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Eine Osterpredigt

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Franz Wilhelm Seiwert
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Titel: Eine Osterpredigt
Untertitel:
aus: Die Aktion : Wochenschrift für Politik, Literatur, Kunst. 9. Jg., Nr. 14/15, 19. April 1919, Sp. 205–207
Herausgeber: Franz Pfemfert
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1919
Verlag: Verlag Die Aktion
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Erscheinungsort: Berlin-Wilmersdorf
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Originalherkunft:
Quelle: Commons: 1, 2, 3
Kurzbeschreibung:
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[205] EINE OSTERPREDIGT

Heute oder in hundert Jahren!

Arbeitendes Volk! Heute ist der Tag, wo die Gesetze der Menschlichkeit erfüllt werden müssen. [206] Morgen sonst werden sich die Geschäfte weiter abspielen, die dich ins Elend führten, und übermorgen werden deine Kinder wieder abgeschlachtet werden, weil das Geschäft es verlangt. Traue den Führern nicht, die dir „langsame Entwicklung“ zurufen, Geschehen lassen. Du mußt Geschehen, Entwicklung schaffen. Habe Mut, alle Verantwortung auf dich zu nehmen, bis Gewalt in Liebe erlischt.

Volk, versäume nicht diesen Punkt, wo das Rad in deine Hand rollt. Sei du jetzt Helfer des Menschlichen, daß die tote Maschine, der Staat, bald im Freien, im Menschen endige.

Heute oder in hundert Jahren!

Schon erheben sich wieder jene Mächte, welche dich, Volk, lange bedrückten. Sie sehen die Verräter, die Unentschlossenen, in deinen Reihen, Volk, und verbünden sich ihnen, um „Ruhe und Ordnung“ herbeizuführen. Ruhe und Ordnung, die für sie Weiterführen ihres alten verdorbenen Lebens, Sicherung schmutzigen Gewinns, Leben vom Blute Geknechteter bedeutet.

Schon haben sie mit jenen aus dir, die dich schon lange verrieten und nur dich noch immer über den Verrat zu täuschen vermochten, viele deiner Besten, deiner wahrhaften Führer hingemordet.

Dieses Blut schreit zum Himmel! Volk, höre den Schrei! Erwache, zerreiße die Fäden, mit denen man beginnt, dich wieder leise, langsam zu fesseln. Lass dieses Blut Opferblut sein, mit dem wir uns zeichnen, das uns Kraft verleiht, wenn es sein muß selber Opfer zu werden. Je mehr Märtyrer, desto mehr Bekenner!

O Volk, du hast zu viel und zu wenig Vertrauen. Zu viel Vertrauen zu den geführten „Führern“, zu wenig zu dir selbst und dem, was sich dir opfert. Wie oft noch wirst du die besten deiner Söhne töten, ehe du einsiehst, was notwendig ist.

O Volk, höre doch auf deine Söhne. Höre nicht auf das „Kreuzige!“ der Pharisäer, deren Geschäft mit dir, Volk, in Gefahr ist, wenn der Menschensohn sich dir naht. Sei argwöhnisch, Volk, immer sind es die Heilande, jene die ihr blutendes Herz dir, Volk, geben, gegen die die Führermassen dich, Volk, rufen. Höre doch endlich auf due Heilande. Es sind doch deine Söhne, Menschensöhne.

Aus Scham und Eitelkeit rufen die falschen Führer ihr „Kreuzige!“, weil sie nie bereit sind, das Kleinste um dich hinzugeben. Ihr Neid, ihre Eitelkeit kann es nicht ertragen, daß jemand alles an dich, Volk, hingeben will. Ihre Schlauheit läßt sie spüren, daß diese unbedingte Hingabe ihr Ende sein wird.

Volk! Wir, wir Armen, aus dir Geborenen, wir wollen dir kein Paradies auf dieser Erde schaffen. Nur ein menschliches Leben wollen wir. Heilige Arbeit am Menschen, der Erde. Heilige Liebe zum Mitmenschen, zum Bruder.

Wir wollen den Terror des Guten. Der Terror des Bösen hat uns, die Menschen, lange genug unterdrückt. Wir werden seine Mittel gebrauchen müssen, bis sie selbst sich aufheben, bis alle [207] Menschen sich erkennen. Wir werden sie brauchen müssen, wissend, daß hinter uns die Zukunft des Menschen steht.

Der Kreuzweg des Menschen zum Menschen ist lang. Heute liegt es, Volk, bei dir, ob er ein kleines abgekürzt werden wird. Sinkst du wieder zurück, werden die gestern von dir umgeworfenen Mächte morgen dich wieder zurückdrängen, den Weg verlängern. Aufhalten können sie nicht! Bei Gott sind tausend Jahr wie ein Tag, und ein Tag wie tausend Jahr! Was ist Zeit. Doch du, Volk, denk an deine blutenden und verblutenden Söhne, die Wieder geopfert werden müssen, wenn du jetzt nicht den weg mit Mut betrittst. Den Weg, der zum Menschen führt.

Heute oder in hundert Jahren!

F. W. Seiwert