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Eine Dresdner Liebhaberbühne vor hundert Jahren

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Die Schicksale der Dresdner Gemäldegalerie während des siebenjährigen Krieges Eine Dresdner Liebhaberbühne vor hundert Jahren (1895) von W. Frhr. von Biedermann
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896)
Zur Geschichte der Dresdner Kirchenbücher
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[187]
Eine Dresdner Liebhaberbühne
vor hundert Jahren.
Vortrag, gehalten am 20. Februar 1895
von
Geh. Rath a. D. Dr. W. Frhr. von Biedermann.


Vor einiger Zeit übergab unser Herr Vorsitzender mir einen handschriftlichen Band aus der Stadtbibliothek mit Nachrichten von einem hiesigen Liebhabertheater im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts mit dem Wunsche, davon Anlaß zu einem Vortrag im Geschichtsverein zu nehmen. Bei Durchsicht der Handschrift fand ich einen alten Bekannten; denn sie war schon über hundert Jahre gedruckt. Hiermit fiel eigentlich der Grund weg, der sie als zu einem Vortrage geeignet erscheinen ließ, nämlich der, Ihnen etwas bisher Unveröffentlichtes mitzutheilen, aber dem ungeachtet meinte der Herr Vorsitzende, daß sich denn doch über den Gegenstand ein Vortrag halten lasse, namentlich wenn die Liebhaberbühne in ihren Beziehungen zu den damaligen hiesigen Bühnenzuständen betrachtet werde. In diesem Sinne habe ich nun mehr als ein halbes Hundert Bände von Druckschriften durchmustert; der gedachte Handschriftenband gab dabei insofern einige Ausbeute, als sich darin mehrere Einzeldrucke von Festgedichten befanden, die zum Theil nur hier erhalten sind und geschichtlich benutzt werden konnten. Auch archivalische Nachrichten waren zu benutzen. Wenn ich nun aus der unendlichen Masse für unsere Zwecke gleichgiltigen Stoffes das heraushebe, was die Theilnahme des Dresdner Geschichtsvereins beanspruchen darf und wenigstens als etwas in dieser Zusammenstellung Unbekanntes anzusehen ist, so hoffe ich, Sie die übliche Vortragszeit mit Wissenswürdigem unterhalten zu können.

Vermeiden kann ich nicht, einiges über die deutschen und insbesondere die hiesigen Bühnenzustände zu Ende des verflossenen Jahrhunderts zu sagen; darf ich auch voraussetzen, daß diese genügend bekannt sind, so muß ich doch das vorausschicken, woran ich anknüpfen will. Ich beschränke mich hierbei auf das redende Schauspiel, da die Oper ihre Geschichte für sich hat – allerdings nicht ganz. Denn das damals beliebte Singspiel wurde meistens sowohl im Repertoire als betreffs der Darstellung zum Schauspiel gerechnet.

In Deutschland gab es noch bis gegen Ausgang des vorigen Jahrhunderts für das Schauspiel keine stehenden Hof- oder Stadtbühnen; den Bühnengenuß befriedigten Schauspielergesellschaften, die von bedeutenderen Schauspielern oder Schauspielerinnen zusammengebracht wurden und das Reich, gewöhnlich gewisse beschränktere Landbezirke, durchzogen, wie es uns in der Januarversammlung des Dresdner Geschichtsvereins hinsichtlich des Schauspielunternehmers Velten ausführlich vorgetragen worden ist. Dergleichen Schauspielergesellschaften nahmen dann auch einige Fürsten, wie es mit der Veltenschen der Fall war, zeitweilig in ihren Dienst und zwar so, daß sie einen Bauschbetrag für das Spielen auf der Hofbühne gewährten. In Kursachsen besaßen seit Mitte des vorigen Jahrhunderts nacheinander die Schauspieler und Schauspielunternehmer Koch, Döbbelin, Seyler, Bondini und Seconda das Privileg als kurfürstliche Hofschauspieler, kraft dessen sie im Winter in Dresden, im Sommer in Leipzig spielten. Eine ausgezeichnete Stellung nimmt jedoch Dresden in dieser älteren Geschichte des Schauspiels nicht ein. Während es den Vorzug genoß, daß hier seit 1719 mit kürzeren oder längeren Unterbrechungen eine treffliche italienische Oper bestand, so hatte sich dagegen das deutsche Schauspiel in anderen Orten, namentlich Leipzig, Hamburg, Mannheim, Gotha, Weimar, Berlin, auf einen bedeutenderen Stand erhoben infolge des regeren Antheils, der ihm dort von den Stadtbevölkerungen oder von den Höfen zugewandt wurde.

Um die Zeit nun, die jetzt Gegenstand unserer Aufmerksamkeit sein soll, erhielt Bondini das kursächsische Privileg. Der Beginn des bayerischen Erbfolgekriegs hatte 1778 den Kurfürsten bewogen, zu Verminderung des Aufwandes beim Hofstaat die hohe Unterstützung, die dem Unternehmen der italienischen Oper, eben Bondini, zufloß, einzuschränken, und zur Entschädigung wurde ihm das Privileg der Hofschauspieler ertheilt.

Bondini spielte auf der Hofbühne wöchentlich dreimal; späterhin gab während des Sommers eine andere [188] Gesellschaft Vorstellungen auf dem Linkeschen Bade. Nachfolger Bondinis waren seit 1789 die Brüder Franz und Josef Seconda, von denen hier jener im Winter, der andere im Sommer seine Thätigkeit entfaltete.

Bei der damaligen Bevölkerung Dresdens, etwa 60 000 Einwohnern, war aber noch Raum für kleinere, wenn schon sehr geringwerthige Bühnen. Der Schauspieler Kopp war durch den Bankerott des neben Bondini im Sommer spielenden Unternehmers Gatto beschäftigungslos geworden und errichtete nunmehr zu Michaeli 1780 in den „Drei Rosen“ vor dem Wilsdruffer Thor eine Bühne, deren Zuschauer während des Spiels Bier tranken und Tabak rauchten. Ihn löste der Komiker Raufer ab, ein Oesterreicher, dessen Glanzrolle Kasperle im „Doktor Faust“ war. Kasperle war aber in diesem „Faust“ die Hauptperson. – Von der Kopp-Rauferschen Truppe trennte sich 1781 wiederum ein Schauspieler und bildete eine dritte Bühne in der Friedrichstadt – selbstverständlich abermals eine Volksbühne.

