Zum Inhalt springen

Ein vielbewegtes Leben

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Ludwig Ashölter
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein vielbewegtes Leben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 181–183
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[180]

Ein vielbewegtes Leben.

Von Ludwig Ashölter.

Karl Schurz als Gast des Grafen Bismarck“ – diese Zeitungsnachricht lief vor wenigen Wochen durch ganz Deutschland und rief bald Erstaunen, bald Grauen hervor, je nach der Partei, welcher das lesende Auge angehörte. Der Befreier Kinkel’s, der Einbrecher in Spandau beim Ministerpräsident von Preußen! So murrten die Einen, während die Anderen einen gefeierten und verdienten General und Staatsmann der nordamerikanischen Union in der Wohnung des norddeutschen Bundeskanzlers sahen und dies als eine bedeutungsvolle Erscheinung begrüßten. Mag nun jede Partei ihr Bild von dem in solcher Weise ausgezeichneten Mann so fest wie möglich halten, immer wird es zu den interessantesten der Gegenwart gehören, und dies allein schon würde uns verpflichten, den Lesern der Gartenlaube sein Portrait und seinen Lebensgang mitzutheilen, auch wenn wir nicht dem großen, edlen, tüchtigen Streben dieses Deutschen wie einst im alten so jetzt in seinem neuen Vaterlande unsere Anerkennung darzubringen hätten. Der Verfasser der nachstehenden Aufzeichnungen glaubt daher den Wünschen aller Derer, welche an seiner Person Interesse nehmen (und deren Zahl ist diesseits und jenseits des Oceans nicht gering), entgegenzukommen, wenn er über sein Leben mittheilt, was ihm durch seine Jugendfreundschaft und seinen ferneren persönlichen Verkehr mit ihm, sowie aus anderen Quellen bekannt geworden ist.

Karl Schurz ist im Jahre 1829 in Liblar, einem Dorfe in der Rheinprovinz, von armen Eltern geboren und verlebte auch dort die Jahre seiner Kindheit. Im Jahre 1840 trat er in das damals sogenannte Jesuitengymnasium zu Köln, um auf demselben [181] bis zu Anfang des Jahres 1847 zu verbleiben, wo er sich zu seinen Eltern nach Bonn begeben mußte, weil diese die Kosten seines ferneren Aufenthalts auswärts nicht mehr erschwingen konnten. Leichte Auffassung und eiserner Fleiß, welche Eigenschaften er in hohem Grade besaß, machten es ihm möglich, seine Kenntnisse durch Privatstudien in kurzer Zeit so weit zu vervollständigen, um das Abiturientenexamen abzulegen. Er widmete sich sodann auf der Universität zu Bonn vorzugsweise dem Studium der Geschichte und Literatur. Hier, wie früher in Köln, fand er einen Kreis von gleichgesinnten Freunden, denen er bald lieb und theuer wurde. Obwohl er stets das hohe Ziel, welchem er nachstrebte, fest und unverrückt im Auge behielt, sich in keiner Weise durch die mit dem akademischen Leben verbundenen mannigfachen Zerstreuungen beirren ließ und der Pflege der Wissenschaften mit Ernst und Eifer oblag, so war er dennoch im Verkehr mit seinen Freunden der liebenswürdigste und heiterste Gesellschafter, voll Geist, Witz und Humor und zeigte stets eine gewinnende Herzensgüte und wohlthuende Gefühlswärme.

Karl Schurz.

