Ein theatralisches Fest des Vereins „Berliner Presse“
[324] Ein theatralisches Fest des Vereins „Berliner Presse“. (Mit Abbildung S. 313.) Daß rüstiges künstlerisches Streben auch unter ungünstigen Verhältnissen oft das Ziel nicht verfehlt, das hat die am 7. April dieses Jahres im Berliner „Nationaltheater“ stattgehabte Festvorstellung von Shakespeare's „Wintermärchen“, deren Schlußscene unsere heutige Abbildung vorführt, auf’s Neue dargethan. Der Schriftstellerverein „Berliner Presse“ hatte längst ein Gesammtgastspiel unserer ersten schauspielerischen Kräfte geplant, um zu zeigen, was die heutige deutsche Bühnenkunst in ihren idealen Vertretern zu leisten vermag. Aber kein Erfolg ohne Mühe und Arbeit! Die Auswahl des geeigneten classischen Stückes, die Herbeischaffung der angemessenen Musterdarsteller mitten in der Saison, wo jeder Künstler den Pflichten seines Engagements zu genügen hat, die Herstellung eines tadellosen Ensembles aus diesen von Nord und Süd herbeigerufenen und daher nicht mit einander eingespielten Künstlern – alle diese und noch manche andere Hindernisse repräsentiren eine Summe von Schwierigkeiten, welche nur da überwunden werden kann, wo ein so kunstverständiger und intelligenter Unternehmer an der Spitze steht, wie der genannte Berliner Schriftstellerverein, und wo die ausübenden Kräfte den geistigen Kern der gegenwärtigen deutschen Bühnenkunst repräsentiren, wie hier.
Die Aufführung bot ein glänzendes Resultat. Fräulein Ellmenreich vom Stadttheater zu Hamburg als Hermione, Herr Ludwig Barnay als Leontes und Herr Karl Mittell als Polyxenes waren die Hauptträger des Stückes, an welche sich in den Vertretern der kleinen und kleinsten Partien eine geschlossene Phalanx von Künstlern anschloß, die bis in’s Einzelne hinein ihre Aufgabe geistig durchdrungen und innerlich verarbeitet hatten. Die treffliche Regie des Herrn Director Robert Buchholz vom Nationaltheater, unterstützt durch die Namczinowsky’schen Decorationen und die nach Döbler’schen Figuren angefertigten Costüme, löste ihre Aufgabe mit Geschmack und Umsicht.
Mit der Wahl des Shakespeare’schen „Wintermärchens“, dem ein schwungvoller Prolog, gedichtet von Albert Traeger, gesprochen von Herrn Director Hahn, voranging, muß wohl jeder kundige Beurtheiler, im Hinblick auf den Zweck der Vorstellung, sich einverstanden erklären. Wenige unserer classischen Bühnendichtungen dürften darstellenden Künstlern von dem Range der hier versammelt gewesenen eine schönere Aufgabe zur Verwirklichung idealer Intentionen bieten, als eben diese – wohl letzte – Dichtung des Sängers von Stratford.
Die warme Zustimmung des Publikums erschien als eine durchaus gerechtfertigte – als eine besonders werthvolle aber mußte sie deshalb betrachtet werden, weil dieses Publicum, abgesehen von der Anwesenheit des Hofes, sich aus den vornehmsten Vertretern der Wissenschaft und der Kunst, der Literatur und der Presse zusammensetzte. Die schnell vorüberrauschenden Hervorbringungen des Abends bedeuteten mehr, als einen flüchtigen Erfolg. Sie waren eine Kundgebung dessen, was künstlerischer Unternehmungsgeist im Bunde mit auserwählten Talenten auch heute noch zu leisten vermag.