Wenn neben diesen allerdings zum Theil sehr dürftigen Bühnen das Bedürfniß nach anderweiter Befriedigung theatralischer Genüsse bestand, so erklärt sich das unter anderem dadurch, daß damals bis zum Ausbruch der französischen Revolution die Bühne, man kann wohl sagen, im Mittelpunkte des öffentlichen Interesses stand. Die Haupt- und Staatsaktionen, die im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts die Bühnen noch beherrschten und die trotz des Un- ja Widernatürlichen in der Verwickelung, den Charakteren und im sprachlichen Ausdruck mit Befriedigung genossen wurden, wenn nur neben den haarsträubendsten Unthaten der Hauptpersonen der Hanswurst das Ungeheuerlichste an Gemeinheiten leistete – diese Haupt- und Staatsaktionen hatten durch Gottsched in Leipzig den Todesstoß bekommen, als er in einem besonders für diesen Zweck geschriebenen Bühnenstück 1737 den Hanswurst hatte auf der Bühne verbrennen lassen. Was Gottsched jedoch als Muster dagegen vorhielt, die Tragödie und Komödie der Franzosen, war in Deutschland, namentlich bei den erbärmlichen Uebersetzungen und Nachahmungen, nicht lebensfähig, und seit man sich mit Lessings Ansehen decken konnte, wenn man sie langweilig fand, war auch dem französisch klassischen Theater das Todesurtheil gesprochen. Noch aber waren bis zum letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts die Bühnendichtungen, welche den von Lessing angedeuteten neuen Bahnen in seinem Geiste folgten, sehr vereinzelt. Deutschland blickte sehnsüchtig harrend auf sie, die sich als bedeutende Bühnenschöpfer angekündigt hatten, allein keiner erwies sich auch nur annähernd so fruchtbar wie etwa Vega, Calderon, Goldoni, ja auch nur wie die Häupter der französischen Bühnendichtung. Die bedeutenden Dichter ernster Schauspiele – Lessing, Goethe, Leisewitz – entzogen sich fortwirkender dramatischer Thätigkeit. Und noch dazu: wie verschiedenartig, ja einander entgegengesetzt hatten sich diese Führer kundgegeben! Alles war in Gährung, und die Gährung riß alle Welt in ihre Bewegung hinein. Der Drang, sich daran zu bethätigen, äußerte sich denn auch in Bildung von Liebhaberbühnen. Dennoch dieser Drang nicht allein; die Liebhaberbühnen sind auch technisch als ein Bedürfniß ihrer Zeit zu betrachten.

Gewiß gab es damals hervorragende Schauspieler, deren Namen, trotzdem daß dem Mimen die Nachwelt keine Kränze flicht, noch heute über ein Jahrhundert hinaus mit Ehren genannt werden; auch in Dresden wirkten gegen Ende des vorigen Jahrhunderts vortreffliche Künstler, wie Brandes, Opitz, Reinecke, Fleck, Christ, Bösenberg, Ochsenheimer, und die Schauspielerinnen Brandes, Reinecke, Bösenberg, Henisch, Spengler, Albrecht. Diese heute noch nicht vergessenen Künstler waren Leute, an die des Geistes unwiderstehlicher Ruf ergangen war, die Schöpfungen der Bühnendichtung zu vollem Leben zu gestalten. Neben ihnen standen jedoch die zu geringeren Rollen verwendeten Schauspieler auf unendlich viel tieferer Stufe, was insbesondere auch aus den Anekdoten zu schließen ist, die der Gothaische Theaterkalender alljährlich über greuliche Albernheiten solcher Leute zu berichten wußte. Ohne des Geistes ernsten Ruf konnte sich freilich auch damals schwerlich ein halbwegs fähiger Mensch veranlaßt fühlen, den Schauspielerberuf zu ergreifen, da dessen Loos fast durchgängig ein trauriges war. Ein Schauspieler mußte gewärtig sein, zeitlebens ein ruheloser Wanderer zu bleiben, nie ein befriedigendes Heim gründen zu können, und das noch dazu bei jammervoller Bezahlung – wenn diese überhaupt erfolgte. Der große Schröder erhielt, als ihm schon ein glänzender Ruf zur Seite stand, ausnahmsweise ein Wochenlohn von 5 Thalern. Wenn nun unter geringer Befähigung und mangelhafter Ausbildung der mit Nebenrollen betrauten Schauspieler die Gesammtheit der Darstellungen litt, so mußte es für Freunde der Bühnenkunst verlockend sein, sich das Vergnügen einer Vorstellung zu verschaffen, die zwar künstlerischer Größen entbehrte, aber auch nicht durch Eingreifen beschränkter Köpfe gestört wurde, und so ist es auch aus diesem Grunde verständlich, daß allenthalben Liebhaberbühnen entstanden, die Anspruch auf öffentliche Beachtung machten; der Gothaische Theaterkalender verzeichnet im letzten Viertel des verwichenen Jahrhunderts mehr als dreißig Städte Deutschlands und Oesterreichs – in Sachsen außer Dresden noch Bautzen und Schneeberg – in denen sich Liebhaberbühnen aufgethan hatten, unzweifelhaft war es aber in einer beträchtlich größeren Zahl von Orten geschehen. Es betheiligten sich dabei alle Kreise der [189] Bevölkerung, von den Handwerkern an bis zu den Fürsten, wie z. B. in Weimar der junge Herzog Karl August selbst auftrat. Goethe bezeichnet in seinem Entwurf einer Schrift über „Dilettantismus in den Künsten“ ausdrücklich die Vermischung aller Stände als Eigenthümlichkeit deutscher Liebhaberbühnen. Und diese Aufführungen an Höfen waren etwas Planmäßiges, Nachhaltiges; sie unterschieden sich dadurch wesentlich von einzelnen Aufführungen, wie sie noch in neuester Zeit auch an unserem Königshofe stattfanden. Auch die heutigen gesellschaftlichen Vereine, in denen Theater gespielt wird, sind etwas ganz anderes als vor hundert Jahren: jetzt ist das Theaterspiel nur ein geselliges Vergnügen neben Konzert und Tanz.

Indessen soll nicht behauptet werden, daß die vormalige Errichtung von Liebhaberbühnen überall und allein als aus einem gewissen Bedürfniß hervorgegangen anzusehen sei, man ist hin und wieder versucht, sie als entsprossen aus dem Gegentheil dessen zu erachten, was in der Regel Bühnen ins Leben ruft. Bühnen wurden zweifellos der Zuschauer wegen gegründet, aber, unbefangen betrachtet, sind es hauptsächlich die Spieler, derenwegen sich Liebhaberbühnen schon früher zusammenthaten. Diesen Verdacht bestätigt zunächst die Thatsache, daß die Stifter von Liebhaberbühnen es für nöthig finden, ihr Vorgehen zu entschuldigen und zu rechtfertigen, und zwar damit, daß durch die Aufführung den Mitwirkenden nicht nur ein unschuldiges Vergnügen, sondern auch ein namhafter Gewinn für ihre Ausbildung erwachse. Diese Vortheile bespricht auch Goethe in dem schon erwähnten Entwurf über den Dilettantismus in Künsten, aber zugleich – was die Liebhaberbühnenfreunde zu verschweigen pflegen – die Nachtheile; geradezu erklärt er, daß Dilettantismus in der Schauspielkunst den größten Schaden anrichte. Ueber die Vortheile des Bühnenspiels äußert sich auch ohne alle Rücksicht auf einen Genuß für die Zuschauer, der eigentlich die Hauptsache sein sollte, ein Prolog, der 1778 in der Dresdner freundschaftlichen Bühne gesprochen wurde, mit rührender Offenheit:

Doch ist es freilich ein andres Ding,
Wenn sich ein Anfänger, jung und flink,
An Werke, zu groß für sein Köpfchen, wagt.
Da werden Euch leicht aus Giganten Zwerge,
Da schlüpft Euch aus dem kreisenden Berge,
Vor welchem die Nachbarschaft ringsherum zagt,
Im Hui eine Maus
Mit Piepsen heraus.

Und weiterhin:

Sei’s wie’s da wolle! Unser Dank
Soll mindestens Euch für die Nachsicht lohnen,
Mit der Ihr oft drei Stunden lang
Trotz Wind und Wetter, Hitze, Sturm und Drang
Uns anzuhören erschienet.

Vom Vergnügen der Zuschauer ist also keine Rede. Aber da sind wir unvermuthet schon inmitten des Liebhabertheaters, von dessen Entstehung Sie doch noch nichts vernommen haben. Mit dieser hat es also folgende Bewandtniß.

