Ein politischer Dichter und Kämpfer
Am Ostseestrande, in dem Hafenstädtchen Swinemünde, wurde am 21. Juli 1839 dem Kaufmann und Rheder Julius Scherenberg ein Knabe geboren. In die Wiegenlieder, welche ihm seine Mutter sang, tönte das Rauschen des Meeres; es tönte in die Lieder des Knaben, der sich am Strande oder in den Buchenwäldern der Insel Usedom umher tummelte; es drang zu ihm hinauf, wenn er hoch oben auf dem Lugthurm saß, der auf dem Hause seines Vaters errichtet war. Heute ist der Knabe ein Mann, in der Vollkraft des Lebens, und um seine Stirn haben inzwischen die Musen den stolzen Lorbeer des Dichters geflochten. Wir reden von Ernst Scherenberg, dem Neffen des Dichters von Leuthen und Waterloo, Christian Friedrich Scherenberg, und des bekannten Malers Hermann Scherenberg.
Die Erinnerung an die Heimath und die Sehnsucht nach dem Meere klingt durch einen großen Theil der Gedichte Ernst Scherenberg’s, und dem Leben an und auf dem Meere hat er eine Reihe seiner schönsten Bilder entnommen; selbst das Liebesglück, das er in späterer Zeit gewonnen, hat er in jenen jungen Tagen auf dem Meere schon vorgefühlt:
„Nun weiß ich doch, weshalb zum Meer
Mich stets ein dunkler Zug getrieben,
Daß ich so gern, wenn’s still umher,
Im Kahn auf blauer Fluth geblieben:
Was ich in ihr, versunknen Blicks,
Erschaut in solchen Dämmerstunden,
Es war die Ahnung jenes Glücks,
Das ich in Deinem Aug’ gefunden.“
In seinem elften Jahre hatte er das Unglück, seine Mutter zu verlieren; der Schmerz um sie spricht sich in ergreifender Weise in einem Gedichte „Daheim“ aus, das entstanden ist, als ihn, nach langer Trennung, sein Fuß wieder nach der heimathlichen Insel und an das Grab der Mutter zurückführte. Im Jahre 1852 sandte ihn sein Vater an das Gymnasium in Stettin, wo er, was hier nebenbei bemerkt sein mag, im Gesang ein Lieblingsschüler von Karl Löwe wurde, dem noch immer unerreichten Balladen-Componisten. Schon nach zwei Jahren wurde Scherenberg veranlaßt, das Gymnasium mit der Gewerbeschule zu vertauschen, um sich für einen praktischen Beruf vorzubereiten, und so finden wir ihn im Jahre 1856 in einer Maschinenfabrik [822] Berlins wieder, im Arbeitskittel am Ambos stehend und den Hammer schwingend; er machte hier das für den Besuch des Gewerbe-Instituts erforderliche praktische Lehrjahr durch. Sein unter dem Takte des Dreischlags entstandenes Gedicht „In der Schmiede“ gewährt uns einen Einblick in die Schmerzen des siebenzehnjährigen Jünglings, in dessen Brust der künstlerische Schaffenstrieb immer stärker erwachte und der mit jedem Tage immer brennender den Zwiespalt dieses inneren Berufs mit dem äußern empfand:
„Komm Ruhe, komm Sonntag!
So tönt’s auch im Herzen
Beim Hämmern der Schmerzen:
Komm Sonntag, komm Sonntag!“
Sein künstlerisches Gefühl offenbarte sich nach zwei Richtungen, nach der malerischen, wie bei dem einen Ohm, und nach der poetischen, wie bei dem andern. In der anfänglichen Unklarheit über sich selbst glaubte er sich zum Maler bestimmt, und nachdem er alle Hindernisse besiegt, die sich ihm entgegenstellten, siedelte er im Jahre 1858 aus den Hörsälen des Gewerbe-Instituts in die Akademie der Künste über. Bald aber gelangte er zu der Ueberzeugung, daß Stift und Pinsel nicht das Material seien, womit er die Empfindungen seiner Seele aussprechen könne, und daß sich ihm die Welt, in der er lebe, erst Abends öffne mit dem Eintritt in das niedrige Söllerzimmer, das er unter tausend Entbehrungen bewohnte. Hier, in diesem engen Raume, strömten seine Gedanken in wohllautenden Versen aus, und schon in den ersten Anfängen zeigte es sich, daß er nicht blos ein lyrischer, sondern vorwiegend auch ein politscher Dichter sei; sein erstes Auftreten gehörte der Politik.
