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Ein schwedischer Volksdichter und sein Fest

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Textdaten
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Autor: Joseph Weilen
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Titel: Ein schwedischer Volksdichter und sein Fest
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 608–610
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[608]
Ein schwedischer Volksdichter und sein Fest.

Nicht daheim beim Lampenlichte darf man die Verse eines echten Volksdichters lesen, wenn man ihn ganz verstehen und würdigen will. In seine Heimath muß man wandern, die Luft athmen, die er in sich gesogen, über den Boden hinschreiten, auf dem er gewandelt, unter dem Volke leben, zu dessen eigenthümlichem, verdichtetem poetischem Abbilde er geworden; dann weiß man erst, was an einem Volksdichter ist, und warum er so und nicht anders werden mußte. Wer nicht in Ungarn gewesen, nicht über die Pußta gejagt, nicht in der Haideschenke die Zigeuner fiedeln und Cymbal schlagen gehört, wen nicht der Blitz aus den Feueraugen der Ungarinnen gestreift, der wird Petöfi, dem volksthümlichsten Dichter Ungarns, nicht gerecht werden können.

Und das gilt auch von dem Anakreon Schwedens, C. M. Bellman, diesem Liebling der Natur, seines Volkes und seines Königs, wie ihn ein Zeitgenosse genannt. – Man darf heute diesen Namen nur aussprechen, und die Augen jedes Schweden erglühen. „Einen der außerordentlichsten Menschen, die jemals gelebt haben,“ nennt unser alter Arndt den schwedischen Dichter. Seine Naivetät und Frische, seine Ursprünglichkeit und Naturtreue stellt dieser mit den Meisterschöpfungen eines Rembrandt und Teniers in eine Reihe; in ihm sieht man die echte schwedische Natur, den echten schwedischen Geist.

Mir war Bellman schon seit langer Zeit bekannt; ich las seine Dichtungen, doch ohne von ihnen weder ergriffen noch erwärmt zu werden. Er schien mir einer jener überschätzten Poeten zu sein, an welche insbesondere kleinere Nationen so gern ihre übertriebene Bewunderung heften. Selbst das Lob eines Kellgren und Tegnér konnten mich nicht umstimmen.

Dennoch nahm ich seine Episteln und Lieder auf meine schwedische Reise mit, ebenso wie ich Petöfi auf meiner Karpathenfahrt im Reisesack hatte. Und als ich hinfuhr durch das prächtige nordische Land, vorüber an mäßigen, stahlgrauen, düstern Hügelketten, entlang der smaragdenen Seen, die allerorts ausgegossen in unerschöpflicher Fülle, durch die rauschenden Wälder, die so seltsam, so zauberhaft zu flüstern verstehen; als ich einige Tage mich in Stockholm herumgetrieben unter den liebenswürdigen, stillvergnügten, lebensfrohen und doch so eigenthümlich schweigsamen Menschen, als ich den Mälar durchschifft, den dunkelgrünen Salzsee, und dieses nordische Constantinopel mit seinen Brücken, seinen Dämmen, seinen Palästen, seinen Felsengebirgen und seinem aus allen Ecken und Winkeln hervorschießenden nordischen Grün mir immer vertrauter wurde; als ich jetzt die Lieder Bellman’s nicht nur selbst las, sondern auch von Andern singen hörte, nach den Melodien, wie er sie selbst für seine Dichtungen geschaffen, in welchen sich Wort und Ton decken, wie die rechte Hand, die man auf die linke legt, – da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, wie ein Blitz flammte mir das Verständniß dieses Poeten auf, und ich stimmte freudig in den allgemeinen Ausruf ein, den ich rings um mich hörte: Ein Dichter! Ein echter Dichter!