Im Jahre 1776 traten hier einige Kunstfreunde zu einem Vereine zusammen, der sich Societätstheater nannte und Aufführung von Schauspielen jeder Gattung sich zum Zwecke setzte. Er scheint zuerst nur aus Personen, die bei den Aufführungen thätig waren und vor Eingeladenen spielten, bestanden zu haben. Ihre Bühne befand sich in einem Gartensaale vor dem Falkenschlage (jetzt Falkenstraße Nr. 2); der Zuschauerraum enthielt nur fünfzig Plätze. Am 19. Mai erfolgte die Eröffnung nach einem Prolog mit dem fünfaktigen Lustspiel „Die abgedankten Offiziere“ von Stephanie d. Ä. und dem einaktigen „Das Duell oder das junge Ehepaar“ von Jester. Nach fünf weiteren Aufführungen in diesem Saale wurde am 2. Februar 1777 schon zum letzten Male daselbst gespielt und mit der nächsten Vorstellung am 2. März desselben Jahres eine neue Bühne in der Borngasse (jetzt Carusstraße Nr. 4) eingeweiht. Sie war in einem zwei Stock hohen Gartensaale, dem Hofbuchhändler Walther gehörig, errichtet und faßte 170 Zuschauer. Jetzt bestand die Gesellschaft einschließlich etwa zwanzig spielender Mitglieder aus dreißig im Ganzen. Durch den Tod des Besitzers wurde aber das Societätstheater seiner neuen Stätte bald wieder beraubt; am 25.  März 1778 fand die letzte Vorstellung darin statt und während dieses ganzen Jahres und bis gegen Ende des folgenden mußte der Verein feiern. Erst dann war es gelungen, wieder eine geeignete Räumlichkeit zu ermitteln und herzurichten, und zwar in der Allee, jetzigen Hauptstraße der Neustadt, woselbst der ursprünglich zu Abhaltung von Maskeraden erbaute Saal in einem Hintergebäude der jetzigen Nr. 19 – dermalen Buchdruckerei von Albert Hille – sich als weit günstiger, als die früheren Räumlichkeiten erwies. Er enthielt ein Amphitheater, das nebst dem Parterre 250 Zuschauer aufzunehmen vermochte. Den Vorhang der Bühne entwarf Professor Schenau; gemalt wurde er von dem 1747 in Dresden geborenen, unter Hutin ausgebildeten Landschafts-, Geschichts- und Theatermaler Johann Ludwig Giesel, der schon für die beiden ersten Bühnen Vorhänge gemalt hatte. Schenau’s Entwurf enthielt mehrere mythologische Figuren. Ein weiterer Schmuck der Bühne waren vier Büsten dramatischer Dichter im Proscenium, und zwar: Shakespeare, Molière, Lessing und – den vierten wird Niemand errathen – Gotter. Von Goethe wußten also die damaligen Dresdner Kunstfreunde nichts, obwohl er bereits einige Jahre zuvor den von ganz Deutschland mit Begeisterung aufgenommenen „Götz [190] von Berlichingen“, sowie kurz darauf „Clavigo“ und „Stella“ geschrieben hatte. Und diese Bevorzugung Gotters war um so unverantwortlicher, als er zwar die Bühne mit mehreren Stücken versorgt hatte, die aber fast durchgängig Uebersetzungen oder Bearbeitungen französischer, englischer und italienischer Autoren waren. – Auf dieser so geschmückten Bühne nun wurde am 7. Dezember 1779 zum ersten Male, und zwar das Lustspiel in fünf Aufzügen „Henriette oder Sie ist schon verheirathet“ von Großmann gespielt. Diese Bühne behielt das Societätstheater bis zu seiner Auflösung, also über vierzig Jahre, bei. Einer der letzten Vorstellungen darin hat noch ein dermaliges Mitglied des Dresdner Geschichtsvereins, Herr Generalmajor von Schultz, beigewohnt.

Die Mitglieder des Societätstheaters gehörten allen Ständen an, soweit sie auf Bildung Anspruch machen konnten. Protektor und fleißiger Besucher war der kursächsische Prinz Karl, Herzog von Kurland. Auch einige der hier beglaubigten Gesandten betheiligten sich, aber auch untergeordnete Beamte. Die Zahl der Mitglieder wurde zuletzt satzungsmäßig auf fünfzig festgestellt, davon waren 1793 zwölf Herren und acht Damen ausübende Mitglieder; 1797 wird die Zahl der Spielenden auf sechsundzwanzig überhaupt angegeben. Die Eigenschaft eines freundschaftlichen Vereins, wie sich dieser auch nannte, tritt u. A. dadurch hervor, daß festliche Tage einzelner Mitglieder – wie Verlobungen, Hochzeiten, Genesungen, Abschiede – durch Gedichte und Festspiele von ihm gefeiert wurden.

Vorstellungen fanden nur im Winterhalbjahre – erweitert zu sieben bis acht Monaten – statt, in der Regel sechs bis acht.

Die ausübenden Mitglieder des Societätstheaters betrachteten dieses auch als Vorschule für öffentliche Bühnen; namentlich gingen im Februar 1781 zwei Schwestern Weinhold als Kammersängerinnen zur Kapelle des Fürsten Carolath von hier ab, ingleichen 1786 die seit neun Jahren beim Societätstheater thätige Hartmann angeblich nach Frankfurt a. M. zur Großmannschen Gesellschaft, bei der ich sie jedoch nicht genannt finde; vielleicht hatte sie einen Theaternamen angenommen. Ueber die künstlerischen Leistungen der Mitglieder des Societätstheaters fehlen uns, der Natur ihres Verhältnisses nach, regelmäßige Berichte, doch sind uns ein Paar durch Korrespondenten des „Theaterjournals für Deutschland“ aufbewahrt. Ein in Dresden verweilender Fremder schreibt am 5. April 1780, daß das Spiel des Mitgliedes Lerch, von dem wir nachher noch zu hören bekommen, „so ganz das natürliche, treffende, hinreißende“ sei. Von einer Schauspielerin urtheilt er: „Demoiselle Dober zeigte sich als eine treffliche Liebhaberin; ihr Gesicht, ihr ganzer Bau ist herrlich.“ Die eben erwähnte Hartmann ist bezeichnet als „ein munteres, wohlgebautes Mädchen mit einer sehr vortheilhaften Gesichtsbildung“, die „mit Naivität spielt“. Ferner bemerkt der Berichterstatter: „Die Gesellschaft ist zahlreich und hat noch außer den genannten sehr brauchbare Mitglieder. Viel Große der Stadt sind dabei.“ – Anscheinend war es ein anderer Korrespondent, der am 8. Dezember 1781 nach der Vorstellung des „Julius von Tarent“ mit einem für Dresden nicht schmeichelhaften Eingang schrieb: „Ich ward sehr überrascht, als ich hier, wo sonst deutsche Literatur und wahrer Geschmack immer noch weit zurückgeblieben sind, eines der besten Privattheater mit den passendsten Dekorationen und Maschinerien, mit einem allegorischen, von Schenau erfundenen Vorhang, kurz, versehen mit allen äußerlichen Erfordernissen antraf.“ Sodann weiterhin: „Schon das Stück, das gespielt wurde, gehörte unter die Seltenheiten Dresdens; denn es war ‚Julius von Tarent‘, das auf dem kurfürstlichen Theater verboten war. Hier machte ein Frauenzimmer von katholischer Religion die Rolle der Blanca, und dies so äußerst schwere Stück ward, im ganzen genommen, aufs beste dargestellt. Vorzüglich vor allen anderen aber war die Rolle des Guido durch einen Herrn Dr. Behling besetzt, in dem so viele Theatertalente – Anstand, Sprache, Kenntniß der Gesten und Deklamationen – sich vereinigten, daß man ihn, wenn er auf dem Theater erschiene, unter die ersten Kräfte Deutschlands rechnen würde. Er verbindet, wie man mir sagte, mit diesen Gaben auch die Gabe, andere zu unterrichten; denn man versicherte, daß ein ansehnlicher Theil dessen, was den übrigen gelang, durch seinen Unterricht ihnen gelänge.“