In Preußen war mit der Uebernahme der Regentschaft durch den Prinzen Wilhelm, unsern jetzigen Kaiser, eine „neue Aera“ angebrochen. In dem frischen Hauche, der von Berlin ausging, athmete ganz Deutschland wieder auf. Im Jahre 1859 erließ in Hannover Rudolph von Bennigsen mit einer Anzahl gleichgesinnter Männer im Hinblick auf die Gefahren, von welchen damals Deutschland von außen bedroht war, eine Erklärung, daß der alte Bund Deutschland nicht zu sichern vermöge und einer starken, von einem Parlament umgebenen Centralgewalt mit preußischer Spitze weichen müsse. Von dieser Erklärung, welche damals so viele Herzen entzündete, wurde auch unser junger zwanzigjähriger Dichter heftig bewegt, und von seinem Dachstübchen aus sandte er an Bennigsen seine Zustimmung in drei Gedichten: „Ein deutsches Parlament“, „Jetzt oder nie“ und „Mein Deutschland, mächt’ge Eiche“. Bennigsen ließ diese Gedichte, ohne daß Scherenberg darum wußte, in der „Zeitung für Norddeutschland“ abdrucken, von wo aus sie ihre Runde durch die ganze deutsche Presse machten und in so mancher Brust ihren Widerhall fanden. Wie in den vierziger Jahren Prutz dem Worte Constitution, so hatte jetzt Scherenberg dem Parlament das poetische Bürgerrecht erobert. Und wie jeder wirkliche Dichter ein Seher ist, so war es auch Scherenberg in dem dritten der Gedichte. Was er damals schrieb:
„Mein Deutschland, mächt’ge Eiche!
Verspottet oft, geschmäht!
Getrost, dein Lenz, der reiche,
Er kommt, kommt er auch spät.
Und Frühling wird dir’s werden,
Wie er noch nie gekannt!
Weitschattend rings auf Erden
Hin über alles Land –“
ist seitdem herrlich in Erfüllung gegangen.
Ermuthigt durch den großen Erfolg, der seinen Namen überallhin bekannt gemacht hatte, ließ Scherenberg im folgenden Jahre unter dem Titel „Aus tiefstem Herzen“ die erste Sammlung seiner Gedichte erscheinen, und zwar in Berlin bei Heinrich Schindler, der dem jungen Poeten für die Herausgabe freundlich eine hülfreiche Hand bot. Die politische Abtheilung der Gedichte war Rudolph von Bennigsen zugeeignet. Wir geben aus einem Briefe Bennigsen’s, worin er die Widmung annahm, folgende Stelle wieder, die uns sowohl für den Führer der Nationalpartei wie für unsern Dichter charakteristisch erscheint; sie lautet:
„Unsere junge Welt leidet an einem solchen Ueberfluß an Pessimismus, an Frivolität oder Sentimentalität, daß es erfrischend ist, zu sehen, wie ein junger Dichter einmal wieder Gefühl hat für unsere politische Schmach, und doch Kraft hat, festzuhalten an unseren nationalen Hoffnungen, aus denen wir Alle in dem jetzigen Jammer Begeisterung und Thatkraft schöpfen müssen.“
So jung das Leben Scherenberg’s war, so hatte ihm doch der Kampf nicht blos um das irdische, sondern ebenso sehr um das geistige Dasein eine Reihe von qualvollen Stunden und bitteren Erfahrungen gebracht, und es ist deshalb nicht zu verwundern, daß in den meisten Gedichten der Sammlung die Stimmung von einem elegischen Grundton beherrscht wird.