Da kam das Frühjahr des Jahres 1848 und mit ihm erwachte auch der Frühling in den Herzen der Völker Europas. Natürlich legte die akademische Jugend in dieser Sturm- und Drangperiode die Hände nicht in den Schooß. Auf den Universitäten hatte sich längst das Bedürfniß, mit veralteten und verrotteten Zuständen zu brechen und einem frischeren Leben Bahn zu machen, herausgestellt, und hierauf richtete sich zunächst und vorzugsweise das Bestreben der Studentenschaften. So war es namentlich in Bonn, und mit dieser Epoche eröffnete sich auch für Schurz ein Feld, auf welchem sich seine Talente entfalten konnten. Durchglüht von den Grundsätzen der Demokratie, vertrat er diese Richtung in den studentischen Versammlungen, in denen er bald durch die Gewalt seiner Beredsamkeit ein großes Ansehen erlangte, welches die Studentenschaft unter Anderm durch seine Wahl zu ihrem Vertreter für das im September desselben Jahres auf der Wartburg stattfindende allgemeine Studentenparlament anerkannte. Die akademischen Verhältnisse waren jedoch ein viel zu enges Gebiet für die Geistesschwingen Desjenigen, welcher schon in früheren Tagen von sich gesungen hatte: „Meine Lieb’ umfaßt die Menschheit, soweit sie groß und frei.“

Schurz bedurfte eines ausgedehnteren Wirkungskreises und trat deshalb in den demokratischen Club, welcher sich in Bonn gebildet hatte und zu dessen Vorstand auch Gottfried Kinkel (damals Professor an der dortigen Universität) gehörte. Mit diesem seinem akademischen Lehrer schloß Schurz ein enges Freundschaftsbündniß, welchem Kinkel später seine Befreiung aus dem Kerker verdankte. Durch sein oratorisches Talent, insbesondere die logische Schärfe seiner Vorträge und die Schlagfertigkeit, mit welcher er allen Angriffen zu begegnen wußte, sowie durch die von ihm entwickelte ungemeine Energie, erlangte der kaum Neunzehnjährige einen bedeutenden Einfluß auf die öffentliche Meinung in der Stadt und deren Umgebung und bei seinen Gesinnungsgenossen die größte Anhänglichkeit an seine Person.

Auf einem gegen Ende des Jahres 1848 zu Köln abgehaltenen demokratischen Congresse trat Schurz als Abgesandter des Bonner Clubs vor einer überaus zahlreichen Versammlung mit einer glänzenden Rede auf, welche allgemein das größte Aufsehen erregte und ihn zum Tagesgespräche machte.

Inzwischen hatte aber der bekannte Umschwung begonnen die revolutionären Bewegungen, welche sich in einzelnen Städten [182] der Rheinprovinz erhoben hatten und an denen Schurz Theil genommen, wurden sehr bald unterdrückt. In seiner Heimath blieb für ihn nichts mehr zu thun übrig, und da er überdies von den Behörden verfolgt wurde, so begab er sich zu der Armee, welche sich in Baden zur Vertheidigung der Reichsverfassung gebildet hatte; er trat in dieselbe ein und wurde als Adjutant Tiedemann’s, eines der Hauptanführer der Revolutionsarmee, verwendet. Gleichzeitig war auch Kinkel, und zwar als gemeiner Soldat, in diese eingetreten. Der Ausgang dieses Feldzugs ist bekannt. Die Aufständischen, denen es an allen wesentlichen Erfordernissen, insbesondere an einer einheitlichen Leitung, an geschulten Und disciplinirten Soldaten, an Waffen, Munition und Proviant gebrach, unterlagen dem gewaltigen Stoße der preußischen Truppen. Kinkel fiel in die Hände der Letzteren, wurde kriegsrechtlich zum Tode verurtheilt und zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt, während Schurz, welcher die bedeutendsten Gefechte mitgemacht hatte, sich unter dem Reste der Aufständischen befand, der sich, um einen letzten Widerstand zu versuchen, in die Festung Rastatt geworfen hatte. Die Besatzung war jedoch, nachdem die preußischen Truppen die Festung vollständig eingeschlossen, genöthigt, zu capituliren. Die Preußen besetzten die Stadt und Schurz entging der Gefangennahme nur durch die Flucht, die er unter unsäglichen Mühseligkeiten und der höchsten Lebensgefahr durch einen Abzugscanal und durch nächtliches Uebersetzen über den Rhein bewerkstelligte. Die einzelnen, höchst interessanten Abenteuer dieser Flucht zu berichten, würde zu weit führen, wenngleich dieselben dazu beitragen, den Muth, die Standhaftigkeit und Geistesgegenwart Schurz’s in der Stunde der Gefahr zu bekunden. Er entkam glücklich nach Frankreich, ging von da nach der Schweiz und nahm seinen Aufenthalt in Zürich, wo er in größter Zurückgezogenheit, nur mit Studien beschäftigt, lebte.