Eine andere, dem Societätstheater durch Fremde erwiesene Aufmerksamkeit war eine Zeichnung, die der durch seine Schnelligkeit im Skizziren berühmte hannoversche Hofmaler Ramberg 1791 von einer Scene des Lustspiels „Siegfried von Lindenberg“, von Ph. L. Bunsen[1] fertigte. Sie zeigt den vom Buchhändler Dr. Richter vorgestellten Titelhelden und den Kanzlist Zschiedrich als Schwalbe, beide mit entschieden sprechendem Ausdruck. Das Blatt wurde in Kupfer gestochen und kolorirt; ein Exemplar befindet sich in der Stadtbibliothek. Richter besaß neben seiner Buchhandlung das Privileg der „Dresdner Frage- und Anzeigeblätter“, jetzt „Dresdner Anzeiger“. Er war ein Schwindler schlimmster Art und starb zu Anfang dieses Jahrhunderts in Wechselhaft zu Leipzig. Seine Buchhandlung wurde Grundlage zu der Arnoldschen Buchhandlung.

Der neben Richter in „Siegfried von Lindenberg“ auftretende Zschiedrich gehörte mit dem Registrator [191] Meißner und dem Hoffuttermarschall Lerch zu den treibenden Kräften des Societätstheaters.

August Gottlieb Meißner war am 7. November 1753 in Bautzen geboren. Er studirte von 1773 bis 1776 in Leipzig und Wittenberg die Rechte und machte in Leipzig Bekanntschaft mit dem nachmaligen Berliner Professor Engel, der sich durch Schauspiele und Romane, sowie durch philosophische, besonders ästhetische Schriften einen Namen gemacht hat. Dessen Bühnenliebhaberei theilte sich Meißnern mit, der dann schon damals in jugendlichstem Alter das Buch französischer Operetten für die Seylersche Schauspielergesellschaft bearbeitete. Nach beendigten Studien kam er nach Dresden und erhielt Anstellung als Kanzlist beim Konsistorium, später wurde er zum Geheimen Archivsregistrator befördert. Meißner entwickelte sich zu einem sehr fruchtbaren und beliebten Schriftsteller, namentlich entzückten alle Welt seine „Skizzen“, die in 14 Sammlungen erschienen und Erzählungen in lebendiger Darstellung enthielten. Seine Richtung war die des damaligen sogenannten Aufklärichts; flach wie dieser waren auch seine schriftstellerischen Erzeugnisse. Das zeigt sich auch darin, daß er sich nicht die Mühe nahm, oder nicht die Fähigkeit besaß, eine Dichtung als Roman oder aber als Schauspiel rein durchzuführen, sondern beide Dichtgattungen nach Bequemlichkeit durcheinander mischte. Als Erzählungen angelegt, enthalten sie doch große Stücke in förmlich dramatischen Scenen; seine „Bianca Cappello“ nannte er geradezu einen dramatischen Roman; gleicherweise ist „Alcibiades“ gehalten, der demungeachtet allgemein höchsten Beifall fand. Lustspiele sind vier von ihm gedruckt, zum Theil nach französischen bearbeitet. Das 1777 im Societätstheater aufgeführte Lustspiel „Der Finanzpächter“, nach Saintfoix, das in Dyks „Komischem Theater der Franzosen“ gedruckt ist, ist in Goedekes „Grundriß zur Geschichte deutscher Dichtung“ unter Meißners Schriften nicht verzeichnet. Von ihm sind auch der Prolog zu Eröffnung des Societätstheaters und andere verfaßt. Im Jahre 1785 verließ er Dresden, einem Rufe als Professor der Aesthetik nach Prag folgend; 1805 ging er als fürstlich nassauischer Konsistorialrath und Direktor der hohen Lehranstalten nach Fulda. Er starb am 20. Februar 1807. (Geburts- und Todestag sind vielfach falsch angegeben.) Unser Meißner war Großvater des traurig endenden Dichters Alfred Meißner. Neuerlich ist eine sehr ausführliche Monographie über Meißner von Rudolf Fürst erschienen.

Das zweite schöpferisch thätige Mitglied des Societätstheaters, Karl August Zschiedrich, 1754 geboren, war ein selbstgemachter Mann. Sein Vater war Kupferschmied und er mußte widerwillen dessen Handwerk erlernen. Später machte er sich aber frei, ging als Schreiber zu einem Rechtsanwalt und erlernte nebenbei Französisch und Italienisch so, daß er Ausländern Unterricht im Deutschen geben konnte. Er machte sich schriftstellerisch als Liederdichter und als Uebersetzer italienischer Opern bekannt, worunter auch „Don Juan“ für die 1795 bei Hilscher hier erschienenen Ausgabe der Mozartschen Oper. Er wurde nachmals Kanzlist bei der Landesregierung, auch Kassirer der ökonomischen Societät und starb am 1. Oktober 1799. Er war der allezeit bereite Vereinsdichter, der nach Meißners Abgang Prologe oder Epiloge, auch sonst noch Festspiele lieferte. Seine Dichtungen erheben sich nicht zu verwegenem Schwung; die Reime „Herz“, „Schmerz“, „Scherz“ und andere leicht erlangbare kehren oft wieder, von der Freude und der Unschuld der Vereinsgenossen ist häufig die Rede; indessen scheinen sie ihrem Zweck, wenn sie bei der jeden Winter stattfindenden Wohlthätigkeitsvorstellung zu reichlichen Gaben aufforderten, nach Wunsch entsprochen zu haben. In den Theaterreden wandte Zschiedrich nach Meißners Vorgang zu Erzielung einer gewissen Wirkung wiederholt den Kunstgriff an, den Sprechenden eine Pause machen zu lassen, während deren angenommen wurde, daß die Zuschauer eine Zusage ertheilt hätten. Beispielsweise schließt im Frühjahr 1785 ein Epilog nach der letzten Vorstellung dieses Winterhalbjahres so:

Das Blumenband, das uns vereinte,
Wird blühender, wenn Ihr uns ferner schätzt;
Und dieses Spiel, das Euch und uns ergötzt,
Wird einst, wenn minder heiß die Sonne brennet
Und unser Tagewerk uns Ruhe gönnet,
Im Herbstmond rüstig fortgesetzt.
Und Ihr, Ihr liebt uns dann auch noch wie jetzt?
(Pause.)
Gut! Ihr versprecht’s – der Vorhang falle, der uns trennet.

Doch läßt sich nicht verkennen, daß Zschiedrich, wenn es nicht bloß einer jährlich zu erneuernden Leistenarbeit galt, die Gabe gewandter Behandlung gut verwerthete. So war es der Fall in dem Prolog, der am 15. Oktober 1784 das Lustspiel „Welch’ ein Spaß!“ – eine Bearbeitung des Französischen „Jeu de l’amour et du hazard“ von Marivaux – einleitete. Die Sprecherin, die bekannte Soubrette des Societätstheaters, tritt in der Kleidung ihrer Rolle als Kammerzofe wie vom Laufen erschöpft auf und spricht:

Das heißt gelaufen, daß ich nun kaum wieder
Zum Athemschöpfen kommen kann!
Da hätt’ ich nun so gern die Abendlieder
Der Vögelchen behorcht und dann
Ein Weilchen nach dem Mondemann
Vom Fenster aus lorgnirt und so fortan
Im Kreis der Schwesterchen und Brüder
Den Abend plaudernd hingescherzt; allein
Bald resolvirt’ ich anders wieder.