Bellman ist den 24. Februar 1741 in Stockholm geboren. Sein Vater war Secretär in der Schloßkanzlei, später Landrichter. Die Mutter zeichnet der Dichter selbst: „Schön wie der Tag, unendlich gut, reizend in der Toilette, freundlich gegen alle Menschen, fein im Umgamge und begabt mit einer vortrefflichen Stimme.“

Unter zahlreichen Geschwistern wuchs er empor, fleißig, lernbegierig, phantasievoll und von munterem Sinne; schon als Kind sprach er, wie im Fieber-Paroxysmus, immer Verse vor sich hin, hingegen machten ihm die exacten Wissenschaften viele Schwierigkeiten. Später kam er nach Upsala auf die hohe Schule, wo er seine Rechtsstudien mit Erfolg vollendete. Von seinem Großvater, Magister Hernonius, einem Prediger, erbte er eine dem Religiösen und Mystischen sich zuneigende Richtung. Wie der Sonne, ehe sie in ihrem vollsten Glanze hervortritt, die graue Morgendämmerung vorangeht, so dem Bellman’schen Genius mystisch-religiöse Poesien, aber bald enthüllt er sich als das, was er eigentlich war und werden sollte, als der Dichter des heitern Lebensgenusses, der Freundschaft, der Liebe und der seligen Trunkenheit und Weltvergessenheit. Mit achtzehn Jahren lernte er zum ersten Male den süßen Taumel kennen, den die Gaben des Gottes Bacchus gewähren:

„Ich kam heim so roth und schön
Eines Nachmittags um Viere;
Meine Schwestern, mich zu seh’n,
Traten lächelnd vor die Thüre;
Nachbarn, Nachbarinnen gingen
Grad’ zur Kirche, zum Gebete,
Während aus des Pontaks[1] Schwingen
Muttern ich entgegentrete.

‚Mein Carl Michel,‘ sagte sie,
‚Wo, mein Kind, bist Du gewesen?‘
„Mütterchen, das können Sie
Ja auf meinem Antlitz lesen.“
‚Ja so, ja so, armer Tropf,
Setz Dich her zu meinen Füßen,
Leg auf meine Knie’ den Kopf:
Wer gesündigt hat, muß büßen.‘“

Er vergötterte seine Mutter, und diese Verehrung übertrug er später auf alle Frauen. Nebst den Gaben des Bacchus und der Schönheit der Frauen war es die Anmuth der nordischen Natur, waren es die eigenthümlichen Reize seiner Heimathstadt, die sein für den leisesten Eindruck empfängliches, wollüstig weiches, elastisches Gemüth zu seinen schönsten Liedern begeisterten. – Diese Lieder, bestimmt, gesellig im Freundeskreise genossen zu werden, sind sämmtlich Improvisationen. Inmitten fröhlicher Genossen, bei Trinkgelagen, oder wenn schöne Erinnerungen in ihm aufstiegen, kam es wie Verzückung über ihn. Er nahm seine Laute zur Hand, jene berühmt gewordene Laute, welche heute im Nationalmuseum in Stockholm unter den geliebtesten Andenken des schwedischen Volkes seine Stelle gefunden, und schloß die Augen; eine längere Pause entstand; nach und nach färbten sich mit Fieberröthe seine blassen Wangen; er präludirt, und nun beginnt er, Wort und Musik innig verschwisternd, jene Lieder, das Entzücken seiner damaligen glücklichen Zuhörer, heute die Kleinodien der schwedischen Literatur. So improvisirte er halbe Nächte vor seinen Freunden.

Productiv, wie jedes echte Talent, sang er an solchen Abenden unermüdet, bis er, gleich einer Pythia, wenn der Taumel der Begeisterung entschwunden, ermattet niedersank. Viele dieser seiner Dichtungen, wie sie als Eingebungen des Augenblickes entstanden, sind auch mit der Lust und Freude verklungen, die sie geboren; er selbst sammelte nichts, doch die Freunde behielten Text und Melodie im Gedächtniß, und schon bei seinen Lebzeiten kamen sie in zwei Bänden heraus.

Die Poesie, wie Goethe meint, zu commandiren, diese Gabe fehlte ihm gänzlich; sein Dichten war ein willenloses; nie war die Einsamkeit, immer die fröhlich ihn stimmende Umgebung [609] gleichgesinnter Freunde seine Muse. – Als er sein Ende nahe fühlte, sammelte er noch einmal seine Freunde um sich. Und da kam der Geist über ihn; alle Strahlen seines fliehenden Schaffensvermögens drängten sich zusammen; er ließ noch einmal den „Bellman“ hören; er sang mit überströmender Inspiration das Lob seines Königs; er dankte der Vorsehung, die ihn geboren werden ließ, in diesem nordisch schönen Lande, unter einem edlen Volke; dann leerte er zum letzten Male den Becher, hing seine Laute an die Wand und sang von dieser Stunde kein Lied mehr.