Das unglückliche Schicksal seines inzwischen zum Zuchthause verurtheilten Freundes Kinkel veranlaßte Schurz, selbst Flüchtling, dem das Damoklesschwert über dem Haupte hing, seinen sichern Aufenthalt zu verlassen und sich nach Köln zu begeben, um den Versuch zu einer Befreiung des Gefangenen zu unternehmen. Er that dies in Verkleidungen und unter falschem Namen, besuchte seine Eltern in Bonn und hatte dort eine Unterredung mit Johanna Kinkel, der Gattin Gottfried Kinkel’s. Am 9. Juli 1850, zu welcher Zeit ich in Bonn studirte, erhielt ich eine anonyme Einladung von der mir wohlbekannten Hand Schurz’s zu einem Besuche in Köln. Ich folgte dieser selbstredend unverzüglich und hatte die Freude, den geliebten Jugendfreund wiederzusehen und zu umarmen. Ich fand ihn in der Dachkammer eines Hauses im belebtesten Theile der Stadt, wo er, unter einem Haufen von Büchern begraben, schreibend am Tische saß.

Ueber die Gefühle, welche mich bei diesem Wiedersehen bewegten, will ich schweigen. Schurz selbst war in der heitersten Stimmung, und als ich ihm meine Besorgnis; darüber ausdrückte, daß er sich durch seine Anwesenheit an einem Orte, wo seine Person gekannt sei, der höchsten Gefahr der Entdeckung und somit einem sichern Verderben aussetze, erwiderte er lächelnd: „Ich folge nur meinem Pflichtgefühl.“ Auf mein ferneres Befragen, was denn der Gegenstand seiner eifrigen Studien sei, sagte er: „Kriegswissenschaften, man kann das vielleicht noch einmal gebrauchen.“ Und in der That hat sich ihm auch in seinem spätern Leben noch die Gelegenheit dargeboten, die auf diesem Gebiete erworbenen Kenntnisse praktisch zu verwerthen.

Seinen Plan, Kinkel zu befreien, konnte Schurz in Köln nicht zur Ausführung bringen. Er begab sich deshalb nach Berlin, um von hier aus für diesen Zweck thätig zu sein, nachdem Kinkel in das Zuchthaus zu Spandau versetzt worden war. Die Vorbereitungen zur Ausführung des Befreiungsplanes nahmen mehrere Monate in Anspruch und das kühne Werk gelang endlich am 6 November 1850.

Ich enthalte mich eines Eingehens auf die näheren Umstände dieses Ereignisses, da die Gartenlaube bereits in dem Jahrgange von 1863 eine ausführliche Beschreibung desselben von Moritz Wiggers gebracht hat. Diese heroische That aufopfernder Freundschaft, die Kühnheit und Entschlossenheit, mit welcher Schurz sie ausgeführt, rief die Theilnahme Aller hervor, welchen das Schicksal Kinkel’s am Herzen lag, und brachten den Namen des Ersteren in Jedermanns Mund, und wenn dieser, wie oft der Fall, später in öffentlichen Blättern genannt wurde, so geschah es stets mit dem stereotypen Zusätze: „Der Befreier Kinkel’s.“ Es gebührt ihm der Ruhm, der Welt einen Dichter und Gelehrten, welcher zu den Besten zählt, wiedergegeben zu haben.

Schurz floh mit Kinkel über Rostock nach England, begab sich von da auf einige Monate nach Paris und nahm sodann seinen Aufenthalt in London. Hier lernte er seine jetzige Gattin, Margarethe Meyer, die Tochter eines reichen Hamburger Kaufmannes, eine durch Schönheit und geistige Begabung ausgezeichnete junge Dame, kennen und vermählte sich mit ihr im Juli 1852, also in einem Alter von dreiundzwanzig Jahren. Sie hat ihn zum glücklichsten Gatten gemacht und ist ihren Kindern die treueste, liebevollste Mutter geworden.