[192]

Die Lüftlein wehten kühl, die Vögel schwiegen,
Der liebe Mond kroch in ein Wölkchen ein,
Und den gestalten Dingen mag ich kein Vergnügen
Im Feld, im Garten oder Hain
Mir in die freie Seele lügen.
Mit einem Wort: hier ist es besser sein.
(Sie wird die Zuschauer gewahr.)
Ei! auch so viele schöne Herr’n und Damen
Versammelt schon des Herbstes Kühle hier?
Willkommen, tausendmal willkommen sind Sie mir!

Hierauf verbreitet sich die Prologsprecherin über das Verhältniß der Darstellenden zu den Zuschauern und schließt, an der Coulisse horchend, mit Anspielung auf die abgelaufene fünfmonatliche Spielpause nach dem vorigen Winterhalbjahr:

Pst! Still! Mein Fräulein ruft. Nun mag ich rennen
So schnell ich kann! Zum Glück für mich soll holden Glanz
Ihr nur die Abendtoilette leihen,
Und dies erleichtert Kammermädchenpflicht.
Fünf Monden ihr entwöhnt, lern’ ich sie so von neuem.
Adieu! Das Wiedersehn wird Henrietten freuen.
(Wendet sich zum Abgehen, kehrt aber wieder um):
Ihr zürnt doch dann auch ihrem Plaudern nicht?
(Ab.)

Außer Theaterreden schrieb Zschiedrich noch sogenannte Divertissements, Festspiele, die aus Solo- und Chorgesängen und Ballet bestanden. Zu deren einem lieferte Kapellmeister Naumann die Musik, zu einem zweiten am Namenstage des Kurfürsten, dem 5. März 1784 aufgeführten, Kapellmeister Schuster. Es dürfte Ihnen keinen Genuß gewähren, die Verse dieser Divertissements anzuhören; der Dichter selbst scheint geringeren Werth auf sie, als auf Gesang und Tanz gelegt zu haben.

Der dritte vorzugsweise thätige Vereinsgenosse, Heinrich Erdmann Lerch, war erst Offizier und stand in Torgau, nahm als Premierlieutenant seinen Abschied, und erhielt 1772 die Stelle des Hoffuttermarschalls, des Vorstandes einer Behörde, die dem geheimen Finanzkollegium unterstellt war. Aus der vorhin angeführten Correspondenz im „Theaterjournal für Deutschland“ von 1780 erfuhren wir schon, daß Lerch durch sein Spiel sich auszeichnete, aber mehr als Andere leistete er als Uebersetzer und Dichter von Bühnenstücken. Uebersetzt hat er 1778 den Lustspieleinakter „Le mari retrouvé“ von Dancourt; eigener Erfindung scheinen zu sein die Lustspiele „Die Kutsche“ in zwei Aufzügen vom Jahre 1795, und „Das gelöste Räthsel“ in einem Aufzuge von 1798. Ueberdies wurden von ihm im Societätstheater vorgestellt die Festspiele: „Nun ist uns allen geholfen“ am 10. Mai 1784 zur Feier der Genesung des gefährlich erkrankt gewesenen Kurfürsten sowie zugleich des auf diesen Tag fallenden Geburtstages der Kurfürstin; am 19. August 1787 das dreiaktige dramatische Sprüchwort „Wer’s Glück hat, führt die Braut heim“ mit Naumanns Musik, bei Verheirathung zweier Vereinsgenossen; am 15. April 1788 zur Feier der Genesung des Herzogs von Kurland die ländliche Familienscene „Die glückliche Prophezeiung“. Ueber Lerchs Ritterspiel „Lothegar und Irmengild“, das unter Mitwirkung von sechzig Personen am 26. September 1791 auf einem Weinberg aufgeführt wurde, kann nichts Näheres angegeben werden. Lerch scheint keins seiner Stücke veröffentlicht zu haben, und wenn er dennoch im Gothaischen Theaterkalender ins Verzeichniß der für die Bühne thätigen Schriftsteller aufgenommen ist, so dürfte dies auf Grund der ebenda nur erwähnten Arbeiten für das Societätstheater geschehen sein, wie ja auch noch andere Bühnendichter wegen ungedruckter Werke darin genannt sind. Indessen ist uns wenigstens der Auszug seines Festspiels „Nun ist uns allen geholfen“ erhalten, den ich mittheilen will, wiewohl der Beifall, den das Stück gefunden zu haben scheint, daraus nicht verständlich wird. Ein alter braver Dorfrichter ist durch Ueberschwemmung und Eisfahrt in Unglück gerathen; er sitzt mit seiner Frau in zerstörter Hütte wehklagend, nur dem Himmel und dem Landesherrn voll Hoffnung vertrauend. Das alte Ehepaar glaubt überdies den Verlust der erwachsenen Tochter zu beklagen zu haben, nachdem diese von ihrem Verlobten verlassen worden. Diese Befürchtungen sind jedoch ungegründet: die Tochter trifft mit ihrem Bräutigam ein; sie bringen den Eltern nöthige Lebensbedürfnisse. Der Förster und der Schulmeister des Ortes treten hinzu mit Nachricht von gefährlicher Erkrankung des geliebten Fürsten; ferner herbeikommende Bauern melden dem Richter die Ankunft einer landesfürstlichen Kommission, die zu Abschätzung und Abhilfe der durch die Wasserfluth entstandenen Schäden entsendet ist. Während der Alte sich entfernt, um die Kommission zu empfangen, stiften Förster und Schulmeister zwischen dem Brautpaar Uneinigkeit, die aber von dem sich einfindenden fürstlichen Kommissar wieder geschlichtet wird. Da nun auch ein Bote Kunde bringt von der Wiederherstellung des Landesvaters und zugleich von dessen Erlaß, wodurch die Lage des Richters eine erfreuliche wird, so setzt dieser sofort die Hochzeit seiner Tochter fest, ladet den Kommissar dazu ein und alles endet in Jubel. – Man mag die Erfindung schwach finden, aber mit solchen Festspielen ist es noch heutzutage ein übles Ding: trotz besten Willens meistens nur Gemachtes. Im Epilog zu dem Festspiele wurde der Geburtstag der Kurfürstin mehr betont; es hieß darin mit einem schönen Reim:

Und noch – – –
Können wir den festlichen
Maitag, der Amalien
Auf umglänztem Fittig heute
Niederschwebt, mit lautrer Freude

[193]

Segnen, und zu Sachsens Glück
Ihn so schön noch oft zurück
Wünschen. An Thaliens Hand
Können wir ins Vaterland
Freier unsern Jubel rufen,
Daß Augusten, als Er stand
An des offnen Grabes Stufen,
Sachsens Genius erschien,
Ihn vom Grabe rief und Ihn
Seinem Volke schenkte.