Bald darauf, schon 1861, erschien der Cyklus „Verbannt“, eine lyrisch-epische Dichtung, in welcher in wunderbarer Weise alle Saiten der Scherenberg’schen Leier zusammen klingen: Politik, Patriotismus, Freiheitsgefühl, dazu ein tiefes Seelen- und Gemüthsleben. Das Gedicht erzählt die Schicksale eines Kämpfers für die Freiheit Deutschlands, der mit den Waffen in der Hand ergriffen und zum Tode verurtheilt worden war, sich aber durch eine glückliche Flucht gerettet hatte und mit Weib und Kind jenseits des Meeres eine neue Heimath sucht. Alles, was ihm dort begegnet, wie er mit einer Schaar deutscher Genossen, die er findet, südwärts zieht, unter den Palmen sich eine Hütte baut und mit ungewohnter Hand den Pflug regiert, wie sein Knabe heranwächst, sein Weib hinsiecht und stirbt, ist mit rührender Innigkeit geschildert und um so ergreifender, als sich die Sprache Scherenberg’s in ihrer Einfachheit und Natürlichkeit von allem gemachten und unwahren Pathos fern hält. Der Schluß ist versöhnend. Zu keiner Stunde hatte den Helden des Gedichtes die Sehnsucht nach dem Vaterlande verlassen; da kommt die Nachricht, daß es von äußeren Feinden bedroht sei, und nun gilt für ihn kein Besinnen: er sendet den eigenen Sohn nach Deutschland, damit er im nationalen Kampfe mitkämpfe. Als dieser nach langer Trennung zurückkehrt, findet er seinen Vater sterbend, aber er kann ihm die doppelte Jubelbotschaft künden von der Abwehr des äußeren Feindes, von der Aufrichtung der Freiheit im Innern, und daß ihm selbst, dem Verbannten, die Rückkehr bedingungslos gestattet sei.
So sehr der Stoff auch in der Zeit wurzelt, so hat der Dichter doch verstanden, ihn von allem Vergänglichen, das der Zeit anhaftet, loszulösen und in die ideale Sphäre der Kunst zu erheben; dadurch ist er seiner Wirkung zu allen Zeiten gewiß. Beim Erscheinen der Dichtung hat man vielfach geglaubt, in dem Ausgange ein Compliment für die „neue Aera“ und die damals vom Könige Wilhelm bei seiner Thronbesteigung erlassene Amnestie erblicken zu müssen. Ernst Scherenberg hat nie solche Bücklinge gemacht. Zu jener Zeit lagen auch für ihn die großen nationalen Ziele der Bismarck’schen Politik noch verschleiert, und er befand sich in den ersten Reihen der Opposition. Unmittelbar nach der Auflösung des Abgeordnetenhauses, im März 1862, veröffentlichte die Berliner „Volkszeitung“ von ihm das Gedicht:
„Stürme des Frühlings, brechet herein!“
das in wahrhaft zündender Weise die Gedanken aussprach, von welchen damals die große Mehrheit des preußischen Volkes bewegt wurde.
In seinen Lebensbedingungen ganz auf sich angewiesen, trat Scherenberg im nämlichen Jahre in Verbindung mit der Modenzeitung „Victoria“ und folgte 1864 einem Rufe Westermann’s nach Braunschweig, wo er sich, neben buchhändlerischer Beschäftigung, an der Leitung des artistischen Theils der „Monatshefte“ betheiligte. Er verließ diese Stellung 1865, um, ebenfalls in Braunschweig, die Gründung einer größeren politischen Zeitung zu übernehmen (des „Braunschweiger Tageblattes“), die zur Vertretung der wahrhaft nationalen Interessen bestimmt war; sie erschien und erscheint noch im Verlage des Braunschweiger Hofbuchhändlers Friedrich Wagner. Scherenberg setzte alle Kraft für das neue Werk ein und zeigte, daß er neben der Phantasie des Dichters mit dem klaren Blick des Politikers begabt sei. Er hatte die Irrwege einer großen Partei erkannt, die auch in Braunschweig zahlreiche Anhänger besaß und Hand in Hand ging mit welfischem Particularismus und großdeutscher Verschwommenheit; ihm war angesichts der in Schleswig-Holstein Oesterreich und dem Bundestage gegenüber entwickelten energischen preußischen Politik das Verständniß aufgegangen für die großen Ziele Bismarcks, und er hatte es darum zu erdulden, daß man ihn höhnend dessen Söldling nannte; aber er harrte aus und ging schließlich als Sieger aus dem Kampfe hervor.
