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Eine Bühnengröße über Erdengrößen

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Textdaten
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Titel: Eine Bühnengröße über Erdengrößen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 287–288
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Brief der Schauspielerin Rachel Félix
Blätter und Blüthen
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[287] Eine Bühnengröße über Erdengrößen. Aus authentischer Quelle ging der Gartenlaube die Uebertragung eines Briefes zu, welchen die berühmte französische Schauspielerin Rachel Félix gelegentlich ihres Aufenthaltes in Berlin und Potsdam im Jahre 1852 an einen literarischen Freund in Frankreich schrieb und der durch die darin enthaltenen naiven und charakteristischen Mittheilungen über hochgestellte und bekannte Persönlichkeiten – wie durch den „geschäftlich-praktischen“ Sinn der Künstlerin – auch heute noch von Interesse sein dürfte.

„Die sechste Vorstellung“ – beginnt die große Tragödin ihre Epistel – „die ich in Berlin vor dem Publicum geben sollte, fand nicht statt, da ich mich noch an demselben Tage, in Folge einer ehrenvollen Einladung, die ich von den Majestäten erhalten hatte, nach Potsdam verfügen mußte. Am 9. Juni 1852 gab ich meine erste Vorstellung im neuen Palais zu Potsdam. Es war ‚Horace‘.

Bei meiner Ankunft in Potsdam hatte man ein reiches Diner angeordnet und in der Absicht, meiner künstlerischen Majestät eine Huldigung [288] darzubringen, für mich und die nächsten Angehörigen meiner souveränen Person besonders servirt. Für das übrige Gemisch meiner Truppen von Begleitern und Vertrauten, von Verräthern und Helden war in einem andern Saal gedeckt. Ich proclamirte indessen mit Befehlshaberstimme – und ich soll, wie man versichert, dabei eine glänzende Beredsamkeit entwickelt haben – daß ein guter General am Tage einer großen Schlacht seine Mahlzeit in der Mitte seiner Truppen einnehmen müsse.

Nach dem Diner war eine königliche Equipage zur Verfügung Ihrer kleinen Rachel gestellt, die wahrhaft als Gast eines Königs empfangen wurde. Der Vorleser des Letztern begleitete mich auf einem reizenden Ausfluge um das prächtige Schloß von Sanssouci, und siehe da, an einer bestimmten Halle gerieth ich unter die königlichen Hoheiten, den Erben der Krone Preußens und den Prinzen Friedrich der Niederlande. Beide überhäuften mich mit Artigkeiten und applaudirten vorläufig mit den liebenswürdigsten Worten, ehe sie es mit den Händen thaten… Aber es ist Zeit, daß ich zum Abend übergehe.

Ich spielte die Camilla, fühlte mich sehr angeregt und Alles ging vortrefflich. Nach dem Stücke beauftragte die Kaiserin von Rußland den Grafen Redern, mich zu ihr zu führen. Ich näherte mich, und die Kaiserin sagte in der liebenswürdigsten Weise: ‚Ich habe oft die Vorschriften der Etikette bedauert, wenn sie fortwährendes Schweigen dem Zuschauer gebietet; aber wenn man heute auch wirklich hätte Beifall klatschen wollen, Mademoiselle, man würde es nicht vermocht haben – so sehr fühlte man sich von Gemüthsbewegungen ergriffen.‘

Der König von Preußen trat hinzu und sagte: ‚Sie haben mich tief erschüttert, Mademoiselle!‘

Ich antwortete mit allerlei kleinen Phrasen, die mir gerade über die Lippen kamen, und wohl besser als unlängst der Königin von England, der gegenüber ich während meiner Antworten nur an den Nebel der Themse dachte.

Am Abend darauf kam Nikolaus, der Kaiser von Rußland. Er wollte jedoch nur zwei Tage bleiben. Auf den 13. Juni fiel der Geburtstag der Kaiserin. Es wurde bestimmt, daß dieser Festtag nur im Familienkreise gefeiert werden sollte, weil die Kaiserin schwach und leidend war. Da die herrschende Hitze aber einen Aufenthalt in einem von Wachskerzen erleuchteten Saal unerträglich gemacht haben würde, sollte diese reizende ländliche Feier, bei der nur Mitglieder der hohen Familie und das Hofpersonal zugezogen waren, unter freiem Himmel auf der Pfaueninsel begangen werden, an der ein reizender Fluß, die Havel, wenn ich recht behalten habe, vorüberfließt und das schöne Bild mit Schaaren von Schwänen belebt. An diesen anmuthigen, etwa eine Meile von Potsdam entfernten Ort wurde ich vom Könige beschieden, um seine kaiserliche Schwester durch meine Kunst zu erheitern. Der Plan war auf eine Ueberraschung angelegt und gelang vortrefflich. Ich las mehrere Scenen aus der ‚Virginie‘, den zweiten Act aus der ‚Phädra‘ fast ganz, und was ich von ‚Adrienne Leconvreur‘ konnte, namentlich ‚die beiden Tauben‘.