England war indessen nicht der Boden, welcher Schurz ein geeignetes Feld für seine Thätigkeit darbot, und er siedelte deshalb mit seiner jungen Gattin nach den Vereinigten Staaten über, woselbst er im September desselben Jahres ankam und drei Jahre zurückgezogen lebte. Er benutzte diese Zeit, sich mit der englischen Sprache vertraut zu machen und wurde ihrer bald so sehr Herr, daß er sie mit derselben Geläufigkeit wie seine Muttersprache zu behandeln wußte. Von competenter Seite wird sogar behauptet, daß er der Sprache seiner neuen Heimath in höherem Maße mächtig sei, als selbst manche eingeborene Amerikaner. Dieser Umstand kam ihm sehr zu statten, als im Jahre 1856 die Agitation gegen die Sclaverei eine allgemeinere wurde und sich ihm dadurch die Gelegenheit eröffnete, mit der ganzen Kraft seiner Beredsamkeit auf die öffentliche Stimmung einzuwirken. Von hier ab beginnt seine eigentliche politische Laufbahn.

Als zwei Jahre später ein berühmt gewordener Wahlkampf zwischen Lincoln und Douglas stattfand, machten seine Wahlreden gegen die Sclaverei ungemeines Aussehen, verschafften ihm einen nationalen Ruf und eine Popularität, wie sich kein Anderer einer solchen im Gebiete der Union rühmen konnte. Eine persönliche Bekanntschaft, die sich zwischen ihm und Abraham Lincoln gebildet hatte, gedieh bald zur engsten Freundschaft, und dies Verhältniß hat sich ungetrübt erhalten bis zum Tode des Letzteren. Als Lincoln im Jahre 1860 als Candidat für die Präsidentschaft aufgestellt wurde, nahm Schurz den energischsten Antheil an dem Wahlkampfe, und die Erwählung Lincoln’s zum Präsidenten ist nach dem übereinstimmenden Urtheil Aller, welche von der zu jener Zeit dort herrschenden Stimmung Kenntniß haben, zum großen Theile mit seinen Bemühungen zuzuschreiben. Welches Verdienst er sich dadurch um sein neues Vaterland, um die Sache der Menschenwürde und Civilisation erworben, bedarf keiner Ausführung.

Nachdem Lincoln die oberste Leitung der Staatsgeschäfte übernommen, übertrug er Schurz den Gesandtschaftsposten am spanischen Hofe zu Madrid, den dieser im Juli darauf antrat. Obwohl diese Stellung eine höchst ehrenvolle und bedeutende war, so befriedigte sie doch Schurz nicht, weil sie seinem Thätigkeitstriebe zu wenig Beschäftigung darbot. Außerdem ertrug es auch sein Ehrgefühl nicht, daß er in behaglicher Ruhe in Spanien sitzen sollte, während auf dem Boden seines Landes der Krieg für eine Sache, welcher er mit ganzer Seele ergeben war, wüthete und seine Freunde Blut und Leben für dieselbe in die Schanze schlugen. Es trieb ihn um so mehr, an dem Kampfe Theil zu nehmen, als derselbe bekanntlich anfangs keine günstige Wendung für die Union nahm und deren Existenz sogar zeitweise in Frage gestellt war. Schurz suchte daher bei Lincoln um seine Abberufung nach.

