Eine Beratung
[611] Eine Beratung. (Zu dem Bilde S. 597.) Wer je das vielgelesene Buch „Memoiren von Marie Bashkirtseff“ in Händen hatte, der wird mit besonderem Anteil die beifolgende Gruppe kleiner beratschlagender Straßenjungen betrachten. Ist es doch eines jener Bilder, um welche sich die glühende junge Menschenseele abrang, im heißen Streben nach Realismus, nach packender Wahrheit, nach Ueberflügelung aller mitstrebenden Künstlerinnen. Alle diese Ziele standen schon der sechzehnjährigen vornehmen und reichen Russin fest vor Augen, ihre in jenem Alter begonnenen
Tagebücher sind ein einziger großer Schrei nach Ruhm,
nach unzweifelhaftem Erfolg, und im fieberhaften
Arbeiten hat sich in Zeit von kurzen acht Jahren das
hochbegabte, seltsame Mädchen aufgerieben. Der
heißersehnte Ruhm ist ihr geworden, aber nicht durch ihre
Bilder, welche, hübsch und lebendig aufgefaßt, sich
doch nicht von denen vieler anderer der modernen
Richtung unterscheiden, sondern durch die oben
erwähnten Memoiren. Dort wird mit fester Hand und
rücksichtsloser Offenheit das höchst merkwürdige Charakterbild
einer genialen leidenschaftlichen Künstlernatur
gezeichnet, die zugleich alle Schwächen eines eitlen
gefallsüchtigen Weltkindes hat und dieselben mit einer
erstaunlichen Genauigkeit darlegt. Nach Mariens frühem
Tode wurden diese Tagebücher durch ihre darin oft hart
genug mitgenomenene Mutter veröffentlicht, und heute ist der dort so oft
und glühend ausgesprochene Wunsch erfüllt: Marie Bashkirtseff ist eine
europäische Berühmtheit geworden, deren wenige Bilder von Ausstellung
zu Ausstellung wandern. Sie sind für eine Anfängerin sehr bemerkenswert,
wer weiß, ob nicht bei längerem Leben ihre Sehnsucht nach bedeutendem Künstlerruhm sich voll erfüllt hätte! Bn.