Und doch war Bellman im Ganzen eine mehr einsame und scheue, als eine gesellige Natur, rasch verstimmbar, wenn ihm die Gesellschaft nicht behagte, im Augenblicke, wenn ihn etwas empfindlich berührte, von toller Lustigkeit zu Ironie und stahlscharfem Sarkasmus überspringend. Mit Vorliebe suchte er die Locale auf, wo sich damals bei dem Tone einer Geige fröhliche Menschen aus den unteren Volksclassen versammelten. Da setzte er sich bei einer Flasche Halbbier, die Pfeife im Munde, in eine Ecke, sah sinnend in das Gewimmel hinein und studirte sich die Originale zu seinen Figuren heraus, die, zu Typen geworden, durch seine Lieder und Episteln hindurchgehen. – Mit diesen seinen Lieblingsgestalten, mit Movitz, Mollberg, Ulla Windblad etc. hat er wohl nie ein Wort gewechselt, aber sie sind ihm, wie einem Landschaftsmaler ein eigenthümlicher Baumstamm, Modell gestanden. Welche köstliche Schilderung einer solchen Volksunterhaltung in den folgenden Versen:

„Geigen kreischen und Trompeten;
Paare stoßen sich und treten;
Lust erschallet laut.
Ulla Windblad, theures Mädchen,
Tanzest zierlich wie ein Rädchen,
Jedes Mannes Braut.
Hurrah! Seht, wie sie sich schwingen,
Ihren Mädchen Gläser bringen,
Trinken, Schelmenlieder singen,
     Bis die Nacht
Ihrer Freud’ ein Ende macht!“

Wie in Stockholm die süßen Wellen des Mälarsees und die salzigen der Meeresfluth sich nahe begrenzend in einander hinüberspülen, so liegen in Bellman’s Liedern bacchantische Lust und herzerschütternde Töne des Ernstes hart neben einander. Möge dies das folgende Gedicht neben dem eben citirten heiteren beweisen:

„Ach, alt bin ich nun, bald aus ist der Spaß,
Genossen die irdische Weile.
Der Tod stellt sein Stundenglas neben mein Glas,
Streut mir um die Flasche die Pfeile.
     Durstig ich schau’ zu den Sternen empor;
     Geister singen den Abschiedschor –
     Movitz! Spiel’ auf, ich hab’ Eile. –

Mein elend’ Geripp, zu Nichts war es gut,
Als Qualen und Schmerzen zu haben.
Ich diente Gott Bacchus mit Gut und mit Blut
Für seine verderblichen Gaben.
     Venus und Bacchus! Geschieden muß sein. –
     Movitz, o lasse mein morsches Gebein
     Bei meinen Vätern begraben.“

Mit eigentlichen Nahrungssorgen hatte der Dichter niemals zu kämpfen. Gustav der Dritte, dessen königlichen Schutzes er sich erfreute, stellte ihn als Secretär bei der Lotterie mit einem Jahresgehalte von dreitausend schwedischen Reichsthalern an. Doch das Rechnen war Bellman’s starke Seite nicht und das Bureaugehen wollte ihm nicht behagen. Mit Erlaubniß des Königs überließ er einem Andern die Stelle und begnügte sich mit der Hälfte des Gehalts.

