Eine Bemerkung bei Gelegenheit der Kunstausstellung zu Dresden 1807
Die Ausstellung von Werken der bildenden Künste brachte mich auf eine ähnliche, und zwar auf eine größere Ausstellung, wozu jeder männiglich sein Werk zu liefern hat, und auf die großen und kleinen Werke daselbst, und auf das Urtheil der höhern Kritik darüber. Ich meine, sie brachte mich auf das Leben der Menschen und auf ihren Wandel in demselben. Jenes als Ausstellung, und dieses als Kunstwerk.
Wie doch die Kunst hier im Kleinen, jener im Großen so gleichet! dachte ich. Welche Verschiedenheit der gelieferten Werke in diesem Kunst- und in jenem wirklichen Leben! Hier und dort, welche Durch- und Nebeneinanderstellung! Wie so kenntlich sprechen Künstler und Menschen durch ihre Werke sich aus, nach ihrem Talente, ihrem Geschmacke, Genie, Karakter, Grad der Vollendung etc.
Aber diese Vergleichung gewann bald mehr an Interesse, als ich darauf kam, wie doch der Kunst und dem Leben mehr aufzuhelfen sei; und als ich fand, wie sehr dem Leben mit der Kunst, und der Kunst mit dem Leben gedienet sei, wenn sich beide nur erst hülfreiche Hand leisten wollten. Wie viel, dachte ich, würden die Menschen für ihr ganzes Leben gewinnen, wie sehr würde ihnen das große Werk eines schönen und guten Lebenswandels erleichtert werden, wenn die schönen Künste insgesamt durch ihre Werke ihnen beystünden! Und wie viel würde jede schöne Kunst nach ihrem Umfang und Inhalt gewinnen, und wie sehr würde ihr die Aufstellung wahrhaft schöner und schätzbarer Werke erleichtert werden, wenn die Menschen zur Bildung ihres ganzen Lebens sie nur erst zu Hülfe nehmen wollten! Aber ein böser Genius fesselt seit Jahren, die schon zu Tausenden sich ansummen, die freien, schönen Künste. Wissenschaft nur ist die begünstigte, indeß ihre liebliche Schwester einsam trauernd sich in Schleier verhüllt.
Es ist nicht die Absicht dieser Bemerkung, der Kunst, mit Hintansetzung der Wissenschaften, das Wort zu reden. Sie sind beide überaus schätzbare Bildnerinnen unseres Geschlechts; aber gerügt verdient es zu werden, mit welcher partheiischen Vorliebe die Menschen, zu ihrem eignen Nachtheile, bald der einen, bald der andern ausschließend gehuldiget haben. Noch hat es keine Zeit gegeben, wo sie beide mit [114] gleicher Innigkeit sich anschließend, das dem Leben zu sein und zu leisten vermochten, was sie doch wirklich ihm sein und leisten konnten und sollten.
Schon ein Blick auf das Helldunkel der Vorzeit ist hinreichend, um in den Altvätern die tiefen Verehrer der Kunst zu erkennen. Kunst- oder Schönheits-Gefühl war die Regel, nach welcher sie ihre Werke bildeten und ihr Leben ordneten. Als Künstler und als Menschen haben sie Musterbilder hinterlassen, welche die Nachfolge selbst der spätesten Nachwelt verdienen. Aber das durch Kunst veredelte Menschengeschlecht, welchen Umfang hat es gehabt, und von welchem Bestande ist es gewesen? Vermochte wohl die Kunst allein, der Menschheit in Maße aufzuhelfen, oder sie vor dem Rückfall mächtig genug zu schützen? Babyloniens Verödung, Troja’s Zerstörung, Griechenlands Verwüstung und Rom in seinen Ruinen mögen bezeugen, daß Kunst ohne Wissenschaft einer Jungfrau gleichet, welche kein Bräutigam heimholet; einer Blüthe, die fruchtlos verwelkt und nur in sinkende Blätter ihr schönes Dasein auflöset. Noch sind die Ruinen uns heilig; aber belehrend sollten sie uns nicht minder sein.
Mißtrauisch gegen die Kunst, als einer ohnmächtigen Gehülfin, wendete sich die neuere Welt zu dem männlichen Beistande der Wissenschaft, und versuchte, auf Verstand sich stützend, durch Aufklärung allein sich empor zu arbeiten. Und es ist wahr, sie haben nicht umsonst gearbeitet, die tiefen Forscher und Denker der jüngern Welt. Mit Bewunderung betrachten wir ihre Werke und ihr Leben, in welchen sie als Gelehrte und als Menschen, die Gesetze der Natur und der Freiheit uns auf- und vorgezeichnet haben. Aber ich frage: Können wir wohl mit Wahrheit sagen: nun ist uns geholfen, ganz geholfen, uns Allen geholfen? Fürwahr! das können wir nicht. Wir sind gesunken; selbst unter dem Schutze der Wissenschaft gesunken; zur Klugheit herab ist Weisheit des Lebens gesunken. Trauern mögen wir wohl, aber befremden darf es uns nicht. Mag wohl ein Lahmer ohne Fall, oder ein Blinder ohne Sturz über Hökker und Klippen zum fernen Ziele gelangen? Wissenschaft aber ohne Kunst ist lahm, und Kunst ohne Wissenschaft ist blind.
Zweimal gethörte Menschen! Erfahrung hat euch klüger gemacht; aber mit Weisheit und Ernst laßt uns beginnen das dritte und letzte Unternehmen einer beglückenden Verbindung der unglücklich Getrennten. Kunst und Wissenschaft als Vermählte, o! was können, was werden sie uns sein und leisten, wenn wir sie nach ihrem ganzen Umfange, wenn wir sie gemäß ihrer Natur, wenn wir sie beharrlich, wenn wir sie an- und aufnehmen, die Verherrlichung Gottes durch Veredlung unsers Geschlechts anfangen und vollenden zu helfen. Also nur kann und wird das große Werk der Erbauung gelingen. Wissenschaft wird auftreten als Mann, und ihm zur Seite als Gattin die Kunst. Mit Forscherblick wird er die Gesetze der Natur ausspähen und der Freiheit Gesetze. Auf sie wird er gründen die Pfeiler der Wahrheit und des Rechts. Die Grenzen wird er verzeichnen, [115] die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe des herrlichen Tempels, den der Mensch und der Geist Gottes bewohnet. Sie aber, die reizende Gehülfin, wird im schönen Gewand die Wahrheit darstellen und die Tugend. Sie wird das menschliche Leben mit Anmuth füllen, und mit Lieblichkeit umgürten. Was er gut geheißen hat, wird sie in Schönheit kleiden; und was er verworfen hat, wird sie mit häßlicher Gestalt umziehen.
Bildner der Menschheit! seyd uns, Geweihte, dreimal willkommen!
Bildet den sichtbaren Gott, sein herrliches Abbild, die Schöpfung!
Bildet die fühlbare Gottheit, ihr heiliges Urbild, die Liebe!