Lerch starb am 2. April 1801. Als Verfasser nur je eines als Handschrift bezeichneten Bühnenstücks sind noch folgende namhaft zu machen. Zuerst ein sonst nicht bekannter A. Weber, von dem 1777 das aus dem Französischen übertragene Lustspiel „Die Originale“ im Societätstheater gegeben ward. – Sodann steuerte zu dessen Repertoire Johann Friedrich Adolf Pitschel 1790 das zweiaktige Lustspiel „Der Fremde“ bei. Pitschel war Kanzleibeamter beim Geheimen Konsilium, zuletzt Geheimer Registrator, prädicirt als Geheimer Sekretär, als welcher er am 26. April 1823 sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum beging. Er war seit Oktober 1782 mit einer Vereinsgenossin, Sophie Dober, der vorhin schon als treffliche Schauspielerin gerühmten, verheirathet; das Societätstheater betheiligte sich bei der Hochzeitsfeier durch eine Gesangaufführung, deren Text noch vorhanden ist. – Ferner ward 1777 der Einakter „Blinde Kuh“, nach Dancourt vom hiesigen Geheimen Kriegsrath Karl Franz Romanus bearbeitet, vorgestellt, ein unter dessen gedruckten Schriften in Goedekes „Grundriß“ nicht gefundenes Bühnenstück. – Ebenso wenig finde ich unter August Friedrich Ernst Langbeins Druckschriften sein 1786 hier aufgeführtes Lustspiel „Vergeben ist süßer, als strafen“. Langbein hatte sich, um dies noch einzuschalten, 1785 als Rechtsanwalt in Dresden niedergelassen und war im nächsten Jahre an Meißners Stelle in der Kanzlei des Geheimen Archivs angestellt worden.

Gedruckte Bühnenstücke von Dresdnern wurden aufgeführt: von dem am 18. Januar 1738 hier geborenen und ebenfalls hier am 30. Januar 1801 verstorbenen Hof- und Justitienrath, auch Geheimen Referendar Hans Ernst von Teubern 1777 „Der Philosoph ohne es zu wissen“, ein aus dem Französischen übersetztes Lustspiel von Sedaine; hiernächst von dem hier 1724 geborenen und 1785 verstorbenen Johann Christian Bock zwei Lustspiele.

Zu erwähnen ist überdies, daß auch von einem Auswärtigen, C. L. Schletter in Leipzig, Lustspiele zur Darstellung kamen, deren Druck ich nicht zu ermitteln vermochte, und zwar 1783 „Die Vormünder“ nach Goldoni und 1784 „Der englische Kaper“. Bei ersterem Stück ist bemerkt, daß der Verfasser es dem Societätstheater zugeeignet habe.

Hiermit mögen die bei den Leistungen des Societätstheaters auftauchenden literarischen Fragen, soweit sie der geheimen Literaturgeschichte Dresdens angehören – die allgemein literarischen beschäftigen uns hier nicht näher – abgethan sein. Betrachten wir nun diese Leistungen vom theatralischen Standpunkte aus. Da kennzeichnet es denn deutlich genug die Grenzen, welche sich das Societätstheater zog, daß man erst im sechsten Jahre seines Bestehens sich an ein Trauerspiel wagte. Das Brudermörderstück „Julius von Tarent“ von Leisewitz gab man 1781 und 1782 kurz hintereinander zweimal, ein Jahr darauf auch „Elfriede“, in Bertuchs Bearbeitung des englischen Trauerspiels von Mason. Dabei hatte es indessen bis 1798, soweit allein uns das Repertoire vollständig zugänglich ist, sein Bewenden. Einen fast komischen Eindruck macht Meißners Prolog für die erste Vorstellung des „Julius von Tarent“; sie wurde vom Darsteller des Guido, des Brudermörders – wie wir schon hörten Dr. Behling – gesprochen. In diesem Prolog legt sich der Schauspieler die Frage vor, ob er es wagen solle, die Rolle zu übernehmen, kommt über den Zweifel, ob er ihr gewachsen sei, noch hinweg; hat aber andere Bedenken:

Zumal des Guido Rolle? Guido’s Rolle!
Wer bebt nicht vor der Hand voll Bruderblut zurück?
Wer haßt nicht den, durch den der liebevolle
Entführer Blankens sinkt?
Wer, wenn mein Dolch der Rache blinkt,
Wer beut nicht jeden Scharfsinn der Kritik
Zu seinen Diensten auf, in Guido’s kleinster Silbe
In seinem Ton, in seinen Blick,
In seiner Kleidung selbst ein Fehlerchen zu spähn?
Sei’s noch so klein, sei’s klein wie eine Milbe,
Es wird dem Mann nicht übersehn,
Den jeder hassen muß, und dessen Grausamkeit
Selbst eh’r sein Vater und sein Richter,
Als das Parterre verzeiht.
Und ich, ich sollte diesen Tadel auf mich laden?
Fand ich ihn nicht schon g’nug auf minder schweren Pfaden?
Woher hätt’ ich den Muth
An Kaffeetischchen das Gespräch zu werden?
Der unberufnen Dramaturgen spöttische Geberden
Zu sehn? Und – ha! ich fühle stärkre Gluth
Auf meiner Wange glühn –
Sogar der Mädchen Haß auf mich zu ziehn,
Die ihren Liebling Julius –
Ein halbes Mädchen schier – bald Mitleid, Thränen zollen,
Und zornig gegen mich die schönen Augen rollen?
Der Mädchen Haß? Das woll’ der Himmel nicht!
Ihn reizen wäre gegen Männerpflicht,
Hinweg Prinz Guido’s Rolle!
Dich spiele, wer da wolle,
Ich sicher nicht!

Die Begründung des Entschlusses, den Guido doch noch zu spielen, anhören, möchte eine Zumuthung für Ihre Geduld sein. Das Angeführte genügt, das Urtheil, daß dieser Prolog sich komisch ausnehme, zu [194] rechtfertigen – nicht sowohl wegen der Zusammenstellung von Pathos und Trivialität, als vielmehr wegen der kindlichen Auffassung, die den Darsteller einer Rolle für die Thaten der dargestellten Person verantwortlich macht. Vor etwa fünfzig Jahren begab sich Aehnliches in Rio de Janeiro, indem ein Schauspieler in öffentlichen Blättern bekannt machte: er sei keineswegs einverstanden mit den Niederträchtigkeiten, die er in der ihm übertragenen Rolle zu verüben habe, man möge sie ihm daher nicht anrechnen. In Persien wird in den religionsgeschichtlichen Schauspielen der Darsteller des Ibn Meldschem, Ali’s Mörder, wenn er nach Beendigung der Aufführung sich nicht schleunigst in Sicherheit bringt, von den Zuschauern halbtodt geprügelt. – Indessen was bei Brasilianern und Persern Brauch ist, durfte man den hellen Sachsen nicht vormachen. Etliche Jahre später wurde in einem anderen freundschaftlichen Theater Dresdens auch ein Prolog vor „Julius von Tarent“ gesprochen, den man geradezu für eine beabsichtigte Entgegenstellung gegen den Meißnerschen halten könnte, indem sich der Sprecher desselben als eins mit seiner Rolle erklärt. Er beginnt:

Die Rollen sind vertheilt zum schreckenvollen Spiele,
Und Todesahnung bebt auf meiner Mitgenossen Angesicht.
Ich trage Guido’s Bild, und weibische Gefühle
Kennt dieses Felsenherze nicht.
Zwar fühl ich wohl der Rolle Last, die ich mir wählte,
Allein sie ist es auch, die wider Tadel und Kritik
Und wider der Verachtung Blick
Dies Herz mit Demanthärte stählte.
Und wenn auch Guidos Geist nicht wie der Dichter wollte,
Und wie er nach des Zirkels Meinung sollte,
Uns mir in jeder Silbe spricht,
So bitt ich dennoch um Verzeihung nicht.
Des Beifalls spott’ ich, der durch Bitten,
Erniedrigungen wird. Mit festen Schritten
Verfolg ich die erkorne Bahn,
Und jeder starre, wie er will, mich an.
Wenn sie, die sich bei diesem hohen Spiele
Die Rollen zärtlicher Gefühle
Erkiesen, schüchtern sie zu spielen wagen,
So mögen sie für sich Entschuldigungen sagen,
Um Nachsicht, wenn sie fehlen, flehn,
Und ihre Fehler selbst gestehn –
Mir ziemt das nicht; denn Guido hätt’ es nie gethan,
Und seine Denkart nehm’ ich an.

