Eine Bitte an Deutschlands Dichter und Dichterinnen
[368] Eine Bitte an Deutschlands Dichter und Dichterinnen. Der „Weihnachtsbaum für arme Kinder, Gaben deutscher Dichter, eingesammelt von Friedrich Hofmann. Hildburghausen, Christgeschenk des Bibliographischen Instituts“ wird im Jahre 1862 zum einundzwanzigsten Male seine Christbescheerungen veranlassen. – Dieser Weihnachtsbaum ist die von jeder Eigensucht reinste aller literarischen Wohlthätigkeitsbestrebungen. Er ward gegründet im Jahre 1842 durch Joseph Meyer, den großartigen Geist, welcher das Bibliographische Institut in Hildburghausen schuf und einst sein „Universum“ zu einem Weltbuch erhoben hatte, und seinen Freund Dr. Friedrich Hofmann, vieljährigen Mitredacteur seines großen Conversationslexikons und nach seinem Tode mehrere Jahre Redacteur seines Universums; und was der Vater begonnen, setzt der Sohn und Nachfolger in der Leitung des Bibliographischen Instituts, Hermann Meyer, mit Hofmann vereint treulich fort. Die ganze Stiftung besteht aber einfach darin, daß Friedrich Hofmann alljährlich von den deutschen Dichtern und Dichterinnen gratis eine Anzahl Gedichte sammelt, daß das Bibliographische Institut dieselbe gratis druckt und ausstattet und in jährlich 3000 Exemplaren an 70 bis 90 deutsche Städte und Ortschaften gratis vertheilt. Jedem dieser Bescheerungsorte kommt der Erlös, welcher daselbst aus dem Verkauf der ihm zugeschickten Exemplare des Weihnachtsbaumes erzielt wird, ohne irgend welchen Abzug, selbst und allein zu gute, und derselbe wird ausschließlich dazu verwandt, den armen Kindern des betreffenden Ortes, oder wenigstens den Aermsten dieser Armen, eine gemeinsame und festlich erhebende Weihnachtsfreude zu bereiten.
Die Herausgeber des Weihnachtsbaumes nehmen für ihre Arbeit und ihre Opfer Nichts in Anspruch, als jährlich einen Bericht aus jedem Bescheerungsort, und dies einzig, um der richtigen Verwendung ihrer Gabe sicher zu sein und an der Freude der armen Kinder sich mit zu freuen.
Daß das Unternehmen überall, wo es auftrat, die rechte Auffassung und Theilnahme gefunden, dafür zeugt der Erfolg, denn in den nun zwanzig Jahren seiner Wirksamkeit hat der Weihnachtsbaum nicht weniger als 70,000 arme Kinder in Hunderten von Städten und Ortschaften deutscher Bevölkerung, hoch oben von Eckernförde bis hinab nach Zürich, unter seinen Freudenlichtern vereinigt.
Obwohl der Weihnachtsbaum nicht in den Buchhandel kommt und deshalb der öffentlichen Kritik sich entziehen könnte, so macht doch der Erfolg wie die Verbreitung desselben es den Herausgebern zur Pflicht, das Büchlein auch hinsichtlich seines Inhalts zu einer werthvolleren Gabe zu erheben, als dies bisher immer möglich war.
Der Weihnachtsbaum wäre aber werth, ein neuer deutscher Musenalmanach zu werden, für welchen jeder deutsche Lyriker von seinen besten Erzeugnissen des Jahres wenigstens die kleinste Gabe spendete, ja, es sollte sich’s jeder Dichter zum Gesetz machen, wenn irgend möglich nicht mehr als je zwei Seiten des Weihnachtsbaumes für sich in Anspruch zu nehmen. Dadurch würden die 11–12 Druckbogen des Werkchens einer bedeutenden Anzahl von Dichtern Raum geben und zugleich den reichsten Wechsel bieten, und es würde selbst alljährlich ein Lieblingsgeschenk unter dem Christbaume von Tausenden von Familien sein, wenn es zugleich ausschließlich einen hellen, frischen, freien, erhebenden Geist zeigte, ungetrübt von allem Klageseligen, Weinerlichen und privatem Mißgeschick und Unglück Entsprungenen.
Der erwünschteste Inhalt des Weihnachtsbaumes würden aber allzeit gute Kindergedichte sein, zu denen auch kurze Erzählungen in Prosa gefügt werden dürften; sie würden das grüne Büchlein zum ersehnten Christgeschenk in allen Häusern machen, wo man die Wohlthätigkeit schon in den Herzen der Kleinen pflegt; um diese wird daher am allerdringendsten gebeten.
Haben deutsche Dichter und Dichterinnen aus dieser kurzen Darstellung ein Herz für die Sache und das Mittel, durch das sie in’s Leben gerufen ist, gewonnen, so mögen sie dem „Weihnachtsbaum für arme Kinder“ nun auch nicht länger fern bleiben, sondern von ihren liebsten Schöpfungen ein Weniges als ihre Poetische Gabe für denselben bis spätestens Ende August an Dr. Friedrich Hofmann in Rendnitz bei Leipzig einsenden.