschweig, die Hand reichte; sie wurde als Mutter von dreizehn Kindern die Stammmutter des noch jetzt regierenden Hauses.
Erst als Herzog Ludwig Rudolph alt zu werden anfing, verstummte der Lärm der Hoffeste um etwas. Lady Montague, die bekannte Reisende, Gemahlin des englischen Gesandten in Constantinopel, schildert in einem ihrer Briefe den Hof Ludwig Rudolph’s schon als ziemlich eintönig. Sie kam an einem Winterabende bei sehr schlechtem Wetter in Blankenburg an und mußte, da es schon zu spät war, um sich melden zu lassen, in einem dürftigen Gasthause unten in der Stadt übernachten; am andern Tage wurde sie in einem mit sechs Rappen bespannten Wagen den steilen Schloßberg hinaufgefahren. Obgleich von dem fürstlichen Paare außerordentlich freundlich empfangen, da sie Grüße von der Kaiserin aus Wien überbrachte, fand sich die Lady doch unendlich dadurch gelangweilt, daß man die langen Abende mit Kartenspiel verbrachte. Die Herzogin, eine geistreiche Dame, spielte ausnahmsweise nicht, um sich mit der Lady zu unterhalten; der Herzog aber saß unbeweglich am Spieltische bis spät in die Nacht hinein. – In diesem Zuge blieb das Residenzleben auf dem Harzschlosse, bis im Jahre 1731 der bereits sechszig Jahre alte Herzog Ludwig Rudolph in Braunschweig zur Regierung gelangte und mit dem Hofe nun dorthin übersiedelte. Später wohnte und starb seine Gemahlin als Wittwe auf der Blankenburg; die Tage der Jugend und des Glanzes waren dahin, und es wurde öde und still an den Stätten, wo ehemals üppige Lust das Scepter geschwungen hatte.