Er war von einer aufopfernden Nächstenliebe. Wenn es zu helfen galt, schrak Bellman, wenn er nicht selbst bei Mitteln war, davor nicht zurück, seine Kunst im Dienste der Wohlthätigkeit zu verwerthen. Als Bengt[WS 1] Lidner, ein schwedischer Poet, 1793 starb, trat Bellman einige Tage nachher in’s Zimmer der armen, traurigen Wittwe, gab ihr fünfzig Thaler und sagte mit freudeglänzendem Gesichte: „Das habe ich für Dich zusammengesungen.“

Bellman starb am 11. Februar 1795 an der Lungenschwindsucht und wurde auf dem Clara-Kirchhofe begraben. Seine Grabstätte ist unbekannt, wie jene des schlesischen Dichters Christian Günther, einer im Lebensgange und in der Art und Eigenthümlichkeit der poetischen Production Bellman nahe verwandten Erscheinung. Bei seinem Volke blieb aber der Dichter unvergessen, ja, seine Popularität wuchs von Jahr zu Jahr. Immer vollständigere und sorgfältigere Ausgaben seiner Dichtungen erschienen, Scenen aus seinen Episteln wurden von schwedischen Malern entworfen und sogar auf Porcellan nachgebildet, und endlich wurde 1829 des Dichters kolossales Brustbild, von Byström’s Meisterhand verfertigt, am 26. Juli im königlichen Thiergarten zu Stockholm feierlich enthüllt und dieser Tag zu einem jährlich wiederkehrenden Nationalfeste geweiht.

Als ich meine Reiseroute nach Skandinavien entwarf, war ich darauf bedacht, an diesem 26. Juli sicher in Stockholm zu sein.

Nie habe ich mir von Gott inniger blauen Himmel und heitere Luft erfleht, als für diesen 26. Juli. Warm und hell und lusterweckend schien die Sonne an dem Festtage, und schon in den ersten Nachmittagsstunden wogten Tausende zu Fuße und in langen Wagenreihen, ein farbenreiches, buntes Gewimmel, über die Brücken dem Thiergarten zu, während auf dem Seewege menschenüberfüllte Dampfboote und kleine segelgeschwellte Schiffe pfeilschnell dem beliebten Belustigungsorte, dem heutigen Festplatze, zuflogen. Unwillkürlich schwebte mir Bellman’s Schilderung in einer seiner Dichtungen vor:

„Sonne scheint so warm und lind;
Wasser ohne Wellen,
Und der frische Abendwind
Macht die Segel schwellen.
Wimpel flattern; stillvergnügt
Alles sich im Boote wiegt.“

Der Thiergarten ist ein Inselpark von einer großen Ausdehnung und unvergleichlicher Schönheit. Nahe am See ziehen sich breite, von riesigen Bäumen eingefaßte Alleen dahin, und hinter diesen reihen sich Schaubuden, Theater, Gasthäuser, Ringelspiele, Tanzböden und andere Belustigungsorte nahe an einander. Hierin ähnelt der Thiergarten dem Prater in Wien; was ihn aber vor diesem und vielleicht vor jedem ähnlichen, der Volkserholung und Freude gewidmeten Orte auszeichnet, ist, daß man diesen wohlgepflegten Alleen nur den Rücken zu kehren braucht, um schon nach wenigen Schritten mitten in der Großartigkeit wilder, nordischer Felsnatur zu stehen. Aus grünem Moose und Bergkräutern bricht der braune Granit hervor, und uralte Eichen, wie aus Odin’s Zeiten stammend, krümmen ihre Wurzeln um die Steine und strecken, Stürmen trotzend, hoch den kaum von den Armen dreier Männer zu umspannenden Stamm empor, und wohin man klimmt auf diesen mäßig sich hebenden Felshügeln, auf welchen überdies zwischen Waldesgrün reizende Landhäuser, Sommerfrischen der Stockholmer, durchschimmern, überall öffnet sich eine reizende Fernsicht nach dem lieblichen Mälar, nach der grünen Salzsee und auf die große, prächtige, mit Kirchen und Palästen geschmückte Stadt, überall andere, überall immer schönere Ausblicke bietend.