So trotzt der Prolog fort, überguidot den Guido und schließt:

Ha! Guido’s Blut, schon rollt’s in meinen Adern,
Schon lüstert mich’s mit aller Welt
Und mit dem Himmel selbst zu hadern!
Schon fliegt voll Trutz mein Blick umher.
Schon sehn’ ich mich nach Gegenwehr,
Die Feuergluth, die meinen Busen schwellt,
Durch Blut, es sei von wem es sei, zu kühlen.
Fangt an, fangt an zu spielen!

Man wird der Meinung sein können, daß zwar Meißners Prolog zu läppisch war, dieser zweite aber durch das Entgegengesetzte nicht minder sich ins Komische verirrte.

An die Darstellung des „Julius von Tarent“ knüpfe ich noch die Erwähnung, daß mit dessen Aufführung das Societätstheater in der That einen Ersatz für den Ausfall des von den Hofschauspielern Dargebotenen zu schaffen beabsichtigte; denn diesen war die Aufführung von Trauerspielen in Dresden untersagt. Nachdem sie einige Zeit lang sich an das Verbot nicht gekehrt und 1782 Schillers „Räuber“ gegeben hatten, erschreckte deren packende Leidenschaftlichkeit die friedlich und gemüthlich gesinnte Regierung dermaßen, daß man sich beeilte, jenes Verbot zu erneuern. Da es mir nicht gelungen ist, die Zeit des ersten Trauerspielverbots festzustellen, so vermag ich um so weniger dessen Gründe zu erforschen; zu vermuthen ist jedoch, daß die seit Lessings Vorgang in der Trauerspieldichtung eingedrungene Richtung des Dargestellten auf Wirklichkeit und Gegenwärtigkeit für die Dresdner ängstlichen Gemüther abschreckend war. Das bestätigt auch die Thatsache, daß, nachdem im Jahre nach jener Verbotserneuerung kein Trauerspiel von den Hofschauspielern aufgeführt worden war, sie im nächstfolgenden Jahre, also 1784, auf ausdrücklichen Wunsch des Hofes „Kodrus“ von Cronegk und „Zaire“ von Voltaire auf die Bühne brachten, also Stücke mit so weit entlegenen Beziehungen, daß daraus Folgerungen für die Gegenwart nicht gezogen werden konnten, wie ja auch nur deren französischer, steif abgemessener Tragödienstil dem damals allein hoffähigen Zopf völlig entsprach. In den fast dreiundzwanzig Jahren, für welche ich die Aufführungen des Societätstheaters habe vollständig zusammenstellen können, nämlich von 1776 bis ins Frühjahr 1798, ward überhaupt an 155 Tagen gespielt, wobei 205 Stücke gegeben wurden, von denen aber nur 118 verschiedene waren; denn mehrere wurden wiederholt, Ifflands „Jäger“ sogar fünfmal gegeben – ein Zeichen der philisterhaften Geschmacksbildung der Zeit. Die 118 Stücke bestanden, außer den schon genannten zwei Trauerspielen, aus 15 Schauspielen, 94 Lustspielen – darunter zahlreiche von fünf Aufzügen – zwei Singspielen sowie fünf für das Societätstheater geschriebenen Divertissements und Festspielen. Um sich ein Urtheil über die Bedeutung des Repertoires zu bilden, wird man es am sichersten mit dem gleichzeitigen der hiesigen Hofschauspieler zu vergleichen haben. Nehmen wir die Festspiele aus, so ergiebt sich, daß von den übrigen 113 Stücken in der Zeit von 1776 bis 1798 45 lediglich vom Societätstheater gespielt worden sind, 9 wenigstens früher, als von der Bondinischen beziehentlich Secondaschen Gesellschaft, während es mit [195] 32 Stücken diesen Gesellschaften nachfolgte. Hiernach ist zwar das Streben unseres Vereins nicht zu verkennen, neben der öffentlichen Bühne Selbständigkeit zu offenbaren und deren Leistungen zu ergänzen, aber zum Grundsatz hat sich dieses Streben nicht erhoben. Oder hätte man vielleicht durch Aufführung der schon von den Hofschauspielern gegebenen Stücke an der geübteren Kunst jener sich ausbilden, oder gar mit ihnen wetteifern wollen? Diese Fragen getraue ich mir indessen nicht zu beantworten.

Freilich sehr hoch verstieg sich das Streben der Societätstheatergenossen nicht. Zwar hatten sie „Minna von Barnhelm“ in ihren Spielplan aufgenommen, auch Lessings älteren, langweilig lehrhaften „Freigeist“, aber von Goethe nichts, auch dann noch nicht, als von 1787 bis 1790 außer dessen schon genannten Trauer- und Schauspielen „Götz von Berlichingen“, „Clavigo“ und „Stella“ noch die weiteren Bühnenstücke „Die Mitschuldigen“, „Iphigenie“, „Die Geschwister“, „Der Triumph der Empfindsamkeit“, „Egmont“ und „Tasso“ – der Singspiele nicht zu gedenken – erschienen waren. Und für sie bot der übrige Schauspielvorrath der deutschen Literatur schlechterdings keinen Ersatz. Von den bis 1798 aufgeführten Stücken des Societätstheaters waren 23 aus dem Französischen, 9 aus dem Englischen und 5 aus dem Italienischen übertragen worden; es waren also zusammen 47 Stücke von Ausländern und daneben nur 66 von 30 verschiedenen deutschen Dichtern, die übrigen von Ungenannten. Dabei ist nicht ausgeschlossen, ja sogar wahrscheinlich, daß von den Stücken, die als von Deutschen verfaßt gelten, manche dennoch nach fremdsprachigen bearbeitet waren, ohne daß dies angegeben ist. Die meisten angeblich originalen Stücke, acht, lieferte Jünger, je fünf Schröder, Bretzner, Stephanie d. J. und Iffland. In der Folgezeit, d. h. von 1798 ab, sind unzweifelhaft Iffland und Kotzebue, der bis 1798 nur mit vier Stücken vertreten ist, am meisten ausgebeutet worden. Eine Abschrift des von mir zusammengestellten und literarisch ergänzten Repertoires des Societätstheaters werde ich zur Bequemlichkeit späterer theatergeschichtlicher Forscher ans Archiv unseres Vereins abgeben. Es wäre übrigens erfreulich, wenn der heutige Vortrag Anlaß böte, nach den Akten des Societätstheaters mit Erfolg zu forschen.

Da ich jetzt jedoch nicht in der Lage bin, nach 1798 fortlaufende Mittheilungen über das Societätstheater beizubringen, so erwähne ich nur noch, daß es am 19. Mai 1826 sein fünfzigjähriges Jubiläum feierte, wobei „Die silberne Hochzeit“ von Kotzebue zur Vorstellung gelangte und der Münzgraveur Krüger eine Denkmünze herstellte. Sie zeigt auf der Vorderseite drei neben einander stehende, mit Kränzen verbundene Rollen, die durch entsprechende Masken als Sinnbilder des Trauerspiels, Schauspiels und Lustspiels gekennzeichnet sind; über ihnen kreuzen sich zwei Tibien, an denen auf der einen Seite eine Panflöte, auf der andern Castagnetten hängen. Die Rückseite enthält die Inschrift: „Der Jubelfeier des Privattheaters zu Neustadt-Dresden nach fünfzig Jahren am 19. Mai 1826.“ Ein Exemplar der Münze findet sich im Stadtmuseum. Schon damals ging durch die Gesellschaft die Ahnung, daß ihr Bestand kein langer mehr sein würde; nach sechs Jahren löste sie sich auf und schied von den Räumen ihrer Thätigkeit am 19. Mai 1832 mit Darstellung des Schauspiels „Die Erinnerung“ von Iffland.

