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Eine Landesoccupation von Ehedem

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Textdaten
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Autor: Fr. Hbg. = Friedrich Helbig
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Titel: Eine Landesoccupation von Ehedem
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 679–680
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Blätter und Blüthen
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[679] Eine Landesoccupation von Ehedem. Bei Gelegenheit der Besitzergreifung Hannovers, Kurhessens, Nassaus u. s. f. durch Preußen wird man an das eigenthümliche Ceremoniell erinnert, welches bei dergleichen Besitzergreifungen vor hundert Jahren und früher in Gebrauch war. Uns liegen zufällig actliche Nachweise über die Besitzergreifung eines zur frühern Abtei Fulda gehörigen Gebietes, des Amts Fischberg im jetzigen sogenannten Eisenacher Oberlande, durch das Herzogthum Weimar in der Mitte des vorigen Jahrhunderts vor, an welches das Gebiet nach Aussterben der besondern Eisenacher Linie 1741 gefallen war. Die Fürstbischöfe von Fulda glaubten ihrerseits auch noch Anspruch auf das Amt Fischberg, das ihnen früher einmal gehört hatte und später von ihnen an die Grafen von Henneberg verpfändet worden war, erheben zu dürfen, und es begann nun der zum Theil höchst ergötzliche Besitzstreit in folgender Weise.

Um zunächst die Gerichtsbarkeit über Hals und Hand, eines der Haupthoheitsrechte, sich zu wahren, läßt der Amtsverweser Gaudentius Brügger in Dermbach rasch ein Hochgericht auf dem Neuberge bei Wiesenthal aufrichten, in der Absicht, kurz danach – den 11. August – drei Missethäter dort hängen zu lassen. Das weimarische Amt in Kaltennordheim erfährt davon, entsendet rasch ein Commando am frühen Morgen dieses Tages über die hohe Asch und läßt das Hochgericht sammt Galgenleiter wieder umhauen. Hierauf wird ein neuer Schneppgalgen aufgerichtet, aus den Gefängnissen in Eisenach in aller Eile ein Delinquent herbeigeholt und, zur Constatirung des Besitzes jener blutigen Gerichtsbarkeit, daran aufgehängt. Dem Acte wohnte ein weimarischer Commissar, der Assessor Göckel, bei und dieser erklärte Angesichts des baumelnden armen Sünders, daß die Execution als Besitzact zur Behauptung der erbhennebergischen Territorialhoheit und höchsten Gerichtsbarkeit über das Amt Fischberg gelte. Hierauf verfügt sich derselbe Commissar auf eine Wiese bei Fischberg, läßt dort ein Stück Rasen ausstechen, dann weiter auf einem Pfarracker eine Erdscholle ausheben und Aehren abrupfen, in einer Waldung einen Erdklumpen ausstechen, Pistolen abschießen und Reiser abhauen. In der Sternmühle zu Fischberg und in der Unterschenke in Diedorf wird ein Spahn [680] aus der Hausthür geschnitten, Feuer auf dem Küchenheerde an- und ausgemacht, die Stubenthür auf- und zugeschlagen. In drei verschiedenen Ortschaften schlägt der Commissar dreimal mit einer Peitsche an das dort vorüberfließende Feldaflüßchen, aus einer weidenden Heerde läßt er einen Hammel greifen und zupft ihm eine Flocke Wolle heraus. Im Pfarr- und Schulhause schürt er Feuer an und löscht es wieder aus, macht Stubenthür und Fenster auf und zu, rückt Tische und Stühle, setzt sich nieder und steht wieder auf. Dann schließt er die Kirche auf, nimmt mit seinem Gefolge Platz, läßt das Buch auf dem Altar aufschlagen und die Orgel anstimmen. Bei all’ diesen symbolischen Besitzhandlungen erklärt er stets feierlich vor dem mitgebrachten Notar und den ihn begleitenden Zeugen, daß er damit Besitz ergreife von den erbhennebergischen Ländereien, Mühlen, Schenken, Flüssen, Schäfereien, Kirchen, Pfarreien und Schulen.

Das Stift Fulda, als es von dieser Besitznahme Kenntniß erhält, erhebt dagegen feierlichen Protest und verbietet den seitherigen Unterthanen bei tausend Thalern Strafe, an die Weimaraner Steuern zu zahlen oder ihnen gehorsam zu sein. Diesem Erlasse giebt es durch Einlegung von Militär Nachdruck. Weimar antwortet mit einer gleichen militärischen Execution und es beginnt ein kleiner internationaler Krieg. Der obere, nach den angeführten Besitzhandlungen bereits von Weimar occupirte Theil des Amtes wird von Weimar behauptet. Es gilt nun aber den Hauptort des Amtes, Dermbach, noch in Besitz zu nehmen. Der Commissar Göckel verfügt sich deshalb am 8. Septbr. an der Spitze von einigen hundert Mann Fußvolk und Husaren unter dem Commando des Oberstlieutenants von Stange von Kaltennordheim dahin. Während er zunächst am Platze vor dem Wirthshaus hält, um von diesem Besitz zu ergreifen, erscheint plötzlich ein Fuldaischer Notar, Namens Langabel, und erhebt Namens des Stifts Protest. Er wird indeß in seiner Rede sehr bald unterbrochen und muß sich über Hals und Kopf zurückziehen. Der weimarische Commissar begiebt sich hierauf nach dem Pfarrhofe, dringt durch das Thor und will auch hier Besitz erfassen. Da erscheint mitten durch die Soldaten hindurch der Notar Langabel und protestirt auch hier wieder. „Hinaus mit ihm, hinaus mit dem Hundsfott!“ ruft der Weimaraner. Im Nu wird der arme Notar gepackt, durch den Hof und das vorbeifließende Wasser nach dem Kloster in Sicherheit geschleppt. Das weimarische Occupationscorps begiebt sich indeß nach der evangelischen Kirche, bewältigt die Wache vor dem Kirchhofe und erbricht gewaltsam die Thür. Als sie nun in das Innere der Kirche dringen, siehe da steht vor dem Altar mit zwei zitternden Zeugen der unerschrockene Notar von Fulda und ruft mit lauter, vernehmbarer Stimme sein „protesto, protesto!“ Der eindringende Kriegscommandant erklärt, kein Lateinisch zu verstehen, und ersucht den Redner, sich nicht weiter zu bemühen. Dieser ruft indeß nur immer lauter seine feierliche Protestformel in das Schiff der Kirche hinab, obwohl die bangenden Zeugen sich heimlich bereits aus dem Staube gemacht haben. Endlich muß aber auch er den andringenden Grenadieren weichen.

Die Sache wurde später an’s Reichskammergericht gespielt und durch einen Vergleich geschlichtet. Fr. Hbg.