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Eine Forderung der Menschlichkeit

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Titel: Eine Forderung der Menschlichkeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 315
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[315] Eine Forderung der Menschlichkeit. Unsere deutschen Eisenbahnen lassen in Bezug auf bequeme Einrichtung Manches zu wünschen übrig; doch würde es schwer fallen, aus der Beschaffung größeren Comforts geradezu eine gesetzliche Verpflichtung zu machen. Ein Ding aber giebt es, dessen Vorhandensein unbedingt gefordert werden kann, weil es der Befriedigung eines unabweisbaren Bedürfnisses dient, das ist – ein Brunnen auf jeder Station, welcher, sofort in die Augen fallend und leicht zugänglich, dem reisenden Publicum Gelegenheit bietet, seinen Durst mit dem natürlichsten Getränk zu stillen und – was jedem an Reinlichkeit gewöhnten Menschen fast ebenso großes Bedürfniß ist – sich von Zeit zu Zeit die Hände zu waschen. Brunnenanlagen haben ja wohl sehr viele Bahnhöfe, aber dieselben liegen in der Regel ganz versteckt und sind daher von dem Fremden nicht aufzufinden; außerdem sind sie gewöhnlich nur für den Gebrauch der Bahnhofsbewohner bestimmt und gegen die allgemeine Benutzung theilweise sogar unter Verschluß gelegt. Wer aber einmal, insbesondere mit Frau und Kindern, einen ganzen Tag bei drückender Sommerhitze auf der Eisenbahn gefahren ist, der weiß, welche Qualen der Durst, nach raschem Verbrauche der vorsorglich mitgenommenen Getränke, namentlich den Kleinen verursacht. Mit Bier denselben zu löschen, dem gewöhnlichen Mittel, wozu die Bahnhofsrestaurationen und ihre „fliegenden“ Kellner Gelegenheit: bieten, erweist sich sehr bald, namentlich für Kinder, als gänzlich verfehlt; denn nach kurzer, augenblicklicher Befriedigung kehrt der Durst nur in verdoppeltem Grade wieder – darauf scheint ja leider die Zubereitung unsere heutigen Lagerbiere berechnet zu sein. Wasserflaschen aber findet man weder in den meisten Restaurationszimmern, noch auf den Servirtellern der Kellner, und jede Nachfrage nach Wasser kann meist nur auf ein mitleidiges Lächeln von Seiten der Letzteren rechnen, welches besagen soll, daß Restaurationen und Kellner nicht dazu da sind, dem Publicum Wasser zu liefern. Dies kann man auch von ihnen, wenigstens umsonst, nicht verlangen, recht wohl aber von den Bahnverwaltungen, für die es unbedingt zur gesetzlichen [316] Vorschrift gemacht werden sollte, jeden Bahnhof mit einem für den Gebrauch des reisenden Publicums bequem gelegenen und gut eingerichteten Brunnen zu versehen. Schreiber dieser Zeilen hat auf seinen Reisen vorläufig nur einen Bahnhof kennen gelernt, welcher sich dieser öffentlichen Wohlthat erfreut, das ist der zu Altenburg, und er passirt diese Station im Sommer nie, ohne auszusteigen und wenigstens den Händen ein erquickendes Wasserbad zu gönnen. Namentlich auch im Interesse der unbemittelten Reisenden, welche oft ihren letzten Groschen für die Fahrkarte aufwenden, muß es geradezu eine Forderung der Menschlichkeit genannt werden, daß denselben auf einer Eisenbahnfahrt die Möglichkeit geboten sei, wenigstens mit einem frischen Trunke Wasser ihren Durst zu löschen.