Noch nach ganz anderer Seite war der Aufenthalt in Braunschweig [823] von einer tiefen Bedeutung für das Leben unseres Dichters: er gründete einen eigenen Herd und führte die Verlobte, die Tochter eines Kaufmanns in Eberswalde, mit der er sich schon in Berlin zum gemeinschaftlichen Tragen von Freud’ und Leid verbunden hatte, nun als liebes Gemahl in sein Haus. Ihr sind die neuen Gedichte „Stürme des Frühlings“ gewidmet, deren erste Auflage 1865 in Berlin erschien. Was diese Sammlung sofort aus der großen Masse heraushob, war der in den Gedichten enthaltene Wechsel der Stimmungen, Reichthum und Tiefe der Gedanken und Schönheit der Form. Der elegische Ton der ersten Sammlung „Aus tiefstem Herzen“ klingt auch hier vielfach wider, im Nachhall alter Schmerzen, neuer Enttäuschungen:
„Wie lang,
O wie so lang die Nacht,
Wenn draußen der Regen tropft!
Wie bang,
O wie so bang sich’s wacht,
Wenn an’s Herz die Reue klopft!“
oder an einer andern Stelle:
„Und ach! ich habe nichts gefunden
Als eines Herbsttags kalte Pracht,
Nur wenig sonnenlichte Stunden –
Und eine endlos lange Nacht.“
Dann aber finden wir in dem seiner Braut gewidmeten Cyklus „Helene“ den Ausdruck vollsten Liebesglückes in ganz besonderer eigenartiger Schönheit; es sind Verse darunter, die wohl in einem Stücke des großen britischen Dichters vorkommen könnten:
„Lippen, die ihr sonst so herbe,
Lippen, werdet fromm und büßt,
Denn ein Engel hat ja heute
Friedenbringend euch geküßt!
Milde Worte sprecht in Zukunft,
Wo ihr sonst vor Zorn gebebt,
Und wo ihr bisher verdammtet,
O da tröstet und vergebt!“
Auch diese Sammlung enthielt wieder eine Reihe politischer Gedichte, geschrieben unter der Gewitterschwüle, die damals auf dem deutschen Reiche lagerte. Was uns diese Lieder vorempfinden ließen, kam in dem Kriege von 1866 zum Ausbruch. Während des Krieges war die Muse Scherenberg’s stumm, aber im folgenden Jahre, nach geschlossenem Frieden und der Errichtung des Norddeutschen Bundes ließ er, unter dem Titel: „1866“, eine Sammlung von einundzwanzig Gedichten erscheinen, die nicht in epischer Breite alle Begebenheiten des Feldzugs erzählen, sondern die hervorspringendsten Momente in klagenden, zürnenden, dann auch wieder von der höchsten Gluth vaterländischer und kriegerischer Begeisterung durchwehten Liedern feiern. Zugleich zeigt dies „1866“ eine neue Seite der poetischen Begabung Scherenberg’s, die in seinen übrigen Gedichten eigenthümlicher Weise nirgend hervortritt: die humoristische. Der Gesang an die Klein- und Mittelstaaten und die Elegie auf den Tod des Bundestags sind Meisterstücke der politischen Satire.
Die immer mehr wachsende Anerkennung, mit welcher das deutsche Volk die Dichtungen Scherenberg’s aufnahm, sollte durch einen Schlag des Schicksals vergällt werden, der ihn bis in das innerste Leben traf: durch den Tod seiner Frau, der 1868 erfolgte. Man kann nichts Rührenderes lesen, als die Gedichte, welche er an ihrem Krankenlager und Sterbebette geschrieben hat oder in welchen er um die Hingeschiedene seine Klagen erhebt. Es mag hier gleich vorweg bemerkt werden, daß die Schwester der Gestorbenen später seine zweite Gattin wurde und das gestörte Glück seines Hauses in reichem Maße wieder aufrichtete. Auch die an sie gerichteten Gedichte tragen ganz das Gepräge der Scherenberg’schen Eigenart, die sie über die gewöhnliche Liebeslyrik weit emporhebt. Wir nennen namentlich: „Zwei Schwesterrosen“, ferner „Müde Augen“ und lassen ein drittes hier folgen:
„Kein flücht’ger Rausch hat uns verbunden;
Nicht in des Glückes Blüthenzeit
Hat Lieb’ zu Liebe sich gefunden –
Uns einte tiefstes Herzensleid.