Einem der Felshügel nahe, an waldesfrischer Stelle, von zwei riesigen Eichen beschattet, steht die kolossale Erzbüste des Volksdichters Bellman. Ein frischer Eichenkranz ziert heute des Dichters Haupt, und mit Blumenkränzen ist der Granitsockel des Standbildes umwunden. Etwas Lebensmüdes, Schläfriges, Tiefmelancholisches liegt um die Augen des Dichters, während ein lüsternes, schalkhaftes, weltbeseligtes Lächeln um die vollen, sinnlichen Lippen sich lagert. Hinter dem Standbilde ist heute eine mit den Wappen sämmtlicher schwedischen Städte geschmückte Balustrade für ein Orchester errichtet; an diese grenzt ein abgeschlossener, jetzt noch leerer Raum, bestimmt die Sänger aufzunehmen. Buntfarbige Lampions hängen an den Bäumen, und eine nach Tausenden und Tausenden zählende, mit jeder Minute mehr anwachsende Menge lagert sich um den Bellman-Platz, so weit das Auge reicht, und gruppirt sich amphitheatralisch unter den Eichen und Nadelhölzern bis zu den höchsten Felsengipfeln hinauf.

Hunderte von Tischen stehen im Waldesgrün, improvisirte Schenken, umdrängt und umlagert. Ueberall ist freudiges Behagen, stiller Lebensgenuß, seliges Genügen. – Kein lautes Wort, kein roher Lärm! Wie im Abendwinde die Bäume lispelnd ihre Blätter bewegen, so flüstern sich diese Tausende von Menschen ihr Empfinden und ihre Freude in schöner Vertraulichkeit zu. [610] So ist’s nordische, schwedische Sitte. – Und über den weiten Raum läßt das Orchester Bellman’sche Weisen ertönen.

Ist es, weil ich mich in den letzten Tagen fast ausschließlich mit Bellman beschäftigt, oder sind die Menschentypen, die ein rechter Dichter schafft, unsterblich oder vielmehr kehren sie immer von Neuem wieder – mir scheint es plötzlich, als ob ich ringsum mir wohlbekannte und vertraute Gestalten aus dem Bilderbuche des Zeichners schwedischer Volkscharaktere auftauchen sähe.

Ist es nicht, als ob an dem heutigen Tage sich diese Volksmassen hier versammelt hätten, nicht um das Andenken ihres Dichters zu feiern, sondern seine populären Dichtungen in lebenden Bildern selbst darzustellen?

Himmel, welch’ Leben, welch’ fröhliches Bild!
Freundlich erglänzen vom Schloß schon die Lichter;
Fröhlich die Geige zum Tanze dort schrillt;
Spielleute schwitzen und schneiden Gesichter.
Bergström, der Bucklige, rothbraun und dick,
Bläst mit Verzweiflung in seine Posaune,
Scheint diesen Abend besonders bei Laune,
Heiterkeit strahlet der schielende Blick.

Die achte Abendstunde ist gekommen. Während bei uns um diese Zeit bereits Alles in grauer Abenddämmerung ruht, breitet sich hier im Norden ein verklärender, blauer Schimmer um Hügel, Bäume und Wasser aus.

Plötzlich kommt die Volksmenge in Bewegung, die auf den Hügeln Gelagerten heben sich empor; die in den Alleen und Schenken Zerstreuten eilen gegen den Festplatz heran, der allgemeine Ruf ertönt: Die Pal-Bricol kommen. – Wie von selbst bildet sich eine Gasse mitten im Gewühl, und durch diese schreiten die Pal-Bricol, etwa an zweihundert Männer jeglichen Alters und Standes, mit Hüten und Mützen, bunte Bänder um den Hals oder blaue Schleifen, an welchen kleine Trichter hängen, auf die Brust geheftet; sie nehmen in dem abgeschlossenen Raume vor der Büste Aufstellung. Ueber die Tausende von Menschen legt sich erwartungsvolle Stille; das Orchester intonirt, die Pal-Bricol beginnen die eigentliche Festfeier: das Absingen einer Reihe der schönsten Bellman’schen Lieder.

In weihevoller Stimmung stehen lauschend die Tausende und Tausende, und summen leise die ihnen allen wohlbekannten Weisen ihres Lieblingsdichters vor sich hin. Die zahlreichen Festgenossen aus den höheren Ständen, die in ihren Sitzen in den Equipagen, welche in den Alleen eine ganze Wagenburg bilden, lehnen, hören mit der gleichen stillen Andacht und Theilnahme zu.