Letzterer glaubte jedoch dieser Bitte nicht entsprechen zu dürfen, weil er Schurz’s diplomatische Befähigung und die Dienste, welche er dem Interesse der Union als Gesandter geleistet, zu hoch anschlug, als daß er dieses wichtige Amt anderen Händen hätte anvertrauen mögen. Gleichwohl bewilligte er Schurz einen längeren Urlaub, um ihm wenigstens die zeitweilige Anwesenheit in der bedrängten neuen Heimath zu ermöglichen. Schurz machte von dem selben Gebrauch und kam, seinen Weg über Deutschland nehmend und den vaterländischen Boden, welchen er als Flüchtling verlassen, als Gesandter einer großen Nation wieder berührend, am 31. Januar 1862 in Amerika an, wo er sofort sein ganzes Bestreben darauf richtete, die Regierung zu bewegen, dem Kriege eine entschiedene Richtung gegen die Sclaverei zu geben. Er war einer der Ersten, welche für eine allgemeine Emancipationspolitik auftraten, und hielt eine glänzende Rede in diesem Sinne, die ihren Eindruck auf die ganze Nation nicht verfehlte. Seinen [183] Gesandtschaftsposten legte er jetzt definitiv nieder, obwohl der Minister des Auswärtigen mit Rücksicht auf seine Leistungen als Diplomat darauf bestand, daß er nach Spanien zurückkehre. Schurz trat in die Armee und wurde bereits im Juni zum Brigadegeneral in demjenigen Corps ernannt, welches im Shenandoahthal operirte. Er nahm an den Schlachten von Bull Run (der zweiten dieses Namens), Chancellorville, Gettysburgh und Chattanooga, sowie an vielen kleineren Gefechten Theil, avancirte im März 1863 zum Divisionsgeneral und machte als solcher den Krieg bis zu dessen Beendigung mit. Die kriegswissenschaftlichen Studien, welche er als Jüngling in einer so eigenthümlichen Situation betrieben, mögen hier wohl ihre Früchte getragen haben. Jedenfalls wird von allen Seiten bestätigt, daß Schurz auch als Heerführer nicht allein Tapferkeit und Energie, sondern auch strategische Umsicht und Geschicklichkeit in hohem Grade bewährt habe.

Nach der Capitulation der conföderirten Armeen reichte er im Mai 1865 sofort seine Demission ein und trat in das bürgerliche Leben zurück. Dies Verhalten ist ein Beweis von der einfachen Größe seines Charakters, welches, jedem Ehrgeize und jedem Verlangen nach äußerer Auszeichnung fremd, seine Befriedigung und seinen Lohn nur in dem Bewußtsein findet, im Dienste des Landes seine Pflicht gethan zu haben.

Inzwischen war Lincoln, zu dessen Wiederwahl als Präsident im Jahre 1864 Schurz während eines Urlaubs wesentlich beigetragen, durch Mörderhand gefallen. Wenn der Tod dieses wahrhaft großen Mannes ein für die Union unersetzlicher Verlust zu nennen ist, so bezeichnet Schurz denselben als den härtesten Schlag, der ihn je getroffen. Beide waren Freunde gewesen, die gleiche Grundsätze und gleiches Streben mit einander auf das Engste verbunden hatten, und insbesondere hatte Schurz nicht allein das vollste Vertrauen, sondern auch die innigste Liebe Lincoln’s besessen. Letzterer hat sich oft dahin ausgesprochen, daß Schurz einer von denen sei, welche seinem Herzen am nächsten ständen.

Nachdem Johnson als Präsident in die Stelle Lincoln’s getreten war, schien er anfangs der Antisclavereisache treu zu sein und übertrug Schurz im Jahre 1865 die höchst wichtige Mission einer Bereisung der Südstaaten, um die Zustände in denselben zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten. Schurz führte diesen Auftrag aus und kehrte im October desselben Jahres von seiner Reise zurück. Der von ihm abgelegte sehr eingehende officielle Bericht erregte eine sich weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus erstreckende allgemeine Sensation durch die Schärfe und Klarheit seiner Anschauungen, die darin entwickelte staatsmännische Einsicht, sowie durch die Kraft der Darstellung und war von dem wesentlichsten Einflusse auf die spätere Gestaltung der Reconstructionsfrage. Johnson hat bekanntlich später seinen Freunden den Rücken gewendet und sich den ehemaligen Sclavenhaltern in die Arme geworfen. Schurz war da einer der Ersten, welche gegen ihn in entschiedene Opposition traten, und sein oben erwähnter Bericht hat dem Präsidenten den empfindlichsten Schlag versetzt.