Alles das konnte nur nach mannigfaltigen Unterbrechungen durch die Zuvorkommenheit der gekrönten Häupter und Prinzen, deren Namen ich übergehe, zu Ende geführt werden. Der Czaar erhob sich einmal mit großer Lebhaftigkeit, kam auf mich zu und sagte: ‚Mademoiselle Rachel, Sie sind noch größer, als Ihr Ruf!‘ Nachdem noch die übrigen Hoheiten und Majestäten mit mir gesprochen hatten, äußerte der Mächtigste von Allen, daß er mich im nächsten Jahre in seinen eigenen Staaten zu sehen hoffe.

Aber ich bemerke, daß ich schon auf der sechsten Seite meines Briefes bin. Sie können sich wirklich schmeicheln, daß ich noch in meinem Leben an keine Person, gleichviel, ob sie eine Krone trug oder nicht, einen so langen Brief geschrieben habe, wie an Sie.

Alles, was ich Ihnen daher noch sagen kann, ist, daß man eines starken Kopfes bedarf, um alle diese Dinge zu ertragen, und daß die Schmeicheleien, mit denen man mich überhäuft hat, der Weihrauch, den ich in Worten und Bouquets einathme, die vielen wunderlichen Namen der großen Herren, der Herzöge und Prinzen königlicher Häuser, die sich um mich gedrängt haben, den Ideenkreis der ehrgeizigsten Künstlerin ausgefüllt hätten. Weder Talma noch die Mars, meine glorreichen Vorgänger in der Gunst des Publicums, haben Aehnliches erlebt. In Wahrheit, ich bin glücklich, daß ich darüber mehr erfreut, als stolz bin, denn obgleich ich mir selbst Manches verdanke, muß ich doch gestehen, daß die Umstände mich begünstigen.

Doch ich vergesse beinahe das Beste von Allem. Denken Sie, während der Czaar zu mir kommt, um mich zu fragen, ob ich mich von den Anstrengungen des Lesens ermüdet fühle, sprach er stehend mit mir und zwang mich, sitzen zu bleiben. Von Respect durchdrungen, wollte ich, wie von einer unter dem Stuhle verborgenen Feder, in die Höhe schnellen, da faßte der Kaiser meine beiden Hände, nöthigte mich artig, wieder Platz zu nehmen, und sagte: ‚Bleiben Sie, Mademoiselle, ich bitte Sie darum, wenn Sie nicht wollen, daß ich mich augenblicklich entferne!‘

Am andern Tage, den 14. Juni, spielte ich im Theater zu Potsdam die Phädra und meinen kleinen Sperling (der Sperling der Lesbie). Ehe die Vorstellung begann, ließ mir der König durch den Grafen Redern die Summe von zwanzigtausend Francs zustellen. Der Kaiser von Rußland übersandte mir durch seinen Adjutanten, den Grafen Orloff, zwei kostbare Opale, reich mit Diamanten eingefaßt, die ich auf zehntausend Franken schätze.

Gestern hat das Diner stattgefunden, das mir von den Berliner Literaten gegeben wurde. Ich vergaß noch ein anderes, mehr bedeutungsvolles als kostbares Geschenk, das mir die Gattin des größten hiesigen Chemikers, dessen Namen ich nicht zu schreiben verstehe (Mitscherlich, D. R.), gemacht hat. Es ist die Statuette Shakespeare’s, das Meisterwerk eines Künstlers, der vor zehn Jahren noch die Schafe hütete. Man sagt mir, daß das kleine Ding, künstlerisch betrachtet, von sehr hohem Werth sei; es steht gar nicht danach aus.

Leben Sie wohl und seien Sie stolz auf diesen langen Brief einer tragischen Schauspielerin, mit der auf ihrer Rundreise so viele Kaiser, Könige, Prinzen und Prinzessinnen gesprochen haben!“