Die ersten Sterne glitzern am blauen Himmel empor; das letzte Lied der Pal-Bricol ist verklungen; kein lauter Beifall ertönt, kein stürmischer Jubel, nur vereinzeltes Händeklatschen; die Brüder vom Pal-Bricol ordnen sich wieder zum Zuge und schreiten zu der Restauration von Hasselbaken zurück, von der sie ausgezogen; die unentwirrbar scheinenden Menschengruppen lösen sich allgemach geräuschlos und friedlich; die Wagen rasseln durch die Alleen gegen die Stadt; auf allen Seiten, auf den gewundenen Bergstegen steigen fröhliche Waller gegen die Restaurationen und Vergnügungsorte, vor deren Pforten buntfarbige Lampions durch das Grün der Bäume schimmern, empor; die Dampfschiffe werden fast gestürmt von heimwärts sich Drängenden, und einzelne kleine Ruderboote schweben geräuschlos dem sogenannten „Strömpaterre“ an der Schloßbrücke zu. In Hasselbaken aber bleiben die eigentlichen Veranstalter des Bellman-Festes, die Genossen vom Pal-Bricol, bis nach Mitternacht beisammen.

„Pal-Bricol“ ist ein geselliger Verein, welchen Bellman und seine dem Bacchus huldigenden Zechgenossen gegründet. Jedermann, der sich „Wein, Weib und Gesang“ in treuer Hingebung zuneigt, sollte Mitglied dieser lustigen Gesellschaft werden können, nur die ehrsame Zunft der Schneider wünschte Bellman für alle Zeiten ausgeschlossen, da er unbezahlter Rechnungen wegen von diesen allzuviel zu erdulden hatte.

Durch mehr als ein Jahrhundert besteht nun dieser, viele Hunderte von Mitgliedern zählende Verein. Er hält wöchentliche Versammlungen ab, die man Capitel nennt. In zehn Rangstufen, die durch verschiedene Embleme kenntlich sind, zerfallen seine Mitglieder; die Pflege der Poesie und des Gesanges im Allgemeinen, insbesondere aber die der Dichtungen Bellman’s sind sein Zweck; überdies übt er, in annerkennendster Weise, Wohlthätigkeit an Wittwen und Waisen von Mitgliedern aus. Der Hauptfesttag des Pal-Bricol ist das Bellmanfest am 26. Juli.

Der öffentlichen Festfeier vor der Büste des Dichters folgt eine auf Hasselbaken im geschlossenen Kreise. Während die Musik unermüdlich Bellman’sche Weisen in die Nacht hinaustönen läßt, werden die Becher zum Preise des Dichters an einander gestoßen und in mehr oder minder kunstvollen Reden der geniale, gutmüthige, genuß- und lebensfrohe Volksdichter geschildert.

Es geht die Sage, daß um Mitternacht, wenn Stille und Ruhe über dem Thiergarten liegen, wenn nur die Wellen noch leise rauschen, die Eichen geheimnißvoll durch einander flüstern und neugierig die verschwiegenen Sterne herabblicken, daß dann die Meister der ersten Grade des Pal-Bricol sich mit einer riesigen Punschbowle noch einmal zu der Büste des Dichters begeben und in feierlicher Weise mit dem süßen, von ihm so sehr geliebten schwedischen Nationaltranke, welcher so oft seine liederreichen Lippen genetzt, sein Haupt beträufeln.

Ob die Sage auf Wahrheit beruht, ich konnte es nicht erfahren, denn lange vor Mitternacht fuhr ich zu Schiffe heim. Hinter mir glänzte der Thiergarten noch mit Tausenden von Lichtern; die Orchester schickten mir abgebrochene Klänge Bellmann’scher Melodien nach, und aus einem Nachen neben uns klang von vier Männerstimmen das Bellman’sche Lied:

Giebt es wohl stolzere Bäume als hier?
Prächtigere Auen?
Der bläuliche Hafen
Im duftigen Grün,
Die Wellen sie schlafen
Im Abendglühn;
Schlösser und Wälder in bläulicher Fern’,
Ich seh’ sie so gern – ich seh’ sie so gern.

Joseph Weilen.
  1. Bekannter Rothwein.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Beugt