Seitdem ist Schurz aus jeder officiellen Beziehung zur Regierung ausgeschieden und hat sich bis auf Weiteres in das Privatleben zurückgezogen. Sein Einfluß auf die öffentliche Meinung ist jedoch dadurch nicht geringer geworden, vielmehr wirkt er in der kräftigsten und nachhaltigsten Weise durch die Journalistik auf dieselbe ein.

Er ist Miteigentümer und Mitredacteur einer großen, verbreiteten zu St. Louis im Staate Missouri unter dem Namen „Westliche Post“ erscheinenden Zeitung und hat in dieser Stadt auch seinen Wohnsitz. Seine hochbetagten Eltern, welche er mit kindlicher Pietät verehrt, hat er dadurch allen Wechselfällen des menschlichen Lebens entzogen, daß er sie zu sich genommen und ihnen an ihrem Lebensabend ein ruhiges und sorgenloses Dasein an seinem häuslichen Heerde bereitet hat.

Das dieser Skizze beigefügte, nach einer sehr ähnlichen Photographie angefertigte Bild giebt eine Vorstellung von Schurz’s äußerer Erscheinung. Er ist von schlanker, jedoch kräftiger, über Mittelgröße hinausgehender Statur und erfreut sich einer Körperconstitution, welche den mannigfachen Strapazen und Anstrengungen, die sein vielbewegtes Leben mit sich gebracht, getrotzt hat. Eine hohe edle Stirn und ein geistvolles, sprühendes Auge lassen sofort den ungewöhnlichen Menschen in ihm erkennen, wie überhaupt der Gesammtausdruck seiner Züge Willensstärke und Festigkeit, gepaart mit Güte und Wohlwollen, verkündet.

Bekanntlich hat Schurz die letzten Monate zu einem Besuch in seinem deutschen Vaterlande benutzt und sich während dieser Zeit mit seiner Familie in Hamburg, Frankfurt am Main, Wiesbaden und Berlin aufgehalten. Während seines Aufenthalts in letzterer Stadt war es auch mir vergönnt, einen Besuch von ihm zu erhalten und ihn nach achtzehnjähriger Trennung wiederzusehen und von ihm zu hören, daß ich seinem Herzen nicht fremd geworden sei; wie denn überhaupt seine Thätigkeit im Dunste großartiger Interessen seinem Gefühlsleben in keiner Weise Abbruch gethan hat. Ueberall kam man ihm mit Verehrung und Huldigungen entgegen und gab ihm den Beweis, daß man auch in seinem Vaterlande die großen Verdienste, welche er sich jenseits des Oceans erworben, zu würdigen wisse. Besuche und Einladungen, aus allen Gesellschaftskreisen, bedrängten ihn in einer Weise, daß er denselben nur zum Theil Rechnung zu tragen vermochte. Auch der preußische Ministerpräsident hat es sich, wie Eingangs erwähnt, nicht versagt, mit ihm eine mehrstündige Unterredung zu pflegen und ihn zur Tafel zu ziehen. Schurz äußerte sich in der günstigsten Weise über die Liebenswürdigkeit des Premiers im geselligen Umgang, über das Anziehende seiner Unterhaltung und die freimüthige Offenheit, mit welcher er sich gegen ihn über die politischen Verhältnisse Europas, insbesondere Deutschlands ausgesprochen. Schurz selber sieht die letzteren vorläufig als nicht besonders hoffnungsreich an, er bezeichnet das Streben nach innerer Gestaltung bei uns als eine Riesenarbeit, findet aber das wahre Feld für seine eigene Thätigkeit nur in seinem neuen Vaterlande, in welchem das öffentliche Leben sich in rascherem Gange bewegt und die zeitige Generation den von ihr ausgestreuten Samen auch noch zur Reife gedeihen sieht.

Anfangs März ist Schurz nach Amerika zurückgekehrt. Dort bereiten sich von Neuem Ereignisse und innere Kämpfe vor, welche seine Mitwirkung erheischen. Er steht jetzt in seinem neununddreißigsten Lebensjahre, also in der Vollkraft des Mannesalters, und die Zukunft wird es lehren, welcher Antheil an der Entwickelung seines neuen Vaterlandes ihm noch beschieden sein mag.