Doch völlig todt war sie noch nicht. Einige Mitglieder bildeten unter Heranziehung noch anderer Personen einen neuen Bühnenverein mit abgeänderten Satzungen. Aus diesem Umstande läßt sich schließen, daß es hauptsächlich die bisherige Zusammensetzung des Vereins war, welche die Unzufriedenheit eines Theils der Mitglieder hervorgerufen hatte. Der neue Verein bestand dann noch mehrere Jahre.

Ich habe schon eine zweite freundschaftliche Bühne gestreift, die bereits im vorigen Jahrhundert sich neben dem Societätstheater gebildet hatte, und zwar vom Ende 1787 ab wenigstens bis ins Frühjahr 1789 bestand. Im Eröffnungsprolog wird auf „die Kritiker und Mißgunst“ angespielt und ziemlich derb gesprochen:

Da noch dazu in unsrer jetz’gen Zeit
Haß, Neid, Verfolgung und Parteilichkeit
So stark in jedem Menschenkind regiert;

dagegen wird von der neuen Bühne gesagt: sie werde sein

Dem Zeitvertreib und leichtem Schmerz geweiht,
Von jedem dummen Vorurtheil befreit.

Da diese Verdächtigungen im allgemeinen schon durch das Bestehen des älteren Societätstheaters sich als widerlegt darstellen, so ist man versucht, sie als gegen dieses selbst gerichtet anzusehen und anzunehmen, daß der neue Verein aus unzufriedenen Secessionisten hervorging. Sein Repertoire athmet denselben Geist, wie das des Societätstheaters: von achtzehn Stücken, die in fünf Vierteljahren aufgeführt wurden, waren sieben schon vom Societätstheater aufgeführt und die übrigen lassen auch keine wesentliche Verschiedenheit, noch weniger Steigerung wahrnehmen. Von Dresdnern rührten dabei folgende drei Stücke her: „Karl und Louise, oder Nur einen Monat zu spät“ von Gottlob Ludwig Hempel, der 1736 in Magdeburg geboren, als Schauspieler in Dresden lebte und 1786 gestorben war; dann „Kindliche Liebe“ von Aloys Friedrich Graf Brühl, einem Sohne des Kabinetsministers; endlich „Wilhelmine Waller, oder Liebe war der Lohn der Tugend“ vom Steuerrevisor Christian Wilhelm Rocksch, der Mitglied des freundschaftlichen Bühnenvereins und dessen Theaterredendichter [196] war. Vielleicht fand der ungestüme Prolog zum „Julius von Tarent“ in diesem Vereine statt, vielleicht aber in der 1796 Theater spielenden Perrinischen Gartengesellschaft, wenn diese beiden Vereine nicht etwa als ein und derselbe sich ergeben sollten, was ich bisher nicht feststellen konnte.

Zu Ende des Jahrhunderts entstand noch ein Verein zur Aufführung von Opern, der sich Musikalische Akademie nannte. Ob er sich längere Zeit erhielt, weiß ich nicht, er gehört aber ebenso wenig in den Kreis unserer Unterhaltung, als ein in den zwanziger Jahren des jetzigen Jahrhunderts auftauchender Liebhaberbühnenverein. Wir sind also zu Ende mit dem Gegenstand des Vortrags. Wenn Sie die Frage aufwerfen, ob dieser Gegenstand des Aufwandes an Arbeit und der Geduld des Anhörens werth war, so wird die bejahende Antwort jedenfalls an sich gerechtfertigt sein; denn ein bestimmte Zwecke verfolgender Verein, der, ohne äußeren Zwang, über ein halbes Jahrhundert lang besteht und dann noch immer nicht auf einmal verschwindet, auch erst aufhört, als großartige öffentliche Einrichtungen das private Streben verüberflüssigten, mußte eine kulturhistorische Berechtigung gehabt haben, deren Kenntniß immer fruchtbringend sein wird. Dessen war man sich offenbar schon vor 110 Jahren bewußt; das geht hervor aus der nach achtjährigem Bestehen des Vereins unternommenen und – so lange ein geeignetes Organ dafür vorhanden war – alljährlich fortgesetzten Veröffentlichung der vom Societätstheater gespielten Stücke, nicht minder aus dem Abdruck von Zeitungskorrespondenzen darüber und endlich aus den künstlerischen Darbietungen zu Verherrlichung der Vereinsthätigkeit. Deren Eingreifen in das öffentliche Bühnenwesen bezeugt aber der Uebergang von Vereinsmitgliedern in weitere Wirkungskreise, sowie die Abfassung oder Bearbeitung von Bühnenstücken, die zuerst dem Societätstheater zugewandt und nachher in die Oeffentlichkeit gebracht wurden. Der Einfluß, den die Bühnenstücke, welche Handschrift geblieben sind, etwa auf die Bühnenliteratur geäußert haben möchten, entzieht sich zwar unserer Kenntniß, doch können wir nach den aus Prologen mitgetheilten Stücken wenigstens feststellen, daß Verständniß für frischen, kecken Wurf vorhanden war, und vermuthen, daß jene Bühnendichtungen in diesem Sinne weiter wirkten. Dem Dilettantismus innewohnende Schwächen werden selbstverständlich auch hier bemerkbar geblieben sein, jedoch muß allemal in der Geschichte der Kunst mit dem Dilettantismus als berechtigtem Faktor gerechnet werden. Die Menschen sind nun einmal nicht alle nach ein- und derselben Schablone gemacht, und wenn daher Einer, der sich besonders als Künstler oder Kunstkenner für gemacht hält, den Einspruch Andersdenkender sich dadurch vom Halse zu schaffen sucht, daß er sich anmaßt, sie für unzurechnungsfähigen „Pöbel“ zu erklären, so zeugt das von recht beschränkter Einsicht. Ein solcher Diktator übersieht, daß die Entwickelung des Menschenthums durchgängig auf Ausgleichen beruht und daß auch die Grundsätze, die im Sinne einer zwar hohen, aber nur ein Ziel im Auge haltenden Bildung ganz folgerichtig hingestellt wurden, leicht zu einer Monomanie führen und sich erst dadurch als wahrhaft menschenthümlich erproben, daß sie sich zu allgemeiner Anerkennung durchzukämpfen vermögen. Bei diesem Kampfe hat aber ein guter Theil der infolge Monomanie als Pöbel verurtheilten Dilettanten entscheidend mitzureden und kann nicht, wie ein Mathematiker es ausdrücken würde, vernachlässigt werden. Ebensowenig wie Idioten, sind Monomanen zur Herrschaft berufen.

Aber ich muß innehalten, sonst verliere ich mich von der Liebhaberbühne weg in andere Liebhabereien. Ich schließe daher und bitte nur noch um wohlwollenden Ausgleich dessen, was ich Ihnen geboten habe, mit dem, was Sie zu erwarten berechtigt waren.


  1. Gefällige Mittheilung des Herrn Prof. Dr. E. Goetze.