Der gleiche Schmerz, die gleiche Trauer,
Unmerklich knüpften sie das Band:
Es weihte uns mit leisem Schauer
Stillsegnend eine Geisterhand.“
Im September 1870 verließ Scherenberg Braunschweig, wo sein politisches Wirken von so durchgreifendem Erfolge begleitet gewesen war, um die Chefredaction der „Elberfelder Zeitung“ zu übernehmen, die bisher in den Händen von Paul Lindau geruht hatte. Unter den Gedichten, zu welchen der Krieg von 1870 und 1871 ihn begeisterte, ist namentlich eines: „Den Gefallenen“ von hervorragender Schönheit; seine größten Siege aber feierte er in dem Culturkampfe, der 1873 ausbrach und an dem er sich in seiner Doppeleigenschaft als Politiker und Poet mit der ganzen Wucht seines Talentes betheiligte. Sein „Hie Papst – hie Kaiser!“ machte ebenso die Runde durch ganz Deutschland, wie vor Jahren sein Ruf nach einem deutschen Parlamente. Er suchte und fand eine Menge dichterischer Kampfgenossen, und so entstand das von ihm herausgegebene Buch: „Gegen Rom, Zeitstimmen deutscher Dichter“ (Elberfeld), welches so gewaltig einschlug, daß binnen wenigen Monaten neun Auflagen vergriffen wurden.
Die Leser der „Gartenlaube“ dürfte es interessiren, daß dieser poetische Sturmlauf gegen den Vatican durch das von Scherenberg in diesem Blatte im Jahre 1874 veröffentlichte Gedicht: „Wem gilt unser Krieg?“ hervorgerufen worden ist. Es war der erste Beitrag unseres Dichters für die „Gartenlaube“, der damit einer Aufforderung des unvergeßlichen Begründers und damaligen Herausgebers derselben nachgekommen war. In diesem Gedicht sprach Scherenberg klar und unzweideutig aus, daß der Kampf nicht gegen den Glauben, sondern nur gegen die politischen und antinationalen Herrschgelüste der römischen Hierarchie gerichtet sei:
„Wem gilt unser Krieg? – Nicht dem stillen Gebet,
Das den Segen der Liebe vom Himmel erfleht,
Gleichviel wie die Lippe es flüstert –
Doch dem Priesterhaß und dem Dogmenzwang,
Der die Seele des Volkes vergiftend durchdrang
Und den Frieden des Hauses umdüstert.“
Das Buch wirkte weit über die Grenzen Deutschlands hinaus; in Belgien schloß sich ihm Charles Potvin an mit einer Dichtung, die er ebenfalls „Contre Rome“ betitelte. Die ultramontanen Poeten suchten den Stoß durch eine Sammlung von Gedichten „Für Rom“ zu pariren, aber der Ultramontanismus hat keinen Poeten.
Im Wupperthale gehen bekanntlich die Interessen des Handels und der Industrie allen andern voran, vielleicht mit Recht, und Scherenberg, als Leiter einer Zeitung, welche auch diesen vielfach sich widerstrebenden Interessen vorzugsweise dienen muß, war genöthigt, sich in ihre zum Theil sehr verwickelten Verhältnisse hineinzuleben. Er hat es mit so vielem Geschick gethan, daß ihn die Elberfelder Handelskammer zu ihrem Secretär ernannte. Man hat sich nachgerade davon entwöhnt, jeden Poeten für einen Träumer zu halten, für einen unklaren und unpraktischen Kopf; die wirklichen Poeten sind es fast niemals, und Shakespeare hat sehr wohl zu rechnen verstanden.
Wie Scherenberg auch zoll- und handelspolitische Fragen poetisch zu verklären wußte, zeigt sein Trinkspruch auf der großen Versammlung deutscher Industrieller in Berlin (1878), aus dem wir folgende Strophe anführen:
„Deutsche Arbeit – ‚schlechter Trödel’
Ruft man auslandstoll dir zu –
Doch ich sag: dem Aschenbrödel
Winkt dereinst der Königsschuh!“
Neben der Redaction der „Elberfelder Zeitung“ übernahm Scherenberg 1874 auch die Redaction des in Düsseldorf erscheinenden „Deutschen Künstleralbums“ und kam dadurch, sowie durch die Sammlung gegen Rom unter anderm auch in Verbindung mit Anastasius Grün, dem Grafen Anton Auersperg. Diese Verbindung, nur wenige Jahre vor dem Hinscheiden des berühmten Dichters begonnen, ist eine außerordentlich freundschaftliche und herzliche geworden. Nicht wegen dieser persönlichen Beziehungen wollen wir ihrer gedenken, aber es wird von hohem und allgemeinem Interesse sein zu hören, wie Graf Auersperg, der ein ebenso großer Staatsmann wie Poet war, sich über den Ausgang des Krieges von 1866 ausgesprochen hat. Er schrieb an Scherenberg unter dem 7. April 1875 aus Graz, nachdem er seinen Dank ausgesprochen für die gesammelten Gedichte, welche ihm Scherenberg zugesandt hatte, „unter denen er viel des Neuen gefunden, das ihn innig angemuthet und dichterisch erquickt“, wörtlich Folgendes: „Auch das für mich als Oesterreicher mit dunklen Floren umhangene Jahr 1866 hat mich in Ihren poetischen Klängen wieder tief ergriffen. Aber Sie haben in der Wesenheit doch Recht; die Zwitterstellung war unhaltbar, die Lösung für [824] beide Theile vorläufig von Heil; auch daß der eine Theil so rasch und vollständig unterlag, brachte nach allen Seiten klare Stellungen und ermöglichte wenige Jahre darauf den großen deutschen Siegeszug, in dessen Jubel wir ehrlich einstimmten. Hätten, wie man an der Seine gehofft, wir uns damals gegenseitig geschwächt und aufgerieben, so wären beide Theile der Schmach napoleonischer Dictatur abermals verfallen; wir aber waren, sind und fühlen deutsch genug, um ein solches Loos für das allerschimpflichste zu halten. Im geistigen Streben verbunden, gehen wir friedlich neben einander den großen Zielen entgegen, wir Deutsch-Oesterreicher im Fortschritte mitunter gehemmt durch fremdartige Elemente, die sich wie Bleigewichte an unsere Füße hängen. Aber auch diese werden naturgemäß mit der Zeit abgeschüttelt werden, und früher oder später wird die alte tausendjährige Vereinigung, so oder so, gewiß wieder erfolgen.“
Halb und halb ist die Vereinigung durch den großen Reichskanzler schon bewirkt worden, so weit sie eben jetzt schon möglich ist, wo wir noch überall in den Anfängen stehen.
Neuerdings hat Ernst Scherenberg sämmtliche Dichtungen, wie sie nach und nach erschienen sind, in einem Bande vereinigt unter dem einfachen Titel „Gedichte“ im Verlage von Ernst Keil in Leipzig herausgegeben, und es erscheint davon bereits die zweite Auflage. Was unsere Herzen bewegt, die ganze Tonreihe unserer Empfindungen vom vernichtenden Schmerze und düsterer Trauer bis zum überquellenden Gefühle höchsten Glückes, findet darin Wort und Sprache und läßt in jeder empfänglichen Brust die verwandten Saiten widerklingen.
In den politischen Gedichten tritt uns ein Dichter entgegen, dessen ganze Seele dem Vaterlande gehört. Was wir in den letzten zwanzig Jahren, von dem ersten Wieder-Erwachen unseres Nationalgefühles an bis auf den heutigen Tag, wechselnd erlebt: unser Hoffen, unser Verzagen, der kriegerische Zorn, der Siegesjubel, es ist in diesen Versen niedergelegt, in denen die Schönheit der Form die Gluth nicht erkältet, sondern erhöht. Was die Dichtung „Verbannt“ betrifft, so möchten wir mit den Worten von Anastasius Grün schließen: „Sind schon die früheren Stücke fesselnd und reizend, so ist der Liedercyklus, mit welchem das Buch endet, wohl dessen Perle. Mit ihm klingt das Ganze in einem prächtigen Schlußaccord aus, der noch lange wohlthuend nachhallt.“